Der Kerl im Mann - Rolf Redlin - E-Book

Der Kerl im Mann E-Book

Rolf Redlin

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Beschreibung

Rolf Redlin ist mit einer unersättlichen Fabulierfreude gesegnet. In seinen Romanen und Geschichten erkundet er Lustvolles und Abgründiges unter der nur scheinbar harmlosen Oberfläche des Alltagslebens. Ob LKW-Fahrer, Streifenpolizisten oder Dachdecker, sie alle haben, glaubt man Redlin, es faustdick hinter den Ohren (und nicht nur dort). Jede Menge Rolf-Redlin-to-Go für seine Fangemeinde! Joachim Bartholomae Der vorliegende Band ist eine Sammlung neuer und bereits andernorts veröffentlichter Kurzgeschichten.

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Seitenzahl: 135

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Autor

Rolf Redlin wurde 1958 als Sohn eines Hafenarbeiters in Hamburg geboren. Nach einem naturwissenschaftlichen Studium war er in der Krebsforschung aktiv. Anschließend betätigte er als Herausgeber einer Motorradzeitung und veröffentlichte mehrere Sachbücher zu populären technischen Themen, unter anderem fünf Motorradbücher. Er leitete die technische Kommunikation bei einem bekannten medizintechnischen Unternehmen und veröffentlichte vier Romane.

www.rolf-redlin.de

Titelillustration

»hey you COME OUT and play« by SexyB

Tai Wang lebt auf Taiwan. Unter dem Label SexyB veröffentlicht er Illustrationen rund um das Thema Bären.

www.sexyb.idv.tw

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Kentucky Fried Chicken

Nieselregen

Bullenkoppel e.V.

Director’s Cut 2.0

Schnauz

Mein Freund Colt Seavers

Liefern auf Bestellung

Fünf Jahre

Jackensammlung

Bärensommer – Director’s Cut

Schmutzige Geheimnisse

Treptowsee

Migrantengorilla

Tschüß, Gunnar

Eicheln unter Trekkingschuhen

Schüsse auf Enduristen

Stratenkämpfers in Meckelnborg

Mein Mecklenburg

Bodycheck

Bullenbeißer

Bärensommer

Sprachlos

Geleitwort

Rolf Redlin ist mit einer unersättlichen Fabulierfreude gesegnet. In seinen Romanen und Geschichten erkundet er Lustvolles und Abgründiges unter der nur scheinbar harmlosen Oberfläche des Alltagslebens. Ob LKW-Fahrer, Streifenpolizisten oder Dachdecker, sie alle haben, glaubt man Redlin, es faustdick hinter den Ohren (und nicht nur dort).

Und offensichtlich beschäftigen ihn die Figuren, die seine Romane bevölkern, auch dann noch, wenn die letzte Seite geschrieben und das Buch gedruckt wurde: Einige der Erzählungen dieser Sammlung sind gewissermaßen ›Bonus-Tracks‹ zu Publikumslieblingen wie Manfred, Toralf, Lars und Hauke, und manchmal trage ich als sein Lektor die Verantwortung, dass eine Episode nicht im Roman, sondern erst hier das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Jede Menge Rolf-Redlin-to-Go für seine Fangemeinde!

Joachim Bartholomae

Kentucky Fried Chicken

Der Schornstein des Heizwerks überragte selbst die zwölfstöckigen Wohnblocks. Rot leuchteten die Ringe an seiner Spitze. Solange Erdem sich erinnern konnte, stand er da. Wie oft hatte er mit den beiden Brüdern auf der Autobahn nach ihm Ausschau gehalten, wenn sie sich in Vaters Ford Mümmelmannsberg näherten. Der weithin sichtbare Schlot signalisierte Heimat und Geborgenheit.

Auch heute orientierte er sich am Schornstein. Ihm schien, als wiese der den Weg.

Schon für den Tag nach seinem achtzehnten Geburtstag hatte er sich vorgenommen, endgültig zum Erwachsenen zu werden. Doch wie immer hatte er in letzter Minute gekniffen, den Plan von heute auf morgen verschoben. Später hatte er es nach der schriftlichen Abiturprüfung tun wollen, dann am Tag als sie ihm das Abiturzeugnis aushändigten. Gestern nun endlich der Zulassungsbescheid. In ein paar Jahren würde er das erste Familienmitglied mit einem Universitätsabschluss sein. Die beiden Brüder mochten stärker und unerschrockener sein, er war schlauer.

