Bärensommer - Rolf Redlin - E-Book

Bärensommer E-Book

Rolf Redlin

5,0

Beschreibung

Bastian, Mitte zwanzig, Student, träumt von einem Kerl mit behaarter Wampe. In den Ferien jobbt er im Deichbau und hofft, dort einen 'Bären' zu fangen. Wilfried, Steinsetzermeister und fast doppelt so alt, flirtet zum Spaß mit dem Studenten. Es funkt, doch die Gegensätze sind beträchtlich: Wilfried begreift, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört, und sehnt sich nach Action. Bastian dagegen ist am Ziel aller Wünsche und will nur noch traute Zweisamkeit. Redlin bürstet Klischees gegen den Strich. Ob Student oder Arbeiter, ob Traumfigur oder 'Waschbärbauch'– entscheidend ist, wie entschlossen man sein Leben selbst bestimmt. Bastian und Wilfried erleben zwar beide ihr Happy End, aber auf unerwartete Art und Weise. Nach 'Bodycheck' und 'Bullenbeißer' ist 'Bärensommer' Redlins dritter Roman.

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ROLF REDLIN

BÄRENSOMMER

Roman

Männerschwarm VerlagHamburg 2011

1

«Zum Abschluss des Semesters wenden wir uns dem Fettstoffwechsel zu ...»

Bastian schob sich als Letzter in eine der hinteren Sitzreihen des Hörsaals und klappte sanft die grün gebeizte Schreibfläche hinunter. Professor Hellmanns Vorlesung ‹Allgemeine Biochemie› galt als Pflichtveranstaltung.

Hellmann war bekannt für seine launigen, mit Anekdoten gespickten Vorträge. Die allein lohnten das Zuhören. Ein Beamer projizierte das Bild einer barocken Schönheit auf die Leinwand. Mit einem Laserpointer über die Rundungen der Schönen streichend, erläuterte Hellmann, dass Fettvorräte für das Säugetierweibchen eine besondere Bedeutung darstellten. Sie dienten als Energiespeicher für Schwangerschaft und Aufzucht der Nachkommen. Einige Zuhörerinnen murrten.

Hellmann tippte auf eine Taste seines Notebooks und auf der Leinwand blendete die Schöne über zu einem zottigen Braunbären. Für andere Säugetiere diene der Fettspeicher eben dazu, den Winterschlaf ohne nennenswerte Nahrungsaufnahme zu überstehen.

Hellmann tippte ein weiteres Mal und aus dem Bären wurde ein Kerl in kurzer Hose mit mächtiger behaarter Wampe. Bastian fiel die Kinnlade herunter. Das war wirklich mal ein prächtiger Bär! Wo hatte Hellmann nur das geile Pic her?

«Meine Damen und Herren, Sie sehen hier ein männliches Säugetier, bei dem die Bedeutung der Fetteinlagerung im Bereich des Abdomens noch nicht vollständig geklärt werden konnte.»

Die Frauen in der ersten Reihe kicherten.

Hellmann fuhr fort: «Während beim Weibchen ein großer Teil des Fetts subkutan eingelagert wird, was die Fettpolster weich werden lässt, lagern die adulten Männchen höheren Alters ihr Fett intraabdominal unterhalb der Bauchmuskulatur ein. Das führt zu der kuriosen Erscheinung, dass manche Exemplare der Gattung einen ansehnlichen Bauch aufweisen, der auf Punktbelastung hin dennoch fest wirkt. Es wird diskutiert, ob es sich hierbei um ein sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal handelt.»

Jetzt kreischten die Frauen und die Männer murrten.

«Ja, meine Herren, da können Sie in Ihrem Alter noch nicht mithalten. Ethologen vermuten, dass ein prächtig ausgeformtes männliches Abdomen eine anziehende Wirkung auf fortpflanzungsbereite Weibchen ausübt, denn es signalisiert Versorgungssicherheit.»

Die Frauen schrien einhellig: «Iiiii!»

Na klar! Bastian konnte sich das gut vorstellen. Wenn er doch nur ein Exemplar wie das auf der Leinwand ins Bett kriegen könnte!

«Hier in der Hansestadt hat der Volksmund den schönen Ausdruck ‹Holsten-Geschwür› für dieses männliche Geschlechtsmerkmal geprägt. Geht es mit einer überdurchschnittlichen Körperbehaarung einher, spricht man bekanntermaßen auch vom ‹Waschbärbauch›. Doch zurück zum eigentlichen Thema.»

Auf der Leinwand verwandelte sich der Bär in ein Schwein.

«Wie Sie im Standardlehrbuch der Biochemie nachlesen können, entsteht Fett aus Kohlenhydraten. Das beweist uns das Schwein.»

Allgemeines Gelächter der Zuhörerinnen und Zuhörer. Bastian klappte seinen Block auf, um sich Notizen zu machen.

Bastian verriegelte die Tür. Ach ja. Seufzend ließ er sich auf der Klobrille nieder.

Aber irgendetwas fehlte noch. Na klar, es war wieder mal nichts zum Lesen da. Dabei hatte er gestern erst den ‹Spiegel› von letzter Woche auf der Waschmaschine liegen gelassen. Unter Garantie hatte Till sich das Magazin geschnappt und auf den Altpapierstapel in der Küche verfrachtet. Als WG-Hauptmieter glaubte er wohl, sich alles herausnehmen zu können.

Bastian beschloss, sich zur Kompensation beim feuchten Klopapier zu bedienen. Die Spenderbox stand auf der Fensterbank. Till hatte mit Edding ‹Finger weg!› draufgeschrieben.

Zum Glück fand sich unmittelbar neben der Plastikdose doch noch etwas Bedrucktes. Zwar nur das ‹Wochenblatt›, doch diese Sitzung war gerettet. Musste er eben Kleinanzeigen lesen. Auf der Titelseite warb eine Anwaltskanzlei aus dem Viertel mit drei kurzen Fragen. Die waren jeweils auf ein einzelnes Wort reduziert. ‹Kündigung? Verhaftet? Scheidung?› Drei Fragezeichen, drei Probleme, für jedes davon der passende Anwalt.

