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Ein Krimi aus dem Wiener Speckgürtel – witzig, spritzig und erfrischend anders. Ein paar entspannte Stunden im altehrwürdigen Thermalbad Vöslau verbringen? Schön wär's! Noch bevor die Pokornys es sich in ihren Hängematten im Föhrenwald gemütlich machen können, werden sie Zeugen eines heftigen Streits um die begehrten Waldkabanen. Am nächsten Tag ist die schwer kranke Mieterin einer der Kabanen spurlos verschwunden. Ein Fall für die Freizeitpolizisten! Tatkräftig stürzen sich die Pokornys in die Ermittlungen – und stehen bald schon vor dem nächsten Rätsel.
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Seitenzahl: 520
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Norbert Ruhrhofer, geboren 1968 in Wien, arbeitete zunächst als kaufmännischer Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Auf dem zweiten Bildungsweg studierte er Rechtswissenschaften und war anschließend bei einem namhaften österreichischen Informationsdienstleistungsunternehmen tätig. Im Alter von fünfundvierzig Jahren zog er mit seiner Frau von Wien nach Bad Vöslau, wo er seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte.
Ein Blick auf die Webpage des Autors zahlt sich schon während des Lesens dieses Krimis aus. Nehmen Sie anschließend das Buch zu den Schauplätzen mit, lernen Sie via Krimi-Geocaching verborgene Orte kennen und genießen Sie dabei so manche kostenlose Spezialität aus der Region. Mehr zu den teilnehmenden Unternehmen finden Sie im Blog der Website unter www.norbert-ruhrhofer.at
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Im Gegensatz dazu tragen alle Ortsteile, Sehenswürdigkeiten, Lokale und Geschäfte ihre tatsächlichen Namen. Die Protagonisten essen und trinken im Krimi, was es dort tatsächlich kulinarisch zu probieren gibt. Einzig den Bioladen vom Bio-Berti und die Eckstadler Luxus-Immobilien GmbH gibt es in Wirklichkeit nicht.
© 2023 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: mauritius images/Hans Blossey/imageBROKER
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Uta Rupprecht
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-98707-053-2
Ein Wiener-Speckgürtel-Krimi
Originalausgabe
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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Literaturagentur Drews, Augsburg.
Für meinen besten Freund Herwig.
Personenliste
Willi Pokorny: sechsundvierzig Jahre alt, faul, unsportlich, je nach Jahreszeit entweder mit seinem froschgrünen E-Bike oder einem dreißig Jahre alten Ford Escort unterwegs. Derzeit arbeitslos, unterstützt er seinen Freund bei der Auslieferung von Bioprodukten.
Toni Pokorny: Die allerbeste Ehefrau der Welt steht knapp vor ihrem vierzigsten Geburtstag, ist sportlich und engagiert sich, Kindern Literatur näherzubringen. Durch einen Grundstücksverkauf finanziell abgesichert, arbeitet sie Teilzeit in der Gemeindebücherei. Ernährt sich gesund, wünscht sich ein Kind.
Die Maxime (Beagle-Dame): Die Hündin ist ein vollwertiges Familienmitglied der Pokornys und eine Art Kinderersatz.
Gruppeninspektor Friedrich Sprengnagl: Kriminalbeamter im Bereich Leib und Leben in Bad Vöslau und langjähriger Schulfreund vom Pokorny. Er ist ein Intimfeind der Chefinspektorin Wehli, die früher seine Chefin war und ihn jetzt für alle kriminalpolizeilichen Einsätze in der Stadtgemeinde anfordert.
Chefinspektorin Ottilia Wehli: sechsunddreißigjährige Kriminalbeamtin, gewöhnlich in schwarzer Ledermontur auf ihrer 1200er BMW unterwegs. Sie will Leiterin des LKA werden, hat Probleme mit dem Sprengnagl wegen einer gemeinsam vergeigten Soko und einem gescheiterten Grundstückskauf.
Liesl Katzinger: eine neugierige alte Frau, weiß über alles und jeden in Bad Vöslau Bescheid. Sie steht meist kettenrauchend vor dem Café Annamühle, spricht Wörter häufig falsch oder sinnentfremdend aus.
Bio-Berti: Schulfreund vom Pokorny und vom Sprengnagl, hat sich in Großau (Ortsteil der Stadtgemeinde Bad Vöslau) ein Geschäft aufgebaut, in dem er neben Bioprodukten mit Vorliebe Magic Mushrooms verkauft
Tatjana Walcha: ehemalige Schulfreundin der Toni, jetzt Chefin der Stadtbücherei Bad Vöslau
Die Hanifl: unbeliebte Doppelhausnachbarin der Pokornys
Heidrun Zwatzl: stammt aus der DDR, wo ihr Vater bei der Stasi war. Von ihm hat sie Abhörequipment geerbt und bespitzelt ihre Nachbarn mit versteckten Kameras und Mikrofonen.
Roswitha (Rosal) Fratelli: Putzfrau und Freundin der Katzinger
Der Ludwig: Pflegeheimbewohner, schaut dem Waldorf von den Muppets ähnlich, ist immer mit einem Outdoor-Rollator mit extrabreiten Rädern und tiefem Profil sowie mit einem Fernglas zum Auskundschaften unterwegs
Der Heini: Pflegeheimbewohner, schaut dem Statler von den Muppets ähnlich, ebenfalls mit Rollator, Fernglas und immer mit dem Ludwig unterwegs
Anna Högerl: leidet an einem Hirntumor im Endstadium, Mieterin der Kabane 1 im Thermalbad
Eleonore Zobel: hünenhafte Frau, Nachbarin der Högerl, kümmert sich um sie. Arbeitet als Tierpflegerin bei den Mähnenrobben im Tiergarten Schönbrunn in Wien, Mieterin der Kabane 2.
Kurt Tscholitsch: netter, aber ständig betrunkener Nachbar der Zobel, Mieter der Kabane 3
Christine Kocmanek: die Erste auf der Warteliste für eine freie Kabane
Herta Riebenbauer: Freundin der Zobel, Nummer zwei auf der Warteliste für eine Kabane
Dirk Schwertfeger: Mieter der Kabane 5, tut auf wohltätig und hat bei einer Tombola seine Kabane für die Saison kostenlos an Heini und Ludwig vergeben
Jaqueline Eckstadler: Architektin, arbeitet mit dem Schwertfeger zusammen
Der Guschlbauer: Bademeister
Der Voitl: Mitarbeiter vom Guschlbauer
Der Jacobi: Direktor vom Thermalbad
Der Sommersacher: verstorbener Bademeister
Dienstag, 25.Mai
»Kruzitürken!«, schimpft der Pokorny und stellt keuchend die randvolle Kühltasche auf die Stufen neben den alten Kabanen, die auf die oberste Ebene des Bad Vöslauer Thermalbades führen. »Ehrlich, ist das notwendig? Reicht schon, dass du mich ins Bad schleppst, wo wir uns durch gefühlt tausend tobende Kinder ohne Erziehung wurschteln müssen. Und dann machen wir noch eine Wanderung aufs Juchhe hinauf! Das war nicht ausgemacht.« Um die unglaubliche Dramatik der Situation zu unterstreichen, lässt er mit einem Seufzer die Schultern fallen, ganz so, als hätte seine letzte Stunde geschlagen.
Die Toni rollt mit den Augen. »Du wirst es hoffentlich knapp überleben. Wenn du weiter so ein Theater machst, verdirbst du mir den Spaß. Da wäre ich lieber gleich zu Hause geblieben.«
»Zu Hause« ist für den Pokorny, der sich in der Doppelhaushälfte des Ehepaars sowieso am wohlsten fühlt, das richtige Stichwort. »Ja, ja, hätten wir auch können. Blöde Idee, uns bei der Hitze ins Bad zu quälen. Nur weil du von der Bürgermeisterin zwei Saisonkarten fürs Thermalbad geschenkt bekommen hast, muss ich jetzt dafür büßen. Wieso die das getan hat, verstehe ich sowieso nicht. Die ist doch sonst so knausrig! Und dass wir deshalb jetzt unseren Urlaub hier verbringen, ist schon mühsam.«
»Ich will die Karten halt ausnützen. Wenn es uns nicht gefällt, können wir es immer noch bleiben lassen. Aber oben beim Waldbecken ist es wunderschön, extrem ruhig, viel weniger Badegäste und mehr Platz. Da kannst du dich in eine Hängematte legen und den Ausblick genießen. Unten liegst du Handtuch neben Handtuch. Außerdem gibt es oben die ›Milchbar‹, dort bekommst du einen wunderbaren Kaffee und einen phantastischen Apfelstrudel.«
Die Toni weiß, wie sie ihr »Bärli«, wie sie ihn liebevoll nennt, motivieren kann. Wobei sie sich mit dem Qualitätshinweis auf den Kaffee weit hinauslehnt. Weil der Pokorny halt für sein Leben gern Kaffee trinkt, ist er da ziemlich anspruchsvoll, laut der Toni sogar anstrengend. Schon an der Crema, die fest und goldbraun sein muss, kann er erkennen, ob der Espresso gut ist oder nicht. Er liebt Bad Vöslau über alles, aber gerade bei dem koffeinhaltigen Getränk wird er hier öfter enttäuscht als positiv überrascht.
Zwar grummelt er nach der Ankündigung noch, greift aber trotzdem nach der Kühltasche, ächzt noch einmal und nimmt die nächsten Stufen in Angriff.
Zwei Minuten später hat die Qual für ihn ein Ende. Oben angekommen, lässt sich der Bergsteiger in die erstbeste Hängematte fallen, die für die Badegäste zwischen den Schwarzföhren montiert wurde. Vom Lärm der unteren Etagen ist nichts zu hören.
»Siehst du, ich hab dir nicht zu viel versprochen, oder?«, fragt die Toni mit einem entzückten Lächeln.
