The Pain In Me - Any Cherubim - E-Book
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The Pain In Me E-Book

Any Cherubim

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Beschreibung

"Luca steht vor mir, und ich zittere unter seinem düsteren Blick, als wäre er noch ein Taluri."
Mit der Lösung der Padres erhofft sich Jade endlich Frieden und ein Happy End scheint in greifbarer Nähe. Doch die Ereignisse überschlagen sich auf Grace Island und Jades Welt wird erneut auf den Kopf gestellt.
Luca hat Geheimnisse, die dunkler sind als bisher angenommen. Er hat sich verändert und Jade befürchtet, ihn endgültig an seine Vergangenheit zu verlieren. Zwischen Verlust, Verrat und der Angst, dass ihr alles entgleitet, muss Jade ihre eigene Wurzeln durchleuchten, bevor sich das Schicksal erneut gegen sie wendet. 
Während Jade nicht weiß, ob sie dem Ex-Taluri noch vertrauen kann, kämpft sich ihre innere Macht zurück – stärker und zerstörerischer als jemals zuvor.
 
"The Pain In Me" ist das dritte Buch der epischen Romantasy-Reihe "Mea Suna" von Any Cherubim. Dies ist die komplett überarbeitete Neuauflage von "Mea Suna - Seelenschmerz: Band 3" (2015 erschienen).

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The Pain In Me

MEA SUNA

BUCH DREI

ANY CHERUBIM

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Any Cherubim

Cover: Zeilenfluss

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-280-8

Solange ich stehen kann, kämpfe ich für dich,

solange ich atme, verteidige ich dich,

solange ich lebe, liebe ich dich.

Autor unbekannt

Prolog

Ich starre auf ihren nackten Körper. Die Illustri steht hinter der Glasscheibe, duscht nichts ahnend und hat mir ihren Rücken zugewandt. Ich hebe das Katana an, doch ein dumpfes Dröhnen hindert mich daran, meinen Job auszuführen. Aufkommende Leere lässt mich innehalten, aber ich vernehme immer noch die kalte, emotionslose Stimme, die mich zu der Vernichtung der Illustris drängt. Mich durchzuckt ein unerklärliches Gefühl von Panik, und mein Herz pocht wild.

Was zum Teufel …? Mein Blick fällt auf das Katana in meiner Hand, und fieberhaft versuche ich zu begreifen, was ich hier verdammt noch mal gerade tue.

Erschüttert taumle ich aus dem Badezimmer, schließe leise die Tür und hänge das Schwert in seine Halterung zurück. Verliere ich den Verstand? Ein Hauch von Verzweiflung überkommt mich, weil ich diese seltsame Dunkelheit in mir immer noch spüre. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich das dumpfe Pochen wahrnehme, begleitet von einem unerklärlichen Druck in meiner Brust.

»Was zur Hölle passiert mit mir?«, flüstere ich. Ein unheimliches Gefühl will nach mir greifen, es ist wie ein Echo aus einer fremden Welt. Es ist eine Halluzination, eine verdammte Illusion. Aber warum fühlt es sich so real an? Ich schließe die Augen und presse die Hände gegen meine Schläfen, in einem verzweifelten Versuch, die Erinnerung zurückzuzerren. Die Bilder verschwinden, lösen sich wie Nebel auf, und im nächsten Augenblick weiß ich überhaupt nicht mehr, warum ich hier im Wohnzimmer stehe. Was wollte ich gerade tun?

»Luca? … Luca? Willst du mir den Rücken einseifen?«, höre ich Jades verführerische Stimme. Ich schmunzle, zucke mit den Schultern, weil mir nicht einfällt, was ich eben noch tun wollte, und nehme liebend gern das Angebot der schönen Frau unter der Dusche an.

Kapitel1

Luca

Mit einem Grashalm im Mund hänge ich meinen Gedanken nach und genieße das Meeresrauschen und den Wind, der die Wellen an die Felsen schlägt. Es ist ein schöner Sommertag. Jade, Pepe und ich faulenzen den Nachmittag am Strand in der Nähe meines Hauses in La Rochelle.

»Luca, spielst du mit mir?« Von Weitem winkt mir Pepe auffordernd zu.

Kurz werfe ich einen Blick zu Jade. Sie liegt neben mir auf unserer Picknickdecke und döst. Um sie nicht aufzuwecken, stehe ich auf und laufe zu ihm.

»Okay, dann zeig mal deine Ballkünste«, fordere ich. Der Bursche lässt sich das nicht zweimal sagen, und schnell finden wir ins Spiel.

Voller Eifer luchsen wir uns gegenseitig den Ball ab. Oft muss ich lachen, weil sich der Knirps gar nicht dumm anstellt und ich zeitweise Mühe habe, die Pille zu behalten. Ich muss mir etwas einfallen lassen, um nicht wie ein Idiot vor ihm dazustehen. Lachend packe ich einfach seinen kleinen Körper, trage ihn wie einen Gegenstand locker unterm Arm und erobere mir so das Leder zurück.

Er quiekt und kichert. »Luca! Das ist unfair! Du mogelst!«

Wir haben solchen Spaß zusammen. Mit dem Jungen unterm Arm dribble ich den Ball Richtung Tor, während er kichernd versucht, sich zu befreien. Kaum lasse ich ihn wieder runter, ergaunert er sich den Ball und schießt ihn über die Wiese.

»Ich hol ihn schon«, ruft er und rennt los. Pepe ist wirklich talentiert. Vielleicht sollte er in einer Fußballmannschaft trainieren. Er besitzt gute Reflexe, ist flink und gelenkig – beste Voraussetzungen für …

Ein merkwürdiges Gefühl unterbricht meine Gedanken. Mein Blick wandert über die Wiese zu Pepe und Jade, die immer noch schläft. Etwas stimmt nicht. Es ist seltsam ruhig, und diese unheilvollen Emotionen sind mir nicht fremd – es hat noch nie etwas Gutes bedeutet. Ich halte inne und schaue mich um. Wir sind allein, selten verirrt sich jemand in diese abgelegene Gegend, aber ich weiß, dass ich mich darauf nicht verlassen sollte. Der Wind lässt die Äste wanken und die Blätter rascheln, und je länger ich mich konzentriere, desto deutlicher spüre ich Gefahr!

»Ich hab den Ball, Luca!« Pepes Lächeln gefriert, als er meinen finsteren Ausdruck bemerkt.

»Wir sollten zum Haus zurück«, sage ich so ruhig wie möglich, ohne den Blick auf ihn zu richten. »Komm, wir wecken Jade.« Mein Gefühl verstärkt sich. Eigentlich sind wir hier in La Rochelle abgeschieden und sicher.

»Sie ist schon wach«, ruft Pepe.

Jade richtet sich auf. »Was ist denn los?«

Sie runzelt die Stirn, spürt die Bedrohung, genau wie ich. Noch bevor ich antworten kann, sehe ich den Grund direkt auf uns zukommen.

»Oh Gott, Luca!« Jades Stimme zittert, und in ihren Augen flackert Angst auf. Aus den Bäumen schießen unzählige, schwarze Maori-Krähen auf uns zu. Ich erkenne sie an den blauen Flecken am Kopf und dem kleinen Spy an ihren Füßen. Sie gleiten krächzend über die Wiese und kreisen über uns. Schützend nimmt Jade Pepe in ihre Arme. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ich weiß es nicht.« Ahne es jedoch. Sie haben uns im Visier. Wir müssen uns in Sicherheit bringen, die Maoris handeln nicht aus freien Stücken. An ihren Füßen blinkt das rote Licht. Wir werden gefilmt, ausspioniert, wie ich es aus meiner Zeit als Taluri kenne. Sie belauern uns, warten auf einen günstigen Angriffsmoment.

Langsam laufen wir über die Wiese.

»Bleibt zusammen. Wenn ich ›jetzt‹ rufe, rennt ihr, so schnell ihr könnt, zum Haus.« Pepe hält ängstlich meine Hand. »Hast du mich verstanden?«, frage ich nachdrücklich.

Er nickt.

