Begehrt von einem Scheich - Liebesromane aus 1001 Nacht - Sharon Kendrick - E-Book

Begehrt von einem Scheich - Liebesromane aus 1001 Nacht E-Book

Sharon Kendrick

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Beschreibung

SINNLICHE NÄCHTE IM WÜSTENPALAST Ein kostbares Collier besiegelt den Vertrag: Sechs Monate soll Ruby die Frau von Scheich Ibrahim spielen. Damit er nicht die von seinem Vater arrangierte Ehe mit einer Anderen eingehen muss! "Kein Sex, keine Küsse", verspricht er. Eine Vereinbarung, die Rubys Sehnsucht enttäuscht … DER FEURIGE KUSS DES SCHEICHS Prinzessin Ghizlan sollte Scheich Huseyn von ganzem Herzen hassen! Schließlich zwingt er sie, ihn zu heiraten! Doch als er sie spontan in seine Arme zieht und mit einem feurigen Kuss überrascht, wird sie gegen ihren Willen von nie gekannter Leidenschaft überwältigt … LEIDENSCHAFT UNTER DEM WÜSTENMOND Wie nur soll Darcy ihm klarmachen, dass alles nur ein großes Missverständnis ist? Sie hat Scheich Zafir nie mit seinem Bruder betrogen! Außerdem muss ihr Ex-Freund eines unbedingt erfahren: Es gibt etwas, das sie und den feurigen Wüstensohn für immer aneinander bindet … DIE GEKAUFTE BRAUT DES WÜSTENPRINZEN Scheich Zayed braucht eine Braut, um sein Erbe anzutreten, Jane muss dringend die Schulden ihrer Familie zahlen. Eine Pflichtehe auf Zeit scheint da der perfekte Deal für den freiheitsliebenden Playboy. Dumm nur, dass sein Begehren für Jane bald heißer brennt als die Wüstensonne … DER SCHEICH UND DAS PARTYGIRL Saskia ist empört! Schlimm genug, dass Scheich Idris Delacour sie einst im Stich ließ! Aber sie nach dem Tod des Königs, dessen Kind sie austrägt, zu erpressen, stellt alles in den Schatten! Warum soll sie ihm helfen, sein Wüstenreich zu retten, wenn Idris sie für ein Partygirl hält?

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Seitenzahl: 871

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Liz Fielding, Annie West, Maggie Cox, Sharon Kendrick, Jessica Gilmore

Begehrt von einem Scheich - Liebesromane aus 1001 Nacht

IMPRESSUM

Sinnliche Nächte im Wüstenpalast erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Liz Fielding Originaltitel: „The Sheikh’s Convenient Princess“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 444 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Eva Ritter

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747008

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Ibrahim al-Ansaris Smartphone summte, und er nahm das Gespräch an.

Es war sein Bruder. „Hallo Bram …“

Während er den Brief überflog, der soeben per Kurier zugestellt worden war, sagte Ibrahim: „Hamad … Ich wollte dich gerade anrufen.“

„Dann hast du die offizielle Einladung zu Vaters Geburtstagsempfang also schon erhalten.“

„Vor zehn Minuten. Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, dass ich eingeladen wurde.“

„Nein, es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass du dabei bist. Bram, er ist krank. Du musst nach Hause kommen.“

Wollte Hamad das auch? Irgendwie klang er nicht wirklich begeistert. Oder bildete er sich das nur ein?

„Ich bezweifle, dass alle so denken.“

„Es ist okay. Der alte Herr hat einen Deal mit dem Khadri-Clan geschlossen.“

„Was für einen Deal?“, fragte Bram stirnrunzelnd. Bei seiner letzten Begegnung mit Ahmed Khadri hatte der Mann ihm gedroht, ihm die Kehle durchzuschneiden, falls er es wagen sollte, je nach Umm al Basr zurückzukehren.

Während sein Bruder ihm lang und breit erklärte, worum es sich bei dem Deal handelte, beobachtete Bram, wie draußen langsam die Sonne im Meer versank. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Tut mir leid, Bram, aber wenigstens bist du gewarnt.“

„Glaubst du wirklich, ich kann das durchziehen?“

„Das ist nun mal der Preis.“

„Aber ich bin es, der ihn zahlen muss!“ Er atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wie geht es deiner Familie? Dem neuen Baby?“, wechselte er das Thema.

„Alle meine Mädchen sind wohlauf. Safia lässt dich herzlich grüßen und bedankt sich für das Geschenk zur Geburt unserer jüngsten Tochter.“

Nachdem Bram das Gespräch beendet hatte, fegte er ungehalten das Einladungsschreiben vom Schreibtisch. Endlich war sie da, die lang ersehnte Chance, seinen Vater um Verzeihung zu bitten – doch zu welchen Bedingungen! Es brauchte mehr als ein Wunder, um aus der Nummer wieder rauszukommen.

Qa’lat al Mina’a, hoch oben auf einem Felssporn thronend, schimmerte wie eine Fata Morgana im rosigen Schein der untergehenden Sonne.

Weit unten, jenseits des Strands mit dem weiß schimmernden Sand, schipperte eine Dau mit geblähten Segeln die Küste entlang. Bei dem Anblick fühlte Ruby sich in die Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht versetzt. Sie stellte sich vor, sie säße auf einem fliegenden Teppich und nicht in einem ultramodernen schwarzen Helikopter.

Die Illusion wurde jäh zerstört, als sie zur Landung ansetzten.

Auf den ersten Blick wirkte die Zitadelle wie eine malerische Ruine, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Doch hinter den mit Bougainvilleen überwucherten Mauern kamen die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts zum Vorschein, unter anderem eine Satellitenschüssel und ein Mobilfunkmast. Die nötige Energie lieferten beeindruckende Sonnenkollektoren am Fuß des Berges, der in die Wüste auslief.

Unterhalb des Burgturms konnte Ruby jetzt geflieste Höfe, Bogengänge und einen üppigen Garten erkennen. Der riesige Komplex erstreckte sich bis zur Küste. In einem kleinen Hafen lag eine moderne Barkasse in Militärgrau vor Anker. Dies war kein romantischer, verträumter Rückzugsort, sondern das Hauptquartier eines weltweit agierenden Unternehmers.

Nachdem sie gelandet waren, kam ein älterer Mann in einem langen grauen Gewand und mit einem grauen Käppchen auf dem Kopf in geduckter Haltung zum Helikopter gelaufen. Er sah sie überrascht an, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und wechselte dann einen ratlosen Blick mit dem Piloten.

Anscheinend gab es ein Problem, das angepackt werden wollte. Ruby löste ihren Sicherheitsgurt und sprang aus dem Helikopter. „As-salamu alaikum, ich heiße Ruby Dance“, stellte sie sich auf Arabisch vor, wobei sie laut brüllte, um den knatternden Rotorenlärm zu übertönen. „Scheich Ibrahim erwartet mich.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, schulterte sie ihren schicken Arbeitsrucksack und machte sich über den Landeplatz auf den Weg zu der Treppe, die zu dem Hof eine Etage tiefer führte – dicht gefolgt von dem älteren Herrn, der ihren Koffer transportierte.

Ruby atmete tief durch und genoss die weiche, leicht salzige Meeresluft nach langen Stunden im Flugzeug. Zu ihren Füßen erstreckten sich terrassenförmig angelegte Gärten. Mit wildem Wein bewachsene antike Mauern spendeten Schatten, und in den Ritzen zwischen den Treppenstufen wuchsen duftender Thymian und Steinnelken.

Wunderschön, exotisch und völlig unerwartet.

Hinter ihr erhob sich der Helikopter bereits wieder mit lautem Getöse in die Luft. Jetzt saß sie hier fest.

Trotz ihrer selbstbewussten Behauptung, dass sie erwartet wurde, war klar, dass ihr Erscheinen irgendwelche Irritationen auslöste, die es aufzuklären galt.

„Madaam …“

Ein Mann erschien am Fuß der Treppe und blickte zu ihr hoch. Ruby stockte der Atem.

Scheich Ibrahim al-Ansari war nicht länger der goldene Prinz, Erbe des Throns von Umm al Basr und Society-Liebling – ein sorgloser junger Mann, der nichts weiter im Sinn hatte, als seine sportlichen Triumphe in irgendwelchen angesagten Nachtklubs zu feiern.

Nach einem öffentlichen Eklat in London, der weltweit durch die Presse ging, war er von seinem Vater enterbt worden und lebte seit fünf Jahren hier im Exil. Die letzten Jahre hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Harte Linien um den Mund und eine ernste Miene ließen ihn grimmig und unnahbar erscheinen. Und dann war da noch diese Narbe … eine dünne, lange Linie wie von einem rasiermesserscharfen Schnitt zog sich von seiner linken Augenbraue quer über die Wange und verschwand in seinem sauber gestutzten dunklen Bart. Der Effekt dieser Narbe war brutal, aufregend und faszinierend.

Doch trotz der Narbe wirkte er nicht entstellt, dazu war er einfach ein zu gut aussehender Mann mit ebenmäßigen Zügen und einer klaren goldbraunen Haut und dunklen Augen voll hypnotischer Kraft, deren Blick sie sich kaum entziehen konnte.

Seine dunklen, dichten Locken schimmerten feucht.

„Was zum Teufel …?“

Sie stand mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, und er musste seine Augen mit der Hand beschirmen, um sie anzusehen. Geblendet von seiner umwerfenden Erscheinung, konnte sie einen Moment nicht klar denken, und ihr Mund wurde ganz trocken. Wie hypnotisiert beobachtete sie, wie ein Wassertropfen aus seinem Haar über seine breiten Schultern und seine Brust rann. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn sie den Wassertropfen mit der Hand auffing.

Diese Vorstellung war so intensiv, dass sie glaubte, das Kitzeln seiner Brusthaare auf ihrer Haut zu spüren. Instinktiv schloss sie die Hand zur Faust.

