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Any Cherubim

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Beschreibung

"Diesmal bin ich wirklich wütend. Niemand darf dich berühren, Leni, niemand! Du gehörst mir ... für immer …"   Das Feuerwerk ist verblasst, die Funken sind erloschen, und aus himmlischen Gefühlen wurden höllische Qualen. Für Leni und Luke ist ein Happy End unerreichbar geworden. Nie geahnte Abgründe, skandalöse Verdächtigungen und schmerzlicher Verrat lenken Lenis Schicksal in eine Richtung, die sie an ihre Grenzen bringt.  Doch eben jenes Schicksal hält noch einige Überraschungen bereit. Denn Leni muss auf brutale Weise lernen, dass ihr besessener Schatten nicht davor zurückschreckt, ihr Fehlverhalten mit tödlichen Konsequenzen zu bestrafen. In all dem Chaos muss Leni herausfinden, wem sie trauen kann: Ihrem Kopf oder ihrem Herz? Die spannende Geschichte von Leni und Luke geht in "Gilded Cage - Band 2" in die nächste Runde! Dies ist die überarbeitete Neuauflage von "White House Princess - Hopeful" (2018 erschienen). ACHTUNG: Es wird nach vielen Jahren einen langersehnten 3. Band geben, der nochmal alles auf den Kopf stellt!

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DIAMOND TRUTHS

GILDED CAGE

BUCH ZWEI

ANY CHERUBIM

DIAMOND TRUTHS

Auch im zweiten Teil der Gilded Cage-Trilogie ist das Weiße Haus in Washington – Machtzentrale, Wohnort des Präsidenten der Vereinigten Staaten und seiner Familie –, ein Ort mit unzähligen Geheimnissen. Vielen war ich auf der Spur, landete aber oft in einer Sackgasse. Um die Story so detailgetreu wie möglich zu schreiben, habe ich mich an die meisten Fakten gehalten, mir aber auch erlaubt, einiges frei zu erfinden. Jetzt wünsche euch ganz viel Spaß mit Luke und Leni. Eure Any

1

Schüsse donnerten durch die Nacht. Menschen schrien, gerieten in Panik und rannten um ihr Leben. Ängstlich umklammerte Nicky meinen Arm, und wir wurden unsanft zu Boden geworfen. Bodyguards hatten ihre Waffen gezogen, bildeten einen menschlichen Schutzring um uns. Mein Puls raste, Angst kroch durch meine Poren. Ich zitterte. Was war los?

Zwischen meinen Beschützern hindurchschauend, suchte ich nach Luke, aber fliehende und schreiende Personen versperrten mir die Sicht. Männer brüllten durcheinander, das Heulen der Sirenen drang durch die Nacht. Je länger ich ihn nicht entdecken konnte, desto mehr verkrampfte sich mein Herz. Blind vor Tränen schaute ich zu der Stelle, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. Dort lag nur eine Leiche; ein Mann, dessen Gesicht blutüberströmt war. Er hatte die Augen aufgerissen und starrte ins Leere. Ekel schnürte mir die Kehle zu. Rastlos hielt ich weiter Ausschau.

Sekunden später sah ich eine Gestalt am Boden knien. Oh mein Gott, Luke!

Er atmete schwer, überall war Blut und sein Blick starr. Beinahe hätte ich vor Erleichterung laut aufgelacht.

»Luke! Luke!«, schrie ich, doch er hörte mich nicht. Kraftlos beugte er sich vor und stützte sich mit den Händen ab. Blut rann in einem Schwall aus seinem Mund. Ganz leicht bewegte er den Kopf in meine Richtung.

»Leni?« Schließlich brach er zusammen und blieb regungslos liegen. Ich hielt den Atem an, versuchte zu erkennen, ob seine Brust sich noch hob und senkte, dann wurde ich hochgezerrt und weggezogen. Panik peitschte in mir auf, und ich begann wild um mich zu schlagen.

»Süße, wach auf, du träumst.«

Scharf sog ich die Luft ein und fuhr hoch. Mein Puls raste, und ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, dass ich in meinem Bett und in Sicherheit war.

»Es war nur ein Traum«, sagte Nicky sanft. Sie saß auf dem Bettrand und schaute mich mitleidig an. Grelles Tageslicht und unerträgliche Leere empfingen mich. Ich hatte geträumt, aber das erleichternde Gefühl, das man normalerweise nach einem Albtraum hatte, stellte sich nicht ein. Denn alles war Realität – die Schüsse, die Panik, die Angst.

»Luke«, flüsterte ich und kniff die Augen zusammen. Sofort nahm ich wieder diesen intensiven Schmerz wahr. Stundenlang hatte man ihn operiert und um sein Leben gekämpft.

›Bete für ihn, dass er durchkommt‹, hatte der Arzt gesagt. Seither waren vierundzwanzig Stunden vergangen. Im Morgengrauen waren wir endlich nach Hause gekommen. Mum hatte sich rührend um uns gekümmert, uns eine Suppe gekocht und dafür gesorgt, dass wir uns ausruhen konnten. Für den Nachmittag war eine Befragung durch das FBI angesetzt. Dad hatte mir versprochen, mich unverzüglich zu informieren, wenn sich an Lukes Zustand etwas ändern sollte. Nur unter Protest hatte ich mich breitschlagen lassen, mich hinzulegen, da mir meine Träume Angst einjagten. Dennoch hatte mein Körper eine Pause gefordert, und ich war eingeschlafen und mit diesem schrecklichen Albtraum aufgewacht. Die Bilder von gestern hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt und spielten immer wieder das gleiche Szenario durch. Luke hatte mein Leben gerettet und würde vielleicht sterben.

»Brauchst du etwas? Soll ich deiner Mum Bescheid geben?«

Ich schaute Nicky an. Sie war mir nicht von der Seite gewichen. Aufopferungsvoll kümmerte sie sich um mich. Leise und beruhigend hatte sie mit ihrer sanften Stimme auf mich eingeredet, während wir in Eile vom Kapitol weggebracht und ins Krankenhaus gefahren worden waren.

»Nein, ich bin okay. Und du? Konntest du dich ausruhen?« Sie sah müde und erschöpft aus.

»Du weißt doch, Schlaf wird überbewertet«, versuchte sie zu witzeln und fügte ein winziges Lächeln hinzu, aber die Traurigkeit in ihren Augen blieb. Sie erhob sich. »Die Befragung durch das FBI findet in einer Stunde statt. Wir müssen aufstehen.«

Sie hatte recht. Ich stieß die Decke beiseite und lief ins Badezimmer. Ich stand zwar immer noch neben mir, wollte aber unbedingt mehr über das Attentat erfahren. Ich war sehr gespannt auf die Anhörung.

»Hast du mitbekommen, wie die Menschen Luke als Helden feiern? Sie bringen es schon den ganzen Tag in den Medien«, rief Nicky mir zu. Sie hatte den Fernseher eingeschaltet, und die Stimme einer Nachrichtensprecherin hallte gedämpft zu mir. »Obwohl er bereits von mehreren Kugeln verletzt wurde, hat er mit einem einzigen Schuss den Kerl genau zwischen die Augen getroffen. Die Fernsehkanäle sind voll davon«, sagte sie begeistert. »Übrigens, dein Handy hat geklingelt.«

Nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht geklatscht und meine Haare gekämmt hatte, ging ich in mein Zimmer zurück und suchte die Clutch, in der ich gestern Abend mein Telefon verstaut hatte. Nicky zappte sich durch die Sender. Bei fast allen gab es nur dieses eine Thema. Ich wandte mich meinem Handy zu und schaute die Nachrichten durch. Dabei fiel mir wieder ein, dass jemand den Chat zwischen mir und Luke gelöscht hatte. Das hatte ich durch die ganzen Ereignisse völlig vergessen. Irgendjemand musste an meinem Handy gewesen sein. Nicky? Aber warum sollte sie Luke aus meiner Liste löschen? Nein, das passte nicht. Ich scrollte mit dem Finger weiter, bis ich bei einer mir fremden Nummer stirnrunzelnd hängen blieb.

»Was zum Teufel …?« Das Blut rauschte in meinen Ohren, und mein Herz setzte aus. Mehrmals musste ich den Text lesen, um zu begreifen.

4.34 Uhr Unbekannt: Siehst du, was mit den Männern geschieht, die dich zur Schlampe machen? Und so einer soll ein Held sein? Was würden die Leute über ihn denken, wenn sie wüssten, dass er die Präsidententochter fickt? Diesmal bin ich wirklich wütend. Überlege dir gut, für wen du das nächste Mal die Beine breit machst. Niemand darf dich berühren, Prinzessin, niemand!!!

4.35 Uhr Unbekannt: Du gehörst mir … für immer … King

Dazu hatte er Fotos mitgeschickt. Was war das denn? Ich vergrößerte die Bilder. Hände, Po, Nippel … Heiliger Bimbam! Das waren eindeutig Lukes Arme an meinem Hintern; einen Teil seines Tattoos konnte ich erkennen. Auf einem anderen Foto saugte Luke an meinen Brüsten, und man erkannte deutlich, dass wir Sex hatten. Shit! Wo kamen diese Fotos her? Als ich das letzte Bild sah, musste ich schlucken. Es zeigte Luke, wie er schwer verletzt und blutüberströmt auf dem Boden lag.