Ich sehe zu Jade. »Schließt alle Fenster und Türen und packt eure Sachen. Wir müssen hier weg. Ich werde versuchen, sie abzulenken.«

»Aber …!« Jade will protestieren.

»Ich werde nachkommen – versprochen.« Kurz ist sie versucht, mir zu widersprechen, aber sie weiß, dass mit jeder Sekunde wertvolle Zeit verstreicht. Schließlich nickt sie. Zögerlich laufen wir übers Gras, behalten die Vögel am Himmel im Blick. Sie krächzen wild durcheinander und kreisen wie Geier über uns.

»Ich habe Angst, Luca.« Pepe drückt seine kleine, verschwitzte Hand in meine.

»Bleib ganz ruhig. Und denk an das, was ich gesagt habe. Wenn ich ›jetzt‹ rufe, rennt ihr so schnell ins Haus, wie ihr könnt.«

Auf einer Düne wird das Gebäude sichtbar, und auf halbem Weg lasse ich Pepes Hand los und verlangsame meine Schritte, während Jade Pepe mit sich zieht. Sie wirft einen Blick zu mir über die Schulter, und als das Krächzen der Maoris lauter wird, höre ich das unruhige Flattern ihrer Flügel. Sie machen sich für den Angriff bereit. Es sind nur noch Sekunden.

»Jetzt!«, schreie ich, als ich die ersten Krähen tiefer fliegen sehe. Sofort rennen Jade und Pepe los. Ich habe noch keine Ahnung, wie ich die Vögel von den beiden ablenken kann, da entdecke ich nicht weit von mir einen Ast im Gras. Blitzschnell laufe ich hin, hebe ihn auf und stürme den Maoris hinterher, die Jade und Pepe folgen. »Schneller«, brülle ich.

Pepes rote Locken wirbeln durcheinander, und ich höre seinen ängstlichen Atem, während Jade ihn, getrieben vom Adrenalin, mit sich zieht. Immer wieder blicken sie hinter sich, wissen, dass die Vögel näherkommen. Es trennen sie nur noch wenige Meter.

Ich renne schneller und vertreibe die Maoris mit lautem Gebrüll. Ihr Instinkt ist stärker als ihr Befehl – zumindest ändern einige von ihnen ihre Richtung und greifen mich an. Ich schwinge den Ast, schlage nach ihren Körpern und treffe. Federn fliegen durch die Luft, und ihre Leiber fallen dumpf ins Gras. Mitten im Kampf sehe ich, dass Jade und Pepe kaum eine Chance haben. Es sind einfach zu viele. Sie schreien und wehren sich, versuchen mit aller Kraft, die Maoris loszuwerden, die mit ihren spitzen Schnäbeln in die bereits blutbefleckte Haut picken. Vom Adrenalin angepeitscht, rase ich zu ihnen. Pepe schreit und wälzt sich vor Schmerz auf dem Boden. Sechs Vögel sitzen auf ihm und beißen sich tief in sein Fleisch. Zwei der schwarzen Teufel krallen sich in meinen Rücken, doch ich nehme die scharfen Schnäbel kaum wahr. Den Ast schwingend, treffe ich die Krähen. Ich bin außer mir, die Schreie des Kindes und die Gewissheit, dass auch Jade in großen Schwierigkeiten steckt, machen mich rasend.

Pepes und Jades Hilferufe gehen mir durch Mark und Bein. Der alte Hass schleicht sich durch meine Eingeweide, gepaart mit einer Flut neuer Gefühle, die mich nach wie vor verwirren. Die verbotene Angst wird stärker. Sie bedeutet Schwäche und wird meist von Versagen begleitet – diesen Kampf darf ich nicht verlieren, ich muss die beiden retten.

Da bekomme ich den Flügel einer Krähe zu packen und breche ihn aus seinem Gelenk – es knackt. Einem anderen Vogel reiße ich den Kopf ab und lasse den toten Leib einfach fallen. So mache ich weiter, bis Pepe befreit ist. Schnell wende ich mich schwer atmend zu Jade. Panik ergreift mich, als ich ihren leblosen Körper auf dem Boden liegen sehe. Die Biester haben sie böse erwischt. Sie blutet stark an unzähligen Stellen. Angst und unsagbarer Hass wallen in mir auf. Ich werfe mich auf die Monster, die ich nicht verscheucht habe, töte eines nach dem anderen, höre erst auf, als das letzte Krächzen verstummt ist. Schwarze, blutige Federn kleben an meinen Händen. Ich zittere, als ich neben ihr niederknie. Sie liegt blutverschmiert und schwer verletzt auf der Wiese.

»Mea Suna! Es ist vorbei! Hörst du mich?«, brülle ich keuchend, ziehe sie in meinen Schoß und richte sie auf. Da knickt ihr Kopf nach hinten weg, und ihre leblosen Augen starren ins Leere.

* * *

»Luca, du träumst!« Eine sanfte Stimme dringt in mein Bewusstsein und rüttelt an mir.

Mit einem Schrei schrecke ich hoch. Den unendlichen Schmerz und Jades toten Körper habe ich noch genau vor Augen. Tränen steigen auf, die ich krampfhaft zu unterdrücken versuche. Ich halte die Luft an und presse die Hände vors Gesicht. Ich bin schweißgebadet und brauche ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass das alles nur ein Traum war. Nur langsam verschwimmen die Bilder, und eine unsagbare Erleichterung legt sich auf meine Brust nieder, als ich Jade lebendig und unverletzt neben mir spüre.

»Hey, alles in Ordnung?« Ihre Hand gleitet beruhigend über meinen Rücken.

Um Fassung ringend, drehe ich mich zu ihr um, umarme sie und atme ihren Duft ein. Ich brauche das, muss sie fühlen und bewusst wahrnehmen, bis ich die Schrecken der Nacht hinter mir lassen kann.

»Es war nur ein Traum«, flüstert sie.

Sie hat recht. Ihr ist nichts geschehen, sie ist gesund, und niemand greift uns hier in La Rochelle an. Als ich den ersten Schock verdaut habe, löse ich mich aus der Umarmung und ziehe mein nasses Shirt aus.

»Willst du darüber reden?«, fragt sie mit sanfter Stimme.

Nein, davon und von den anderen blutigen Träumen will ich ihr nichts erzählen, sie hat genug durchgemacht.

»Nein, es ist vorbei, mir geht es gut. Lass uns weiterschlafen«, sage ich, lege mich zurück in die Kissen und ziehe sie in meine Arme.

»Luca, du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst.«

»Ja, das weiß ich.« Ich küsse sie auf die Stirn. »Danke, dass du mich geweckt hast.«

Sie kuschelt sich an mich, und es dauert nicht lange, bis ich Jades gleichmäßige Atemzüge höre. Mein Mädchen schläft, doch ich bin hellwach. Innerlich bin ich aufgewühlt und muss an die Bilder denken, die mich in dieser Nacht heimgesucht haben. Ich träume oft. Meistens von meiner Vergangenheit, den schrecklichen Dingen, die ich gesehen und getan habe, von der Zeit als Taluri und meiner Kindheit. Die Erinnerungen sind unerträglich.

Schließlich halte ich es im Bett nicht mehr aus. Kopfschmerzen vermischen sich mit dem Gefühl, nicht länger liegen zu können. Meine Brust verengt sich, ich muss hier raus. Vorsichtig löse ich mich von Jade, in der Hoffnung, sie nicht zu wecken. Sie seufzt leise und dreht sich um. Lautlos verlasse ich das Schlafzimmer. Immer wieder hallen Pepes Schreie aus dem Traum in meinem Kopf nach. Seine angsterfüllten Augen, sein Schmerz … die Bilder quälen mich, sodass ich die Tür des Gästezimmers öffne, um mich zu vergewissern, dass alles gut mit ihm ist. Ein leichter Frieden empfängt mich, er schläft tief und fest. Im Halbdunkeln betrachte ich seine roten Locken, die vom Mondlicht angestrahlt werden. Ich muss lächeln. Alles ist in Ordnung.