Er trug nur ein schmales Handtuch um die Hüften – ein seltsamer Aufzug für einen Scheich.

„Wer sind Sie?“, verlangte er zu wissen.

„Zumindest nicht der Teufel, Scheich“, erwiderte sie schlagfertig. Sie öffnete die Faust und streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin. „Ruby Dance. Die Garland Agentur hat mich als Ersatz für Peter Hammond geschickt, der sich von seinem Unfall erholen muss.“

Scheich Ibrahim starrte düster auf ihre Hand – und ignorierte sie. Irritiert zog er die dunklen Brauen zusammen. „Was für ein Unfall?“

Ruby ließ die Hand sinken. Deshalb die allgemeine Verwirrung bei ihrer Ankunft. Anscheinend hatte sich die Nachricht von Peters Unfall noch nicht herumgesprochen.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Mr. Hammond heute Morgen von seinem Snowboard gestürzt. Man sagte mir, er hätte bereits mit Ihnen gesprochen.“

„Dann hat man Sie falsch informiert. Wie schlimm ist es?“

„Ich weiß nur, dass man ihn per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht hat. Warten Sie bitte, ich schaue mal, ob es schon was Neues gibt.“ Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. „Habe ich hier Empfang?“

Scheich Ibrahim antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Das Display zeigte fünf Balken an. Die Antennen auf dem Hof waren also nicht nur reine Show. Rasch drückte sie die erste Nummer auf ihrer Kontaktliste und wartete, während sie seinen eindringlichen Blick auf sich gerichtet spürte. Er sah sie an, als überlegte er, wo er sie schon mal gesehen haben könnte.

„Ruby? Alles okay?“, meldete sich ihre Chefin Amanda Garland besorgt.

„Aber ja“, schwindelte Ruby.

Doch Amanda ließ sich nicht täuschen. „Spuck’s schon aus, was ist los?“

Ruby schluckte. „Wirklich, es ist alles in Ordnung. Nur … meine Ankunft hier sorgt für Verwirrung. Man hatte Scheich Ibrahim noch nicht über Peters Unfall informiert.“

„Was?“ Amanda klang schockiert. „Tut mir leid, Ruby. Kann ich helfen? Soll ich mit dem Scheich reden?“

„Nein, nein, das ist nicht nötig. Ich wollte mich nur nach Peters Gesundheitszustand erkundigen.“ Nachdem sie eine Weile Amandas Redefluss gelauscht hatte, fügte sie hinzu: „Und welches Krankenhaus? Danke, perfekt. Ich melde mich später wieder.“ Damit unterbrach sie die Verbindung.

„Also?“ Scheich Ibrahim funkelte sie ungeduldig an.

„Peter hat einen komplizierten Beinbruch, einen Sehnenriss am Handgelenk und ein paar gebrochene Rippen. Sie haben ihn wieder so weit zusammengeflickt, dass man ihn in ein oder zwei Tagen nach Hause ausfliegen lassen kann. Amanda hält mich auf dem Laufenden.“

„Wer ist Amanda?“

Mit Höflichkeitsfloskeln hielt er sich offensichtlich nicht auf. Kein Dankeschön dafür, dass sie sich erkundigt hatte. Aber das sollte ihr egal sein. Ruby hatte sich schon vor langer Zeit ein dickes Fell zugelegt und ließ sich ihre Gedanken und Gefühle nicht anmerken.

„Amanda Garland. Besitzerin der Garland Agentur. Peter hat sie beauftragt. Die Garland Agentur vermittelt Zeitpersonal, Nannys und Hausangestellte an eine gehobene internationale Klientel. Ach, Amanda ist außerdem Peters Patentante.“ Sie stopfte das Handy wieder in ihre Tasche und zog stattdessen einen dicken weißen Umschlag heraus. „Hier ist mein Empfehlungsschreiben.“

„Ein Empfehlungsschreiben von jemandem, den ich nicht kenne?“

„Nun, vermutlich geht Peter davon aus, dass Sie seinem Urteil vertrauen.“

„Wie ist es um die Urteilskraft von jemandem bestellt, der mit einem gebrochenen Bein im Schnee liegt?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Ruby ehrlich. Plötzlich überkam sie das übermächtige Bedürfnis, laut loszuschreien. Sie war seit Stunden unterwegs und könnte jetzt zumindest einen Hauch der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundschaft gebrauchen. Und ein paar Minuten für sich allein, um sich zu sammeln. „Ich weiß nur, dass sein erster Gedanke Ihnen galt, damit Sie nicht ohne Assistenten dastehen.“

Statt einer Antwort stieß er nur ein abfälliges Schnauben aus.

Okay, genug …

„Ihr Cousin, der Emir von Ras al Kawi, wird ganz sicher für Amanda bürgen“, informierte Ruby ihn leicht schnippisch. „Prinzessin Violet hat erst jüngst die Agentur beauftragt, eine Nanny für sie zu finden.“

„Ich brauche keine Nanny.“

„Das trifft sich gut, denn ich habe noch nie in meinem Leben eine Windel gewechselt.“ Für diese Bemerkung erntete sie einen spöttischen Blick unter hochgezogenen Brauen. „Dieser Umschlag enthält Referenzen von einigen meiner früheren Arbeitgeber.“

„Noch mehr Leute, die ich nicht kenne?“

Woher sollte sie wissen, ob er die Leute kannte oder nicht? Außerdem war es ihr egal. Der feine Herr Scheich fing an, ihr gehörig auf die Nerven zu gehen. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, sich nicht von ihm provozieren zu lassen.

Jetzt streckte er die Hand aus, um den Umschlag entgegenzunehmen. Energisch riss er die Lasche auf.

Mit undurchdringlicher Miene überflog er die enthaltenen Dokumente. Schließlich wandte er sich an den Mann mit ihrem Koffer und gab einige Anweisungen auf Arabisch, bevor er Ruby ansah und sie im Kommandoton informierte: „Wir treffen uns in fünfzehn Minuten in meinem Büro, Miss Dance.“

Damit drehte er sich um, überquerte mit großen Schritten den Innenhof und verschwand eine Treppe hinab.

Zitternd stieß Ruby die Luft aus.

Wow. Jetzt, wo der Anblick seiner halb nackten, göttergleichen Erscheinung sie nicht mehr betäubte, setzte endlich wieder ihr Verstand ein. Scheich Ibrahim hatte natürlich recht mit seinem Zögern, eine ihm völlig fremde Person mit offenen Armen zu empfangen. Das war keineswegs persönlich gemeint. Bestimmt hatte man in der Vergangenheit schon öfter versucht, in seine Privatsphäre einzudringen, zum Beispiel auf der Jagd nach einer saftigen Skandalgeschichte, die eine Menge Geld einbringen würde. Also war es völlig klar, dass unerwarteten Besuchern hier nicht gerade der rote Teppich ausgelegt wurde. Das konnte sie besser als jeder andere verstehen.

Das sagt sich so leicht, dachte sie, während sie dem Angestellten durch einen antik anmutenden Bogengang und eine Treppenflucht hinunterfolgte. Es fühlte sich dennoch sehr persönlich an.

Am Fuß der Treppe erstreckte sich ein traumhaft schöner Terrassengarten, gegen die glühend heiße Sonne durch eine mit üppig blühendem Wisteria und duftendem Jasmin berankte Pergola geschützt.

Völlig verzaubert blieb Ruby stehen.

„Madaam?“, holte ihr Begleiter sie in die Wirklichkeit zurück.

„Wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich auf Arabisch.

Er verbeugte sich lächelnd. „Mein Name ist Khal, Madaam.“

Sie legte die Hand aufs Herz. „Ismi Ruby.“ Lächelnd deutete sie Richtung Garten. „Jamil, wunderschön.“

„Na’am, ja. Wunderschön“, bestätigte Khal in stark akzentuiertem Englisch. Er drehte sich um und öffnete die Tür zu einer kühlen Lobby. Bevor er diese betrat, schlüpfte er aus seinen Sandalen. Ruby tat es ihm gleich und folgte ihm. Ihr Blick huschte bewundernd über die orientalisch gemusterten Fliesen an der Wand.

Es ging weiter in ein großes, mit bequem wirkenden Möbeln eingerichtetes Wohnzimmer. Khal zog die Außenjalousien hoch und öffnete die Terrassentüren. Dahinter lag ein kleiner, schattiger Hof mit Blick aufs Meer. Tief sog Ruby die weiche Luft ein, die nach Meer und Jasmin duftete. Trotz des frostigen Empfangs, den Scheich Ibrahim ihr bereitet hatte, fühlte sie sich plötzlich rundum wohl.

Als Amanda ihr erzählt hatte, dass Scheich Ibrahim in einem Fort in Ras al Kawi im Exil lebte, hatte sie sich einen unwirtlichen, düsteren Ort vorgestellt. Äußerlich war es das auch, aber hinter den rauen Mauern verbarg sich das reinste Paradies.

Der Mann mochte ja ein Griesgram sein, aber sein Anwesen war einfach märchenhaft. Schade, dass ihr keine Zeit blieb, die Suite zu erkunden. Sie hatte nur ein paar Minuten, um sich frischzumachen, bevor Scheich Ibrahim sie zum Appell in seinem Büro erwartete.

„Schukran, Khal, danke.“ Ruby blickte auf ihre Uhr, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie in Eile war. Mit Händen und Füßen verständigte sie sich mit ihm, um zu erfahren, wo sie das Büro finden konnte. Zum Abschied überschüttete Khal sie noch mit einem Redeschwall auf Arabisch, wovon sie kein einziges Wort verstand.