»Was ist los?«

Mechanisch lief ich zu Nicky und streckte ihr das Handy entgegen. Scharf sog sie die Luft ein und presste sich geschockt ihre Hand auf den Mund. »Oh mein Gott! Das ist von … King. Woher hat der Kerl deine Nummer?«

Keuchend musste ich mich auf den Bettrand setzen und konnte nur den Kopf schütteln. Wie kam er an diese Bilder? Plötzlich tauchte dieser unfassbare Gedanke auf. Mir wurde heiß und kalt. Entsetzt starrte ich Nicky an.

»Weißt du, was das bedeutet? Es war kein dämliches Attentat auf mich. Dieses Schwein hat es einzig und allein auf Luke abgesehen. Er wollte sich an ihm rächen.«

2

Umgeben von Dunkelheit trieb ich wie ein Stück Holz im Ozean. Es war still und friedlich, fast wie Schlafen. Es gab keine Gefühle, keinen Schmerz, keine Erinnerung – nur die ewige Finsternis, die mich in ein Tuch aus Unendlichkeit einhüllte. Ein Zustand der völligen Leere. Nur entfernt nahm ich Stimmen wahr. Zuerst ganz leise, doch sie wurden lauter, und ich begriff, dass jemand nach mir rief. Ich sollte zurückgehen, aber ich steuerte auf dieses allumfassende Nichts zu, das mich magisch anzog. Mit jedem Meter, den ich tiefer eintauchte, verlangsamte sich mein Herzschlag. Mein inneres Licht begann zu flackern, drohte zu erlöschen. Meine Gedanken würden bald für immer verstummen, und ich würde mich auflösen. Ich war bereit dazu, denn es war leichter, als ich geglaubt hatte.

»Mr. Carter, hören Sie mich?«

Die Stimme war deutlich, laut und klar. Geräusche wurden schärfer, und ich spürte, wie ich aus den dunklen Tiefen katapultiert wurde. Die Finsternis verblasste, verzog sich, und gleich darauf schlug ich die Augen auf. Sofort wurde mein Hirn mit gleißendem Deckenlicht, dem unaufhörlichen Piepsen von Maschinen und dem Geruch nach Desinfektionsmittel durchflutet. Ein älterer Mann mit Schutzkleidung beugte sich über mich.

»Willkommen zurück, Mr. Carter.« Er schien unter seiner Maske zu lächeln. Seine grauen Augen schauten mich müde, aber freundlich an. »Wie fühlen Sie sich?«

Mein Mund war staubtrocken, mein Kopf dröhnte. Ehrlich gesagt fühlte es sich an, als wäre ein Lastwagen über mich hinweggerollt. Vorsichtig wollte ich mich aufrichten, doch mir fehlte die Kraft, mich zu bewegen.

»Bleiben Sie ruhig, Mr. Carter. Ich bin Prof. Dr. Langley. Sie wurden bei einem Einsatz am Kapitol angeschossen. Erinnern Sie sich? Die Kugeln, die Sie getroffen haben, haben Ihrem Körper ganz schön zugesetzt, aber ich konnte sie entfernen.«

Ich wollte etwas sagen, doch ich brachte keine Silbe über die Lippen. Ich war zu schwach. Der Arzt erkannte meinen fragenden Blick.

»Außer Ihnen wurde niemand verletzt. Ms. Davis und ihrer Freundin geht es gut.« Er lächelte. »Sie sind ein Held, Mr. Carter. Alle Welt feiert Sie.«

Erinnerungen jagten durch mein Hirn. Ihr ging es gut. Erleichtert atmete ich aus. Dr. Langley lief ans Bettende und nahm das Klemmbrett in die Hand. »Ihre Werte sehen vielversprechend aus, aber Sie müssen Geduld haben. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis Sie fit sind. Ruhen Sie sich aus. Mein Team und ich freuen uns, dass Sie wieder bei uns sind. Übrigens, Ihre Schwester war rund um die Uhr bei Ihnen. Ich konnte sie überreden, eine Pause einzulegen, um sich frischzumachen. Sie wird in ein paar Minuten zurück sein.«

Der Arzt tätschelte meine Hand, bevor er das Zimmer verließ.

Einen Tag später lag ich immer noch in dem verfluchten Bett, allerdings in einem anderen Raum. Die Vorhänge waren zugezogen, Blumen standen auf einem Tischchen, und in einem Sessel saß meine Schwester Caroline und schlief. In einem Fernseher an der Wand flimmerten stumme Bilder, und das Licht flackerte wie kleine Blitze durch das abgedunkelte Zimmer. Übelgelaunt ließ ich mich vom Fernsehprogramm berieseln, um nicht völlig die Krise zu bekommen, weil ich ans Bett gefesselt war und mich kaum rühren konnte. Mein Oberkörper war einbandagiert, und jede Bewegung brannte wie die Hölle. Schmerzmittel, die mich schläfrig machten, bekam ich regelmäßig durch einen Tropf. Die Zeit zog sich wie ein Kaugummi, und das ewige Ticken der Wanduhr ging mir tierisch auf den Sack.

Ich schaute zu Caroline. Sie war blass, hatte abgenommen, und unter ihren Augen waren tiefe Schatten zu erkennen. Es war schwer zu ertragen, wie verängstigt und verwirrt sie war. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. Vieles konnte ich selbst noch nicht verstehen, und solange ich nicht in der Lage war, meine Schwester zu beschützen, war sie in Gefahr.

Steven hatte mich über alles informiert. King hatte es auf mich abgesehen, hatte diesem dämlich grinsenden Typen den Auftrag gegeben, mich aus dem Weg zu räumen. Sein Plan war misslungen, aber ich war davon überzeugt, dass er es wieder versuchen würde. Solange King sich nicht hinter Gittern befand, waren die Menschen in meinem Umfeld meine Schwachstelle – Angriffspunkte, die er ausnutzen konnte. Er war ein Killer, ein Verrückter, der uns alle zum Narren hielt. Ich hatte Fehler gemacht – das wurde mir von Stunde zu Stunde mehr bewusst. Caroline und Milo mussten verschwinden, so schnell wie möglich. Wer wusste schon, was in Kings krankem Hirn für Ideen spukten?

Natürlich war das FBI auch mir gegenüber misstrauisch. Sie hatten meinen Vater in Untersuchungshaft gesteckt, und Steven meinte, sie könnten es kaum erwarten, mich zu befragen. Je mehr ich versuchte, in dem Chaos durchzublicken, desto stärker drängte sich mir die Vermutung auf, dass es einen Spitzel beim FBI oder beim Secret Service geben musste. Wie wäre King sonst an alle Informationen gekommen? Und solange das nicht geklärt war, waren Leni, meine Schwester, Milo und sogar ich in Gefahr.

Unruhig tippte ich Caroline an. Sie erwachte und wischte sich schlaftrunken übers Gesicht.

»Luke? Entschuldige, ich bin wohl eingeschlafen.« Sie gähnte. »Alles in Ordnung bei dir? Brauchst du irgendwas?« Sie richtete sich auf und legte ihre Hand auf meinen Arm. Das Flackern des Fernsehers erregte ihre Aufmerksamkeit. »Dass du dir das stundenlang ansehen kannst! Die Menschen feiern dich zwar als Held, aber ich kann die Bilder nicht mehr sehen.«

Aufnahmen vom Anschlag vor dem Kapitol flimmerten zum x-ten Mal über die Mattscheibe und zeigten, wie Panik auf dem Platz ausbrach und die Leute flohen. Mittlerweile kannte ich alle Handyaufnahmen und Kameraeinstellungen auswendig. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mir das ständig ansah – vermutlich suchte ich nach einem Hinweis, der mir bisher verborgen geblieben war. Sie nahm mir die Fernbedienung aus der Hand und schaltete die Kiste aus.

»Hey! Ich bin ein Held, ich darf mir meine glorreichen Taten ansehen«, versuchte ich, die gedrückte Stimmung zu heben. »Vielleicht verleihen sie mir einen Orden.«

Caroline fand das nicht so witzig; erst recht nicht, nachdem Steven uns mit den neusten Informationen beglückt hatte. Eine Untersuchungskommission war eingerichtet worden, die nun herausfinden sollte, ob ich etwas mit der Sache zu tun hatte. Steven hatte mir berichtet, dass sie mich verdächtigten, mit den Bildern im SUV etwas zu tun zu haben. Wer sonst, außer mir, hätte diese Fotos machen können? Mit diesem Verdacht war klar, dass meine Tage beim Secret Service gezählt waren. Ich war so gut wie geliefert, meine Karriere beendet, da machte ich mir nichts vor. Es musste eine andere Erklärung dafür geben. Mit dem Anschlag oder den Vorwürfen meinem Vater gegenüber hatte ich ebenfalls nichts zu tun, das sollten sie doch kapieren.

