Barfüßele - Berthold Auerbach - E-Book

Barfüßele E-Book

Berthold Auerbach

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Beschreibung

In Berthold Auerbachs Buch 'Barfüßele' wird die Geschichte eines jungen Mädchens aus dem Schwarzwald erzählt, das mit ihren einfachen aber tiefgründigen Gedanken und Handlungen die Menschen um sie herum verzaubert. Auerbachs literarischer Stil zeichnet sich durch eine detaillierte Beschreibung der ländlichen Umgebung und eine einfühlsame Darstellung der Charaktere aus. Das Buch reflektiert die sozialen und kulturellen Konflikte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und bietet Einblicke in das Leben der einfachen Menschen dieser Zeit. Berthold Auerbach hat durch seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen inspirierende Geschichten geschaffen, die bis heute Leser auf der ganzen Welt faszinieren. Mit seinem feinen Gespür für menschliche Emotionen und das Detailreichtum in seiner Beschreibung der Natur, schafft Auerbach eine berührende Erzählung, die sowohl unterhält als auch zum Nachdenken anregt. 'Barfüßele' ist ein zeitloses Meisterwerk, das Leser jeden Alters begeistern wird.

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Berthold Auerbach

Barfüßele

Eine Dorfgeschichte

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1659-8

Inhaltsverzeichnis

1. Die Kinder klopfen an.
2. Die ferne Seele.
3. Vom Baum am Elternhause.
4. Thu’ dich auf.
5. Auf dem Holderwasen.
6. Die Eigenbrätlerin.
7. Die barmherzige Schwester.
8. Sack und Axt.
9. Ein ungebetener Gast.
10. Nur ein einziger Tanz.
11. Wie’s im Liede steht.
12. Er ist gekommen.
13. Aus einem Mutterherzen.
14. Der Schimmelreiter.
15. Gebannt und erlöst.
16. Silbertrab.
17. Ueber Berg und Thal.
18. Das erste Herdfeuer.
19. Geheime Schätze.
20. Im Familiengeleise.

1. Die Kinder klopfen an.

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Morgens früh im Herbstnebel wandern zwei Kinder von sechs bis sieben Jahren, ein Knabe und ein Mädchen, Hand in Hand durch die Gartenwege zum Dorf hinaus. Das Mädchen, um ein Merkliches älter, hält Schiefertafel, Bücher und Schreibhefte unter dem Arm; der Knabe hat das Gleiche in einem offenen grauleinenen Beutel, der ihm über die Schulter hängt. Das Mädchen hat eine Haube von weißem Drill, die fast bis an die Stirn reicht und die weit vorstehende Wölbung der Stirn um so schärfer hervortreten läßt; der Knabe ist barhaupt. Man hört nur Einen Schritt, denn der Knabe hat feste Schuhe an, das Mädchen aber ist barfuß. So oft es der Weg gestattet, gehen die Kinder neben einander, sind aber die Hecken zu eng, geht das Mädchen immer voraus.

Auf dem falben Laub an den Sträuchern liegt ein weißer Duft und die Mehlbeeren und Pfaffenhütchen, besonders aber die aufrechtstehenden Hagebutten auf nacktem Stengel sind wie versilbert. Die Sperlinge in den Hecken zwitschern und fliegen in unruhigen Haufen auf beim Herannahen der Kinder und setzen sich wieder nicht weit von ihnen, bis sie von Neuem aufschwirren und endlich sich hinein in einen Garten werfen, wo sie sich auf einem Apfelbaum niederlassen, daß die Blätter raschelnd niederfallen. Eine Elster fliegt rasch auf vom Weg, feldein auf den großen Holzbirnenbaum, wo die Raben still hocken; sie muß ihnen etwas mitgetheilt haben, denn die Raben fliegen auf, kreisen um den Baum und ein Alter läßt sich nieder auf der höchsten schwankenden Kronenspitze und die anderen finden auf den niederen Aesten auch gute Plätze zum Ausschauen. Es verlangt sie wohl auch zu wissen, warum die Kinder mit dem Schulzeug den verkehrten Weg einschlagen und zum Dorfe hinauswandern; ja ein Rabe fliegt wie ein Kundschafter voraus und setzt sich auf eine geköpfte Weide am Weiher. Die Kinder aber gehen still ihres Weges bis da, wo sie am Weiher bei den Erlen die Fahrstraße erreichen, sie gehen über die Straße nach einem jenseits stehenden niedrigen Hause. Das Haus ist verschlossen und die Kinder stehen an der Hausthür und klopfen leise an. Das Mädchen ruft beherzt: »Vater! Mutter!« und der Knabe ruft zaghaft nach: »Vater! Mutter!« Das Mädchen faßt die bereifte Thürklinke und drückt erst leise; die Bretter an der Thüre knittern, es horcht auf, aber es folgt Nichts nach, und jetzt wagt es in raschen Schlägen die Klinke auf und nieder zu drücken, aber die Töne verhallen in der öden Hausflur; keine Menschenstimme antwortet, und den Mund an einen Thürspalt legend ruft der Knabe: »Vater! Mutter!« Er schaut fragend auf zur Schwester, sein Hauch an der Thür ist auch zu Reif geworden, wie er niederblickt.

Aus dem nebelbedeckten Dorf tönt der Taktschlag der Drescher, bald wie rascher sich überstürzender Wirbel, bald langsam und müde sich nachschleppend, bald hell knatternd und dann wieder dumpf und hohl; jetzt tönen nur noch einzelne Schläge, aber rasch fällt Alles wiederum ein von da und dort. Die Kinder stehen wie verloren. Endlich lassen sie ab von Klopfen und Rufen und setzen sich auf ausgegrabene Baumstümpfe. Diese liegen auf einem Haufen rings um den Stamm des Vogelbeerbaums, der an der Seite des Hauses steht und jetzt mit seinen rothen Beeren prangt. Die Kinder heften den Blick noch immer auf die Thüre, aber diese bleibt verschlossen.

