Bastardlinie - Laura Henry - E-Book

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Laura Henry

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Beschreibung

England 1589: Die jahrhundertealten Briefe, aus dem Nachlass ihrer Großmutter, haben Marthas Leben grundlegend auf den Kopf gestellt: Sie ist die Nachfahrin von William Plantagenet. Als Bastard von Edward III. und Joan of Kent steht Williams Leben im Schatten der Krone. Während er sich in trügerischer Sicherheit wähnt, versuchen ihm seine Neider das Liebste zu nehmen. Nur durch das unerschütterliche Vertrauen seiner Halbbrüder gelingt es ihm eine unheilvolle Intrige abzuwenden, doch das Glück scheint nicht von Dauer. Dunkle Zeiten brechen über das Königreich herein und ein Erbfolgestreit droht das Land zu spalten. An einen heiligen Eid gebunden, muss William tatenlos mitansehen, wie England unaufhaltsam auf einen Abgrund zusteuert. Eng mit Williams Schicksal verknüpft, gerät auch Marthas Leben aus den Fugen. Bald soll das Aufgebot für die Eheschließung mit Lord Essex gestellt werden. Ausgerechnet ihre Abstammung eröffnet ihr einen Weg den verschlagenen Lord loszuwerden ... Romanreihe: Bastardliebe - Band 1 Bastardlinie - Band 2

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Über den Roman

England 1589: Die jahrhundertealten Briefe, aus dem Nachlass ihrer Großmutter, haben Marthas Leben grundlegend auf den Kopf gestellt: Sie ist die Nachfahrin von William Plantagenet. Als Bastard von Edward III. und Joan of Kent steht Williams Leben im Schatten der Krone. Während er sich in trügerischer Sicherheit wähnt, versuchen ihm seine Neider das Liebste zu nehmen. Nur durch das unerschütterliche Vertrauen seiner Halbbrüder gelingt es ihm eine unheilvolle Intrige abzuwenden, doch das Glück scheint nicht von Dauer. Dunkle Zeiten brechen über das Königreich herein und ein Erbfolgestreit droht das Land zu spalten. An einen heiligen Eid gebunden, muss William tatenlos mitansehen, wie England unaufhaltsam auf einen Abgrund zusteuert. Eng mit Williams Schicksal verknüpft, gerät auch Marthas Leben aus den Fugen. Bald soll das Aufgebot für die Eheschließung mit Lord Essex gestellt werden. Ausgerechnet ihre Abstammung eröffnet ihr einen Weg den verschlagenen Lord loszuwerden …

Über die Autorin

Laura Henry, geboren 1991, hat Geschichte und Wirtschaft auf Lehramt an der Universität in Oldenburg studiert. Einige Semester ihres Studiums absolvierte sie in den USA. Seit 2017 arbeitet sie als Lehrerin an einer Oberschule. Ihre Leidenschaft für das Mittelalter entdeckte sie bereits früh. Henry, die im wahren Leben einen anderen Namen trägt, lebt und schreibt in Bremen.

Für meine Eltern.

Danke, dass ihr immer für mich da seid und mich bei all meinen Ideen unterstützt. Ohne euch wäre ich nicht, wer ich heute bin.

Mama, Papa, ich danke euch von Herzen.

Every story I create, creates me. I write to create myself.

Octavia E. Butler.

Inhaltsverzeichnis

DRAMATIS PERSONAE

Prolog

Nottingham, Oktober 1330

»Dum spiro spero.«

Roncesvalles, April 1367

Valladolid, Juli 1367

Windsor Castle, Januar 1368

Corfe Castle, Juli 1368

England, 1589

Whitehall, Juli 1589

»Onus est honos.«

Westminster, Januar 1370

Windsor, März 1371

Corfe Castle, Mai 1372

England, 1589

Whitehall, August 1589

»Qui vivra, verra.«

Richmond Palace, Juni 1377

England, 1589

Whitehall, September 1589

»Rage must be withstood.«

Savoy Palace, Juni 1381

»Numerum cuius finis est vita a scribis te.«

St. George Chapel, Februar 1385

Lanloup, September 1386

Beauport Abbey, April 1388

England, 1589

Whitehall, Dezember 1589

ANHANG

NACHWORT

Stammbaum von Martha Somerset

ZEITTAFEL

DRAMATIS PERSONAE

Es folgt ein Personenverzeichnis der wichtigsten Charaktere. Die historischen Persönlichkeiten sind mit einem * gekennzeichnet, alle übrigen Figuren sind fiktiv. Im Anhang befindet sich das Nachwort der Autorin, der Stammbaum von Martha Somerset und eine Übersicht über die geschichtlichen Ereignisse.

ENGLAND, FRANKREICH, KASTILIEN 1330-1388

PLANTAGENET

Edward III.*, König von England

Eduard of Woodstock*, Duke of Aquitanien, sein ältester Sohn und Thronfolger von England, genannt Ed

John of Gaunt*, Duke of Lancaster, Sohn von Edward III.

Edmund*, Thomas * weitere Söhne des Königs

Joan of Kent*, Ehefrau von Ed

Richard of Bordeaux*, Sohn von Joan und Ed

William Plantagenet, unehelicher Sohn von Joan und und Edward III., genannt Will

HOF UND ADEL

William Montague*, John Molny*, John Neville*, Richard Bury*, Robert Ufford*, Edward de Bohun*, engste Freunde und Ritter von Edward III.