Leise schließe ich die Haustür, laufe die Böschung zum Strand hinunter. Erst als der Wind die Reste des Traumes fortbläst, geht es mir besser. Leichtfüßig klettere ich die Klippe hinauf und setze mich nahe der Brandung auf einen Felsen. Hier kann ich in Ruhe über vieles nachdenken – ich mag diesen Platz.

Ich ziehe das Handy aus meiner Hosentasche und wähle im Menü die gespeicherten Nachrichten. Gezielt suche ich nach den Mitteilungen meines jüngsten Bruders Miguel. Immer wieder muss ich seinen Text durchlesen, denn es war sein letztes Lebenszeichen, bevor man mich informierte, dass er sich erhängt hat. Seine Worte klingen verzweifelt und verängstigt. Ich selbst habe ihm den Spy entfernt und fühle mich für seinen Tod mitverantwortlich. Die Flut an Emotionen, die nach der Entnahme des Spys auf ihn eingeströmt, und die Erinnerungen, die zurückgekehrt sind, haben ihm den Rest gegeben.

Scheiße, Bruder, ich pack das nicht. Ich bin nicht wie du. Nichts ergibt mehr einen Sinn, und ich bin müde … so müde. Bitte verzeih mir. Ich kann einfach nicht anders. Vielleicht werden wir uns eines Tages wiedersehen. Miguel

Seine Worte hallen in mir nach, bringen mich dazu, mich selbst zu hassen. Ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen. Aber so darf ich jetzt nicht denken. Durch Jade weiß ich, dass es Vergebung für uns gibt. Sie lässt mich tief einatmen, und alles Geschehene rückt in weite Ferne. Es fühlt sich leicht und fließend an, fast wie Glück, und trotzdem überkommen mich in manchen Stunden dunkle Gedanken, die mich glauben lassen, kein normales Leben verdient zu haben.

Es ist Sommer. Jade und ich sind erst vor wenigen Tagen von unserer Europatour zurückgekehrt. Wir haben wirklich gute Monate in Europa verbracht, bis auf die lächerlichen Drohbriefe, die ich vor ihr verberge, aber auch nicht ernst genug genommen habe.

In La Rochelle wollen wir uns ausruhen. Pepe darf ein paar Tage bei uns verbringen. Seit er bei einer Pflegefamilie untergekommen ist, kann er sich langsam von der Vergangenheit erholen. Er wächst bei den Camilos auf, die selbst zwei eigene Kinder in seinem Alter haben. Prof. Tramonti hat für Pepe die Familie ausgesucht. Anfangs war ich skeptisch, weil Rosaria und Angelo Camilo ausgerechnet in Rom leben. Trotzdem schaffen sie es, dem Jungen ein liebevolles Zuhause zu geben. Ich hänge an dem Lockenkopf und habe mich gefreut, als der Anruf von Tramonti kam, dass der kleine Kerl einige Tage bei uns verbringen kann.

Allerdings erinnert er mich an alles Vergangene, was ich zu vergessen versuche. Das Leben in den Katakomben unterhalb der Villa Ada, unsere Kindheit und die damit verbundenen Grausamkeiten. Tief in mir regt sich immer noch blinde Wut, wenn ich an Morgion und Rabas denke. Obwohl beide tot sind und ich endlich alle Emotionen kennenlerne, verblassen die Bilder meiner Vergangenheit nicht. Es ist schwer zu begreifen, was man aus uns gemacht hat – wir müssen mit den Erinnerungen leben. Jade hilft mir durch viele schlimme Momente, aber meine Brüder haben große Probleme. Vor ein paar Monaten nahm sich Toni durch einen Kopfschuss das Leben. Er hat nach Morgions Tod zurückgezogen in Mexiko gelebt, es schien, als würde er klarkommen. Doch die Wahrheit sieht anders aus: Wir Taluris sind emotionale Krüppel – Marionetten, die sich zwar von den Fäden befreit haben, aber nicht die nötige Energie finden, komplett abzuschließen und loszulassen. Wir sind nicht fähig, in dieser Welt zu bestehen.

Die zweite Todesnachricht meines jüngsten Bruders Miguel vor zwei Tagen traf mich so, dass die Alpträume wieder stärker und intensiver zurückkehrten. Miguels Tod ist schwer auszuhalten. Erst recht, weil er mir kurz zuvor geschrieben hat, dass er heiraten will und zum ersten Mal in seinem Leben wirklich glücklich ist.

Ausgerechnet diese beiden – Miguel und Toni. Sie haben unmenschliche Folter erleiden müssen. Sie haben Frieden und Glück verdient. Was, wenn ich die Erinnerungen und Bilder auch nicht mehr ertragen kann? Was wird dann aus Jade werden oder aus dem kleinen Pepe? Ich liebe sie. Dieses Gefühl erfüllt meinen Körper, gibt mir Mut und Kraft. Ich habe tausend Fragen, die unsere Zukunft betreffen, und Millionen weitere, in denen es um meine Vergangenheit geht. Ich will wissen, wo meine Wurzeln sind, wer mich geboren hat. Wo bin ich vor meiner Krankheit aufgewachsen? Wann bin ich zu Morgion gekommen und warum? Gab es jemals eine Familie, die um mich geweint hat?

Die Kopfschmerzen verschwinden langsam, nur der Schmerz in meiner Brust wird nie vergehen.

Kapitel2

Jade

Ich bin sofort wach, als meine Hand den leeren Platz neben mir abtastet – er ist kühl. Normalerweise wärmt mich Lucas Körper. Ich richte mich auf und sehe mich um. Es ist noch dunkel draußen, nur das Mondlicht schimmert ins Zimmer.

Wo ist er?

Ich schwinge die Beine aus dem Bett, schlüpfe in eine Hose und in ein T-Shirt, tapse leise durch den Flur, schaue im Wohnzimmer nach. Auch hier ist keine Spur von ihm. Nachdenklich laufe ich in die Küche, nehme eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank, trinke ein paar Schlucke und blicke durchs Fenster. Das Meer rauscht friedlich, der Strand ist nicht weit vom Haus entfernt. Die Brandung schäumt an der kleinen Felsformation auf.

Da entdecke ich seine dunkle Gestalt, die einsam und allein auf einem der Felsen sitzt und aufs Meer hinausblickt. Wieder eine Nacht, die er sich um die Ohren schlägt und nicht schläft. So oft ist er genau dort, manchmal bis die Sonne aufgeht. Meistens dann, wenn ihn die Träume nicht einschlafen lassen. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich darüber nachdenke, wie fürchterlich seine Vergangenheit ist. Es sind unzählige Nächte, in denen er schreckhaft und schweißgebadet aufwacht. Oft dauert es ein paar Minuten, bis er begreift, dass alles vorbei und wir in Sicherheit sind. Ich beiße auf meine Unterlippe und beschließe zu ihm zu gehen.

Das Rauschen der Brandung ist deutlich zu hören, und eine warme Brise streicht über meine Haut. Ich laufe die Düne hinunter, bis ich den Strand erreiche. Noch hat er mich nicht bemerkt. Das Wasser ist hier viel unruhiger, und der Wind nimmt zu. Vorsichtig balanciere ich die kantigen Felsen entlang.

»Jade? Was machst du hier?« Luca streckt mir seine Hand entgegen, die ich dankbar ergreife.

»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, sage ich, als ich sicheren Stand unter den Füßen habe. »Im Bett war es plötzlich kalt und leer.«

Er kratzt sich am Hinterkopf. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken.« Er hält meine Hand, und wir setzen uns. Ich bemerke seine gedrückte Stimmung.

»Konntest du nicht wieder einschlafen?«

Er schüttelt den Kopf.

»Willst du mir davon erzählen?«, versuche ich es weiter.

Er braucht eine Weile, bis er mir eine Antwort gibt. »Das Übliche.«

Ein gequältes Lächeln legt sich auf seine Lippen.

»Manchmal hilft es, wenn man darüber redet«, fordere ich ihn auf, auch wenn ich damit rechne, dass er mir wieder einmal seine Träume verschweigt.