Bastian las die Seiten quer und blieb bei einer Grafik hängen. Ein Braunbär auf zwei Beinen, bekleidet mit roter Latzhose und Cap auf dem Kopf. In den beiden kräftigen Armen je eine Bierkiste. ‹Der bärenstarke Lieferservice›. So inserierte ein Getränkefachhandel mit Bionade, Veltins und Lübzer Pils im Angebot. Bastian blätterte weiter. Früh am Vormittag war ihm noch nicht nach Bier. Höchstens nach einem Bären. Haha!

Er legte das Blatt irgendwie wieder zusammen. Zu versuchen, eine Zeitung sauber zusammenzufalten, hatte ohnehin keinen Sinn. Im Weglegen fiel sein Blick auf eine der Kleinanzeigen in der Rubrik ‹Stellenmarkt›. Zwischen ‹15 Versandhelfer m/w gesucht!› und ‹Ex. Pflegekräfte/Pflegehelfer in VZ und TZ› las er die Worte ‹Studentenjob im Tiefbau›. Neugierig geworden, sah er genauer hin.

‹Statt Praktikum: Arbeit unter freiem Himmel, hart, aber bezahlt!›

Bastian lächelte. Guter Witz. Solche Jobs für die Semesterferien gab’s doch heutzutage überhaupt nicht mehr. Da würde sich für weniger Geld garantiert ein Ukrainer finden, der körperliche Arbeit gewohnt war und vor allem niemals widersprach.

Er legte das ‹Wochenblatt› zurück auf die Fensterbank und bediente sich ausgiebig bei Tills Feuchttüchern.

«Moin. Habt ihr noch ’n Kaffee für mich?»

Bastian schlurfte mit Badelatschen in die Küche. Seine beiden Mitbewohner Till und Tobias saßen mit ihren derzeitigen Freunden um den Frühstückstisch. Alle vier trugen quer gestreifte Poloshirts, wenn auch in unterschiedlichen Farben, die Kragen hochgestellt. Eine Kerze brannte. Offenkundig eine Art Brunch.

Sie musterten ihn aufmerksam, während Bastian sich einen Becher nahm und Kaffee einschenkte. Er ließ sich auf den letzten freien Stuhl fallen und sah in die Runde. «Gründet ihr hier grad eine Stadtteilgruppe der Jungen Liberalen?»

Die Besucher lächelten mit nachsichtigem Gesichtsausdruck. Bastian trug nur seine Boxershorts und ein offenes kariertes Hemd. Er kratzte sich am Sack.

Till wandte sich kopfschüttelnd den Besuchern zu: «Seit Basti auf dem Bärentrip ist, vergisst er seine Kinderstube.»

«Quatsch!», erwiderte Bastian. «Nur weil ich nicht so abgehoben …»

«Lass gut sein, Basti», beschwichtigte ihn Tobias, «wir wissen doch alle, dass Till manchmal ein bisschen zwanghaft ist. Doch was täten wir nur ohne ihn?»

«Eins ist sicher, ihr würdet hier im Dreck versinken», sagte Olli.

«Wolltest du nicht letzte Nacht auf die Jagd gehen? Zu so einer obskuren Bärenparty?», fragte Tobias. «Hast du endlich einen Bären zur Strecke gebracht?»

Bastian zuckte mit den Achseln. «Nö, nicht wirklich.»

Die Bärenjagd war wieder einmal nicht so ergiebig gewesen wie erhofft. Er hatte jede Menge Bier getrunken und sogar einmal getanzt. Alles vergeblich. Als zögen die Bären es vor, unter ihresgleichen zu bleiben. Ignorierten den ebenso jungen wie hoffnungsfrohen Nachwuchs. Vielleicht fehlte ihm das Bäuchlein. Stattdessen himmelte ihn ein etwa gleichaltriger, bartloser Typ an und wollte Handynummern tauschen. Das ging Bastian zu weit, der Junge war einfach zu jung und milchgesichtig. Nur wegen seiner rosa Bäckchen mochte man ihn unentwegt knuddeln. Um ihn nicht zu enttäuschen, hatte er seinen Skype-Rufnamen auf einen Bierdeckel gekritzelt.

«Ich finde Bären ja irgendwie erotisch», mischte sich Tills Freund Olli ein.

Till drehte sich zu ihm um und runzelte die Stirn.

«Ja», bekräftigte Olli, «so eine behaarte Brust hat doch was.» Er strahlte Bastian an.

Bastian nahm einen Schluck Kaffee und nickte zustimmend. Mit seinem Wuschelkopf und dem zotteligen Bart sah er aus, als sei er gerade dem Bett entstiegen. Zum Gluück galt das ja zurzeit als ausgesprochen modisch.

«Wusstest du eigentlich, dass Olli Produktmanager bei einem Pharmaladen ist?», fragte Till. «Ich meine, falls ihr beide ein bisschen Networking betreiben wollt.»

«Was studierst du denn?» Olli hob die Augenbrauen.

«Chemie mit Hauptfach Biochemie.»

«Wir sind kein Pharma-Unternehmen. Wir machen Auftragssynthesen von Oligonukleotiden und Polynukleotiden, aber auch monoklonale Antikörper. So der übliche Immunkram. Ich lass dir mal meine Karte da.»

«Verstehst du, wovon er spricht?» Tobias schüttelte lachend den Kopf.

«Sicher!» In Bastians Ohren hörte sich das gut an. Er griff nach der Karte und las. ‹Dr. rer. nat.›. Er schob die Karte in die Brusttasche seines Hemds.

Olli strahlte unablässig zu ihm herüber. «Vielleicht brauchst du ja mal einen Praktikumsplatz oder so.»

«Kann gut sein.»

«Fährst du auch mit auf diese Sportlerreise an den Gardasee? Till zuliebe werde ich wohl mitkommen.»

Tobias organisierte einmal jährlich zusammen mit seinem Freund Lukas eine Art Aktivurlaub am Gardasee. Lukas sah man den Sportstudenten schon von Weitem an. Er hatte Zugriff auf das Wohnmobil seiner Eltern, das ihnen als Basislager vor Ort diente.

«Eventuell fahre ich mit ein paar Typen durch die Karpaten, motorradmäßig.»