Alice Perrers*, Geliebte des Königs

Thomas Mowbray*, Earl of Nottingham, engster Vertrauter von Richard

Michael de la Pole*, Earl of Suffolk, Vertrauter von Richard

Thomas Holland, John Holland*, Söhne von Joan und ihrem ersten Ehemann Thomas Holland

Pedro de Castilla*, König von Kastilien

Enrique de Trastámara*, illegitimer Halbbruder von Pedro

Constanza de Castilla*, Tochter von Pedro, zweite Ehefrau von Lancaster

Aveline Montague, Williams Ehefrau, genannt Ava

Harry Fitzhenry, illegitimer Halbbruder von Blanche of Lancaster und Wills bester Freund

Robert Pomeroy, Wills bester Freund, genannt Rob

Simon Dawnay, Ritter von Ed, Verräter

Thomas, Humphrey, Godric, Knappen von Harry, William und Rob, genannt die »Schatten«

Wornham und Benley, Ritter von Ed

ENGLAND 1589

HOF UND ADEL

Elizabeth I.*, Königin von England

Robert Devereux, Earl of Essex*, Höfling und Liebling der Königin, Verlobter von Martha

William Cecil, Baron Burghley*, Lord High Treasurer

Marthilda Somerset, Großcousine und Zofe der Königin, genannt Martha

Jonathan Stanley, Marthas Ziehbruder, Vetter von Devereux, genannt Jonah

Prolog

Nottingham, Oktober 1330

Besonnen strich Edward im Vorbeigehen mit seiner Hand über die holzvertäfelte Wand, umrundete den Sekretär und blieb schließlich am Ende der Vertäfelung stehen. Verstohlen blickte er über die Schulter, um sicherzugehen, dass ihm auch niemand gefolgt war.

Der Raum hinter ihm war verwaist. Ein Strahl des Mondscheins fiel durch die halbverhangenen Fenster, die zur Ostseite führten, herein und tauchte die Bibliothek in kühles Licht. Der Sekretär neben ihm warf unförmige Schatten bis zur Tür und die altehrwürdigen Bücher standen dichtgedrängt und staubbehangen in den hohen Regalen, die bis unter die Decke reichten, auf der gegenüberliegenden Seite. Er hörte nichts außer das leise Knistern der Kerze in seiner Linken. Nottingham Castle schlief den Schlaf der Gerechten.

Er musste ein bitteres Lachen unterdrücken und wandte sich dem Sekretär zu. Vorsichtig stellte er den Kerzenständer darauf ab. Dann griff er unter sein Wams und holte die Fackel zum Vorschein, die er dort vor neugierigen Augen versteckt hatte. Er wickelte das Tuch ab und hielt das in Pech getränkte obere Ende an die Flamme der Kerze. Es fing sofort an zu brennen.

Mit der entflammten Fackel schritt er zum Ende der Vertäfelung und tastete sie aufmerksam nach der kleinen Unebenheit ab, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Er übte leichten Druck auf die Vertiefung aus, bis er ein hörbares Klicken vernahm und ein Teil der Vertäfelung langsam nach innen klappte. Umsichtig drückte er die Geheimtür weiter auf und hielt die Fackel vor sich ausgestreckt.

Der Fackelschein erhellte den finsteren Geheimang. Mit den Augen suchte er die steinerne Wand nach einer Halterung für die Fackel ab und wurde keine zwei Fuß hinter dem Eingang fündig. Nachdem er die Fackel befestigt hatte, trat er vollständig in den Gang hinein und schloss lautlos die Tür hinter sich.

Vor ihm offenbarte sich ein schmaler Raum, der nach ein paar Schritten in eine Treppe mündete, deren Fortgang nach ein paar Stufen von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Er ging bis zum Kopf der Treppe und stierte angespannt in die Finsternis hinein. Dem modrigen Geruch nach zu urteilen, der ihm in die Nase stieg, war der Geheimgang lange Zeit nicht benutzt worden.

Ungeduldig verschränkte er die Arme vor der Brust. Nun hieß es warten. Er spürte sein Herz schnell in der Brust schlagen, als wäre er gerade um sein Leben gerannt. Es raubte ihm fast den Atem, dabei stand er ganz ruhig da und lauschte in die Stille hinein.

Die Minuten strichen dahin, bis er endlich undeutliche Geräusche wahrzunehmen glaubte. Seine Kieferknochen spannten sich an.

»Meine Fresse Neville, willst du mir ein zweites Mal in die Hacken rennen?«

Erleichtert erkannte Edward die gedämpfte Stimme seines Freundes Molny.

»Herr Gott, dann geh halt schneller oder wolltest du hier Wurzeln schlagen?«

»Ich schlag gleich etwas, aber keine Wurzeln, verlass dich drauf!«

Lachend warf Edward seinen Kopf in den Nacken. »Wollt ihr euren Zwist vielleicht auf wann anders verlegen? Der Zeitpunkt erscheint mir doch recht ungünstig für eine Rauferei.«

Die Stimmen erstarben abrupt.

»Wer da?«, erkundigte sich eine weitaus tiefere Stimme misstrauisch.

»Hm«, brummte Edward. »Der König, aber das kommt ganz darauf an, wen du bei Hofe fragst, Montague.«

Ein Glucksen drang zu ihm empor. »Man kann nicht vorsichtig genug sein dieser Tage, Sire«, erwiderte die tiefe Stimme. Kaum waren die Worte verhallt, gab die Schwärze seinen engsten Vertrauten, William Montague, preis.