Langsam ging er auf den Schornstein zu. Am besten dachte er nicht darüber nach, was ihn erwarten würde. Womöglich brächte ihn die Aufregung erneut dazu, einen Rückzieher zu machen.

Seine älteren Brüder, die waren Draufgänger. Zeitig hatten sie ihre Erfahrungen gesammelt. Mit deutschen oder polnischen Freundinnen, unternehmungslustigen Mädels, nicht von eifersüchtigen Brüdern abgeschirmt. Ihm selbst lagen derartige Aktivitäten fern. Die beiden sahen es dem Bücherwurm nach. Selbst der Vater, den seine intellektuellen Fähigkeiten zunächst verstörten, entwickelte im Laufe der Zeit so etwas wie Stolz.

Dabei war Erdem die Anwesenheit von Mädchen nicht unangenehm. Mit ihnen konnte er wenigstens vernünftig reden, sie alberten nicht so herum wie die gleichaltrigen Jungs. In der Oberstufe des Gymnasiums lernte er Ayla kennen. Heimlich trafen sich die beiden nach dem Unterricht bei McDonald’s. Sie führten lange Gespräche über Texte, die sie im Deutschunterricht lasen. Ayla vertrat die Ansicht, ›Andorra‹ besäße auch heute noch Gültigkeit und eines Tag würden die Türken vielleicht Rolle der Juden einnehmen. Er wies das strikt zurück. Türken würden niemals wie Juden sein. Er dachte an seine beiden Brüder und war sich dessen sehr sicher. Bei allen Debatten achtete Ayla peinlich darauf, dass sie im Restaurant einander immer gegenüber saßen und niemals nebeneinander.

Ihm gefiel das sehr.

Natürlich bekamen die Brüder Wind von dieser Beziehung und die Sache machte die Runde in der Familie. Erdem wunderte sich, dass sie alle irgendwie erleichtert waren, die Mutter ebenso wie die Brüder. Der Vater tätschelte ihm sogar die Schulter. Das hatte er nur selten getan, selbst als Erdem noch ein kleiner Junge war. Dabei war die Angelegenheit doch rein platonisch, auch wenn der Vater dieses griechische Adjektiv nicht gemocht hätte.

Wenn Erdem für sich war, dann verschwendete er keinen Gedanken an Ayla, so nett sie auch immer sein mochte. Wenn er allein war, stellte er sich Männer vor. Männer, die ihn vor der Welt beschützten. Er wusste, dass dies keine wohlgelittenen Phantasien waren.

Erdem folgte dem Schornstein, immer die Kandinskyallee entlang. Nur noch ein paar Meter bis zum Eingang der U-Bahn. Unter dem gläsernen Dach auf den marineblauen Trägern führte der Weg hinab in die Unterwelt.

Wenn der Vater wüsste, wohin er jetzt ging, er würde ihn ohne zu zögern einsperren. Dabei war der gute Mann sogar Wegbereiter in dieser Angelegenheit gewesen. Selbstredend ohne es zu wissen. Nach dem Abschluss der zehnten Gymnasialklasse hatte ihm der stolze Vater ein eigenes Notebook geschenkt. Ein Computer nur für ihn allein, dem Zugriff der Brüder entzogen. So entdeckte er im Internet eine ihm zuvor unbekannte Welt und stellte erleichtert fest, dass er mit seinen erotischen Phantasien nicht allein war.

Erdem ging die Stufen zum Bahnsteig hinunter. Unten stand ein abfahrbereiter Zug, Menschen hasteten vorbei, aus den Lautsprechen rief es Zurückbleiben bitte!. Er ließ den Zug fahren. Vielleicht war es besser, noch einmal nachzudenken, nichts zu überstürzen.

Wieder und wieder hatte er sich vorgenommen, auf eine Verabredung mit einem Mann einzugehen. Einmal hatte er es bereits getan, war dann aber schon am Anfang der Kandinskyallee umgekehrt. Dabei war alles so einfach, er musste sich nur ein einziges Mal überwinden. Hinterher würde es nie wieder so sein wie vorher. Hinterher wäre er frei und leicht. Ein neuer Mensch.

Über dem Bahnsteig zählte der Anzeiger die Minuten bis zur Abfahrt des nächsten Zuges. Der ging nur bis Hagenbeck’s Tierpark. Egal, Erdem wollte ohnehin nur zwei Stationen weit. Der Zug hielt, er stieg ein und blieb neben der Tür stehen.