»Die hat der Vater im Moos-Brunnenwald geholt,« sagt das Mädchen auf die Baumstümpfe zeigend; und mit altkluger Miene setzt es hinzu: »Die geben gut warm, die sind was werth, da ist viel Kien drin, das brennt wie eine Kerze; aber der Spalterlohn ist das Größte dabei.«

»Wenn ich nur schon groß wär’,« erwidert der Knabe, »da nähm’ ich des Vaters große Axt und den buchenen Schlägel und die zwei eisernen Speidel (Keile) und den eschenen und da muß Alles auseinander wie Glas, und dann mach’ ich daraus einen schönen spitzigen Haufen wie der Kohlenbrenner Mathes im Wald und wenn der Vater heimkommt, der wird sich aber freuen!« Die Schwester schien doch schon eine dämmernde Ahnung davon zu haben, daß es mit dem Warten auf Vater und Mutter nicht geheuer sein könne, denn sie sah den Bruder gar traurig an und da ihr Blick an den Schuhen haftete, sagte sie: »Dann mußt du auch des Vaters Stiefel anhaben. Aber komm’, wir wollen Bräutle lösen. Und wirst sehen, ich kann weiter werfen als du.«

Im Fortgehen sagte das Mädchen: »Ich will dir ein Räthsel aufgeben: welches Holz macht heiß, ohne daß man’s verbrennt?«

»Des Schullehrers Lineal, wenn man Tatzen kriegt,« erwiderte der Knabe.

»Nein, das mein’ ich nicht; das Holz, das man spaltet, das macht heiß, ohne daß man’s verbrennt.« Und bei der Hecke stehen bleibend, fragte sie: »Es sitzt auf einem Stöckchen, hat ein rothes Röckchen, und das Bäuchlein voll Stein, was mag das sein?«

Der Knabe besann sich ganz ernstlich und rief: »Halt, du darfst mir’s nicht sagen, was es ist … Das ist ja eine Hagebutte.«

Das Mädchen nickte beifällig und machte ein Gesicht, als ob sie ihm das Räthsel zum Erstenmal aufgegeben hätte, während sie es doch schon oft gethan hatte und nur immer wieder aufnahm, um ihn damit zu erheitern.

Die Sonne hatte grade die Nebel zertheilt und das kleine Thal stand in hellglitzernder Pracht, als die Kinder nach dem Teiche gingen, um flache Steine auf dem Wasser tanzen zu machen. Im Vorübergehen drückte das Mädchen nochmals an der Hausklinke, aber sie öffnete sich noch immer nicht und auch am Fenster zeigte sich nichts. Jetzt spielten die Kinder voll Jubel und Lachen am Teich und das Mädchen schien eigentlich zufrieden, daß der Bruder noch immer geschickter war und darüber triumphirte und ganz hitzig wurde; ja das Mädchen machte sich offenbar ungeschickter als es wirklich war, denn seine Steine plumpsten fast immer beim ersten Anwurf in die Tiefe, worüber es weidlich ausgelacht wurde. Im Eifer des Spiels vergaßen die Kinder ganz, wo sie waren und warum sie eigentlich dahergekommen. Und doch war Beides so traurig als seltsam.

In dem jetzt verschlossenen Hause wohnten noch vor Kurzem der Josenhans mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Amrei (Anna Marie) und Dami (Damian). Der Vater war Holzhauer im Walde, dabei aber auch anstellig zu allerlei Gewerk, denn das Haus, das er in verwahrlostem Zustand erkauft, hatte er noch selber verputzt und das Dach umgedeckt und noch im Herbst wollte er’s von innen frisch ausweißen: der Kalk dazu liegt schon dort in der mit röthlichem Reißig überdeckten Grube. Die Frau war eine der besten Taglöhnerinnen im Dorfe, Tag und Nacht in Leid und Freud’ zu Allem bei der Hand; denn sie hatte ihre Kinder und besonders die Amrei gut gewöhnt, daß sie schon früh für sich selber sorgen konnten. Erwerb und haushälterische Genügsamkeit machten das Haus zu einem der glücklichsten im Dorf. Da warf eine schleichende Krankheit die Mutter nieder und am andern Abend auch den Vater, und nach wenigen Tagen trug man zwei Särge aus dem kleinen Hause. Man hatte die Kinder alsbald in das Nachbarhaus zum Kohlenmathes gebracht und sie erfuhren den Tod der Eltern erst, als man sie sonntäglich ankleidete, um hinter den Leichen drein zu gehen.

Der Josenhans und seine Frau hatten keine nahen Verwandten im Ort und doch hörte man laut weinen und die Verstorbenen rühmen, und der Schultheiß führte die beiden Kinder hüben und drüben an der Hand, als sie hinter den Särgen drein gingen. Noch am Grabe waren die Kinder still und harmlos, ja sie waren fast heiter, wenn sie auch oft nach Vater und Mutter fragten; denn sie aßen beim Schultheiß am Tisch und Jedermann war überaus freundlich gegen sie, und als sie vom Tisch aufstanden, bekamen sie noch Küchle in ein Papier gewickelt zum Mitnehmen. Als indeß am Abend, auf Anordnung des Gemeinderaths, der Krappenzacher den Dami mitnahm und die schwarze Marann’ die Amrei abholte, da wollten sich die Kinder nicht trennen und weinten laut und wollten heim. Der Dami ließ sich bald durch allerlei Vorspiegelungen beschwichtigen, Amrei aber mußte mit Gewalt gezwungen werden, ja sie ging nicht vom Fleck und der Großknecht des Schultheißen trug sie endlich auf dem Arm in das Haus der schwarzen Marann’. Dort fand sie zwar ihr Bett aus dem Elternhause, aber sie wollte sich nicht hineinlegen, bis sie vom Weinen müde auf dem Boden einschlief und man sie mitsammt den Kleidern in’s Bett steckte. Auch den Dami hörte man beim Krappenzacher laut weinen, worauf er dann jämmerlich schrie und bald darauf ward er still. Die vielverschrieene schwarze Marann’ bewies aber schon an diesem ersten Abend, wie still bedacht sie für ihren Pflegling war. Sie hatte schon viele, viele Jahre kein Kind mehr in ihrer Umgebung gehabt und jetzt stand sie vor dem schlafenden und sagte fast laut: »Glücklicher Kinderschlaf! Das weint noch, und gleich darauf, im Umsehen, ist es eingeschlafen, ohne Dämmern, ohne Hin-und Herwerfen.«