Freudig breitete Edward seine Arme aus und umarmte Montague. Ihm folgten John Molny, John Neville, Richard Bury, Robert Ufford und Edward de Bohun.

Edward nickte einem nach dem anderen freundlich zu.

Dicht aneinander gedrängt erwiderten die dunkel gekleideten Männer seinen Gruß. »Sire.«

Sie hatten die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, doch der Schein der Fackel ließ ihre Augen funkeln.

»Seid ihr wahrhaftig im Stockdunkel den Gang heraufgekommen?«, wollte Edward von seinen Freunden wissen.

»Nur das letzte Stück, wir konnten nicht sicher sein, wer uns hier oben erwartet. Vor dem Treppenaufgang haben wir sie lieber ausgetreten.«

»Und wie seid ihr in die Burg gekommen?«

Ufford zuckte mit seinen massigen Schultern. »Ein Dominikaner Mönch hat uns in seine Weinfässer eingenagelt in die Burg geschleust. Die Knechte haben uns dann unwissentlich in den Weinkeller verfrachtet und nach Einbruch der Nacht kam der Kommandant der Burgwache und hat die Deckel unserer Fässer gelöst. Anschließend hat er uns zur geheimen Falltür geführt und ist zurück zu seinen Männern gegangen.«

»Der Kommandant hat sein Wort also gehalten. Ich hatte meine Zweifel«, gab Edward ehrlich zu.

»Er weiß, genau wie wir, dass es schwerlich einen besseren Augenblick als jetzt geben wird«, entgegnete Montague.

»Tatsächlich? Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass er mehr als unsicher war.«

»Wundert dich das wirklich, Ufford? Nachdem was mit Woodstock passiert ist?«

Edward sah Montague in die Augen und konnte seinen eigenen Schmerz darin wiederspiegeln sehen.

Edmund of Woodstock war der Halbbruder seines Vaters, dem abgesetzten König Edward II. und einer ihrer engsten Verbündeten. Woodstock hatte versucht die Ehre seines Halbbruders wieder herzustellen, nachdem es Edwards Mutter Isabelle de France gelungen war ihn gemeinsam mit ihrem Liebhaber Roger Mortimer absetzen zu lassen. Zwar wurde Edward anschließend zum König gekrönt, doch da er noch minderjährig war, hatte seither Mortimer als eigentlicher Machthaber die Fäden im Hintergrund gezogen. Und Mortimer erwies sich keineswegs als würdiger Regent. Er war machthungrig und streitsüchtig. Darüber hinaus hatte Woodstock herausfinden müssen, dass Mortimer seinen Halbbruder in aller Abgeschiedenheit hatte ermorden lassen. Und wäre das nicht bereits frevelhaft genug, waren auch noch Gerüchte in Umlauf gekommen, dass Mortimer ihm, Edward III., die Krone streitig machen wollte. Daraufhin hatte Woodstock eine Revolte angezettelt und versucht Mortimer zu stürzen, doch sein Plan schlug fehl und hatte ihn seinen Kopf gekostet.

»Nein, dieser Hurensohn hat ganze Arbeit geleistet.« Ufford bleckte die Zähne.

»Mortimer dachte, dass wenn er Woodstock hinrichten lässt, so den Widerstand im Keim ersticken könne, sodass sich keiner mehr gegen ihn zur Wehr setzt.«

»Aber er hat die Rechnung ohne uns gemacht!« Bury lachte in sich hinein.

Montague wiegte seinen Kopf nachdenklich von der einer zur anderen Seite. »Vergiss nicht, dass er mir bei der letzten Parlamentssitzung genau diese Verschwörung unterstellt hat. Mortimer ist misstrauisch geworden seit der Sache mit Woodstock. Sonst hätte er doch nicht darauf gedrängt, dass Edward mit ihm gemeinsam hier in Nottingham Quartier bezieht.«

Bury lachte erneut. »Ihm geht der Arsch auf Grundeis, Freunde!«

»Zurecht! Wir werden ihm zeigen, was es heißt sich mit uns anzulegen!« Entschlossen ließ de Bohun seine Fingerknöchel knacken. »Heute ist Zahltag!«

Edward nickte grimmig und straffte seinen Rücken. »Dann sollten wir ihn nicht unnötig warten lassen! Folgt mir!« Er drehte sich um die eigene Achse und öffnete leise die Geheimtür.

In der Bibliothek wartete er, bis seine Mitverschwörer neben ihm standen. »Ich nehme an, du hast alles haarklein überdacht, Montague?«

Sein Freund nickte. »Du wirst zu Mortimers Privatgemächern gehen und um Einlass bitten. Zu dieser Zeit werden seine Leibwachen dir einen husten und dir den Zutritt verwehren. Diese Diskussionsrunde werden wir nutzen. Kann man den Korridor von zwei Seiten betreten?«

»Ja.«

»Gut. Molny und Neville ihr werdet mit mir von links kommen. De Bohun, Bury und Ufford ihr kommt von rechts. Mortimer ist so überzeugt, er wäre unantastbar. Wir werden ihn und seine Gesellen kalt erwischen.«

»Eiskalt.« Bury stimmte ihm feixend zu.