Bram hatte zwar schon am Strand geduscht, nachdem er im Meer geschwommen war, trotzdem stand er jetzt in seinem Badezimmer unter der eiskalten Dusche. Rubys Anblick – ihre dunkle Silhouette gegen die untergehende Sonne – hatte ihn so sehr aufgewühlt, dass er erst einmal wieder zu sich kommen musste.

Im ersten Moment hatte er sie irrtümlich für Safia gehalten, hatte erwartet, sie sei hier, um ihn über irgendein neues Drama zu unterrichten. Als dann Ruby Dance statt Safia aus dem Schatten getreten war, hatte ihn eine Mischung aus Enttäuschung und Schuldgefühlen wie ein Boxhieb in den Magen getroffen.

Ruby hatte ähnlich dunkles, seidiges Haar wie Safia, allerdings trug sie es kurz und fedrig geschnitten. Ihre Augen waren nicht dunkel, sondern von einem hellen Blaugrau, und sie war etwas größer als Safia. Ihre Stimme klang sanft und melodisch, ihre akzentuierte Sprechweise wies sie als Angehörige der englischen Upperclass aus.

Nur die undurchdringliche Miene, hinter der sie ihre Gefühle verbarg, hatte sie mit Safia gemeinsam.

Zum Gehorsam erzogen, hätte sich Safia klaglos in eine Ehe mit ihm gefügt, um den Frieden zwischen ihren beiden verfeindeten Familien zu wahren. Safia hätte die Rolle der perfekten Ehefrau gespielt, seine Kinder zur Welt gebracht und wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihn zu betrügen, obwohl sie einen anderen Mann liebte.

Die Einladung zur Geburtstagsfeier seines Vaters und das Telefonat mit seinem Bruder hatten verdrängte Erinnerungen in Bram geweckt. Diese Erinnerungen waren so lebendig gewesen, dass er sich fünf Jahre zurückversetzt gefühlt hatte. Fast hätte er Rubys Hand genommen und sie an sich gezogen, um die Rolle einzunehmen, die ihm bestimmt gewesen war.

Die Rolle als Ehemann, Vater und Thronerbe.

Er schüttelte den Kopf, um die verstörenden Gedanken loszuwerden, griff nach einem Handtuch und rieb sich energisch das Gesicht trocken.

Was hatte Ruby Dance über Peter gesagt?

Ein komplizierter Beinbruch, eine gerissene Sehne am Handgelenk, gebrochene Rippen – das Timing hätte nicht schlechter sein können. Wichtige Projekte erforderten seine ungeteilte Aufmerksamkeit, und dann die lang ersehnte Einladung seines Vaters nach fünf Jahren im Exil …

Nachdem Bram sich angezogen hatte, ging er in sein Büro und überflog noch einmal Ruby Dances Referenzschreiben, das die Agentur ihr mitgegeben hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich all die Leute kannte, die ihr eine Empfehlung ausgestellt hatten. Das wollte was heißen. Wenn sie auf diesem Level arbeitete, musste sie wirklich gut in ihrem Job sein.

Nachdem Ruby in Windeseile geduscht und sich umgezogen hatte – sie tauschte den dunklen Hosenanzug gegen einen knielangen Rock und ein leichtes Leinentop –, machte sie sich auf den Weg zu Scheich Ibrahims Büro.

Der Abend brach herein. Über der ruhigen Wasseroberfläche tauchte die untergehende Sonne den Himmel in sämtliche Schattierungen zwischen Rosa und Dunkellila. Winzige Solarlampen, die überall auf den Höfen und im Garten verteilt waren, spendeten ein sanftes gelbes Licht.

Am liebsten wäre Ruby hiergeblieben, um die Magie des Gartens zu genießen. Es war so eine friedvolle Atmosphäre, die bewirkte, dass sie innerlich zur Ruhe kam. Nach einem letzten wehmütigen Blick ging sie eine Etage tiefer, wo an einem knorrigen Granatapfelbaum in einer Ecke noch ein paar schrumpelige Früchte hingen.

Halb hinter einem üppig blühenden Bougainvillea-Busch verborgen, entdeckte sie eine weitere Treppe, die sie rasch hinabstieg. Kurz darauf betrat sie einen in gedämpftes Licht getauchten Innenhof, wo Scheich Ibrahim mit ausgestreckten Beinen in einem bequemen Rattansessel saß, sein Smartphone in der Hand. Das feuchte, lockige Haar war straff zurückgekämmt. Zu lässigen Shorts trug er ein weites T-Shirt.

Auf der anderen Seite eines kleinen Tischs stand ein zweiter Rattansessel.

Ruby hatte sich die Adresse des Krankenhauses notiert, in dem Peter lag, und legte das Kärtchen vor den Scheich auf den Tisch. Dann setzte sie sich, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihren Rocksaum über die Knie hinunterzuziehen.

Scheich Ibrahim sah sie aus seinen beunruhigend glutvollen Augen an, eine steile Falte zwischen den dunklen Brauen. Es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit.

Ruby beherrschte die Kunst des Schweigens perfekt, es war ihre Überlebensstrategie. Sie hatte sich antrainiert, nicht zu blinzeln und selbst penetranten Blicken völlig gelassen standzuhalten, was ihr Gegenüber für gewöhnlich völlig aus dem Konzept brachte.

Doch heute, unter Scheich Ibrahims eindringlichem Blick, fiel es ihr zum ersten Mal schwer, die Fassung zu wahren.

Vielleicht war es der Gedanke an den erotisch aufgeladenen Moment, als der Scheich halb nackt und mit in der Sonne glänzender feuchter Haut vor ihr aufgetaucht war.

Unwillkürlich musste sie an das Skandalfoto von ihm denken, das ihn den Thron gekostet hatte: nackt posierend in einem Londoner Brunnen, den Arm um die Schultern einer jungen Frau in durchscheinend nasser Unterwäsche gelegt, wie er den Inhalt einer Flasche Champagner über sie beide leerte.

Endlich brach der Scheich sein Schweigen und sagte: „Jude Radcliffe hat mir erzählt, dass er Ihnen eine feste Stellung in seinem Unternehmen angeboten hat. Warum haben Sie nicht zugegriffen?“

„Sie haben mit Jude gesprochen?“

„Ist das ein Problem?“ Seine Stimme klang sanft, als wollte er ihr Vertrauen gewinnen. Aber Ruby ließ sich davon nicht täuschen. Hinter der samtweichen Fassade verbarg sich ein stahlharter Kern.

„Nein. Ich wundere mich nur, dass er sich an einem Sonntag in seinem Büro aufhält.“

„Tut er nicht. Wir kennen einander recht gut, und ich habe ihn zu Hause angerufen.“

„Hat er Ihnen erzählt, dass seine Frau früher als Aushilfe für Garland tätig war?“, warf Ruby beiläufig ein, um ihm zu zeigen, dass auch sie mit der Familie gut bekannt war. „Auf diese Weise haben sie sich kennengelernt. Als ich für Radcliffe Tower gearbeitet habe, erwartete sie gerade ihr zweites Baby.“ Sie nahm ihr Smartphone aus der Tasche und checkte ihren Kalender. „Der Geburtstermin ist nächsten Monat.“

„Sie führen Buch über die Leute, für die Sie arbeiten?“

Sie blickte auf. „Darüber, wie sie ihren Kaffee gern trinken, welche Airline sie bevorzugen, den Namen ihres Friseurs, Hemdkragengröße, wichtige Geburtstage. All die kleinen Details, die mich ins Spiel bringen, wenn sie eine Aushilfe für ihre Sekretärin brauchen.“

„Sie stellen Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Erstaunlich, dass Sie so kurzfristig frei waren, um bei mir einzuspringen.“

„Ich hatte eine Woche Urlaub, um zu renovieren.“

„Sie renovieren selbst?“

„Das tun die meisten Menschen.“ Abgesehen von superreichen Scheichs natürlich.

„Und wenn die Woche vorbei ist?“

Brauchte er sie etwa länger hier? Diese Vorstellung fand sie gleichzeitig aufregend und beunruhigend.

„Warten wir einfach ab, wie es läuft, einverstanden?“

Seine Augen verengten sich. „Wollen Sie damit andeuten, ich hätte eine Art Probezeit, Ruby Dance?“

Ja … besser gesagt, nein …

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, sogar die Zikaden unterbrachen ihr durchdringendes Konzert.

Natürlich hatte sie das nicht andeuten wollen, oder doch?

Ruhig durchatmen, Ruby.

„Meine Aufgabe ist es, einzuspringen, wenn es irgendwo brennt. Für einen Tag, eine Woche … Ich war davon ausgegangen, dass Sie eine reguläre Vertretung für Peter haben. Obwohl …“

„Obwohl?“

„Na ja, in dem Fall hätte er sicher nicht seine Patentante um Hilfe gebeten.“

Scheich Ibrahim musterte sie nachdenklich. „Haben Sie auch eine Akte über mich angelegt?“

„Tatsächlich, ja. Aber mir fehlen noch einige Details. Zum Beispiel kenne ich Ihre Kragengröße nicht.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an.

Er schüttelte den Kopf. „Sie bluffen, Ruby Dance.“

„Sie mögen Ihren Kaffee schwarz mit einem halben Teelöffel griechischem Honig. Sie besitzen Ihren eigenen Jet und einen Helikopter – das Emblem auf dem Heck ist schwarz mit einem goldfarbenen arabischen A. Da Sie nur ein- oder zweimal im Monat auf Geschäftsreise gehen, stellen Sie die Maschinen Ansari Air zur Verfügung, der Chartergesellschaft, die Sie vor einiger Zeit gegründet haben. Anscheinend boomt das Geschäft, denn Sie haben Ihre Flotte um zwei weitere Jets und einen Helikopter ergänzt. Falls zufällig mal keine Maschine für Sie selbst zur Verfügung steht, greifen Sie auf Ramal Hamrah Airways zurück. Die Airline gehört Scheich Zahir al-Khatib, einem Cousin mütterlicherseits. Sie haben am 3. August Geburtstag, und der Geburtstag Ihres Vaters ist …“

Er hob die Hand, um ihren Redeschwall zu stoppen.