Seufzend schaute mich Caroline aus traurigen Augen an. Dass sie sie zu mir gelassen hatten, grenzte schon an ein Wunder, aber wahrscheinlich war das komplette Zimmer verwanzt, in der Hoffnung, sie würden irgendetwas erfahren.

»Ich will, dass du nach Hause kommst, Luke.«

Vorsichtig betätigte ich den Hebel der Kopflehne, die sich langsam aufrichtete. Ein Stechen peitschte durch meinen Oberkörper. Ich verzog vor Schmerz das Gesicht. Jede Bewegung fühlte sich wie ein Donnerschlag an. Sofort stand Caroline auf, um mir zu helfen. Stöhnend und frustriert ließ ich mich in die Kissen fallen und schloss für einen Moment die Augen.

»Du musst dich ausruhen. Du brauchst dringend eine Mütze voll Schlaf, und ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn Milo so lange bei Fremden untergebracht ist«, erwiderte ich stattdessen und war froh, dass der Schmerz endlich abklang.

»Er ist bei Freunden, Luke, nicht bei Fremden, und ich telefoniere jeden Tag mit ihm.«

»Trotzdem … Du solltest mit Milo verschwinden, ihr seid hier nicht sicher.«

Resigniert ging sie zum Fenster. »Wie stellst du dir das vor? Wo soll ich denn hin? Außerdem sind Milo und ich nicht die Einzigen, die in Gefahr sind. Hast du vergessen, dass dich jemand umbringen will?«

Gerade deshalb machte ich mir Sorgen. Zurzeit stand ich unter dem Schutz der Regierung, aber wie lange noch? Das könnte sich jederzeit ändern. »Was ist mit deinem Job?«

»Ich finde schon etwas Neues. Wir könnten zusammen in eine andere Stadt ziehen, irgendwo von vorne anfangen, wenn alles vorbei ist.«

»Und Dad?«

Sie schluckte und senkte den Blick. »Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, die Tochter eines Verbrechers zu sein.«

Ihre laut ausgesprochenen Gedanken konnte ich ihr nicht verübeln. Noch immer tappten wir im Dunkeln, was ihn betraf. Außerdem war Bowling Green ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kannte, Geheimnisse niemals geheim blieben und man schnell einen Stempel aufgedrückt bekam. Ich verstand, dass sie sich nach der Anonymität einer Großstadt sehnte, nach Normalität und Frieden.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Luke. Beinahe hätten Milo und ich dich verloren«, flüsterte sie, und dicke Tränen kullerten ihre Wangen herunter. Ich verfluchte meinen körperlichen Zustand, weil ich nicht in der Lage war, meine Familie zu beschützen. Das machte mich aggressiv. Da draußen lief dieses Schwein herum, das mehr über mich zu wissen schien, als ich mir vorstellen konnte.

»Das FBI wird King bald fassen. Es wird alles gut, ich verspreche es.« Meine Worte erzielten leider nicht den gewünschten Effekt.

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, als würde sie alles, was ich sagte, als aussichtslos empfinden.

»Ich wäre beruhigter, wenn ich wüsste, dass Milo und du in Sicherheit seid.«

»Wie stellst du dir das vor?«

»Ich könnte Steven bitten, beim FBI nach einem Schutzprogramm für euch zu fragen. Zumindest bis alles geklärt ist.«

Nachdenklich schlenderte sie zum Sessel zurück und setzte sich. Sie kramte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und schnäuzte sich die Nase.

»Was passiert mit uns, Luke?«, flüsterte sie nach einer Weile. »Wann habe ich nicht richtig aufgepasst? Wann hat Dad angefangen, sich so zu verändern? Es ist meine Schuld, ich hätte viel früher reagieren müssen.« Wieder brach sie in Tränen aus.

Ich hasste es, sie so zu sehen. »Noch wissen wir nicht, ob da wirklich etwas dran ist, du bist nicht dafür verantwortlich. Du hast alles für ihn getan. Wenn überhaupt, dann bin ich derjenige, der sich etwas vorzuwerfen hat.«

Jetzt, nachdem die Fotos von Leni und mir aufgetaucht waren, musste das Weiße Haus natürlich denken, dass mein Vater und ich in den Anschlag verwickelt waren. Die Öffentlichkeit ließ man in dem Glauben, ich wäre ein Held, aber die Wahrheit war, dass man mich verdächtigte, ein Verräter zu sein. Ich hätte mich nicht auf Leni Davis einlassen dürfen, das war ein großer Fehler gewesen. Damit hatte ich King provoziert. »Es ist etwas Persönliches zwischen King und mir … Wie tief Dad da mit drinsteckt, werden wir herausfinden, das verspreche ich. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«

Aufmerksam sah Caroline mich an. »Was ist das mit dir und ihr? Liebst du sie?«

Ich erstarrte und wich ihrem Blick aus. Das war genau der Punkt, der mir unmissverständlich klarmachte, dass ich mal wieder zu einem liebeskranken Vollidioten mutiert war. Gefühle hatten mich zu einem Emotionsjunkie gemacht, zu einem Weichei. Caroline und Milo brauchten mich, für sie würde ich mich am Riemen reißen. Ich war töricht gewesen, zu glauben, zwischen Leni und mir könnte es um mehr gehen. Es gab keine Chance auf eine Zukunft mit ihr, das wurde mir schlagartig bewusst. Ich musste ein für alle Mal die Emotionen eindämmen.

»Das spielt keine Rolle mehr. Es ist vorbei«, sagte ich tonlos und hielt ihrem Blick stand.

* * *

Caroline war gerade im Begriff zu gehen, als wir einen Tumult vor der Tür hörten.

»Was ist da draußen los?«, fragte sie neugierig.

Durch die Glasscheibe sahen wir Prof. Dr. Langley, der mit zwei Typen diskutierte.

»Das ist das FBI. Ich scheine wohl ein begehrtes Verhörobjekt zu sein«, sagte ich und verschränkte meine Arme hinter dem Kopf. Steven hatte mir prophezeit, dass sie mir nicht viel Schonzeit geben würden. Es hatte mich schon gewundert, dass sie nicht früher hier aufgetaucht waren.

Die Tür wurde vom Professor geöffnet. Er betrat mit den Männern das Zimmer. »Mr. Carter, die beiden Herren möchten sich gern mit Ihnen über den Anschlag unterhalten. Falls Sie sich aber nicht gut fühlen, wird das Gespräch abgebrochen und zu einem anderen Zeitpunkt wiederholt. Sind Sie damit einverstanden?«

»Natürlich«, antwortete ich gelassen. Ich sah zu Caroline, die ängstlich meine Hand umklammert hielt. »Ich komme schon klar, geh zu Milo. Wir telefonieren später, okay?«

Nur widerwillig hörte sie auf mich, gab mir einen Kuss auf die Wange und murmelte ein paar Worte, bevor sie mit dem Doktor den Raum verließ. Ich war gespannt auf die Fragen, denn ich hoffte, vielleicht Näheres über den Ermittlungsstand zu erfahren.

Der Ältere der zwei zog seinen Ausweis aus der Innentasche und nickte mir grüßend zu. »FBI, William Spencer«, stellte er sich vor. »Und das ist mein Kollege Miller. Wir haben dringend ein paar Fragen an Sie. Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen.«

»Och, na ja, ich konnte es gerade so einrichten.« Ich grinste. »Schießen Sie los.«

Spencer runzelte die Stirn und warf seinem Kollegen einen kurzen Blick zu, doch dann zog er einen Stuhl ans Bett und setzte sich. »Na gut. Erzählen Sie mal aus Ihrer Sicht, was in der Nacht des Anschlages geschehen ist.«

Ich schilderte ihnen den ganzen Ablauf, während Miller sich Notizen dazu machte. Zwischendurch unterbrach mich Spencer immer wieder und wollte mehr Details wissen. Im Grunde spulten sie die Standardfragen ab, was mich schon fast enttäuschte, denn ich war davon ausgegangen, dass das Verhör nicht so angenehm verlaufen würde.

»Wie erklären Sie sich die Verbindung Ihres Vaters zu King?«, fragte Spencer.

»Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen. Fragen Sie ihn doch selbst.«

Miller sah von seinem Notizbuch auf. »Bedauerlicherweise ist er sehr unkooperativ und will nur mit Ihnen sprechen.«

Erstaunt riss ich die Augen auf. »Nur mit mir?«

»Ja, aber im Moment sind Sie ja noch hier.«

»Nun gut.« Spencer seufzte und winkte ab. »Haben Sie eine Vermutung, wie King an diese Bilder kommen konnte?« Er entnahm einer Mappe zwei Fotos und legte sie vor mir auf die Bettdecke.

Heilige Scheiße! Sie zeigten Leni, während sie mich ritt und ich an ihrer Brust saugte. Ziemlich heiße Aufnahmen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen durften.

Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, meine Herren, ich habe keine Ahnung. Bis auf den Akt bin ich unschuldig.«

Miller schmunzelte, was ihm aber sofort verging, als Spencer ihm einen warnenden Blick zuwarf. Dieser verzog ungläubig den Mund. »Sie waren schließlich der Einzige, der im Wagen war. Also kommen Sie schon, erzählen Sie mir keine Märchen.«

»Wie sollte ich denn diese Fotos gemacht haben? Wie Sie auf den Bildern unschwer erkennen können, hatte ich alle Hände voll zu tun.«

Wieder gluckste Miller, diesmal hörbar, und Spencer seufzte genervt. »Verkaufen Sie uns nicht für dumm, Carter.«

»Keine Sorge, das macht schon ein anderer«, antwortete ich.

»Kommen wir noch mal zu Ms. Davis zurück. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu ihr beschreiben?«

»Das geht Sie nichts an, Mr. Spencer. Fakt ist, King steckt hinter allem, und das FBI sollte sich mehr anstrengen und den Kerl endlich finden.« Diese Kritik schmeckte den FBI-Agents natürlich nicht, aber es brannte mir auf der Seele, dass sie einmal gesagt bekamen, dass ihre Arbeit scheiße war.

Nach einer halben Stunde unterbrach Prof. Dr. Langley das Verhör, indem er ins Zimmer platzte. »Ich denke, das ist genug. Mein Patient braucht Ruhe und Erholung.«

Spencer murrte zwar kurz, zog sich aber mit seinem Kollegen zurück. Im Grunde hatte ich ihnen keine neuen Informationen geben können, aber durch die Fragen und Spencers Gesichtsausdruck wusste ich nun, dass sich das FBI auf mich eingeschossen hatte, egal wie oft ich meine Unschuld beteuerte. Ich sah das gelassen, denn ich hatte mir nichts vorzuwerfen. Sollten sie doch alles untersuchen; sie würden sowieso nichts finden.

Zwei Stunden später hatte ich mich nochmals durch die Nachrichtensender gezappt und mir zum tausendsten Mal das Video vom Anschlag am Kapitol angeschaut. Auch der Faustschlag, den Leni dem Henderson-Arsch verpasst hatte, wurde ständig wiederholt. Mit Genugtuung sah ich mir die Szene an, bis ich erschöpft einschlief.

»Bist du sicher, dass du das tun willst?« Skeptisch beobachtete Steven am nächsten Morgen, wie ich meine Unterschrift auf die Entlassungspapiere kritzelte. »Du solltest dich schonen, Luke. Das FBI kann warten.«

»Aber ich nicht. Ich muss zu meinem Vater.«

Ich übergab der Schwester die Papiere und schlich langsam zurück in mein Zimmer. Steven ging mir nach und kratzte sich ratlos am Kopf, als er merkte, dass er keine Chance hatte, mich umzustimmen. »Ich weiß nicht, ob das gut ist, Luke. Du bist erst aus dem Koma aufgewacht. Warum hast du es so eilig? Sobald du dieses Krankenhaus verlässt, warten nur Arbeit und Probleme auf dich.«

Geräuschvoll zog ich den Reißverschluss meiner Sporttasche zu und ignorierte seinen Einwand. Mein Entschluss stand fest. Zu viel lag im Dunkeln, und so, wie ich King einschätzte, würde er mir nicht die Zeit lassen, vollständig zu genesen. Irgendetwas plante der Kerl, und ich traute ihm zu, dass er mir – und vielleicht auch meinem Vater – etwas anhängen wollte. Was das Weiße Haus betraf: Sie würden nicht lange fackeln und mich feuern – schon allein wegen der Bilder aus dem SUV von Leni und mir. Ich konnte nicht tatenlos rumliegen; ich musste die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen.

Steven und einige FBI-Männer fuhren mich zu dem Gefängnis, in dem mein Vater untergebracht worden war. Sie parkten vor den hohen Mauern des Gebäudes. Mein Blick ruhte auf der unspektakulären Eingangstür der Haftanstalt. Es fühlte sich merkwürdig an, meinen Vater, den großen Helden des Secret Service, hier zu besuchen. Noch abstruser war der Gedanke, dass er mit den Attentätern oder sogar mit King in Verbindung stehen könnte. Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.

»Ich werde versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen«, wandte ich mich an die Beamten.

»Viel Glück. Anschließend bringen wir dich zu Murphy«, sagte Steven.

Ich stieg aus. Man erwartete mich bereits. Gefängnisbeamte durchsuchten mich gründlich nach Waffen oder verbotenen Gegenständen. Geduldig ließ ich die Prozedur über mich ergehen und wurde schließlich in einen Verhörraum gebracht. Wie üblich gab es hier kein Fenster, lediglich einen Tisch und zwei Stühle. An einer Wand befand sich ein länglicher Spiegel, hinter dem das FBI das Gespräch mithören würde.

Einer der Männer räusperte sich. »Der Boss will ein paar Takte mit Ihnen sprechen.«

Ich hatte mir schon gedacht, dass ich noch Instruktionen erhalten würde – letztlich versprach sich das FBI wertvolle Informationen und eventuell ein Geständnis von meinem alten Herrn. Mich wunderte nur, dass der Chef des FBI persönlich die Einweisung vornahm. Nun gut, ich war sehr gespannt, was mein Vater nur in meinem Beisein sagen wollte. Ich rechnete mit dem Schlimmsten und machte mir ernsthaft Sorgen. Vielleicht gelang es mir, endlich einen Zugang zu ihm zu finden.

Bakerfield betrat den Raum. Schwerfällig erhob ich mich, und als er mir seine Hand reichte, nahm ich eine seltsame Stimmung wahr. Der FBI-Boss mied meinen Blick. Er sah gestresst aus, sein Hemd war leicht verknittert, und der oberste Knopf stand offen.

»Mr. Carter.« Er nickte mir zu. »Wie geht es Ihnen?« Er wies mich an, Platz zu nehmen, und setzte sich ebenfalls.

»Danke, schon besser. Man hat mich informiert, dass mein Vater die Aussage verweigert. Ich hoffe natürlich, dass er mir ein paar Details erzählen wird, aber –«, sprudelte ich darauf los.

»Luke«, unterbrach er mich und seufzte tief. »Es tut mir sehr leid.«

Ich spürte instinktiv, dass etwas nicht in Ordnung war, und runzelte die Stirn.

»Ich muss Ihnen traurigerweise mitteilen, dass sich Ihr Vater … in seiner Zelle mit einem Kleidungsstück erhängt hat.«

Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben. »Das kann gar nicht sein«, entfuhr es mir ungläubig, doch Bakerfields Miene blieb ernst. »Selbstmord? Sind Sie sicher?«

Er nickte. »Es ist fürchterlich, Luke. Wir haben ihn erst vor einer Stunde gefunden.«

Meine Gesichtszüge entgleisten, und mein Oberkörper erstarrte. Mein Vater war tot? Die Nachricht echote in einer Endlosschleife durch mein Hirn, bis ich es auf dem Stuhl nicht mehr aushielt. Nein, das konnte nicht sein! Nicht er!

»Aber …« Fassungslos schüttelte ich den Kopf, ging ein paar Schritte auf und ab. Es fühlte sich unwirklich an, wie ein schlechter Scherz. Aber je länger ich zu Bakerfield schaute, desto deutlicher erkannte ich, dass er keinen Witz gemacht hatte. Das Gesicht meines Vaters tauchte vor meinem geistigen Auge auf – stolz hatte er stets seinen Kopf gehoben. Noch immer dröhnte seine Stimme streng in meinen Ohren. Bilder flackerten auf, wie ich ihn unbemerkt beobachtete, wenn er manchmal meiner Mutter einen liebevollen Blick schenkte. Das alles sollte nun der Vergangenheit angehören, nur noch eine Erinnerung sein?

Tief in meinem Innern schrie der kleine Junge in mir auf. Auch wenn unser Verhältnis nie das beste war, war mein Vater trotzdem mein heimlicher Held und mein Vorbild gewesen. Ihm hatte ich nachgeeifert. Verdammt, es tat weh! Krampfhaft versuchte ich, den Schmerz herunterzuschlucken, und langsam sickerte diese Nachricht in mein Bewusstsein. Er war tot. »Selbstmord? Er wollte doch mit mir sprechen … Das passt nicht zusammen. Er hätte sich niemals selbst …«

Bakerfield kam auf mich zu. »Wir sind auch geschockt. Die Untersuchungen laufen noch.«

»Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?«

»Nein, bisher haben wir nichts gefunden.«

Ich war so durcheinander, dass ich nicht klar denken konnte. Wie sollte ich das Caroline sagen? Sie hing an unserem Vater, obwohl sie es in den letzten Monaten schwer mit ihm gehabt hatte.

