The Fire In Me - Any Cherubim - E-Book
SONDERANGEBOT

The Fire In Me E-Book

Any Cherubim

0,0
6,99 €
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Fassungslos sehe ich zu, wie die Staubreste glitzernd durch die Sonne in der Luft schweben. Ich habe ihn getötet."
Was als Suche nach einem sicheren Hafen beginnt, entwickelt sich für Jade, Luca und ihre Gefährten schnell zu einer Reise voller dunkler Geheimnisse und gefährlicher Intrigen. Ausgerechnet Luca soll nun als Trainer für die Illustris fungieren, während Jade etwas Unheilvolles an sich entdeckt, das sie zu übermannen droht.
Als die mächtigen Padres einen Angriff auf den Feind planen, führt das Chaos Jade direkt in die Hände von Morgion – und zu ihrer Schwester Amy, die längst nicht mehr die ist, die sie einst war.
In einem tödlichen Strudel aus Macht und Verrat muss Jade nicht nur um ihr eigenes Leben kämpfen, sondern auch um das ihrer Freunde. Wird es ihr gelingen, ihre zerstörerische Kraft zu kontrollieren, oder wird sie alles verlieren, was ihr lieb ist?

"The Fire In Me" ist das zweite Buch der epischen Romantasy-Reihe "Mea Suna" von Any Cherubim. Dies ist die komplett überarbeitete Neuauflage von "Mea Suna - Seelenfeuer: Band 2" (2014 erschienen).

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



The Fire In Me

MEA SUNA-REIHE

BUCH 2

ANY CHERUBIM

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Any Cherubim

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer, Johannes Eickhorst

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-278-5

Solange ich stehen kann, kämpfe ich für dich,

solange ich atme, verteidige ich dich,

solange ich lebe, liebe ich dich.

Autor unbekannt

Prolog

IRGENDWO IN NEW YORK

»Herzlich willkommen zu unserer Sondersendung, liebe Zuschauer. Es ist das Ereignis in Bayville, einem kleinen Küstenort nahe New York. Die Pressemeldungen um den ehemaligen Senator Finley Lewis reißen nicht ab. Noch immer fehlt von ihm und seinen beiden Nichten jede Spur, und die Feuerwehr ist nach wie vor im Dauereinsatz«, sagt eine hübsche Nachrichtensprecherin und berichtet über die Tragödie, die der Familie Lewis zugestoßen ist. »Wir senden live von dem Anwesen Lewis in Bayville. Mein Kollege Jonathan Falls ist an der Unglücksstelle. Jonathan, weiß man schon mehr? Wie kam es zu dem Unglück, und gibt es Überlebende?«

»Nein, wie genau es zu den Detonationen gekommen ist, ist noch völlig unklar. Augenzeugen berichteten von mehreren Explosionen und einem riesigen Feuer, das die Menschen hier in Bayville letzte Nacht in Atem gehalten hat. Von dem luxuriösen Anwesen ist nicht viel übrig, eigentlich nur Schutt und Asche. Überall sind Rettungskräfte, und vereinzelt steigen noch immer Rauchschwaden in die Luft. Schaulustige stehen schon seit Stunden hinter einer Absperrung, um dabei zu sein, wie die Ära Finley Lewis untergeht. Das Gelände rund um die Villa wurde weiträumig abgesperrt. Ob jemand aus der Familie Lewis die Explosion überlebt hat, ist noch unklar. Die Einsatzkräfte haben aber den Brand in der Zwischenzeit weitgehend unter Kontrolle. Die Polizei hält sich in diesem Fall bedeckt. Im Laufe des Tages sollen erste Informationen bekannt gegeben werden. Die Ermittlungen von CIA und FBI laufen in alle Richtungen. Dabei steht die Vergangenheit von Ex-Senator Finley Lewis besonders im Mittelpunkt. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob der frühere Politiker wirklich etwas mit den kriminellen Machenschaften zu tun hat, die man ihm seit Jahren nachsagt. Unklar ist leider auch der Verbleib seiner beiden Nichten Jade und Amy Lewis. Ob sie sich zum Zeitpunkt der Detonation im Haus aufgehalten haben, wird zur Stunde noch ermittelt.«

»Gibt es weitere Überlebende?«

»Das lässt sich schwer sagen. Bisher wurden nur Tote geborgen. Mehrere Leichenwagen fuhren vor ein paar Minuten vom Gelände. Die Haushälterin wird vernommen, die sehr geschockt über die Ereignisse ist. Die Suche nach Überlebenden ist schwierig und birgt für die Einsatzkräfte eine große Gefahr. Allerdings schwindet mit jeder Stunde die Hoffnung. Nähere Details erwarten wir in Kürze.«

»Danke, Jonathan. Sobald es neue Einzelheiten in dieser Sache gibt, schalten wir noch einmal live vor Ort nach Bayville«, verabschiedet die Nachrichtensprecherin den Reporter, wendet ihren Blick in die Kamera und macht mit der Berichterstattung weiter.

Kapitel1

Jade

Meine Hand ruht auf Onkel Finleys sterbendem Körper. Mit geschlossenen Augen versuche ich, all meine Konzentration aufzubringen – durchkämme alles nach dem heilenden Nebel, den ich bei Luca schon angewendet habe. Aber da ist nichts.

»Ich kann es nicht, Onkel«, höre ich von Weitem meine eigene Stimme und senke beschämt den Kopf.

In seinem Blick liegen Kälte und Enttäuschung.

»Hol Amy«, fordert er mit letzter Kraft.

»Sie ist nicht hier«, erwidere ich leise.

Verwirrung und Panik glühen in seinen Augen auf. Jetzt sehe ich die Verachtung, die allein mir gilt.

»Deine einzige Aufgabe bestand darin, auf deine Schwester aufzupassen, und nicht mal das schaffst du?«

Wieder und wieder hallen seine letzten Worte in mir nach, die sich tief in meinem Herzen eingraben. Sie werden so laut, beinahe unerträglich, bis Hitze in mir aufsteigt, sich in meinem Körper ausbreitet, ausgelöst durch den Schmerz, die seelischen Verletzungen und den Zorn. Neue, unbekannte Flammenzungen lodern auf und lassen meine Aura rotgold leuchten. Glut brodelt in mir, und Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, bis ich die vernichtenden Worte nicht länger zurückhalten kann. Der Zwang, alles Zerstörende auszusprechen, das Onkel Finley in die Hölle schicken und mir Erleichterung verschaffen wird, ist so viel stärker, als dass ich mich beherrschen kann.

»Amy ist tot, Onkel Finley. Hörst du?«, zische ich mit glühendem Blick. Kaum habe ich diese Lüge ausgesprochen, weichen die Feuerzungen in mir zurück, werden kleiner und klingen ab, als würde jemand einen Eimer Wasser darüberkippen. Nichts ist mehr da von der Glut, die wie ein Seelenfeuer meinen Körper, meine Gedanken und meine Sprache eingenommen hat. Erschrocken über mich selbst, sehe ich zu, wie Tränen aus Onkel Finleys Augen treten, und nur Sekunden später wird sein Blick starr, und sein Herzschlag, den ich durch meine Hände spüre, verstummt für immer.

Erleichterung und eine gewisse Befriedigung hallen in mir nach, bis ich die wirren Stimmen wieder höre:

»Du hast ihn umgebracht. Du hast deinen Onkel getötet …«

Ich schaue mich um, aber ich bin allein. Die Stimme ist laut und deutlich und wiederholt ihre Worte, wird drängender, sodass ich ihren Vorwurf kaum ertragen kann. Mein Herz rast, es zerspringt fast in meiner Brust, und der Schweiß rinnt meinen Rücken hinunter. Fest presse ich die Lider zu, und doch sehe ich meinen toten Onkel vor Augen. Er ist leichenblass und fahl. Seine Zähne sind faul, und die Haut hängt in Fetzen von seinem Gesicht herab. Er hat lange Fingernägel, und mit einem bösen Grinsen sieht er mich aus dunklen Augenhöhlen an. Ein übler Geruch geht von ihm aus, und als die Stimmen noch lauter werden, presse ich die Hände auf die Ohren. Ich weigere mich, mir die Schuld einzugestehen, obwohl ich weiß, dass genau diese Worte aus der Tiefe meiner Seele kamen. Ich wollte das nicht tun, ich wollte das nicht …!

»Jade! Jade, wach auf!«

Erschrocken reiße ich meine Augen auf, und sofort verschwinden die wirren Bilder aus meinem Traum. Lucas warmer und tröstender Blick ruht auf mir.

»Du hast geträumt, Mea Suna. Du bist in Sicherheit.« Er streicht eine Haarsträhne aus meinem verschwitzten Gesicht.

Onkel Finley zerplatzt wie eine Seifenblase, zurück bleiben das schwere Gefühl der Schuld auf meinen Schultern und die Erkenntnis, vollkommen versagt zu haben. Wir sind immer noch im Flugzeug, in der Kabine, in die Luca mich gebracht hat. Ich muss wohl eingeschlafen sein.

»Es wird alles gut«, verspricht er und zieht mich in seine Arme.

Ich atme seinen tröstenden Duft ein, verharre einen Moment an seiner Brust und will ihm so gern glauben. Aber es ist zu viel passiert, Geheimnisse wurden ans Licht gezerrt, ich habe beinahe alles verloren, und die Welt, so wie ich sie kannte, existiert nicht mehr.