Eigenartig, er war überhaupt nicht aufgeregt. Jedenfalls nicht im Wortsinne. Sein Herz klopfte ihm nicht bis zum Hals. Er hatte sich mit einem Typ verabredet, der so alt wie der älteste Bruder war. Besser konnte er es nicht treffen. Heute musste es geschehen.

Erdem stieg am Bahnhof Billstedt aus, schlenderte langsam durch das Einkaufszentrum in Richtung Billstedter Hauptstraße. Niemand beachtete ihn. Sahen ihm die Passanten nicht an, was er vorhatte? Etwas, von dem seine Mutter sich nicht trauen würde, es auszusprechen? Er hielt einen Moment inne. Besser nicht an die Mutter denken, sonst würde er am Ende wieder umdrehen.

Er ging die Straße entlang, dem Restaurant entgegen, wo sie Brathähnchen aus Kentucky verkauften. Den Parkplatz hinter dem roten Flachbau hatten sie als Treffpunkt ausgemacht. Schritt für Schritt näherte er sich. Vom Dach lachte ihn Firmengründer Colonel Harland Sanders an. Die Blase drückte vor Aufregung. Rasch ging er noch auf die Toilette und verriegelte dort die Kabinentür hinter sich. Er pinkelte nur tropfenweise. Jemand hatte mit Edding einen erigierten Penis an die Trennwand gemalt.

Nachdem er sich erleichtert hatte, trat er hinaus auf den Parkplatz. Die letzten Meter musste er nicht mal mehr seinen Mut zusammennehmen. Die Beine liefen einfach wie von selbst.

Den dunklen Peugeot sah er auf den ersten Blick. Der Fahrer war hinter der getönten Windschutzscheibe nicht zu erkennen. Von Bildern wusste Erdem, dass er durchtrainiert aussah. Der würde sich zu wehren wissen, wenn es sein musste. Wieder und wieder hatte er sich vorgestellt, wie dieser Mann ihm schützend den Arm auf die Schultern legte. Die Beifahrertür öffnete sich. Erdem beugte sich hinunter.

»Ich bin Nils«, sagte der Mann und lächelte. »Steig ein.«

Erdem atmete tief durch. Ein zehn Jahre älterer Mann. Neben ihm. Er betrachtete die kräftige gepflegte Hand am Schaltknüppel. Die Fingernägel waren eine Spur zu lang. Für einen Mann. Na ja, vielleicht hatte er keine Lust, sie regelmäßig zu schneiden. Das konnte Erdem nachvollziehen. Körperlich arbeiten musste der Blonde jedenfalls nicht. Erdem rückte auf dem Sitz hin und her, weil es in seiner Hose drückte. Sie hielten an einer Ampel und die fremde Hand legte sich sanft in seinen Nacken.

Pack zu, dachte er.

Im Chat war es so einfach gewesen, über intime Dinge zu reden. Über Hoffnungen, über Träume. Was er vom Leben erwartete. Und über Sex. Natürlich über Sex. Auch und vor allem über Sex. Und das erste Mal.

Nils war so verständnisvoll rübergekommen, hatte Mut gemacht, wirkte vertrauenswürdig. Irgendwann musste Erdem jemandem vertrauen. Warum also nicht ihm. Die Aufregung schnürte Erdem die Kehle. Sie sollten jetzt ein paar freundliche Worte wechseln. Die Stimmung lockern. Er brachte kein Wort heraus.

Nils wirkte routiniert, als hätte er jeden Tag einen fremden jungen Mann im Wagen. Seine Augenbrauen leuchteten unablässig. Hoffentlich würde er sich bei aller Routine noch daran erinnern, dass dies Erdems erstes Mal war. Verdammt, er wollte nicht verzagt sein. Jetzt war Schluss mit den Bedenken.

Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt parkte Nils den Wagen unweit einer S-Bahnbrücke. »Da drüben wohne ich«, sagte er und zeigte auf ein vierstöckiges Mietshaus.

Dies war definitiv die letzte Gelegenheit, den Gang der Dinge noch aufzuhalten. Einfach nur weglaufen, schoss es Erdem durch den Kopf. Mehr war nicht zu tun. Die Beine in die Hand nehmen und ab in die S-Bahn. Am Berliner Tor umsteigen und zurück zum heimischen Schornstein. Und den Brüdern.