„Übermorgen.“ Zufrieden, dass sie alles losgeworden war, was sie über ihn wusste, lehnte sie sich zurück. Das Kabinenpersonal war mehr als willig gewesen, die Vorlieben ihres Chefs preiszugeben. Und sie hatte alle Informationen aufgesaugt wie ein Schwamm.

„Sehr beeindruckend. Das beantwortet aber nicht meine Frage.“

„Jude hat mir wirklich ein sehr verlockendes Angebot als Assistentin seines Finanzdirektors gemacht“, erklärte Ruby offen. „Ich ziehe allerdings die Abwechslung vor, die die Anstellung bei einer Zeitarbeitsagentur bietet.“

Wieder dieser lange, nachdenkliche Blick, der bis tief in ihr Inneres zu dringen schien. Nun ja, ein Mann wie er, der sich in wenigen Jahren zum Multimillionär hochgearbeitet hatte, musste nicht nur Börsenberichte interpretieren können, sondern auch die Verhaltensweisen seiner Mitmenschen.

Da er offensichtlich nicht bereit war, ihr seine Kragengröße zu verraten, legte sie ihr Handy beiseite und beugte sich aufmerksam vor.

„Radcliffe hat mich gedrängt, vor Ende Mai einen anderen Ersatz für Peter zu finden“, sagte Ibrahim nach kurzem Zögern. „Er erwähnte etwas von einer Hochzeit.“

„Meine nicht.“

„Nein, ich sehe, Sie tragen einen Ehering. Hat Ihr Mann nichts dagegen, dass Sie wegen Ihrer Arbeit ständig von zu Hause fort sind?“

Nervös befingerte sie den schlichten goldenen Reif an ihrer rechten Hand.

„Das ist ein Familienerbstück. Er hat meiner Großmutter gehört und nach ihr meiner Mutter. Falls ich mich entschließe zu heiraten, werde ich ihn an der linken Hand tragen, wie es bei uns üblich ist.“

Er erwiderte nichts darauf. Na klar, ihm war es sicher völlig gleichgültig, ob sie verheiratet war oder nicht. Und genau so wollte sie es auch haben, deshalb arbeitete sie für eine Zeitarbeitsagentur. Heute hier, morgen dort. Da hatte niemand Lust und Zeit, sich mit dem Privatleben der Angestellten zu beschäftigen. „Ich soll Judes persönliche Assistentin vertreten“, erklärte sie. „Sie heiratet Anfang Juni. Hoffen wir, dass Peter bis dahin wieder einsatzbereit ist.“

In diesem Moment erschien Khal mit einem Tablett, das er auf dem Tischchen zwischen ihnen abstellte.

„Tee, Madaam.“ Mit einer einladenden Geste deutete er auf die kunstvoll gravierte Silberkanne.

„Schukran, Khal. Danke.“ Sie deutete auf die zweite Kanne daneben. „Und was ist das?“

„Pfefferminztee“, erwiderte Scheich Ibrahim, bevor Khal etwas sagen konnte. „Nun bin ich aber erstaunt. Steht in Ihrer Akte über mich nicht vermerkt, welchen Tee ich bevorzuge?“

„Meine Akten werden ständig aktualisiert, Scheich. Zumindest weiß ich, dass Sie Ihren Tee ohne Zucker trinken. Darf ich Ihnen welchen einschenken?“

„Wir reden uns hier mit dem Vornamen an. Alle nennen mich Bram.“

Für sie war das nichts Besonderes, sie war das von den meisten ihrer Arbeitgeber gewohnt. Allerdings hatte sie keinen von ihnen je halb nackt zu Gesicht gekriegt. Eigentlich sollte das egal sein, aber irgendwie war es das nicht.

Um ihre Verlegenheit zu überspielen, blickte Ruby zum samtschwarzen Nachthimmel auf, an dem die Sterne um die Wette funkelten. Als sie ihre Aufmerksamkeit schließlich wieder auf ihr Gegenüber richtete, fiel ihr auf, dass auch er nervös zu sein schien, trotz seiner vermeintlich entspannten Pose. Scheich Ibrahim war nicht der Einzige, der Körpersprache deuten konnte.

„Möchten Sie eine Tasse Tee, Bram?“, brachte sie so gelassen wie möglich hervor.

Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang fühlte sie sich ganz schwindlig. Diese Augen … In den dunklen Tiefen schien es förmlich zu lodern. Was natürlich eine Sinnestäuschung war. Wahrscheinlich spiegelte sich das Licht darin, daher der Eindruck. Oder ihre Fantasie spielte ihr einen Streich in dieser schwülheißen Atmosphäre.

2. KAPITEL

Ein leises Pling – Rubys Signalton für eine eingehende Textnachricht – brach die Spannung.

Bram nickte, und Ruby schaffte es tatsächlich, ihm Pfefferminztee einzuschenken, ohne dabei zu kleckern. Mit sicherer Hand stellte sie das hohe Glas in dem silbernen Halter vor ihn hin.

Gedankenverloren griff Bram nach der Karte, auf der sie die Adresse des Krankenhauses notiert hatte, in dem Peter lag. „Er ist in Gstaad. Vor ein paar Jahren wurde ich auch dort behandelt, als ich mir den Knöchel gebrochen hatte.“

„Oh, den Ort werde ich also lieber meiden wie die Pest“, scherzte sie leichthin. „Das scheint ein gefährliches Pflaster zu sein.“

Damit erntete sie nur einen düsteren Blick. Anscheinend fand Bram ihre Bemerkung gar nicht komisch. Na ja, wie auch. Er, der gefeierte Ski-Champion, der es gewohnt war, in engen Lycra-Anzügen halsbrecherische Pisten hinabzubrettern, als handelte es sich um einen Waldspaziergang.

„Ja, kann sein“, kommentierte er abwesend. In Gedanken schien er ganz woanders zu sein. Wahrscheinlich erinnerte er sich gerade voller Wehmut an die Zeit, als er Sportass, Medienliebling und Thronerbe gewesen war.

„Es tut mir leid.“

Er fragte sie nicht, was ihr leid tat, und sie hätte auch nicht wirklich eine Antwort darauf gewusst. Wenn er Ski laufen oder Polo spielen wollte, gab es nichts, was ihn daran hinderte. Außer der Scham, seine Familie bis auf die Knochen blamiert zu haben. Hatte er tatsächlich deswegen sein glamouröses Jetset-Leben aufgegeben und sich hier in dieser Einöde vergraben?

Oder bedeutete der Hunger in seinen Augen, dass er sich mehr als alles andere danach sehnte, wieder in den Schoß seiner Familie aufgenommen zu werden, um das zurückzugewinnen, was er verloren hatte?

Er legte die Karte auf den Tisch. „Rufen Sie im Krankenhaus an und geben Sie vorsorglich sämtliche Details über Peters Krankenversicherung durch. Machen Sie klar, dass alles, was er darüber hinaus benötigt, überhaupt kein Problem darstellt. Für die Kosten komme selbstverständlich ich auf. Und setzen Sie sich mit seiner Mutter in Verbindung“, fuhr er fort, während sie sich eifrig Notizen auf ihrem Tablet machte. „Sobald er transportfähig ist, wird er ja nach England ausgeflogen. Arrangieren Sie dafür einen privaten Ambulanz-Jet, der ihn dorthin bringt, wo er am besten aufgehoben ist.“

„Wollen Sie noch eine private Nachricht an Peter hinzufügen?“

„Was denn, zum Beispiel? Du bist ein ungeschickter Trottel?“, schlug er vor, ohne zu lächeln.

Sie sah auf. „Blumen vielleicht?“

„Was denken Sie?“

Was sie dachte? Nun, sie dachte, dass Peter nicht mit dem Snowboard verunglückt war, um seinen Boss zu ärgern. Obwohl … sie an seiner Stelle hätte sich womöglich lieber das Bein gebrochen als einen Tag länger für diesen ungehobelten Bram Ansari zu arbeiten.

Laut sagte sie: „Gute Besserung wäre die übliche Formulierung, aber unter Männern ist der Ton wohl rauer. Ich bin sicher, er wird die Botschaft verstehen.“

Sie jedenfalls hatte die Botschaft verstanden. Doch trotz des unterkühlten Empfangs empfand sie ein bisschen Mitleid mit dem Scheich. Schlimm genug, wenn die tägliche Routine durch äußere Umstände durcheinandergebracht wurde. Noch ärgerlicher war es, sich mit einer völlig fremden Person abgeben zu müssen, noch dazu in den eigenen vier Wänden.

Er mochte ja ein arroganter Kerl sein, aber ihre Aufgabe war es, Peter so gut wie möglich zu vertreten, um dem Scheich größere Unannehmlichkeiten zu ersparen. Und sie war professionell genug, diese Aufgabe zu erfüllen, mit oder ohne seine Kooperation.

„Zweifellos kann er es genauso wenig abwarten, wieder auf die Beine zu kommen, wie Sie seine Rückkehr nicht abwarten können“, stellte sie klar. „Leider dauert es nun mal seine Zeit, bis ein Knochen wieder zusammenwächst.“

„Das ist mir bewusst. Dummerweise managt Peter den gesamten Betrieb von Qa’lat al Mina’a. Ohne ihn gehen uns die Vorräte aus.“

„Ich nehme an, alles wird aus der Stadt eingeflogen?“ Das konnte sie mit links arrangieren, kein Problem. „Was haben die Menschen hier früher gemacht?“

„Geangelt, Vieh gezüchtet. Und es gab Karawanen, die Reis, Gewürze und alles andere, was sie brauchten, hertransportiert haben.“ Wieder bedachte er sie mit seinem durchbohrenden Blick. „Haben Sie schon mal einem Huhn den Hals umgedreht? Oder eine Gans geschlachtet?“

„Warum?“, fragte sie nüchtern. Sie gönnte ihm nicht die Genugtuung, bei seiner Frage kindisch zu erschauern. „Gehört das zur Jobbeschreibung?“

„Eine eng umrissene Jobbeschreibung existiert nicht. Peter verfügt über uneingeschränkte Befugnisse, er fungiert hier gewissermaßen als Mädchen für alles.“

Das war als Herausforderung an sie gemeint, erkannte Ruby. War sie diesem Job gewachsen?