»Was hat Matteo mit meiner Schwester vor? Wird er sie …?« Ich blinzle die Tränen fort und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter, der mich hindert, es auszusprechen. In der Hoffnung, dass Luca sagt, Amy würde bald wieder bei mir sein, schaue ich in seine Augen, aber darin lese ich die gleichen Fragen.

»Ich weiß es nicht«, raunt er. »Ich wünschte, ich könnte dir darauf eine Antwort geben.«

Kaum merklich nicke ich und versuche, nicht vom Schlimmsten auszugehen.

Bevor wir das Flugzeug verlassen, gibt man mir eine dunkle Sonnenbrille und ein Tuch, welches ich um meinen Kopf binde. Niemand soll mich erkennen und erfahren, wo ich bin. Mr. Chang öffnet die Bordluke und lässt die Gangway hinab. Unsicher bleibe ich am Treppenabsatz stehen und schaue mich um. Der Flugplatz ist groß. Der Pilot hat unseren Flieger etwas abseits geparkt, sodass wir vor fremden Blicken geschützt sind.

Luca greift nach meiner Hand, und ich folge ihm zu einem Wagen mit abgedunkelten Scheiben, der unmittelbar in der Nähe des Flugzeuges auf uns wartet.

»Wasserfahrt nicht lange dauern«, sagt Mr. Chang in seiner gebrochenen Aussprache. Er nimmt auf dem Beifahrersitz Platz, und Luca setzt sich zu mir nach hinten. Der Chauffeur fährt los. Ich schaue aus dem Fenster. Wir müssen an der Küste sein. Neben unzähligen Palmen und unbebautem Gelände leuchtet immer mal wieder das türkisfarbene Meer zwischen dicht stehenden Bäumen und Häusern auf. Eine halbe Stunde später hält der Wagen an einer Bootsanlegestelle. Hier sieht es aus wie in einem Paradies. Eine wunderschöne Bucht erstreckt sich vor uns. Türkisblaues Wasser, weißer Sandstrand und etliche kleine Boote wanken im Wasser hin und her.

Der Fahrer steigt aus und öffnet mir die Tür.

»Bald wir es geschafft haben, Yūki-Chan.« Mr. Chang deutet zur Bootsanlegestelle, an der mehrere Jachten und Motorboote vor sich hinschaukeln. Die Luft riecht salzig, und ein milder Wind bläst. Es ist ziemlich warm, und keine Wolke ziert den azurblauen Himmel.

»Vergiss das Tuch und deine Sonnenbrille nicht, Mea Suna.« Luca knotet die losen Enden unter meinem Kinn zusammen.

Wer wird mich hier schon erkennen? Onkel Finley hat immer sehr darauf geachtet, dass unsere Gesichter nie abgelichtet wurden. Es tut gut, sich die Beine zu vertreten, und als ich ausgestiegen bin, strecke ich die Glieder kurz aus. Weit und breit sind kaum Menschen zu sehen, und ich frage mich, wo ich gelandet bin.

Mr. Chang folgend, gehen wir die Stufen zum Pier hinunter. Am Ende des Holzstegs wartet ein kleines Motorboot. Luca reicht mir seine Hand und hilft mir beim Einsteigen. Es erstaunt mich, dass Mr. Chang selbst das Boot aus der menschenleeren Bucht steuert. Wir fahren aufs offene Meer hinaus, und ich bin froh, das Kopftuch zu tragen. Der Wind hätte mir das Haar unangenehm ins Gesicht gepeitscht.

Wir haben das Festland schon eine Weile hinter uns gelassen, als plötzlich von Weitem eine Insel auftaucht. Wir steuern direkt auf einen einsamen, traumhaften, weißen Sandstrand zu, der mit etlichen Palmen und riesigen Bäumen wie das Paradies aussieht. Zwischen Baumwipfeln und Palmblättern kann man ein Gebäude erahnen. Ich kenne niemanden, der auf einer Insel wohnt, und wundere mich. Mr. Chang verringert das Tempo, der Motor wird leiser.

Als wir an der Schiffsanlegestelle ankommen, macht Luca das Motorboot mit einem Seil fest, während ein kleiner rundlicher Mann mit schmutzigem Hemd und Sonnenhut knietief im Wasser steht und ihm dabei hilft. Seine Haut ist von der Sonne dunkel gebräunt. Herzlich begrüßt er Mr. Chang, sie umarmen sich.

»Yūki-Chan, das seien alter Freund Quinn? Quinn, das seien Jade Lewis«, stellt uns Mr. Chang vor.

Der Mann nimmt seinen Hut vom Kopf, wischt seine verschwitzte Hand an seiner Hose ab, bevor er sie mir reicht.

»Willkommen auf Grace Island«, begrüßt er mich und wirft Mr. Chang einen Blick zu. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass sie so hübsch ist«, beschwert er sich und boxt meinem Trainer leicht in die Rippen. »Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen. Meine Frau Johanna kann es kaum erwarten«, säuselt er. Fasziniert schaut er mich an.

Ich soll wohl auch etwas sagen, doch ich bringe keinen Ton heraus. Gerade so schaffe ich es, ein Lächeln über meine Lippen huschen zu lassen.

»Sie seien müde, Quinn«, rettet mich Mr. Chang. »Das seien Luca-San. Luca de Nondelli«, stellt er ihn vor.

Mir entgeht nicht, wie misstrauisch Quinn Luca mustert, aber schließlich nickt er ihm zu.

»Folgt mir!«, lenkt er ein und setzt seinen Hut wieder auf. Schweigend gehen wir den Steg entlang, der aus der Bucht hinausführt.

»Wo sind wir eigentlich?«, will ich wissen, als wir am Ende der Anlegestelle eine Steintreppe hinaufsteigen.

»Bermudainseln. Grace Island seien Privatinsel«, antwortet Mr. Chang. »Hier in Sicherheit.«

Eine Privatinsel? Überrascht folgen wir den Männern weiter. Zwischen einer Palmengruppe taucht vor uns eine weiße, luxuriöse Villa mit großen Glasfenstern auf, die ich schon vom Boot aus gesehen habe. Wir gehen an einem hübsch angelegten Garten vorbei. Unmittelbar vor dem Haus glitzert ein Pool in der Sonne. Überall sind Blumen und Büsche, die die Bewohner vor fremden Blicken schützen. Wobei das hier eine Privatinsel ist und sowieso keine Touristen herkommen. Das Grundstück ist wunderschön umsäumt von einer saftigen, grünen Wiese, Pflanzen und unberührter Natur. Ein Schotterweg führt durch den Garten. Ein bisschen erinnert mich hier alles an zu Hause. Wehmütig zwinge ich mich, nicht daran zu denken.

* * *

Quinn und Mr. Chang gehen voraus. Wir laufen an der schönen Villa vorbei und folgen dem Pfad durch einen tropischen Wald, bis ein weiteres Haus auftaucht, das sich fast auf der anderen Seite der Insel befindet. Nach dem kleinen Fußmarsch erreichen wir den Vorplatz. Überall liegt Spielzeug, das bunt in der Sonne leuchtet. Die Eingangstür wird knarrend aufgestoßen, und drei Kinder springen neugierig auf die Veranda. Sechs aufgeweckte Augen starren uns an.

»Naoki, Naoki!«, ruft ein Junge und hüpft Mr. Chang entgegen. Dieser fängt ihn lachend und voller Freude auf und begrüßt ihn herzlich. Die anderen Kinder machen es ihrem Bruder nach, und mit einem Mal ist Mr. Chang von drei kleinen Jungs umringt.

»Das sind meine Kinder«, stellt Quinn sie vor. »Das sind Samuel, Sebi und Erin. Unsere Jüngste, Rose, hält bestimmt ein Schläfchen«, verkündet er stolz. »Das sind Jade und Luca. Sagt brav guten Tag, Jungs.«

Fast wie im Chor gehorchen sie und begrüßen uns. »So, jetzt könnt ihr spielen gehen.«

Lächelnd sehen wir ihnen nach, wie sie hinter dem Haus verschwinden. Ein weiteres Mal knarrt die Verandatür, und eine Frau mit langen schwarzen Haaren erscheint. Ihr Lächeln ist herzlich. Als sie Mr. Chang bemerkt, kommt sie die Stufen hinunter.

»Ihr habt Glück, das Essen ist gleich fertig«, sagt sie und begrüßt uns freundlich. »Es freut mich, euch kennenzulernen. Ich bin Johanna. Ihr seid bestimmt müde von der Reise.«

Nickend stimme ich ihr zu.

»Quinn, willst du unsere Gäste nicht ins Haus führen?«, fordert sie ihren Mann auf.

»Oh, natürlich!« Wir folgen ihm hinein, und ich bin froh, endlich mein Kopftuch abnehmen zu können. Drinnen ist es deutlich größer, als es von außen den Anschein hat. Im offenen Wohnbereich befinden sich zwei gemütliche Sofas. Liebevoll sind sie mit vielen bunten Kissen drapiert. Aus der angrenzenden Küche duftet es nach einem Braten.

»Setzt euch, Johanna wird euch gleich etwas zu trinken bringen.«

Wir nehmen am Küchentisch Platz. Luca schiebt mir den Stuhl zurecht, während Mr. Chang mir aufmunternd zuzwinkert.