Sie seufzte schwer.

Am andern Morgen ging Amrei frühzeitig zu ihrem Bruder und half ihn ankleiden und tröstete ihn über das was ihm geschehen war; wenn der Vater käme, werde er den Krappenzacher schon bezahlen. Dann gingen die beiden Kinder hinaus an das elterliche Haus, klopften an die Thüre und weinten laut, bis der Kohlenmathes, der in der Nähe wohnte, herzukam und die Kinder in die Schule brachte. Er bat den Lehrer, den Kindern zu erklären, daß ihre Eltern todt seien, er selber wisse ihnen das nicht deutlich zu machen und besonders die Amrei scheine es gar nicht begreifen zu wollen. Der Lehrer that sein Mögliches und die Kinder waren ruhig. Aber von der Schule gingen sie doch wieder nach dem Elternhaus und warteten dort hungernd wie verirrt, bis man sie abholte.

Das Haus des Josenhans mußte der Hypothekengläubiger wieder an sich ziehen, die Anzahlung, die der Verstorbene darauf gemacht, ging verloren, denn durch die Auswanderungen ist namentlich der Häuserwerth beispiellos gesunken; es stehen viele Häuser im Dorfe leer und so blieb auch das Haus des Josenhans unbewohnt. Alle fahrende Habe war verkauft und daraus ein kleines Erbe für die Kinder erlöst worden; das reichte aber bei weitem nicht aus, das Kostgeld für sie zu erschwingen, sie waren Kinder der Gemeinde und darum brachte man sie unter bei denen, die sie am billigsten nahmen.

Amrei verkündete eines Tages ihrem Bruder mit Jubel, sie wisse jetzt, wo die Kukuksuhr der Eltern sei, der Kohlenmathes habe sie gekauft; und noch am Abend standen die Kinder draußen am Hause und warteten bis der Kukuk rief, dann lachten sie einander an.

Und jeden Morgen gingen die Kinder nach dem elterlichen Haus, klopften an und spielten dort am Weiher, wie wir sie heute sehen. Aber jetzt horchen sie auf: das ist ein Ruf, den man in dieser Jahreszeit sonst nicht hört, denn der Kukuk beim Kohlenmathes ruft achtmal.

»Wir müssen in die Schule,« sagte Amrei und wanderte mit ihrem Bruder rasch wiederum den Gartenweg hinein in das Dorf. An der hintern Scheuer des Rodelbauern sagte Dami: »Bei unserm Pfleger haben sie heute schon viel gedroschen.« Er deutete dabei auf die Wieden der abgedroschenen Garben, die wie Merkzeichen über dem Halbthore der Scheuer hingen. Amrei nickte still.

2. Die ferne Seele.

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Der Rodelbauer, dessen Haus mit dem rothangestrichenen Gebälk und einem frommen Spruch in großer Herzform, nicht weit vom Hause des Josenhans stand, hatte sich vom Gemeinderath zum Pfleger der verwaisten Kinder ernennen lassen. Er weigerte das um so weniger, da Josenhans vordem als Anderknecht bei ihm gedient hatte. Seine Pflegschaft bestand aber in weiter nichts, als daß er die unverkauften Kleider des Vaters aufbewahrte und manchmal, wenn er Einem der Kinder begegnete, im Vorübergehen fragte: »bist brav?« und ohne die Antwort abzuwarten, weiter schritt. Dennoch war in den Kindern ein seltsamer Stolz, da sie erfuhren, daß der Großbauer ihr Pfleger sei; sie kamen sich dadurch als etwas ganz Besonderes, fast Fürnehmes vor. Sie standen oft abseits bei dem großen Hause und schauten verlangend hinauf, als erwarteten sie Etwas und wußten nicht was; und bei den Eggen und Pflügen neben der Scheune saßen die Kinder oft und lasen immer wieder den Bibelspruch am Hause. Das Haus redete doch mit ihnen, wenn auch sonst Niemand daraus.

Es war am Sonntag vor Allerseelen, als die Kinder wiederum vor dem verschlossenen Elternhaus spielten – sie waren wie an den Ort gebannt – da kam die Landfriedbäuerin den Hochdorfer Weg herein; sie trug einen großen rothen Regenschirm unterm Arm und ein schwarzes Gesangbuch in der Hand. Sie machte den letzten Besuch in ihrem Geburtsorte, denn schon gestern hatte der Knecht auf einem vierspännigen Wagen den gesammten Hausrath zum Dorf hinausgefahren und morgen in der Frühe wollte sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern auf das neuerkaufte Gut im fernen Allgäu ziehen. Schon von weitem bei der Hanfbreche nickte die Landfriedbäuerin den Kindern zu, denn Kinder sind ein guter »Angang« – so nennt man die erste Begegnung – aber die Kinder konnten nichts davon sehen, so wenig als von den wehmuthsvollen Mienen der Bäuerin. Als sie jetzt bei den Kindern stand, sagte sie: »Grüß Gott, Kinder! Was thut denn ihr schon da? Wem gehöret ihr?«

»Da dem Josenhans,« antwortete Amrei, auf das Haus deutend.