Mit der unaufgeregten Gewissenhaftigkeit, die ihr normalerweise im Umgang mit schwierigen Kunden half, kam sie bei Bram nicht weiter. Sie saßen hier beide in der Falle, bis einer von ihnen einknickte und den Helikopter anforderte.

„Wie viel Gänse genau hat Peter denn schon eigenhändig geschlachtet?“

Seine dunklen Augen blitzten, und um seine Mundwinkel zuckte es kaum merklich. Kein Lächeln, sondern eher eine Warnung, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab.

„Eine? Zwei?“, bohrte sie nach, weil er nicht antwortete. „Oder mehr?“

„Dieser Kelch ist bis jetzt an ihm vorübergegangen, weil er klug genug war, stets für ein gut gefülltes Kühlhaus zu sorgen.“

„Welch ein Glück für ihn und die armen Gänse“, kommentierte sie spitz. „Wenn Sie mir sein Büro zeigen, werde ich versuchen, seinem Beispiel zu folgen.“

Diese Runde hatte sie gewonnen, denn der Scheich winkte unwirsch in Richtung einer Glastür, die vom Hof abging.

„Und wo ist Ihr Büro?“, fragte sie.

„Immer da, wo ich mich gerade aufhalte.“ Damit lehnte er sich zurück und schloss die Augen.

Ohne dem Frieden so recht zu trauen – schließlich hatte sie gerade lediglich einen Punktsieg errungen –, nahm sie ihren Tee, überquerte die Terrasse und betrat Peters Büro, ohne zu vergessen, vorher die Schuhe auszuziehen. Fast hatte sie erwartet, eine typische Männerhöhle vorzufinden. Stattdessen war der Raum penibel aufgeräumt und wirkte in seiner Schlichtheit schon fast asketisch.

Der einzige Farbfleck war der bunte Orientteppich auf dem hellen Fliesenboden. Die steinernen Wände waren kahl bis auf einige Schwarz-Weiß-Fotografien, allesamt spektakuläre Naturaufnahmen.

Die einzige Möblierung bestand aus einem massiven Holzschreibtisch mit einem ergonomischen Bürosessel dahinter. Die Schreibtischoberfläche war leer, nur ein ultramoderner Laptop stand darauf, der natürlich mit einem bombensicheren Passwort geschützt war.

Mit einer solchen Situation war sie nicht das erste Mal konfrontiert. Jetzt hieß es nachdenken. Die meisten Menschen notierten sich komplizierte Passwörter auf einem Zettel und versteckten diesen an einem vermeintlich sicheren Ort. Den musste sie finden. Wahrscheinlich zählte Scheich Ibrahim schon die Sekunden und wartete schadenfroh auf den Moment, bis sie um Hilfe rief. Was sie unbedingt vermeiden wollte.

In den Schreibtischschubladen fand sie nichts außer Lakritze in allen Sorten, edler Schreiber und geschmackvoll eingebundener Notizbücher. Auch unter dem Auszug direkt unter der Schreibtischplatte war kein Umschlag mit einem Passwort festgeklebt.

Ein begehbarer Schrank im hinteren Teil des Büros enthielt Büromaterial und sorgfältig in Regale einsortierte Aktenordner. Auf einer Kommode befanden sich ein Drucker und ein Scanner.

Ruby griff nach dem Ordner mit der Aufschrift „Krankenversicherung“ und nahm ihn zum Schreibtisch mit. Nachdem sie die Unterlagen gefunden hatte, die sie brauchte, wurde ihr bewusst, dass es kein Telefon gab. Natürlich nicht, in dieser Einöde konnte sie keine Festnetzleitung erwarten. Kein Problem, sie würde ihr Smartphone benutzen. Die Kosten setzte sie dann mit auf die Rechnung.

Erst jetzt entdeckte sie die SMS-Nachricht von Peters Mutter.

Amanda hat mir Ihre Nummer gegeben, Ruby, damit ich Ihnen das Passwort von Peters Laptop schicken kann. Es lautet pOntefr@ct. Übermitteln Sie mir bitte die Details seiner Krankenversicherung, sobald Sie einen Moment Zeit haben? Viel Glück! Elizabeth Hammond.

Ruby schmunzelte. Pontefract. Ein bekannter Lakritz-Hersteller.

Sie tippte das Passwort ein und war drin.

„Danke, Peter!“, sagte sie und rief sofort Elizabeth Hammond an, um die erbetenen Informationen durchzugeben. Elizabeth berichtete, dass es sich um einen glatten Bruch ohne Komplikationen handelte. Trotzdem würde es einige Wochen dauern, ehe Peter wieder einsatzfähig war. Am Schluss wollte sie noch eine Bemerkung über Scheich Ibrahim machen, kam aber nicht weiter als bis zu „Bram Ansari ist …“, als es bei ihr an der Tür klopfte und sie das Gespräch beenden musste.

Es blieb Rubys Fantasie überlassen, den Satz zu ergänzen. Bram Ansari ist ein schwieriger Arbeitgeber? Bram Ansari ist eine richtige Plage? Bram Ansari ist ein echtes Sahneschnittchen? Wobei Letzteres die beiden ersten Aussagen nicht ausschloss. Ruby wusste nur zu gut, dass ein attraktives Äußeres nichts über den wahren Charakter eines Mannes aussagte.

Bram beobachtete unter gesenkten Lidern, wie Ruby ihr Teeglas nahm und in Peters Büro verschwand. Irgendetwas an ihr beunruhigte ihn. Es hatte nichts mit dem Schock zu tun, als er sie im ersten Moment versehentlich für Safia gehalten hatte. Er konnte es nicht näher definieren.

In ihrem Job schien sie ziemlich gut zu sein. Jude Radcliffe, der sich sonst mit Lobeshymnen eher zurückhielt, hatte sich völlig begeistert über sie geäußert. Das wollte was heißen. Offensichtlich hatte Ruby ein Gedächtnis wie ein Elefant, behielt in Krisensituationen einen kühlen Kopf und war verschlossen wie eine Auster. Bram hatte alles versucht, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, einen Blick hinter ihre Maske aus Professionalität zu erhaschen, vergeblich.

Eine derartige Selbstbeherrschung war selten und in der Regel sorgfältig antrainiert. Was bedeutete, dass sie etwas zu verbergen hatte.

Er tippte ihren Namen in das Eingabefenster einer Suchmaschine. Nichts, außer einem Link zu einem Tanzstudio. Auch das war ziemlich ungewöhnlich. Als Nächstes jagte er ihren Namen durch ein spezielles Suchprogramm, das er benutzte, wenn er die Kreditwürdigkeit eines Geschäftspartners überprüfen wollte. Ebenfalls Fehlanzeige.

Kein Hinweis auf die Mitgliedschaft in irgendwelchen sozialen Netzwerken, keine Auskunft über ihre Kreditwürdigkeit. Das hieß, sie besaß vermutlich keine Kreditkarte. Jedenfalls nicht auf ihren Namen. Höchste Zeit, mal nachzusehen, was sie da so lange in Peters Büro treibt, dachte Bram alarmiert.

Er wollte gerade aufstehen, da klingelte sein Handy.

Die Stimme am anderen Ende klang schleppend, ein wenig schläfrig, aber es war unmissverständlich Peter.

„Peter …“ Überflüssig, sich zu erkundigen, wie es ihm ging. „Ich vermute, du hast versucht, einer langbeinigen Schweizerin zu imponieren?“

„Ertappt. Nächstes Mal bleib ich lieber im Bett und überlasse es ihr, mir zu imponieren.“

„Guter Plan. Wie lautet die Prognose?“

„Langeweile, Physio, Langeweile, Physio – und das über Wochen. Wie macht sich Ruby? Ist sie überhaupt schon bei dir aufgeschlagen?“

„Mach dir keine Sorgen, alles okay. Im Moment hockt sie im Büro über deinem Laptop und versucht verzweifelt, dein Passwort zu knacken. Ich wollte sie gerade retten gehen, als du angerufen hast.“

„Sie braucht keinen Retter, glaub mir. Garland beschäftigt nur die Crème de la Crème der Business-Welt. Ihr Job ist es, dich zu retten. Die Garland-Girls werden für ihre Professionalität geschätzt.“ Nach einem kurzen Hustenanfall fügte er hinzu: „Und sonst? Alles klar?“

„Alles klar, natürlich.“

Doch Peter ließ sich nicht täuschen. „Ich höre doch an deiner Stimme, dass etwas nicht stimmt. Raus mit der Sprache, was ist los?“

Bram seufzte. „Na ja, die gute Nachricht ist, dass ich zum Geburtstagsempfang meines Vaters eingeladen bin.“

„Und die schlechte, dass Ahmed Khadri dir auf der Stelle den Hals umdreht, sobald du ihm unter die Augen kommst.“

„Vielleicht doch nicht. Hamad hat angerufen, um mich vorzuwarnen, dass mein Vater einen Deal mit Khadri gemacht hat. Safia hat meinem Bruder bis jetzt keinen Sohn geboren, und Khadri will unbedingt einen männlichen Erben. Der Preis für meine Rückkehr ist, dass ich Safias kleine Schwester Bibi Khadri heiraten soll.“

„Ups, es gibt viele Wege, einem Mann den Garaus zu machen …“

„Wie ich es auch drehe und wende, ich habe so oder so verloren. Wenn ich gehe, wächst damit Khadris Einfluss am Hof – ganz abgesehen von dem saftigen Brautpreis, den er zweifellos von mir verlangen wird. Wenn ich wegbleibe, wird mein Vater das als persönliche Beleidigung auffassen, und jede Chance auf Versöhnung ist dahin. Ich wette, Khadri kann sich gar nicht entscheiden, welche Variante ihm besser gefällt.“

„Wer weiß davon?“

„Niemand. Hamad hat nur Wind davon gekriegt, weil Bibi ihrer Schwester eine Nachricht zugeschmuggelt hat.“

Er war offensichtlich nicht der Einzige, den es vor dieser Verbindung graute.

