Bavo und Lieschen - Hendrik Conscience - E-Book

Bavo und Lieschen E-Book

Hendrik Conscience

0,0
1,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das große Haus mit seinen hundert Fenstern, welches man von der Wassermühlenbrücke zu Gent aus gewahrt, ist die Kattunfabrik des Herrn Raendonk.

Wiewohl das Tageslicht schon im Abnehmen begriffen ist, sehen wir dort noch Alles in voller rühriger Thätigkeit; der schwerfällige Bau erzittert in seinen Grundfesten unter den Schwingungen der Maschinen, welche die Dampfkraft in seinem Innern in Bewegung setzt.

Da ist zuerst der sogenannte Teufel, jener mächtige Apparat, in dem die Baumwolle geklopft, geschüttelt und gefoltert wird, bis alle Unreinigkeit daraus entfernt; dann sind da die Korden, die Reckwerkzeuge und die Laternen oder drehenden Töpfe, welche die Baumwolle in flockigen Schnee verwandeln, sie mischen, eintheilen und vorbereiten zu ihrer Umgestaltung in haarfeine Fäden durch die Spinnerei; ferner die Scheer- und Stampfmühlen und endlich die Stühle der Weber und die Bänke der Spinner mit ihren zahllosen Rädern und Spulen.

Alles oben und unten bewegt sich durcheinander, läuft, schlingt sich mit fieberhafter Schnelligkeit; es ist ein endloses Chaos von rollenden Achsen, drehenden Rädern, knarrenden Speichen, laufenden Riemen und tanzenden Spulen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hendrik Conscience

Bavo und Lieschen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Bavo und Lieschen.

Bavo und Lieschen.

Von Heinrich Conscience.

 

 

I.

I.

Das große Haus mit seinen hundert Fenstern, welches man von der Wassermühlenbrücke zu Gent aus gewahrt, ist die Kattunfabrik des Herrn Raendonk.

Wiewohl das Tageslicht schon im Abnehmen begriffen ist, sehen wir dort noch Alles in voller rühriger Thätigkeit; der schwerfällige Bau erzittert in seinen Grundfesten unter den Schwingungen der Maschinen, welche die Dampfkraft in seinem Innern in Bewegung setzt.

Da ist zuerst der sogenannte Teufel, jener mächtige Apparat, in dem die Baumwolle geklopft, geschüttelt und gefoltert wird, bis alle Unreinigkeit daraus entfernt; dann sind da die Korden, die Reckwerkzeuge und die Laternen oder drehenden Töpfe, welche die Baumwolle in flockigen Schnee verwandeln, sie mischen, eintheilen und vorbereiten zu ihrer Umgestaltung in haarfeine Fäden durch die Spinnerei; ferner die Scheer- und Stampfmühlen und endlich die Stühle der Weber und die Bänke der Spinner mit ihren zahllosen Rädern und Spulen.

Alles oben und unten bewegt sich durcheinander, läuft, schlingt sich mit fieberhafter Schnelligkeit; es ist ein endloses Chaos von rollenden Achsen, drehenden Rädern, knarrenden Speichen, laufenden Riemen und tanzenden Spulen.

Jede einzelne Bewegung verursacht ein Geräusch; das sich mit tausend anderen Geräuschen vermischt bis zu einem donnerartigen Getöse, zu einem nervenerschütternden Gerassel und Lärmen, so laut und so anhaltend, daß er das Denkvermögen des zufälligen Besuchers verwirrt und ihn schwindlig macht, gleichwie das Heulen des losgelassenen Sturmes aus offener, tobender See.

Und während Eisen und und Maschinen, mit ihrem Leben und ihrer Stimme erfüllen, schleicht der Mensch wie ein sprachloses, gespenstiges Wesen zwischen den riesenhaften Werkzeugen umher, die sein Verstand in's Leben gerufen.

Männer, Frauen und Kinder sind hier in Menge; sie beobachten den Gang der Räderwerke, knoten die zerrissenen Fäden an einander, bringen Baumwolle oder frische Spulen herbei und geben unaufhörlich dem tausendgliedrigen Ungethüm Nahrung, das mit unersättlicher Gier Alles zu verschlingen scheint.