Neugierig schaue ich mich um. Bilder der Kinder und anderer Familienmitglieder zieren die Wände. Die Möbel sind alt, jedoch gut gepflegt. Alles ist einfach und zweckmäßig eingerichtet. Man kann es nicht mit unserem Haus vergleichen, dafür hat Onkel Finley Design und teure Gegenstände zu sehr geliebt. Ich finde es ziemlich gemütlich und kann mir durchaus vorstellen, einige Tage hier zu verbringen. Aber mir fällt auf, dass es in dem Wohnzimmer keinen Fernseher gibt. Ein Telefon kann ich auch nirgends entdecken.

Johanna bringt uns Getränke. Sie ist die Herrin im Haus, das spürt man sofort. Ich schätze sie auf Ende dreißig. Sie schenkt uns Eistee ein, während eine abwartende Stille eintritt.

»Wie lange wollt ihr bleiben, Naoki?«, fragt Quinn und trinkt einen großen Schluck aus seinem Glas.

»Tja, dürfen Weiterreise nicht überstürzen. Du wissen, unsere Lage seien brisant.«

Quinn nickt wissend und sieht zu Luca. Eine Mischung aus Neugier und Misstrauen liegt in seiner Miene, was auch Mr. Chang nicht verborgen bleibt.

»Nix Sorge machen, Noaki übernehmen Verantwortung für Luca-San. Er stehen unter persönlich Schutz, wie Jade«, bekräftigt er.

Im Augenwinkel bemerke ich, wie Luca auf die Zähne beißt und dadurch seine Wangenknochen deutlich hervortreten.

»In Ordnung. Wenn Naoki dir traut, will ich es auch tun.« Quinn scheint bereit zu sein, Luca als Ex-Taluri hier auf der Insel zu akzeptieren. »Es ist sehr wichtig, dass ihr ein paar Dinge über Grace Island wisst«, beginnt er, und sein Blick wandert zu mir. »Ich darf doch Jade sagen, oder?«

»Natürlich.«

»Ich bin der Verwalter. Vico Tramonti ist der Besitzer dieser Insel.«

Wow! Bisher kenne ich nur Johnny Depp und George Clooney, die so reich sind, dass sie sich gleich eine ganze Insel leisten können.

»Mr. Tramonti besitzt weltweit mehrere Immobilien. Sie dienen den Illustris und den Padres als Zufluchtsorte. Es ist wichtig, dass sie geschützt bleiben, deshalb sind alle Standorte und Häuser streng geheim. Niemand weiß von deren Existenz, geschweige denn von der Funktion«, erklärt Quinn. »Du kannst, wann immer du möchtest, hierherkommen, Jade. Alles wird überwacht.«

Es sind mir keine Kameras, Zäune oder andere Sicherheitsmaßnahmen aufgefallen. »Aber kann nicht jeder mit einem Boot hierherfahren und die Insel betreten?«

Quinn schmunzelt. »Nein. Das Island wird von speziellen Drohnen kontrolliert.« Stolz hebt er den Kopf, bevor er mit seinen Erklärungen fortfährt. »Unsere ›Bienen‹, wie wir sie nennen, sind unbemannte Fluggeräte, die ununterbrochen auf der gesamten Insel im Einsatz sind. Sie geben ein Alarmsignal, falls sich jemand unerlaubt nähert, egal, ob über das Wasser oder aus der Luft.«

»Bienen?« Luca grinst. Es ist das erste Mal, dass er überhaupt etwas sagt.

»Du davon wissen?«, fragt Mr. Chang erstaunt.

»Nicht, dass ihr damit arbeitet, aber ich kenne die Technik. Wie groß sind sie, und wie viele habt ihr im Einsatz?«

Unsicher wirft Quinn Mr. Chang einen skeptischen Blick zu, was dieser jedoch mit einer Handbewegung abwinkt. »Mehr als zehn. Sie sind ungefähr so groß wie meine Hand und sehen aus wie übergroße lebendige Bienen. Und … sie sind scharf, wenn du verstehst, was ich meine.«

Luca schmunzelt und nickt.

»Naoki, meinst du wirklich, dass es gut ist, ihm das alles anzuvertrauen?« Quinn macht keinen Hehl aus seiner Skepsis Luca gegenüber. Ich spüre, wie Luca sich anspannt.

»Ich trage keinen Spy mehr, den habe ich mir selbst heraus geschnitten. Was also, könnte ich schon anrichten?«, versucht Luca, Quinns Bedenken zu zerstreuen. Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme.

Quinn ist dennoch nicht überzeugt.

»Dann weißt du sicherlich auch, dass du hier rund um die Uhr bewacht wirst. Sobald du dich verdächtig benimmst oder eine Waffe an dich nehmen solltest, wird der Alarm ausgelöst, und die Drohnen töten dich. Das soll keine Drohung sein. Verstehe es als Warnung«, erklärt er ernst.

Luca und Quinn liefern sich ein Blickduell.

»Ich habe verstanden«, knurrt Luca, und es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.

»Jetzt ist aber genug, Quinn. Du erschreckst ja die jungen Leute. Sie sind unsere Gäste und bestimmt erschöpft«, schimpft Johanna mit ihrem Mann, als sie zu uns an den Tisch kommt. »Komm, Liebes, ich zeige dir dein Zimmer. Nimm dein Glas mit«, fordert sie mich auf und geht voraus.

Mr. Chang nickt mir aufmunternd zu, als ich mich zögernd erhebe und der Hausherrin folge. Oben erstreckt sich ein schmaler Flur, von dem viele Zimmertüren abgehen. Johanna öffnet die letzte Tür im Gang und tritt ein. Das Zimmer ist ebenso einfach eingerichtet wie der untere Bereich, aber ich freue mich über saubere Laken und eigene vier Wände, in die ich mich zurückziehen kann. Das große Bett nimmt fast den ganzen Raum ein. Es gibt noch einen massiven kleinen Schreibtisch. Das Fenster durchflutet das Zimmer mit Licht, und die Holzdielen sind die gleichen wie im unteren Stock.

»Hier kannst du dich ausruhen, das Badezimmer musst du mit jemandem teilen, aber ich glaube, das wird kein Problem sein.«

»Danke, das ist sehr nett von Ihnen«, erwidere ich leise.

»Oh, nenn mich Johanna. Das Sie brauchen wir hier nicht.« Ihr Lächeln erinnert mich an Agnes, obwohl sie ihr überhaupt nicht ähnlich sieht. Sie öffnet die Seitentür des Schranks, nimmt aus dem unteren Fach zwei Handtücher vom Stapel und legt sie aufs Bett. Sie deutet zur Kleidung. »Die müssten dir passen.« Sie lächelt freundlich. »Falls du etwas brauchst, sag es einfach.« Sie wendet sich zum Gehen, dreht sich aber noch einmal zu mir um. »Ein schlauer Mensch sagte mal: ›Zurück ins Leben findet man erst im Durchleben der Trauer.‹ Wenn du reden willst, ich bin jederzeit für dich da.« Sie streicht mir über den Arm und lässt mich allein.

Ihre Worte lindern meinen Schmerz nicht. Verzweifelt habe ich in den letzten Stunden versucht, nicht daran zu denken, welches Unglück uns widerfahren ist. Onkel Finley, Tom und Allegra sind tot, und meine Schwester Amy wurde uns entrissen. Ob sie noch lebt und ob ich sie je wiedersehe? Mein Zuhause haben wir selbst dem Erdboden gleichgemacht. In den letzten achtundvierzig Stunden habe ich so ziemlich alles verloren – meine Familie, meine Freunde, mein Leben. Die Einzigen, die mir geblieben sind, sind Luca und Mr. Chang.

Ich setze mich aufs Bett und starre aus dem Fenster. Die Sonne scheint, und die Vögel zwitschern. Es ist ein schöner Tag. An solchen Tagen wie heute habe ich mich gerne in unserem Park aufgehalten und trainiert. Bilder aus unbeschwerten Zeiten durchfluten meine Erinnerung.

Was soll jetzt werden? Muss ich mich für immer vor den Taluris verstecken? Und was ist mit Amy passiert? Was hat Matteo mit ihr gemacht, nachdem er sie Mr. Chang aus den Armen gerissen hat? Ich verbiete mir, darüber nachzudenken. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ich sie vielleicht nie wieder sehen werde, und ich weigere mich, zu glauben, dass sie nicht mehr am Leben ist.

Kapitel2

Jade

Tropisch feuchte Luft hat sich in meinem Zimmer breitgemacht, und ich sehne mich nach einer Dusche. Im Badezimmer putze ich die Zähne und wasche die Spuren unserer Flucht von meinem Körper. Mit noch nassem Haar und frischer Kleidung gehe ich nach unten. In der Wohnküche ist niemand, aber ich höre jemanden im Garten. Gerade will ich die Verandatür aufschieben, als ich Lucas wütende Stimme vernehme.

»Ich kann nicht glauben, dass Sie wirklich mit dem Wissen weiterleben konnten. Das ist grausam und macht Sie nicht besser als Morgion«, brüllt er.

Ich spähe vorsichtig durch die Tür und sehe, wie sich Luca bedrohlich vor Mr. Chang aufgebaut hat.

»Beruhigen, Luca-San«, versucht Mr. Chang auf ihn einzureden.