Anerkennend nickt er. Gehört hat er von dem weithin bekannten Juwel schon viel, aber die Wirklichkeit schlägt alles. Das Bad Vöslauer Thermalbad ist nämlich in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Die seit 1873 bestehende Badeanlage wurde während des Ersten Weltkriegs stark in Mitleidenschaft gezogen, 1925 abgerissen und von den Architekten Peter Paul Brang und Wilhelm Lukesch nur ein Jahr später in der heutigen Form wiedereröffnet. Sie besteht aus mehreren Becken, die in dem fünfundvierzigtausend Quadratmeter großen Gelände auf unterschiedlichen Ebenen angelegt sind. Und die Toni hat recht: Je höher die Ebene, desto ruhiger wird es.
Gleich hinter dem Eingang befindet sich das tausend Quadratmeter große, mit Chlorwasser gefüllte »Blaue Becken«, das von Kindern und Jugendlichen entsprechend lautstark genutzt wird. Am Ende der Ebene geht es neben den historischen Schwedenduschen über ein paar Stufen hinauf zum »Grünen Becken«. Dieses wird aus der sechshundertsechzig Meter tiefen Ursprungsquelle – einer der ältesten und tiefsten Quellen Europas – mit fünfzehntausend Jahre altem Vöslauer Mineralwasser gespeist. Am Kopfende des Beckens wird die Ebene wie in einer Arena von malerischen Kabanen – kleinen Badehäuschen – begrenzt. Eine Vielzahl von Stufen führt vorbei am Kinderbecken bergauf in den Marienpark, wo das »Waldbecken« auf die Besucher wartet. Dort oben bei einem guten Espresso an der Milchbar sitzend fühlt man sich wie in einer anderen Welt, es ist, als wäre der Rest des Bades gar nicht vorhanden.
»Du hast recht«, antwortet er, immer noch nickend. »Ein Traum, kaum Leute. Schau, da ist sogar der Turm der Pfarrkirche Sankt Jakob zu sehen.«
»Willi, schaffst du es, noch einmal aufzustehen?«
»Ich, wieso? Passt doch super hier.«
»Schau, dort drüben bei den Waldkabanen gibt es auch Hängematten, und die Wiese ist gemütlicher zum Liegen.« Sie deutet auf den Boden, der mit Wurzeln durchzogen und von jeder Menge Pockerln übersät ist.
Stöhnend wuchtet er sich aus der schaukelnden Hängematte und stellt sich dabei dermaßen tollpatschig an, dass er polternd auf der hinteren Seite hinunterfällt.
»Sakrahaxn!«, ruft er und reibt sich die linke Hüftseite. »Aua, das gibt einen ordentlichen blauen Fleck.«
Die Toni verzieht das Gesicht. »Dann stell dich halt nicht so ungeschickt an.«
Nach einigen weiteren Standortwechseln – die allerbeste Ehefrau der Welt ist ziemlich wählerisch – haben sie den perfekten Platz gefunden. Gerade als beide mit einem zufriedenen Grinsen die Augen schließen, beginnen knapp zehn Meter entfernt drei Frauen zu streiten.
»Högerl, passen Sie gefälligst auf, Sie ruinieren ja alles!«, keift eine vielleicht fünfzigjährige Frau, die auf einem Klappbett nur wenige Meter vor einer Waldkabane liegt. »Sie senile alte Greisin! Wenn Sie endlich abkratzen, wird die Kabane eine Ruine sein.«
»Die glaubt auch, sie wäre etwas Besseres«, raunt die Toni. »Trägt im Bad Prada, ist geschminkt wie für einen Ball und nörgelt herum. Na, das kann ja was werden.«
Die Tür der Nachbarkabane wird aufgerissen und eine circa vierzigjährige Frau mit der Statur einer Kugelstoßerin stürmt auf die Wirbelmacherin zu. »Hören Sie auf, die alte Dame fertigzumachen, Kocmanek, und hauen Sie ab, bevor mir das Kotzen kommt. Die Kabane hat immer noch die Högerl gemietet. Sie werden es wohl noch erwarten können!«
»Die werte Frau Zobel hat mir gerade noch gefehlt. Haben Sie nichts anderes zu tun, als sich in das Gespräch zweier Badegäste einzumischen?«, blafft die Kocmanek zurück.
Bevor die Lage eskaliert, schaltet sich die alte Högerl ein: »Bitte lassen Sie mich in Ruhe, mir geht’s heute gar nicht gut.«
»Eben, eben. Genau darum geht’s ja!«, schreit die Kocmanek. »Ihnen geht’s nicht gut. Warum tun Sie sich das mit der Kabane noch an? Ziehen Sie doch in die Residenz am Kurpark, da haben Sie einen Rundumservice. Ich übernehme dafür Ihre Kabane und zahl Ihnen die Miete für die Saison. Na, ist das ein Angebot?«
Die hünenhafte Zobel tritt nahe an die Kocmanek heran. »Sie lassen sie sofort in Ruhe, sonst …«
»Sonst was? Wollen Sie mir drohen?« Sie dreht sich im Kreis. »Und das vor Zeugen, nicht Ihr Ernst.« Mit zusammengekniffenen Augen deutet sie auf die Pokornys. »Noch dazu vor zwei Berühmtheiten. Da brauchen die zwei wenigstens nicht ewig lange zu ermitteln.«
Während die unfreiwilligen Zuhörer peinlich berührt die Wipfel der Schwarzföhren fixieren, verfinstert sich die Miene der Zobel immer mehr. »Hören Sie doch auf! Jeder hier weiß, dass Sie eine frustrierte Schreckschraube sind und die Högerl am liebsten tot sehen würden, damit Sie an ihre Kabane kommen. Aber den Gefallen tut sie Ihnen nicht. Gell, von dem Kotzbrocken lässt du dich nicht fertigmachen.«
Die alte Dame schüttelt erschöpft den Kopf. »Ein bisserl wird sie sich schon noch gedulden müssen. Bis dahin mach ich das Beste draus. Ich muss mich hinlegen. Ich danke dir für deine Hilfe«, sagt sie zu ihrer Nachbarin, schnürt sich den dunkelgrünen Bademantel vor der Hüfte zusammen, dreht sich grußlos um und schließt die Tür.
»Der alte Trampel, echt, warum kratzt die nicht endlich ab«, ätzt die Kocmanek. »Muss ich sie echt eigenhändig im Waldbecken ertränken, oder was? Bald ist der Mai vorbei, und die will einfach nicht verrecken.«
»Lassen Sie die Högerl in Ruhe. Wenn ihr was passiert, werden Sie das bitter bereuen«, faucht die Zobel. Ihre Augen sind nur noch schmale Schlitze.
»Herr Pokorny!«, ruft die Kocmanek. »Sie sind mein Zeuge, falls mir was passiert … die Wikingerfrau hat mir mit dem Tode gedroht.«
»Wir sind gerade erst gekommen und haben nichts von Ihrer Streiterei mitbekommen. Wenn Sie Zeugen brauchen«, er deutet in die Runde, »es gibt genug davon. Komm, Toni, wir gehen auf einen Kaffee.« Die nachfolgende Schimpftirade der Kocmanek wird von einem auffrischenden Frühlingslüftchen verweht. Allerdings verfehlt ein Tannenzapfen den renitenten Zeugen nur haarscharf und trifft den Stamm einer Schwarzföhre.
Ungläubig bleiben die beiden stehen, der Pokorny dreht sich langsam um.
»Lass dich nicht provozieren«, redet ihm die Toni zu. »Genau das will sie doch.«
»Die Alte spinnt doch komplett«, zischt er und geht weiter.
Als das nächste Geschoss in den Stamm neben ihm einschlägt und in tausend Teile zerspringt, fangen die Ohren vom Pokorny zu wackeln an. Ein untrügliches Zeichen für aufkeimenden Ärger.
Rasch hängt sich die Toni bei ihm ein und zieht ihn bis zur idyllisch im Föhrenwald gelegenen Milchbar. Das knapp acht mal drei Meter große, cremeweiß gestrichene Holzhäuschen wird vom Pächterehepaar liebevoll gepflegt und bietet neben einem phantastischen Ausblick jede Menge Köstlichkeiten für hungrige Badegäste.
»Einen doppelten Espresso, einen Cappuccino und zwei Apfelstrudel – einen mit, einen ohne Zucker«, bestellt sie gesundheitsbewusst und reißt ihren Ehemann damit gerade noch rechtzeitig aus dem roten Bereich. Weil viel hätte für echte Probleme mit der Kocmanek nicht mehr gefehlt.
»Unglaublich, ehrlich. Mir reicht’s, nach dem Kaffee bin ich eine Wolke. Sonst kragel ich die noch ab.« Er linst über die Schulter. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, die Zobel sitzt hinter einem Buch versteckt auf der Veranda, die Zündlerin fixiert verärgert die Tür zur Kabane der Högerl. Quasi eine Pattsituation.
»Passt irgendwie«, flüstert die Toni.
»Was meinst du?«
»Na schau, was die Zobel liest.« Sie schmunzelt, als ihr Bärli die Augen zusammenkneift.
»Mordsradau in Bad Vöslau!« Der Pokorny kichert. »Danach schaut’s bei denen wirklich aus. Apropos Radau: Hast du das Geräusch gehört, als es den zweiten Zapfen an der Schwarzföhre zerlegt hat?«
»Ja, jetzt, wo du es sagst. Hat irgendwie blechern geklungen.«
»Außerdem gibt’s hier nur Pockerln und keine Tannenzapfen. Warte mal, das schau ich mir an.« Er steht vorsichtig auf, geht die paar Schritte zurück und sammelt mit grimmiger Miene die Einzelteile ein.