«Ach Basti, du immer mit deinen Abenteuerurlauben. Zieh dich doch nicht immer aus allen Gruppenaktivitäten raus.» Till bettelte regelrecht. «Einmal im Jahr brauchen wir so was wie eine Team-Building-Experience.»

Bastian kratzte sich an der haarigen Brust und leerte den Kaffeebecher. «Na, schaun wir mal.»

«Ich würd’ mich freuen!», sagte Olli. «Machen wir einfach aus einer anstrengenden Sportlerreise ein Meeting von Biochemikern!»

Alle lachten.

Bastian zog sich in sein Zimmer zurück und warf sich auf das ungemachte Bett. Till hatte ihm ein schlechtes Gewissen eingeimpft. Vielleicht sollte er sich wirklich mehr in die Gruppe einfügen, mehr Beziehungen knüpfen, ein Praktikum bei diesem Olli machen. Das könnte ihn vielleicht irgendwann auch beruflich voranbringen. Könnte, vielleicht, irgendwann. Oder auch nicht. Warum fesselten ihn immer nur diejenigen Dinge, die keinen unmittelbaren Vorteil einbrachten? Egal, das war eben so. Er stopfte sich das Kopfkissen zurecht und schmökerte ein bisschen in dem Rumänien-Reiseführer, den er letzte Woche bei Amazon bestellt hatte.

«Moinsen, hier ist Hendrik von gestern Abend. Erinnerst du dich noch an mich?» Im Skype-Fenster bewegte sich ruckartig der bartlose Typ von letzter Nacht.

Selbst die schlechte Auflösung der Webcam konnte das rosa Leuchten der beiden Bäckchen nicht unterdrücken. Klar erinnerte sich Bastian.

Hendrik sprühte vor Tatendrang. «Sahnewetter draußen. Wollen wir nicht was unternehmen? Irgendwie raus, raus aus der Wohnung, am besten ganz raus aus der Stadt!» Die Webkamera zerlegte seine zappeligen Bewegungen in eine zuckende Folge von Einzelbildern.

«Das wird heute nichts, ich hab schon was vor. Meine Eltern besuchen, mit dem Motorrad. Die sind in ihrem Ferienhaus an der Ostsee.»

Bastian riss sich zwar nicht gerade um den Pflichtbesuch, doch irgendwie empfand er das als passende Gegenleistung für regelmäßige finanzielle Zuwendungen.

«Wo ist denn das Ferienhaus von deinen Erzeugern?» Hendrik ließ nicht locker.

«Lübecker Bucht. Scharbeutz.»

«Na also, kein Problem. Vorschlag zur Güte: Wir fahren mit meinem Auto, laufen ein bisschen in Timmendorfer Strand die Promenade auf und ab, ziehn uns ’n Eisbecher rein und dann liefere ich dich bei deinen Alten ab. Ich verschwinde für mindestens zwei Stunden in der Ostsee-Therme und hol dich dann wieder ab. Nun sag schon Ja!»

Bastian lachte. Wer konnte da widersprechen. Hendrik wollte ihn in einer halben Stunde abholen. Er musste sich beeilen, sprang hastig unter die Dusche und suchte dann nach passenden Klamotten für den Strand. Als es klingelte, hatte er sich grad mal für eine karierte Cargohose entschieden.

Er öffnete die Wohnungstür mit freiem Oberkörper. Hendrik stand im Treppenhaus und ein Strahlen breitete sich von den Bäckchen über sein Gesicht aus.

«Ich bin noch nicht ganz fertig», entschuldigte sich Bastian, «komm noch ’n Moment rein.»

Till warf rein zufällig aus der Küche einen Blick in den Flur. Stets musste er informiert sein, wer in der Wohnung ein und aus ging. Er kräuselte die Stirn, murmelte «Hallo!», und wandte sich wieder dem Brunch zu. Bastian zog Hendrik in sein Zimmer und schloss die Tür hinter ihnen.

«Was für ein geiler Empfang!», schwärmte Hendrik, schnüffelte in Bastians Brusthaar herum und hatte die Hand schon in seinem Schritt. «Quickie?», fragte er.

Wen hatte er sich denn da angelacht?

«Immer hübsch der Reihe nach.» Bastian lächelte. «Es muss ja noch was für den Abend übrig bleiben. Etwas, worauf man sich freuen kann.» Er schlüpfte in ein olivfarbenes T-Shirt und warf sich noch ein Kapuzenshirt über die Schultern.

Wenig später stiegen sie in Hendriks Corsa. Der Motor lief schon, da fiel Bastian ein, dass er etwas vergessen hatte. «Der Krimi für meine Mutter, ich bin gleich wieder da!» Im Laufschritt sprang er das Treppenhaus hinauf. Als er die Tür aufschloss, stand wieder Till vor seiner Nase.

«Was war das denn?», fragte Till.

«Ich hab ’n Buch für meine Mutter vergessen.»

«Nein, ich mein das Babyface, mit dem du da losziehst. So was reißt man auf diesen Bärenpartys auf?»

Bastian schob Till wortlos beiseite, holte das Buch und stand schon wieder im Treppenhaus.

«Letzte Nacht war ich erst ein bisschen enttäuscht, dass nicht mehr gelaufen ist. Meinetwegen hättest du gleich mit zu mir kommen können.» Hendrik lenkte den Corsa vom Horner Kreisel auf die Autobahn in Richtung Lübeck.

Bastian schüttelte den Kopf. «Mach ich nie. Kein Sex beim ersten Mal!»

Hendrik kicherte. «So was hab ich ja noch nie gehört!»

«Hat aber was. Denk mal drüber nach ...»

«Ich hab nur gedacht: Wieder einer, der nicht auf kräftige Jungs steht und es aus Höflichkeit nicht sagen mag.»

«So ’n Quatsch. Ich kann voll auf stämmige Typen. Was meinste wohl, was ich da bei den Bären suche?!»

«Na, ich hab da so meine eigenen Erfahrungen gemacht. Die alten Knaben haben alle selbst ’ne Wampe, aber wenn sie überhaupt auf junge Männer stehen, dann wollen sie die zarten Boys.»

«Teils, teils. Doch was suchst du denn da überhaupt?»