»Ich soll mich beruhigen? Wie können Sie nachts überhaupt noch schlafen?«

»Du nicht wissen, was du sagen«, verteidigt sich Mr. Chang. Er ist vollkommen unbeeindruckt, beinahe gelassen. »Das alles seien nicht leicht zu erklären. Ich haben Gründe.«

»Nicht leicht?« Luca lacht verächtlich. »Glauben Sie, Maxi fand es leicht, als man ihn zum Tode verurteilte, weil Morgion glaubte, er hätte etwas mit Ihrem Verschwinden zu tun? Er bezahlte dafür mit seinem Leben. Und Sie sagen, ich soll mich beruhigen?«

Mr. Chang weicht erschrocken einen Schritt vor Luca zurück und sieht ihn entgeistert an. »Das ich nicht wissen.« Er senkt den Blick. »Das mir sehr leidtun.«

»Sie wollen viele Dinge nicht wissen. Sie haben sich feige von uns abgewandt und uns im Stich gelassen. Sie haben meine Brüder ihrem Schicksal überlassen. Was sind Sie nur für ein skrupelloser Mensch?«

»Ich können wiedergutzumachen«, versucht Mr. Chang ihn zu beschwichtigen.

Aber Luca lacht höhnisch. »Wiedergutmachung? Sie hatten die Wahl zu sterben. Sich feige hinter den Padres zu verstecken, empfinden Sie das als die bessere Lösung?«

Mr. Chang schüttelt den Kopf. »Ich mich nicht verstecken. Letzter Versuch, Morgion zu töten, haben zu viele Opfer verlangt. Neue Angriffe nicht möglich. Und Illustris in größere Gefahr.«

»Sie trugen die Verantwortung für so viele von uns, Sensei. Wir haben zu Ihnen aufgesehen, wir glaubten an Sie! Sie waren unser Hoffnungsschimmer in diesem Hexenkessel.«

In der Nacht, bevor die Taluris uns attackiert haben, gestand mein Trainer uns, dass er vor Jahren ein Lehrer in Morgions Clan war. Er wurde durch die Grausamkeit Morgions zu vielem gezwungen und beschloss eines Tages, seinen Tod vorzutäuschen, um für immer zu verschwinden. Ich erinnere mich an die Fotos im Gästehaus, das Mr. Chang bewohnte, und fragte mich, wer die Kinder sind. Heute weiß ich, dass es die noch jungen Taluris waren, die Mr. Chang zu Killern ausgebildet hat.

»Ich nicht anders können. Du mir vertrauen und kommen mit zu Padres.«

Luca schnauft verächtlich, aber seine Wut ist ungebrochen. Er packt Mr. Chang am Kragen und drückt ihn gegen den Holzpfeiler neben der Treppe. Plötzlich dröhnt ein lautes Summen über Luca und Mr. Chang. Sie heben den Blick und schauen in den Himmel. Über ihren Köpfen surren drei Flugobjekte, kreisen einige Male, und kurz darauf ist ein Alarmton zu hören.

Das scheint Luca jedoch nicht im Geringsten zu stören. Er senkt lediglich seinen Ton. »Jetzt, wo ich keinen Spy mehr trage, kann ich endlich klar denken. Glauben Sie wirklich, ich falle darauf herein? Die Padres werden die Letzten sein, die mir helfen werden. Sie sind ein Verräter, Sensei Chang, und ich traue Ihnen nicht.«

»Lass ihn los!« Quinn taucht plötzlich auf und will Luca von Mr. Chang wegdrücken. Kurz entsteht ein Gerangel, was aber durch das unruhige metallische Geräusch der Drohnen in der Luft unterbrochen wird.

»Sie machen sich bereit zum Abschuss! Hör auf, Luca!«, ruft Quinn warnend.

Luca keucht, ballt wütend die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortreten, und taxiert Mr. Chang.

»Es vergehen keine Tag und Nacht, keine Stunden, ich wissen, was ich getan habe. Ich zerrissen und habe mir Tod gewünscht. Oft ich denken, es sein aussichtslos. Aber ich dir verraten, warum weitermachen … Glauben an Hoffnung, Luca-San. Es gut werden irgendwann. Ich kämpfen dafür. Ich Mädchen schützen, helfen zu leben. Und mit Glück werden Taluris aus Hölle befreien und Morgion vernichten.« Mr. Chang macht eine Pause und sieht Luca eindringlich an. »Du stehen an Punkt wie Sensei damals. Ich gehen durch Hölle, allein. Aber Padres mir helfen. Dir auch! Du gesehen und gespürt, wozu Jade fähig. Du begreifen, dass sie alles ändern.«

Aufgeregt und nervös stehe ich hinter der Tür. Erst jetzt wird mir klar, wie spürbar die Anspannung zwischen den beiden gewesen sein muss. Sie haben eine gemeinsame Vergangenheit.

»Du kommen mit uns, Luca-San. Es seien Chance, Taluris befreien und selbst frei werden!«

Unruhig klopft mein Herz, und ich fixiere Luca, versuche, aus seiner Haltung seine Meinung zu deuten. Während ich ihn beobachte, wird mir bewusst, dass er andere Pläne hat und nicht beabsichtigt, mit zu den Padres zu kommen. Das bedeutet, er wird gehen. Aber wohin? Er kann doch nicht zurückwollen – nicht nach Rom, nicht zu seinen Brüdern, nicht einmal zu einer Familie. Ich bin davon ausgegangen, dass er bei mir bleiben wird. Wie selbstsüchtig von mir.

Luca schaut grimmig auf. »Frei sein? Ich werde niemals frei sein, weder bei den Padres noch sonst wo.«

Er wird mich verlassen, hallt es immer wieder durch meinen Kopf. Ohne nachzudenken, stoße ich die Verandatür auf und sehe Luca traurig an. Ihnen ist klar, dass ich das Gespräch mit angehört habe.

»Du wirst fortgehen?«, frage ich flüsternd.

* * *

Luca erwidert meinen Blick, schließt den Mund und lässt von Mr. Chang ab. Ohne mir eine Antwort zu geben, verschwindet er mit hastigen Schritten vom Vorplatz. Drei Bienen folgen ihm.

»Er brauchen Zeit, Yūki-Chan«, murmelt Mr. Chang, und wir werden durch die Stimmen der Kinder, die auf einmal in den Garten rennen, unterbrochen.

Ich sehe Luca hinterher, bis Johanna die wenigen Stufen zu uns heruntergelaufen kommt. Sie bemerkt die angespannte Situation sofort. »Was ist passiert?«

»Nichts, meine Liebe. Würdest du uns einen Kaffee machen?«, bittet Quinn.

Fragend mustert sie unsere Gesichter, aber als niemand bereit ist, ihr eine angemessene Antwort zu geben, rollt sie mit den Augen und geht ins Haus.

»Ich denke, Sie schulden mir ein paar Erklärungen, Mr. Chang«, fordere ich ihn auf.

»Zuerst sollten wir uns alle beruhigen«, mischt sich Quinn ein.

Mr. Chang betrachtet mich, und die Stille, die entsteht, ist gespenstisch. Längst weiß ich, dass ich nicht alle Geheimnisse kenne, aber ich will wenigstens wissen, wieso mein Trainer glaubt, dass ich die Lösung für das Morgion-Problem sein könnte.

Müde wischt er sich durchs Gesicht und setzt sich an den Tisch. Ich setze mich ebenfalls und warte.

»Sie ist noch nicht so weit, Naoki. Sie sollte erst einige Monate bei den Padres verbracht haben, bevor du –«, versucht Quinn ihn daran zu hindern, mir reinen Wein einzuschenken.

»Bei allem Respekt, ich habe genug durchgemacht, um endlich zu erfahren, was zum Teufel los ist. Ihr könnt mich nicht länger im Dunkeln tappen lassen.«

Seufzend nimmt Quinn am Tisch Platz. »Sie ist noch zu unreif. Sie muss erst …«

»Sie haben Recht, alles zu wissen, Quinn.« Mr. Chang sieht mich an. »Es seien deine Gabe, Yūki-Chan … sie seien … außergewöhnlich. Du seien anders als die Mädchen«, beginnt er und streicht sich über den Bart. »Du erzählen, Quinn.«

Der Inselverwalter räuspert sich, und auch wenn er nicht ganz einverstanden ist, ist er dennoch bereit, Mr. Changs Ausführungen fortzuführen.

»Es gibt eine Legende aus der alten griechischen Mythologie. Demnach zeugten Illis, die Göttin des Heils, und ihr Gemahl Luma, Gott des Lichts, viele Töchter. Alle Mädchen trugen die Gabe der Heilung in sich, wie ihre Mutter, und strahlten als Sterne am Himmel. Eines Tages betrog Illis ihren Gatten mit Ado, dem Gott des Verderbens. Aus dieser Verbindung gebar sie ein Kind, welches sowohl die Fähigkeit der Heilung als auch die des Verderbens in sich trug. Es war stärker und leuchtete heller als die anderen.«

Zwei Gaben? Will er etwa damit andeuten, dass ich …? Sofort muss ich an die Umstände von Onkel Finleys Tod denken.