Sieh, wie die Männer- und Frauengestalten beinah achtlos zwischen den Räderwerken sich umherbewegen, wie die Kinder unter den Spinnmühlen durchkriechen! Und es braucht nur ein Riemen, ein Zahn, ein Einziges von all den kreisenden Dingen ihren Kittel, ihr Kleid oder ihren Aermel zu ergreifen, und das unerbittliche Eisen wird ihre Glieder abreißen, ihren Körper zermalmen, und nicht loslassen, bis er dort hinten als eine unkenntliche Masse wieder ausgeworfen wird. Ach wie so mancher unvorsichtige Fabrikarbeiter ist aus diese Weise verstümmelt oder vernichtet worden durch die furchtbare, sinnlose Kraft, die keinen Unterschied kennt zwischen Baumwolle und- Menschenfleisch!

Doch da ertönt eine Glocke! Der Heizer hemmt den Dampf, er nimmt dem Mechanismus Athem und Leben . . . und dem betäubenden Geräusch, dem wilden Tosen folgt die Stille der Einsamkeit und Ruhe.

Es war an einem Sommerabend des Jahres 1834, daß die Arbeiter der Fabrik des Herrn Raendonk also ihre Arbeit aus das Zeichen der Glocke einstellten und sich gemeinschaftlich in den inneren Hofraum begaben, um dort vor einem Fenster des Bureaus die Auszahlung des wöchentlichen- Lohnes zu erwarten.

Obgleich scheinbar durcheinandergemischt erkannte man doch bald eine gewisse Ordnung; es war ersichtlich, daß die Frauen und Kinder sowohl wie die Männer Neigung hatten, abgesonderte Gruppen zu bilden, auch standen die Weber von den Spinnern getrennt an der entgegenliegenden Seite des Hofes.

Zuerst wurden die Frauen ausbezahlt; waren unter ihnen doch so viele Mütter, deren Säuglinge vielleicht seit Stunden nach Pflege und Nahrung schmachteten; arme Geschöpfchen, von Morgen bis Abend fremden Händen anvertraut, seit ihrer Geburt schon zum Darben und Nothleiden verurtheilt, Opfer eines Mißstandes, der gegen das Naturgesetz und gegen den göttlichen Willen die Frau der für sie höchsten Aufgabe, der Erfüllung ihrer Mutterpflicht, entzieht. —

Unter den Arbeitern zeigt sich jetzt einiges Leben; sie sind offenbar erfreut, daß die lange Woche beendet ist und der Sonntag mit seiner Ruhe ihnen winkt.

Ein kräftig gebauter Mann, der unter den Spinnern stand, zeichnete sich vor Allen durch sein lautes s lustiges Wesen aus; Witzworte und grobe Anspielungen kamen von seinen Lippen und wiederholt hatte I er seine Cameraden in ein schallendes Gelächter ausbrechen machen.

Eben jetzt bemerkte er einen Arbeiter der aus der Fabrik kam und sich dem äußersten Ende der Gruppe der Spinner näherte. Er ging ihm entgegen, gab durch ein Zeichen zu verstehn, daß er ihn sprechen wolle, zog ihn einige Schritte von den Uebrigen fort und sagte:

Sieh da, Adrian; Du bist doch heut Abend auch mit dabei? Wie wollen wir lachen und lustig sein!

Wobei denn, Johanns ich weiß von nichts, war die Antwort.

Wie Du solltest nicht wissen, daß der rothe Leo sein Jubiläum feiert?

Was für ein Jubiläum?

Sein fünf und zwanzigjähriges Spinnerjubiläum.

Arbeitet Leo schon so lange? Unmöglich, der Mann ist noch nicht so alt.

Noch nicht so alt, meinst Du? Er war schon beschäftigt in der Fabrik von L. Bauwens, der ersten die in Gent errichtet wurde, Anna 1800, und Leo war damals sechzehn Jahre, an den Fingern kann er Dir es herzählen, als hätte er einen Kalender im Kopf. Spinner wurde er 1807, bei Herrn de Voß, rechne nur selbst nach, sieben von zwei und dreißig bleibt fünf und zwanzig.

In der That, man sollte es nicht sagen, der rothe Leo sieht wie ein Vierziger aus.

Das kommt er weiß zu leben und läßt Gottes Wasser über Gottes Land laufen. Wenn er ein Knauser wäre, läge er längst auf dem Kirchhof. Ein gutes Seidel Bier und von Zeit zu Zeit ein Schluck Branntwein, das macht gesundes Blut, Kerl. Nun, Du thust doch mit? Einen halben Franken Einsatz; wir lachen, singen und trinken die halbe Nacht, und morgen ist Sonntag. Außerdem werden vier fette Kaninchen ausgewürfelt, ein Extraprosit, in der Blauen Ziege, bei unserm Cameraden Peter Knül.