»Also dann, Männer. Ich schaue, ob die Luft rein ist«, flüsterte Montague. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spaltbreit und spähte auf den dämmrigen Korridor. Die Luft schien rein, denn er winkte den übrigen zu und so huschten sie wie Mäuse ungesehen durch die ausgestorbenen Gänge, bis sie schließlich den Westkorridor erreichten. Wie geheißen teilten sich die Verschwörer auf und warteten gebannt darauf, dass Edward vorweg schritt.

Ohne zu zögern und mit großen Schritten trat Edward um die Ecke und auf Mortimers Leibwächter zu. »Ingham, Bereford«, begrüßte er die beiden Hünen.

Reserviert nickten sie ihm zu, als er aus dem Halbdunkel ins Licht der angebrachten Wandfackeln trat. »Sire.«

»Ich möchte die Königinmutter sprechen. Es handelt sich um eine ernste Angelegenheit der Krone, die keinen weiteren Aufschub duldet.«

Die beiden Wächter tauschten einen verstohlenen Blick aus. »Wie kommt Ihr darauf, dass Lady Isabelle hier ist, Sire?«, wollte Bereford wissen.

Edward zog seine Augenbrauen in die Höhe und sein Blick wurde kühl.

Berefords Gesicht verlor jegliche Farbe. »Verzeiht, Sire.«

Genau diese Unsicherheit hatte er erreichen wollen. Er sah, wie Bereford sichtlich unwohl einen Schritt zurückwich und seine Hand nach dem Türknauf ausstreckte. Dann besann er sich und klopfte zunächst an die massive Holztür.

Von Innen war ein unwirsches »Was?« zu vernehmen.

Als Bereford im Begriff war die Tür zu öffnen, war der Moment gekommen.

Edward zog mit einer flinken Bewegung sein Schwert und hielt es Bereford an die Kehle. Bevor Ingham auch nur mit der Wimper zucken konnte, kamen seine Freunde hinzu und hielten ihn in Schach.

»Macht die verdammte Tür auf!«, knurrte Edward ungeduldig.

Die Leibwächter taten wie ihnen geheißen und stießen die Doppeltür auf. Dahinter offenbarte sich den Männern ein breites Doppelbett auf dessen Kante Edwards Mutter in einem weißen Nachthemd gekleidet saß. Beim Anblick der Eindringlinge entfuhr dieser ein schriller Schrei des Schreckens.

Mortimer, der über einige Dokumente an einem langen Holztisch gebeugt stand, griff geistesgegenwertig nach seinem Schwert, das auf einem Stuhl neben ihm griffbereit lag.

Die Leibwächter stolperten rückwärts in das Gemach hinein und bezogen nehmen Mortimer Stellung. Mit nun ebenfalls gezogenen Waffen standen sie ihnen entschlossen gegenüber.

»Was hat das zu bedeuten, Edward?« Isabelles Stimme klang brüchig.

Keiner der Männer antwortete ihr.

»Montague«, presste Mortimer zwischen seinen Lippen hervor. »Ich hätte es wissen müssen!«

Montague deutete eine spöttische Verbeugung an. »Ich dachte mir, es wäre nur höflich von mir, wenn ich Euch persönlich meine Aufwartung mache, Mylord.«

Zur Antwort machte der Angesprochene einen Schritt auf die Eindringlinge zu und erhob sein Schwert gegen Edward.

Edward, der damit gerechnet hatte, reagierte blitzschnell. Kalter Stahl prallte aufeinander und das Waffenklirren erfüllte den Raum. Montague und Ufford widmeten sich Ingham und Bereford. Der Rest postierte sich hinter Edward, bereit um einzugreifen.

Dafür, dass sie in Unterzahl waren, leisteten die drei gehörige Gegenwehr. Trotzdem dauerte es nicht lange bis zuerst Bereford und schließlich auch Ingham entwaffnet auf dem Boden knieten.

»Ich glaube, jetzt wäre ein guter Augenblick, um zu kapitulieren, Mylord. So oder so, Ihr habt keine Chance mehr!« Montagues Stimme übertönte die Kampfgeräusche.

Mortimer war die innere Zerrissenheit förmlich anzusehen. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen und Schweißperlen rannen ihm die Stirn hinab. Außer sich vor Wut warf er sein Schwert schreiend vor sich auf den Boden. »Das werdet Ihr noch bereuen! Ich habe das Parlament auf meiner Seite!«

Edward blickte ihn abschätzig an. »Da wäre ich mir nicht so sicher, Mortimer.«

»Ich verrate Euch etwas, das Ihr noch nicht wusstet: Ihr werdet hängen, Mortimer. Hängen!« Ufford spuckte vor Mortimer aus.

»Nein! Edward, tu ihm nichts!«, schrie Isabelle wie von Sinnen.

Edward musterte seine Mutter ausdruckslos. Sie war kreidebleich, hatte die Arme um sich geschlungen und wiegte sich vor und zurück. Sie schien unter Schock zu stehen. Es fiel ihm schwer bei diesem Anblick kein Mitgefühl zu empfinden.

Mit einer stummen Bitte gab er Molny zu verstehen sich ihrer anzunehmen. Sein Freund verstand die Aufforderung sofort und verbeugte sich galant vor der Königinmutter. »Darf ich Euch in Eure Gemächer geleiten, Mylady?«

Verwirrt ließ sich Isabelle hinausbegleiten, ohne ihren Sohn erneut anzusehen.