3

Mein Herz klopfte wild, als ich ins Oval Office zitiert wurde. Diesmal achtete ich nicht auf die alten Gemälde, die historischen Erinnerungen hinter Glas oder auf die aufwendig restaurierten Antiquitäten, die den Weg säumten. Mein Blick war starr geradeaus gerichtet. Ich ahnte, welcher Sturm gleich losbrechen würde. Ich sah es in den Gesichtern der vielen Leute, die mir auf dem Weg in das Büro meines Vaters begegneten. Es kam mir so vor, als hätten sich Kings Bilder wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Die Lage war ernst, selbst ich hatte das endlich begriffen. Luke lag im Koma, und die Bedrohung King war nicht gebannt. Nach außen gab ich mich stark und selbstbewusst, vielleicht ein wenig arrogant, doch die Wahrheit sah anders aus. Die Angst, das zu verlieren, was mir in kürzester Zeit so wertvoll geworden war, saß mir im Nacken. Ich hatte etwas gefunden, womit ich in dieser intensiven Form nicht gerechnet hatte.

Mein Magen zog sich zusammen, und mir war speiübel. Mrs. Moore linste immer wieder besorgt zu mir rüber, sagte aber nichts. Wie eine Gefangene hatte man mich aus meinem Zimmer abgeholt und führte mich nun zur Hinrichtung. Nicky wäre am liebsten mitgekommen, aber ich musste das allein durchstehen. In Dads Vorzimmer angekommen, atmete ich tief durch und drückte langsam die Türklinke hinunter. Ich bekam mit, was sie im Inneren besprachen.

»Carter wird als Held gefeiert. Vorerst sollten wir die Öffentlichkeit in dem Glauben lassen. Der Secret Service kann sich keine schlechte Presse leisten, schon gar nicht, wenn herauskommt, dass einer unserer Leute eine Affäre mit Ihrer Tochter hatte und dessen Vater in das Komplott verwickelt zu sein scheint, Mr. President.«

Mein Gefühl hatte mich also nicht getäuscht – sie wussten es bereits.

»Das muss unter allen Umständen vermieden werden. Dieser Skandal könnte das Ende für diese Regierung bedeuten«, hörte ich jemanden aus Dads Beraterstab sagen. »Ein gefundenes Fressen für die Republikaner.«

Männer redeten durcheinander, und schließlich übernahm Dad das Wort. »Sie sind meine Berater, suchen Sie gefälligst nach einer Lösung, und zwar schnell. Dafür werden Sie bezahlt.«

»Selbstverständlich, Mr. President.«

»Und was meine Tochter und diesen Agent betrifft, bitte ich Sie um Diskretion. Erstens ist das eine private Angelegenheit, und zweitens hat King ganz bewusst die Presse nicht informiert. Vielleicht stellt er noch Forderungen, und wir können ihm dann endlich auf die Schliche kommen.«

Ich straffte die Schultern und stieß die Tür auf. Augenblicklich verstummten die Stimmen, und alle Augen waren auf mich gerichtet. Dads Beraterstab, Mr. Murphy vom Secret Service, Mr. Bakerfield vom FBI und einige andere Schlipsträger mit ernsten, grauen Gesichtern schauten mich stumm an. Deutlich konnte ich ihre Missbilligung erkennen. Ich sah zu Mum. Sie stand am Fenster und blickte nachdenklich hinaus in den Garten.

»Meine Herren, Sie werden verstehen, dass meine Frau und ich erst mit unserer Tochter allein sprechen möchten. Sie wird Ihnen danach in dieser Sache Rede und Antwort stehen.«

Alle Anwesenden im Raum erhoben sich, allgemeines Stühlerücken war zu hören. Nacheinander gingen sie an mir vorbei und verließen das Büro. Ihre abwertenden Blicke und falschen Gedanken ließ ich an mir abprallen. Das war mal wieder typisch: Sie verurteilten mich, ohne die Hintergründe zu kennen. Stolz hob ich mein Kinn. Sollten sie doch denken, was sie wollten.

»Setz dich, Leni«, befahl Dad, der um seinen Schreibtisch herumgegangen war und selbst Platz nahm.

Ich gehorchte. Oh ja, Dad war sauer, und das konnte ich ihm nicht mal übel nehmen. Außer der Erschöpfung der letzten Stunden und der Enttäuschung, für die ich verantwortlich war, war in seinem Gesicht nichts zu lesen. Ich schaute auf meine Hände, suchte nach erklärenden Worten, die die geladene Atmosphäre auflockern könnten, aber mir fiel nichts ein. Zu wissen, dass meine Eltern diese Bilder von mir gesehen hatten, war äußerst unangenehm. Das Kind war nun in den Brunnen gefallen, daran konnte ich nichts ändern.

»Ich weiß, dass ihr wütend seid –«, begann ich, aber mein Vater unterbrach mich.

»Wütend?« Er schüttelte den Kopf. »Wir sind enttäuscht. Hast du überhaupt eine Ahnung, in welche Schwierigkeiten du mich bringst?«

»Geht es schon wieder nur um deine Präsidentschaftswahl?«, fragte ich tonlos.

Wutentbrannt donnerte seine Faust auf den Schreibtisch. Das ließ Mum und mich zusammenzucken. »Verdammt! Ich habe weitaus größere Probleme als nur die Wahl! Du wirfst mich den Republikanern und damit meinen Gegnern zum Fraß vor. Sie werden dadurch beeinflusst und stimmen gegen jeden Gesetzesentwurf, den ich für unser Land umzusetzen versuche. Mit deinem Verhalten riskierst du meine Glaubwürdigkeit – nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei –«

»Beruhige dich, John«, warf Mum ein und trat vom Fenster zu ihm.

Darüber hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Ich hatte mich einfach nur meinen Gefühlen hingegeben, ohne böse Absicht.

»Hast du wirklich geglaubt, dass deine Affäre mit diesem Bodyguard deine Privatsache bleibt? Wieso kapierst du nicht, dass sich alles, was du tust, auf mein Handeln als Präsident auswirkt?«

»Noch weiß die Presse nichts, John«, mischte sich Mum beschwichtigend ein. »Und vielleicht kann man diesem King das Handwerk legen, bevor irgendjemand Wind davon bekommt.«

»Und wenn nicht, hat King uns in der Hand, Sophia. Wir wissen beide, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Öffentlichkeit von dem Skandal erfährt. Dazu diese schmutzigen Bilder unserer Tochter, die sie wie ein … Flittchen dastehen lassen«, presste er entnervt hervor.

Ich riss die Augen auf und starrte ihn an. »Flittchen? Du nennst mich ein Flittchen?«

»Du weißt genau, wie ich das meine. Das ist das, was die Presse daraus machen wird, verstehst du das denn nicht? Wie lange geht das zwischen dir und diesem Kerl schon?«

Auch wenn ich den Ärger nachvollziehen konnte, ging mir sein abwertender Ton gegen den Strich.

»Der ›Kerl‹ heißt Luke Carter und ist der Sohn deines Ex-Secret-Service-Chefs«, knurrte ich zurück.

»Ich weiß, wer er ist. Hast du Jim seinetwegen den Laufpass gegeben?«

»Jim hat nichts damit zu tun.«

Der Blick, den mir mein Vater schenkte, spießte mich fast auf. »Ist dir überhaupt mal in den Sinn gekommen, dass Carter vielleicht mit den Aufnahmen im SUV etwas zu tun haben könnte?«

Wie bitte? Ich runzelte die Stirn. »Jetzt werd nicht albern, Dad.«

»Mach die Augen auf, Leni. Carter ist noch nicht sehr lange im Dienst des Secret Service. Sein Vater wurde verhaftet und steht unter Verdacht, mit den Tätern in Verbindung gewesen zu sein. Was deinen Bodyguard betrifft: Unsere Leute prüfen, ob er sein Informant war.«

Ruckartig erhob ich mich. »Das glaubst du doch selbst nicht. Luke hat nichts damit zu tun. Wenn er hier wäre und nicht im Koma läge, könnte er sich verteidigen.«

»Man hat in Eric Carters Haus ein ganzes Arsenal an Waffen, Plänen und anderen Dingen gefunden, die ihn in dieser Sache belasten. Noch wissen wir zwar nicht, welche Rolle Eric Carter in dieser Angelegenheit spielt, Fakt ist aber, er ist ein Teil dieses Verbrechens. Es liegt nahe, dass sein Sohn ihm dabei geholfen haben könnte.«

Nein, das ergab keinen Sinn – oder etwa doch? Hatte ich mich so in Luke getäuscht? Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das alles ein Missverständnis war und das FBI auf dem Holzweg sein musste. Luke war unschuldig, hatte nichts damit zu tun.

»Wie auch immer. Wir können nur hoffen, dass er überleben und uns dann ein paar Fragen beantworten wird. Bis dahin wirst du dich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Keine Partys, keine Verabredungen oder sonst was. Du kannst dein Studium hier online fortsetzen. Mit Mrs. Barrows habe ich bereits gesprochen. Und wenn alles vorbei ist, werden wir uns zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wie es weitergehen wird.«

»Wie bitte?! Wie stellst du dir das vor? Das könnt ihr nicht machen!«

»John! Findest du nicht, du übertreibst?« Mum war genauso geschockt wie ich.

