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Er ist Mr Trouble, Mr Eiskalt, Mr Gefährlich - Mr Danger eben, die Quelle meiner Inspiration.
Julia Stonefields Traum ist zum Greifen nah. Der berühmte Modedesigner Giuliano Meloni ist bereit sie als Praktikantin einzustellen, wenn sie es schafft, dass Levin McKenzie, ein berüchtigtes New Yorker Bandenmitglied, nach seiner Haftstrafe als Model für ihn arbeitet.
Keine leichte Aufgabe für Julia, denn Levin passt mit seinem Benehmen so gar nicht in die schillernde Modewelt - er ist rau, unverschämt und gefährlich. Als er schließlich dem Angebot zustimmt, ist es Julias Job ihm Manieren beizubringen. Schnell merkt sie, dass Levins Abgründe tiefer sind, als sie sich vorstellen kann. Trotzdem übt er eine Anziehungskraft auf sie aus, derer sie sich nicht entziehen kann - und bringt Julia damit in ein Dilemma, das sie vor eine schwere Entscheidung stellt.Sie muss aufpassen, dass sie sich nicht die Finger an dem Bad Boy verbrennt, denn Levin McKenzie ist die personifizierte Sünde und ein Mann voller Geheimnisse ...
Beautiful Danger: spannend, emotional, dramatisch und vor allem: heiß!
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Seitenzahl: 460
ANY CHERUBIM
Beautiful Danger
Vertrau mir nicht
Roman
Er ist Mr Trouble, Mr Eiskalt, Mr Gefährlich – Mr Danger eben, die Quelle meiner Inspiration.
Julia Stonefields Traum ist zum Greifen nah. Der berühmte Modedesigner Giuliano Meloni ist bereit sie als Praktikantin einzustellen, wenn sie es schafft, dass Levin McKenzie, ein berüchtigtes New Yorker Bandenmitglied, nach seiner Haftstrafe als Model für ihn arbeitet.
Keine leichte Aufgabe für Julia, denn Levin passt mit seinem Benehmen so gar nicht in die schillernde Modewelt – er ist rau, unverschämt und gefährlich. Als er schließlich dem Angebot zustimmt, ist es Julias Job ihm Manieren beizubringen. Schnell merkt sie, dass Levins Abgründe tiefer sind, als sie sich vorstellen kann. Trotzdem übt er eine Anziehungskraft auf sie aus, derer sie sich nicht entziehen kann – und bringt Julia damit in ein Dilemma, das sie vor eine schwere Entscheidung stellt. Sie muss aufpassen, dass sie sich nicht die Finger an dem Bad Boy verbrennt, denn Levin McKenzie ist die personifizierte Sünde und ein Mann voller Geheimnisse …
Beautiful Danger: spannend, emotional, dramatisch und vor allem: heiß!
Für Perico»Wer dich kannte, weiß, was wir verloren haben.«
Das Stöhnen meiner Mutter und das eines Fremden drangen bis in unser Kinderzimmer. Das Keuchen, Schnaufen und Quietschen des Bettes vertrieben meine Müdigkeit und ich war hellwach. Wüste und schmutzige Worte schollen herüber und manchmal mischte sich das Wimmern von Mom darunter. Genau wie jetzt.
Lautlos stand ich auf und warf einen Blick zu Jacob, der ruhig in seinem Bettchen lag und schlief. Selten wachte er auf, und das war auch gut so. Er war noch zu klein, um zu verstehen, aber ich wusste Bescheid. Mit meinen zehn Jahren verstand ich mehr, als alle Erwachsenen glaubten.
Moms Kunden taten ihr weh, ich hörte es an ihrem Stöhnen, manche schlugen und erniedrigten sie, aber Mom hatte mir versichert, dass das zu ihrem Job dazugehörte. Einmal erklärte sie mir, dass sie Spaß daran hätte, aber ich wusste, dass sie mehrmals täglich ihren Stoff brauchte, um es auszuhalten, um es geschehen zu lassen, um zu vergessen. Erst wenn der letzte Freier den Reißverschluss seiner Hose zuzog, Mom das Geld für ihre Arbeit bekam und der Kerl verschwand, waren nur noch die Grillen zu hören, die draußen zirpten. Es war das schönste Geräusch, friedlich und sanft, aber nicht das Ende dieser Nacht – noch lange nicht.
Meine Faust ballte sich um das Taschenmesser, das ich vor einiger Zeit einem Jungen gestohlen hatte. Es war unser einziger Schutz. Damit konnte ich Mom helfen, falls sie mal wieder Schwierigkeiten hatte. Ich wünschte, ich hätte eine gefährlichere Waffe, eine, vor der alle Dreckskerle zurückschreckten. Draußen vernahm ich dumpf ihre flehende Stimme. Sofort klappte ich das Messer auf. Es war klein und vielleicht nicht so scharf, aber es reichte aus, um manche Scheißkerle einzuschüchtern. Eiseskälte schlängelte sich durch meine Brust, gemischt mit einer unbändigen Wut. Mom hatte mir strikt verboten, mein Zimmer zu verlassen, wenn sie arbeitete. Sie hatte den Hass in meinen Augen gesehen, als sie vor ein paar Wochen von einem Freier verprügelt worden und ich dazwischengegangen war. Ich hatte dem Kerl das Messer in den Bauch gerammt, das hatte für einigen Wirbel gesorgt, den ich nicht verstand. Der Kerl überlebte und seit dem Tag sahen mich die Leute in unserer Straße seltsam an.
Ich ging zu Jacobs Gitterbett und zog die Decke über seine Beinchen, bevor ich aus dem Fenster kletterte und auf die verwilderte Wiese hinter unserem Haus sprang. Ich lief vorbei an Gerümpel, Müll und Schrott, der überall in unserem Viertel lag. Wir lebten in einer heruntergekommenen Gegend, in der Gewalt, Prostitution und Verbrechen an der Tagesordnung waren. Wir waren der Abschaum der Stadt und selbst die Bullen ließen sich hier nur selten blicken.
Je weiter ich mich von unserem Haus entfernte, desto mehr entspannte ich mich und die gefährliche Kälte in mir verzog sich.
Es war kurz vor Mitternacht, als ich das Tony’s betrat. Mad, Moms Boss, war der Besitzer des Restaurants. In meinem Viertel war er ein Gott und jeder mochte ihn. Er und seine Männer waren die SinDangers. Sie kümmerten sich gut um die Frauen, die für Mad arbeiteten. Seit sie Mom beschützten, ging es uns besser. Schon seit einem Jahr bezahlte Mad unsere Wasser- und Stromrechnungen und versorgte uns mit Lebensmitteln, die ich einmal die Woche in seinem Restaurant abholte. Dafür gab Mom ihm einen Teil des Geldes, das sie verdiente. Früher war sie die ganze Nacht unterwegs gewesen, dank ihm konnte sie zu Hause bleiben.
Jeder hatte Respekt vor den SinDangers. Mad, der Anführer, war Geschäftsmann. Seine Macht und sein Einfluss wuchsen jeden Tag. Es kursierten die schlimmsten Gerüchte. Man munkelte, dass sogar die Polizei mit ihm arbeitete. Aber davon verstand ich nichts. Für mich war er ein Held, stark und mächtig. Einmal hatte er einem Typen vor meinen Augen die Fresse poliert, weil er Mom nicht bezahlen wollte. Wenn es ums Geld ging, verstand Mad keinen Spaß. Er war ein harter Typ und genoss großes Ansehen.
Ich war spät dran. Heute Nachmittag hätte ich schon bei ihm auftauchen sollen, um unsere Lebensmittelration abzuholen. Zaghaft klopfte ich an die Tür des Restaurants und wartete. Drinnen brannte noch Licht. Es dauerte eine ganze Weile, bevor Will, Mads dickbäuchiger, alter Koch, mir öffnete. »Du kommst spät, Junge«, sagte er, ließ mich aber eintreten. Es waren keine Gäste mehr im Lokal. Will lief durch den langen Gang und verschwand in seiner Küche. Mad saß mit zwei seiner Männer an seinem Stammplatz und polierte eine Pistole. Über dem Tisch hing dichter Zigarrennebel und die Luft roch nach Bratfett und Bierdunst. Vor ihnen blieb ich stehen, betrachtete fasziniert weitere Waffen, die auf einem Nebentisch lagen. Es waren zwei Pistolen, Butterflys und Schlagringe. Mein Blick blieb an einer der Knarren hängen und ich wünschte, ich würde so eine besitzen. Das schwarze Metall glänzte im Licht und ich spürte die Macht, die von ihr ausging.