«Na, immerhin kann man sich da frei bewegen, ohne geringschätzige Blicke von Magersüchtigen zu ernten. Die Spinnenbeinigen sind ja alle so felsenfest davon überzeugt, traumhaft auszusehen.»

«Also ich find dich knuffig. Ehrlich. Aber du hast recht, manchmal glaube ich, die bärigen Alten wollen bei den Jüngeren keine Bart- und Brusthaare. Jedenfalls ignorieren sie mich nach Kräften.»

«Ernsthaft? Schielst du etwa nach so einem alten Knacker?»

«Ach, so eine kleine Wampe ist doch ziemlich männlich. So was wie ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, oder? Und besonders lecker, wenn behaart.»

Hendrik schüttelte heftig den Kopf. «Nee nee, auf die Alten steh ich nun wirklich nicht. Allein das Sperma schmeckt bei denen schon so ekelhaft.»

Bastian runzelte die Stirn. «Woher hast du das denn?»

Hendrik lachte. «Glaub’s mir, es schmeckt alt. Alt und verbraucht. Ich wette, deins ist da ganz anders. Fruchtig, nussig, frisch. Das stimmt, und komm mir bloß nicht mit diesem pädagogischen Ansatz. Von wegen Safer Sex und so.»

Auf Wunsch von Hendrik ließ Bastian das Kapuzenshirt im Wagen und lief nur mit dem T-Shirt bekleidet los. Sein Begleiter war ganz versessen auf jedes einzelne Brusthaar, das am Kragen herausschaute. Er genoss die unverhohlene Bewunderung. Hendrik selbst trug ein weites kurzärmeliges Hemd, das ihm über die Hose hing.

Zuerst steuerten sie die Seebrücke an und bahnten sich ihren Weg durch kreischende Kleinkinder auf Laufrädern und altmodisch gekleidete Senioren. Zwischendurch berührte Hendriks Hand immer wieder mal zufällig die von Bastian. Am Ende der Brücke lehnte sich Hendrik über die Reling und hielt die Nase in den Wind.

«Ostwind bringt schönes Wetter.» Bastian trat von hinten an Hendrik heran und beugte sich über ihn.

«Lass uns mal eine Eisdiele suchen. Ich will sitzen und Jungs angaffen.»

Die Eisdiele war schnell gefunden. Hendrik bestellte einen Schokobecher und ein Kännchen heiße Schokolade, Bastian entschied sich für ein Spaghetti-Eis und trank Mineralwasser.

Ein Trupp sportlich aussehender Typen schlenderte vorbei. Sie alle trugen Bermudashorts und stellten ihre gebräunten Oberkörper mit Waschbrettbauch zur Schau. Zwei von ihnen hatten sich einen Ball unter den Arm geklemmt.

Hendrik schaute ihnen hinterher und seufzte. «Bei solchen Sahnetypen habe ich niemals eine Chance.»

Bastian zuckte die Achseln. «Was willst du denn mit diesen Schönlingen? Die sind auf dem Weg zum Beach-Volleyball und bleiben sowieso lieber unter sich.»

«Ach, man wird doch noch Träume haben dürfen.»

«Wie wär’s denn mit dem da?» Bastian zeigte auf einen Familienvater, der gemeinsam mit der Mutter einen Zwillingskinderwagen vor sich herschob. «Das ist so der Typ Heino Ferch. Sieht aus, als würd’ er mitten im Leben stehen. Der kann zupacken. Und, was für dich bestimmt wichtig ist, vom Ficken versteht er auch was, jedenfalls hat er seiner Alten gleich Zwillinge gemacht.»

Hendrik winkte ab. «Zu alt. Viel zu alt!»

Auf der Promenade näherte sich ein oranger VW-Pritschenwagen mit eingeschalteter Warnblinkanlage. Auf der Ladefläche schwappte Wasser in einem großen Kunststofftank. Der Wagen hielt und ein Vierzigjähriger stieg aus. Er trug nichts weiter als eine dunkelgrüne Latzhose, deren Hosenbeine in Kniehöhe abgeschnitten waren. Die Beine steckten in schwarzen Arbeitsstiefeln, auf dem Kopf trug er eine tarngefleckte Bundeswehr-Feldmütze. Arme, Oberkörper und Beine waren von der Sonne tief gebräunt. Er griff nach einem Schlauch und wässerte die Blumenkübel.

Hendrik gab Bastian einen Schubs. «Du bist ja plötzlich so andächtig still. Sag nicht, der Proll da drüben ist dein Typ!?»

Bastian räusperte sich, beugte sich vor und flüsterte: «Hast du die Behaarung gesehen? Brust, Beine ... puh!»

Hendrik warf Bastian einen Blick zu und prustete los.

Der Mann schien zu ahnen, dass sie über ihn sprachen; er sah für einen Moment auf, lüftete sein Käppi und wischte mit dem Handrücken über die Stirn.

«Der erinnert mich an einen Kerl, der früher bei unseren Nachbarn gegärtnert hat. Als Dreizehnjähriger hab ich mich im Baumhaus versteckt, da konnte ich ihn über die Hecke hinweg beobachten. Manchmal hat er die Hand in die Hosentasche gesteckt und sich ausgiebig an den Eiern gekratzt.»

«Und dann ist dir einer abgegangen!?» Hendrik gluckste.

«So ungefähr.»

«Am besten brichst du dein Studium ab und machst ’ne Lehre aufm Bau!», empfahl Hendrik.

Bastian rakte das letzte Eis vom Teller und spülte mit Mineralwasser. Er wusste jetzt, was er wollte. «Du hast’s erraten! In den Semesterferien jobbe ich im Tiefbau.»

«Und ich mach auf Model für Teenieklamotten», antwortete Hendrik.

«Da vorn die Zweite rechts. Dann dahinten der Bungalow, du kannst ruhig aufs Grundstück fahren.»

Die Mutter kam um das Haus gelaufen, der Vater mit einigen Metern Abstand hinterher.

«Guten Tag, mein Name ist Hendrik. Ich bin ein Freund von Basti.» Hendrik gab den Eltern artig die Hand und verbeugte sich dabei.

Wenigstens hatte er ‹ein Freund› gesagt und nicht ‹der Freund›.