»Illis liebte dieses Mädchen genauso wie ihre anderen Töchter. Aus Angst vor der Rache ihres Gemahls gab sie das Kind als sein eigen Fleisch und Blut aus. Doch Gott Luma erfuhr eines Tages von ihrem Betrug. Da Illis nicht bereit war, ihm den Namen des Kuckuckskindes zu verraten, schwor er Vergeltung, indem er alle seine Töchter töten lassen wollte. Alles Flehen und Weinen Illis’ half nichts. Deshalb beschloss sie, ihre Kinder zu retten. Sie warf sie vom Himmel hinab auf die Erde und rettete so ihre Nachkommen. Weiter heißt es, dass die Mädchen den Menschen viel Gutes taten, weil sie Krankheiten heilten. Später wurden sie als Hexen gejagt und verbrannt, da man ihre Fähigkeiten als Teufelswerk bezeichnete. Mönche aus dem Jerónimo-Kloster haben jahrhundertealte Mitschriften geführt, die die Existenz der Illustris belegen.«

»Und … was ist mit dem Kuckuckskind geschehen?«

»Das weiß ich nicht. Professor Tramonti kann dir dazu mehr erzählen, aber das ist die Legende der Illustris.«

»Sie glauben doch nicht, dass ich die mit den zwei Gaben bin, oder?«, frage ich Mr. Chang.

Er schweigt, aber ich ahne, dass er genau das in mir sieht. Scheiße! Wieso fühle ich, dass das die Wahrheit ist? Was bedeutet das nun für mich? Bin ich etwa ein Nachkomme des Kuckuckskindes? Was werden die Padres mit mir machen, wenn sie erfahren, dass ich diese dunkle Gabe in mir trage?

Je länger ich über die Geschichte nachdenke, desto mehr steigen seltsame Gefühle in mir hoch. Heilen und verderben. Gut und böse, schwarz und weiß. Es ist düster, bedrohlich und gefährlich, und es jagt mir höllische Angst ein. Ich war nie ein rachsüchtiger, gewalttätiger oder in irgendeiner Weise aggressiver Mensch. Ich bin Jade Lewis, ein Mädchen aus Bayville, das in Mathe schlecht ist, gern Sport treibt und sich am liebsten in der Bibliothek vergräbt. Jedoch kann ich nicht leugnen, dass sich inzwischen viel verändert hat und ich selbst ganz erstaunt über mich bin. Aber verderben? Ich will das alles nicht.

»Mit heilender Gabe du können Taluris retten«, sagt Mr. Chang leise.

»Sie meinen, weil ich das Obsensium in Luca zerstört habe?« Ich schüttle den Kopf. »Das mit Luca war etwas völlig anderes. Ich denke nicht, dass ich in der Lage dazu bin – schon gar nicht auf Kommando.«

»Du dich nicht unterschätzen, Yūki-Chan. Du seien manchmal ein Elefant, aber …«, versucht er mich aufzuheitern.

Aber das gelingt ihm nicht, denn ich muss sofort wieder an die Sache im Flugzeug denken. »Ich habe es nicht mal hinbekommen, meinen eigenen Onkel zu retten.« Schuldbewusst betrachte ich meine Hände. »Und was, wenn das alles nicht stimmt?«

»Die Gelehrten der Padres haben zusammen mit den Gironimo-Mönchen diese Legende in den Archiven aufgearbeitet. Vieles konnten sie rekonstruieren und entschlüsseln.«

Mr. Chang beugt sich zu mir rüber. »Egal, was Legende sagen, du müssen helfen, Yūki-Chan. Luca müssen zu Padres kommen. Dort er sicher.«

Ich runzle die Stirn.

»Alpträume und Gefühlssturm … das seien Anfang«, erklärt er. »Luca nicht ahnen, welche Qualen ihn erwarten. Deshalb er uns brauchen.«

Kurz bin ich irritiert, weil ich nie auf den Gedanken gekommen bin, dass Luca nicht mit uns gehen könnte. Unsere Wege dürfen sich jetzt nicht trennen. Ich will mit ihm meine Schwester finden, und außerdem sind wir doch durch die Heilung tief miteinander verbunden. Abgesehen von seiner Nähe und der Anziehungskraft, kann ich nicht auf ihn verzichten, so egoistisch das klingt.

»Wo will er denn hin?«, frage ich bekümmert.

»Ich nicht wissen. Er aufgewühlt und wütend auf mich sein«, sagt Mr. Chang.

Kaum merklich nicke ich, und Mr. Changs Züge entspannen sich langsam.

Für die Taluris sind die Padres immer der Feind gewesen, weil sie die Illustris beschützten. Ich kann Lucas Bedenken verstehen. »Er hat das Gefühl, sich selbst auszuliefern«, murmle ich vor mich hin. »Er vertraut niemandem.«

»Müssen klarmachen, er bei Padres sicher. Du mir dabei helfen, Yūki-Chan?«

»Ich werde es versuchen«, stimme ich schließlich zu, denn eine andere Option sehe ich nicht. Er ist allein. Wo würde er hingehen, wenn ich die Insel verlasse? Wird er sich auf die Suche nach Amy und Matteo begeben? »Was ist mit Amy?«

Mr. Chang faltet die Hände. »Bis Weiterreise sicher, wir hierbleiben. Ich wollen Überblick über aktuelle Lage.«

»Einige Tage? Amy könnte in dieser Zeit …« Ich schlucke. Mein Blick wandert zu Quinn, der bis jetzt kein Wort gesagt hat. Er misstraut Luca, egal wie oft der beteuert, kein Risiko darzustellen.

Johanna kommt mit einer Kanne und ihrem Baby auf dem Arm zu uns. Sie übergibt ihrem Mann das Kind. Als sie uns allen eingeschenkt hat, setzt sie sich neben mich.

»Im Moment wir machen Pause. In ein paar Tagen wir schmuggeln dich zu Padres nach Madrid. Padre-Rat haben Informationen sicher.«

»Erst in ein paar Tagen?«, gebe ich ungeduldig von mir. Amy ist in Gefahr. Vielleicht hat Matteo sie schon längst getötet. Ich kann den Gedanken kaum ertragen, aber ich weiß, dass ich das jetzt irgendwie aushalten muss.

»Ich kann doch nicht tatenlos herumsitzen und darauf warten, dass irgendetwas passiert, während Amy um ihr Leben kämpft«, murre ich unzufrieden.

Mr. Chang legt seine Hand auf meine und versucht mich zu beruhigen. »Ich wissen, wie du fühlen.«

Verärgert ziehe ich sie zurück und stehe auf. »Wir können nicht warten. Meine Schwester ist in den Krallen dieses Monsters. Wer weiß, was er alles mit ihr anstellt. Warum können wir nicht zurückfliegen und nach ihnen suchen?«

Ich weiß, dass mein Vorschlag kindisch und naiv ist, aber im Augenblick ist mir das egal.

Mr. Chang erhebt sich ebenfalls. »Es seien zu gefährlich, und das du wissen.«

Heiße Tränen wollen aufsteigen, die ich jedoch schnell hinunterschlucke. Verzweifelt sehe ich ihn an und ignoriere das wellenartige Gefühl im Bauch. Leuchtendes Rot, gemischt mit Schwarz, strömt aus mir, was Mr. Chang, Johanna und Quinn nicht bemerken. An das Schwarz, das mich seit jener Nacht leicht umhüllt, habe ich mich beinahe gewöhnt. Nur Luca war bis vor ein paar Stunden noch in der Lage, meine Aura zu sehen.

»Sie hören sich schon an wie Onkel Finley«, flüstere ich aufgebracht.

»Ich kann deinen Frust verstehen, Jade«, versucht Johanna mich zu beruhigen. »Aber die Situation ist wirklich schwierig. In Bayville ist jetzt sicherlich die Hölle los. Überall wird Polizei sein. Wenn man dich entdeckt, dann …« Sie schüttelt den Kopf. »Niemand ahnt von der Existenz der Padres, der Taluris oder von euch Mädchen. Ich bin mir sicher, dass man jeden Winkel nach dir und deiner Schwester absucht. Und Morgion hat bestimmt durch eine Maori-Krähe von deinen besonderen Fähigkeiten erfahren. Das macht die ganze Sache noch schwieriger für uns.«

Mir ist zum Heulen zumute. Diese Situation ist so ausweglos, und ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten und einige Wochen zurückspulen. Mein neues Leben gleicht einem Trümmerhaufen, und obwohl ich von Menschen, die mir helfen wollen, umgeben bin, will ich am liebsten eine Decke über meinen Kopf ziehen und diese Welt ausschalten.

Johanna zieht mich tröstend in ihre Arme, als sie bemerkt, wie mein Kinn bebt und Tränen mir die Sicht verschleiern. Kurz lasse ich es zu, aber es ist nur ein flüchtiger Moment. Es ist einfach zu viel, und ich habe das Gefühl, dass alle an mir zerren und reißen. Es wird eng in meiner Brust, weshalb ich mich von ihr befreie und nur noch den Wunsch habe, allein zu sein. Wie von selbst bewegen sich meine Beine, und ich renne los.

Kapitel3

Jade

Johannas Rufe ignorierend laufe ich am Haus vorbei, und je weiter ich mich von ihnen entferne, desto besser fühle ich mich. Meine Muskeln brennen, und es fühlt sich großartig an, mit jedem Schritt alles hinter mir zu lassen.

Atemlos komme ich in der Bucht an und jogge an den Strand hinunter. Der Sand und die kleinen Steine knirschen unter den Sohlen. Wie vertraut sich dieses Geräusch anhört, fast wie zu Hause. Nur ein nerviges Summen stört das Idyll. Direkt über mir entdecke ich eine der Drohnen. Sie folgt mir. Trotzig erhöhe ich das Tempo, um sie abzuschütteln. Aber ich habe keine Chance. Die ›Biene‹, wie Quinn sie nennt, hat kein Problem, mit mir mitzuhalten. Erschöpft und außer Atem gebe ich irgendwann auf. Soll das Metall-Ding mich eben verfolgen.