Zurück im bequemen Liegestuhl der Milchbar kann er nicht glauben, was er da in der Hand hält. »Toni, mich trifft der Schlag. Schau, das schaut doch nach …«
»… einer Minikamera und einem Mikrofon aus«, vollendet sie ungläubig den Satz. »Ist die Zwatzl retour aus dem Exil?«
Das mit der Zwatzl war im letzten Frühjahr so eine Sache. Ursprünglich in der DDR geboren, hat sie von ihrem Vater, der bei der Stasi war, umfangreiches Abhörequipment geerbt. Wildtierkameras, Gartenzwerge mit Fernrohr, Kameras und Mikrofone in Steinimitaten, alles war im Umkreis der Bogengasse bei der Waldandacht versteckt, sodass die Zwatzl stets gut über ihre Nachbarn informiert war. Nachdem die Aktivitäten der Spionin öffentlich wurden, trat sie einen längeren Besuch bei Verwandten in Ostdeutschland an. Seitdem stand ihr Haus leer.
»Ich werde heute Abend den Sprengi fragen. Falls er nichts von einer Rückkehr weiß, wird ihn und seine Kollegen die Info sicher interessieren. Je früher die Polizei die Zwatzl besucht, desto geringer die Gefahr, dass sie wieder die Gegend verwanzt.«
»Wenn sie das nicht schon …« Sie wird durch die Zobel unterbrochen, die mit einem Aperol Spritz zum Tisch kommt.
»Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«
»Gerne«, antwortet die Toni und sieht, wie der Pokorny die Augenbrauen nach oben zieht. »Wir sind aber gleich unterwegs.«
»Danke. Ich wollte mich für die Schwierigkeiten von vorhin entschuldigen. Die Kocmanek kann dermaßen gemein sein, meine Nachbarin leidet extrem unter ihr.«
»Sie können nichts dafür, schließlich hat ja die Unfriedenstifterin meinen Mann mit hineingezogen. Aber er hat eine dicke Haut, gell, Bärli?«
Das mit dem Bärli ist für den Pokorny voll in Ordnung, allerdings eher in trauter Zweisamkeit, maximal vor seinen Freunden, dem Gruppeninspektor Sprengnagl und dem Berti. Nicht aber vor einer Fremden.
Dementsprechend mürrisch meint er: »Ja, viel hätte nicht gefehlt, schießt die mir zwei so Dinger nach. Wobei ich nicht weiß, ob der Zapfen nicht eine …« Er verstummt. Schlafende Hunde soll man nicht wecken, und wer weiß, ob die Spitzelaktion hier bekannt ist.
»… Abhörwanze ist«, ergänzt die Zobel. »Das meinen Sie doch, oder?«
»Ja, woher …?«
Sie legt den Kopf schief. »Weil die hier überall herumliegen. Neben meiner Kabane wohnt der Tscholitsch, und die letzte Kabane gehört einem Deutschen. Die meiste Zeit steht sie leer, und es wurde schon mehrmals eingebrochen. Angeblich hat er eine Landsfrau engagiert, um die Kabane zu observieren.« Sie verzieht das Gesicht. »Ich drehe täglich nach Badeschluss meine Runden und finde immer wieder neue Zapfen. Mittlerweile bin ich ein Profi beim Aufstöbern und Zerstören.«
»Sie wissen nicht zufällig, ob die mögliche Spionin Zwatzl heißt?«, fragt der Pokorny.
»Nein. Gäbe es die Attrappen nicht, würde ich den Gerüchten um eine deutsche Observierung keinen Glauben schenken. Derzeit ist die Kabane allerdings besetzt, dort schlafen zwei alte Herren, Bewohner des Pflegeheims. Der Deutsche hat eine Tombola veranstaltet und lässt die beiden Gewinner den Sommer über darin wohnen.«
»Vielleicht haben Sie die Zwatzl schon mal gesehen. Trägt meist Gewand in Tarnfarben, einen Prinz-Eisenherz-Haarschnitt wie die frühe Angela Merkel …«, erzählt der Pokorny.
»Hm, jetzt, wo Sie es sagen. Ja, so eine schleicht da öfters herum. Ich hab mich noch über die Militärstiefel und die seltsame Hose gewundert; allerdings hatte sie die Haare ganz kurz rasiert. Hat ständig nur auf ihr Handy gestarrt. Zuerst dachte ich, dass sie eine Geocacherin ist, aber im Bad gibt es ja gar keinen Cache.«
»Doch, einer soll angeblich zu einem Krimi gehören, der im Thermalbad spielt. Gruselig«, meint die Toni.
Der Pokorny kann der Sucherei nach einer Plastikdose nichts abgewinnen. Anfang des Jahres hat ihn die Toni mitgenommen, zum Doserlsuchen, wie er es nennt. Von Bad Vöslau bis Sooß und weiter bis nach Baden. Ohne sein E-Bike wäre er aufgeschmissen gewesen.
Leider war im Kurpark wegen des Fahrverbots dann Schluss mit der elektrischen Unterstützung. Der Cache »At the Park« hat sogar die Toni gehörig ins Schwitzen gebracht, allerdings war es bei ihr weniger der Aufstieg als das Suchen selbst.
Er wiegt den Kopf hin und her. »Ich glaube eher, dass die Zwatzl ihre Wanzen und Mikrofone kontrolliert hat. Wenn Sie ständig welche einsammeln, wird sie wahrscheinlich immer wieder nachbestücken.«
»Was ist denn mit der Kocmanek?«, fragt die Toni.
Die Zobel saugt nachdenklich an ihrem Strohhalm und stellt dann das Glas auf dem Blechtisch ab. »Die feine Dame kommt aus einer wohlhabenden Familie in Baden.«
»Warum nimmt sie dann nicht dort im Strandbad eine Kabane, statt extra hierherzufahren?«
Der Pokorny meint, die Antwort zu kennen. »Wahrscheinlich will sie dort niemand haben.«
»Ja, irgendetwas ist dort vorgefallen, und so hat sie sich vor fünf Jahren bei uns für eine Waldkabane angemeldet. Inzwischen steht sie ganz vorne auf der Liste. Sie hält sich für was Besseres, kommt aufgemaschelt ins Bad, Gucci-Badetasche mit Weißgoldanhänger dran, stellt ihren Mercedes auf einem Behindertenparkplatz ab. Und legt sich mit jedem an. Sie hat der Högerl schon mehrmals Schlaftabletten vorbeigebracht, einmal sogar Morphium. Ich hab das der Mitarbeiterin von der Volkshilfe gemeldet, die bei der alten Dame die Medikamenteneinnahme kontrolliert. Einmal hat die Kocmanek der Högerl sogar einen vollen Blister in einen Gin Tonic gerührt. Zum Glück konnte ich verhindern, dass sie das trinkt! Es ist jetzt schon ein Alptraum mit ihr. Ständig heißt es: ›Högerl, Sie dürfen das nicht, Högerl, passen Sie auf, sonst machen Sie was kaputt, bla, bla, bla.‹ Wie wird das später erst …« Sie wird durch einen lauten Hilfeschrei unterbrochen.
»Bei der Högerl brennt es!«, brüllt der Tscholitsch. Er hat einen Feuerlöscher in der Hand und sprüht beim offenen Fenster hinein.
»Anna, bist du noch drinnen?«, schreit die Zobel, die die wenigen Meter von der Milchbar zur Kabane gelaufen ist und hektisch die Tür aufstößt. Auf der elektrischen Herdplatte steht ein Topf mit brennendem Öl. Erste Schwaden wabern durch die siebzehn Quadratmeter große Kabane. Sie greift nach einer neben dem Bett liegenden Decke und erstickt den Rauch in Sekunden.
Die Pokornys sind ihr nachgelaufen und helfen, die verwirrte alte Dame aus der Kabane zu führen.
»Das war sicher die Kocmanek«, meint die Zobel entrüstet und schaut sich suchend nach ihrer Kontrahentin um. Vergeblich, der Platz, wo kurz zuvor noch das Campingbett stand, ist verwaist. »Na bitte, die hat meine Abwesenheit genutzt und die Anna im Schlaf überrascht. Sie wollte sie durch eine Rauchgasvergiftung umbringen.«
Der Tscholitsch, der in seinem angetrunkenen Zustand mit dem Feuerlöscher in der Kabane ein ziemliches Chaos angerichtet hat, mischt sich ein: »Wäre zwar nicht das erste Mal, dass die Kocmanek bei ihr herumschnüffelt, aber sie umbringen zu wollen, das ist schon eine Nummer größer.«
»Geh, Tscholi, schlaf deinen Rausch aus. Schau, was du für eine Wirtschaft gemacht hast! Los, raus jetzt.« Sie scheucht ihn mit beiden Händen in seine Kabane zurück und schließt die Tür von außen. »Ein netter Kerl, hilfsbereit, aber ständig abgefüllt.«
»Brauchen Sie Hilfe?«, fragt die Toni.
Die Zobel schüttelt den Kopf und gibt der Högerl, die sich hustend auf einen Rattan-Schaukelstuhl auf ihrer Veranda setzt, ein Glas Wasser zu trinken. »Wir schaffen das schon. Ist ja zum Glück nichts passiert, und der Kotzbrocken ist eh nicht mehr da.«
»Gut, dann sind wir unterwegs. Soll ich dem Gruppeninspektor Sprengnagl beim Eingang Bescheid geben?«, will der Pokorny wissen. »Er könnte raufkommen und eine Anzeige aufnehmen.«
Der Sprengnagl ist sein bester Freund und als Kriminalbeamter im Bereich Leib und Leben eigentlich für andere Sachen als Eintrittskontrollen am Thermalbad zuständig. Wäre da nicht seine frühere Vorgesetzte beim LKA, die Chefinspektorin Ottilia Wehli, die ihn für eine missglückte Soko verantwortlich macht und ihn seit seiner strafweisen Versetzung nach Bad Vöslau vom Inspektionskommandaten auch für Tätigkeiten außerhalb seines Aufgabenbereichs anfordert.
»Ja. Eine Anzeige fängt sich die Schreckschraube dafür jedenfalls ein.«
Die Pokornys verabschieden sich, verlassen das Bad durch den seitlichen Ausgang beim Thermalbadstüberl, gehen ein paar Steinstufen hinauf und durchqueren den Park. Gleich auf der anderen Straßenseite befindet sich die Stadtbücherei, in der die Toni halbtags arbeitet. Ihre Beagle-Dame Maxime haben die beiden bei ihrer Chefin, der Tatjana, gelassen. Hat sich gut ergeben, dass heute deren Kinder zu Besuch sind.