Der Andere besann sich eine Weile; dann sagte er:

Ich habe keine Lust, Johann.

Was soll das nun heißen? rief Johann, Du wirst doch nicht fünf und zwanzig Cents verweigern, wenn es gilt, das Fest eines alten Freundes zu feiern?

Die fünf und zwanzig Cents würden mich nicht abhalten; den rothen Leo kenne ich aber kaum, und dann sage ich Dir gerade heraus, das Trinken halbe Nächte hindurch paßt mir nicht mehr, ich kann es nicht vertragen, es macht mich krank.

Diese, in einem gewissen furchtsamen Ton gesprochenen Worte riefen bei Johann ein spöttisches Lächeln hervor; er ergriff beide Hände seines Freundes und sagte:

Dammholz, Dammholz, armer Junge, Du dauerst mich; früher warst Du immer vorn an und es schien Dir nie zu spät, nach Hause zu gehen; aber seit Du verheirathet bist - ich hab’ es gleich im ersten Jahre bemerkt — seit Du verheirathet bist, kommst Du mehr und mehr unter den Pantoffel, Du darfst Dich nicht mehr rühren noch wegen, wirst allmählich ein Dummkopf, ein Geizhals, ein Kopfhänger. Pfui, vergiß doch nicht, daß Du ein Mann bist und laß Dich von Deiner Frau nicht gängeln wie ein kleines Kind! Du thätest gern genug mit, das weiß ich, aber Du mußt erst Frau Dammholz um um Erlaubnis fragen, und wer weiß, ob Du Courage dazu hast.

Wildenschlag, ich will nicht böse werden, weil ich weiß, daß Du es gut meinst, brummte Adrian, aber Du thust mir Unrecht.

Nun, so leugne, wenn Du kannst, daß Du nicht willst aus Rücksicht für Deine Frau.

Im Gegentheil, ich gebe gern es zu, ihr und meinen Kindern zu Liebe bleibe ich zu Haus.

Ja, Deine Kinder, Dammholz, an Deinen Kindern bindest Du Dir eine schöne Ruthe! Kleide sie nur wie kleine Rentner, fahre fort, sie in die Schule zu schicken.

So lange sie jung sind werden sie mehr kosten als Du verdienen kannst, sie werden spielen und sich ihres Lebens freuen, während Du armer Schlucker nach der schweren Arbeit einer ganzen Woche nicht mal ein Glas Bier mit Deinen Freunden trinken darfst. Gib ihnen Deinen Schweiß und Dein Blut, opfere Deine Gesundheit!,verkürze Dein Leben; wenn sie dann groß sind, werden sie den armen, abgenutzten Fabrikarbeiter nicht mehr kennen, ihn kaum noch ansehen wollen.

Diese Worte verfehlten ihren Eindruck aus Adrian Dammholz nicht; er blickte traurig vor sich hin und sagte dann zögernd:

Die Gelehrsamkeit ist aber doch ein Schoß, Wildenschlag, eine Kraft, die den Menschen zu Allem befähigt; und da wir unsern Kindern sonst nichts hinterlassen können . . .

Faseleien, Träume von Deiner Frau, versetzte der Andre; was in aller Welt soll ein Spinner oder Weber mit Gelehrsamkeit anfangen? Wenn wir auch lesen und schreiben könnten, was würde es uns nützen: Hast Du weniger deshalb verdient, weil Du ein A nicht von einem B unterscheiden kannst? Das ist alles dummes Zeug und weiter nichts. Unsere Eltern haben gearbeitet von Kindesbeinen an, wir haben es eben so gemacht, warum sollten unsere Kinder besser daran sein? Ich für meinen Theil verspüre wenig Lust, mich ihretwegen abzuhetzen und - sie mit meinem Schweiß zu mästen; Einer von meinen Jungen ist schon in der Fabrik, die andern werden folgen; so kommt von allen Seiten Fett in den Topf, alter Freund, und für uns fällt ein Seidel Bier und hier und da ein vergnügter Abend ab. Nun, was sagst Du? willst Du mitfeiern? Sei doch nicht so bange vor Deiner Frau, sie mag in Gottes Namen etwas brummen, und wenn sie es zu toll macht, so zeigst Du ihr, daß Du ein Mann bist - und ein Herz im Leibe hast.