„Okay, lass mich überlegen. Falls du nun mit einer Ehefrau im Schlepptau auftauchst …“

„Du fantasierst, Peter. Schlaf deinen Medikamentenrausch aus.“

„Keine richtige Ehefrau, nur ein Fake, eine Ehefrau auf Zeit. Wie der Zufall es will, steht dir eine zur Verfügung.“

„Ach? Und wer soll das sein?“

„Ruby.“

Ruby hatte gerade Peters sämtliche Termine der kommenden Wochen ausgedruckt und säuberlich abgeheftet, als Bram Ansari auftauchte.

„Wie ich sehe, haben Sie Peters Passwort gefunden. Alle Achtung“, bemerkte er anerkennend. „Hatte er es sich irgendwo notiert?“

Sie zählte stumm bis drei, bevor sie aufblickte. Bram lehnte lässig im Türrahmen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Sein wachsamer Blick jedoch strafte die lässige Pose Lügen.

„Nein.“

„Und trotzdem sind Sie reingekommen. Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“

Es juckte Ruby in den Fingern, ihn in dem Glauben zu lassen, dass sie das Passwort geknackt hatte. Aber solche Spielchen trugen nicht zu einer harmonischen Zusammenarbeit bei. Und darauf legte sie großen Wert.

„Ich bin gut, Bram, aber so gut nun auch wieder nicht. Peter hat seine Mutter beauftragt, mir sein Passwort zu senden.“

„Das hat er gar nicht erwähnt. Ich habe nämlich gerade mit ihm telefoniert.“

„Vielleicht hat er es vergessen. Oder er wollte mir Gelegenheit geben, mit meiner Genialität zu glänzen. Wie geht es ihm?“

„Er ist noch ziemlich zugedröhnt von all den Schmerzmitteln. Und er redet zu viel für jemanden, der sich ausruhen sollte.“

„Haben Sie sich denn ausgeruht, als Sie sich Ihren Knöchel gebrochen haben?“

Ein angedeutetes Schulterzucken. „Langeweile macht erfinderisch.“

Jetzt schmunzelte er. Es war fast, als hätte er einen privaten Scherz mit ihr geteilt, und sie musste ebenfalls lächeln. Das war nicht die einzige Reaktion ihres Körpers. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch, und ihr Herz hüpfte aufgeregt.

„Er hat angerufen, um sich zu erkundigen, ob Sie gut angekommen sind – und um Sie in den höchsten Tönen zu loben.“

„Wie nett von ihm. Zum Dank werde ich ihm ein ganzes Paket mit seiner Lieblingslakritze schicken.“

„Ah, Sie haben nicht lange gebraucht, um seine Schwäche zu entdecken.“

„Eine Schwäche, die ich mit ihm teile, wie ich gestehen muss.“ Sofort kam sie sich albern vor, weil er nichts darauf erwiderte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, redete sie rasch weiter. „Ich habe mit seiner Mutter telefoniert und ihr die Angaben über seine Krankenversicherung durchgegeben. Es wird wohl Wochen dauern, bis er wieder die vielen Treppen hier schafft.“

„Er kommt nicht zurück.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Sein Vater war früher mal Botschafter in Umm al Basr, da war Peter noch ein Kind. Peter liebt die Wüste. Nach Abschluss seines Studiums wusste er nicht, was er anfangen soll, also habe ich ihm angeboten, herzukommen, als mein Assistent. Na ja, weil ihm zu der Zeit nichts Besseres einfiel, hat er mein Angebot angenommen, und eine Zeitlang hat ihm der Job wohl auch Spaß gemacht.“ Er deutete auf die Fotografien an der Wand. „Inzwischen verbringt er allerdings mehr Zeit mit seiner Kamera in der Wüste als am Schreibtisch.“

„Die Aufnahmen stammen von Peter? Er scheint sehr talentiert zu sein.“

„Ja. Höchste Zeit für ihn, das ernsthaft zu verfolgen. Wäre ich nicht so beschäftigt gewesen, hätte ich ihn schon letztes Jahr rausgeschmissen.“ Er blickte auf die Mappe in ihrer Hand. „Was ist das?“

„Ein detaillierter Terminplan für morgen und eine Zusammenfassung der Termine der kommenden Woche. Keine Ahnung, wie Peter das gehandelt hat, ich drucke die Übersicht immer aus.“

„Erzählen Sie, was liegt an?“ Er löste sich vom Türrahmen und kam herein.

Rasch ratterte sie die Termine herunter, die sie sich notiert hatte. „Ganz wichtig ist das Charity Dinner morgen Abend hier in Ras al Kawi. Gastgeber sind Scheich Fayad und Prinzessin Violet.“

„Das darf ich auf keinen Fall verpassen.“ Er nahm ihr die Mappe aus der Hand und überflog die Liste. „Haben Sie etwas Passendes anzuziehen für ein offizielles Dinner?“

Fast hätte sie überrascht nach Luft geschnappt. „Sie wollen, dass ich Sie begleite?“ Normalerweise gehörte das nicht zu ihren Aufgaben. Und normalerweise hatten die Männer, für die sie arbeitete, dafür spezielle Begleiterinnen, wenn sie nicht gerade verheiratet waren. Begleiterinnen mit Designerklamotten und teurem Schmuck.

Er sah sie scharf an. „Hm, ich dachte, die Garland Girls erledigen jede Aufgabe mit höchster Professionalität. Muss ich jetzt enttäuscht sein, Ruby?“ Sein intensiver Blick ließ sie erschauern.

„Jede Aufgabe, die legal, ehrenhaft und schicklich ist“, bemerkte sie mit einem gezwungenen Lächeln.

Bram gab ihr die Mappe zurück. „Rufen Sie in Prinzessin Violets Büro an und bitten Sie darum, dass man Ihnen ein paar Modelle ihrer letzten Kollektion schickt.“

„Ich habe ein Kleid“, versicherte sie rasch. Selbst das simpelste von Prinzessin Violets Designerkleidern kostete vermutlich mehr, als sie im Monat verdiente.

„Lassen Sie mich raten. Es ist schwarz.“

Schwarz war praktisch und passte zu vielen Gelegenheiten. „Mit einem schwarzen Kleid ist eine Frau immer gut angezogen. Es ist das Äquivalent zum Dinnerjacket.“

„Also ein langweiliges schwarzes Kleid.“

„Ich bin hier, um zu arbeiten, und nicht, um zu flirten.“

„Fein, das kommt mir sehr entgegen.“ Er hielt ihren Blick für einen Moment fest, bevor er sagte: „Es gibt da eine Entwicklung, die es nötig macht, den Terminplan zu ändern. Aber erst sollten wir essen.“

Nein, nein, nein …

Kein lockerer Austausch am Arbeitsplatz. Bloß keinem die Gelegenheit dazu geben, sie zu fragen, woher sie kam und wo ihre Familie lebte. Der ganze Smalltalk, der dazu diente, abzuchecken, ob man gesellschaftlich zusammenpasste.

„Kommen Sie.“ Bram streckte ihr die Hand hin. Plötzlich klang er wie ein waschechter Prinz, befehlsgewohnt und autoritär. „Nehmen Sie Ihren Kalender mit.“

Der Kalender. Natürlich. Es handelte sich ja um ein Arbeitsessen. Bram wollte sie nur an seiner Seite haben, damit sie ihn über seine Kontakte auf dem Laufenden hielt. Eine ihrer leichtesten Übungen. Ruby holte einmal tief Luft, sammelte ihre Sachen zusammen und folgte ihm.

Fest davon überzeugt, dass er ihr galant die Hand auf den Rücken legen würde, bereitete sie sich innerlich darauf vor, um im entscheidenden Moment nicht wie elektrisiert zusammenzuzucken.

Doch er tat es nicht.

Wieso war sie jetzt bloß so enttäuscht?

Er ging dicht neben ihr, so dicht, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Alle ihre Antennen waren auf ihn ausgerichtet. Seinen aufregenden Duft, eine faszinierende Mischung aus Mann und frischer Meeresbrise. Die winzigen Jasminblüten, die ihm auf die Schultern gerieselt waren, als er im Vorbeigehen einen üppig blühenden Busch gestreift hatte.

Nein …

Das Wort hallte so laut in ihrem Innern nach, dass sie sich fragte, ob sie es womöglich laut ausgesprochen hatte. Bram sah sie auf einmal auch so seltsam an.

Was war denn nur los mit ihr? Sie konnte den Mann doch gar nicht ausstehen. Trotzdem war sie nicht imstande, sich seiner magnetischen Ausstrahlung zu entziehen.

Du bist hier, um zu arbeiten, rief Ruby sich streng in Erinnerung.

Konzentrier dich auf deinen Job.

„Wie gestalten Sie für gewöhnlich Ihren Tag?“, erkundigte sie sich in verbindlich geschäftsmäßigem Ton.