Da der Sprengnagl am Badeingang nicht zu sehen war, sendet ihm die Toni eine WhatsApp.
–Gab Streit bei den Waldkabanen. Die Zobel meinte, die Kocmanek hätte die Högerl umbringen wollen. Schaut doch kurz vorbei.
–Nicht schon wieder, bin im Bierhof, danach check ich das
–
Als die Pokornys mit der Maxime gegen vierzehn Uhr dreißig zu ihrem Stammlokal, dem Café Annamühle, kommen, sehen sie schon von Weitem die Katzinger wie ein Rumpelstilzchen auf der knapp zwanzig Quadratmeter großen Terrasse herumspringen. Also eigentlich sehen sie nur das Ende des von der alten Frau oft und gern eingesetzten Stocks. Weil mit ihren ein Meter sechzig Körpergröße wird sie von zwei älteren Männern mit Rollatoren nahezu komplett verdeckt.
Dafür ist ihre Zeterei umso deutlicher zu hören: »Ha, so eine Frechheit! Wieso ihr zwei beim Muttertagstorbola mitmacht, gewinnt und euch fett und faul in die Kabane vom Piefke hauts, versteht niemand. Hä! Was ist an euch mütterlich? Betrug ist das, und zwar im großen Style. Eine Frechheit, echt eine Frechheit.«
»Liesl, was führst dich denn so auf. Die Frau Direktor hat gesagt, wir sind alle gleich. Mütter haben wir alle keine mehr, also ist’s wurscht, wie die Tombola heißt«, nuschelt der Größere, der Heini, der aussieht wie der Statler aus der Muppet Show.
Sein Partner, der Ludwig, kratzt sich am nahezu kahlen Schädel, der von einem struppigen weißen Haarkranz umrandet wird. Sein freundliches Gesicht ziert ein dichter weißer Schnurrbart, der sich jetzt wie bei einem Walross rauf- und runterbewegt. Er gleicht dem Waldorf von den Muppets fast bis aufs Haar. »Weißt, dass du so eine Keppeltante bist, hätte ich mir nicht gedacht. Kannst ja einmal auf Besuch kommen, ich kenn da ein Schlupfloch im Zaun …«
»Bla, bla, bla, ich sag ja, Betrug. Jetzt wollt ihr mich sogar schwarz ins Bad reinschmuggeln! Ja wo kommen wir denn dahin? Da hänge ich meine Fußerln lieber in den Aubach hinter meinem Wohnwagen. Eh wurscht. Das ist wenigstens gesund, und ich muss nicht so weit latschen, pah.«
Gerade noch rechtzeitig entschärft die Maxime die Situation. Weil die Beagelin die Katzinger schon wegen der Essensreste liebt, die hie und da rein zufällig vom Stehtisch runterfallen. In null Komma nichts inhaliert der tierische Staubsauger ein Mürbteigkeks.
»Na, da ist es Hunderl endlich, kommst genau richtig. Da hast«, brummt die Katzinger, wirft ein weiteres Keks auf die mit Waschbetonplatten belegte Terrasse und weiß, die Toni wird ihr bei dem Wirbel heute wohl keine Vorwürfe machen. »Gell, das schmeckt dir.« Freilich kringelt sich noch der für die Beagelin reservierte Speck auf dem Teller. Aber das Unglück herausfordern möchte sie, mit einem Blick auf das Frauchen, dann lieber doch nicht. »So, die beiden Herren wollten eh grad gehen. Alsdann, los«, brummt die alte Frau, holt aus und drischt jedem der Muppets zur Verdeutlichung ihrer Anweisung den Stock in einer Art Doppelschlag auf die künstlichen Kniegelenke. Und da kann man dann sehen, was gute Handwerkskunst in der Orthopädie ausmacht: Weil bei einer Husch-Pfusch-OP wären den beiden die Prothesen sicherlich rausgesprungen.
Da im fortgeschrittenen Alter ein Vogeldeuten beim einhändigen Versuch, mit dem Rollator die Stufen hinunterzuklettern, brandgefährlich ist, geraten die beiden Alten bedrohlich ins Wanken und können von den Pokornys gerade noch gestützt werden.
»Ah, lauter alte Bekannte, die Stimmung scheint ja prächtig zu sein«, meint der Pokorny. Er nickt den beiden Herren, die er von einer gemeinsamen Beobachtung im letzten Frühjahr gut kennt, zu und schaut die Katzinger an. »Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«
»Haha, du schon wieder mit deinem Psychospaß, du hast mir grad noch gefehlt«, nörgelt sie. »Als hätte ich mit den zwei Gruftis nicht schon genug am Hals.«
»Frau Katzinger, bitte. Wir haben keine Lust mehr auf Streitereien, da hätten wir gleich im Bad bleiben können«, meint die Toni in dem Bemühen, die Wogen zu glätten. Sie deutet der Karin, einer Mitarbeiterin ihres Stammcafés, einen Cappuccino für sie und einen Espresso für den Pokorny zu bringen. Nach der Apfelstrudelorgie – ihr Bärli hat während des kurzen Gesprächs mit der Zobel auch ihren Strudel verputzt – gibt es keine Süßspeisen zum Kaffee.
»Äh, was war los im Bad?« Die Katzinger springt prompt an, ihr Ärger scheint wie weggeblasen. Hinter der riesigen Fliege-Puck-Sonnenbrille huschen ihre Augen zwischen den Pokornys hin und her. »Na los, redet schon.«
»Hat es leicht mit der Kocmanek Probleme gegeben?«, fragt der Heini dazwischen. Vorsichtig rollt er zu den Stufen zurück. Es gilt aufzupassen, man weiß ja nie, ob die Katzinger nicht wieder ihren Stock einsetzt. Aber sie presst lediglich die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und verzichtet auf verbale oder stocktechnische Zurechtweisungen.
»Ja, da hat es ordentlich gekracht«, antwortet die Toni. Sie erzählt den Anwesenden von dem Streit.
»Was die Kocmanek mit der Högerl aufführt, das können Sie sich gar nicht vorstellen«, stellt der Ludwig fest, zieht die dichten weißen Augenbrauen nach oben und streift sich gedankenverloren über den Schnurrbart. »Ständig kontrolliert sie die arme Frau, als hätte die nicht schon genug Probleme. Wo sie doch komplett verkrebst ist.«
Der Heini, zwei Köpfe größer als der Ludwig, nickt. »Sie müssen wissen, unheilbarer Gehirntumor … furchtbar! Die schluckt Schmerztabletten ohne Ende, trotzdem hören wir sie noch drei Kabanen weiter in der Nacht wimmern. Ma, was mir die leidtut. Sie wissen ja, die Traude im Pflegeheim ist wegen Krebs im Endstadium aus dem vierten Stock gesprungen … traurig, traurig. Da hat’s, also wie soll ich sagen, wenigstens geklappt. Aber … das geht halt bei der Högerl nicht. Weil von der Veranda ihrer ebenerdigen Kabane geht’s nicht weit runter.«
»Na, dann macht sie’s halt anders«, unterbricht die Katzinger ihn mit einem Stockhieb auf den Rollatorreifen und schiebt sich vor die beiden Herren. Offensichtlich gefällt es ihr gar nicht, dass die Konversation an ihr vorbeiläuft. »Wasser gibt’s im Bad eh genug. Nimmt sie halt eine Überdosis von ihren Tabletten, wartet, bis sie benebelt ist, und haut sich ins Waldbecken zu den Seerosen. Gibt sicher schlimmere Tode, oder?«
Der Pokorny starrt sie nicht nur wegen ihrer rüden Ausdrucksweise ungläubig an. Sein Blick gleitet an ihr hinunter. Wieder einmal zeigt die Katzinger, was sie bekleidungstechnisch so draufhat. Waren es letzten Frühling grell orangefarbige Espadrilles, so trägt sie diesen Sommer die allgegenwärtigen Crocs. Natürlich wieder kein unauffälliges Modell mit einer augenfreundlichen Farbe, nein, es müssen die geländetauglichen All-Terrain-Crocs in der rosa Ausführung sein. Sie sind mit aufgesteckten hellblauen Seepferdchen verziert, ein optischer Hingucker. Getoppt werden die Schlapfen von einem bunt karierten Hauskleid, wie es der Pokorny von seiner Oma kennt.
»Was schaust du denn so?«, fragt sie mit gerunzelter Stirn, folgt seinem Blick und zeigt stolz ihr Schuhwerk. »Ah, gefallen dir leicht meine Krokodilschuhe? Nur damit du mich nicht wieder ausbesserst, Herr Oberlehrer. Ich weiß schon, dass die Grongs genannt werden, aber mir gefällt halt die Rieseneidechse besser.« Während die Zahnräder in ihrem Kopf knarzend nach der passenden Todesart für die Högerl suchen, wippt sie auf ihrer Plastikbesohlung euphorisch vor und zurück.
»Ja, die sind wieder einmal eine echte Augenweide.« Der Pokorny schmunzelt, was ihm prompt einen misstrauischen Blick einbringt.
»Also, was ich noch sagen wollte«, fährt der Heini fort, »die Zobel hat die Kocmanek unlängst mit Morphiumtabletten erwischt. Im Apothekerschrank der Högerl soll sie auch herumgekramt haben.«
Der Ludwig neigt den Kopf hin und her. »Dabei hatte die alte Frau doch seit der Betreuung durch die Volkshilfe kaum noch Tabletten bei sich.«
»Versteh ich nicht. Wenn die Högerl solche Schmerzen hat, muss sie doch jederzeit welche zur Verfügung haben«, sagt die Toni.