»Sie muss lernen, dass es nicht immer nach ihrem Kopf geht.« Damit brachte er auch meine Mutter zum Schweigen. Er schaute zu mir, wirkte so entschlossen auf mich, dass ich spürte, wie groß seine Enttäuschung war.

»Luke ist unschuldig, Dad. Ich weiß das.«

»Das alles spielt keine Rolle. Dieser Kerl hat dich benutzt, Leni. Du solltest ihn nicht noch verteidigen.«

Wut sammelte sich in meinem Magen, und ich musste mich beherrschen, um nicht auszuflippen. »Damit eines klar ist: Ich will auch, dass dieser Mist aufgeklärt wird, aber seit wann verurteilst du jemanden, ohne die genauen Hintergründe zu kennen? Und was deinen albernen Hausarrest betrifft, den finde ich total lächerlich.« Ich wandte mich der Tür zu und wollte gehen. »Ach, und übrigens, soweit ich das verstehe, galt das Attentat nicht mir, sondern Luke. Wieso seid ihr so verplant? Nach der Nachricht von King müsste eigentlich klar sein, dass Luke unschuldig ist. Wieso sollten sie einen Komplizen erschießen? … Ich wünschte, du wärst nicht der Präsident.«

»Du hättest dich nur nicht auf einen Secret-Service-Agent einlassen dürfen«, blaffte er mich wütend an.

»Ja, ganz recht, weil man seine Gefühle immer und permanent unter Kontrolle hat«, schnauzte ich sarkastisch zurück und verließ endgültig das Oval Office.

»Wo willst du hin?«, rief er, doch ich ignorierte ihn und ging.

Alles sah danach aus, dass Luke und ich lange getanzt hatten und jetzt für die Musik bezahlen mussten.

* * *

Im Stechschritt lief ich aus dem Oval Office, achtete nicht auf die verdutzten Gesichter der Männer, die eigentlich mit der Befragung beginnen wollten. Ich ließ sie einfach stehen. Meine zwei Bodyguards eilten mir hinterher.

Ich war so wütend, verzweifelt. Ich wünschte, ich könnte vor alldem davonlaufen. Zu viel war in den letzten Stunden geschehen, ohne dass ich die Chance hatte durchzuatmen. War mein Leben jemals eintönig oder langweilig gewesen, so war es zurzeit die reinste Achterbahnfahrt.

In der Öffentlichkeit hatte ich Jim einen Faustschlag verpasst und damit wahrscheinlich das Ende unserer Freundschaft eingeläutet. Luke hatte mir seine Liebe gestanden, und ich war kurz davor gewesen, ihm von unserem Kind zu erzählen, das ich unter dem Herzen trug. Dann war dieser Anschlag passiert, und alles war seitdem in einem einzigen Chaos versunken. Jetzt lag der Mann, den ich liebte, schwerverletzt im Krankenhaus und kämpfte um sein Leben, während ihn die Medien als Helden feierten und das Weiße Haus ihn für einen Verräter hielt.

»Ms. Davis … warten Sie!« Jemand packte mich an der Schulter und brachte mich zum Stehen.

Ich ballte die Fäuste und drehte mich um. Steven würde mir bestimmt eine Standpauke halten, weil ich weder ihn noch sein Team über meine Pläne informiert hatte. Ich biss die Zähne zusammen und starrte ihn ausdruckslos an. Der Protest, den ich auf den Lippen trug, verschwand sofort, denn ich fand etwas in seinen Augen, was ich nicht erwartet hatte: Verständnis. Er wusste, wie verzweifelt ich war und wie ich mit mir rang. Steven war nicht nur mein Bodyguard, sondern schon immer wie ein Freund gewesen.

Er wandte sich seinen Männern zu. »Ihr könnt euch zurückziehen. Ich bringe Bluefire in ihr Zimmer.« Augenblicklich entfernten sie sich und ließen uns allein. Er seufzte und schaute mich an. »Ich weiß, wie schwer das –«

Ich hob eine Hand und unterbrach ihn. Er brauchte nicht zu sagen, wie leid ihm meine Situation tat oder wie bescheuert ich mich gerade verhielt. Ich packte ihn am Revers und drückte ihn neben eine Vitrine, wo wir etwas besser vor fremden Blicken geschützt waren. »Ist es wahr, Steven? Stimmt es, dass Lukes Vater in den Anschlag gestern verwickelt ist?«

Seine Kiefer mahlten. »Ja. Das FBI konnte die Verbindung zu den Tätern eindeutig nachweisen.«

»Aber … das verstehe ich nicht. Was hat das zu bedeuten?«

»Ich weiß es nicht, aber wir arbeiten bereits daran. Vertrauen Sie mir, Ms. Davis.«

»Glaubst du etwa, dass Luke …?«

Er sah sich um, vergewisserte sich, dass wir keine Zuhörer hatten. »Keine Ahnung. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass Luke ein Verräter ist, aber sicher ausschließen kann ich es auch nicht. Dein Vater hat eine Untersuchungskommission gebildet, die das herausfinden soll. Immerhin konnte ich erreichen, dass die Wachen vor Lukes Zimmer verdoppelt und die Sicherheitsmaßnahmen im Krankenhaus erhöht wurden. King hat keine Chance, es ein zweites Mal zu versuchen. Mach dir keine Sorgen, Leni.« Es war das erste Mal, dass er mich duzte, und das verstärkte die Vertrautheit zwischen uns. »Wir müssen jetzt abwarten und hoffen, dass Luke überlebt.«

Wieder schossen mir die grausamen Bilder durch den Kopf, wie Luke sich schwerverletzt vor dem Kapitol auf allen Vieren auf den Boden stützte, Blut aus seinem Mund strömte und … Ich schluckte hart.

»King wollte ihn töten lassen«, flüsterte ich schluchzend. »Er ist unschuldig. Es kann nicht anders sein.«

»Und irgendwie spielt Lukes Vater eine Rolle. Wenn ich nur wüsste, was ich tun kann«, sagte Steven nachdenklich und klang genauso hilflos wie ich.

Es war unmöglich, all die Informationen in die richtige Schublade abzulegen, und der drohende Verlust von Luke hing wie eine unendlich große Gewitterwolke über mir. Es musste einen Weg geben, hinter das Geheimnis von King und Lukes Vater zu kommen. Ich hatte das Gefühl, dass ich jeden Moment unter einer Wagenladung Steine begraben werden könnte, wenn wir nichts unternahmen.

Aber was konnte ich tun? Ich war zwar die Tochter des Präsidenten der Vereinigten Staaten, doch welche Macht hatte ich schon? Es fühlte sich an, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen. Als mir klar wurde, dass ich nichts tun konnte, entkrampften sich meine Finger an Stevens Jackett. Ich ließ resigniert die Arme sinken. Während wir dastanden und im Dunkeln tappten, könnte Luke sterben. Genau jetzt, in dieser Sekunde. Die Erkenntnis donnerte in mein Bewusstsein und verschlug mir den Atem. »Wird er es schaffen?«

Steven verzog den Mund und wich meinem Blick aus. »Ich weiß es nicht, Leni. Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen.«

Schluchzend presste ich meine Hände vors Gesicht und versuchte mich zu fassen, aber es wurde immer schlimmer, je länger ich das Bild von Luke vor Augen hatte. Blind vor Tränen krallte ich mich erneut an Stevens Kragen.

»Wir müssen ihm helfen, hörst du?«, forderte ich.

»Beruhige dich. Ich verspreche, ich werde alles tun, um die Wahrheit herauszufinden. Deshalb ist es wichtig, dass du jetzt keine Dummheiten machst.«

»Bring mich zu ihm, bitte.«

»Wie stellst du dir das vor? Wenn ich das tue, bin ich meinen Job los.«

»Kannst du nicht einen Ausweg finden? Steven, bitte, ich ertrage den Gedanken nicht! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn … Ich bin schwanger, und er hat davon noch keine Ahnung. Gib mir die Chance, es ihm zu sagen. Ich bitte dich.«

Augenblicklich versteifte er sich und schaute fassungslos an mir herunter. Ich ließ ihn los, senkte den Blick und legte meine Hände schützend an meinen Bauch. »Niemand weiß es, nur Nicky. Er muss es erfahren, verstehst du?«, wimmerte ich leise. »Wenn er nicht mehr aufwacht, dann …«

»Du bist …? Von Luke?« Verwirrt fuhr er sich durchs Haar.

Ich nickte. Meine Stimme versagte, mein Herz war voller Schmerz, und meine Beine trugen mich nicht länger. Mir wurde schwindlig, doch Steven hielt mich.

»Das kommt jetzt echt überraschend, aber ich glaube, wir sollten dich zu einem Arzt bringen«, meinte er und hob mich hoch.

»Es geht gleich wieder.« In meinem Schädel drehte sich alles, und das schummrige Gefühl im Magen schwächte mich. Erschöpft ließ ich meinen Kopf an seine Schulter sinken.