„Hm … Peter steht meistens sehr früh auf und geht als Erstes ein paar Runden schwimmen. Und falls er danach nicht den Sonnenaufgang in der Wüste fotografiert, checkt er die E-Mails, die über Nacht eingegangen sind.“ Er sah sie an. „Laufen Sie, Ruby?“

„Nur, um einen Bus zu erwischen“, gab sie lachend zurück, konnte Bram mit ihrer scherzhaft gemeinten Bemerkung jedoch nicht mal ein Lächeln entlocken.

„Schwimmen?“

„Nicht im Meer.“

„Es gibt einen Pool.“ Falls er ihr Erschauern bemerkte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Außerdem steht Ihnen ein komplett ausgestatteter Fitnessraum zur Verfügung, falls Sie das vorziehen.“

„Nein danke. Ich halte mich in Form, indem ich zu Fuß zur Arbeit gehe, falls es sich ergibt, und die Treppen statt des Lifts benutze. Außerdem besuche ich einmal die Woche einen Stepptanz-Kurs, wenn ich zu Hause bin.“ Wieder bedachte er sie mit einem dieser Blicke, die sie ganz kribbelig machten. „Das ist billiger als eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, und die Schuhe sind hübscher.“

„Hier gibt es mehr als genug Treppen.“ Jetzt lächelte er doch tatsächlich!

Ruby hatte sich schon gefragt, ob er überhaupt wusste, wie das ging. Sie war so überrascht und gleichzeitig fasziniert, dass sie eine Stufe verpasste und ins Straucheln geriet. In Panik suchte sie nach Halt … und fand sich im nächsten Moment an Brams starker Schulter wieder, das Gesicht in den weichen Stoff seines T-Shirts gepresst. Die Mischung aus sonnengetrockneter Wäsche und warmer Haut machte sie ganz schwindlig.

„Entschuldigung.“ Ihre Wangen brannten vor Verlegenheit, und sie fuhr zurück. „Anscheinend kann ich nicht gleichzeitig laufen und sprechen.“

„Die Treppe ist alt, und die Stufen sind uneben.“ Die Intimität ihrer Berührung schien ihn überhaupt nicht aus dem Konzept zu bringen.

Rubys Herz pochte wild, während sie sich seiner harten Schenkel und seines Waschbrettbauchs nur zu deutlich bewusst war.

„Vielleicht wäre es das Beste, Sie halten sich mit Schwimmen fit, solange Sie hier sind.“ Er legte ihr die Hände um die Schultern, um sie zu stützen, und trat einen Schritt zurück. „Falls Sie keinen Badeanzug mitgebracht haben, lassen Sie sich einen schicken. Sie werden über eine kleine Abkühlung im Meer froh sein, wenn das Wetter heißer wird.“

Ruby fürchtete sich nicht vor heißem Wetter, damit wurde sie fertig. Was sie über ihren mehr als heißen neuen Boss nicht behaupten konnte.

Sie winkte ab. „Für eine Woche lohnt sich das nicht.“

Die Treppe war jetzt so eng, dass sie nicht mehr nebeneinander gehen konnten, also lief Bram vor. Als er sich jetzt umdrehte, um ihr zu antworten, sah er Ruby direkt in die Augen. „Und wenn ich länger als eine Woche brauche?“

Tapfer ignorierte sie den Aufruhr der Schmetterlinge in ihrem Bauch und erwiderte ohne mit der Wimper zu zucken seinen Blick. „Wenn das so weitergeht, bezweifle ich, dass ich länger als vierundzwanzig Stunden hierbleibe.“

Keiner von beiden brach den Blickkontakt. Es waren die längsten zehn Sekunden ihres Lebens.

Schließlich fragte Bram: „Ist das so, oder sind Ihnen nur die schlauen Antworten ausgegangen?“

„An Ihrer Stelle würde ich nicht drauf wetten.“

Dieses Mal huschte nur die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, das seine Züge plötzlich erstaunlich weich wirken ließ. Denselben Effekt hatte es übrigens auf ihre Knie …

„Nein …“ Einen Moment wirkte er um Worte verlegen. „Sollen wir jetzt essen?“

„Gute Idee.“

Noch ein paar Schritte, dann hatten sie endlich die Enge der Treppenflucht hinter sich und betraten eine große Terrasse, von wo aus ein paar Stufen direkt zum Strand führten.

Ein Tisch war mit einer weißen Leinendecke, einem Blumenarrangement und Kerzen in geschliffenen Glaswindlichtern festlich gedeckt. Das schlichte, moderne Silberbesteck funkelte im Schein der Kerzen. Das Plätschern der Wellen, die ans Ufer rollten, wirkte beruhigend und einlullend.

Die Szenerie war märchenhaft exotisch … und so ganz anders als das, was Ruby normalerweise am Ende eines Arbeitstags erwartete. Ein breites Lächeln um die Lippen, rückte Khal ihr einen Stuhl zurecht. Nachdem sie sich gesetzt hatte, wandte er sich an Bram.

Nachdem die beiden Männer eine Weile auf Arabisch hin und her diskutiert hatten, sagte Bram: „Antares.“

„Ruby?“ Khal sah sie fragend an. Anscheinend ging er davon aus, dass sie seinen Wortwechsel mit dem Scheich verstanden hatte, was nicht der Fall war.

„Ähm … was?“

„Khal fragt, ob Sie morgen früh ausreiten möchten.“

„Ausreiten?“ Sofort fühlte sie sich in sorglose Kindertage zurückversetzt. Mit einem Anflug von Wehmut dachte sie an das knuddelige kleine Shetland-Pony, das sie zu ihrem vierten Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

„Können Sie reiten?“, hakte Bram nach, weil sie nicht antwortete.

„Ich habe seit Jahren nicht mehr auf einem Pferderücken gesessen. Und in Anbetracht von Peters Unfall musste ich Amanda versprechen, mich von sämtlichen gefährlichen sportlichen Aktivitäten fernzuhalten, solange ich hier bin.“

„Das Leben selbst ist lebensgefährlich, Ruby.“ Er hielt ihren Blick einen Moment fest, aber weil sie nichts erwiderte, wandte er sich wieder an Khal und sagte etwas auf Arabisch.

Der Mann verbeugte sich, wünschte ihnen eine gute Nacht und überließ sie ihrem Abendessen.

„Antares?“ Ruby breitete die gestärkte Stoffserviette über ihren Schoß. „Sie nennen Ihre Pferde nach den Sternen?“

„Nur die am hellsten strahlen. Antares, Rigel, Vega, Hadar, Altair, Adhara. Das waren meine Polo-Pferde.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte sie verkaufen sollen, als ich England verlassen habe. Inzwischen sind sie fett und faul geworden.“

„Nicht so einfach, oder? Irgendwann werden Tiere zu richtigen Familienmitgliedern.“

In diesem Moment erschien eine Frau mit einem Tablett.

„Ruby, das ist Mina“, stellte Bram die Frau vor. „Sie ist eine exzellente Köchin, spricht aber nur wenige Worte Englisch. Ihr Mann, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter sind ebenfalls hier im Fort beschäftigt.“

„As-salamu-alaikum, Mina.“

Mina antwortete mit einem Wortschwall auf Arabisch und einem strahlenden Lächeln.

„Sie freut sich, Sie kennenzulernen“, übersetzte Bram, während er ihnen aus einem Krug Fruchtsaft einschenkte. „Sie sprechen Arabisch?“

„Ein bisschen. Während meiner Einsätze in Dubai und Bahrain habe ich ein paar Brocken aufgeschnappt. Unterwegs hierher habe ich noch einen Online-Kurs gemacht. Es ist ein langer Flug.“

„Dann stimmt das Gerücht also.“

„Welches Gerücht?“

„Peter meinte, dass es als eine Art Statussymbol zu betrachten ist, ein Garland Girl zu beschäftigen.“

Sie verdrehte die Augen. „Irgendeine Zeitung hat diesen grässlichen Ausdruck aufgebracht. Erinnert mich sehr an Playboy Bunny.“

Ruby sah ihm an, dass er ein Grinsen unterdrücken musste. „Lachen Sie ruhig, das ist okay. Ich bin siebenundzwanzig, also kaum mehr ein Mädchen. Oder ein Bunny.“

„Hm, darauf muss ich Ihnen leider die Antwort schuldig bleiben.“ Er hielt ihr eine Platte hin. „Kosten Sie mal davon.“

Sie nahm eine der heißen, knusprigen Pasteten und biss hinein. Fast hätte sie vor Vergnügen gestöhnt, so gut schmeckte ihr das salzige Gebäck. Vermutlich hatte jede einzelne Pastete vier Millionen Kalorien, aber die würde sie bei dem ständigen Treppenlaufen hier schnell wieder loswerden.

„Und? Schmeckt’s?“

„Einfach fabelhaft.“

„Den Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört. Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie eine dieser exklusiven Boarding Schools besucht, wo die britische Upperclass ihre Sprösslinge parkt.“

„Was soll das werden?“, erwiderte sie mit einem Lächeln, das die Tatsache überspielen sollte, dass sie seine Frage nicht beantwortete. „Wie du mir, so ich dir? Ich weiß, wie Sie Ihren Kaffee mögen, also haben Sie mich im Gegenzug gegoogelt?“

„Und wenn, Ruby Dance“, konterte er mit gefährlich sanfter Stimme, „was hätte ich dann wohl gefunden?“

Ihre Haut prickelte, und der Mund wurde ihr trocken.

Er hatte ihren Namen gegoogelt … All ihre guten Referenzen hatten nicht verhindern können, dass er auf eigene Faust recherchierte.

„Nicht besonders viel“, erwiderte sie tonlos.

„Das impliziert, dass es irgendetwas zu finden gibt.“ Er lehnte sich zurück. „Nun, bisher habe ich nichts gefunden. Wenn ich aber noch etwas tiefer grabe, wird sich das schon ändern. Warum ersparen Sie mir nicht ganz einfach die Mühe und erzählen mir, wer Sie wirklich sind?“

Das war das erste Mal, seit sie bei Garland arbeitete, dass jemand ernsthaft ihre Vertrauenswürdigkeit infrage stellte. Plötzlich war die Atmosphäre zwischen ihnen zum Zerreißen gespannt.