»Da haben Sie natürlich recht. Allerdings befürchtet die Zobel, dass sich die Högerl was antut. Das hat sie der Nichte erzählt, die hat wiederum die Volkshilfe mit der Medikamentengabe beauftragt. Das heißt, die Högerl bekommt nur die verschriebene Menge.« Der Ludwig verzieht das Gesicht. »Also, mir wäre das zu blöd, ehrlich. Wenn ich abkratzen will, dann entscheide ich das und lass mir die Medikamente nicht wegnehmen, oder?«, fragt er in die Runde und erntet ein kollektives Nicken.
»Deshalb war es ja so komisch … also dass die Unsympathlerin mit den Tabletten bei der Högerl war. Weil woher soll sie die denn haben? Zum Glück ist die Zobel dazwischengegangen, nicht auszudenken …« Der Heini hebt die buschigen grauen Augenbrauen bis auf Anschlag.
Der Ludwig nickt mehrmals. »Zwei- bis dreimal die Woche taucht die Polizei wegen der gegenseitigen Anzeigerei bei den Waldkabanen auf. Auch nicht lustig, wenn du ständig beobachtet wirst.«
»So, jetzt müssen wir uns langsam wieder auf den Weg ins Bad machen … äh …« Der Heini ärgert sich, dass er der Katzinger eine Steilvorlage gegeben hat. Gerade war ihr Ärger wegen des vermeintlich gestohlenen Tombolagewinns verraucht, da reißt er ihn wie mit einem Vertikutierer wieder auf.
»Grrr, willst mich wohl sekkieren! Na warte, ich werd mich bei der Bürgermeisterin beschweren. Am Freitag feiere ich meinen Siebziger, da kommt sie vorbei. Und dann erzähl ich ihr von euren Machenschaften, nämlich fix.«
»Dann viel Glück Ihnen beiden«, meint der Ludwig, nickt der Katzinger schief zu und flüstert zur Toni: »Die Katzinger hat echt einen Klescher. Was können wir dafür, dass sie bei der Tombola nichts gerissen hat?«
»Mit den Jahren wird sie immer wunderlicher«, raunt der Heini den Pokornys zu. »Wenn die uns wieder einmal für eine Demo braucht, Sie müssen schon entschuldigen, aber das kann sie vergessen und alleine demonstrieren. Auf Wiedersehen.«
Nachdem die beiden Pflegeheimbewohner davongerollt sind, fragt die Toni: »Warum sind Sie denn so böse zu den beiden?« Während sie gespannt auf die Antwort wartet, löffelt sie den Milchschaum von ihrem Cappuccino.
»Na, weil die bei der Muttertagstorbola groß abgeräumt haben und jetzt gratis in der Kabine des Piefke … äh …« Sie stockt und schaut den Pokorny schief grinsend an, kennt sie doch seine Abneigung gegen die Verunglimpfung der deutschen Nachbarn. Gut, er tut sich mit deutschen Ausdrücken wie »lecker«, »Sahne« und »Apfelschorle« auch schwer, aber »Piefke« sagt er dann doch nicht. »Der Deutsche tut auf Wohltäter und lasst die beiden Gruftis die Saison gratis wohnen. Und die haben nix Besseres zu tun, als beim Samstag-Bingo im Jakobusheim damit anzugeben. Pah, die sollen doch bei der Vatertagstorbola mitmachen. Aber wahrscheinlich gibt’s da nur Socken und Feinrippunterwäsche zu gewinnen.«
»Und wie geht es Ihnen sonst?« Die Toni ist um Ablenkung bemüht, weil langsam reicht es auch ihr mit dem Gezeter.
»Ma, ich gfrett mich halt so durch. Wie soll’s einer alten Frau schon gehen? Allein wie ein Schwein. Aber reden wir von was anderem. Ihr seids zu meinem Geburtstag freilich eingeladen, gell! Also nehmts euch für Freitag nix vor. Damit auch alle reinpassen, hab ich im Kursalon reserviert, im Obergeschoss. Den Preis muss ich noch runterdrücken … Was die Miete verlangen! Ich möchte die Hütte doch nicht kaufen, hä.«
Der Pokorny kneift die Augenbrauen zusammen. »Oben im Kursalon passen locker zweihundert Leute rein. Ist das nicht ein bisserl hoch gegriffen?«
»Bist leicht neidig, weil so viele kommen werden?«, fragt sie grinsend. »Schau ma mal, wie viel es bei eurer Ehr… aua«, stöhnt sie, weil ihr die Toni einen sanften Fußtritt verpasst hat. Die Katzinger weiß genau, sie hat sich verplappert. Der Pokorny soll eigentlich von der bevorstehenden Ehrung für die beiden Ermittler noch nichts erfahren. Nach der Aufklärung der beiden Mordserien im letzten Jahr hat die Bürgermeisterin auf eine Ehrung gedrängt. Volles Programm mit Ansprache, Verleihung des Stadtehrenrings, Handabdrücke vor dem Thermalbad und Gratis-Saisonkarte fürs Bad. Da der Pokorny aber nicht so der Typ für öffentliche Auftritte ist, muss ihm die Toni das ganze Ausmaß schonend beibringen. Offenbar weiß schon halb Bad Vöslau darüber Bescheid, nur fünfzig Prozent der Ehrenbürger in spe nicht.
»Bei unserer … Was meinen Sie damit?«, fragt der Übergangene mit einem argwöhnischen Seitenblick zur Toni. »Und Zuckerschnecke, wieso steigst du der Katzinger auf ihre Seepferdchen drauf?«
Die alte Frau fühlt sich sichtlich unwohl. »Also, ich muss jetzt, ich hab einen Termin, ganz vergessen.« Sie zahlt rasch ihre Melange und das Speckstangerl, wischt für die Maxime noch rasch die Krümel vom Tisch und humpelt davon, so schnell es die alten Beine hergeben.
»Was war das jetzt?« Er ahnt nichts Gutes.
»Ich erklär es dir später im Whirlpool, und danach gibt es Schokoladepalatschinken … alles ist gut.« Sie haucht ihm ein Busserl auf die Wange.
Der Pokorny weiß allerdings, wenn die Toni schon im Vorfeld so viel investiert, ist für ihn nicht alles gut.
In der wenig abwechslungsreichen Wochenplanung vom Pokorny sticht der Herrenabend mit seinen beiden Freunden, dem Gruppeninspektor Sprengnagl und dem Berti, hervor. Jeden Dienstagabend findet beim Berti, im zum Wohnzimmer umfunktionierten ehemaligen Kuhstall des revitalisierten Bauernhofs, der gemeinsame Pokerabend statt. Die drei kennen sich seit der gemeinsamen Zeit am Realgymnasium in Wien-Favoriten, und die Freundschaft hält bis heute.
An diesem Abend allerdings ist die Stimmung des Hausherrn getrübt, und so mag keine rechte Spiellaune aufkommen.
»Verdammte Marder, meine besten Legehennen haben sie sich geschnappt! Ihr hättet das sehen müssen, ein richtiges Hendelmassaker war das. Scheißviecher«, schimpft er aufgebracht.
Der Sprengnagl nickt. »Ja, die sind eine echte Plage. Mir haben sie schon wieder die Kabel im Auto angebissen. Jetzt probier ich’s mit einem Ultraschallsensor, mal schauen, ob das hilft.«
»Sag mir, wenn’s was bringt, vielleicht mach ich das dann auch. ›Sachshühner‹ sind sehr selten, eine aussterbende Rasse, hundertachtzig Eier pro Jahr. Zwar gibt es Hennen, die mehr legen, aber die Eier schmecken dafür nicht so gut wie meine.«
Der Pokorny wirft ein: »Schlechter als mit Wasserflaschenaufstellen wird’s mit der Technik wohl nicht werden. Mein alter Escort schmeckt den Viechern anscheinend nicht.« Er klopft auf den Holztisch. »Zumindest haben sie ihn bisher verschont.« Er hat von seinem Vater einen dreißig Jahre alten Ford geschenkt bekommen, sein Ein und Alles. Da fährt halt noch der Fahrer mit dem Auto und nicht umgekehrt. Seiner Meinung nach wird nämlich die heutige Elektronik mit ihrem ganzen Schnickschnack weit überschätzt. Ein Auto wie der Toni ihren metallic orangen Mini Cooper würde er niemals gegen seinen Ford tauschen. »Aber was anderes. Was läuft denn da im Bad zwischen den Mietern der Waldkabanen? Die Zobel meinte, die Kocmanek hätte die Högerl heute mittels Rauchgasvergiftung umbringen wollen.«
Der Sprengnagl verzieht das Gesicht. »Um die Waldkabanen herrscht ein regelrechter Gries, das ist die Ursache des Problems.«
»Ich hab von mindestens fünf Jahren Wartezeit gelesen, bis du eine Kabane mieten kannst«, sagt der Pokorny. »Bei einer Waldkabane kann es sogar noch länger dauern.«
Im Bad Vöslauer Thermalbad gibt es derzeit hundert Kabanen, die für die Saison April bis September vermietet werden. In einem Halbbogen um den hinteren Teil des grünen Beckens sind die in den sechziger Jahren erbauten alten Kabanen angesiedelt. Nasszellen und WC müssen sich dort mehrere Mieter miteinander teilen. Auf der Ebene beim Föhrenwald wurden dagegen neue Kabanen, sogenannte Waldkabanen, gebaut. Da diese einen maximalen Komfort bieten und Bad und WC beinhalten, sind sie noch begehrter als die anderen Kabanen. Allen ist gemeinsam, dass sie außerhalb der Badesaison gesperrt sind. Lediglich die Appartements sind ganzjährig bewohnbar.