»Was treibt dich zu so später Stunde noch hierher?«, fragte Mad, ohne von dem Schalldämpfer, den er gerade säuberte, aufzusehen.
»Hat deine Mama keine Zeit für dich, Pisser?«, warf Bob, einer der Männer, dazwischen. Er und der andere Typ brachen in Gelächter aus.
Mad hielt inne und es reichte ein Blick, um sie zum Schweigen zu bringen. Auf der Stelle verstummten sie. »Hunger?«, richtete er dann das Wort wieder an mich.
Ich nickte. »Ja, Sir.«
Mad lehnte sich zurück und rief nach seinem Koch. »Will, bring dem Jungen etwas zu essen.« Ein kurzes Murren dröhnte aus der Küche und Geschirr klapperte. »Setz dich. Ich hatte früher mit dir gerechnet.«
Wer an Mads Tisch sitzen wollte, musste seine Waffen ablegen. Das war sein Gesetz und jeder hielt sich daran. Nur ungern offenbarte ich, was sich in meiner Hosentasche befand, aber ich hatte keine andere Wahl. »Tut mir leid, Sir.« Wenn er erfuhr, dass Mom sich mal wieder den ganzen Nachmittag mit ihren Candys, wie sie es nannte, abgeschossen hatte, dann würde er ihr vielleicht den Laufpass geben und wir alles verlieren. »Ich habe es vergessen«, log ich und legte zögernd mein Messer zu den anderen Waffen. Daneben sah es mickrig aus.
Mad warf nur einen kurzen Blick darauf, spitzte die Lippen und polierte weiter. Er war schlau und gerissen, man sollte immer auf der Hut vor ihm sein, doch irgendetwas Väterliches lag in seinen Augen. Aus irgendeinem Grund vertraute ich ihm, denn er war stets gut zu uns.
»Gefallen dir die Waffen?«
»Ja, Sir.«
Mad schmunzelte.
Will kam mit einem Teller dampfender Spaghetti. Bei dem Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen. Schon lange hatte ich keine warme Mahlzeit mehr gehabt und sofort begann ich mir die Nudeln mit der Gabel in den Mund zu stopfen. Niemand sprach, während ich gierig aß. Erst als ich den zweiten Nachschlag verschlungen und einen Vanillepudding vor mir stehen hatte, legte Mad das Poliertuch beiseite und sah mich lange und eindringlich an. »Lasst uns allein«, befahl er seinen Männern. Schwerfällig standen sie auf und das Rücken der Stühle war zu hören.
»Wie geht es deiner Mom? Und deinem kleinen Bruder? Wie heißt er noch gleich?«, fragte Mad, als wir unter uns waren.
»Jacob«, antwortete ich gehorsam. »Es geht ihnen gut, Sir.«
»Nettes kleines Spielzeug hast du da.« Er nickte zum Tisch, auf dem mein Taschenmesser lag.
Stolz hob ich das Kinn, denn auch wenn mein Messer weder sehr groß noch sehr scharf war, hatte ich Jacob, Mom und mich damit schon einige Male beschützen können.
Neugierig kniff Mad die Augen zusammen und neigte den Kopf. »Man hat mich informiert, dass du ganz gut mit dem Ding umgehen kannst. Ich mag Männer, die mutig sind, nur damit wirst du nicht viel ausrichten können.« Sein Blick wurde noch eindringlicher und ich hatte das Gefühl, er könne in mich hineinschauen. Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl hin und her.
»Komm mit. Ich will dir was zeigen.«
Ich folgte ihm durch die Küche. Mad gab Will schnippend ein Zeichen, dass er mit uns kommen sollte. Im Flur öffnete er eine Tür und schaltete das Licht ein. Wir gingen die Treppe hinunter in einen der Kellerräume. Dort unten lagerten Lebensmittel für das Restaurant. Neben Kartoffeln, Konserven und Weinflaschen in diversen Regalen hingen sogar ganze Schinken am Haken. Noch nie hatte ich so viel Essen gesehen. Aber Mad lief weiter und trat in einen Durchgang, in dem zwei Holzkisten standen. Er gab Will den Befehl, eine zu öffnen. Zuerst dachte ich, sie enthielt nur Stroh, doch als Mad es beiseiteschob, bekam ich große Augen. Handfeuerwaffen in allen Varianten und Größen.
»Abgefahren«, rief ich voller Begeisterung.
Mad grinste und sah mich aufmerksam an. Ich aber hatte nur Augen für die Pistolen. Noch nie hatte ich so viele gesehen. Ich wagte nicht, sie zu berühren. »Sind die echt?«
Mad lachte. »Natürlich, mein Junge. Die beste Ware, die man zurzeit kriegen kann. Würdest du gern lernen, wie man damit umgeht?«
Ich riss die Augen auf und mein Herz machte einen Sprung.
»Ein Mann muss in der Lage sein, das zu schützen, was ihm gehört. Je besser du über alles Bescheid weißt, desto sicherer bist du. Verstehst du das?«
»Ja.« Ich sog seine Worte auf wie ein Schwamm.
»So wie du deine Familie beschützt, beschütze ich meine. Du kennst doch die SinDangers?«
Ich nickte. Jeder kannte, jeder respektierte und jeder fürchtete sie.
»Sie sind das Wichtigste für mich.« Er sah mir fest in die Augen. »Einen Jungen wie dich könnte ich gebrauchen, einer, der so ist wie du, der sein Leben für seine Familie geben würde. Das imponiert mir.«
Freude und Stolz wärmten mich. Solche Worte hatte mein Dad nie zu mir gesagt. Vor drei Jahren ging er einfach fort. Hoffentlich würde der Bastard niemals zurückkommen.
»Ich glaube, mit ein wenig Unterweisung und Training kannst du lernen, präzise mit Waffen umzugehen. Man würde dich fürchten und dir Respekt zollen. Wenn du gut bist und dich anstrengst, könnte aus dir eines Tages eine wichtige Persönlichkeit bei den SinDangers werden.«
Ich konnte es nicht fassen. Mad, der mächtigste Mann in unserem Viertel, wollte mir zeigen, wie man mit Pistolen umging? »Ehrlich?« Ich brauchte nicht lange zu überlegen, doch dann fiel mir noch etwas ein. »Was ist mit Mom und den Sachen, die wir immer von Ihnen bekommen?«
Mad gab mit einer Kopfbewegung Will ein Zeichen. Dieser verschwand, kam mit dem üblichen Karton Lebensmittel zurück und stellte ihn neben mir auf dem Boden ab.
»Wir sind dann eine Familie, Levin. Wir helfen einander. Du kannst mit allen Problemen und Sorgen zu mir kommen. Ich werde mich darum kümmern. Dafür erwarte ich Gehorsam und Loyalität. Verstehst du, was ich meine?«
Nickend konnte ich mein Glück kaum fassen. Bald würde mich niemand mehr als Schwächling und Versager sehen, niemand würde mehr über den Namen Levin McKenzie lachen, sondern mir mit Respekt und Ehrfurcht begegnen. »Einverstanden.« Wir schüttelten uns die Hände und besiegelten unseren Pakt, der mein Leben verändern würde.
Das Geräusch von kurzen, unablässigen Küssen erfüllte mein Zimmer und es würde nicht mehr lange dauern, bis meine Lippen ganz rot und geschwollen waren. Ich liebte den Mann, der halb auf mir lag, mich küsste und gleichzeitig mit dem Daumen meine Wange streichelte. Meine Hände fuhren über Patricks Oberarme und umschlossen seinen Nacken. Mein Herz hämmerte und ich spürte diese ungestillte Sehnsucht nach mehr. Er hatte wunderschöne braune Augen mit kleinen olivfarbenen Sprenkeln, die mir so vertraut waren. Sein Blick ruhte auf meinen Lippen und uns war die süße Versuchung, die uns lockte, mehr als bewusst. Bisher waren wir vernünftig gewesen und hielten uns an das Versprechen, welches wir uns vor drei Jahren gegeben hatten. Aber heute wollte ich eindeutig mehr – nur ein winziges bisschen mehr. Mein Herz flatterte, als ich seine Erektion an meinem Bauch spürte. Patrick wollte es, genau wie ich.
Abrupt unterbrach er meinen Kuss und zog sich zurück. Ich war noch nicht bereit aufzuhören. Ich wollte ihn, genau dort, wo es süß und geheimnisvoll kribbelte. Wie benebelt zog ich ihn mit sanftem Druck zu mir herunter und drückte meine Lippen auf seine. Neugierig kostete ich mit der Zunge von seiner Unterlippe. Deutlich nahm ich das Zucken in seinem Schritt wahr und ein leises Stöhnen entwich seiner Kehle. Ich wiederholte es und war wie benommen von seiner körperlichen Reaktion. Es schien ihm zu gefallen.