»O ihr armen Kinder,« rief die Bäuerin, die Hände zusammenschlagend; »dich hätt’ ich kennen sollen, Mädle, grad so hat deine Mutter ausgesehen, wie sie mit mir in die Schul’ gegangen ist. Wir sind gute Kamrädinnen gewesen und euer Vater hat ja bei meinem Vetter, dem Rodelbauer, gedient. Ich weiß Alles von euch. Aber sag’ Amrei, warum hast du keine Schuhe an? Du kannst ja krank werden bei dem Wetter? Sag’ der Marann’, die Landfriedbäuerin von Hochdorf ließe ihr sagen, es sei nicht brav, daß sie dich so herum laufen läßt. Nein, brauchst Nichts sagen, ich will schon selber mit ihr reden. Aber Amrei, du mußt jetzt groß und gescheidt sein und selber auf dich Acht geben. Denk’ daran, wenn das deine Mutter wüßt’, daß du in solcher Jahrszeit so barfuß herumlaufst!« Das Kind schaute die Bäuerin groß an, als wollte es sagen: weiß denn die Mutter Nichts davon? Die Bäuerin aber fuhr fort: »Das ist noch das Aergste, daß ihr nicht einmal wissen könnet, was für rechtschaffene Eltern ihr gehabt: drum müssen’s euch ältere Leute sagen. Denket daran, daß ihr euren Eltern erst die rechte Seligkeit gebt, wenn sie im Himmel droben hören, wie hier unten die Menschen sagen: des Josenhansen Kinder, die sind die Probe von allem Guten, da sieht man recht deutlich den Segen der rechtschaffenen Eltern.«

Rasche Thränen rannen bei diesen letzten Worten der Bäuerin von den Wangen. Die schmerzliche Rührung in ihrer Seele, die noch einen ganz andern Grund hatte, brach jetzt bei diesen Gedanken und Worten unaufhaltsam hervor, und Eigenes und Fremdes floß ineinander. Sie legte ihre Hand auf das Haupt des Mädchens, das im Anblick der weinenden Frau auch heftig zu weinen begann; es mochte fühlen, wie sich eine gute Seele ihm zuwendete, und eine dämmernde Ahnung, daß es wirklich seine Eltern verloren, begann ihm aufzugehen.

Das Angesicht der Frau aber leuchtete plötzlich auf. Sie richtete das Auge, in dem noch Thränen hingen, zum Himmel auf und sagte: »Guter Gott, das schickst Du mir.« Dann fuhr sie zu dem Kind gewendet fort: »Horch, ich will dich mitnehmen. Meine Lisbeth ist mir in deinem Alter genommen worden. Sag, willst du mit mir in’s Allgäu gehen und bei mir bleiben?«

»Ja,« sagte Amrei entschlossen.

Da fühlte sie sich von hinten angefaßt und geschlagen.

»Du darfst nicht,« rief Dami, der sie umfaßte und sein ganzes Wesen zitterte.

»Sei stet,« beruhigte Amrei, »die gute Frau nimmt dich ja auch mit. Nicht wahr, mein Dami geht auch mit uns?«

»Nein, Kind, das geht nicht, ich hab’ Buben genug.«

»Dann bleib’ ich auch da,« sagte Amrei und faßte ihren Bruder an der Hand.

Die fremde Frau war in sich zusammengeschauert und jetzt sah sie mit einer Art von Erleichterung auf das Kind. In überwallender Empfindung, vom reinsten Zuge des Wohlthuns erfaßt, hatte sie eine That und eine Verpflichtung auf sich nehmen wollen, deren Schwere und Bedeutung sie nicht sattsam überlegt hatte, und namentlich wie ihr Mann, ohne vorher gefragt zu sein, das aufnehmen werde. Als jetzt das Kind selber sich weigerte, trat eine Ernüchterung ein und ihr ward Alles rasch klar; darum ging sie mit einer gewissen Erleichterung schnell auf die Abwehr ihres Unternehmens ein. Sie hatte ihrem Herzen genügt, indem sie die That thun wollte, und jetzt, da sich Hindernisse entgegenstellten, hatte sie eine eigene Art von Befriedigung, daß die That unterblieb, ohne daß sie selbst ihr Wort zurücknahm.

»Wie du willst,« sagte die Bäuerin. »Ich will dich nicht überreden. Wer weiß, vielleicht ist es auch besser so, daß du zuerst groß wirst. In der Jugend Noth ertragen lernen, das thut gut, das Bessere nimmt sich leicht an; wer noch etwas Rechtes geworden ist, hat in der Jugend Schweres erfahren müssen. Sei nur brav. Aber das behalt’ im Andenken, daß du allzeit, wenn du brav bist, um deiner Eltern willen eine Unterkunft bei mir haben sollst, so lang mir Gott das Leben läßt. Denk’ daran, daß du nicht verlassen bist auf der Welt, wenn dir’s übel geht. Merk’ dir nur die Landfriedbäuerin in Zusmarshofen im Allgäu. Und noch Eins. Sag’ im Dorf nichts davon, daß ich dich hab’ annehmen wollen; es ist auch wegen der Leute, sie werden dir’s übel nehmen, daß du nicht mitgegangen bist. Aber es ist schon gut so. Wart’, ich will dir noch was geben, daß du an mich denkst.« Sie suchte in den Taschen, aber plötzlich fuhr sie sich an den Hals und sagte: »Nein, nimm nur das.« Sie hauchte sich mehrmals in die steifen Finger, bis sie es zu Stande brachte, denn sie nestelte eine fünfreihige Granatschnur, daran ein gehenkelter Schweden-Dukaten hing, vom Halse und schlang das Geschmeide um den Hals des Kindes, wobei sie es küßte. Amrei sah wie verzaubert drein unter all diesen Hantierungen. »Für dich hab’ ich leider Nichts,« sagte die Frau zu Dami, der eine Gerte, die er in der Hand hielt, in immer kleinere Stücke zerbrach, »aber ich schicke dir ein Paar lederne Hosen von meinem Johannes, sie sind noch ganz gut. Du kannst sie tragen, wenn du größer bist. Jetzt b’hüt euch Gott, ihr lieben Kinder. Wenn’s möglich ist, komme ich noch zu dir Amrei. Schicke mir nach der Kirche jedenfalls die Marann.’ Bleibet brav und betet fleißig für eure Eltern in der Ewigkeit und vergesset nicht, daß ihr im Himmel und auf Erden noch Annehmer habt.«