Adrian Dammholz holte ein fünf und zwanzig Centstück aus seiner Tasche hervor und übergab es seinem Gefährten.

Also heut Abend Punkt neun Uhr in der Blauen Ziege bei Peter Knül! jubelte Wildenschlag. Wir wollen ein Leben machen, daß Du in Deinen alten Tagen noch daran denken sollst.

Ich will sehen, was sich thun läßt, murmelte Adrian, sicher kann ich nichts versprechen.

Wie, Du wirst doch nicht so dumm sein Dein Geld von den Andern vertrinken zu lassen? Dann müßte ich sagen, Du hättest mit Deiner Frau die Kleider gewechselt! Unmöglich, Adrian, so weit bist Du noch nicht.

In diesem Augenblick rief man vom Büreau aus gewisse Zahlen, und die beiden Freunde erkannten daraus, daß jetzt an ihnen die Reihe sei, den Wochenlohn in Empfang zu nehmen.

Wildenschlag wurde zuerst ausbezahlt, doch wartete er auf Adrian, um gemeinschaftlich mit ihm nach Hause zu gehen. Als aber Adrian Dammholz an das Fensterchen trat, bedeutete man ihn sammt einigen Anderen noch zu bleiben, um eine nothwendig gewordene Verrichtung vorzunehmen.

Bis heut Abend denn, sagte Wildenschlag, indem er ihm die Hand drückte, wenn Du ausbleibst, dann gebe ich Dich auf. Sei auf Deiner Hut, Freund Adrian, Jeder muß in der Welt seinen Theil Freuden genießen. Wenn Du fortfährst Dich für Frau und Kinder zu opfern, so werden sie ohne Mitleiden Dich mißbrauchen und aussaugen bis Deine Gesundheit gänzlich ruiniert ist. Laß uns mit dem Winde segeln, nach uns mag dann die Welt vergehn! Hurrah, es lebe der Leichtsinn!

Und lachend, mit einem tollen Lustsprung eilte er, von vielen seiner Gefährten gefolgt, die Straße dahin, um unter der ersten besten Gaslaterne seinen hart erworbenen Reichthum noch einmal zu überzählen.

II.

II.

Am Ende einer engen Gasse, in dem Stadttheil jenseits der neuen Brücke, standen etwa dreißig kleine Häuser von gleicher Gestalt, und sichtlich zu dem Zwecke erbaut, Fabrikarbeitern und andern geringen Leuten als Wohnung vermiethet zu werden.

In einem dieser Häuschen war eine Frau beschäftigt, Leinwand und Kinderkleider in einer Bütte zu waschen.

Sie stand in der vollen Kraft des Lebens, war ohne Zweifel einst schön gewesen und konnte vielleicht noch so genannt werden. Allein die Unordnung an ihrer Kleidung, die Nachlässigkeit und Verkommenheit von der Alles an ihr und um sie her Zeugnis gab, mußten unfehlbar Widerwillen und Ekel erregen. Mit großer Haft ging sie zu Werke, tauchte ihre bloßen Arme tief in den Zuber und schüttelte und rieb die Wäsche so wild und ungestüm, daß das Wasser in Strömen zur Erde rann und gleich einer schleimigen Pfütze sich ringsumher verbreitete.

Die Stube war ganz erfüllt von dem fetten Seifendunst und die Lampe, die am Kamin aufgehängt war, verbreitete nur ein mattes, trübes Licht.

Neben ihr kochte in einem steinernen Topf auf dem Ofen das Abendessen von Zeit zu Zeit zog sie ihre Hände aus dem Waschfaß, ergriff einen hölzernen Löffel und stampfte und rührte in dem Topf um die Speise vor dem Anbrennen zu bewahren.

Vier Kinder, Knaben und Mädchen von verschiedenem Alter, beschmutzt und mit zerrissenen Kleidern saßen, oder lagen vielmehr, in einem Winkel auf dem Fußboden. Sie spielten, rissen dabei aber nicht selten einander an den Haaren, prügelten sich und schrien rohe Worte, die aus Kindermund doppelt widerwärtig klangen.

Die Frau gab Anfangs wenig Acht darauf bis endlich der unerträgliche Spektakel und der Ruf: Mutter, Hilfe! Hilfe! ihre Geduld erschöpften. Sie sprang auf die Kinder zu, gab dem Ersten einen Stoß, dem Zweiten einen Faustschlag, und den Uebrigen einige schallende Ohrfeigen.