Ich setze mich in den Sand und schaue aufs Meer hinaus. Sanft schlagen die Wellen ans Ufer. Meine Zwillingsschwester ist wahrscheinlich in den Klauen dieses Monsters, falls er sie nicht schon umgebracht hat, und ich sitze hier tatenlos auf dieser verdammten Insel fest. Ich hasse dieses Gefühl von Machtlosigkeit, komme mir wie eine Versagerin vor und das, obwohl ich mir selbst erst vor ein paar Tagen geschworen habe, sie mit meinem Leben zu beschützen. Meine Brust schnürt sich erneut zu, und mein Magen krampft, wenn ich darüber nachdenke. Ich bin so wütend und gleichzeitig wirklich ratlos. Jetzt kann ich meine Tränen nicht mehr aufhalten und wische sie verärgert fort. Das Summen der Drohne ist nicht mehr zu hören, nur das Rauschen der Wellen nehme ich friedlich in mir auf. Im Stillen verfluche ich den Tag, an dem Onkel Finley mich über die Illustris und das Schicksal meiner Schwester aufgeklärt hat. Wie einfach und süß das Leben davor noch geschmeckt hat.

Sand knirscht hinter mir, und ich weiß, auch ohne mich umzuschauen, wer es ist.

Luca.

Ich erwarte, dass er sich neben mich setzt, aber das tut er nicht. Es raschelt. Ich drehe den Kopf und schiebe verdutzt die Brauen zusammen. Er zieht sich aus? Sein T-Shirt liegt bereits im Sand, und sein muskelbepackter Oberkörper glänzt vor Hitze in der Sonne. Er öffnet gerade seine Hose, als sich unsere Blicke treffen.

»Was zum Teufel tust du da?«, frage ich irritiert und kann den Blick nicht von dem Spiel seiner Muskeln lösen.

Er grinst. »Wonach sieht es denn aus?«

Er befreit sich von den Socken und wirft sie achtlos zu seiner Hose und dem T-Shirt. Nur in Boxershorts bekleidet, die locker an seinen Hüften sitzen, stapft er an mir vorbei, direkt ins Wasser. Er zögert kurz, als er mit den Füßen knöchelhoch im Nass steht, und dreht sich zu mir. »Komm auch, es wird dir guttun.«

Mit Schwung rennt er los und wirft sich kopfüber in die Wellen.

Ich beobachte ihn, und nach wie vor erstaunt es mich, wie sehr mein Herzschlag und mein Puls auf ihn reagieren. Er krault ein paar Meter, und ich sehe fasziniert dabei zu, wie das Wasser weiß unter seiner Kraft aufschäumt. Keine Frage, Luca ist der attraktivste Typ, dem ich je begegnet bin. Er war ein Taluri, ein Killer, der viele Mädchen getötet hat, doch das hat mein Herz nicht davon abgehalten, schneller zu schlagen in seiner Gegenwart. Er wollte mich töten, aber am Ende hat er versucht, uns alle zu retten. Etwas Geheimnisvolles und Raues umgibt ihn, trotzdem habe ich das Gefühl, ihn zu kennen. Von Anfang an fühlte ich mich stark zu ihm hingezogen.

Er schwimmt näher ans Ufer.

»Komm schon, Jade! Es ist genial«, ruft er begeistert und peitscht eine Ladung Wasser in meine Richtung. Ich schüttle den Kopf, denke an die Bienen, die uns irgendwo beobachten. Wer weiß schon, wer die fliegenden Dinger am Himmel steuert.

Luca taucht ab, und ich warte, bis er wieder auftaucht. Es vergehen Sekunden, und ich scanne das Wasser nach seinem dunklen Schatten ab, aber da ist nichts. Wie lange kann er tauchen? Nervös streiche ich eine Haarsträhne hinter mein Ohr, stehe auf und lasse meinen Blick über die Wasseroberfläche gleiten. Das gibt es doch nicht! Er muss Luft holen. Jetzt. Er ist schon so lange unten.

»Luca, hör auf mit dem Quatsch!« Verunsichert trete ich näher ans Ufer. Verdammt! »Luca!« Ihm wird doch nichts zugestoßen sein. Kurz entschlossen ziehe ich meine Turnschuhe aus und stapfe die ersten Meter hinein. »Luca!«, kreische ich panisch, während Wellen sanft gegen meine Oberschenkel schlagen. Scheiße! Es gibt einige Felsen, die sich unter Wasser befinden. Hat er sich etwa verletzt? Angestrengt versuche ich, etwas auf dem Grund zu erkennen, finde aber immer noch nichts.

* * *

Gerade will ich bei einer Felsgruppe nach ihm suchen, da taucht er keine drei Meter von mir entfernt lachend auf. Erschrocken fahre ich zusammen und schreie. »Verdammt! Hast du den Verstand verloren?«

Außer Atem lacht er laut und spritzt Wasser in meine Richtung.

Insgeheim erleichtert, aber dennoch wütend trotte ich tropfnass an den Strand zurück, setze mich in den Sand und ziehe die Schuhe wieder an, während er mich beobachtet.

»Sei nicht sauer. Ich wollte nur einen Spaß machen.«

Der hat vielleicht Nerven!

»Mir ist nicht nach Späßen zumute. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht«, murre ich verärgert und ziehe die Schnürsenkel meines Turnschuhs etwas zu fest an.

»Es ist Jahre her, dass ich schwimmen war. Du solltest es auch ausprobieren. Man bekommt den Kopf frei, und die Muskeln lockern sich.«

»Schön für dich.«

Luca steht hüfthoch im Wasser und lässt sich rücklings wieder hineingleiten.

Wütend funkle ich ihn an und stehe auf. Sand klebt wie Paniermehl an mir, und wie gern würde ich die Klamotten ausziehen und auch schwimmen gehen. »Tu das nie wieder, verstanden?«

Sein Grinsen wird breiter. »Du hattest Angst um mich, stimmt‘s? Hättest du wirklich nach mir getaucht?« Langsam kommt er an den Strand. Einige unendliche Sekunden zu lang werde ich von den Wassertropfen abgelenkt, die sich auf seinem Oberkörper einen Weg nach unten suchen. Ich muss daran denken, wie sich unser Kuss angefühlt hat und wie gern ich mit meinen Fingern über sein Sixpack streichen will.

Er legt den Kopf schief und grinst, als könnte er meine Gedanken erraten. Ich fühle mich ertappt und erröte. Verlegen fixiere ich eine Muschel im Sand.

»Niemand kann so lange unter Wasser bleiben. Da macht man sich eben Sorgen«, erkläre ich und finde endlich den Mut, ihm entgegenzublicken.

Er stemmt seine Hände in die Hüften. »Was machst du eigentlich hier? Weiß Chang, dass du am Strand bist?«

Was soll das nun wieder bedeuten? Seit wann muss ich mich abmelden? »Nein,weiß er nicht«, gebe ich gereizt zurück. »Außerdem bin ich ihm keine Rechenschaft schuldig. Ich kann tun, was ich will.«

Stolz recke ich das Kinn und sehe ihn herausfordernd an.

»Was ist los? Hast du schlechte Laune?«

»Warst du vorhin nicht derjenige, der sauer abgehauen ist, nach der Auseinandersetzung mit Chang?«

»Touché. Deshalb schlug ich dir eine Abkühlung vor, Süße.«

Ich beobachte ihn, während er noch im Wasser ist.

»Du musst mir helfen, Amy zu finden, Luca. Du kennst Matteo. Was hat er mit ihr vor?«

Sofort verengen sich seine Augen, und mit einem grimmigen Gesicht stapft er aus dem Wasser.

»Was wird er mit ihr tun? Ich muss es wissen.«

Mit finsterer Miene beugt er sich nach seinem T-Shirt. »Ich weiß es nicht, Jade.«

»Aber du musst es doch wissen. Er ist dein bester Freund.«

»Ich kann dir nicht sagen, was er vorhat.«

»Ich verstehe nicht, warum er das getan hat. Mr. Chang und du habt ihm doch den Chip mit dem Obsensium entnommen. Er hat sogar gegen seine eigenen Brüder gekämpft. Kurz bevor Mr. Chang es geschafft hat, uns Amy zu übergeben, hat er sie ihm einfach entrissen.«

»Ich weiß, was er getan hat, ich war dabei, okay?«

Wütend strömt das Rot so heftig aus mir, dass ich es schon in mir brodeln höre. Sofort versuche ich mich zu beruhigen, trotzdem habe ich das Gefühl, dass Luca nicht ganz ehrlich zu mir ist.

»Du musst geduldig sein, Jade.«

Ich keuche genervt. So langsam kann ich diese Worte nicht mehr ertragen.

»Du redest genau wie Mr. Chang, das werde ich nicht akzeptieren«, fahre ich ihn gereizt an. »Was macht ihr sonst mit den Mädchen? Tötet ihr sie gleich oder bedient ihr euch vorher noch an ihren Körpern?«, platzt es aus mir heraus, und in dem Moment als die Worte meinen Mund verlassen, bereue ich es.

Luca hält kurz inne, dann wirft er wütend sein T-Shirt in den Sand und kommt drohend auf mich zu. In seinen Augen lodert Verärgerung. Ich bemerke, wie er sich vor mir sich zusammenreißt, um nicht wie ein Löwe über mich herzufallen.

»Was willst du damit sagen?«, knurrt er.