Edward lenkte seine Aufmerksamkeit wieder Mortimer zu, dem unterdessen die Hände auf dem Rücken gebunden waren. »Meiner Mutter zur Liebe werdet Ihr morgen umgehend in den Tower gebracht. Ansonsten könnte ich nicht für Eure Unversehrtheit garantieren.«

Mortimer funkelte ihn böse an.

»Schafft ihn mir aus den Augen!«

Unsanft packte ihn Neville am Arm und führte ihn auf den Korridor hinaus. De Bohun und Bury folgten ihnen mit den Leibwächtern.

Dann wandte sich Edward an Ufford. »Geh und sag dem Hauptmann Bescheid, dass unser Vorhaben erfolgreich war. Er soll seine Männer davon in Kenntnis setzen, dass Mortimers Wort keinerlei Gewicht mehr hat.« Während er sprach, steckte er sein Schwert zurück an den Gürtel und trat auf den Tisch zu. »Ach, und noch etwas: Lass den Geheimgang zumauern!«

Ufford grinste verschmitzt. »Ai, ai!«

Durstig griff Edward nach dem Weinkrug auf dem Tisch und schenkte sich etwas davon in einen Becher. Er trank mehrere Schlucke und reichte den Becher im Anschluss an Montague weiter.

Montague tat es ihm gleich und trank so gierig, dass ihm der Wein das Kinn hinunterlief. Nachdenklich starrte Edward ins lodernde Feuer im Kamin, das das Gemach in warmes Licht hüllte. »Ich wünschte Woodstock hätte das noch miterleben können.«

Montague wischte sich mit dem Handrücken die Tropfen vom Kinn. »Er wäre voller Stolz gewesen. Du weißt, wie sehr er dich geliebt hat.«

»Ich werde seine Kinder Edmund, Joan und John zu mir an den Hof holen. Und natürlich wird Edmund alle Besitzungen, sowie die Grafschaft Kent zurückbekommen. Bis zu seiner Volljährigkeit werde ich einen fähigen Verwalter einsetzen. Das ist das Mindeste, das ich für ihn noch tun kann.«

Montague stierte durch das milchige Fensterglas in die Nacht hinaus. Nach ein paar Atemzügen drehte er sich zu Edward um. »Wenn du es gestattest, dann würde ich gerne meinen Erstgeborenen William mit Woodstocks Tochter Joan verheiraten. Ich glaube, das hätte er so gewollt.«

Edward legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Das ist wahrhaftig ein schöner Gedanke! Wenn die Zeit gekommen ist, dann sollen sich eure Häuser miteinander vereinen! Dafür werde ich Sorge tragen.«

Anno Domini 1367-1368

»Dum spiro spero.«

Solange ich atme, hoffe ich.

Roncesvalles, April 1367

Dünne Rauchfäden stiegen in den pechschwarzen Nachthimmel und William stieg der Geruch von angebranntem Fleisch in die Nase.

»Sie dürften keine dreihundert Fuß von uns entfernt Rast gemacht haben«, raunte ihm Rob zu.

William nickte, ohne sich zu seinem Freund umzudrehen. Stattdessen ließ er seinen Blick über die vom Mondlicht beschienene Gebirgskette wandern. Sie standen auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von unzähligen Sträuchern und Bäumen, deren Blätter silbrig schimmerten im Licht der Nacht. Ganz in ihrer Nähe hörte er ein Käuzchen rufen.

Gedankenversunken strich er über das Heft seines Schwertes. Solch eine Unverfrorenheit, keinen Steinwurf weit vom Pfad entfernt ein Lagerfeuer zu machen, passte zu Simon Dawnay. Auf diesen Augenblick hatte er seit ihrem Aufbruch in Nájera stündlich gebetet.

Gemeinsam mit Rob, seinem Knappen Godric und zwei Leibwächtern seines Halbbruders Edward of Woodstock, Wornham und Benley, hatte er die Verfolgung von Dawnay und seinen Männern aufgenommen, die sich des Nachts vor der anstehenden Schlacht in Nájera davongeschlichen hatten. Als ein Vasall des Thronfolgers, wog der Verrat Dawnays schwer. Es stellte sich überdies heraus, dass Dawnay sie nicht nur im Stich ließ, auch hatte er einen heimtückischen Plan geschmiedet, um sich an William zu rächen.

Als William im Winter an den Hof in Bordeaux gekommen war, hatte er sich Hals über Kopf in Aveline Montague verliebt. Und obwohl er wusste, dass Ava bereits an Dawnay versprochen war, hatte er um ihre Hand angehalten.

In aller Stille und ohne die Zustimmung von Ed, Avas Vormund, hatten sie geheiratet und alle vor vollendete Tatsachen gestellt. Natürlich hatte sich William für sein ungebührliches Verhalten einigen Tadel eingehandelt, denn mit der heimlichen Heirat hatten sie Ed auf der einen Seite und Dawnay auf der anderen vorgeführt. Nachdem sich William mit Ed versöhnt hatte, erklärte er sich Dawnay und ließ ihm obendrein Avas Mitgift als Entschädigung zukommen. Damit hatte er die Angelegenheit für erledigt angesehen. Doch dem war nicht so. Stattdessen verbündete sich dieser mit Roger White, mit dem wiederum Rob eine alte Rechnung offen hatte und der sie beide bis aufs Blut hasste.