Dann kehrte sie in die Nähe des Ofens zurück, rührte in den Kartoffeln und schimpfte dabei in so rohen gemeinen Ausdrücken, daß die armen Kleinen nur neue Ungezogenheiten daraus lernen, konnten.

Da habt Ihr die Sauerei, Ihr garstigen Taugenichtse! rief sie aus, die Kartoffeln sind angebrannt, der Vater wird wieder des Teufels sein und mir einen Hausen Scheltworte an den Kopf werfen. Er und Ihr, Ihr glaubt, daß ich Eure Sklavin bin und nur lebe, um ausgeschimpft, geplagt und gequält zu werden von Morgen bis Abend. Wo er nur wieder bleibt, Euer sauberer Vater? Jedenfalls in der Blauen Ziege, beim Peter Knül!Er hat heute seinen Wochenlohn eingesackt, und nun ist der Trunkenbold darüber aus, das Geld durch, die Kehle zu jagen. Aber warte, ich will Dich holen! — Bleibt mir von dem Topf, während ich fort bin, oder ich breche Euch all' zusammen das Genick!

Kaum hatte die Mutter das Haus verlassen, als die Kinder mit ihren bloßen Füßen in dem übergeflossenen Seifenwasser zu tanzen begannen, so daß Wände und Hausgeräthe mit schlammigen Flecken überzogen waren.

Erschreckt stoben sie indessen aus einander, als ihr Vater unerwartet auf der Schwelle sich zeigte. Der Geruch von dem angebrannten Essen entlockte dem Manne einen Laut der Unzufriedenheit; der Seifendunst und das schmutzige Wasser auf dem Fußboden machte ihn schaudern und sein Gesicht nahm den Ausdruck des Ekels und Verdrusses an.

Wo ist die Mutter? fragte er.

Zur Blauen Ziege, bei Peter Knül, antworteten die Kinder.

Bei Peter Knül?

Um Dich zu holen, Vater.

Ha, da bist Du, Schmierfink! rief er dann, als er seine Frau eintreten sah, was ist das hier für eine Wirthschaft? Warum wäschest Du Deine scheußlichen Lumpen gerade des Abends, wann ich nach Haus komme? Den ganzen Tag bist Du wohl wieder in der Nachbarschaft herumgelaufen und hast Dein Klatschmaul in Bewegung gesetzt.

Käte, geh’ und ruf Deine Schwester Lieschen, - sagte die Frau, scheinbar ohne von dem harten Tadel ihres Gatten die geringste Notiz zu nehmen.

Mich schüttelt das Fieber, sobald ich nur einen Fuß in Deinen Schweinestall setze, fuhr dieser fort, ich habe die größte Lust ganz auf und davon zu gehen und nie wieder zu kommen. Arbeitet man da die lange Woche hindurch und quält sich ab, um Geld in den Haushalt zu bringen, und findet Samstags verbrannte Kartoffeln und einen Haufen Schmutz, daß sich Einem vor Ekel das Herz im Leibe umdreht. — Nun, wirst Du bald antworten?!

Bah, antworten, versetzte die Frau spottend, ich lache über Alles was Du mir da sagst. Du meinst wohl, Du hättest mich gemiethet und ich sei Deine Magd! Gefällt Dir das Essen nicht, so laß es stehn; ist Dir das Haus nicht rein genug, so scheute es selbst, einfältiger Schwätzer.

Drohend erhob der Mann den Arm.

So? rief sie, die Fäuste jucken wohl wieder heute. Komm, lieber Wildenschlag, genir’ Dich nicht! Du hast gewiß Lust, noch einmal mit zerkratztem Gesicht zur Fabrik zu gehen. Sag nur wie Du es wünschest, ich bin ganz bereit, wenn eine kleine Prügelei Dir Vergnügen macht. Sonst aber schweig und iß in Frieden, die Kartoffeln sind nur wenig verbrannt und schreien, schelten und schlagen wird sie nicht besser machen.

Jetzt trat ein siebenjähriges Mädchen still und langsam in's Zimmer. Die Kleine hatte ein mageres, schwächliches Aussehen, aber ihre blauen Augen glänzten wie Perlen, und um den feinen Mund spielte ein wunderbar lieblicher Zug; etwas Leidendes, Flehendes, als wäre das Kind ein lebendes Gebet. Wenn auch von gewöhnlichem Schnitt und grobem Stoff waren die Kleider doch sehr sauber und hier in diesem verkommenem Haus erschien die ganze kleine Gestalt wie umstrahlt von einem Hauch seelischer Unschuld und körperlicher Reinheit.