»Ja, und da kommen unsere Streithanseln ins Spiel«, fährt der Sprengnagl fort. »Wie ihr gesehen habt, hat die Högerl eine am Rand gelegene Waldkabane mit Seitenfenster, also eine der besten überhaupt. Bei langjährigen Mietern gibt es eine Art Weitergaberecht, auch wenn es nicht gerne gemacht wird. Seit die Nichte von der Högerl auf das Vormietrecht verzichtet hat, ist die Kocmanek wie eine Besessene hinter der Högerl her. Sie ist die Erste auf der Warteliste und bekommt nach dem Tod der alten Dame die begehrte Kabane.«
Der Berti sagt: »Ach, deshalb macht die so Stress. Klar, die Tage vergehen, und die Högerl bremst durch ihren Überlebenskampf die Vorfreude der Nachmieterin gewaltig.«
»Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie oft wir dort schon amtsgehandelt haben. Überhaupt, seit mich die Wehli fallweise zum Pförtnerdienst verdonnert.« Der Sprengnagl ärgert sich immer noch, dass ihn die Chefinspektorin beim Heurigen Sunk beim Ausplaudern von Ermittlungsergebnissen erwischt hat. Als Denkzettel hat sie ihm für dieses Jahr eine Urlaubssperre von Mai bis September und gelegentliche Zutrittskontrollen beim Badeingang angeordnet. »Die Kocmanek ist eine richtige Bissgurn, die macht ständig Radau. Auch andere Mieter haben sich schon beim Direktor beschwert. Sogar eine gemeinsame Petition wurde überreicht. Allein, es gibt laut Geschäftsordnung keinen Grund, die Kocmanek von der Warteliste zu streichen.«
»Dass die bei all der Ablehnung dort überhaupt ihren Sommer verbringen will. Ehrlich, das kann doch keinen Spaß machen. Und gleich neben ihr die Zobel, die ihr ewig den Tod der Högerl nachtragen wird.« Der Pokorny tippt sich an die Stirn.
Der Berti serviert schon zum zweiten Mal ein Grande, das Lächeln auf seinen Lippen verheißt nichts Gutes. Immer wieder mal testet er neue Rezepte für seinen Bioladen, und wenn seine Freunde verlieren, müssen sie zum Kosten herhalten.
Verzagt schaut ihn der Sprengnagl an. »Was gibt’s Neues im Programm? Nur weil du gar so abartig grinst.«
»Ich habe beim Huber-Bauern ein Feld gepachtet und bau jetzt Graumohn an. Die Samen sind völlig drogenfrei, und der Kuchen, den ich draus gemacht habe, ist ein Traum. Keine Sorge, alles legal!«
»Völlig drogenfrei, alles legal! Wenn ich das schon höre. Berti, ich bitte dich, nach dem Cannabisanbau und den Magic Mushrooms machst du jetzt auf Mohn?«
Der Gruppeninspektor hat schon recht, immer wieder bringt ihn sein Freund in peinliche Situationen. Mal mit Spitzkegeligen Kahlköpfen, sogenannten Magic Mushrooms, die er in Teeform beim Großauer Blunzenkirtag verkauft und damit eine Massenschlägerei ausgelöst hat. Völlig im Delirium haben sich zwei Besucher mit Blunzen bekämpft und geglaubt, sie wären Darsteller bei Star Wars. Auch die Feuerwehrleute, die plötzlich zu Teefreunden mutierten, kamen ganz schön ins Schleudern. Ein anderes Mal standen die Polizeikollegen wegen mehrerer verdächtiger Cannabispflanzen mit pinken, violetten und feuerroten Blüten im Bioladen. Das Auge des Gesetzes, also das Drogendezernat, schaut daher in regelmäßigen Abständen beim Berti vorbei.
»Aus jetzt, ihr zwei«, unterbricht der Pokorny. »Sag, gibt’s Akten zu den Streitereien?«
»Ja, ich bring sie morgen Mittag in den Bierhof mit.«
»So, und jetzt, meine Herren …« Der Gastgeber hebt bedeutungsschwanger die Augenbrauen. »Spielerisch wären wir’s nach meiner servierten Straße für heute, bleibt nur mehr der Kuchen zum Verkosten.« Den Bruchteil einer Sekunde später haben die beiden Verlierer die neueste kulinarische Kreation vor sich stehen.
Rein optisch erinnert den Pokorny das mit Mohn überzogene Dreieck an eine verschimmelte Topfentorte mit Teerpappe drüber. »Sei mir nicht böse, aber Mohn mag ich grundsätzlich nicht, egal, ob ich jetzt verloren hab oder nicht.« Und das ist nicht einmal gelogen, die Toni muss ihrem Bärli sogar die Germknödel mit Semmelbrösel servieren, weil er halt Mohn so gar nicht essen mag.
»Mh, und du, Sprengi? Hast du vielleicht eine Mohnallergie?«, fragt der Gewinner und schneidet eine Grimasse, weil er spürt, dass er mit seiner Kreation heute keinen Erfolg hat.
Und er sollte recht behalten. »Du, deine Kipferln von letztem Weihnachten kannst mir gerne wieder servieren, Qualität Eins-a, halt ohne Drogen. Aber mit der Mohnflunder kann ich dir nicht helfen, brauch ich gar nicht.«
Enttäuscht räumt der Berti die Teller wieder weg. »Sag, Pokorny, weißt du schon, was du zu dem besonderen Anlass anziehen wirst? Mir hat ein Engerl mit Hühneraugen was von einer Ehrung geflüstert.« Er grinst breit, nach der Niederlage mit dem Mohnkuchen ist schon ein wenig Schadenfreude dabei. Weil er seinen Freund halt gut kennt und weiß, dass der so ein Trara so gar nicht mag.
»Geh, so ein Schmarrn. Die Toni hat’s mir grad vorhin gebeichtet. Was soll ich mir für den Besuch der Bürgermeisterin bei uns schon großartig anziehen? Für ein Foto reicht’s.«
»Ja, wenn’s wie das im Stadtanzeiger ist, dann haut es hin.« Der Sprengnagl lacht übers ganze Gesicht. »Gut getroffen übrigens.«
Der Pokorny schaut ihn mit großen Augen an. »Welches Foto?«
»Ehrlich, hast du die aktuelle Ausgabe noch gar nicht gelesen?«, fragt der Berti und holt von der Anrichte die Gemeindezeitung. »Da.«
Er deutet auf die Schlagzeile auf der Vorderseite: »Ehrung für Bad Vöslauer Ehepaar Pokorny. Mehr auf Seite 5.«
Der Pokorny reißt ihm den Stadtanzeiger aus der Hand, blättert auf besagte Seite und kann kaum glauben, was er sieht. Die Katzinger, die Toni und der Pokorny vor dem Café Annamühle. Die alte Frau blinzelt schelmisch und hat sich bei den beiden eingehängt. »Aber … wann … das verstehe ich jetzt nicht. Ich kann mich auf die Aufnahme nicht erinnern. Moooment! Die Katzinger schaut ja direkt in die Kamera. Wahrscheinlich hat sie das sogar arrangiert. Na warte … und die Toni hat nichts gesagt. Ich glaub, ich spinn.« Verärgert wirft er die Zeitung zurück auf die Anrichte.
»Dann solltest dich halt ein wenig mehr für die Gegend interessieren und nicht nur überregionale Zeitungen lesen. Gerade die Regionalmedien sind immer gute Informationsquellen«, meint der Berti und klopft dem Fast-Ehrenbürger auf die Schulter. »Du schaffst das schon, sei stark.«
»Haha.« Der Pokorny schneidet eine Grimasse. »Macht euch nur lustig, das merk ich mir.«
»Jetzt sei halt nicht beleidigt«, sagt der Sprengnagl, schon im Aufstehen.
Mit einer Handbewegung bremst ihn der Pokorny ein. »Setz dich wieder, du wirst es nicht glauben. Die Zwatzl ist offenbar wieder im Lande.«
»Was jetzt?«, fragt der Sprengnagl. »Die ist doch nach der medialen Berichterstattung quasi in ihre alte Heimat geflohen.«
»Ja, und jetzt dürfte sie wieder da sein. Die Kocmanek hat mir vorhin wenig damenhaft zwei Tannenzapfen nachgeschossen.« Er grinst zaghaft.
»Aber im Bad gibt es doch gar keine Tannen …«
»Eben«, wird der Gruppeninspektor vom Pokorny unterbrochen. »Deshalb hab ich mir das Wurfgeschoss genauer angesehen.« Er greift in die Jackentasche und legt ein Frischhaltesackerl auf den Tisch. »Fast hätte ich’s vergessen, schau.«
Der Sprengnagl linst auf die Bruchstücke, die tatsächlich eine Kamera plus Mikrofon sein könnten. »Verwanzt die jetzt statt der Bogengasse das Thermalbad, oder was?«
»Scheint fast so. Laut der Zobel wurde in die Kabane des Deutschen, wo derzeit die zwei alten Herren wohnen, schon öfters eingebrochen. Der lässt sein Mietobjekt jetzt überwachen, und da dürfte ihm eine gut ausgestattete Landsfrau gut in den Kram passen.«
»Ich werde dort morgen vorbeifahren, so geht’s ja nicht. Der Direktor gehört auch verständigt, wer weiß, wo die überall ihre Kameras versteckt hat.«
»Jetzt wart einmal ab. Vielleicht brauchen wir sie ja noch«, meint der Pokorny.
»Wofür?«, fragt der Berti. »Außerdem wird die den Teufel tun, euch zu helfen. Wo ihr schuld dran seid, dass die Kollegen vom Sprengi ihre Stasiausrüstungen konfisziert haben.«
»Schon, da geb ich dir recht. Aber wenn die Streitereien im Bad so weitergehen, wird’s irgendwann einmal richtig Probleme geben und dann …«
Der Sprengnagl führt den Satz fort: »… könnte uns die Zwatzl mit ihren Aufnahmen eventuell hilfreich sein. Solange keine Beschwerden auftreten, können wir’s ja mal dabei belassen. Blöd nur, dass du den Elektroschrott kontaminiert hast. Fingerabdrücke werden wir keine mehr finden. Egal, gib her.«
»Ich werde morgen Vormittag bei der Aussichtsstelle über der Bogengasse vorbeifahren und nachschauen, ob sie wieder da ist«, meint er und schiebt das Sackerl seinem Freund hinüber.