Nein, nein, nein.

Diesmal wurde nicht gekniffen. Heute sollte es geschehen. Er konnte nicht sein ganzes Leben davonlaufen und die schönsten Dinge verpassen. Da musste er jetzt durch. Und der Kerl sah wenigstens gut aus. Sportlich. Athletisch. Was für ein verdammtes Glück, dass er ihn gefunden hatte. Er folgte ihm in die winzige Wohnung. Nils bot ihm etwas zu trinken an. Kaffee, Tee, Bier, Wasser. Erdem lehnte dankend ab.

Plötzlich ertönte Musik. Nils zog sein Handy aus der Brusttasche und mit den Worten »jetzt nicht« drückte er die rote Taste. Dann strich er langsam durch Erdems Haar.

»Aufgeregt?«

Erdem nickte stumm und unterdrückte mit aller Macht den Reflex, den Kopf wegzuziehen. Er sah zwei Gitarren an der Wand hängen. Ein Musiker? Erdem hatte sich einen richtigen Mann gewünscht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass echte Männer musizierten. Vielleicht deswegen die längeren Fingernägel?

Die fremden Hände knöpften sorgsam sein Hemd auf. Einen Knopf nach dem anderen. Dann öffneten sie seinen Gürtel und den Hosenknopf. Für den Reißverschluss der Hose ließ Nils sich Zeit. Zog ganz langsam. Erdem sah fasziniert zu, glaubte, sein Schwanz würde jeden Moment explodieren. Die Hose glitt zu Boden.

Nils zog sich ebenfalls bis auf die Unterhose aus, legte sich auf das Bett und schlug mit der flachen Hand einladend auf die Matratze.

»Hey komm, ich beiß dich nicht.«

Erdem setzte sich auf die Bettkante und schaute in zwei tiefblaue Augen. Das war jetzt der ersehnte Moment. Nun würde es kein zurück mehr geben. Er legte sich daneben, eigentlich ganz einfach. Für einen Moment hielt er die Luft an. Die fremden Hände betasteten ihn ohne jede Scheu. Überall.

Und die Anspannung schwand. Erdem begann, die Berührungen zu genießen. Nils war kaum größer als er selbst. Man konnte seine Muskeln spüren, wenn man ihm mit der Hand über die feste Brust strich.

Am Bauch lockte ein feiner blonder Flaum. Erdem verfolgte mit den Fingerkuppen die Spur der Härchen. Wie sie sich um den Bauchnabel kräuselten. Danach verdichtete sich der helle Pelz, war dann aber an entscheidender Stelle vollends abrasiert.

Erschrocken zog Erdem seine Hand wieder zurück.

Nils nahm ihn in den Arm und drückte ihn. Wenn er nur etwas kräftiger zupacken würde. Zu gern würde Erdem seine Kraft richtig spüren. Am besten, bis er keine Luft mehr bekam. Stattdessen schob der Mann ihm jetzt das Knie zwischen die Beine und rollte sich auf ihn.

Erdem schloss die Augen. Was auch immer der Mann vor hatte, von nun an würde er es geschehen lassen.

Erstmalig erschienen in:

Mein schwules Auge 11 (2014), Das schwule Jahrbuch der Erotik, Konkursbuchverlag Tübingen

Nieselregen

Nieselregen, Bergner und ich fahren im Schritttempo durch Wohnstraßen. Es dunkelt, die Spätschicht geht in die zweite Halbzeit.

»Was zum Teufel zieht dich eigentlich nach Hamburg?«, fragt Bergner.

Ich räuspere mich. »Hab’ ich dir doch alles schon erklärt. Studieren, gehobener Dienst, mehr Geld und so weiter und so fort.«

»Lars Brentrop auf dem Karrieretrip, ich glaub’s echt nicht.« Bergner verschränkt die Arme. »Aber du kannst das alles hier in NRW haben. Mit Chance kommst du hinterher zurück nach Düsseldorf und nicht ins Sauerland. Gib’s doch zu, dass du da was am Laufen hast. Ich kenn dich doch, du lässt nie was anbrennen.«

Das trifft ins Schwarze. Wenn man über Jahre täglich zu zweit im Auto hockt, lernt man sich besser kennen als manches Ehepaar. Bevor er weiter bohren kann, meldet sich die Einsatzzentrale.

»Düssel 23/1 von Düssel kommen!«

»Düssel 23/1 hört«, antwortet Bergner.