Die Bäuerin, die zum behenden Gang ihren Oberrock in Zwickel aufgesteckt hatte, ließ ihn jetzt beim Eingange des Dorfes herab, und mit raschen Schritten ging sie das Dorf hinein und wendete sich nicht mehr um.

Amrei faßte sich an den Hals, beugte das Gesicht nieder und wollte immer die Denkmünze betrachten, aber es gelang ihr nicht ganz. Dami kaute an dem letzten Stück seiner Gerte, und als ihn jetzt die Schwester betrachtete und Thränen in seinen Augen sah, sagte sie:

»Wirst sehen, du kriegst das schönste Paar Hosen im Dorf.«

»Und ich nehm’ sie nicht,« sagte Dami und spie dabei ein Stück Holz aus.

»Ich will ihr schon sagen, daß sie dir auch ein Messer kaufen muß. Ich bleib’ heut’ den ganzen Tag daheim, sie kommt ja noch zu uns.«

»Ja, wenn sie schon da wär’,« entgegnete Dami, ohne zu wissen was er sagte; nur sein Zorn und das Gefühl der Zurücksetzung hatte ihm diesen mißtrauischen Vorwurf eingegeben.

Es läutete schon zum Erstenmal, die Kinder eilten ins Dorf zurück. Amrei übergab mit kurzem Bericht den neugewonnenen Schmuck der Marann’, und diese sagte:

»Du bist ja ein Glückskind! Ich will dir’s gut aufheben. Jetzt hurtig in die Kirche.«

Während des Gottesdienstes sahen die beiden Kinder immer nach der Landfriedbäuerin und beim Ausgang warteten sie an der Thür; aber die vornehme Bäuerin war von so vielen Menschen umringt, die alle in sie hineinredeten, daß sie sich immer im Kreise drehen mußte, um bald da, bald dort zu antworten. Für den wartenden Blick der Kinder und deren ständiges Nicken fand sie keine Aufmerksamkeit.

Die Landfriedbäuerin hatte das jüngste Töchterchen des Rodelbauern, die Rosel, an der Hand; sie war um ein Jahr älter als Amrei und diese stieß in der Entfernung immer vor sich hin, als müßte sie die Zudringliche, die ihren Platz einnahm, wegdrängen. Oder hatte die vornehme Bäuerin nur ein Auge für Amrei draußen beim letzten Haus in der Einsamkeit, aber mitten unter den Menschen kannte sie sie nicht? Gelten da nur die Kinder reicher Leute, die Kinder der Verwandten? Amrei erschrak, als sie diesen leise sich regenden Gedanken plötzlich laut hörte, denn Dami sprach ihn aus; aber während sie mit dem Bruder in ziemlicher Entfernung dem großen Trupp folgte, der die Landfriedbäuerin umgab, suchte sie den bösen Gedanken dem Bruder und wohl damit auch sich auszureden. Die Landfriedbäuerin verschwand endlich im Hause des Rodelbauern und die Kinder kehrten still zurück, bis Dami plötzlich sagte:

»Wenn sie zu dir kommt, sag’ nur auch, daß sie auch zum Krappenzacher gehen muß und ihm sagen, daß er gut gegen mich sein soll.«

Amrei nickte und die Kinder trennten sich, ein Jedes ging nach dem Hause, wo es eine Unterkunft gefunden hatte.

Die Nebel, die sich am Morgen verzogen hatten, kamen am Mittag als voller Regenguß hernieder.

Der große rothe Regenschirm der Landfriedbäuerin bewegte sich aufgespannt hin und her im Dorf und man sah kaum die Gestalt, die darunter war. Die schwarze Marann’ hatte die Landfriedbäuerin nicht getroffen und sagte bei der Heimkunft: »Sie kann ja auch zu mir kommen, ich will Nichts von ihr.« Die beiden Kinder wanderten wieder hinaus nach dem elterlichen Haus und saßen dort zusammengekauert auf der Thürschwelle und redeten fast kein Wort. Wieder schienen sie zu ahnen, daß die Eltern doch nicht wieder kämen und Dami wollte zählen wie viel Tropfen von der Dachtraufe fielen; aber es ging ihm allzuschnell und er machte sich’s leicht und schrie auf Einmal: »Tausend Millionen!«

»Da muß sie vorbei, wenn sie heimgeht,« sagte Amrei, »und da rufen wir sie; schrei’ nur auch recht mit, und dann wollen wir schon weiter mit ihr reden.« So sagte Amrei, denn die Kinder warteten hier noch auf die Landfriedbäuerin.

Es klatschte eine Peitsche im Dorf. Man hörte jenes nachspritzende Pferdegetrapp im aufgeweichten Wege und ein Wagen rollte herbei.

»Wirst sehen, der Vater und die Mutter kommen in einer Kutsche und holen uns,« rief Dami.