»Ich trage dich, kein Problem. Du musst dich hinlegen und ausruhen. Die letzten Stunden waren sehr anstrengend.« Mit mir auf den Armen lief er den Flur entlang. »Aber ganz ehrlich, diese Neuigkeiten hauen auch mich um«, sagte er und stieß den Atem aus. »Mit dir wird es wenigstens niemals langweilig, Ms. Davis«, versuchte er, mich aufzumuntern.

»Gibt es keinen Weg, dass ich Luke sehen kann? Nicht mal für fünf Minuten?«

»Ich würde wirklich viel für dich tun, das weißt du. Ich habe euch beide die ganze Zeit gedeckt, was leicht war, aber wie soll ich dich bitte aus dem Weißen Haus schmuggeln? Das ist unmöglich. Rede noch mal mit deinen Eltern und setz dich durch, so wie du es bisher immer getan hast.«

»Das kann ich diesmal vergessen, Steven. Ich darf das Haus vorerst nicht verlassen, und so, wie ich meinen Vater kenne, hat er die Sicherheitsvorkehrungen noch mal erhöht.«

»Das kann ich bestätigen. Deshalb kann ich dich nicht einfach zu Luke bringen, versteh mich. Es tut mir ehrlich leid«, murmelte er mir ins Ohr.

Ich zog die Nase hoch und nickte enttäuscht. Natürlich wollte ich Steven keine Schwierigkeiten machen. In der Vergangenheit hatte er genug für mich getan. »Ist schon okay.«

Es tat gut, einen Freund wie ihn an meiner Seite zu wissen. Er schlug den Weg durch einen Korridor ein, in dem uns kaum Leute begegneten. Dafür war ich ihm dankbar. Das Bild, das wir beide abgaben, hätte nur neues Öl ins Feuer gegossen, und das war das Letzte, was ich gebrauchen konnte.

Endlich gelangten wir in mein Zimmer und wurden bereits von Nicky erwartet. »Mein Gott, was ist passiert?«

Steven legte mich sachte auf dem Bett ab. Eine tiefe Müdigkeit ergriff mich und ließ mich schläfrig werden.

»Alles okay«, flüsterte ich, während Steven mich zudeckte.

»Ich weiß nicht … Sie ist umgekippt.«

»Soll ich einen Arzt rufen, Leni?« Besorgt hatte sich Nicky zu mir gesetzt und strich mir übers Haar.

»Nein, schon gut, ich bin nur so müde.«

»Sie sollte sich ausruhen«, sagte Steven. »Ich werde melden, dass sie sich nicht gut fühlt und das Verhör durch das FBI auf später verschoben werden muss.« Er entfernte sich.

Nicky stand vom Bett auf und folgte ihm. Die beiden tuschelten, aber im Augenblick war mir das so ziemlich egal. Ich wollte einfach nur schlafen – alles ausschalten, vor der Realität fliehen, mich zu Luke träumen.

* * *

Zwei Tage später und mit der Hammernachricht, dass Luke aus dem Koma erwacht war, sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte und ich ihn vielleicht treffen würde, tigerte ich unruhig durch mein Zimmer. Seit Stunden ertrug Nicky meine Ungeduld und gab ihr Bestes, mich zu beruhigen. Ich war froh, dass ich die Befragung durch das FBI hinter mir und keine Termine mehr hatte, die verhindert hätten, Luke zu sehen. Ich war das reinste Nervenbündel und hielt die Anspannung nicht mehr länger aus. Die Nachricht, dass er im Oval Office dem FBI, dem Secret Service und dem Präsidenten persönlich Rede und Antwort stand, nachdem er erfahren hatte, dass sein Vater tot war, brachte mich fast aus der Fassung. Es musste die Hölle für ihn sein. Aufgewühlt knabberte ich an meinem Daumennagel und starrte zum x-ten Mal auf meine Armbanduhr.

»Steven, wie lange dauert das denn noch?«, fragte ich angespannt ins Handy. Es war das fünfte Mal, dass ich ihn anrief.

»Wenn Luke fertig ist, bekomme ich es sofort mit. Ich sitze direkt im Vorzimmer des Oval Office, okay?«, meinte er seufzend.

Ich lief zum Fenster. »Entschuldige, ich bin nur so …«

»Ich weiß, aber es bringt nichts, mich alle paar Minuten anzurufen. Du musst Geduld haben.«

»Ich gebe mir ja Mühe.« Resigniert beendete ich die Verbindung und schaute hinaus auf den Park. Der Himmel war mit grauen Wolken verhangen und passte zu meiner Stimmung. Mein Daumennagel war mittlerweile abgefressen, was Hugo und Mr. Mangoo mit hochgezogenen Brauen und angewiderten Gesichtern quittieren würden. Im Augenblick war mir das egal.

»Mach dich doch nicht verrückt, Süße.« Nicky schlenderte zu mir und strich mir über den Arm. Ihre Worte waren zwar gut gemeint, aber halfen mir nicht dabei, runterzukommen. »Es wird sich alles regeln. Du wirst sehen.«

»Ich bin die Tochter des Präsidenten der Vereinigten Staaten und schwanger von einem Secret Service Agent, der verdächtigt wird, mit King etwas zu tun zu haben. Spätestens wenn herauskommt, dass Luke der Vater des Kindes ist, werden alle durchdrehen. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagieren wird. Ich mache mir nichts vor: Es wird so oder so in einer Katastrophe enden.«

»Jetzt warte doch erst mal ab. Luke wird sicher –«

Nicky wurde durch das Klingeln meines Handys unterbrochen. Sofort nahm ich ab. »Ja?«

»Komm in zehn Minuten in die Bibliothek. Er wird da sein«, flüsterte Steven.

»Okay. Hat er was gesagt? Wie ist es gelaufen?«

Er schwieg einen Moment. »Das wird er dir selbst erzählen.«

Shit! Das konnte alles bedeuten, und für meinen Geschmack hörte sich das nicht gut an. »Na schön, ich mache mich gleich auf den Weg.«

»Und?«, wollte Nicky wissen, als ich aufgelegt hatte.

»Ich soll in die Bibliothek kommen.«

»Na siehst du!«

Ich wünschte, ich hätte ihre Zuversicht. Seufzend stieß ich den Atem aus. »Steven klang nicht gerade erleichtert.«

»Du machst dich verrückt. Ich bin sicher, es wird alles gut werden.« Sie nahm meine Hände in ihre. »Rede mit ihm. Im Grunde müsst nur ihr beide euch einig sein. Alles andere wird sich ergeben.«

In einem normalen Leben mochte das zutreffen, aber meines war kompliziert und nicht einfach. Dennoch hatte Nicky recht. Luke war wohlauf und liebte mich, nur das zählte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer glühte in mir auf. Vielleicht sah ich wirklich zu schwarz.

Ich küsste sie auf die Wange, verließ unser Appartement und lief den Korridor entlang zur Bibliothek. Die Vorfreude auf Luke ließ meine Beine schneller werden, und als ich ankam, pochte mein Herz vor Aufregung. Kurz hielt ich inne, bis sich mein Atem beruhigt hatte, erst dann öffnete ich die Tür.

Am Fenster sah ich eine große, breite Gestalt, die sich zu mir umdrehte. Sein Anblick verschlug mir die Sprache und löste eine ganze Flut an Emotionen aus. Erleichterung, Freude und unendliche Liebe sprudelten über, und mit einem Schlag waren die vielen Stunden vergessen, in denen ich gehofft und um sein Leben gebangt hatte. Endlich konnte ich erleichtert aufatmen. Er war tatsächlich da.

»Luke«, hauchte ich.

Er schenkte mir sein schiefes Lächeln, aber seine Augen hatten den Glanz und das Strahlen verloren, Trauer und Stress standen ihm ins Gesicht geschrieben. Sein linker Arm war einbandagiert, und der Ärmel seines Sakkos hing schlaff an der Seite hinunter. Er war verletzt und ziemlich fertig. Wie angewurzelt blieb ich stehen und schaute ihn an. Nur er war imstande, in mir solche Gefühle loszutreten, die ich jetzt nicht mehr länger zurückhalten konnte. Mit wenigen Schritten war ich bei ihm und warf mich in seine Arme.

»Mein Gott! Du hast es geschafft«, flüsterte ich und sog tief seinen unverwechselbaren Duft ein. Ich wollte ihn nie wieder vermissen, ihn für immer bei mir behalten. Ich hob den Kopf und sah ihn an. Er lehnte seine Stirn an meine.

»Es tut gut, dich zu sehen, Präsidententochter. Ist alles in Ordnung bei dir? Geht es dir gut?« Seine Stimme war rau und fast ein Flüstern.

»Ja, und bei dir?«

Er lächelte gequält, was Antwort genug war, um zu wissen, wie schlecht es ihm ging. Seine Lippen kamen näher, und ich nahm seinen minzigen Atem wahr. Durch seine Jacke hindurch spürte ich seinen Herzschlag, der genauso schnell war wie meiner. Sein Duft und seine Wärme hüllten mich in unsere Blase ein, und sofort empfand ich die alte Vertrautheit zwischen uns.

»Du hast mir gefehlt, Babe«, wisperte er heiser.