Mühsam löste sie ihre Zunge vom Gaumen und sagte: „Ich habe meinen Namen aus familiären Gründen geändert.“

„Eine Klausel in einem Testament? Oder hat Ihre Mutter wieder geheiratet?“

Sie schüttelte den Kopf. Verführerisch, auf eine dieser einfachen Antworten anzubeißen. Doch das würde Ruby nicht tun. Denn sie wusste, das war ein Test. Sie musste bei der Wahrheit bleiben. „Es gab da einen Skandal, in den mein Vater verwickelt war. Reißerische Schlagzeilen. Neugierige Reporter, die nicht mal davor zurückschreckten, die Mülltonnen zu durchwühlen, und die Nachbarn dafür bezahlten, aus dem Nähkästchen zu plaudern.“

Mit hochgezogenen Brauen sah er sie an, eine stumme Aufforderung, weiterzusprechen.

„Amanda Garland kennt meine Geschichte. Ihr guter Ruf beruht auf Vertrauen.“

„Soll heißen: Ihr zu vertrauen, heißt, Ihnen vertrauen?“

Ihre Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Der Saft schimmerte verlockend im Kerzenschein, aber Ruby wiederstand der Versuchung, danach zu greifen. Stattdessen schluckte sie trocken. „Ja, genau.“

„Aus diesem Grund ziehen Sie also eine Anstellung bei einer Zeitarbeitsagentur vor? Wegen der Anonymität?“

„Ja.“

„Was ist mit Ihrem Vater?“

„Er ist tot. Er und meine Mutter starben, als ich siebzehn war.“

„Haben Sie sonst noch Familie?“

„Nein. Ich war ein Einzelkind.“ Soweit sie wusste, jedenfalls. Womöglich hatte ihr Vater ein ganzes Dutzend Kinder …

„Darf ich fragen, ob Sie eine Beziehung mit jemandem haben?“, bohrte Bram unnachgiebig weiter.

„Wie bitte?“

„Sie sind also völlig ungebunden?“

Allmählich wurden ihr seine Fragen suspekt. Das musste er wohl gemerkt haben, denn er sagte:

„In dem Fall hätte ich nämlich ein Angebot für Sie.“ Im nächsten Moment schüttelte er den Kopf, als hätte er es sich schon wieder anders überlegt.

„Falls Sie mir eine Festanstellung mit einem verlockenden Bonuspaket anbieten wollen, und das bereits nach wenigen Stunden, muss ich Sie warnen. Das hat Jude Radcliffe nicht mal nach einem Jahr geschafft.“

„So viel Zeit bleibt mir nicht. Und die Position, die ich Ihnen anbieten möchte, ist definitiv befristet.“

„Ich höre.“

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, also wissen Sie auch, dass mein Vater mich vor fünf Jahren verbannt hat.“

Sie nickte. Die Medien hatten sich wie die Geier auf den Skandal gestürzt und jedes noch so kleine Detail an die Öffentlichkeit gezerrt.

„Heute Morgen erhielt ich eine Einladung meines Vaters zu seinem Geburtstagsempfang.“

„Sie können wieder zurück nach Hause?“

„Wenn es nur so einfach wäre. Die Situation ist leider sehr viel komplizierter. Ich kann nur in Begleitung einer Ehefrau zurück.“

Ihr Herz sank. Für einen göttergleichen Multimillionär wie ihn dürfte es kein Problem sein, die passende Kandidatin aufzutreiben. „Hm, das ist jetzt zwar ein bisschen kurzfristig, und ich bin auch nicht mit den Gesetzen dieses Landes vertraut, aber ich werde mein Bestes tun, um eine geeignete …“

„Die habe ich bereits gefunden“, unterbrach er sie. „Die Hochzeit könnte bereits morgen stattfinden. Meine Frage lautet also: Wie weit geht Ihre Einsatzbereitschaft als Garland Girl? Sind Sie bereit, mein Angebot anzunehmen und mich zu heiraten?“

3. KAPITEL

„Ich?“

Ruby griff mit deutlich zitternder Hand nach ihrem Saftglas. Doch anstatt es ihm an den Kopf zu werfen, führte sie es sich an die Lippen. Anscheinend brauchte sie einen Moment, um sich zu sammeln, und Bram ließ ihr diese Zeit.

„Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen, dass ich Ihre Frau spiele?“

„Nein, es geht noch ein bisschen weiter.“ So, wie er Ruby einschätzte, redete er am besten Klartext. „Ich schlage Ihnen eine Vernunftehe auf Zeit vor, Scheidung mit inbegriffen, wobei der passende Zeitpunkt noch abzuwarten bleibt. Die Scheidung wird natürlich genau wie die Eheschließung eine reine Formalität sein.“

Ihre dunklen Brauen schossen in die Höhe. „Aber Sie kennen mich doch gar nicht …“

„Das ist auch nicht nötig. So ist das mit Zeitarbeit. Und Sie sind eine Zeitarbeitnehmerin mit besten Referenzen.“

„Ja, als Assistentin!“

„Die brauche ich auch noch.“

„Habe ich das richtig verstanden – wir heiraten wirklich?“

„Es wird einen Ehevertrag geben, der vor Zeugen abgeschlossen wird, denen mein Vater vertraut. Nichts weiter als ein geschäftliches Abkommen, inklusive Beförderung zur Prinzessin – auf Zeit, versteht sich. Natürlich wird das Honorar der neuen Position angemessen sein, ohne weitere Verpflichtungen allerdings.“

„Mit weitere Verpflichtungen meinen Sie wohl … Sex? Ich möchte das gern absolut klarstellen.“

Sie nahm wirklich kein Blatt vor den Mund, das musste man ihr lassen. „Kein Sex“, bestätigte er. Wenn das hier funktionieren sollte, mussten alle Details wie bei einem geschäftlichen Vertrag offen auf dem Tisch liegen. Keine Komplikationen.

„Sie wollen Ihren Vater also einfach nur davon überzeugen, dass Sie verheiratet sind.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Sind Sie schwul, Bram?“

Na, das war wirklich direkt …

„In einigen Kulturen ist das immer noch ein Tabu, das weiß ich, und …“

Bram konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, in welcher Beziehung Peter und er wirklich zueinander standen …

„Nein!“, rief er aus. In diesem Moment erschien Mina, um den Tisch abzuräumen, und er dämpfte seine Stimme. „Nein, Ruby, ich bin nicht schwul, aber wenn ich es wäre, würde ich mich nicht hinter einer Fake-Ehe verstecken.“

„Was ist es also, das Sie verstecken?“

„Gewichtige Gründe, Ruby.“

„Zweifellos.“ Den Blick aus ihren graublauen Augen fest auf ihn gerichtet, erwiderte sie kühl: „Es tut mir leid, Scheich, aber bei so einem Betrug kann ich nicht mitmachen.“

Er hatte schon erwartet, dass sie ablehnen würde. Das sprach für ihre Reputation.

„Mein Vater hatte letztes Jahr eine schwere Bypass-Operation“, sagte er.

Ihr Blick wurde weicher. „Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid, ich …“

„Er weigert sich partout, kürzerzutreten, einen Gang zurückzuschalten. Ich muss zu ihm und ihn um Verzeihung bitten.“

„Und er wird wollen, dass Sie kommen.“ Sie hielt inne, als Mina weitere delikate Speisen vor sie hinstellte. „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt“, fuhr Ruby fort, während sie Hühnchen und gewürzten Reis auf ihre Teller häufte. „Er ist der Emir. Sein Wort ist Gesetz.“

„Einen guten Herrscher zeichnet die Fähigkeit aus, eigene Befindlichkeiten zurückzustellen, wenn es um das Wohl des Volkes geht. Früher tobten in Umm al Basr heftige Stammesfehden, das hat nie jemanden interessiert – bis Öl gefunden wurde. Die Aussicht auf Reichtum einte die Stämme, und man wählte den Ansari-Clan als Anführer. Der Khadri-Clan wurde mit der Aussicht auf eine vorteilhafte Ehe beschwichtigt: eine Verbindung zwischen der ältesten Tochter der Khadris und dem zukünftigen Emir von Umm al Basr.“

„Wie es früher überall üblich war. Opfere eine Tochter, um ein Friedensabkommen zu besiegeln.“

„Als der Vertrag unterzeichnet wurde, war ich zehn, Safia Khadri vier. Nach meiner Eskapade im Brunnen, mit der ich Safia entehrte, drohte Ahmed Khadri, mich umzubringen, wenn ich das Land je wieder betrete.“

„Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Mir kommt es so vor, als hätte der gute Herr nur die Gelegenheit ergriffen, Unfrieden zu stiften.“

„Schlau beobachtet“, meinte Bram anerkennend. „Die Khadris haben sich nie damit abgefunden, nur die zweite Geige zu spielen.“

„Um des lieben Friedens willen hat Ihr Vater Sie also verstoßen.“ Ruby beugte sich vor und stützte das Kinn in die Hände.

Das Eis zwischen ihnen war geschmolzen. Trotzdem galt ihr Mitgefühl nicht unbedingt ihm, sondern seinem Vater und Safia. Bram hatte ja genau gewusst, welche Folgen seine Eskapade nach sich ziehen würde.

„Worum geht es denn nun bei dem Handel, den Sie erwähnten?“

„Der Preis für meine Rückkehr nach Hause ist, dass ich Bibi heirate.“

„Bibi?“

„Khadris jüngste Tochter.“

Ruby schwieg einen Moment, dann sagte sie ruhig: „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.“

„Sie reagieren bemerkenswert cool. Von Ihnen als Westeuropäerin hätte ich mehr Empörung erwartet.“