Die Mutter strahlte. «Basti, das ist ja nett, dass du uns deinen Freund vorstellst.» Sie hatte den feinen Unterschied nicht bemerkt und fiel ihrem Sohn sowie dem vermeintlichen Schwiegersohn um den Hals.

«Ich will Ihnen keine Umstände machen, ich gehe jetzt in die Ostsee-Therme und hol Basti nachher wieder ab. Sind zwei Stunden okay?»

Die Mutter protestierte energisch. «Auf keinen Fall. Sie bleiben natürlich zum Kaffee hier. Basti bringt so selten jemanden mit.»

«Mama, das tut doch nicht not.»

Doch Hendrik sagte schon zu. «Aber nur, wenn es Ihnen wirklich keine Umstände macht.»

Sie nahmen um den Kaffeetisch auf der Terrasse Platz. Eine glänzende Kunststoffdecke klammerte rundherum an der Tischplatte.

«Schatz, holst du bitte noch ein viertes Gedeck?», fragte die Mutter den Vater.

Hendrik ließ sich mehrere Stücke selbst gemachten Kekskuchen schmecken. Bastians Mutter war entzückt.

«Den Kuchen hat mein Mann angesetzt, das hat sozusagen Tradition. Schon als Basti klein war ...»

«Mama!» Bastian hob aus Protest die Arme.

«Er mag das jetzt nicht hören. Aber die beiden Männer haben immer zusammen Kekskuchen gemacht und hinterher gegessen. Ein Bild für die Götter war das.»

Hendrik nickte. «Der heißt doch ‹Kalter Hund›, oder? Schmeckt lecker. Den gab es manchmal bei meiner Tante.»

«Studieren Sie mit Basti zusammen?», fragte der Vater.

Hendrik schüttelte den Kopf. «Nein, ich mach grad meinen Zivildienst. Basti und ich haben uns auf einer Feier kennengelernt.»

Hoffentlich quatscht er jetzt nichts von Bärenpartys, dachte Bastian.

«Wenigstens haben Sie ein Auto und kein Motorrad. Ich mach mir immer Sorgen, wenn Basti unterwegs ist.»

Hendrik grinste Bastian an und schob sich ein weiteres Stück Kuchen in den Mund. Schokolade klebte ihm in den Mundwinkeln. Bastian rollte mit den Augen.

«Sind jetzt nicht bald Semesterferien? Machen Sie zusammen Urlaub?», fragte die Mutter.

Bevor Hendrik noch etwas sagen konnte, gab Bastian kopfschüttelnd die Antwort: «Nein, Mama, ich gehe jobben.»

Sie sah ihn mit großen Augen an. «Aber das musst du doch nicht, macht euch doch lieber ein paar schöne Wo...»

Der Vater fiel ihr ins Wort. «Schatz, lass den Jungen doch sein eigenes Geld verdienen. Was willst du denn machen, Junge?»

Hendrik gluckste. «Er will aufn Bau. Tiefbau!»

Die Mutter riss die Augen noch mehr auf und wollte grad antworten, da haute der Vater Bastian auf die Schulter.

«Das gefällt mir. Besser, du lernst rechtzeitig den Ernst des Lebens kennen. Körperliche Arbeit hat noch niemandem geschadet. Außerdem ist es allemal besser als diese dämlichen unbezahlten Praktika, die sie jetzt alle machen. Erst die Tage hatte ich wieder jede Menge Bewerbungen auf dem Tisch. Manche mit ganzen Listen von Praktika. Ich les das schon überhaupt nicht mehr.»

«Aber auf dem Bau!», sagte die Mutter.

Der Vater tippte mit dem Finger auf den Tisch. «Grade auf dem Bau, da lernt er wenigstens mal ein paar bodenständige Menschen kennen. Raus aus dem Elfenbeinturm.»

Die Mutter verstummte mit erschrockenem Gesichtsausdruck und Hendrik grinste. Bastian goss sich in aller Ruhe einen Tee ein. Seine Eltern zu überzeugen hatte er sich schwieriger vorgestellt.

Auf der Fensterbank stand nur noch der Spender mit dem Feuchtpapier. Wo war das ‹Wochenblatt›?! Verdammt, Till und sein Ordnungsfimmel! Also nebenan in der Küche gucken, im Altpapierstapel. Die weiße Curver-Box war leer. Till hatte den Inhalt zum Container gebracht.

Wo würde er nun noch ein ‹Wochenblatt› bekommen? Warten auf die nächste Ausgabe? Wer konnte garantieren, dass die Anzeige nochmals erschien. Wer weiß, wie viele Interessenten dort anriefen. Er musste das ‹Wochenblatt› haben. Jetzt!

Eine Etage tiefer wohnte Frau Kruse. Sie pflegte den Käfig ihres Wellensittichs mit Zeitungspapier auszulegen, um Vogelsand zu sparen. Die 82-Jährige würde bestimmt aushelfen, denn er hatte kürzlich erst mehrere Wochen lang den Vogel gefüttert, während Frauchen wegen einer Hüftoperation im Krankenhaus lag.

Bastian sah zur Uhr. Beinahe zehn Uhr abends. So spät konnte er unmöglich bei der alten Frau klingeln. Bestimmt war sie schon vor dem Fernseher eingeschlafen. Also morgen früh.

Am nächsten Morgen wachte er gegen acht Uhr auf und sein erster Gedanke galt der Nachbarin. Bastian sprang unter die Dusche, zog sich an und stand halb neun vor Frau Kruses Tür und klingelte.

Die Tür öffnete sich einen Spalt, soweit es die vorgelegte Kette erlaubte.

«Guten Morgen, Frau Kruse! Ich bin’s, der Basti!» Er schrie in den Spalt hinein.

Die Tür schloss sich wieder und wurde dann ganz geöffnet. Die Alte freute sich über jeden Besuch. Bastian schlug kalter Essensgeruch entgegen. Er akzeptierte dankend die Einladung zum Kaffee. Frau Kruses Kaffee war gut. Sie bot ihm außerdem ein Stück Streuselkuchen an, das ihre Kinder am Tag zuvor übrig gelassen hatten.