Amrei schaute traurig nach ihrem Bruder um und sagte: »Schwätz nicht so viel.« Als sie sich umwendete, war der Wagen ganz nahe, es winkte Jemand von demselben unter einem rothen Regenschirm hervor, und fort rollte das Gefährte und nur der Spitz des Kohlenmathes bellte ihm eine Weile nach und that als wollte er mit seinen Zähnen die Speichen aufhalten; aber am Weiher kehrte er wieder zurück, bellte noch einmal hinaus unter der Hausthüre und schlüpfte dann hinein in’s Haus.

»Haidi! fort ist sie!« sagte Dami wie triumphirend; es war ja die Landfriedbäuerin. »Hast des Rodelbauern Rappen nicht gekannt? Die haben sie davon geführt. Vergiß meine ledernen Hosen nicht!« schrie er noch laut mit aller Kraft seiner Stimme, obgleich der Wagen bereits im Thale verschwunden war und jetzt schon die kleine Anhöhe am Holderwasen hinaufkroch.

Die Kinder kehrten still in’s Dorf zurück.

3. Vom Baum am Elternhause.

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Am Tage vor Allerseelen sagte die schwarze Marann’ zu den Kindern:

»Jetzt holt ordentlich Vogelbeeren, morgen brauchen wir sie auf dem Kirchhof.«

»Ich weiß wo, ich kann holen,« sagte Dami mit einer wahrhaft gierigen Freude und rannte zum Dorf hinaus, daß ihn Amrei kaum erreichen konnte. Als sie am elterlichen Hause ankam, war er schon oben auf dem Baum und neckte sie stolz, sie solle auch heraufkommen, weil er wußte, daß sie das nicht könne. Er pflückte nun die rothen Beeren und warf sie hinab in die Schürze der Schwester. Sie bat ihn, er möge auch die Stiele mit abpflücken, sie wolle einen Kranz machen. Er sagte: »Das thu’ ich nicht!« Und doch kam fortan keine Beere ohne Stiel mehr herunter.

»Horch wie die Spatzen schelten!« rief Dami vom Baume, »die ärgern sich, daß ich ihnen ihr Futter wegnehme.« Und als er endlich Alles abgepflückt hatte, sagte er: »Ich gehe nicht mehr herunter, ich bleib’ da oben Tag und Nacht, bis ich todt herunter falle, und komme gar nicht mehr zu dir, wenn du mir nicht was versprichst.«

»Was denn?«

»Daß du deinen Anhenker von der Landfriedbäuerin nie trägst, so lange ich’s sehe; versprichst du mir das?«

»Nein!«

»So komm’ ich nicht mehr herunter!«

»Meinetwegen!« sagte Amrei und ging mit den Vogelbeeren davon. Sie setzte sich aber nicht weit entfernt hinter einen Holzstoß, wand einen Kranz und schielte dabei immer hinaus, ob Dami nicht endlich käme. Sie setzte sich den Kranz auf und plötzlich überfiel sie eine unnennbare Angst wegen Dami. Sie rannte zurück, Dami saß rittlings auf einem Ast an den Stamm zurückgelehnt und die Arme übereinander geschlagen.

»Komm herunter, ich verspreche dir, was du willst!« rief Amrei und in einem Nu war Dami bei ihr auf dem Boden.

Zu Hause schalt die schwarze Marann’ über das alberne Kind, das sich aus den Beeren, die man zum Grabe der Eltern brauche, einen Kranz gemacht habe. Sie zerriß denselben schnell und sprach dabei einige unverständliche Worte; dann nahm sie beide Kinder an der Hand und führte sie hinaus nach dem Kirchhof. Wo zwei Erdhaufen nahe an einander waren sagte sie:

»Da sind Eure Eltern.« Die Kinder sahen sich staunend an. Die Marann’ machte nun mit einem Stock Furchen in Kreuzesform auf den Gräbern und wies die Kinder an, die Beeren da hinein zu stecken. Dami war behend dabei und triumphirte, da er mit seinem rothen Kreuze früher fertig war als die Schwester. Amrei schaute ihn nur groß an und erwiderte Nichts, und erst als Dami sagte: »Das wird den Vater freuen,« schlug sie ihn hinterrücks und rief: »Sei still.« Dami weinte, vielleicht ärger als es ihm ernst war; da rief Amrei laut: »Um Gotteswillen verzeih mir, verzeih mir, daß ich dir das gethan hab’. Hier, da verspreche ich dir, ich will dir mein Lebenlang Alles thun was ich kann, und Alles geben was ich hab’; gelt Dami, ich hab’ dir nicht weh gethan? Kannst dich drauf verlassen, es geschieht nie mehr so lang ich lebe, nie mehr, nie. O Mutter, o Vater, ich will brav sein, ich versprech’s euch; o Mutter, o Vater.« – Sie konnte nicht weiter reden, aber sie weinte nicht laut, nur sah man, es gab ihr einen Herzstoß nach dem andern und erst als die schwarze Marann’ laut weinte, weinte Amrei mit ihr.

Sie gingen heim und als Dami »gute Nacht« sagte, raunte ihm Amrei leise in’s Ohr:

»Jetzt weiß ich’s wir sehen unsere Eltern nie mehr auf dieser Welt;« aber noch in dieser Mittheilung lag eine gewisse kindische Freude, ein Kinderstolz, der sich damit brüstet, Etwas zu wissen; und doch war in der Seele dieses Kindes Etwas aufgetaucht vom Bewußtsein jenes auf ewig abgeschnittenen Zusammenhanges mit dem Leben, das sich aufthut im Gedanken der Elternlosigkeit.

Wenn der Tod die Lippen geschlossen, die dich Kind nennen mußten, ist dir ein Lebensathem verschwunden, der nimmer wiederkehrt.