Letzteres war nicht mehr zu verleugnen, als White während des Kampfes versuchte William niederträchtig zu ermorden. Nur Rob war es zu verdanken, dass der Mordanschlag fehlschlug. Durch das anschließende Verhör Whites, fanden sie letztlich heraus, dass sich Dawnay mit ein paar seiner Getreuen bereits auf den Weg gemacht hatte, um Ava heimzusuchen.

Also hatten sie sich umgehend an ihre Fersen geheftet. Ihre Spur hatte sie in die Pyrenäen geführt. William hatte darauf spekuliert, dass Dawnay trotz der Flucht auf dem handelsüblichen Pfad bleiben würde. Es gab viele Wege durch das Gebirge, aber nur wenige davon waren gut passierbar. Dass sie Dawnay noch in Navarra einholen würden, damit hatte keiner von ihnen wirklich gerechnet. Zwar hatten sie ihre Pferde weiß Gott nicht geschont, doch Dawnay war ihnen mehr als einen halben Tag voraus gewesen. Zudem waren die Verräter ausgeruht, sie wiederum hatten eine Schlacht geschlagen.

Auf halber Strecke hatte ihnen dann ein verlorenes Hufeisen neue Kraft verliehen, denn das bedeutete nichts anderes, als dass eines von Dawnays Pferden zu lahmen schien. Möglicherweise war das der Grund, weshalb sich der Vorsprung der Männer in Luft aufgelöst hatte.

Die unbedachte Rast sprach jedoch für ihre Torheit. Sie wogen sich allesamt in Sicherheit, da sie William bereits unter den Toten wähnten. Sie ahnten schließlich nicht, dass der feige Auftragsmord an William gescheitert war und White sie vor seinem Tod verpfiffen hatte. Diesen Umstand würden sie nun zu ihrem Vorteil nutzen können.

Ein Knacken im Geäst ließ Williams Hand zurück zum Schwertheft schnellen. Godrics rotblonder Schopf lugte aus dem dichten Gebüsch hinter ihnen, wodurch sich sein Schwertarm sichtlich entspannte.

»Mann, was habe ich dir übers Anschleichen gesagt? Entweder du gibst dich zu erkennen oder aber dein Gegenüber sollte keine Möglichkeit mehr haben dich zur Strecke zu bringen.« Missmutig steckte Rob den Dolch zurück in die Innentasche seines braunen Wamses.

Sein Knappe legte ein schuldbewusstes Grinsen auf. »Entschuldigt, Mylord.«

Rob gab nur einen mürrischen Laut von sich und ruckte seinen Kopf dann in Richtung des aufsteigenden Rauchs. »Wir haben sie! Sie haben nicht weit von hier ihr Lager aufgeschlagen.«

Godric bemerkte die Rauchfäden am Himmel und pfiff leise durch die Zähne. »Das nenne ich mal leichtsinnig. Ich gehe besser direkt zu Wornham und Benley. Nicht, dass die zwei Hünen uns noch verraten. Wenn die husten, fallen den Bäumen ja direkt alle Blätter aus.«

Sein Versuch das Schmunzeln zu unterdrücken misslang Rob. Etwas ungeschickt fuhr er dem Zwölfjährigen mit der Hand über den Kopf. Widerwillig befreite sich dieser von der fast fürsorglichen Geste seines Onkels und verschwand lautlos im Dickicht. Geistesabwesend stierte Rob seinem Schatten hinterher.

William betrachtete seinen Freund von der Seite. Das Schmunzeln war nicht mehr zu erahnen, stattdessen traten deutliche Furchen auf seiner Stirn hervor. Er sah so müde aus, wie er sich fühlte. William konnte sich an keinen Augenblick erinnern, an dem er Rob je so ernst gesehen hatte. Seit ihrem Aufbruch hatten beide kaum ein Wort miteinander gewechselt, zumindest nicht mehr als nötig. Dafür waren sie beide zu angespannt. »Du machst dir Sorgen um Humphrey, nicht wahr?«

Rob gab ein unwirsches Brummen von sich. »Ich mache mir eher gesagt Vorwürfe! Wie konnte sich dieser Bengel anmaßen, sich das Recht herauszunehmen, einfach so hinter einer Handvoll Verrätern herzureiten?«

William stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich befürchte, es war meine Schuld, Rob.«

»Was?« Rob sah ihn verständnislos an.

»Ich habe mitbekommen, dass Godric und Humphrey uns im Zelt von Ed belauscht haben. Ich habe es zugelassen und sie nicht davongejagt. Verstehst du? Meinetwegen konnte Humphrey überhaupt diesen törichten Entschluss fassen.«

»Dich trifft keine Schuld, Mann! Du wurdest um ein Haar abgemurkst und hast obendrein noch erfahren, dass sich Dawnay und White gegen dich verschworen haben. Mehr noch, dass Dawnay drauf und dran ist Ava Gewalt anzutun.«

Dankbar für diese Worte fasste William nach Robs Arm.

»Ich hätte dem Bengel als sein Onkel öfter mal den Hintern versohlen müssen! So sieht es nämlich aus!«

»Das hättest du mit mir als seinem Herrn aber absprechen müssen und ich hätte es sowieso untersagt«, erwiderte er betont lässig. Es hätte keinen Sinn gemacht seine eigenen Sorgen laut auszusprechen. Sie hatten die Hoffnung gehegt, Humphrey einzuholen, ehe dieser Dawnays Trupp zu nahe kam. Doch auf ihrem Verfolgungsritt waren sie ihm nicht begegnet. Was das bedeutete, wollte er sich nicht ausmalen.