»Düssel 23/1 fahren Sie zur Füsilierstraße 78, zweite Etage, dort wird die Ehefrau vom Ehemann bedroht. Sonderrechte unter Beachtung der besonderen Sorgfaltspflicht zugelassen. Zu ihrer Unterstützung ist mit eingesetzt Düssel 24/1. Düssel 23/1 Sie übernehmen die Führung. Uhrzeit: 21:36 Uhr. Kommen!«

»Düssel 23/1 hat verstanden. Ende.« Bergner beendet die Verbindung und dreht sich zu mir. »Kurz vor Dienstschluss und wir ziehen mal wieder die A-Karte.«

Ich schalte das Blaulicht ein und gebe Gas.

Wir halten vor einem Mietshaus aus den sechziger Jahren. Heike und Sven erwarten uns schon, die Kragen der Dienstjacken hochgeschlagen. An der Hauswand lehnt ein etwa zehnjähriger Junge und knetet einen Plüschhund.

»Was ist los?«, fragt Bergner.

»Zweiter Stock, Stiefvater verprügelt Mutter. Der Sohn konnte flüchten.« Sven deutet mit der Hand zur Hauswand.

Der Junge zieht Rotz hoch, drückt sich den Hund an die Brust und schaut uns mit großen Augen an.

»Lars, du bleibst bei ihm, wir drei gehen hoch«, sagt Bergner.

Sein Blick duldet keinen Widerspruch. Dabei kann er sich denken, dass ich nicht die geringste Lust auf Babysitting habe. Den lieben Schutzmann geben, dein Freund und Helfer. Kann nicht Heike… ? Natürlich kann sie nicht. Sie wird oben gebraucht, muss sich um die Ehefrau kümmern. Bergner hat seine Anweisungen gegeben und jetzt, während des Einsatzes, gibt es keine Diskussion.

Die drei verschwinden im Treppenhaus, und ich beuge mich zu dem Jungen. »Wie heißt du denn?«

»Felix.« Er zieht wieder den Rotz hoch.

»Hallo Felix, ich bin Lars. Hast du die Polizei alarmiert?«

Felix nickt und sieht mich an. Ich ziehe eine Packung Tempotücher aus der Jacke und wische ihm die Nase ab.

»Das war völlig richtig von dir. Pass auf, hast du schon mal in einem Streifenwagen gesessen?«

Felix schüttelt den Kopf.

»Na, dann komm mal mit.«

Ich schiebe ihn auf den Fahrersitz und stülpe ihm die Dienstmütze über. Felix kurbelt am Lenkrad. Währenddessen hocke ich in der geöffneten Tür.

»Gefällt’s dir?«

Felix nickt. Sein Plüschhund sitzt auf dem Beifahrersitz. Die Einsatzzentrale meldet sich, und ich antworte. Felix beobachtet mich dabei aufmerksam. Anschließend erkläre ich ihm die Tasten des Funkgeräts.

Die drei kehren unterdessen aus dem Haus zurück. Heike und Sven rücken sofort ab zum nächsten Einsatz. Bergner trägt eine bunte Reisetasche und geht damit zum Kofferraum. Ich erhebe mich.

Er verdreht die Augen. »Die Kindesmutter will bei ihrem Mann bleiben. Sie möchte, dass wir den Jungen zu seiner Großmutter bringen.«

Immer das gleiche. Bergner schnappt sich das Plüschtier und setzt sich auf den Beifahrersitz. Ich wende mich wieder dem Polizei-Nachwuchs zu.

Der Kleine zeigt mit ausgestrecktem Finger auf die frische Narbe an meiner Stirn, die sonst von der Dienstmütze verborgen ist. »Woher hast du das?«

»Das wüsste ich allerdings auch gern.« Bergner sitzt auf dem Beifahrersitz, den Hund auf den Knien. »Aber noch ist er nicht damit rausgerückt.«

Ich lasse mich nicht beirren. »Da hat mich ein Mann überfallen.«

»War das ein Verbrecher?« Felix’ Mund bleibt offen stehen.

Ich nicke. »Ja. Er hatte einen Baseballschläger und wollte seine Ex-Freundin verhauen. Ich habe sie beschützt.«

»Ist der Verbrecher jetzt im Gefängnis?«

»Ja, wir haben ihn gleich festgenommen.«

»Ich will auch Polizist werden«, verkündet Felix und sieht mich mit glänzenden Augen an.