»Gute Idee. Meine Herren, es war mir ein Volksfest, aber ich muss. Servus.«
»Ich mach mich auch auf die Socken, die Toni und ich haben noch ein bisschen was zu beplaudern.«
Der Berti drückt ihm eine Schachtel mit einem Stück Mohnkuchen in die Hand. »Für die Toni, die weiß Qualität zu schätzen.« Er legt ihm die Hand auf die Schulter. »Sei gnädig mit ihr, sie freut sich auf die Ehrung.«
»Ja, ich weiß eh, baba.«
Mittwoch, 26.Mai
Auf den Schreck mit dem Foto gab es gestern Abend noch ein kurzes Gewitter in der Doppelhaushälfte, das aber dank eines Bades im nigelnagelneuen Whirlpool rasch vorbeigezogen ist. Zwei Schokoladepalatschinken und eine Flasche Veltliner vom Schachl haben den Pokorny dann endgültig entspannt und mit einem gewissen Wurschtigkeitsgefühl ins Traumland geschickt.
Völlig untypisch wird der Pokorny erst gegen sieben Uhr durch den herrlichen Duft von aufgebrühtem Kaffee wach. Wochentags ist er meist schon gegen fünf Uhr dreißig mit der Maxime unterwegs ins Café Annamühle, genießt dort seinen ersten Espresso und nimmt für die Toni frische dunkle Semmerln und für sich Kürbiskernweckerln mit. Heute jedoch ist alles anders, und da fallen ihm die Ehrung und der Artikel im Stadtanzeiger wieder ein. Also nicht, dass er etwas gegen die gestrige Abendgestaltung gehabt hätte. Aber heute zusätzlich noch das Frühstück serviert zu bekommen ist für ihn mehr als verdächtig. Als dann von unten der Song von Peter Cornelius, »Der Kaffee ist fertig, klingt das nicht irgendwie herrlich«, ertönt, ist für den Pokorny klar, dass es ganz dick kommen wird.
»Guten Morgen, Bärli. Ich habe mir gedacht, heute verwöhne ich dich mal und hole für uns das Frühstück. Mit der Maxime war ich schon draußen«, trällert ihm die allerbeste Ehefrau der Welt fröhlich entgegen.
»Guten Morgen«, murmelt er. »Was ist los? Sonst magst du so gar nicht aufstehen, und heute überschlägst du dich richtig.«
»Du musst jetzt stark sein. Die Bürgermeisterin will sich ja bei uns für die Aufklärung der Mordfälle bedanken.«
Er beißt in sein Kürbiskernweckerl mit Honig und brummt: »Ja, eh. Das hast du mir gestern schon erzählt. Soll sie eben auf einen Sprung vorbeikommen. Das halt ich schon aus. So fröhlich wie die Jubilare bei den runden Geburtstagen dreinzuschauen, bekomme ich auch hin. Lang kann’s ja nicht dauern.«
»Hm.«
»Was, hm?«
Die Toni wiegt den Kopf. »Also das Dankeschön soll schon offiziell über die Bühne gehen. Hat sie gesagt.«
»Und das heißt?« Zögerlich legt er das angebissene Weckerl zur Seite, schlagartig ist ihm der Appetit vergangen. Er bereut, den Artikel im Stadtanzeiger nicht fertig gelesen zu haben.
»Na ja, halt Ehrung, Rathaus, Presse, aber alles nur im kleinen Rahmen. Am Freitag bei der Eröffnung der Schlosspark-Lounge«, antwortet sie und umarmt ihn zärtlich von hinten. »Bitte, Willi, wir unternehmen sonst eh nie was, das wird sicher nett werden. Ist doch schön, dass die im Rathaus zu schätzen wissen, was wir geleistet haben.«
»Kleiner Rahmen, haha. Bei der Eröffnung sind immer urviele Leute. Geh, Toni, ehrlich. Muss das sein?« Da schon alles in trockenen Tüchern scheint, verpufft diese völlig unnötige Frage vor einem inhaltsschweren Nicken der Toni.
Plötzlich hellt sich sein Gesicht auf. »Du, da geht’s nicht. Wir haben der Katzinger für ihre Geburtstagsfeier zugesagt. Und da kommen wir nicht mehr raus. Vielleicht lässt sich die Ehrung ja verschieben?«, meint er allen Ernstes.
»Lässt sich nicht! Ich wollte die ohnehin angespannte Stimmung gestern nicht weiter in den Keller treiben und der Katzinger gleich absagen. Warum sie gerade am Freitag die Feier plant, versteh ich ehrlich gesagt nicht. Sie weiß doch, dass an diesem Tag die Ehrung stattfindet. Und bei aller Liebe, uns erst drei Tage vorher zu ihrem Siebziger einzuladen, finde ich unter uns gesagt eigentlich eine Zumutung. Wir sehen uns fast täglich, und so nebenbei erwähnt sie ihre Feier«, echauffiert sich die Ehrenbürgerin in spe. »Tut mir leid, entweder sie verschiebt, oder sie muss alleine feiern.«
»Schon, aber sagen müssen wir – falsch, du – ihr’s schon.«
»Beim nächsten Treffen. So, und jetzt muss ich mich fertig machen, die Tatjana hat angefragt, ob ich sie trotz Urlaub heute Vormittag vertreten kann. Die Kleine hat starke Bauchschmerzen, eventuell der Blinddarm. Also, bis später. Bussi.«
So rasch wird er von seiner Liebsten selten abgefertigt. Dass damit kein Raum für weitere Argumentationsversuche besteht, ist ihm völlig klar. »Für dich mach ich das, aber brauchen tue ich’s wie einen Kropf. Das ist dir schon klar?« Wenn es ihm jetzt auch nichts nutzt, aber ein paar Pluspunkte für Kooperation auf seinem Konto können nie schaden.
Der Ärger bei der Toni ist wie verflogen. Glückselig fällt sie ihm um den Hals, erst nach einem langen Kuss macht sie sich auf in die Stadtbücherei. »Bis zwölf Uhr, dickstes Bussi, was geht.«
Er nutzt die moderate Morgentemperatur von plus zwanzig Grad Celsius, mäht den Rasen und versucht, dem alles überwuchernden Klee Herr zu werden. Bei aller Liebe zu den Bienen, die die zahlreichen Insektenhotels im Garten im Sekundentakt anfliegen, irgendwann ist es genug mit den fleißigen Bestäubern. Weil wenn keiner mehr einen Schritt im Garten machen kann, ohne gestochen zu werden, hört der Spaß auch für den Honigliebhaber auf.
Nach getaner Arbeit, die sehr zur Freude der Nachbarin Hanifl in einem Desaster für den Klee geendet hat, setzt er die Maxime in die Transportbox am hinteren Kotflügel seines froschgrünen E-Bikes und fährt zur Waldandacht. Gleich über dem Weingut Schlossberg ist eine Stelle hinter den Weinrieden, wo es einen guten Ausblick auf das Haus der Zwatzl gibt. Die Pokornys haben die Nachbarschaftsstreitereien in der Bogengasse letztes Frühjahr manchmal von hier oben beobachtet. Allerdings muss er dabei vorsichtig sein, da ihn die Zwatzl, wie er im Nachhinein erfahren hat, dort öfters gesehen hat. Zur Sicherheit lässt er sein Elektrofahrrad – er mag aufgrund seiner Abneigung gegen alles Fremdsprachige das Wort »E-Bike« nicht – zweihundert Meter entfernt stehen und schleicht die letzten Meter bis zu der Stelle.
»Hm«, murmelt er, »nichts von ihr zu sehen. Vielleicht gibt’s da ja noch andere Stasikollegen.«
Gerade als er sich umdrehen will, hört er hinter sich eine vertraute Stimme: »Sie schon wieder! Stecken Sie Ihre Nase immer noch in fremde Angelegenheiten hinein?«
Erschrocken fährt er herum und wird rot, als die Zwatzl hinter einer Eiche hervortritt. Weil es halt peinlich ist, selbst beim Spionieren überrascht zu werden. Tatsächlich schaut die Zwatzl verändert aus. Sie hat stark abgenommen, der frühere Prinz-Eisenherz-Haarschnitt ist einer Stoppelfrisur gewichen. Nur bezüglich ihrer Bekleidung, den Stiefeln und ihrem Gewand, ist sie den Tarnfarben treu geblieben.
»Es stimmt also tatsächlich, Sie sind wieder im Lande. War’s Ihnen in der alten Heimat zu fad, oder haben Sie nur neues Material mitgebracht? Weil Ihnen kann, nachdem Ihr Grundstück umgegraben wurde, ja nicht viel davon geblieben sein.«
»Geh, Sie und die Polizei haben ja keine Ahnung. Ich hab genug Depots, war ja nur eine Frage der Zeit, bis Sie einmal genauer nachschauen. Aber ja, mitgebracht hab ich schon was Neues, die Technik hat sich weiterentwickelt, man muss am Puls der Zeit bleiben. Einen Gartenzwerg mit Kamera werden Sie bei mir nicht mehr finden. Also, warum starren Sie auf mein Haus hinunter?«
»Ich wollte nur schauen, ob bei Ihnen ein Badeanzug zum Trocknen aufgehängt ist. Weil neuerdings sind Sie ja gerne im Thermalbad unterwegs.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na wie wohl? Die Kocmanek hat einen Ihrer Zapfen nach mir geworfen. Klingelt’s bei Ihnen?«
»Zapfen? So ein Blödsinn. Den Mist hab ich früher verwendet. Stammt nicht von mir. Also, was wollen Sie? Ich hab mit den ganzen Streitereien dort unten nichts zu tun.«
»Wenn Sie nichts damit zu tun haben, woher wissen Sie dann, dass im Bad gestritten wird? Und vom wem sollen die Attrappen sonst sein?«
Sie schaut genervt auf die Uhr. »War’s das dann mit Ihren lästigen Fragen? Gesehen haben Sie mich ja jetzt, lassen Sie mir den Gruppeninspektor Sprengnagl schön grüßen. Tschüss.« Sie dreht sich um und verschwindet wie ein Geist im dichten Wald.