»Oh Julia, nicht! Wir gehen zu weit.« Sanft löste er sich von mir und richtete sich auf.
Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Hatte ich etwas falsch gemacht? Gefiel es ihm doch nicht?
»Das … wir sollten das nicht tun«, presste er heiser hervor und drehte mir den Rücken zu. Sofort erlosch die Hitze in mir und ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit.
»Wieso tust du das? Wir hatten doch ausgemacht …« Seine Stimme war noch immer belegt und mehrmals fuhr er sich verwirrt durchs Haar. Wir brauchten beide mehrere Sekunden, um wieder klar zu werden.
Ich richtete mich auf. »Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.« Zögernd legte ich eine Hand auf seinen Rücken und strich die Falten seines T-Shirts glatt. War ich zu weit gegangen? Alle taten es, die Mädels hier in Bridgeton, die Leute in Liebesfilmen und in New York auch schwule Paare. »Willst du nicht wissen, wie es ist, wenn wir etwas weitergehen? Ich meine, wir werden so oder so irgendwann heiraten und deshalb können wir doch jetzt schon herausfinden, was uns gefällt, oder nicht?«
Er drehte sich zu mir und schaute mich fragend an. »Wir haben schon oft darüber geredet, Julia. Sex soll nicht so viel Raum in unserer Partnerschaft einnehmen. Bisher hattest du doch kein Problem damit, warum jetzt? Wir haben uns versprochen, bis nach der Hochzeit zu warten.«
Seufzend senkte ich den Blick und schmollte. Ich wollte doch nicht gleich in die Vollen gehen, eben nur ein klitzekleines Stückchen in diese Richtung. Aber das behielt ich für mich. Die Stimmung war ohnehin vorbei.
Erstaunt hob Patrick die Brauen, als ich nicht gleich antwortete. »Julia?« Eine Sorgenfalte erschien auf seiner Stirn. »Hast du es dir etwa anders überlegt?« Er war kreidebleich geworden.
Sofort beugte ich mich zu ihm und legte beschwichtigend meine Hand auf seine Wange. »Nein, natürlich nicht. Ich liebe dich, und das weißt du.« Ich seufzte. »Aber manchmal wünsche ich mir, dir noch näher zu sein. Und wenn du mich wie eben ansiehst, dann …«
Seine Züge wurden wieder sanfter. »Ich verstehe dich, mir geht es doch genauso. Für mich ist das auch nicht leicht.« Er deutete mit einem Nicken auf den Schritt seiner Hose, was mir ein Grinsen entlockte. »Wir sollten trotzdem nicht so leichtfertig mit unserer Jungfräulichkeit umgehen. Nach der Hochzeit sind wir froh, dass wir verzichtet haben. Du wirst sehen.«
Patrick strahlte so viel Gewissheit aus, dass ich augenblicklich meine vorherigen Gedanken vergaß. Ich glaubte an das, was wir uns versprochen hatten, und doch war die Neugier auf das erste Mal sehr groß. Das lag bestimmt an New York. Die Menschen waren dort einfach offener und freizügiger. »Entschuldige bitte, manchmal geht es einfach mit mir durch.«
Er lächelte. »Schon gut, ich kann es doch auch kaum erwarten, aber wir müssen das durchhalten. Vielleicht würde es uns beiden leichter fallen, wenn wir genau solche Situationen vermeiden.«
»Wie meinst du das?«
Er presste die Lippen aufeinander. »Ich habe schon öfter darüber nachgedacht und ich halte es für das Beste, wenn wir uns nicht mehr so küssen. Also … mit Zunge, meine ich.«
Ich war sprachlos. Er wollte keine Zungenküsse mehr? Das bedeutete für mich noch mehr Verzicht, was mir wirklich schwerfallen würde. Unsere intimen Momente waren ohnehin schon selten genug.
»Schau nicht so entsetzt«, sagte er tröstend. »Zumindest könnten wir es versuchen. Es wird uns über die Zeit helfen, bis wir verheiratet sind.« Er lächelte. »Na komm, ich helfe dir, auf andere Gedanken zu kommen.« Er stand vom Bett auf und streckte mir seine Hand entgegen. »Lass uns spazieren gehen. Die frische Luft wird uns beiden guttun.«
Es war Sonntag und der Himmel in Bridgeton mit grauen Wolken verhangen. Ein kalter Wind wehte und ich fröstelte. Aufmerksam nahm Patrick die Enden meines Schals in die Hände und wickelte ihn enger um meinen Hals. »Meine kleine Frostbeule«, sagte er und tippte kurz auf meine Nase.
»Selber Frostbeule.« Ich lachte und meinte es auch so. Mal ehrlich, Patrick war schlank, hatte kaum Fettpölsterchen auf den Rippen und bei einem Windstoß fror er schneller als ich. Aber er war eine liebevolle Frostbeule, die sich immer um mich sorgte.
Hand in Hand gingen wir die Straßen entlang. Es waren die letzten Stunden vor meiner Abfahrt nach New York. Dort hatte ich auf der Parsons Modedesign studiert und wohnte in einer kleinen Wohnung ganz in der Nähe der Uni. Ich schaffte es nicht jedes Wochenende nach Hause, aber ich versuchte mindestens zweimal im Monat Mom in der Schneiderei zu helfen und verbrachte die restliche Zeit mit Patrick. Da er selbst viel um die Ohren hatte und oft lernen musste, sprachen wir ab, an welchen Samstagen wir uns sehen würden.
»Du rufst mich doch morgen an und erzählst mir, wie das Vorstellungsgespräch gelaufen ist, oder?«, wollte er wissen, als wir uns vor dem Schaufenster einer Boutique die ausgestellten Kleidungsstücke anschauten.
»Natürlich.«
»Bist du aufgeregt?«
»Und wie. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich mich tatsächlich bei Meloni Designs vorstellen darf. Ich meine, wer hat denn schon so eine Gelegenheit?«
Patrick lachte. »Das stimmt. Trotzdem solltest du zusehen, dass du dich noch bei anderen Modelabels für ein Praktikum bewirbst.«
»Das versteht sich von selbst. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich eine Zusage bekomme, aber ich werde es versuchen. Es gibt jede Menge Bewerber und meine Chancen stehen nicht so gut.«
»Woher willst du das wissen?«
Ich blieb stehen und sah ihn verdutzt an.
»Was?«, fragte er und schaute ganz unschuldig.
»Schau mich doch an.«
Er neigte den Kopf und verzog den Mund. »Jetzt komm nicht wieder damit. Du bist wunderschön, hast sehr gute Abschlussnoten und das Allerwichtigste ist, du bist unfassbar talentiert. Nur ein Idiot würde dich nicht einstellen.«
Mein Herz strömte über vor Liebe. Das hatte er schön gesagt, aber ich entsprach nun mal nicht dem Erscheinungsbild, das der angesagteste Modedesigner Giuliano Meloni von seinen Mitarbeitern erwartete. »Ich bin mollig, passe nicht in seine Kollektionen und erschwerend kommt hinzu, dass ich deshalb eher schlichte Kleidung bevorzuge. Diese drei Komponenten machen mich nicht unbedingt zur Bewerberin des Jahres.«
***
Am nächsten Morgen blickte ich mit einem flauen Gefühl im Magen die verspiegelten Fensterfronten des Wolkenkratzers hinauf, die Respekt einflößend in den New Yorker Himmel ragten. Auf dem edlen Firmenschild prangte in schwungvollen Buchstaben der Name Meloni Designs. Schon oft hatte ich vor dem Gebäude gestanden, aber noch nie hatte mein Herz so heftig geschlagen wie jetzt. Ich beobachtete, wie Mitarbeiter des Labels, geschäftig und mit einem Becher Kaffee in der Hand, das Hochhaus betraten. Ich hatte Angst, traute mich nicht, in das Gebäude zu gehen. Im Geiste hörte ich meine Tante Sally, wie sie mich mit erhobenem Zeigefinger ermahnte: »Julia Maria Stonefield, du gehst da jetzt rein. Du hast mit deinen dreiundzwanzig Jahren so hart dafür gearbeitet. Aufgeben ist hier keine Option. Hast du mich verstanden?«
Sie hatte ja recht und Patrick würde ihr zustimmen. Meinen Abschluss an der Parsons hatte ich mit Bravour bestanden, meine Noten waren exzellent und das Empfehlungsschreiben meines Lieblingsprofessors hatte mir schließlich dieses Vorstellungsgespräch beschert. Ich hatte allen Grund, stolz auf mich zu sein. »Ist ja gut, ich geh ja schon«, murmelte ich, straffte die Schultern und schob meine Brille hoch, bevor ich die heiligen Hallen von Meloni Designs betrat. Dieses Bewerbungsgespräch war die Chance, von der ich immer geträumt hatte. Giuliano Meloni war der Superstar der Fashion-Szene, ein genialer Modeschöpfer und ein begnadeter Künstler. Seine Kreationen wurden in der ganzen Welt gekauft. Er war der Designer, der die Stars und Sternchen einkleidete. Ein wenig exzentrisch, vielleicht auch verrückt, aber ein wahrer Modegigant.