Sein Blick ruhte auf meinen Lippen, und das allein genügte, um eine geballte Ladung Hitze in meinen Bauch zu jagen. Er drückte seinen Mund auf meinen. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und griff in sein Haar. Seine Zunge eroberte mich im Sturm. So oft hatten wir uns geküsst, waren uns noch näher gewesen, und jedes Mal hatte ein Lila-Glitzer-Feuerwerk mich in den Himmel katapultiert. Ich wünschte, es wäre wieder so. Ich stand in Flammen, fühlte unter meinen Händen seine Wärme. Atemlos unterbrach er den Kuss und schaute mich an. Da war sie wieder – die magische Anziehungskraft, die von Anfang an wie Zauberei zwischen uns geflimmert hatte. Süß und voller knisternder Funken.

Doch der Moment verflog schnell, als ich die Traurigkeit in seinen Augen erkannte. Besorgt strich ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Es tut mir so leid, was mit deinem Vater passiert ist.«

»Damit hat wohl niemand gerechnet«, sagte er.

»Wenn ich irgendetwas tun kann …«

Er schüttelte den Kopf und löste sich ein wenig von mir. Kurz schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, lag Zerrissenheit darin, was mich beunruhigte.

»Wir haben nicht viel Zeit.« Langsam schob er mich ein Stück von sich und schluckte. Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck hart.

»Ich verstehe, dass du dich um die Beerdigung und deine Familie kümmern musst. Außerdem bist du alles andere als fit.« Voller Verständnis sah ich ihn an, bis ich an seinen Zügen erkannte, dass er nicht davon geredet hatte. Er senkte den Kopf und wich meinem Blick aus.

»Haben sie dich suspendiert?«, dachte ich laut nach. »Es ist doch klar, dass du unschuldig bist. Du hast nichts mit all diesen Verrückten zu tun.«

»Das stimmt. Sie haben mich in allen Punkten freigesprochen – zumindest vorerst. Ich bin froh, dass Spezialisten vom FBI herausgefunden haben, wie King an die Bilder gekommen ist.«

»Und wie hat er das angestellt?«

»Über Satellit. Er hat sich Zugang zu den Kameras im SUV verschafft. Alle Regierungsfahrzeuge sind mit Innenkameras ausgestattet. King hat mal wieder sauber gearbeitet und keine Spuren hinterlassen. Das heißt, das FBI tappt weiter im Dunkeln. Und bei dir? Es gab bestimmt mächtig Ärger mit deinen Eltern wegen der Bilder, oder?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Dass sie nicht amused waren, kannst du dir vorstellen. Dad hat schon ein wenig getobt, aber nur, weil der Beraterstab ihm eintrichtert, dass er politisch Probleme bekommt, sollten die Fotos an die Öffentlichkeit gelangen. Er persönlich macht sich Sorgen, dass die Presse meinen Namen in den Schmutz zieht und mir damit schadet.«

»Und du? Was denkst du?«

War jetzt der Augenblick gekommen, ihm zu sagen, dass ich ein Kind von ihm erwartete? Heiliger Bimbam! Unsere Situation war wirklich ein heilloses Durcheinander, aber Nicky hatte recht: Alle Aufregung würde sich legen, sobald King gefasst war. Ich schaute ihm in die Augen und nahm seine Hand.

»Ich bereue nichts und habe nicht vor, diesem Arschloch King klein beizugeben«, sagte ich trotzig und hob ein wenig das Kinn.

»Du bist mutig, Präsidententochter.« Er schmunzelte. »Dennoch solltest du ihn nicht unterschätzen. Er ist gewiefter, als wir geglaubt haben. Das hätte mich beinahe das Leben gekostet. Der Kerl ist schlau, gerissen, arbeitet wie ein Profi. Er geht über Leichen, um sein Ziel zu erreichen. Wir dürfen ihn nicht weiter reizen, verstehst du? Deshalb müssen wir die Notbremse ziehen.«

»Was meinst du mit Notbremse? Was willst du mir damit sagen?«

Er ließ meine Hand los und wandte sich kurz zum Fenster. »Das mit uns birgt ein Risiko, Leni.«

Ich starrte auf seine Lippen, die die Worte formten.

»Murphys Job ist es, jede Gefahrenquelle auszumerzen. Das kann er nicht, wenn wir King weiter dazu anheizen, dieses Katz-und-Maus-Spiel mit uns zu treiben. Nicht nur du bist in Gefahr, sondern auch Caroline, mein Neffe … ich.«

Seine Worte sickerten nur langsam in mein Bewusstsein.

»Was meinst du damit?«, fragte ich unsicher. Im Grunde ahnte ich es schon.

Wortlos sah er mich an. In seinen Zügen war plötzlich eine Härte, die mich schockierte. Ich hielt den Atem an, als mir klar wurde, dass er gerade mit mir Schluss machte. Mein Mund wurde trocken.

»Du hast gesagt, du liebst mich, Luke.« Meine Stimme zitterte, und ich verfluchte mich dafür.

Er fuhr sich durchs Haar, erwiderte aber nichts. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, ergaben keinen Sinn mehr. All meine Hoffnungen stürzten wie ein Kartenhaus in sich zusammen und zogen mir den Boden unter den Füßen weg. Ich dachte an die Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, an die gemeinsamen Stunden, in denen wir uns so nah gewesen waren, und an das Kind, von dem er immer noch keine Ahnung hatte.

»Luke?«, hauchte ich fassungslos, hoffte, er würde die Worte wiederholen, die ich tief und ehrlich empfand, doch er blieb stumm, kein Laut drang aus seinem Mund. Endlose Sekunden verstrichen.

Seine Kiefer mahlten. »Ich werde es für uns beide kurz und schmerzlos machen.« Er klang so hart, so reserviert, als wäre es eine Kleinigkeit. Aber das war es nicht – nicht für mich. Vehement schüttelte ich den Kopf, ging auf ihn zu und krallte mich an seinem Hemd fest.

»Tu das nicht.« Verzweifelt kämpfte ich gegen die verdammten Tränen an. »Du hast gesagt, du liebst mich. Lässt du King und das Weiße Haus gewinnen? Ich glaube das einfach nicht.«

Er griff nach meinen Fingern und löste sie sachte, dabei sah er mir ernst in die Augen. »Es geht nicht, Leni. Abgesehen von King wird das Weiße Haus diese Beziehung niemals gutheißen, auch deine Eltern nicht. Wir hätten nur Probleme. Der Secret Service toleriert keine Affären mit Schützlingen. Wir haben das beide von Anfang an gewusst.«

Er sagte es mit so viel Kälte, dass mir ein Schauer den Rücken hinunterlief. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit, dass er seinen heiß geliebten Job schmeißen und mich verlassen würde. Was würde aus unserem Kind werden? Klar hätte ihn diese Nachricht überrumpelt und uns vor ein paar Schwierigkeiten gestellt, aber wir hätten das irgendwie hinbekommen. Mein Traum zerplatzte.

»Ich habe lange darüber nachgedacht. Es ist besser so. Caroline und ich werden fortgehen, dann ist es für uns beide leichter.«

Ich keuchte verletzt. »Luke, ich …«

Mein Geheimnis lag mir auf der Zunge. So gern hätte ich ihm die Wahrheit gesagt, aber was hätte ich davon? In dieser Situation würde er mir nicht mal glauben und denken, ich würde eine Schwangerschaft vorspielen, um ihn zu halten. Nein, dafür war ich zu stolz. Sein Blick war fest und entschlossen. Luke hatte seine Entscheidung getroffen. Ich begriff, dass ich ihn gehen lassen musste. Ich hatte keine andere Wahl, aber es tat verdammt weh.

»Mach es mir nicht noch schwerer, als es ist. Bitte.«

Steven klopfte und schob die Tür auf. »Leute, es wird Zeit.«

Luke sah auf, nickte ihm zu und schaute mich wieder an. »Ich muss los. Ich darf mich nicht mehr länger hier aufhalten.«

In mir schrie alles auf, denn mein Herz spürte, dass dieser Entschluss endgültig war. Wie erstarrt stand ich da und konnte ihn nur ansehen. Zärtlich strich er über meine Wange. »Versprich mir, dass du besser auf dich aufpassen wirst.«

Wie konnte er mir das nur antun?

»Versprich es, Leni«, forderte er erneut.

»Ich verspreche es«, flüsterte ich gequält.

Zufrieden mit meiner Antwort hob er mein Kinn an und neigte sich ein letztes Mal zu mir herunter. Seine Augen wanderten über mein Gesicht, als würde er sich alles einprägen wollen.

»Es tut mir so leid, Babe«, hauchte er mit belegter Stimme. Seine Lippen berührten die meinen erst sanft, dann zog er mich fest an sich und küsste mich drängender. Unser Atem ging keuchend, unsere Zungen konnten nicht genug bekommen. Der Kuss war intensiv und voller Lebendigkeit, sodass die Blase, die uns immer gefangen hielt, erst zerplatzte, als er unsere Verbindung unerwartet trennte. »Leb wohl.«