»Das willst du nicht wissen, Jade!«

»Irrtum! Ich will alles von dir wissen, selbst deine schlechten Eigenschaften.«

»Tja, leider gibt es da nicht viele«, erwidert er mit einem frechen Grinsen.

Ich rolle mit den Augen und remple ihm in die Rippen. »Angeber! Soll ich mal anfangen aufzuzählen?«

Jetzt lacht er laut.

»Also zum einen wären da deine Socken, die du überall im Haus liegen lässt. Du scheinst eine Vorliebe dafür zu haben, sie unter dem Wohnzimmertisch zu sammeln. Ist das eine Art Reviermarkierung oder so was?«

Wir lachen beide, und ich hake mich bei ihm unter. »Aber zurück zum Thema. Natürlich will ich von den Dingen wissen, die dich beschäftigen. Und ganz besonders, was dich quält.«

Im Mondlicht wird deutlich, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegt. Es fällt ihm eindeutig nicht leicht. Geduldig warte ich, gebe ihm die Zeit, die er braucht. Seit seiner Kindheit wurde ihm eingebläut, niemals Schwäche zu zeigen. Das Gefühl der Angst wurde ihm verboten – logisch, dass er jedes Wort darüber vermeidet.

»Ich träume von Ereignissen, die geschehen sind, bevor ich damals das Spying erhalten habe.«

»Du meinst, als du noch ein Kind warst?«

Er nickt.

»Erzähl mir davon.«

Wieder schluckt er. »In meiner Ausbildung war ich stets der Beste in allen Disziplinen, hielt mich an die Regeln … Ich funktionierte so, wie es von einem angehenden Taluri erwartet wurde. Aber die anderen wurden oft bestraft, weil sie Schwäche zeigten, oder weil sie die Leistung nicht aufbringen konnten, oder weil Rabas einfach Freude am Quälen hatte … Ich tat alles, um den Strafen zu entgehen – wir alle taten das. Leider musste ich oft mit ansehen, dass manche keine Chance hatten. Unser Aufseher war für seine kreativen Züchtigungen bekannt.«

Ein Schauer fährt mir den Rücken hinunter, wenn ich an diesen Dreckskerl Rabas denke. Ich selbst habe ihn getötet, dennoch spüre ich, wie er nach wie vor wie ein Geist in Lucas Seele festhängt. Obwohl dieser Scheißkerl in der Hölle schmort, hat er immer noch sehr viel Macht über ihn.

»Eines Tages sollten die ersten Taluris ausgewählt werden. Wir waren zweiundzwanzig Jugendliche, kaum älter als zwölf – im Grunde noch Kinder. Wer die Prüfungen bestand, bekam ein spezielles Training und wurde auf das Leben als Taluri und dessen Aufgaben draußen vorbereitet.«

Ich schüttle den Kopf, kann mir nicht vorstellen, wie schrecklich seine Kindheit gewesen sein muss. Es ist ein Wunder, dass Luca und auch die anderen Taluris noch leben, geschweige denn sich wie Menschen verhalten.

»Jedenfalls habe ich als Kind viel gesehen und … getan, was ich niemals hätte sehen oder tun dürfen – kein Kind sollte das. Ich bekomme diese Bilder nicht aus dem Schädel.« Sein Blick ist starr aufs Meer gerichtet, und ein eisiger Zug liegt auf seinem Gesicht. Er ist immer noch wütend und voller Bitterkeit.

»Es … tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte dich damals, als ich dich geheilt habe, auch davon befreien können«, entschuldige ich mich. Für einen Moment sehne ich mich nach meiner Gabe zurück. Auch wenn ich nicht sicher weiß, ob diese Heilung bei ihm jemals funktioniert hätte.

»Ist schon gut. Du hilfst mir mehr, als du denkst.« Er legt einen Arm um meine Schultern und küsst meine Schläfe. Eine Weile starren wir aufs Meer hinaus.

»Jade?«

»Hm …?«

»Bist du glücklich?«

Ich schaue zu ihm auf. »Wie meinst du das?«

»Ich meine, bist du zufrieden so, wie dein Leben jetzt ist?«

Ja, das bin ich. Wir sind zusammen, haben einen großen Abstand zu den Padres und all den schrecklichen Ereignissen, und ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Zugegeben, manchmal packt mich Heimweh, aber ich weiß nicht, wieso. Luca ist jetzt mein Zuhause, Bayville existiert nur noch in meiner Erinnerung. Luca gibt mir Halt und ist eine feste Konstante in meinem Leben. Außerdem habe ich noch Amy und die Illustri-Mädchen, die Padres in Madrid und Agnes natürlich.

»Solange du bei mir bist, bin ich glücklich. Warum fragst du?«

»Weil ich in letzter Zeit viel nachdenke über … alles.«

»Ist es, weil du glaubst, dass du ein freies Leben nicht verdient hast?« Er zögert, und ich ahne, dass ich ins Schwarze getroffen haben könnte. Nach all dieser Zeit kämpft er immer noch damit. »So etwas darfst du nicht denken, Luca.«

»Das allein ist es nicht. Ich frage mich, wer ich war, bevor ich zu Morgion kam. Ich meine, ich hatte doch bestimmt eine Familie oder zumindest eine Mutter, die mich geboren hat. Manchmal träume ich von einer Frau. Sie sieht mich lächelnd an. Ich habe das Gefühl, dass sie alles über mich weiß.«

»Kannst du dich denn an jemanden erinnern?«

»Nein, da ist nichts, nur Leere.«

Kurz überlege ich. »Wir können versuchen, etwas herauszufinden.«

Luca schaut mich an. Er scheint erstaunt über meinen Vorschlag, aber auch erleichtert.

»Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Als Amy damals entführt wurde und ich nicht wusste, was mit ihr geschehen ist, hat mir das auch keine Ruhe gelassen. Einen Versuch wäre es wert.«

»Vielleicht. Na komm, genug von der Vergangenheit und den Horrorgeschichten. Wir sollten noch ein paar Stunden schlafen, bevor der Lockenkopf uns den ganzen Tag auf Trab hält«, beendet er das Thema, steht auf und zieht mich mit sich.

Arm in Arm laufen wir zurück zum Haus und legen uns ins Bett. Eng kuschle ich mich an ihn. Unser Gespräch hat mich aufgewühlt, und auch in meinem Kopf sind die Erinnerungen an Rom und das, was ich dort erlebt habe, wieder präsent. Natürlich ist mir klar, dass Luca nicht gern über unsere – und besonders über seine – Vergangenheit spricht. Er nutzt jede Möglichkeit, um mich abzulenken. Ich dränge ihn nicht, in der Hoffnung, er wird mir eines Tages alles erzählen.

Luca ist verschwiegen, was seine Lebensgeschichte betrifft, trotzdem bin ich glücklich mit ihm. In den letzten Monaten durfte ich einen ganz anderen Luca kennenlernen. Einen Mann, der leidenschaftlich, witzig und einfühlsam ist. Voller Tatendrang hat er mir Europa gezeigt – jene Orte, die ich einst mit Tom erleben wollte.

Hin und wieder denke ich an früher. Dann erinnere ich mich an den blutigen Moment, als Tom von den Taluris erschossen wurde, an Onkel Finley, der Amy und mich jahrelang belogen und doch gleichzeitig beschützt hat, und an Mr. Chang, dessen Schicksal ich erst begriff, als er starb. Morgion und sein Helfer Rabas haben viel Leid und Tod über eine Menge Menschen gebracht. An jedem einzelnen Tag unserer Reise habe ich an Tom gedacht. Ich bin mir sicher, er wäre genauso begeistert von all den Städten, ihren Kulturen und den Sehenswürdigkeiten gewesen wie ich. Die Berliner Mauer erinnert mich an Bayville – mein eigenes kleines Gefängnis, das ich mit schönen wie auch schrecklichen Erinnerungen verbinde. Ich war tief berührt, als ich vor einem Stück des historischen Gemäuers stand, das ich nur aus dem Geschichtsunterricht kannte. Luca erstaunt mich immer wieder mit seinem unglaublichen Wissen über die einzelnen Gebäude, Denkmäler und Geschichten, die sich um die Bauten ranken.