Andächtig ging ich durch die Empfangshalle, die genauso imposant war wie der große Meister selbst. Mit ihrem riesigen Kronleuchter, einem auf Hochglanz polierten Marmorboden, vergoldeten Statuen, einer breiten Treppe und einem Empfangstresen, hinter dem eine Blondine in einem dunklen Kostüm mit Namensschild am Revers stand, erinnerte sie mich an die Lobby eines Luxushotels.
Mit meiner Bewerbungsmappe unterm Arm trat ich zaghaft an den Tresen. »Guten Morgen, ich … ich habe einen Termin bei Mr Patterson«, sagte ich mit leiser Stimme.
»Wie ist Ihr Name?«
»Stonefield, Julia Stonefield.« Mein Herz pochte.
Sie tippte etwas in ihren Computer. »Ah, richtig, Ms Stonefield. Siebzehnte Etage, bitte. Ich melde Sie an.« Sie deutete zum Aufzug und griff zum Telefon. Dankend wandte ich mich ab und lief zum Fahrstuhl. Ich wünschte, Patrick wäre bei mir, aber ich musste da jetzt allein durch.
Oben angekommen, trat ich aus dem Aufzug und blieb wie angewurzelt stehen. In der Mitte des Raumes stand ein Mann in einem lindgrünen Anzug mit Brille und Halbglatze und gab Anweisungen. Er feuerte eine Schar weiblicher Mitarbeiter an, die wie aufgeschreckte Hühner in alle Richtungen liefen. »Habt ihr seine Milch? Wo sind seine Zeitschriften? Monica, wieso hast du dich heute Morgen für diese Frisur entschieden? Du weißt doch, dass er Zöpfe nicht ausstehen kann. Äh … Lina, die Bürste! Ist sie gereinigt?« Er klatschte antreibend in die Hände. »Noch vier Minuten, Mädels!«
Monica, eine junge Frau, die an einem von vier Schreibtischen saß, löste das Haargummi und eine andere eilte mit einer Milchflasche in eines der angrenzenden Büros. An den Wänden des riesigen Raumes hingen Modefotografien, Plakate und natürlich das Logo des Designlabels in Großformat. Voller Ehrfurcht schaute ich mich um und nahm alles in mich auf. Hier wurde also die Mode kreiert, die die Firma zu weltweitem Ruhm geführt hatte. In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht geglaubt, das alles einmal mit eigenen Augen sehen zu können.
»Und wer sind Sie?« Der Mann, der offensichtlich hier das Sagen hatte, sah mich fragend an. Ich war inmitten des Treibens so in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich ins Stottern geriet. »Äh … ich … ich bin Julia Stonefield. Ich … habe ein … Vorstellungsgespräch bei Mr Patterson.«
»Bei mir?« Er riss die Augen auf und musterte mich, bevor er einen ratlosen Blick zu einem der Schreibtische warf, hinter dem eine Frau eifrig in einem Terminkalender blätterte. »Das ist Ihr Neun-Uhr-Termin, Mr Patterson«, verkündete sie und begutachtete mich ebenfalls, als käme ich aus einer anderen Galaxie.
»Du lieber Himmel, auch das noch.« Mr Patterson rollte mit den Augen und klatschte in die Hände. »Ausgerechnet jetzt!« Er grummelte etwas vor sich hin. »Ich kümmere mich gleich um Sie«, meinte er und bot mir mit einer Handbewegung an, im Loungebereich Platz zu nehmen.
Hatte er unseren Termin etwa vergessen? Immerhin hatte er mich nicht wieder fortgeschickt. Vorsichtig strich ich meinen Rock glatt und setzte mich.
»Er ist da!«, rief jemand und alle eilten auf ihre Plätze. Sofort herrschte angespanntes Schweigen, von der eben noch herrschenden Hektik war nichts mehr zu spüren. Die Türen des Lifts glitten auf und er betrat das Foyer. Es war mucksmäuschenstill, auch ich hielt den Atem an.
Da stand er, Giuliano Meloni höchstpersönlich.
Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Wie immer trug er sein längeres strohblondes Haar mit einem Seitenscheitel. Sein Make-up war ein Hauch zu dunkel und der Schönheitsfleck an seiner Wange wirkte von Nahem total unecht. Er sah genauso aus, wie man ihn aus dem Fernsehen und den vielen Zeitschriften kannte. Mit hocherhobenem Haupt ließ er den Blick durch den Raum schweifen, dabei knöpfte er langsam seinen Mantel auf. Mr Patterson schnipste mit dem Finger und sofort stand eines der Mädchen bereit, um ihm das Kleidungsstück abzunehmen. Der Designer ließ sich Zeit, die Handschuhe von den Fingern zu zupfen, während Mr Patterson auf ihn einredete. Alle saßen an ihren Schreibtischen, hatten den Kopf in irgendwelche Unterlagen gesteckt oder tippten eifrig auf der Tastatur. Niemand wagte es, ihn anzusehen, außer mir natürlich. Ich glotzte wie ein Mondkalb. Als sein Blick schließlich bei mir ankam und er mich neugierig betrachtete, schoss mir das Blut ins Gesicht. Mein Herz setzte einen Moment aus und ich war wie erstarrt.
»Das ist die neue Bewerberin. Ich kümmere mich gleich um sie«, erklärte Mr Patterson dem Designer. Mr Meloni zog die Stirn kraus, während er mich von oben bis unten musterte. Wie von der Tarantel gestochen stand ich auf. Blöderweise rutschte mir meine Bewerbungsmappe aus der Hand. Wild mit den Armen fuchtelnd, wollte ich die einzelnen Blätter auffangen. Sie flatterten durch die Luft zu Boden. Leises Gekicher hörte ich von den Schreibtischen und ich wurde, falls das überhaupt möglich war, feuermelderrot. Einer meiner Entwürfe landete direkt vor Mr Melonis Füßen. Mein Gott, konnte es noch peinlicher werden?
Ich stammelte zig Entschuldigungen und kniete sofort nieder, um alles wieder einzusammeln. Mr Meloni hob die Skizze auf und schaute sie an. Umständlich, und alles andere als graziös, stand ich auf, schob die Brille hoch und strich meine Bluse glatt. Der Designer verzog den Mund und starrte mich an, als wäre ich ein Insekt. Wortlos übergab er Mr Patterson meine Zeichnung und schlenderte in sein Büro. Mr Patterson folgte ihm und ließ mich stehen. Enttäuscht sah ich ihnen hinterher. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wieder Platz nehmen und warten? Leben kehrte in den Raum zurück. Die Mädchen tuschelten und kicherten wieder. Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir auf.
»Wenn du den Job haben willst, solltest du deinen Hintern in sein Büro bewegen, und zwar dalli.«
Irritiert sah ich auf. Eine junge Frau stand neben mir. Das braune Haar fiel ihr in weichen Locken über die Schultern und mit ihren grünen Augen schaute sie mich auffordernd an. Sie war unglaublich hübsch.
»Na los!« Sie stieß mich leicht am Arm an und nickte aufmunternd Richtung Melonis Büro.
Allein die Vorstellung, jetzt da reinzugehen, trieb mir den Schweiß auf die Stirn und sie schien das zu bemerken. »Wovor hast du Angst? Mehr als ablehnen kann er nicht.«
Ich wusste, dass sie recht hatte, aber das war nicht so einfach. Wie immer stand mir meine Feigheit im Weg. Ich zögerte, doch plötzlich zog mich die junge Frau mit sich. »Warte, wir können doch nicht einfach …«, protestierte ich.
Sie hörte gar nicht erst auf mich, klopfte kurz an die Tür von Melonis Büro und öffnete sie. Mein Mund war staubtrocken, als sie mich hineinschob. Der Designer und Mr Patterson unterbrachen ihr Gespräch und schauten uns fragend an.