Sie ging auf den Mann zu, legte schmeichelnd ihre Hand in die seine, sah ihn an mit einem stillen, doch tiefen Blick und sagte lächelnd:

Guten Tag, Väterchen.

Der silberne Ton dieses Stimmchens, der sanfte Augenausschlag seines kränklichen Kindes rührte den Arbeiter.

Guten Tag, mein gutes Lieschen, antwortete er, die Kleine an sein Herz drückend, wir geht es Dir heute? Bist Du noch krank?

Noch ein wenig, Vater, war die Antwort; die Base Dammholz hat mir Kräuterthee zu trinken gegeben, dadurch fühle ich mich gestärkt.

Ist Dammholz schon aus der Fabrik zurück? fragte Wildenschlag.

Noch nicht, Vater.

Komm, setz' Dich, Lieschen und iß, Kind; denn die wüsten Rangen sind schon zu Gange, sie würden Dir nichts übrig lassen.

Das Mädchen setzte sich an den Tisch, machte das Zeichen des heiligen Kreuzes und betete still; dann begann es mit auffallender Zierlichkeit zu essen.

Wildenschlag fand die Kartoffeln äußerst bitter und schlecht, er machte lange Zähne, schnitt Gesichter und brummte vor sich hin, doch bezwang er seinen Aerger und brach nicht mehr in Schimpfwörter aus, es war als hätte die Gegenwart des bleichen, sanften Kindes das Schicklichkeitsgefühl neu in ihm geweckt.

Endlich sagte er mit einem Seufzer:

Aber, Lina, ohne zanken zu wollen, solltest Du Dein Haus nicht etwas sauberer halten und den Kindern ein besseres Beispiel geben können? Sieh doch nur, wie die Base Dammholz es einzurichten versteht! Ihr Mann ist ein Fabrikarbeiter wie ich, er lebt von seinem Tagelohn und doch könnte man, bei ihm vom Fußboden essen, so rein ist es in seiner Wohnung.

Was sprichst Du mir nur immer von der Base Dammholz, gab sie bissig zur Antwort; sie ist eine gute, brave Frau, das will ich nicht in Abrede stellen, aber Dammholz sind ganz andere Leute, als wir. Du kannst versichert sein, daß sie Geld auf Zinsen haben oder sonstiges Eigenthum, wenn sie es auch verheimlichen.

Nein, das haben sie nicht; es kommt kein Heller in’s Haus, den Adrian nicht in der Fabrik erworben hat. Ihr Einkommen ist sogar geringer als das unsere, da unser Junge schon vier Franken wöchentlich verdient.

Der saubere Schlingel sitzt gewiß wieder in irgend einer Kneipe! Er artet seinem Vater nach, wird ein Taugenichts, wenn er es nicht schon ist, verlaß Dich d'rauf!

Nein, nein, er ist hinter dem Zapfenstreich hergelaufen. — Glaub’ mir, Lina, die Base Dammholz, braucht weniger für ihren Haushalt als Du; wie sie, so könntest Du es auch einrichten.

Gib Dich zufrieden, Wildenschlag, Jeder singt wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und einem alten Affen kann man nicht neue Kunststücke beibringen. Hör' auf, dies Liedchen zu pfeifen, nutzen thut es doch nichts. Weißt Du auch, was der Hauswirth von Deiner Base Dammholz sagt? Daß sie sorgsam und ordentlich ist, weil sie lesen kann.

Das sagt er doch wohl nur zum Scherz. Frau Dammholz kann nur im Kalender und in ihrem Gebetbuch lesen, und daraus wird sie doch den Haushalt nicht lernen.

Dann kommt es, weil Dammholz weniger Geld verzehrt und zu Haus bleibt, während Du halbe Nächte trinkend und würfelnd im Krug verbringst.

Sehr möglich, antwortete Wildenschlag, ungeduldig den Kopf schüttelnd, wer sagt Dir aber, daß ich, wenigstens an Wochentagen, nicht auch zu Haus bleiben würde, wenn es hier nicht so ekelhaft wär wie in einem Stall und ich ein freundliches Gesicht fände. Aber Du mit Deinem barschen Wesen und Deiner Verkommenheit könntest einen Engel aus dem Hause jagen.