In Griechenland sahen wir uns die Akropolis und die vielen Inseln an. Die weißen Hausfassaden wirkten von Weitem wie schneebedeckte Eilande. In Paris tranken wir französischen Kaffee und aßen Croissants. Natürlich fuhren wir mit dem Aufzug den Eiffelturm hinauf und ließen uns von der Stadt der Liebe berauschen. In der Schweiz überraschte Luca mich mit einem Hubschrauberrundflug über die Alpen und im Frühjahr mit einer kleinen Polarlichtreise ans Nordkap.

Nur manchmal spüre ich seine Nervosität. Er ist sehr um meinen Schutz besorgt und prüft alles doppelt, bevor er entspannen kann.

All die Monate sind an uns vorbeigerast, wir haben uns von der Leichtigkeit des Lebens treiben lassen und unsere Freiheit in vollen Zügen genossen. Es war wunderschön. Wir hatten keine Angst, waren frei – so ganz ohne Mauern und Vorschriften. Ich mag unser neues Leben. Die Tage sind fast immer nur von Glück und Zufriedenheit beseelt. Wir lieben und verstehen uns auch ohne viele Worte. Wir kochen, putzen und räumen gemeinsam auf. Einzig seine Socken, die er gerne überall liegen lässt, gehen mir auf die Nerven, aber lange kann ich ihm nie böse sein. Mit seinem Charme bringt er mich wieder dazu, ihm seine Unachtsamkeit zu verzeihen.

Niemals habe ich geglaubt, einmal seine Nähe zu brauchen. Früher konnten wir uns keine zehn Meter nähern, weil sein Impuls, mich töten zu wollen, zu groß war. Seit Luca seinen Spy mit den Fingern aus dem Oberarm gebohrt und sich dadurch selbst von Morgion befreit hat, genießen wir unser Zusammensein umso mehr. Aber ich spüre deutlich, dass da etwas ist, was Luca von mir fortzieht – ganz langsam und unauffällig.

* * *

Am Morgen werde ich durch ein Kitzeln an meiner Nase und leises Gekicher geweckt. Ich öffne ein Auge und sehe Pepe. Mit einer Feder von Garvin streicht er mir durchs Gesicht und grinst frech. Die Jalousien werden hochgezogen, und Tageslicht erhellt augenblicklich das Zimmer.

»Guten Morgen, Schlafmütze. Zeit zum Aufstehen.«

»Morgen.« Ich gähne laut und strecke mich. »Wie spät ist es denn?«

»Gleich acht.«

Mitten in der Bewegung halte ich inne. »Acht? Spinnt ihr? Wieso weckt ihr mich so früh?«

Luca öffnet das Fenster und dreht sich lachend zu mir um.

»Weil wir heute einiges erledigen müssen, wenn wir morgen nach Bayville fliegen wollen«, verkündet er stolz.

Sofort bin ich hellwach. »Bayville?«

Mir steht der Mund offen, und ich sehe ihn ungläubig an.

Er strahlt über das ganze Gesicht und setzt sich auf die Bettkante. »Der Professor war endlich einverstanden, und ich dachte, es würde dir guttun, Agnes wiederzusehen.«

»Aber …« Ich bin sprachlos. Bayville – mein altes Zuhause. Manchmal vermisse ich es. Seit unserer Flucht damals war ich nicht mehr dort. Alle Informationen, die ich dazu erhalten habe, stammen von Prof. Tramonti und den Nachrichtensendern. Offiziell habe man Amy und mich irgendwann für tot erklärt; niemand außer Agnes und den Padres weiß von unserer Existenz. Dank Prof. Tramonti und Lucas Kontakten konnten wir mit gefälschten Pässen die Grenzen Europas passieren, trotzdem bin ich ständig nervös, wenn wir über eine Landesgrenze gehen. Onkel Finley war schließlich kein Unbekannter. Auch wenn er damals stets darauf geachtet hat, dass Amy und ich keine Fotos von uns ins Netz stellten, bleibt immer ein Restzweifel, erkannt und erwischt zu werden. Vor ein paar Monaten habe ich den Wunsch geäußert, nach Bayville zu reisen. Luca und der Professor hielten den Zeitpunkt aber noch für zu gefährlich.

»Meine Kontaktperson hat uns heute früh grünes Licht gegeben … Du willst doch immer noch in deine alte Heimat, oder?«, fragt Luca jetzt etwas unsicher, weil ich nicht überschäume vor Freude.

»Äh … ja, natürlich.« Ich kann es nicht glauben. Ich werde wirklich nach Bayville fliegen. Meine Güte! »Ich bin nur … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Agnes und Ron können es kaum erwarten, dich zu sehen. Wir werden ein paar Tage in ihrem Haus verbringen.«

»Agnes und Ron!« Voller Vorfreude werfe ich mich in Lucas Arme. »Ich fliege nach Bayville! Ich fliege wirklich nach Hause!« Kurz muss ich schlucken, damit ich nicht anfange zu weinen. Mir ist klar, dass ich meine Heimat nicht so vorfinden werde, wie ich sie in Erinnerung habe, aber das alles nehme ich in Kauf.

Luca löst sich ein wenig aus meiner Umarmung. »Du weißt, dass wir vorsichtig sein müssen, Jade.«

Ich nicke. »Und Pepe? Er kommt doch mit uns oder?«

Lächelnd streichle ich ihm über den Kopf.

»Natürlich.« Luca ist immer für eine Überraschung gut. Ich bin völlig durcheinander. Vor ein paar Stunden habe ich mir Sorgen gemacht, und jetzt lenkt er mich wieder von seinen Problemen ab. Schlitzohr! »Komm frühstücken, Süße. Wir haben einiges zu tun.«

»Okay, ich springe schnell unter die Dusche.«

Pepe und Luca verlassen das Schlafzimmer. Bilder aus meiner Erinnerung flackern auf. Sie schmerzen, weil mir klar wird, dass es nie wieder so sein wird wie damals. Das Grundstück, die Villa, einfach alles ist zerstört, und vieles hat sich verändert. Aber ich kann es nicht erwarten, Agnes und Ron endlich wiederzusehen und die Luft in Bayville einzuatmen.

Nach dem Frühstück sind Luca und ich damit beschäftigt, das Haus aufzuräumen und alles für unsere Abreise vorzubereiten. Pepe spielt draußen im Garten mit Garvin. Ich bin so aufgeregt und schaue ständig nervös auf die Uhr. Die Zeit will einfach nicht vergehen.

»Du musst ruhiger werden, Babe. Unser Flieger geht erst heute Nacht.«

»Du weißt, dass ich immer Angst habe, wenn wir durch die Kontrollen müssen.«

»Ich weiß, aber das brauchst du nicht. Wir werden als Familie Whiteman einreisen, und Oma Agnes wird uns am Flughafen empfangen«, entgegnet er und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen die Arbeitsplatte neben der Waschmaschine.

Ich bin jedes Mal ein Nervenbündel vor einer Reise, und diesmal haben wir sogar Pepe dabei. Was, wenn die Beamten unser Spiel durchschauen? Wie immer kaue ich auf meiner Unterlippe und versuche, mich nicht verrückt zu machen. Ich ziehe die gewaschenen Klamotten aus der Trommel und lade sie in einen Korb.

»Komm mal her, Mea Suna«, fordert Luca mit rauer Stimme, schlingt seine Arme um meine Mitte und drückt mich sanft an sich. Sein Duft steigt mir verführerisch in die Nase. »Soll ich dir zeigen, wie schnell du deine Zweifel vergessen kannst?« Seine Augen funkeln verheißungsvoll.

»Ich muss mich um die Wäsche kümmern, sonst fliegen wir heute Nacht mit leeren Koffern. Die macht sich nicht von allein.«

Er grinst. »Du bist eben eine kleine, perfekte Hausfrau.«

»Gewöhn dich lieber nicht daran«, ziehe ich ihn auf.