Während die Alte in der Küche hantierte, schaute Bastian auf die Bilder, die in versilberten Rahmen auf der Anrichte standen. Eines zeigte die junge Frau Kruse mit Hochzeitskleid im Arm eines ebenso jungen Mannes. Aber da war noch ein anderes Foto, abgegriffen und vergilbt. Ein bärtiger Mann an eine Schiffsreling gelehnt, Pfeife im Mund und die Seemannsmütze verwegen in den Nacken geschoben. Nicht unattraktiv. Er wollte Frau Kruse schon immer mal fragen, wer das eigentlich sei.

Frau Kruse brachte Kaffee und Kuchen auf einem Tablett aus der Küche. Sie lächelte ihn an, als sie ihn die Fotos betrachten sah.

Bastian zeigte auf den Seebären. «Haben Sie einen Seemann in der Familie?»

Sie stellte das Tablett ab, griff nach dem Rahmen und schaute das Foto eine Weile stumm an. «Das ist Karl-Heinz.» Sanft strich sie mit den Fingerkuppen über das Glas.

Bastian vermutete, dass er tot sei. «Ein Neffe?»

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. «Ich war noch jünger als du jetzt. Ein Backfisch, so nannte man das damals. Karl-Heinz war meine erste große Liebe. Viel älter als ich. Ein Seemann, du kannst dir nicht vorstellen, wie prickelnd das nach dem Krieg für ein junges Mädchen klang.» Sie stellte den Rahmen wieder zurück.

«Und?», fragte Bastian und biss sich sogleich auf die Zunge, weil das doch verdammt neugierig war.

«Ein halbes Jahr schwebte ich im siebten Himmel. Dann bekam ich heraus, dass er noch mehr Frauen wie mich hatte. Die in Übersee hätte ich ihm verziehen, die in Cuxhaven nicht. Also habe ich Horst geheiratet. Vierzig Jahre waren wir zusammen.»

Sie goss den Kaffee in Goldrandtassen. Vielleicht hätte er doch besser nicht fragen sollen. Schweigsam rührten sie jeder im Kaffee.

In diesem Moment schrie der Wellensittich aus seinem Käfig in der Zimmerecke. Bastian stand auf und steckte einen Finger durch die Gitterstäbe. Der gefiederte Mitbewohner tschilpte freudig zur Begrüßung, rannte auf seiner Stange hin und her und knabberte am Finger. Vor Aufregung ließ er einen Schiss auf den Käfigboden fallen, direkt auf den Bären mit der roten Latzhose. Bastian las die Worte Bionade, Veltins und Lübzer.

Ohne lange zu fragen, zog er die Käfigschublade auf und ersetzte die Zeitung durch eine andere aus dem benachbarten Stapel. Er faltete sein bekleckertes Exemplar zusammen und dachte dabei an die Biochemievorlesung. Säugetiere scheiden den giftigen Stickstoff aus dem verdauten Eiweiß in Form von Harnstoff aus. Dazu benötigen sie ihre Nieren und vor allem Wasser. Zum Pissen. Vögel und Reptilien können den Stickstoff in Form kristalliner Harnsäure ausscheiden. Sie brauchen dazu kein Wasser und müssen daher nicht pissen. Da ist nur der weiße Fleck im Vogelschiss.

Er stopfte sich den Rest Kuchen in den Mund und verabschiedete sich von Frau Kruse. Er müsse dringend telefonieren.

Das verzinkte Schiebetor an der Zufahrt zur Tiefbaufirma stand einladend offen. Bastian stellte seine Enduro vor einem einstöckigen Bürogebäude links neben der Einfahrt ab. Er sah sich um. Das Firmengelände duckte sich unter eine Überlandleitung. Mittendrin stand ein riesiger Hochspannungsmast auf seinen Punktfundamenten. Weitläufig stapelten sich Betonröhren, Pflastersteine und jede Menge leerer Europaletten. Zwei alte Wohnwagen waren in einer Ecke abgestellt, daneben mehrere Container. Er zog den Zündschlüssel ab. Das Abenteuer konnte beginnen.

Den Helm in der rechten Hand, betrat er das Bürogebäude. Hinter einem Schreibtisch saß, eingehüllt in Zigarettenrauch, eine recht füllige Frau. Mit ausgeprägtem Akzent und rauer Stimme sprach sie in ihren Telefonhörer. Mit ihr hatte er vorhin telefoniert. Missingsch nannte sein Vater diese Hamburger Mischung aus Hochdeutsch und Platt. Bastian wartete, bis sie ihr Gespräch beendet hatte, und stellte sich vor. Sie zeigte auf eine abgewetzte Ledergarnitur und bat ihn, sich zu setzen. Der Chef sei spät dran.

Einen Kaffee lehnte Bastian dankend ab und meinte, er wolle lieber an der frischen Luft warten. Draußen setzte er sich auf einen der Betonsockel des Hochspannungsmastes. Gerade stieg ein glatt rasierter Typ im Sakko aus seinem Smart, etwa im gleichen Alter wie er selbst. Der Smartie kam direkt auf ihn zu und fragte, wo denn hier die Personalabteilung sei. Personalabteilung? Bastian verstand nicht ganz. Nun ja, er käme wegen eines Studentenjobs. Bastian lachte und schickte ihn ins verqualmte Büro. Dort blieb er auch, während Bastian es sich bequem machte und in die Sonne blinzelte.

Er wartete eine ganze Weile, sah einen DHL-Wagen kommen und fortfahren. Endlich fuhr ein Geländewagen vor und hielt direkt neben der Enduro. Ein kräftiger Grauhaariger in brauner Antiklederjacke stieg aus, sah kurz zum Motorrad und kam dann auf Bastian zu. Ob er einer der beiden Bewerber sei. Er nickte. Der Chef entschuldigte sich für sein Zuspätkommen und Bastian folgte ihm in das Bürogebäude. Dabei fiel sein Blick auf das breite Kreuz, das sich unter dem Leder abzeichnete. Das fing ja gut an.

Der Chef zog die Jacke aus und krempelte die Ärmel hoch. «Mir nach, Männer!»