Er ist viel größer als ich, und ich muss zu ihm aufschauen. Sein Oberkörper hebt und senkt sich, und in seinen Augen glitzert es gefährlich. Obwohl ich das Obsensium restlos zerstört habe, weiche ich ehrfürchtig zurück. Verglichen mit seinem durchtrainierten Körper bin ich zu schmächtig. Falls er glaubt, dass ich kampflos aufgebe, hat er sich geschnitten. Stolz hebe ich das Kinn und schaue ihm direkt ins Gesicht. Ich weiß, dass ich eben zu weit gegangen bin, aber ich habe eine Scheißangst um Amy. Im Collections habe ich Matteos lüsterne Blicke und Berührungen beobachtet. Schon damals spürte ich, dass etwas mit dem Typ nicht stimmt.

»Ich will eines klarstellen, falls dein Kumpel ihr etwas antut, dann werde ich ihn töten, auch wenn er dein Bruder ist«, sage ich entschlossen und meine jede Wort genauso.

Grimmig tastet sein Blick über mein Gesicht, aber ich halte ihm stand.

»Dazu bist du nicht in der Lage.«

Mein Kampfgeist ist geweckt.

»Ach, wirklich? Was macht dich so sicher?«, frage ich und gehe vor ihm in Angriffsstellung, so wie es Mr. Chang mir beigebracht hat.

»Du solltest jetzt lieber den Mund halten, Jade. Ich werde mich nicht auf einen Kampf mit dir einlassen«, erwidert er, dreht sich wie ein feiger Hund einfach um, um sich weiter anzuziehen.

Er lässt mich stehen? Das ist alles, was er zu sagen hat?

»Hey!«, schreie ich aufgebracht und renne auf ihn los, springe auf seinen Rücken und kralle mich wie ein Äffchen fest. Aber er hat blitzschnell meinen Plan durchschaut, umschlingt meinen Körper und zieht mich herunter. Mit aller Kraft versuche ich mich aus seinem Griff zu befreien.

»Hör auf, Jade! Du machst dich nur selbst verrückt.«

»Lass mich los!«, kreische ich, was zur Folge hat, dass er mich nur noch fester hält und ich mich kaum bewegen kann.

»Beruhige dich.«

»Ich will mich aber nicht beruhigen!« Ich winde mich in seinen Armen, mein Ärger ist grenzenlos, und ich spüre die Glut in mir wachsen. Es wird immer schwerer für ihn, mich festzuhalten. Ich bringe ihn ins Wanken, und schließlich fallen wir beide in den feuchten Sand. So schnell ich kann, stürze ich mich auf ihn, doch Luca dreht mich kinderleicht auf den Rücken und hält meine Armgelenke fest.

»Verdammt, Jade! Ich würde es dir sagen, aber ich weiß wirklich nicht, wo er ist oder was er vorhat, glaub mir.«

Mein Atem geht schneller, und ich habe Mühe, den Energieschub, der mich zu überrollen droht, unter Kontrolle zu bringen. Kaltes Meerwasser umspült meinen Körper und hilft, mich zu besinnen.

»Ich habe Matteo den Chip aus dem Oberarm entfernt. Niemand kann wissen, wie er ohne das Obsensium im Blut reagiert. Gerade deshalb war es ein Fehler, Matteo schon so früh zu vertrauen. Hinterher ist man immer schlauer«, sagt er.

Fest presse ich die Lippen zusammen und versuche, meinen inneren Vulkan zu beruhigen, indem ich tief ein- und ausatme. Stumm kämpfe ich gegen meine Gefühle an. »Es tut mir leid. Ich habe so schreckliche Angst um sie, dass ich es nicht ertragen kann, hier tagelang zu sitzen, um dann die Nachricht zu erhalten, dass sie tot ist.«

»Das verstehe ich.« Die Kälte in seinem Gesicht ist verschwunden. Sanft und verständnisvoll sieht er auf mich herab. Sein Griff lockert sich, und erst jetzt wird mir seine Nähe bewusst. Auch er scheint das zu bemerken. Mein Blick liegt auf seinen sinnlichen Lippen. Sie sind voll und weich, und die Erinnerung, was er damit anstellen kann, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Oh Mann! Lust steigt in mir auf, und ich sehne mich nach Berührung und seiner Nähe.

Luca streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

»Weißt du eigentlich, wie schön du bist?«, flüstert er.

Ich nehme seinen Duft wahr, der nach Salzwasser und seiner süßen Verführung schmeckt. Mein Blick verharrt in seinem, und wir spüren beide, wie stark das Verlangen in uns brodelt.

Ich kann nicht anders, warte darauf, dass er mich endlich küsst. Es vergehen unerfüllte, unendliche Sekunden, aber dann senkt er seine Lippen auf meine. Ein elektrisierendes Zucken durchfährt mich, als seine Zunge in meinen Mund eintaucht und mir ein leises Seufzen entfährt. Wie von selbst umschlingen meine Arme seinen Hals und ziehen ihn noch näher zu mir herunter, bis ich seinen Körper auf mir spüre. Er küsst mich wild und ausgehungert, und ich vergesse alles um mich herum, sogar die verdammten Bienen.

Seine Lippen wandern meinen Hals hinab zum Dekolleté. Dort, wo er meine Haut liebkost, kribbelt es verführerisch. Er schiebt mein Shirt hinauf und berührt meine Brüste. Ich halte den Atem an, als er mit seiner Zunge meinen Nippel umkreist und sanft hineinbeißt. Ich bin wie von Sinnen und spüre seine Härte unter mir. Ein ungeahntes Feuer bricht in mir aus, und ich will mehr.

»Fuck!« Mit einem Mal unterbricht er unser Spiel und rollt sich von mir. Er setzt sich auf und fährt sich mehrmals durchs Haar.

Was habe ich falsch gemacht? Verwirrt ziehe ich meine Klamotten zurecht.

»Es tut mir leid. Ich kann nicht«, murmelt er.

»Was kannst du nicht?« Stirnrunzelnd betrachte ich ihn und verstehe kein Wort.

Er steht auf, und ich tue es ihm gleich. Wortlos nimmt er sein T-Shirt und zieht es an.

»Jetzt sag schon, habe ich etwas falsch gemacht?« Seine Lippen kann ich immer noch wie kleine Feuermale auf meiner Haut spüren, überall dort, wo er mich berührt hat. Nie war ich einem Mann so nahe. Röte schießt mir ins Gesicht. »Ist es, weil ich … nicht so erfahren bin?«

Er runzelt die Stirn und hält inne. »Du bist noch Jungfrau?«

Beschämt starre ich in den Sand.

Er stößt geschockt den Atem aus. »Nein, daran liegt es nicht. Es liegt nicht an dir.« Er schüttelt den Kopf, erklärt aber nichts weiter. »Wir sollten zurück. Sie machen sich sicher schon Sorgen um dich.«

Ich hebe die Brauen. Und damit ist das Thema erledigt?

»Mehr willst du mir nicht sagen?«, bohre ich nach.

»Lass es gut sein, Jade.« Ohne weitere Erklärung macht er sich auf den Weg.

Maximal verwirrt und verletzt stehe ich da und schaue ihm nach. Was zur Hölle ist plötzlich in ihn gefahren? Seine Zurückweisung tut weh. Es ist mir peinlich, weil er vielleicht gemerkt hat, dass ich keine sexuellen Erfahrungen habe. Noch nie bin ich so geküsst worden. Zuerst waren wir gezwungen, einen Sicherheitsabstand einzuhalten, damit er mich nicht tötet, und jetzt, da der nicht mehr nötig ist, stößt er mich von sich. Oder hat ihn mein Vorwurf gegenüber Matteo härter getroffen, als er zugeben will?

»Luca! Bleib stehen«, rufe ich ihm hinterher.

Er verlangsamt seine Schritte und dreht sich zu mir um. »Lass gut sein, Jade. Wir sollten zurückgehen. Vielleicht hat Chang schon Neuigkeiten.«

Wir wissen beide, dass dem nicht so ist. Damit wendet er sich um und lässt mich einfach am Strand zurück.

Es tut weh, so zurückgewiesen zu werden. Enttäuscht setze ich mich wieder in den Sand, starre auf das Meer und muss an Tom denken. So hat er sich gefühlt, als ich seine Gefühle nicht auf die gleiche Weise erwidert habe.

Kapitel4

Jade

Mr. Chang und ich trainieren auf der Wiese neben Quinns und Johannas Haus. In Zeitlupe ahme ich seine Kampfbewegungen nach, die er uns in einer Choreographie beigebracht hat. Gebannt sitzen die drei Jungs in einigem Abstand vor uns und schauen zu. Mr. Chang und ich sind vollkommen synchron und im Einklang mit uns selbst. Diese Trainingseinheit mag ich besonders, weil es hier weder auf Kraft noch auf Schnelligkeit ankommt, sondern auf den inneren Geist und die innere Ruhe.

Amy hatte immer Probleme damit. Sie war zu zappelig und unruhig. Oft brachte sie die vielen Kombinationen durcheinander oder vergaß die Abläufe. Es war Onkel Finleys ausdrücklicher Wunsch, dass wir Unterricht in Selbstverteidigung bekommen. Es war ihm wichtig, dass junge Frauen sich zur Wehr setzen können. Seine damaligen Erklärungen leuchteten uns ein. Einige Lehrer kamen und gingen, aber erst als Onkel Finley Mr. Chang einstellte, entwickelte ich noch mehr Spaß am Training. Es ist weitaus mehr als nur Selbstverteidigung, und ich liebe die Stunden mit ihm. Amys Leistungen verbesserten sich, trotzdem flippte Onkel Finley aus, wenn sie hin und wieder Mr. Changs Trainingsstunden schwänzte.