»Marantana, die ist ja noch unheimlicher geworden«, wispert er, geht zu seinem E-Bike und fährt mit der Maxime zum Bierhof.
Fünf Minuten nach zwölf Uhr betritt die Toni zusammen mit dem Sprengnagl den Bierhof an der Wiener Neustädter Straße. Der Pokorny, der hinsichtlich seines Tagesablaufs, der Auswahl der Restaurants und seiner Speisen maximal unflexibel ist, erwartet die beiden schon ungeduldig an seinem Stammplatz. Immer zur gleichen Zeit, am gleichen Ort und möglichst auch am gleichen Tisch das Gleiche zu essen ist aufgrund familiärer Prägung eine gelebte Konstante in seinem Leben. Für die beiden anderen Mittagsgäste liegen schon die für ihn unnötigen Speisekarten bereit. Mehr als ein Nicken zu der netten Mitarbeiterin ist für die Aufnahme seiner Bestellung, ein Rindsgulasch mit Semmelknödel sowie ein Soda-Zitron, nicht notwendig. Länger dauert es bei der Toni und beim Sprengnagl, die vom Vor- und Zurückblättern in der Karte anscheinend nicht genug bekommen können.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bekommen die drei ihr Essen serviert. Die Toni genießt ein Naturschnitzel von der Pute mit Grillgemüse und Reis sowie einem Seiterl Ottakringer Helles, und der Gruppeninspektor, der heute mächtig Stress hat, würgt während seiner Erzählung mit Käse überbackene Schinkenfleckerln hinunter und spült mit einem alkoholfreien Bier nach.
»Tut mir leid, dass ich so schlinge, gerade bin ich von der Dienststelle angerufen worden. Die Högerl ist abgängig. Die Zobel macht Stress und hat die alte Frau als vermisst gemeldet.«
»Das geht doch erst nach achtundvierzig Stunden?«, meint die Toni.
Der Pokorny schwenkt die leere Gabel hin und her. »Geht auch früher«, nuschelt er mit vollem Mund. »Bei begründetem Verdacht auf ein Gewaltdelikt oder Suizid kann die Exekutive gleich loslegen.«
»Da ich heute wieder zum Kartenabreißer degradiert wurde, schau ich nach dem Mittagessen vorbei. Vielleicht gibt es ja einen plausiblen Grund dafür.«
Die Toni schneidet eine Grimasse. »Kann dich die Wehli wirklich für so etwas einteilen? Du bist schließlich bei der Kripo.«
Der Sprengnagl seufzt genervt. »Schau, eigentlich nicht. Aber mein Chef kennt den Chef der Wehli. Und dem Frieden zuliebe mach ich ein paar Stunden. So hat die arme Seele ihre Ruhe. So viel dazu.«
»So nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere, verstehe. Sag, wo wohnt denn die Högerl außerhalb der Saison?«, will der Pokorny wissen.
»Ganz in der Nähe, in der Bahnstraße. Dort ist sie aber nicht. Die Kollegen waren gerade nachschauen.«
Die Toni schaut ihn skeptisch an. »So, wie die arme Frau gestern ausgesehen hat, kann die nicht weit sein. Gab es einen Rettungseinsatz?«
»Nein, keinen Einsatz. Da, schau.« Er legt eine Tageszeitung auf den Tisch. Beide sehen, dass im Mittelteil mehrere Blätter A4-Papier stecken. »Kopien der wechselseitigen Anzeigen. Bitte erst zu Hause lesen. Da drüben«, flüstert er mit einem Fingerzeig zwei Tische weiter, »sitzt eure liebe Nachbarin und spitzt die Ohren. Mir reicht dein Bild im Stadtanzeiger, einen Bericht über unser Gespräch brauch ich nicht. Sonst schlägt die O-Weh schneller auf, als uns lieb ist.«
Tatsächlich sitzt die Nervensäge Hanifl ganz in ihrer Nähe. So konzentriert, wie ihre Doppelhausnachbarin ihre Speisekarte studiert, ist klar, dass etwas faul ist und sie hoch konzentriert ihre Ohren spitzt.
»Vorab zur Info«, fährt der Sprengnagl leise fort. »Der Kocmanek wurde tatsächlich im Strandbad Baden die Kabane aufgekündigt. Sie ist gegenüber den Kindern einer Nachbarin tätlich geworden. Angeblich waren die Kleinen zu laut, und die ›g’sunde Watsch’n‹ ist halt schon länger nicht mehr salonfähig. Der vierjährigen Tochter hat sie damals eine blutige Lippe verpasst.«
»Autsch«, ruft die Toni. »Dann sind die Sorgen der Zobel wegen möglicher Handgreiflichkeiten der Kocmanek berechtigt.«
Der Gruppeninspektor nickt. »Es gab auch schon Tätlichkeiten im Bad, die die Högerl zur Anzeige gebracht, dann aber immer wieder zurückgezogen hat. Sonst hätte sie wahrscheinlich gar keine Ruhe mehr gehabt.«
Die Toni seufzt. »Die Arme! Ihre Nachbarin kann ja nicht immer aufpassen. Klar fürchtet sich die alte Dame.«
»Es gab auch Diebstähle, der Kocmanek wurde mehrmals Juckpulver auf ihre Liege gestreut. Lest euch das in Ruhe durch. Lustig ist’s dort nicht. Hast du die Zwatzl gesehen?«
»Ja, wie der Leibhaftige ist sie neben der Aussichtsstelle plötzlich aus dem Wald gesprungen. Kurzhaarschnitt, abgenommen hat sie auch. Sie bestreitet klarerweise, mit dem Zapfen etwas zu tun zu haben. Allerdings hat sie großspurig mit neuen technischen Entwicklungen angegeben, und außerdem soll es von ihr im Wald mehrere Depots mit allerlei Material geben.«
»Zwatzl reloaded«, stellt die Toni fest und erntet einen schiefen Blick vom Pokorny. Weil warum muss heutzutage alles verenglischt werden, wie er es nennt? »Die runderneuerte Zwatzl« würde doch auch reichen.
»Ja, sie ist wieder da. Aber wie dein Liebster gestern Abend gemeint hat, könnten wir sie vielleicht noch brauchen. Jetzt, wo die Högerl abgängig ist, sogar doppelt. Eventuell hat sie etwas gesehen?«
Der Pokorny nickt. »Freiwillig sagt die sicher nix. Die Zobel hat sie im Bad gesehen, und wir kennen ihren Hintergrund. Deshalb stellen wir die logische Verbindung her, fix ist das aber nicht.«
»Verwertbare Fingerabdrücke sind auf dem zerstörten Zapfen leider keine drauf.«
»Wenn die Högerl wiederauftaucht, soll sich der Direktor um die Privatsphäre seiner Gäste kümmern«, sagt die Toni.
»Seh ich auch so, wer weiß, wo die überall rumspioniert. Sicher nicht nur bei der Kabane vom Deutschen«, bemerkt der Sprengnagl im Aufstehen. »Ich zahl an der Bar. Sehen wir uns im Bad?«
Der Pokorny, der knapp hinter seinem Freund die kulinarische Ziellinie überschritten hat, nickt. »Wir trinken noch einen Espresso, bringen die Maxime heim und holen unsere Badesachen. Schätze, dass wir gegen vierzehn Uhr im Bad sind.«
»Okay, bis dann, servus.«
Bei einem mittelmäßigen Espresso sinnieren die beiden über den möglichen Aufenthaltsort der Högerl.
»Wo soll die hin? Die war ja gestern schon mehr hüben als drüben, die ist nie und nimmer alleine unterwegs.«
»Wenn sie nicht bald gefunden wird, musst du halt noch einmal zur Zwatzl fahren. Vielleicht ist sie kooperativ, wenn du ein mögliches Verbrechen erwähnst.«
Der Pokorny verzieht das Gesicht. »Wohl eher nicht, dann streitet sie umso mehr ab, dort tätig zu sein. Dass ich sie wegen ihrer Ausrüstung verpfiffen habe, vergisst die mir ihr Leben lang nicht. Das hab ich gespürt, und sie ist jetzt noch seltsamer geworden.«
»Na dann.« Sie zahlen an der Bar und verlassen mit einer komischen Vorahnung den Bierhof.
Pünktlich um vierzehn Uhr beziehen die Pokornys zwei Liegestühle neben der Milchbar, mit gutem Blick auf die Waldkabanen. Alles ruhig, weder von der Högerl noch von der Zobel ist etwas zu sehen. Auch die sonst von der Kocmanek okkupierte Stelle vor der Högerl’schen Kabane ist verwaist.
»Hab ich mir irgendwie anders vorgestellt«, sagt der Pokorny enttäuscht.
»Was meinst du?«
»Na, mehr Stimmung, nicht so ruhig. Und den Sprengi hab ich auch noch nicht gesehen.«
»Schreib ihm eine SMS, vielleicht kann er gerade nicht reden.«
–wo bist du ward ihr schon bei den streithanseln melde dich
–Bin gleich bei euch
–in ordnung wir sind an der milchbar
Der Smartphoneverweigerer Pokorny nervt die Toni und sein näheres Umfeld mit seinen verstümmelten SMS gewaltig. Zum Glück für die Empfänger streut er regelmäßig Leerzeichen ein, sodass es den meisten doch gelingt, seine Botschaften zu entziffern.
»Der Sprengi ist gleich da, bin schon gespannt, was los ist und ob’s Schwierigkeiten gegeben hat.«
Die Toni kostet von dem hervorragenden Cappuccino. »Mh, phantastisch der Kaffee. Du, was sagen wir der Katzinger wegen Freitag?«
»Das überlass ich dir, Zuckerschnecke. Schließlich freust du dich doch auf die Ehrung, also kannst du auch die Überbringerin der schlechten Nachricht sein«, meint er grinsend.
»Na super, auf die Keppelei freu ich …«