»Entschuldigt, ich will euch nur daran erinnern, dass wir dringend eine Praktikantin brauchen«, sagte sie ohne Umschweife. »Bisher haben alle Mädchen den Job geschmissen und für die Frühjahrskollektion haben wir immer noch niemanden. Ihr wisst selbst, was das bedeutet.«
Mr Patterson nickte zustimmend. »Sie hat recht, Giuliano.«
»Wir finden schon jemand Qualifizierteren«, winkte Mr Meloni ab und nahm an seinem überladenen Schreibtisch Platz.
»Ihr solltet wenigstens darüber nachdenken«, versuchte es die junge Frau neben mir noch einmal und tatsächlich nahm Mr Patterson meine Mappe in die Hand und blätterte darin.
Mr Meloni schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen.«
Enttäuscht wollte ich mich zum Gehen wenden, aber die Frau hielt mich am Arm zurück.
Mr Patterson drehte sich zu dem Designer. »Vielleicht sollten wir es mit ihr versuchen, Giuliano?«
»Elmar, du weißt, dass ich mich nie in die Wahl deiner Mitarbeiter einmische, aber in diesem Fall … Nein!«
Ich hatte es vermasselt. Ich hätte heulen können, doch irgendetwas in mir ließ mich mutig werden. »Sie werden es nicht bereuen«, platzte es plötzlich aus mir heraus. Patrick wäre stolz auf mich gewesen. »Ich verspreche, ich werde mein Bestes geben«, fügte ich noch hinzu, aber meine Stimme klang so piepsig, dass ich fürchtete, sie hätten mich nicht verstanden. Ich stockte. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Verlegen nestelte ich am Saum meiner Bluse und wusste nicht, wohin ich schauen sollte aus Scham. Melonis Röntgenblick traf mich und ich hatte das Gefühl, er könnte mich nackt sehen und tief in meine Seele blicken. Ich fühlte förmlich jeden Makel meines Körpers, jede unschöne Stelle, jedes Pfund, das ich zu viel auf den Hüften hatte.
»Das Beste? Das reicht nicht, wir erwarten Perfektion«, erwiderte der Designer, wandte sich von mir ab und schaute sich gelangweilt ein paar Entwürfe auf seinem Schreibtisch an. Direkt daneben lag meine Skizze.
»Sie kommen von der Parsons«, murmelte er nachdenklich. Mr Patterson, der immer noch meine Mappe in den Händen hielt, sah kurz zu mir auf.
»Ja, dort habe ich meinen Abschluss gemacht.«
»Mit Auszeichnung, wie ich sehe.« Er nahm das Empfehlungsschreiben meines Professors und schob es zu Meloni hinüber. Dieser überflog die Zeilen, lehnte sich dann in seinem Chefsessel zurück und faltete die Hände. Mit seinem Stuhl wippend, starrte er mich unentwegt an. Die ganze Situation war mir so unangenehm, dass ich dem Impuls widerstehen musste, einfach fortzulaufen. Ich dachte an Mom und Patrick. Ich zitterte und schrie mich innerlich an, endlich mit etwas mehr Stolz den Kopf zu heben.
Die Männer schwiegen eine Weile. Dann streckte Mr Patterson mir meine Mappe entgegen und verschränkte die Arme. »Für Meloni Designs zu arbeiten erfordert mehr, als nur das Beste zu geben. Dieses Label bedeutet Hingabe, Leidenschaft und Esprit, meine Liebe. Ich bezweifle, dass sie dazu imstande sind. Sie haben so gut wie keine Erfahrungen.«
Ich hasste es, wenn Menschen durch einen Blick glaubten, alles über mich zu wissen.
»Ich … ich weiß, dass ich das kann«, flüsterte ich.
Er zog eine Braue hoch, während Mr Meloni sich abwandte. Die junge Frau neben mir stupste mich auffordernd an, weiterzusprechen. »Ich weiß, ich bin nicht das, was Sie sich unter einer Praktikantin vorstellen, aber ich könnte alles lernen und eine Hilfe sein.«
Es herrschte Schweigen und je mehr Sekunden vergingen, desto klarer wurde mir, dass ich es vergeigt hatte. Immerhin hatte ich es versucht.
Als immer noch niemand etwas sagte, gab ich mich geschlagen. »Vielen Dank für Ihre Zeit.« Ich drehte mich zur Tür und wollte das Büro verlassen.
»Moment!«, rief Mr Meloni.
»Ja?«
»Sie glänzen mit guten Noten und einem ausgezeichneten Abschluss. In dem Empfehlungsschreiben steht, dass Sie sehr ehrgeizig sind. Ist das so?«
Aufgeregt starrte ich den Modedesigner an und konnte nur nicken.
»Gut, dann beweisen Sie es. Zeigen Sie, wie sehr Sie diesen Job wirklich wollen. Bringen Sie Levin McKenzie dazu, dass er unseren Modelvertrag unterschreibt. Dann bekommen Sie die Stelle für ein einjähriges Praktikum.«
Mr Patterson fuhr herum. »Was? Giuliano! Das kannst du nicht machen.«
»Halt den Mund, Elmar«, fuhr er ihn an. »Ich weiß, was ich tue.«
Ungläubig blickte ich zwischen den Männern hin und her. »Levin McKenzie? Wer ist das?«
»Gib ihr seine Unterlagen, Elmar.«
»Giuliano, bitte, sei vernünftig. Wir sollten uns so eine Person nicht ins Haus holen.«
Mr Meloni schüttelte den Kopf, stand auf und nahm ein paar Zeichnungen, die auf dem Tisch lagen, in die Hand. »Abgesehen von seinem fantastischen Aussehen verkörpert dieser Mann von Kopf bis Fuß haargenau die Danger-Kollektion. Er ist wie geschaffen dafür.« Er hob ein paar Skizzen in die Höhe. »Dieser Mann mit seinem kalten, undurchdringlichen Blick, mit seinem Charisma und seiner Vergangenheit trifft exakt das, was ich mit dieser Kollektion aussagen will. Es wird die Leute umhauen, weil Levin McKenzie mit der Danger-Kollektion eins sein wird. Verstehst du?«
Mr Patterson sah ihn nicht gerade überzeugt an. »Nicht wirklich. Wir sollten uns auf die jetzige Kollektion konzentrieren und bis wir die Danger-Kollektion präsentieren, finden wir bestimmt noch jemanden, der besser zu uns passt, Giuliano.«
Mr Meloni seufzte. »Du weißt, wie viel mir diese Schöpfung bedeutet, und egal, wann McKenzie entlassen wird, ich will ihn dafür unter Vertrag haben. Basta! Dieser Mann inspiriert mich eben und ich will ihn. Du hast selbst mitbekommen, wie die Menschen auf ihn reagieren. Er ist Mr Trouble, Mr Eiskalt, Mr Gefährlich – Mr Danger eben, die Quelle meiner Inspiration.«
Mr Patterson schüttelte verständnislos den Kopf und ging seufzend zu einem Schrank. Er zog einen Hefter heraus und versuchte noch einmal seinen Chef von dieser Schnapsidee abzubringen. »Denk an die Presse und die Öffentlichkeit. Es gibt Hunderte von Models, die genauso gut dazu passen.«
»Nein. Levin McKenzie ist das einzige perfekte Model dafür.« Er wandte sich wieder an mich. »Also, nehmen Sie die Herausforderung an, Ms Stonefield?«
Alle Augen waren nun fragend auf mich gerichtet. Was sollte ich darauf sagen? Ich wollte diesen Job. Unbedingt. Das war meine einzige Chance. Trotzdem brannten tausend Fragen in mir. Wer war Levin McKenzie und wieso schien Mr Patterson nicht begeistert zu sein? Welcher normale Mensch würde nicht einen Vertrag für das Label unterschreiben? Ich war so aufgeregt und durcheinander, dass ich meine Fragen beiseiteschob und der Vereinbarung mit einem Nicken zustimmte. Mr Meloni grinste zufrieden, setzte sich und lehnte sich selbstgefällig in seinem Chefsessel zurück.
Mr Patterson rollte mit den Augen. »Na gut. Du bist der Boss, Giuliano.« Er drückte mir den Hefter in die Hand und schob mich sanft zur Tür. »Jetzt haben Sie eine Chance. Machen Sie etwas daraus, Julia. In den Unterlagen finden Sie alle Informationen, die Sie brauchen. Der Anwalt von McKenzie wird sich um einen Besuchstermin kümmern. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, er beugte sich nahe an mich heran, »lassen Sie sich nicht von dem Kerl einschüchtern. Wir brauchen dringend eine Praktikantin. Zeigen Sie, was Sie können. Viel Glück, Kindchen.« Damit wies er mich und die junge Frau aus dem Büro und schloss die Tür.