Seine Augen glühen vor Verlangen. Sein Blick gleitet hinab zu meinem Dekolleté, bevor er sich hinunterbeugt und seine Lippen auf meinen Hals drückt. Sanft beißt er mich, und dieses süße Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Dann küsst er mich, taucht mit seiner Zunge in meinen Mund, und in weniger als fünf Sekunden vergesse ich alles um mich herum. Luca hat Macht über meinen Körper, und das nutzt er wie immer schamlos aus. Seine Hände packen sanft meinen Po, und er presst mich an sich, bis ich seine Erektion spüre. Er stöhnt leise auf, greift unter mein Shirt nach einer Brust und fährt mit dem Daumen über meine Brustspitze. Plötzlich packt er mich, hebt mich hoch, setzt mich auf der Oberfläche der Waschmaschine ab und drückt sich zwischen meine Beine.

»Luca!«, rufe ich erstaunt aus, während er mein Shirt hochzieht, meinen Busen aus dem BH-Körbchen befreit und mich mit seiner Zunge verwöhnt. Mir entfährt ein Stöhnen, als er sanft daran saugt und mich neckt.

»Hm …?«

Gierig greife ich in sein Haar, werfe den Kopf in den Nacken, als er unerwartet innehält.

Benommen will ich protestieren, aber mein Blick folgt seinem zur Tür. Dort steht Pepe und hält sich die Hände vors Gesicht. Sofort befreie ich mich aus Lucas Armen und richte verlegen mein Shirt. »Pepe?«

»Seid ihr endlich fertig?«

Luca lacht und hilft mir von der Waschmaschine. »Du kannst die Augen wieder aufmachen, Kumpel.«

»Ehrlich? Habt ihr aufgehört euch zu …?«

»… küssen?« Luca und ich grinsen. »Ja, zwangsweise«, meint Luca und zieht mich besitzergreifend an sich. Angewidert kneift Pepe sein Gesicht zusammen.

Ach du meine Güte! Ich wusste gar nicht, dass ihm das peinlich ist.

Pepe spreizt zwei Finger seiner Hände und lugt zwischen ihnen zu uns. Erst als er sich davon überzeugt, dass Luca und ich uns anständig verhalten, senkt er langsam die Arme. Seine Wangen sind feuerrot, was Luca noch mehr amüsiert.

»Eines Tages wirst du damit auch nicht mehr aufhören können«, erklärt er ihm.

»Igitt! Nie im Leben.«

Luca und ich lachen laut auf.

»Na, komm. Spielen wir draußen Fußball. Dann kannst du mir erzählen, warum du das Küssen nicht magst.« Beim Wort ›Spielen‹ erhellt sich Pepes Gesichtsausdruck.

»Wir machen später weiter, Babe.« Luca gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, worauf Pepe mit den Augen rollt.

»Viel Spaß euch beiden.«

Als ich allein bin, seufze ich und mache mich an die Arbeit. Während ich die Trommel fülle, denke ich an Agnes. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie mir früh gezeigt hat, wie man eine Waschmaschine bedient. Überhaupt hat sie Amy und mir einiges beigebracht. Bei dem Gedanken an sie bin ich voller Vorfreude. Ich habe sie lange nicht gesehen.

Vor ein paar Monaten erfuhr ich, dass Ron und sie auch zu den Padres gehören. Im ersten Moment fühlte ich mich betrogen, weil sie von den Padres in unser Haus eingeschleust wurde, nur um Onkel Finley und uns Mädchen zu überwachen. Aber am Ende hat sie mir alles erklärt, und ich habe ihr verziehen.

Der Tag vergeht, und in wenigen Stunden werden wir abreisen. Gleich nach dem Abendessen sorgt Luca dafür, dass Pepe noch badet, während ich mich in unser Schlafzimmer zurückziehe, um mit Amy zu telefonieren. Sie ist bestimmt nicht erfreut, dass ich ohne sie nach Bayville reise.

Kapitel3

Jade

Ich wähle Amys Nummer, und nach kurzem Klingeln hebt sie ab.

»Hi Schwesterchen!«, flöte ich ins Handy.

»Hallo Jade! Was ist los? Du begrüßt mich doch sonst nie mit ›Schwesterchen‹. Du hörst dich an, als müsstest du mir etwas beichten. Obwohl das eigentlich mein Part ist.«

Ich kann ihr nichts vormachen, sie kennt mich zu gut. Ich atme tief ein.

»Wir fliegen heute Nacht nach Bayville«, platze ich mit der Nachricht heraus.

In der Leitung herrscht Stille.

»Ihr fliegt nach Hause?«, murmelt sie, und ihre Enttäuschung ist deutlich zu hören.

»Ja, wir besuchen Agnes und Ron … Ich rufe dich an, damit du weißt, wo ich in den nächsten Tagen bin.«

»Okay, aber ist das nicht gefährlich?«

»Luca hat grünes Licht bekommen … Vielleicht erlaubt der Professor, dass du uns nachreist?«, versuche ich sie zu trösten. Ich weiß, dass er niemals erlauben wird, dass wir beide gleichzeitig in Bayville sind, doch mir fällt auf die Schnelle nichts Besseres ein.

»Das glaubst du doch nicht wirklich!«

Trotzdem merke ich, wie eingeschnappt sie ist. Es ist verrückt! Von uns Schwestern war Amy stets diejenige, die Bayville für immer verlassen wollte. Jetzt wollen wir beide dorthin zurück und dürfen es nicht.

»Und was ist mit deiner Impfung? Wirkt sie noch?«

»Ja. Dr. Nussbaum ist mit der Wirkung zufrieden und ich auch. Wie läuft das Geschäft?«, versuche ich sie auf ein anderes Thema zu lenken.

»Du meinst Matteos Muckibude? Ganz wunderbar«, antwortet sie eine Spur zu schnippisch.

»Was ist los? Habt ihr Ärger?«

Sie seufzt schwer, und ich ahne, dass sich meine Bedenken bewahrheiten. »›Ärger‹ ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ach, ich weiß auch nicht. Ich bin so genervt von all dem hier.«

Oh, oh! Das hört sich nicht gut an. »Was ist los?«

»Nichts, es ist nur …«, druckst sie herum. Sie schweigt erst, doch dann bricht ein wahrer Redeschwall aus ihr heraus. »Das Fitnessstudio ist gut besucht. Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht für Matteo freue, aber ich habe keine Lust mehr, tagein, tagaus auf ihn zu warten. Jetzt will er eine weitere Filiale eröffnen und hat ergo noch weniger Zeit für mich. Draußen ist so schönes Wetter, und ich will, dass er etwas mit mir unternimmt. Ach, Jade! Es ist einfach alles anders gekommen, als ich es mir vorgestellt habe. Ich will auch mal abends ausgehen und nicht zu Hause versauern. Er sagt, er wäre zu müde, um mich auszuführen, und verschiebt es aufs Wochenende. Er kommt ständig spät Heim und hat auch sonst wenig Zeit. Und überhaupt, wenn ich mich dann mit einer Freundin verabrede oder mich im Studio mit einem Bekannten unterhalte, kriegt Matteo gleich einen Eifersuchtsanfall und führt sich wie in der Steinzeit auf. Irgendwie habe ich mir unser Leben anders vorgestellt.«

Ich grinse. Typisch Amy. Mir war schon damals klar, dass so ein Fitnessstudio nicht das Richtige für sie ist, doch sie hat all meine Bedenken und Einwände über Bord geworfen und sich Hals über Kopf in diese Sache verrannt.

»Jetzt komm bloß nicht mit der Leier, dass du mich gewarnt hast«, fährt sie mich an.

Nun ja, ich bin nicht schadenfroh, aber ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.

»Ich habe kein Wort gesagt«, wehre ich mich.

Seit damals habe ich mir geschworen, dass ich sie nicht länger bemuttere. Amy ist genauso alt wie ich und muss endlich lernen, zu ihren Entscheidungen zu stehen und Verantwortung zu übernehmen.