Die beiden Bewerber folgten ihm wieder nach draußen. Er blieb neben dem Gebäude stehen, wo ein paar Sockel von Baustellenabsperrungen herumlagen. «Bevor wir lange rumsabbeln, will ich sehn, wie ihr euch praktisch anstellt. Das trennt schnell die Spreu vom Weizen. Hebt mal jeder so ’n Sockel hoch. Keine Angst, die wiegen nur 38 Kilo.»

Bastian zuckte innerlich zusammen. Ein Gewichtheber war er nicht grade. Vor ein paar Jahren war er seinem ersten Freund ins Fitnesscenter hinterhergelaufen. Immer das Ziel ‹Muscle Bear› fest im Blick. Irgendwann fand die Freundschaft ein Ende, und er entdeckte, dass man auch durch Gerstensaft zum Bären werden konnte, ganz ohne körperliche Anstrengung.

Der Smartie zog sein Sakko aus und drückte es Bastian in die Hand. Dann beugte er sich vor und hob ächzend den Sockel bis auf Brusthöhe. Nachdem er ihn wieder abgesetzt hatte, rieb er sich den Rücken. Bastian gab ihm das Sakko zurück und trat selbst an den Sockel heran. Ganz automatisch ging er in die Knie, griff nach dem Gewicht und drückte sich mit den Beinen hoch. Er war noch gar nicht ganz oben, da rief der Chef schon laut: «Okay, das reicht!» In diesem Moment meldete sich sein Handy. Er entschuldigte sich bei den Bewerbern, nahm das Gespräch an und ging ein paar Meter zur Seite.

«In die Hocke gehen ... Ich dachte, das machen nur Mädchen», spottete der Smartie, «zum Glück hat der Dicke ja dem Trauerspiel sofort ein Ende bereitet.»

Bastian zuckte die Achseln. Das war ganz automatisch gegangen. Und er meinte zu erinnern, dass der gut aussehende Trainer ihnen das damals im Fitnesscenter so beigebracht hatte.

Der Chef kam zurück und erklärte, dass er jetzt mit jedem von ihnen ein kurzes Gespräch führen würde. Er bat Bastian, einen Moment zu warten. Bastian war sich sicher, der Smartie würde den Job bekommen, weil er dieses Sockeldingsbums höher gehoben hatte.

Kurz darauf stand der Erfolgsmensch schon wieder in der Tür. Mit hängenden Schultern. Bastian ging ihm entgegen.

Der Smartie winkte ab. «Kannste vergessen den Laden. Der Dicke hat komische Vorstellungen. Na ja, wirst du ja sehen. Du bist dran!» Sprach’s, stieg in seinen Kleinstwagen und entschwand.

Mit einem Kloß im Hals betrat Bastian das Bürogebäude. Die Missingsch-Stimme schickte ihn ins Büro. Der Chef kam ihm entgegen und sie setzten sich beide an einen abgestoßenen Besprechungstisch. Er stellte die üblichen Fragen, was Bastian studiert habe, und so weiter und so fort. Ob Bastian eine Frage hätte. Ja, hatte er. Zu gern wollte er wissen, warum sie nicht irgendwelche Ukrainer den Job machen ließen.

Der Chef grinste. «Da draußen sind nur wenige Leute: ein Steinsetzermeister, ein paar Gesellen und du. Ich kann da nicht jeden Tag hinfahren und kontrollieren, ob ihr zwischendurch alle an der Wodkaflasche hängt. Und mit der Verständigung muss das auch klappen. Alles klar?»

Bastian hatte den Job. Dann erklärte ihm der Chef, worum es dabei überhaupt ging. Und Bastian erkannte, dass die Sache einen Haken hatte.

«Wo?» Till dehnte das O ins Endlose. «Sag, dass das nicht wahr ist!» Seine Stimme war nahe daran, sich zu überschlagen.

«Am Oberlauf der Elbe, wo Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zusammentreffen.»

«Gab’s nicht irgendwas hier in Hamburg?!»

«Sieh es doch mal so: Da sind Elbdeiche, die werden erhöht wegen dem letzten großen Hochwasser. Wir pflastern Zufahrten und die Wege zur Deichverteidigung. Das ist doch irgendwie ganz aufregend.»

Till schüttelte verständnislos den Kopf. «Du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass dort alle Männer in unserem Alter kahl geschorene Köpfe haben?»

Bastian lachte. «Na und? Kahl geschorene Köpfe gibt’s in jeder Schwulenkneipe.»

«Nur mit dem Unterschied, dass sie in der ostdeutschen Provinz Hackfleisch aus einer Tucke wie dir machen. Besser gesagt Schabefleisch, wie sie das da nennen. Weil sie dich über das Pflaster schaben, bis du ...»

«Hör schon auf», fiel ihm Bastian ins Wort, «außerdem wohnen wir in keiner dubiosen Kleinstadt, sondern in unserer Wohnwagensiedlung.»

«Auch das noch», erwiderte Till, «du wirst dir einen engen Wohnwagen mit einer Hete teilen. Ein Schwachmat mit Körpergeruch, der abends zum Einschlafen nach dem neuesten ‹Praline›-Heft wichst. Wie romantisch! Oder gehst du davon aus, du darfst ihm einen blasen, wenn er erst weiß, dass du schwul bist? Nach bulligen Bauarbeitern zu fantasieren ist das eine, diese Fantasie in die Realität umsetzen zu wollen etwas anderes. Du hast zu viel in ‹Bullenklöten› gelesen. Dies ist kein Comic von Ralf König! Bauarbeiter sind dreckig und ungepflegt. Is’ so!»

«Warum siehst du bloß immer und überall nur Schwierigkeiten?»

«Basti, weil dies das reale Leben ist! Du bist ein Träumer. Willst du etwa mit denen nach Feierabend gemeinsam Hetenpornos gucken?»

Bastian zuckte die Achseln. Warum nicht. Auch in Hetenpornos gab es große Schwänze zu sehen.

«Und deine Karpaten-Tour? Fällt ins Wasser?»

Er nickte. «Wird wohl.»

«Kommst du dann trotzdem zum Geburtstag von Tobias? Es gibt die übliche Party!» Till behielt alles im Blick.