Er blickte ins Sternenzelt. »Komm, lass uns zu den anderen gehen. Nicht, dass der Tag hereinbricht, bevor wir besprochen haben, wie wir jetzt vorgehen.«

Bei ihren Begleitern angelangt, setzten sie sich ins hohe Gras und teilten ihnen ihre Neuigkeiten mit.

»Dann ist es also wahr, was der Junge gesagt hat, die Verräter sind wirklich so dreist und haben ihr Lager neben dem Pfad aufgeschlagen?« Ungläubig schüttelte Wornham seinen Kopf.

William nahm einen Schluck vom verdünnten Wein, den Benley ihm reichte und nickte dann. »Gefühlt auf und nicht neben dem Pfad. Doch diese Fahrlässigkeit werden sie heute Nacht noch bitter bereuen.«

»Ohja, das werden sie …« Wornham ließ zur Bestätigung seine Fingerknöchel knacken.

»Und wie gehen wir vor?«, wollte Benley wissen, während er Godric mit einem Wink zum Proviantsack schickte.

Ohne Umschweife erhob sich der Knappe und beförderte einige in Leinen eingeschlagene Pakete aus dem Stoffsack, der an seiner Satteltasche gebunden hing. Geschäftig teilte er den Proviant unter den Männern auf.

»Wir warten noch zwei Stunden und schleichen uns dann von allen Seiten an sie heran. Dort verharren wir solange, bis wir sicher sein können, dass sie schlafen. Dann überfallen wir sie.« Leidenschaftslos brach William ein Stück vom Brot ab. Schon nach dem ersten Bissen stellte er fest, dass er seinen Hunger gekonnt ignoriert hatte. Mit einem weiteren Schluck Wein spülte er den Bissen herunter. »Doch eins sollte von vornherein klar sein: Dawnay muss am Leben bleiben.« Sein Tonfall war ernst.

»Was?« Godrics Miene war verständnislos.

»Der Prinz will ihn lebend. Was mit dem Rest geschieht, war ihm gleich«, antwortete Rob an seiner statt.

»Wenn sie sich ergeben, fesseln wir sie und übergeben sie dem nächsten Sheriff.« Benley zog sein Schwert aus der Scheide und begann die Klinge mit einem sauberen Stück Leinen zu polieren. »Wenn nicht, dann entledigen wir uns ihrer.«

Unerwartet hellte sich Godrics Gesicht auf. »Wir sollten uns auf keinen Fall so anschleichen.« Er deutete auf sein Gesicht. »Durch den Schein des Feuers und des Mondes, könnten sie uns zu schnell entdecken.«

Irritiert schauten die Männer den Jungen an.

Robs Schatten lief zu seinem Pferd, das mit den Übrigen an einem Baum angebunden graste und beförderte ein Stück Kohle aus der vorderen Satteltasche. »Hiermit wird es gehen.«

»Damit wird was gehen? Sprich Klartext, Mann«, forderte ihn Rob auf.

Ungeduldig rollte Godric mit den Augen, was ihm von Wornham, der gerade aufgestanden war, einen leichten Schlag auf den Hinterkopf einbrachte. »Na, wir werden uns unsere Gesichter damit schwarz bemalen. Dann bleiben wir länger unentdeckt in den Schatten der Nacht.«

Rob klatschte sich begeistert auf die Schenkel. »Das muss ich dir lassen, die Idee ist nicht von schlechten Eltern.« Er zwinkerte seinem Neffen verschwörerisch zu. »Darüber brütest du aber schon seit dem letzten Lagerfeuer oder trägst du ständig Holzkohle mit dir herum, he?«

Benley nickte Godric anerkennend zu. »Die werden sich vor Angst in ihre Hosen scheißen und nach ihren Müttern schreien, wenn sie uns aus den Büschen springen sehen!«

Es wurden zähe Stunden, bis sie sich endlich zum feindlichen Lager aufmachten. Leise bahnten sie sich einen Weg durch das dichte Geäst und schlugen einen großen Bogen, um nicht unerwartet einem der Verräter beim Austreten gegenüberzustehen. Ihre Gesichter und Hälse hatten sie sich mit Godrics Kohlstück schwarz bemalt. Auf halber Höhe trennten sie sich voneinander und verteilten sich in einem Halbkreis um die Lagerstätte herum. William und Rob übernahmen gemeinsam die Wache am Lagerfeuer. Je näher sie kamen, desto näher kamen sie dem Wanderpfad und das Gebüsch wurde lichter. Ungefähr zwanzig Schritte vor der Wache, legten sie sich auf die Erde und nahmen die Umgebung geruhsam in Augenschein. Neben dem Lagerfeuer hatten die Männer einige Baumstümpfe als Sitzgelegenheit gestellt. Auf einem davon hatte es sich der Wachmann mit ausgestreckten Füßen bequem gemacht. Zur linken Hand, schätzungsweise zehn Fuß entfernt, erkannten sie drei dunkle Umrisse, die sich nicht bewegten. Vermutlich hatten sich Dawnay und zwei weitere Männer schlafen gelegt. Etwas weiter südlich standen ihre Pferde an einem Baum gebunden. Und dort saß mit gefesselten Händen, zum Fuß des Baumes: Williams Knappe Humphrey.

William stieß Rob an und zeigte auf Humphrey, dessen Kopf zur Seite gesackt auf der Schulter lag, was vermutlich darauf hindeutete, dass auch er eingeschlafen war.