»Hast du mit ihm darüber gesprochen?«

»Natürlich, mehr als einmal. Ich beschwere mich bei ihm, sage, was mir nicht passt, und er braucht mich nur anzufassen und treudoof zu schauen, dann … du weißt schon. Ich kann ihm einfach nicht widerstehen und verschiebe die Unterhaltung.«

»Rede mit ihm, Amy. Ihr müsst einen Kompromiss aushandeln. Du wirst sehen, es lohnt sich, nicht immer gleich den Kopf in den Sand zu stecken.«

»Vielleicht hast du recht.«

»Ist sonst zwischen euch alles klar?«

»Ja … eigentlich schon. Oh, er kommt. Ich muss Schluss machen. Meldet euch, wenn ihr in Bayville seid, und grüß Agnes ganz lieb von mir.«

»Mach ich. Pass auf dich auf, kleine Schwester.«

Nachdenklich starre ich auf das Handy in meiner Hand. Ich wusste, dass es irgendwann zu Spannungen zwischen ihnen kommen würde, aber all die Monate habe ich gehofft, dass ihre Beziehung zu Matteo funktionieren wird. Amy ist manchmal recht eigensinnig und denkt nicht nach. Als sie mit der Hiobsbotschaft kam und mit Matteo in Portugal ein Fitnessstudio eröffnen wollte, war ich ziemlich überrascht. Das passt so gar nicht zu ihr, aber ich wollte mich in ihre Entscheidungen nicht einmischen. Ich teilte ihr meine Bedenken mit, worauf sie schnippisch wurde. So ein Gym aufzubauen ist viel Arbeit, und ich wusste, dass das Matteos Traum war.

Na ja, schon Onkel Finley hat es nicht leicht mit ihr gehabt, weil Amy so flatterhaft wie ein Schmetterling ist. Sie hat sich schon immer schwergetan, sich an Regeln zu halten.

* * *

Pepe gefällt mir in seinem Schlafanzug. Er ist weiß mit kleinen Bären. Das Muster erinnert mich an meine Kindheit, ich hatte damals einen ganz ähnlichen.

»Hast du Zähne geputzt?«, frage ich den Lockenkopf, als ich in sein Zimmer komme.

»Schon längst.« Er rutscht im Bett ein Stück zur Seite. Gleich neben der Tür steht sein kleiner Koffer bereit, den ich noch am Nachmittag gepackt habe. Seine Kleidung für die Reise wird er erst im Flieger anziehen.

Wie fast jeden Abend setze ich mich ein paar Minuten zu ihm, und er kuschelt sich an mich. Pepe ist mir seit unserem ersten Treffen ans Herz gewachsen. Er hat viel durchgemacht. Wenn ich daran zurückdenke, wie er damals versucht hat, mich zu befreien, fährt mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Ich hatte Angst, dass Rabas ihn getötet haben könnte. Doch Luca und Noah haben die Kinder befreit.

»Jade?«

»Hm …?«

»Wird Garvin mit uns kommen?«

»Ja, natürlich.«

»Und wie? Er kann doch nicht den weiten Weg nach Amerika fliegen.«

Ich schmunzle. Der Lockenkopf denkt wirklich mit.

»Natürlich kann er das nicht, er würde wahrscheinlich über dem Meer abstürzen. Deshalb nehmen wir ihn im Flieger mit. Luca hat schon alles organisiert«, erkläre ich.

Seine Augen erhellen sich. »Er kommt mit? Das ist ja super! Dann kann ich auch bei Agnes mit ihm spielen.«

»Ja, das kannst du.«

»Yiepiehhhh!« Begeistert klatscht Pepe in die Hände. »Aber wenn ich wieder bei Rosaria und Angelo bin, kommt ihr mich doch auch besuchen?«

Mein Herz bricht, weil unser Abschied mit jedem Tag näher rückt.

Lächelnd streiche ich über seine Wange. »Natürlich. Wann immer wir können.«

»Ich vermisse euch jetzt schon.«

Pepe gehört längst zu Luca und mir, und uns fällt es jedes Mal schwer, ihn gehen zu lassen. Ich liebe den kleinen Jungen und bin echt froh, dass er bei Rosaria und Angelo einen guten Platz gefunden hat. Ich bin voller Bewunderung für die beiden. Pepe fühlt sich wohl, geht zur Schule, hat sogar Freunde und führt ein normales Leben. Das ist in Anbetracht der Vergangenheit nicht selbstverständlich.

Er schaut zu mir auf und lächelt breit, sodass seine Zahnlücke zum Vorschein kommt. Sein kleines Gesicht ist so süß, und ich liebe jede einzelne Sommersprosse. Pepe ist mein Held – genau wie die anderen Taluri-Kinder. Ich bewundere, wie stark er doch im Grunde ist.

»Wir werden dich auch sehr vermissen. Aber hey, Luca und ich werden dich zu uns holen, wann immer wir können.«

»Ehrlich?«

»Natürlich.«

»Du … du bist manchmal netter als Rosaria.«

»So? Ist Rosaria denn streng zu dir?«

Er zuckt mit den Schultern. »Mit mir nicht, aber mit Sebastiano. Er bekommt oft Ärger, und meistens schiebt er es mir in die Schuhe, wenn er etwas angestellt hat.«

»Oh, das ist aber nicht nett von ihm. Hast du das Rosaria gesagt?«

»Nein! Sebastiano ist doch mein Freund.«

»Aber ein Freund tut so etwas nicht, Pepe.«

»Ich weiß, aber so schlimm ist es nicht. Rosaria schimpft, und nach einer Stunde ist sie wieder nett. Außerdem hat Sebastiano versprochen, es nicht wieder zu tun.«

»Na, wenn er es wirklich ernst meint.«

»Weißt du, mir macht das nichts aus. Manchmal hat mich Rabas in ein Steinverlies eingesperrt. Das war viel schlimmer, weil es dort ganz dunkel war und ich solchen Hunger hatte.«

Ich schlucke und bringe im ersten Augenblick kein Wort heraus. Kurz überlege ich, ob ich ihn ausfragen soll, oder rüttle ich damit die Erinnerungen wach? Besser ist es, auf Pepe einzugehen, wenn er aus freien Stücken davon erzählt.

»Wir haben dir versprochen, dass du so etwas nie wieder erleben musst, mein Schatz«, flüsterte ich. Fest drücke ich ihn an mich.

Eine Weile liegen wir schweigend da, bis Pepes Atem ruhig und gleichmäßig wird. Dann löse ich mich vorsichtig aus seiner Umarmung und stehe leise vom Bett auf. Behutsam decke ich ihn zu und hauche sanft einen Kuss auf seine Stirn, bevor ich aus dem Zimmer gehe. Das Nachtlicht löschen wir nie. Pepe hat Angst im Dunkeln, was absolut nachvollziehbar ist. Auch die Tür lassen wir immer einen Spalt offen, sodass etwas Licht vom Flur zu ihm hereinscheint.

»Schläft er?«, fragt Luca, als ich das Wohnzimmer betrete und er mir ein Glas Rotwein reicht.

»Ja. Er ist in meinen Armen eingeschlafen. Er ist so tapfer«, sage ich voller Bewunderung.

»Ja, das ist er.«

»Weißt du, was er mir gerade erzählt hat?«

Luca und ich setzen uns auf das Sofa. Leise Musik läuft im Hintergrund, und er hat ein paar Kerzen angezündet.

»Nein, was denn?«

»Rabas hat ihn manchmal eingesperrt und hungern lassen.« Ich bin immer noch entsetzt, suche in Lucas Augen die gleiche Fassungslosigkeit, doch er senkt den Blick.

»Ja, das kam oft vor. Das … und noch einige andere Grausamkeiten.«

Bisher haben wir nie viel über die Ereignisse von damals gesprochen, weil ich weiß, dass Luca damit Probleme hat. Ich will ihn nicht drängen. Außerdem kann ich selbst nicht einschätzen, ob ich bereit bin, all diese Horrorgeschichten zu ertragen.

»Du meinst, du wurdest auch … dort eingesperrt?«

Er schüttelt den Kopf. »Nein, ich nicht. Aber Matteo und ein paar andere. Und das Steinverlies ist noch die harmlosere Variante der üblichen Bestrafungen.«

Ich erinnere mich genau an die erste Begegnung mit Pepe. Da hat er versucht, mich zu befreien, und wurde von Rabas und Morgion erwischt. Rabas hat ihn wie ein Stück Vieh am Schopf gepackt und aus dem Raum gezogen. Daraufhin hörte ich Pepes Schreie, und als Rabas einige Zeit später völlig blutverschmiert zurückkam, habe ich vermutet, er hätte ihn totgeschlagen.