Stumm und überrumpelt stierte ich zur Tür und dann auf den Hefter. Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Wieso brauchte ich einen Besuchstermin, noch dazu von einem Anwalt vermittelt? Bestimmt fand ich den Haken in den Unterlagen. Neugierig schlug ich sie auf.
***
Meine Güte! Wow! Mich strahlten die unglaublichsten blauen Augen an, die ich jemals gesehen hatte. Sie waren hell und unergründlich. Dunkles, kurzes Haar, ein Drei-Tage-Bart und markante Gesichtszüge ließen den Typ auf dem Foto verwegen aussehen. Der Traum aller Frauen. Solche Männer kannte ich nur aus Magazinen. Mein Blick wanderte zu dem kleinen Steckbrief unterhalb des Fotos und mir klappte der Mund auf.
Steckbrief:
Levin McKenzie, 27 Jahre
Mitglied der berüchtigten Straßengang »SinDanger«
Verurteilt von der ehrenwerten Richterin Margarete Countwell zu 3 Jahren Freiheitsstrafe.
Straftaten: illegaler Waffenbesitz, räuberische Erpressung …
Jemand kicherte und ich merkte, dass ich den Atem angehalten hatte. Völlig versunken in das Foto dieses Mannes, hatte ich die junge Frau neben mir gar nicht mehr wahrgenommen. Ich fühlte mich mehr als ertappt.
»Genau wie du jetzt habe ich auch geschaut, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Levin McKenzie ist hot. Er ist so hot, dass man sich garantiert die Finger an ihm verbrennt.«
»Er sitzt im Gefängnis?« Meine Stimme klang ein wenig schrill, schließlich hatte ich damit absolut nicht gerechnet.
»Ja, das tut er und er hat einiges auf dem Kerbholz. Er ist durch und durch ein Bad Boy und manchmal sogar ein echtes Ekelpaket.«
»Du kennst ihn?«
»Kennen ist zu viel gesagt. Meloni ist schon eine Weile hinter ihm her, aber bisher hat er nicht angebissen. Wir haben ihm schon zweimal ein Angebot gemacht und jedes Mal hat er abgelehnt. Meloni will ihn so schnell wie möglich unter Vertrag nehmen, damit keine Agentur oder ein anderes Label sich ihn unter den Nagel reißen kann.«
»Und warum unterschreibt er nicht? Ich meine, das ist doch ein absolut hammermäßiges Angebot.«
Sie grinste. »Das stimmt. Ich glaube, dass er darauf setzt, noch mehr Kohle zu bekommen. Aber vielleicht hat ihn ja der harte Knastalltag inzwischen weich gekocht.«
»Meinst du?«
»Könnte gut sein. Ich bin übrigens Emma.«
»Und ich bin Julia.« Wir schüttelten uns die Hände. »Und du meinst, ich soll tatsächlich zu ihm ins Gefängnis gehen?« Allein der Gedanke jagte mir Angst ein.
Sie machte ein entrüstetes Gesicht. »Natürlich, das ist die einzige Chance, an dieses Praktikum zu kommen.«
Ich bekam Bauchschmerzen. Ich war noch nie in einem Gefängnis gewesen und überhaupt, noch nie hatte ich etwas mit Kriminellen zu tun gehabt.
Auf dem Heimweg rief ich Patrick an. »Hey, ich bin’s.«
»Na endlich! Erzähl, wie ist es gelaufen?«
Ich brauchte ein paar Sekunden, musste mich sortieren. Irgendwie war das alles ganz schön verrückt. »Tja, also, wie soll ich sagen? Ich soll in ein Gefängnis und einen Sträfling dazu bringen, Melonis Modelvertrag zu unterschreiben.«
Stille.
»Das ist ein Scherz. Mach keine Witze, Julia.«
»Das ist kein Witz, sondern deren absoluter Ernst.« Ich biss mir auf die Lippe.
»Das ist doch absurd! Ich meine, wieso sollst du einen Verbrecher dazu bringen, einen Vertrag zu unterschreiben? Können die das nicht selbst machen?«
Ich erzählte ihm von dem Kerl und dass er schon mehrfach abgelehnt hatte, Meloni ihn aber unbedingt haben wollte.
»Du bist hoffentlich nicht auf diesen Deal eingegangen.«
Ich schwieg.
»Julia!«, rief er vorwurfsvoll.
»Ich weiß, aber … welche Chance habe ich denn?«
»Na, bewirb dich einfach bei anderen Labels.«
Schnaufend nahm ich mein Handy in die andere Hand. »Ich werde es zumindest versuchen. Vielleicht sagt er ja zu.«
»Nein. Ich will nicht, dass du mit solchen Leuten in Berührung kommst. Hörst du? Das ist viel zu gefährlich.«
»Hör zu, ich werde da hingehen und mein Bestes geben. Entweder es klappt oder eben nicht. Aber dann muss ich mir nie vorwerfen, dass ich es nicht wenigstens versucht habe.«
»Ich halte das für keine gute Idee.«
»Mach dir keine Sorgen. Der Kerl sitzt im Gefängnis, dort wimmelt es von Bewachungspersonal. Mir wird nichts passieren.«
Er schien zu überlegen. »Wie es aussieht, hast du deine Entscheidung ja schon getroffen. Weiß deine Mom Bescheid?«
»Nein, ich erzähle es ihr später.«
Er seufzte. »Äh … ich muss Schluss machen. Wir telefonieren später noch mal, in Ordnung?«
»Okay.« Mir war klar, dass Patrick von der ganzen Sache nicht begeistert war. Ähnlich schätzte ich Mom ein. Sie machte sich immer Sorgen um mich. Seit Dad bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, hütete sie mich wie einen Augapfel. Als ich ihr Jahre später verkündete, dass ich nach New York gehen wollte, hatte sie wochenlang vor meinem Umzug nicht geschlafen. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn ich Patrick so schnell wie möglich geheiratet und mit ihm eine Familie gegründet hätte. Das alles wünschte ich mir auch, aber nicht jetzt. Ich fühlte mich noch zu jung für Kinder und unsere Hochzeit war sowieso frühestens in zwei oder drei Jahren geplant. Patrick wollte erst sein Studium abgeschlossen und einen Job haben. Er studierte Maschinenbau und wollte im Bereich Landmaschinen bei einem großen Konzern Karriere machen.
Den restlichen Tag beschäftigte mich das bevorstehende Ereignis. Im Internet forschte ich nach mehr Informationen und gab bei Google »SinDangers« und »Levin McKenzie« ein. Die Suchergebnisse ließen mich stocken. Ich las die Überschriften:
SinDangers – gefährlichste und mächtigste Verbrecherbande von New York
FBI ist sich sicher: Unterwelt zunehmend in der Hand der SinDangers
Levin McKenzie: So gefährlich ist der heißeste Häftling der Welt
Levin McKenzie – Handlanger oder wahrer Kopf der SinDangers?
Dieser Mann war berühmt-berüchtigt und schon allein die Schlagzeilen ließen mich erschauern – sogar von Mord war die Rede. Mir wurde übel. Die Liste war unendlich lang. Laut den Berichten konnte man ihm nicht alle Verbrechen nachweisen und er wurde nur für einen Bruchteil seiner Taten tatsächlich verurteilt. Auf den Bildern, die ich im Netz von ihm entdeckte, wirkte er hart, kalt und irgendwie unnahbar. Mein Magen zuckte nervös bei der Vorstellung, ihm bald zu begegnen. Wie sollte ich auftreten gegenüber einem Mann, der offensichtlich auf der dunklen Seite des Lebens stand? Ich war von Natur aus schüchtern, mir fehlten oft in wichtigen Situationen die passenden Worte. Abgesehen davon war ich schon jetzt von ihm eingeschüchtert und zugleich fasziniert.
Ich begann die Sätze, die ich sagen wollte, aufzuschreiben, lernte sie auswendig und übte das Sprechen vor dem Spiegel. Ich war alles andere als zufrieden mit mir. Ständig verhaspelte ich mich, oder meine Mimik war zu aufgesetzt oder ich … keine Ahnung. Ich würde garantiert eine Absage kassieren, so viel stand fest.
Gegen Abend telefonierte ich mit Mom und erzählte ihr von dem verrückten Deal, auf den ich mich eingelassen hatte, und wie erwartet hätte ich lieber den Mund halten sollen. Sie fand es äußerst merkwürdig, dass ein Designer so etwas verlangte. Da gab ich ihr recht. Es gab genügend Labels, bei denen ich mich bewerben konnte, aber keinen Stil liebte ich so sehr wie den von Meloni Designs. Auch wenn ich seine Mode nie würde tragen können, bewunderte ich die klaren Linien, die verspielten Accessoires und seine geniale Kreativität, von der seine Kollektionen zeugten. Für diese Marke zu arbeiten war ein Traum und ich musste diese Chance nutzen.