Rob nickte stumm und atmete tief aus. »Gott sei Dank.« Dann beugte er sich flüstern zu ihm herüber. »Ich wünschte Harry wäre bei uns, Will.« Ihr Freund Harry hatte nicht mitkommen können, da er auf dem Schlachtfeld in Nájera schwer von einem Pfeil verwundet wurde. Als sie die Verfolgung der Verräter aufnahmen, konnten die Ärzte zwar sagen, dass keine lebenswichtigen Organe verletzt waren, doch ihm stand noch der Heilungsprozess bevor. Und keiner konnte sagen, ob sich die Wunde entzünden würde oder nicht. »Er hätte bereits auf dem Weg hierher mehrere ausgeklügelte Pläne parat gehabt.«

»Darauf kannst du Gift nehmen. Doch wenn das hier klappen sollte, Rob, dann wird er Grund haben stolz auf uns zu sein.« Aufmerksam spähte er durch das Blätterwerk und beobachtete, wie sich die Wache ungeschickt mit einem Holzsplitter im Mund herumstocherte.

Aus unmittelbarer Entfernung war der schwache Ruf eines Käuzchens zu vernehmen. Zumindest sollte man das glauben. Tatsächlich verbarg sich hinter dem Ruf niemand anderes als Godric. Dieser Junge schien einige ungeahnte Talente zu besitzen. Bevor sie aufgebrochen waren, hatte er vorgeschlagen, dass sie sich so unbemerkt untereinander ein Zeichen geben konnten, ob sie ihre Positionen bezogen hatten.

Die anderen hatten also die Schlafstätte der Verräter erreicht und warteten nun auf sie. Er tauschte einen kurzen Blick mit Rob, deutete mit dem Zeigefinger nach rechts und stand vorsichtig auf. Sein Freund tat es ihm gleich und warf sich das mitgebrachte dunkelgraue Leinentuch über Kopf und Schulter, das zuvor noch um seine Hüfte geknotet war. Dann ballte er seine Fauste siegesgewiss vor die Brust und sah William ein letztes Mal tief in die Augen. Ohne eine Reaktion abzuwarten, machte er auf dem Absatz kehrt und ging auf leisen Sohlen in die gezeigte Richtung davon. William wartete ein paar Atemzüge und drehte sich nach links.

Mit pochendem Herzen schlich er sich in den Rücken der Wache. Die Sträucher waren an dieser Stelle nur noch hüfthoch und er musste sich auf den Boden knien, um halbwegs verdeckt zu bleiben. Jetzt hieß es auf Robs Einsatz warten. Passend zu seiner inneren Anspannung, schob sich eine Wolke vor den Mond und tauchte den Platz in schummeriges Licht. Es dauerte, bis sich seine Augen vollends darauf einstellten. Sein Geruchssinn funktionierte hingegen einwandfrei und es gelang ihm nicht, den Geruch nach angebrannten Kaninchen, die halbabgenagt am Spieß über dem Feuer hingen, zu ignorieren.

Ein Rascheln, das vom Pfad herrührte, ließ den Wachmann aufhorchen. Konzentriert zog er sein Schwert und trat nach vorne. Er musste ungefähr in ihrem Alter sein. Er war groß und schlaksig. Bei einem Zweikampf könnte er unterlegen sein, überlegte er.

Auf einem Gehstock gestützt kam Rob langsam den Weg entlang gehumpelt. Das Leinentuch tief ins Gesicht gezogen, hob er hustend die Hand zum Gruß, um die volle Aufmerksamkeit der Wache zu erlangen.

»Nanu Väterchen, was treibt dich – « Abrupt brach der junge Mann ab.

William hatte den Moment der Ablenkung nicht ungenutzt gelassen und war pfeilschnell aus seinem Versteck hervorgesprungen und drückte dem Wachmann seinen Dolch an den Hals. »Ein Mucks und du bist mausetot«, raunte er ihm zu.

Instinktiv hob dieser sein gezogenes Schwert, doch William verstärkte den Druck der Klinge und ein kleines Rinnsal an Blut lief ihm den Hals hinab. »Wenn dir dein Leben teuer ist, dann würde ich das an deiner Stelle unterlassen.«

Widerstandslos ließ er die Hände schlaff neben seinem Körper hängen. Mit großen Schritten kam Rob hinzu, entledigte sich unterdessen des provisorischen Umhangs und nahm dem Mann das Schwert ab. Dann tastete er ihn kurz ab, um nicht von einem Dolch oder ähnlichem überrascht zu werden. Anschließend pfiff er kurz und kräftig durch die Zähne. Woraufhin mehrere dumpfe und unverständliche Laute folgten. Nach nur wenigen Augenblicken kam Godric mit seinem Bruder Humphrey dazu, ganz so als hätten sie bereits direkt neben ihnen in einem Gebüsch gehockt.

Mit einem erleichterten Kopfnicken begrüßte William lächelnd seinen Knappen, dem sofort die Röte ins Gesicht schoss und der sich verlegen die wundgescheuerten Handgelenke rieb, die sein Bruder zuvor von den Fesseln gelöst hatte. Er hätte ihm zu gerne direkt ein paar Takte erzählt, doch das war weder der rechte Zeitpunkt für solch eine Unterredung, noch wollte er dem Jungen vor den anderen die Leviten lesen. Das war eine Sache zwischen ihm und seinem Knappen.