»Du hast mir nie erzählt, wieso du oft verschont wurdest.«

Luca zuckt mit den Schultern. »Weil ich Morgions Liebling war. Aber lass uns nicht heute Abend darüber sprechen.« Er lehnt sich vor, nimmt mir mein Weinglas aus der Hand und stellt es auf dem kleinen Tisch ab. Gleich darauf macht er sich an den Knöpfen meiner Bluse zu schaffen. »Ich würde viel lieber dort weitermachen, wo der Knirps uns unterbrochen hat.«

Grinsend springen sofort meine Gedanken um.

* * *

Luca hat die Knopfreihe geöffnet, und als die Lust in seinen Augen aufblitzt, schwinden sofort alle meine sachlichen Gedanken. Er zieht mir die Bluse aus und wirft sie achtlos beiseite. Mit glühendem Blick lässt er seine Hand über meinen Hals, hinab zu meinem Dekolleté und zu meinen Brüsten gleiten. Dann zerrt er mit dem Finger an dem BH-Körbchen und befreit meinen Busen. Lustvoll keuche ich auf, als er sich hinunterbeugt und die harte Knospe in den Mund nimmt. Vor Wonne greife ich in sein Haar und ziehe ihn noch näher zu mir. Ich liebe es, wenn er mir diese Gefühle schenkt. Davon werde ich niemals genug bekommen.

Luca saugt und beißt sanft, was mich leise aufstöhnen lässt. Er weiß, wie ich auf ihn reagiere, und rechnet damit, dass ich mich ihm hingebe.

Doch diesmal unterbreche ich ihn, rücke von ihm ab, stehe auf und schaue ihm verführerisch in die Augen. Das Knistern zwischen uns ist beinahe hörbar. Ich öffne den Knopf meiner Short und ziehe quälend langsam den Reißverschluss herunter. Luca hält den Atem an und muss hart schlucken. Sein Adamsapfel bewegt sich. Verlangen blitzt in seinen Augen auf, und die Tatsache, dass ich kein Höschen trage, treibt ihn in den Wahnsinn. Das habe ich schnell herausgefunden und weiß daher, wie verrückt ihn das macht. Seither verzichte ich hin und wieder darauf, weil mir seine pubertäre Reaktion gefällt.

»Du machst mich fertig, Babe. Weißt du das? Natürlich weißt du es. Es bereitet dir große Freunde, mich zu quälen, stimmt´s?«, raunt er mit einem teuflischen Blick.

»Vielleicht«, antworte ich zuckersüß. »Du bist dran.« Ich nicke zu der Kleidung, die immer noch den größten Teil seines Körpers bedeckt.

Das lässt er sich nicht zweimal sagen und zieht sich das T-Shirt über den Kopf, und während er seine Jeans öffnet, kann ich mich kaum sattsehen an seinem Oberkörper. Inzwischen kenne ich seine Tattoos auswendig, liebe die dunkle Tinte auf seiner Haut und auch die definierten Muskeln, die er regelmäßig trainiert. Der Mann ist so heiß, dass ich mir auf die Unterlippe beiße, um ihn nicht augenblicklich zu verschlingen.

Er hebt das Becken, zieht die Jeans herunter, und wie ich erwartet habe, ist sein Schwanz mehr als bereit. Ich trete näher, drücke Luca sanft zur Sofalehne zurück und setze mich rittlings auf ihn. Sofort legt er seine Hände auf meine Hüften und sieht mich abwartend an. Wir schauen uns tief in die Augen, und ich genieße das Verlangen, das mir in seinem Blick begegnet. Ich reibe mich an ihm und merke, wie er sich zusammenreißt und mich ihn necken lässt.

Sein Griff an meiner Mitte wird fester. Er reißt sich zusammen, kämpft mit sich, um mir die Führung zu überlassen, aber ich weiß, dass er es kaum erwarten kann, in mir zu sein. Sanft greife ich nach seinem Penis, bringe ihn in Position und lasse mich langsam auf ihm nieder.

Luca lehnt stöhnend den Kopf zurück, während ich mich auf ihm bewege. Ich vergesse alles um mich herum und spüre seine warmen Hände. Er zieht mich zu sich und küsst mich scharf. Wild und ausgehungert tanzen unsere Zungen, und ich verliere beinahe den Verstand.

Mit einem Mal umfasst Luca meine Mitte, legt mich auf dem Rücken aufs Sofa und ist über mir. Sein Atem stößt keuchend auf meine Lippen, und mir wird schwindlig vor Verlangen.

»Wir haben es doch nicht eilig, oder, Babe?« Er grinst, als ich nichts erwidere.

Ich liebe beide Varianten seines Liebesspiels. Die langsame, ausführliche und die harte, schnelle Art. Seit ich mit ihm zusammen bin, hat er mir so viel gezeigt, und mit jedem Mal bin ich erstaunt, wozu mein Körper in der Lage ist.

Er zieht sich aus mir zurück und liebkost meine Brüste, wandert weiter abwärts, und als er beinahe an meinem Zentrum ankommt, zittere ich vor Begehren. Sanft drückt er meine Schenkel auseinander, senkt seinen Mund auf meine Klit und kostet mich.

Augenblicklich bin ich wie im Rausch, stöhne auf, und als seine Zunge mich neckt, bin ich ihm vollkommen verfallen. Er leckt, malträtiert mich und saugt daran, bis sich eine mächtige Welle in mir aufbaut. Stöhnend sehne ich mich nach Erlösung, aber ich kenne ihn. Er wird mich bestrafen, weil ich den ganzen Tag kein Höschen getragen und ihn verrückt gemacht habe.

Wie erwartet hält er inne, bis die Welle verebbt und ich frustriert meine Hände ins Laken kralle. Ich höre sein schmutziges Lachen, und als ich es schon nicht mehr erwarte, dringt er mit zwei Fingern in mich. Er weiß genau, wie und wo er mich berühren muss. Ich bebe und wimmere, es ist nicht genug.

»Luca«, rufe ich flehend, und seine Fingerspitzen senden Schockwellen durch meinen Körper.

Er zieht seine Hand aus mir zurück, und endlich hat er Erbarmen. Mit einem einzigen Stoß dringt er in mich ein und nimmt mich auf die Weise, wie wir es beide lieben – schnell und hart. Er erhöht das Tempo, treibt uns damit an, und kurz bevor ich vollkommen den Verstand verliere, erfasst mich eine gewaltige Lustwelle und schwappt über mich hinweg. Ich halte den Atem an und lasse mich davontragen.

»Fuck, Jade!« Luca stöhnt und ergießt sich in mir in mehreren Schüben. Wir stürzen gemeinsam in die Welle und werden in die Unendlichkeit fortgeschwemmt.

Nach Atem ringend liegen unsere erhitzten Körper aufeinander. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals, während er an meiner Halsbeuge liegt und mir süße Worte ins Ohr flüstert.

Irgendwann zieht er sich aus mir zurück, hält mich aber fest.

»Davon werde ich nie genug bekommen«, raunt er mir leise zu.

»Ich auch nicht. Für Bayville müssen wir uns etwas ausdenken.«

»Warum?«

Ich drehe den Kopf in seine Richtung. »Weil es mir unangenehm ist, wenn Agnes oder Ron etwas davon mitbekommen. Ihr Haus ist ziemlich hellhörig.«

Er grinst. »Tja, wie wäre es, wenn wir ihnen als Mitbringsel Ohrstöpsel schenken, denn ich kann unmöglich auf dich verzichten, erst recht nicht, wenn du solche Spielchen wie heute mit mir spielst.«

Ich kichere und schlage ihm leicht an die Brust. »Spinner. Na, Agnes und Ron werden sich bestimmt freuen. Wann werden wir eigentlich abgeholt?«