Noch als die schwarze Marann’ bei Amrei am Bette saß, sagte diese: »Ich mein’ ich fall’ und fall’ jetzt immerfort, lasset mir nur Eure Hand;« und sie hielt die Hand fest und begann zu schlummern, aber so oft die schwarze Marann’ ihre Hand zurückziehen wollte, haschte sie wieder darnach. Die Marann’ verstand, was das Gefühl vom endlosen Fallen bei dem Kinde zu bedeuten hatte: das ist ja beim Innewerden vom Tode der Eltern als schwebte man im Wurfe, man weiß nicht woher und weiß nicht wohin.

Erst spät gegen Mitternacht konnte die schwarze Marann’ das Bett des Kindes verlassen, nachdem sie ihre gewohnten zwölf Vaterunser wer weiß zum wievielten mal wiederholt hatte.

Ein strenger Trotz lag auf dem Gesicht des schlafenden Kindes. Es hatte die eine Hand auf die Brust gelegt und die schwarze Marann’ hob sie ihm leise weg und sagte halblaut vor sich hin:

»Wenn nur immer ein Auge, das über dich wacht, und eine Hand die dir helfen will, dir so wie jetzt im Schlaf, ohne daß du es weißt, die Schwere vom Herzen nehmen könnte! Das kann aber kein Mensch, das kann nur Er … Thu’ du meinem Kind in der Fremde was ich diesem da thue.«

Die schwarze Marann’ war eine »geschiechene« Frau, d.h. die Leute fürchteten sich fast vor ihr, so herb erschien sie in ihrem Wesen. Sie hatte vor bald achtzehn Jahren ihren Mann verloren, der bei einem räuberischen Anfall den er mit Genossen auf den Eilwagen gemacht hatte, erschossen worden war. Die Marann’ trug ein Kind unter dem Herzen als die Leiche ihres Mannes mit dem schwarzberußten Gesicht ins Dorf gebracht wurde; aber sie faßte sich und wusch dem Todten das Gesicht rein, als könnte sie damit auch seine schwarze Schuld abwaschen. Drei Töchter starben ihr und nur das Kind, das sie damals unter dem Herzen getragen, war noch am Leben. Es war ein schmucker Bursch geworden, wenn auch mit seltsam schwärzlichem Gesicht und er war jetzt als Maurergesell in der Fremde. Denn von der Zeit Brosi’s her, und namentlich seit dessen Sohn Severin sich mit dem Steinhammer zu so hohen Ehrenstellen hinaufgearbeitet, hatte sich ein großer Theil des Nachwuchses in Haldenbrunn dem Maurerhandwerk gewidmet. Unter den Kindern war allezeit von Severin die Rede, wie von dem Prinzen im Mährchen. So war auch das einzige Kind der schwarzen Marann’ trotz deren Widerrede Maurer geworden und jetzt auf der Wanderschaft, und sie die ihr Lebenlang nicht aus dem Dorfe gekommen war und auch kein Verlangen hatte hinaus zu kommen, sagte manchmal: sie komme sich vor, wie eine Henne, die eine Ente ausgebrütet; aber sie gluckste fast immer in sich hinein.

Man sollte es kaum glauben, daß die schwarze Marann’ eine der heitersten Personen im Dorf war; man sah sie nie traurig, sie gönnte es den Menschen nicht, daß sie Mitleid mit ihr haben sollten. Und darum war sie ihnen unheimlich. Sie war im Winter die fleißigste Spinnerin im Dorf und im Sommer die emsigste Holzsammlerin, so daß sie noch einen guten Theil davon verkaufen konnte, und »mein Johannes,« (so hieß ihr noch lebender Sohn) »mein Johannes,« hörte man in jeder ihrer Reden. Die kleine Amrei hatte sie, wie sie sagte, nicht aus Gutmüthigkeit zu sich genommen, sondern nur weil sie ein lebendiges Wesen um sich haben wollte. Sie that gern recht rauh vor den Leuten und war stolz darauf, vor sich selber besser zu sein, als sie dafür galt.

Der gerade Gegensatz zu ihr war der Krappenzacher, bei dem Dami ein Unterkommen gefunden; der stellte sich draußen vor der Welt gern als der gutmüthigste Allesverschenker, im Geheimen aber knuffte und mißhandelte er seine Angehörigen und besonders den Dami, für den er nur ein geringes Kostgeld erhielt. Er hieß eigentlich Zacharias und hatte seinen Spitznamen davon, weil er einst seiner Frau ein Paar fein hergerichtete Tauben als Braten heimgebracht hatte; es waren dieß aber ein Paar gerupfte Raben, hier zu Lande Krappen genannt. Der Krappenzacher, der einen Stelzfuß hatte, verbrachte seine meiste Zeit damit, daß er wollene Strümpfe und Jacken strickte, und so saß er mit seinem Strickzeuge überall im Dorfe herum, wo es was zu plaudern gab; und dieses Geplauder, bei dem er allerlei hörte, diente ihm zu sehr einträglichen Nebengeschäften. Er war der sogenannte Heirathsmacher in der Gegend, denn namentlich da, wo sich noch die großen geschlossenen Güter finden, geschehen die Heirathen in der Regel durch Vermittler, die die entsprechenden Vermögensverhältnisse genau auskundschaften und Alles vorher bestimmen. Und wenn dann eine solche Heirath zu Stande gebracht war, spielte der Krappenzacher noch bei der Hochzeit die Geige auf, denn darin war er ein landeskundiger Meister. Er verstand aber auch die Clarinette und das Horn zu blasen, wenn ihm die Hände vom Geigen müde waren. Er war eben ein Allerweltsmensch.

Das weinerliche und empfindliche Wesen Dami’s war dem Krappenzacher höchlich zuwider und er wollte es ihm damit austreiben, daß er ihn recht viel weinen machte und ihn neckte, wo er nur konnte.