Bastian seufzte. Der Event unter dem Motto ‹Summer in the City› war im Dunstkreis der WG ziemlich beliebt. «Also ich weiß noch nicht. Das ist genau die Zeit, wo ich da draußen bin. Ich kann noch nicht sagen, ob ich dann extra herkomme.»

«Wenn du schon die Reise an den Gardasee nicht mitmachst, dann bitte wenigstens die Party. Irgendeinen Beitrag für die Gemeinschaft musst du auch leisten!»

Unter Tills Überwachung war es schwer, sich den sozialen Pflichten eines WG-Bewohners zu entziehen. Bastian sagte zu, allerdings unter Vorbehalt.

Auf jeden Fall würde er die Woche über an der Uni die letzten Scheine einsammeln, am Sonnabend packen und tags darauf losfahren. Der Chef hatte angeboten, ihn am Montagmorgen mit dem Wagen mitzunehmen, aber Bastian wollte die Enduro dabeihaben. Vielleicht konnte man da im Osten ein bisschen durch die Pampa crossen. Nach Feierabend oder am Wochenende.

Wie er sein Gepäck auf der Enduro unterbrachte, hatte er schon genau überlegt. Er hatte diese große wasserdichte Rolle für den Gepäckträger. Dort hinein kamen Bettlaken, Schlafsack und ein paar Anziehsachen. In seinem Rucksack würde er die Lebensmittel verstauen. Getränke und weitere Essensvorräte musste er sich eben vor Ort beschaffen.

SCHLUSSBEMERKUNG

Torbole sul Garda ist nicht nur ein fantastischer Ort zum Windsurfen und Mountainbiken, sondern auch zum Schreiben. Schon Goethe hat hier 1786 Station gemacht und an der ‹Iphigenie› gearbeitet: ‹... es ist im Angesichte des Sees gut vonstatten gegangen.›

Leider konnte dieser Roman dort nicht abgeschlossen werden; die Hitze und ein Festplattendefekt setzten allen Bemühungen ein jähes Ende. So wurde er in Nordwestmecklenburg vollendet, wo es bekanntlich auch sehr schön ist.

Der Autor dankt allen ihm nahestehenden Menschen für ihre Geduld, wenn er mal wieder unansprechbar war.

QUELLEN

P. Karlson: Kurzes Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler. Stuttgart 1980

Y. Shimomura und A. M. Christiano: Biology and Genetics of Hair. Annual Review of Genomics and Human Genetics. 11/2010, Seiten 109–132

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet die Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Rolf Redlin: Bärensommer

Roman

© Männerschwarm Verlag, Hamburg 2011

Umschlaggestaltung: Carsten Kudlik, Bremen

Ebook-Ausgabe 4-2011

ISBN 978-3-86300-021-9

ISBN der Buchausgabe:

978-3-939542-61-2

Männerschwarm Verlag

Lange Reihe 102 –20099 Hamburg

www.maennerschwarm.de

üBER ROLF REDLIN UND SEINE BÜCHER

Rolf Redlin wurde 1958 als Sohn eines Hafenarbeiters geboren. Er lebt in Hamburg und ist in der Medizintechnik tätig. Nach mehreren Sachbüchern zu populären technischen Themen – unter anderem fünf Motorradbüchern – erschien 2009 sein erster Roman «Bodycheck», darauf folgte der Krimi «Bullenbeißer».

Bodycheck

Inhalt:

Manfred fährt LKW für einen Baumarkt, bringt hundert Kilo Muskelmasse auf die Wage und joggt lieber um den See, als in der Szene abzuhängen. Er mag es bodenständig, Studenten haben bei ihm keine Chance. Als er seine Mutter in einem winzigen Kaff in Mecklenburg besucht, lernt er dort Toralf kennen, einen Dachdecker, der seine Freizeit mit Bodybuilding und tiefergelegten Autos verbringt. Toralf ist verblüfft, dass auch ganz normale Kerle schwul sein können, und zwischen den beiden bahnt sich etwas an.

Eine rundum originelle Liebesgeschichte aus einer Arbeits- und Lebenswelt, in der es auf körperliche Leistung ankommt und die auch schmalbrüstige Leser nicht kalt lässt.

Presse:

«Auf den ersten Blick erzählt Bodycheck auf ein weiteres Mal die uralte Geschichte eines späten Coming-outs und davon, wie zwei bodenständige Männer zueinander finden. Neu und ungewöhnlich aber sind die kleinen Besonderheiten dieses angehenden Paares. Der LKW-Fahrer Manfred ist erfahren in der schwulen Welt, wenngleich er sich dort eher unwohl fühlt; Toralf hingegen sitzt in einem gottverlassenen Nest in der mecklenburgischen Provinz. Was beide äußerlich verbindet sind nicht allein die Muskelmassen. Beide tragen ihre Zunfthosen tatsächlich als Arbeitskleidung und nicht nur als Fetischklamotten.» (Axel Schock in Hinnerk)

Klappenbroschur, 176 Seiten

ISBN: 978-3-939542-41-4

Bullenbeißer

Inhalt:

Lars Brentrop ist Streifenpolizist. Eines Abends drückt ihm sein Kumpel Gerd einen Zettel mit einer rätselhaften Ziffernfolge in die Hand: «Falls ich mich bis morgen nicht bei dir melde». Lars ahnt nicht, dass der Zettel die GPS-Koordinaten enthält, die Gerd zu seinem Mörder führen. Als Gerd am Stadtrand von Hamburg tot aufgefunden wird, fühlt Lars sich gefordert. Undercover ermittelt er in der Ringerszene und in einem dubiosen Filmstudio. Dabei lernt er Flo und Orkan kennen, zwei Männer, die ihm schließlich sogar das Leben retten.

Auch Bullenbeißer ist in der Welt der Muskeln und des Kraftsports angesiedelt - der Mörder braucht keine anderen Waffen als das Internet und seine bloßen Hände. Eine explosive Mischung aus Steroiden, GPS und schnellen Motorrädern.

Presse:

«Männer, Muskeln, Mörder - Rolf Redlin hat nicht nur einen Faible für Motorräder, sondern auch für echte Kerle.» (Hinnerk)

Broschur, 264 Seiten

ISBN: 978-3-939542-87-2