Bis ich das bedeutungsvollste Gespräch meines Lebens belauscht habe, hatte ich keine Vorstellung davon, wie wichtig der Kampfsport für uns werden würde. Inzwischen verstehe ich auch, welchen Hintergedanken unser Onkel hatte.

»Es tut mir leid wegen heute Morgen.«

»Du dich nicht entschuldigen, Yūki-Chan. Du haben viel durchgemacht. Auch uns liegen viel, deine Schwester zu finden – lebend«, erwidert Mr. Chang, nachdem er das Training mit einer Verbeugung beendet hat. Die Jungs wurden schon vor einer Weile ins Haus gerufen. Er streicht sein Hemd glatt. »Ich versprechen dir, wir nicht aufgeben, bis wir gefunden haben.«

»Ich verstehe einfach nicht, warum Matteo das getan hat? Es sah doch zuerst so aus, als würde er auf unserer Seite stehen? Er hat sogar gegen seine Brüder gekämpft. Das habe ich selbst gesehen.«

Mr. Chang nickt nachdenklich. »Einzige Erklärung ist, das Obsensium und Emotionen haben verrücktgespielt. Du müssen Matteo vertrauen.«

Vertrauen? Pfff... sorry, aber das ist das Letzte, wozu ich im Augenblick imstande bin. Zuerst hat er versucht, mich zu töten, er hat mehrmals auf Onkel Finley geschossen und dann Amy entführt. Auch wenn ich weiß, dass er das alles tat, während der Spy noch in seinem Arm steckte, fällt es mir unglaublich schwer, ihn nicht zu hassen. »Tut mir leid, aber ist das nicht etwas zu viel verlangt?«

Er erwidert nichts, lächelt sanftmütig. »Du können drei Grundsätze erinnern? Ich dir beibringen.«

»Die drei Grundsätze …«, überlege ich laut. »Feind nähern, ausweichen und … einwirken?«

»Hai«, bestätigt er meine Aufzählung. »Du wissen, was ›einwirken‹ bedeuten?«

»Ähm …« Mist! Das habe ich vergessen.

»Das seien wichtig, Yūki-Chan. Du dir einprägen. Innere Hindernisse überwinden, Emotionen manifestieren, negative Gefühle du schalten aus. So finden dich selbst«, erklärt er.

Wie zur Hölle soll ich das schaffen? Wie kann ich in all dem emotionalen Durcheinander meine Wut und den Hass ausschalten? Da ist mir eindeutig mein Temperament im Weg. Innerlich bin ich viel zu aufgewühlt, zu aufgebracht und voller Angst, als dass ich mich darauf konzentrieren könnte. Eine Mammutaufgabe, die ich kaum lösen kann. Zumal da noch die Sache mit dem Verderben in mir schlummert.

»Atmen, Yūki-Chan. Studiere Grundsätze. Es dir helfen fokussieren«, sagt er und geht ins Haus.

Ich weiß, dass er es gut meint, aber im Augenblick bin ich voll mit tausend anderen Gedanken und schaffe es kaum, mich überhaupt zu konzentrieren.

An diesem Abend ist es ziemlich ruhig. Quinn und Johanna haben sich früh zurückgezogen, von Luca fehlt jede Spur, und Mr. Chang scheint auch beschäftigt zu sein. Gelangweilt gehe ich früh schlafen.

Es dämmert bereits, als ich aufwache. Die Sonne wird bald aufgehen, und draußen beginnen die Vögel zu zwitschern. Die angenehmen Temperaturen ziehen mich hinaus, und ich beschließe, einen Spaziergang zu machen. Das leise Summen einer Biene ist zu hören, als ich die Verandastufen hinuntergehe. Ich schaue in den Himmel und versuche, den kleinen Stalker irgendwo auszumachen. Doch diesmal ist das silberne Metall-Ding zu gut versteckt. Es erinnert mich an Garvin. Eigentlich haben beide die gleichen Funktionen – beobachten, bewachen und spionieren. Die Krähe sowie die Biene senden Bilder und Informationen, nur mit dem Unterschied, dass die Drohne mich beschützt und Lucas Maori-Krähe mich verrät. Garvin wäre mir trotzdem lieber. Was wohl aus ihm geworden ist?

Erinnerungen durchströmen mich, als ich an die Nacht zurückdenke, in der ich Lucas Vogel das erste Mal berühren durfte. Wie schwer der Körper war und wie gefährlich nahe ich dem scharfen, spitzen Schnabel gekommen bin. Garvin ist wunderschön. Seine Federn schimmern schwarzblau und glänzen im Mondlicht silbern. Das Außergewöhnlichste an ihm sind die typischen kobaltblauen Wangen und die Tatsache, dass er ein lebendiges Wesen ist, während die Biene lediglich aus Metall und Drähten besteht. Luca hat ihn als seinen Freund bezeichnet, was anfangs zwar merkwürdig klang, doch heute verstehe ich, dass der Vogel zu ihm gehört – wie Amy zu mir …

Grace Island ist wunderschön. Noch nie zuvor habe ich so viele unterschiedliche Pflanzen und Blumen gesehen. Agnes würde es hier gefallen. Ich vermisse sie und wünschte, ich könnte ihr ein Lebenszeichen schicken. Sie kommt bestimmt um vor Sorgen.

Ich schlage einen anderen Weg ein. Zwar habe ich keine Ahnung, wohin der verwilderte Pfad mich führt, aber ich mag es, mich treiben zu lassen, und bestaune die dicht bewachsenen Palmen und Bäume, die hier so hoch ragen, dass nur wenig Sonnenlicht in den Dschungel fällt. Das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen wirken beruhigend auf mich. Es ist so friedlich und idyllisch hier, dass ich für kurze Zeit meine Probleme vergessen kann.

Amy hätte sich ängstlich an mich geklammert, wäre mir nicht von der Seite gewichen. Hinter jedem Blatt würde sie eine eklige Spinne und bei jedem Zischen eine gefährliche Schlange vermuten. Schmunzelnd darüber streiche ich die Äste, die mir den Weg versperren, mit der Hand beiseite.

Plötzlich wird meine Aufmerksamkeit auf ein schlagendes Geräusch gelenkt, das nicht weit von mir entfernt zu hören ist. Neugierig laufe ich in die Richtung und spähe zwischen einem Busch hindurch auf eine Lichtung. Leise schiebe ich die Blätter weg, bis ich die Quelle der dumpfen Schläge entdecke. Abgeholzte Bäume und Palmen liegen verstreut. Ein kleiner Holzschuppen, dessen Tür offen steht, befindet sich auf der anderen Seite des Platzes. Rauch steigt aus einer Feuerstelle etwas abseits der Hütte auf. Neben Luca stapeln sich die Holzscheite, die er bereits geschlagen hat. Seine Arme und sein Gesicht sind verschmutzt. Sein nackter Oberkörper glänzt vom Schweiß, und er atmet schwer vor Anstrengung. Hiermit ist er also täglich beschäftigt. Die ganze Zeit ist er mir aus dem Weg gegangen. Jetzt weiß ich zumindest, was er treibt.

Kraftvoll schwingt er die Axt in die Höhe und schlägt die Holzscheite auseinander. Soll ich zu ihm gehen und mit ihm sprechen? Kurz denke ich darüber nach. Mein Vorwurf, die Taluris vergewaltigen die Mädchen, bevor sie sie töten, hat ihn in Rage versetzt. Ist er deshalb wütend auf mich?

Gerade will ich mich lieber zurückziehen und ihn seine Wut am Holz abreagieren lassen, als Luca zu einem weiteren Schlag ausholt, aber in der Bewegung innehält. Aufmerksam geworden durch die verflixte Biene, die mich seit meinem Spaziergang verfolgt, schaut er gen Himmel. Sie fliegt zu Lucas Drohne in die Mitte der Lichtung. Ruhig schwirren die beiden einige Meter über dem Boden, als würden die fliegenden Stalker Daten austauschen.

Davon neugierig geworden, blickt Luca sich um, denn er ahnt, dass jemand in seiner Nähe ist. Die Axt hält er drohend vor seine Brust und geht suchend ein paar Schritte umher.

Mist! Wenn ich mich jetzt zurückschleiche, wird eine der Drohnen mir folgen und mich damit verraten. Es hat keinen Zweck, also beende ich das Versteckspiel und trete hinter dem Busch hervor. Sofort schießt eine der Bienen auf mich zu. Meine Wangen erröten, als ich Lucas Blick auf mir spüre.

* * *

»Keine Sorge. Ich bin‘s nur«, sage ich, hebe ergebend die Arme und trete aus dem Dschungel heraus.

»Was machst du hier, Jade?« Er geht zurück zu seinem Holzstapel und arbeitet routiniert weiter.

»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«

Er holt aus und schlägt die Axt mit solcher Wucht in ein Holzstück, dass etliche Splitter in alle Richtungen fliegen. »Ich arbeite.«

»Das sehe ich.« Langsam trete ich näher. »Schläfst du denn nie? Ich meine, wie lange bist du schon hier?«

Ohne mir eine Antwort zu geben, haut er grimmig die Axt ins Holz. Holzspäne splittern und verfangen sich in seinen Haaren.