So waren die beiden Stämmchen, aus demselben Boden erwachsen, in verschiedenes Erdreich verpflanzt. Standort und Bodensaft und die eigene Natur, die sie in sich trugen, ließen sie verschiedenartig gedeihen.

4. Thu’ dich auf.

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Am Allerseelentag, er war trübe und neblig, waren die Kinder mitten unter den Versammelten auf dem Kirchhof. Der Krappenzacher hatte Dami an der Hand dahin geführt. Amrei aber war allein gekommen ohne die schwarze Marann’ und Viele schimpften über die hartherzige Frau, und einige trafen einen Theil der Wahrheit, indem sie sagten: die Marann’ wolle nichts von dem Besuchen der Gräber, weil sie nicht wisse wo das Grab ihres Mannes sei. Amrei war still und vergoß keine Thräne, während Dami bei den mitleidigen Reden der Menschen jämmerlich weinte, freilich auch, wenn ihn der Krappenzacher mehrmals heimlich geknufft und gezwickt hatte. Amrei starrte eine Zeitlang träumerisch vergessen hinein in die Lichter zu Häupten der Gräber und sah staunend, wie die Flamme das Wachs auffrißt, der Docht immer mehr verkohlt, bis endlich das Licht ganz herabgebrannt ist.

Unter den Versammelten bewegte sich auch ein Mann in vornehmer städtischer Kleidung, mit einem Band im Knopfloch; es war der Oberbaurath Severin, der auf einer Inspectionsreise begriffen, hier das Grab seiner Eltern, Brosi und Moni, besuchte. Seine Geschwister und deren Angehörigen umgaben ihn stets mit einer gewissen Ehrerbietung und die Andacht war fast ganz abgelenkt und auf diesen Vornehmen alle Aufmerksamkeit gerichtet.

Auch Amrei betrachtete ihn und fragte den Krappenzacher: »Ist das ein Hochzeiter?«

»Warum?«

»Weil er ein Bändel im Knopfloch hat.«

Statt aller Antwort hatte der Krappenzacher nichts Eiligeres zu thun, als auf eine Gruppe loszugehen und zu sagen, welch’ eine dumme Rede da das Kind gethan habe. Und mitten unter den Gräbern erscholl lautes Gelächter über solche Albernheit. Nur die Rodelbäuerin sagte: »Ich finde das gar nicht so hirnlos. Wenn’s auch ein Ehrenzeichen ist, was der Severin hat, es bleibt doch wunderlich, da auf dem Kirchhof mit einer Auszeichnung herumzulaufen; da, wo sich zeigt, was aus uns Allen wird, habe man im Leben Kleider von Seide oder von Zwillich angehabt. Es hat mich schon verdrossen, daß er damit in der Kirche war; so Etwas muß man abthun, ehe man in die Kirche geht, um wie viel mehr auf dem Kirchhof.«

Die Kunde von der Frage der kleinen Amrei mußte doch auch bis zu Severin gedrungen sein, denn man sah ihn hastig seinen Oberrock zuknöpfen und dabei nickte er nach dem Kinde hin. Jetzt hörte man ihn fragen, wer das sei und kaum hatte er die Antwort vernommen, als er auf die beiden Kinder an den frischen Gräbern zueilte und zu Amrei sagte: »Komm her, Kind, mach’ deine Hand auf, hier schenke ich dir einen Dukaten; davon schaffe dir an, was du brauchst.«

Das Kind starrte drein und antwortete nicht. Und kaum hatte Severin den Rücken gewendet, als es ihm halblaut nachrief: »Ich nehm’ nichts geschenkt,« und ihm dabei den Dukaten nachschleuderte. Viele, die das gesehen hatten, kamen auf Amrei zu und schimpften auf sie hinein und eben als sie daran waren, sie zu mißhandeln, wurde sie wiederum von der Rodelbäuerin, die sie schon einmal mit Worten beschützt hatte, vor den rohen Händen gerettet. Auch sie verlangte indeß, daß Amrei wenigstens Severin nacheile und ihm danke; doch Amrei gab auf keinerlei Rede eine Antwort; sie blieb starr, so daß auch ihre Beschützerin von ihr abließ. Nur mit großer Mühe fand man den Dukaten wieder und ein Gemeinderath, der zugegen war, nahm ihn sogleich in Verwahrung, um ihn dem Pfleger der Kinder zu übergeben.

Dieses Ereigniß brachte der kleinen Amrei einen seltsamen Ruf im Dorf. Man sagte, sie sei doch erst wenige Tage bei der schwarzen Marann’ und habe schon ganz deren Art und Weise. Man fand es unerhört, daß ein Kind aus solcher Armuthei einen solchen Stolz haben könne; und indem man ihr diesen Stolz auf allen Wegen und Stegen vorwarf, ward sie dessen erst recht inne, und in der jungen Kinderseele regte sich ein Trotz, ihn nur desto mehr zu bewahren. Die schwarze Marann’ that auch das Ihre, um solche Stimmung zu befestigen, denn sie sagte: »Es kann einem Armen kein größeres Glück geschehen, als wenn man es für stolz hält; dadurch ist man davor bewahrt, daß Jedes auf einem herumtrampelt und noch verlangt, daß man sich dafür bedanke.«

Im Winter war Amrei sehr viel bei dem Krappenzacher und hörte ihn besonders gern geigen. Ja der Krappenzacher sagte ihr einmal das große Lob: »Du bist nicht dumm,« denn Amrei hatte nach einem langen Geigenspiel bemerkt: »Was doch so eine Geige den Athem so lang anhalten kann; das kann ich nicht.« Und wenn daheim in stillen Winternächten die schwarze Marann’ funkelnde und schauererregende Zaubergeschichten erzählte, da horchte Amrei mit offenem Munde und mehrmals rief sie die Alte zurückhaltend: »O Marann’ haltet ein, ich muß wieder schnaufen.«