Mom und ich unterhielten uns noch lange darüber. Erst spät lag ich im Bett, kraulte Mr Snoogles, meinen Kater, und dachte über diesen Sträfling nach, bis ich endlich irgendwann einschlief.
Am nächsten Morgen weckte mich das Klingeln des Telefons. Unausgeschlafen hetzte ich durch meine kleine Wohnung, bis ich es fand.
»Ms Stonefield?«
»Ja?«, brachte ich mühsam hervor.
»Hier spricht die Anwaltskanzlei von Mr McKenzie. Wir konnten einen Termin für heute Nachmittag um vierzehn Uhr ausmachen. Ein Fahrer wird Sie abholen.« Die Frau am anderen Ende der Leitung prüfte meine Adresse und legte dann auf. Nervös ging ich auf und ab, bis Mr Snoogles mir hinterherhumpelte und lautstark miauend sein Frühstück einforderte. Ich nahm meinen dreibeinigen Kater hoch. »Was ist dir heute lieber? Wasser und Brot oder etwas von dem Feinschmecker-Filet, was ich dir neulich schon serviert habe?« Seine Antwort war eindeutig – ein grummelndes Miau.
Das Geräusch eines Schlagstocks, der über die Stahlgitter schlitterte, riss mich aus dem Schlaf. »Ey, McKenzie, du hast Besuch«, donnerte die Stimme des Wärters. »Los, beweg deinen Arsch.«
Schon wieder Besuch? Seit ich im Knast saß, schienen meine Leute ein noch größeres Bedürfnis zu haben, mich zu sehen. Verdammte Flachwichser! Konnten sie denn nicht mal was selbst entscheiden? Nicht mal im Bau hatte ich meine Ruhe.
Damit der Aufseher nicht ungeduldig wurde, stand ich auf und ging zur Essensluke, durch die ich meine Hände schob. Ich spürte, wie sich kaltes Metall um meine Handgelenke legte. Ich hasste das klickende Geräusch und biss jedes Mal auf die Zähne. Erst als die Handschellen sicher verschlossen waren, öffneten sie die Tür. Zwei Beamte griffen mich an den Oberarmen und führten mich den Flur entlang, vorbei an den anderen Zellen, zum Besucherraum.
Ich wünschte, eines meiner Mädels würde kommen. Hier konnte ich zwar keine von ihnen vögeln, aber zumindest hätte ich für heute Abend eine schöne Erinnerung, wenn ich mal wieder Hand anlegen musste. Die Weiber wussten, worauf ich stand – aufreizende Kleidung, geile Titten und einen genial geformten Arsch. Ungewöhnlich war nur, dass gerade keine Besuchszeit war.
Die Stühle, auf denen normalerweise die Besucher der Häftlinge saßen, waren leer. Ich schaute mich um und stutzte, als ich an einem der hintersten Tische eine unscheinbare graue Maus sitzen sah. Hatte sich etwa eines meiner Groupies bei meinem Anwalt einen Termin erschlichen? Seit mein Polizeifoto überall im Internet kursierte und ich damit landesweit viel Aufmerksamkeit erregt hatte, kam es hin und wieder vor, dass weibliche Fans versuchten, sich als Cousinen oder verschollene Schwestern auszugeben, um mir hier im Knast auf die Pelle zu rücken. Nur die wenigsten schafften es. Der heutige Besuch passte optisch überhaupt nicht zu den Weibern, aber vielleicht wartete noch eine Überraschung auf mich.
Je näher ich auf sie zukam, desto mehr machte sich Enttäuschung in mir breit. Sie sah wirklich wie eine langweilige, biedere Tussi aus. Ihre Nervosität konnte ich riechen, noch bevor ich an den Tisch trat. Abrupt stand sie auf und presste unsicher eine Mappe an die Brust. Sie wartete, bis die Wärter sich an der Tür postiert hatten. Sie musterte mich in der Zwischenzeit neugierig. Was zur Hölle wollte sie von mir? So eine war mir seit Langem nicht mehr untergekommen. Sie trug einen bodenlangen Rock und eine hochgeschlossene Bluse, die zu viel von ihren Speckrollen betonte. Ihre flachen Schuhe erinnerten mich an die Richterin, die mich verknackt hatte. Das braune Haar hatte sie zu einem albernen Zopf zusammengebunden und was dieses fette Brillengestell mitten auf ihrer Nase sollte, verstand wohl nur ihr Optiker. Sie sah aus wie eine Minusversion einer Sachbearbeiterin der Fürsorge, die noch nie in ihrem Leben flachgelegt worden war. Ihre Verkleidung hatte scheinbar funktioniert und ich spekulierte, ob sie unter ihrem Rock etwas Aufregenderes zu bieten hatte. Ich beugte mich leicht zu ihr. »Bist du meine Cousine oder Schwester?«, flüsterte ich, damit es die Wachleute nicht mitbekamen.
Sie runzelte die Stirn, als hätte sie mich nicht verstanden. »Wie bitte?«
»Na, wie soll ich dich nennen, Süße?«
»Ach so, ich heiße Julia. Julia Stonefield.«
»Julia. Dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen«, sagte ich überschwänglich laut und umarmte sie. Sie schien überrumpelt und war augenblicklich steif wie ein Brett, aber der Duft ihrer Haut überraschte mich. Er war leicht und süß, erinnerte mich an Aprikosen und Vanille. »Respekt! Mit diesem Aufzug hast du die Trottel da drüben wirklich verarscht.« Ich nickte in Richtung der Wächter und ließ sie los. Ihre Wangen waren gerötet, was mich zum Schmunzeln brachte.
»Äh … Ihr Anwalt war so freundlich«, sagte sie leise und ganz offensichtlich fühlte sie sich in meiner Gegenwart unbehaglich.
Sie spielte ihre Rolle wirklich gut. Fast hätte ich ihr ihre Unschuld abgekauft. Wir setzten uns.
»Mein Anwalt … ah … dieser Schweinehund«, sagte ich lachend und winkte ab. Wahrscheinlich hatte er sich ihren Besuch mit einem Blowjob gut bezahlen lassen. »Also gut, Süße, dann zeig mal, was du zu bieten hast«, forderte ich sie auf, in der Hoffnung, dass sich mein Schwanz irgendwie doch noch regen würde. Sie hatte zwar für meinen Geschmack ein paar Kilos zu viel, aber im Knast konnte man nicht wählerisch sein. Und wer wusste schon, ob sich unter dem ganzen Stoff nicht doch etwas Spannendes verbarg.
»Mr McKenzie«, begann sie, »ich komme im Auftrag von Meloni Designs und ich …«
Mir fror das Gesicht ein, bei dem Namen war jede Stimmung sofort verflogen. Meloni Designs? Ich schaute ziemlich blöd aus der Wäsche, als sie ihre Mappe auf den Tisch legte, statt mir ihr Höschen zu zeigen oder zumindest ihre alberne Bluse zu öffnen. Sie redete von diesem nervigen Modefuzzi, der mich schon öfter belästigt hatte.
»Mr Meloni bat mich, Ihnen noch einmal sein Angebot zu unterbreiten.« Mit zittrigen Händen nahm sie ein Bündel Papiere heraus, schob es mir zu und faselte weiter, während ich sie anstarrte und nicht wusste, ob ich mich betrogen fühlen sollte. Als sie ihre auswendig gelernten Sätze aufgesagt hatte, rang sie sich ein gequältes Lächeln ab und schob ihre Brille höher. Sie wartete auf eine Antwort.
Mir wurde klar, dass sie nicht zu den üblichen Groupies gehörte und ihr Aufzug keine Tarnung war. Die Tante kleidete sich offenbar freiwillig so.
»Dieser Vertrag bietet Ihnen viele Möglichkeiten, Mr McKenzie. Nach Ihrer Haft könnten Sie sich ein neues Leben aufbauen.« Sie schaute mich mit ihren großen, unschuldigen Augen an. Auch wenn mir die grüne Farbe mit den kleinen braunen Sprenkeln gefiel, lehnte ich mich gelangweilt zurück und verschränkte die Arme. Sie war also eine Angestellte dieses Designer-Kaspers. Die waren schlimmer als eine Horde Zeugen Jehovas. Es wurde Zeit, der Schnepfe etwas klarzumachen. »Hatte ich mich das letzte Mal nicht deutlich ausgedrückt?«
»Ich weiß, dass Sie bereits abgelehnt haben, aber wir hoffen, dass Sie es sich in der Zwischenzeit anders überlegt haben.« Ihr Blick wanderte über meine Tattoos und verweilte auf meinem Mund. Sie war neugierig auf mich und bestimmt ging gerade ihre Fantasie mit ihr durch.
»Einen Scheiß habe ich. Sehe ich etwa aus wie eine verdammte Klamotten-Schwuchtel? Ich spiele für niemanden den Kleiderständer.«
»Mr Meloni bietet Ihnen eine beträchtliche Summe an, außerdem brauchen Sie einen Job, wenn sie entlassen werden, oder etwa nicht?«
»Ich sitze noch mehr als zwei Jahre, und wenn ich rauskomme, bin ich bestens versorgt.«
Sie hob die Brauen und ich konnte ihre Gedanken lesen. Ich war nun mal ein Bastard, ein Krimineller, und daran würde auch so ein beschissener Vertrag nichts ändern. Dieser ganze Quatsch ging mir wirklich auf den Sack und ich hätte die Stute mitsamt ihren Unterlagen rausschmeißen sollen, doch etwas an ihrer Art ließ mich zögern. Sie passte überhaupt nicht zu den Modeleuten, die mich in der Vergangenheit aufgesucht hatten. Ihre Kleidung war spießig, ihr Auftreten unsicher und ich vermutete, dass sie selbst nicht wusste, was sie hier tat, aber ihre Augen und ihre sanfte Stimme gefielen mir und ich wollte mehr über sie erfahren. »Hast du einen Freund?«
Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte sie. »Wie bitte?«
»Was ist so schwer an meiner Frage? Hast du einen Freund, einen Stecher, einen, der es dir besorgt?«
Entsetzt schaute sie mich mit glühenden Wangen an. »Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht, Mr McKenzie.«
Ich kniff die Augen zusammen. Grinsend erkannte ich, dass sie zu den Frauen gehörte, die still und heimlich von aufregenden Nächten träumten und im wahren Leben noch nicht einmal den Mund aufbekamen. »Also nicht. Das dachte ich mir.«
Sie räusperte sich. »Denken Sie doch auch an Ihren Bruder. Er ist noch minderjährig. Es würde einen besseren Eindruck bei den Behörden machen, wenn Sie ein regelmäßiges Einkommen nachweisen könnten«, versuchte sie wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen. Aber damit hatte sie eine Grenze überschritten und ich sah rot. Niemanden ging meine Familie etwas an, dafür war ich allein verantwortlich. Ich beugte mich über den Tisch und kam ihr ganz nahe. Ängstlich schluckte sie und wich vor mir zurück.
»Du weißt nichts, gar nichts! Sag diesem Idioten, ich stehe nicht zur Verfügung, und wenn er mich nicht in Ruhe lässt, dann wird der Bastard das eines Tages bereuen.«
»Aber … Was soll das heißen?«
War sie so bescheuert oder wusste sie nicht, was eine Drohung ist? Sie schaute verunsichert zu den Wärtern, aber die waren in irgendein Gespräch vertieft und achteten nicht auf uns.
»Das heißt, Sie werden den Vertrag nicht unterschreiben?« In ihren Augen schimmerte es verdächtig und in meinen Eingeweiden zog es seltsam. Seit wann interessierte es mich, ob eine Tussi heulte? Erst recht so eine wie sie? Fuck! Mir reichte es. Ich stand auf und gab den Wachposten ein Zeichen, dass ich zurück in meine Zelle wollte.
»Bitte, Mr McKenzie, überlegen Sie es sich doch. Sie haben keine Ahnung, wie viel für mich davon abhängt.«
Ah! Jetzt begann sie auch noch zu betteln, wie ich das hasste. Sie war ebenfalls aufgestanden.
»Soll ich dir einen Rat geben, Prinzessin? Sieh zu, dass du abspeckst, und lass dich mal ordentlich durchficken, dann wirst du lockerer.«
Scham und Wut spiegelten sich auf ihrem Gesicht und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie ballte die Fäuste und ich glaubte schon, dass ein ganzer Schwall Beschimpfungen auf mich niedergehen würde, doch sie blieb stumm. Ihre Augen funkelten und innerlich kochte sie. Es war faszinierend zu beobachten, wie sie das alles mit sich selbst ausmachte. »Ich … ich …«
»Ja?« Entweder suchte sie nach den richtigen Worten, oder sie traute sich nicht, das auszusprechen, was sie dachte.
»Wieso sind Sie so widerlich?«
Ich lachte kurz auf. »Verschwinde einfach.« Ich wandte mich ab und trat zu den Aufsehern, die mich sogleich aus dem Besucherraum führten.
***
Zurück in meiner Zelle, beschloss ich, die Frau in ihren seltsamen Klamotten und diesen dämlichen Vertrag zu vergessen. Schon gar nicht wollte ich, dass meine Mitinsassen davon Wind bekamen. Hier drinnen hatte man einen Ruf zu verlieren.
Im Knast galten die Gesetze der Zero Brotherhoods. Sie waren gefährlich und auch draußen eine ernst zu nehmende Konkurrenz, die Mad anfangs unterschätzt hatte. Erst als sie begannen, in unseren Zonen Geschäfte zu machen, bekam ich von Mad endlich grünes Licht, ihnen unmissverständlich klarzumachen, in wessen Hoheitsgebiet sie sich bewegten. Es war blutig gewesen und auf beiden Seiten hatte es Tote gegeben. Aber das war nun mal der Preis, den wir zahlen mussten. Ich hasste sie und würde ihnen niemals vertrauen.
Wer hier im Bau respektiert werden wollte, der schloss sich ihnen an oder brauchte einen gewissen Ruf. Sie kannten alle meinen Namen, wussten, wer ich war, und das hatte für den nötigen Respekt gesorgt und mir einige üble Typen vom Hals gehalten.
Eine Stunde nach dem Besuch der Stute war Hofgang. Die Sonne brannte erbarmungslos. Ich begann sofort mit meinem Training. Mir rann der Schweiß über den Oberkörper und meine Muskeln schmerzten vor Anstrengung. Hartes Training half mir, den Kopf freizubekommen. Ich war es gewohnt, bis an die Schmerzgrenze zu gehen. Ausatmend erhob ich mich und ließ den Blick über die verschiedenen Clans schweifen. Meist standen sie in Gruppen zusammen: die Latinos, die Schwarzen, die Nazis und die Zero Brotherhoods, die den schwachen Häftlingen das Leben schwer machten. Sharky, der Anführer der Zero Brotherhoods hier im Knast, war kein Typ, der sich selbst die Hände schmutzig machte. Es reichte ein Zeichen, eine Kopfbewegung, und man war ein toter Mann. Selbst die Wärter hatte er unter Kontrolle. Dieser kranke Bastard!
In einem toten Winkel, der von den Wachen nicht eingesehen werden konnte, hatte Sharky seinen Schlägertrupp vor Kurzem auch auf mich angesetzt. Sie wollten, dass ich Kontakt zu Mad herstellte, damit sie ein großes Geschäft mit ihm abwickeln konnten. Im Gegenzug sollte ich Informationen erhalten. Natürlich ließ ich mich nicht darauf ein. Dummerweise hatte sich mein Zellennachbar eingemischt, war von ihnen übel zugerichtet worden und auf der Krankenstation gelandet. Dieser Schwachkopf! Wieso hatte der alte Mann sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt?
Um hier zu überleben, gab es zwei Regeln: Vertraue niemandem und zeige Härte. Der Knast war ein Drecksloch, die Hölle, ein brodelnder Sud, dessen Mischung hochexplosiv sein konnte.
»Hey Six, wie läuft’s?« Miks, ein schlaksiger Typ mit kahl geschorenem Kopf und Tattoos, den typischen Bandenzeichen der Zero Brotherhoods, und drei weitere der Gang traten auf mich zu. Zwei Lakaien positionierten sich hinter mir. »Wie ich gehört habe, kommt Feldman heute aus der Krankenstation.«
Ich beachtete ihn nicht weiter. »Was willst du, Miks?«
»Sharky ist enttäuscht.«
»Mir kommen gleich die Tränen«, gab ich gelangweilt von mir.
Miks lachte. »Du wirst schreien wie ein Baby, wenn du erfährst, dass die Informationen der Wahrheit entsprechen.«
»Komm zur Sache, Miks, und red nicht um den heißen Brei.«
Er schaute sich um. »Wie gesagt, unser Angebot steht noch.«
Ich seufzte.