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In den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein gesellschaftlicher Transformationsprozess, der von einigen Autoren unter dem Begriff der „Individualisierung“ subsumiert wird. Traditionelle Vorgabemuster und standardisierte Lebensläufe lösten sich zunehmend auf, und machten Platz für selbst gewählte und eigens konstruierte Biographien. Dabei scheinen Begriffe wie Selbstbestimmung und Autonomie die ersterbenswerten Ideale unserer modernen Gesellschaft zu markieren. Gleichzeitig bedingt jedoch das Recht auf Freiheit die Pflicht zur Eigenverantwortung, woraus sich nicht selten eine ambivalente Sehnsucht nach Sicherheit und Halt – ein menschliches Grundbedürfnis – ergibt. Insbesondere Personen, die durch die Exklusionsmechanismen unserer Gesellschaft stärker betroffen sind (z.B. alte, pflegebedürftige, kranke, behinderte Menschen), scheinen in der Gefahr zu stehen in immer größer werdende Abhängigkeiten zu geraten. Die vorliegende Studie reflektiert die Lebenssituation von Menschen mit einer (geistigen) Behinderung. Ausgehend von der (historischen) Betrachtung sich wandelnder Menschenbilder und gesellschaftlicher Reaktionsmuster, wird die grundsätzliche Korrelation zwischen Individuum und Gesellschaft verdeutlicht und in der Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Themen weiter qualifiziert. Kernstück bildet die Auseinandersetzung mit der Anerkennungstheorie von A. Honneth und die Frage der Anwendbarkeit auf den hier beschriebenen Personenkreis. Unter Rückbezug auf den fachlichen Diskurs in der Behindertenhilfe bzw. Geistigbehindertenpädagogik wird dabei die grundsätzliche Anwendbarkeit nachvollzogen. Das Ergebnis dieses Vorgehens bildet die Entwicklung eines eigenen Reflexionsmodells, welches als Verstehens- bzw. Interpretationsansatz der Lebenswelt von Menschen mit einer Behinderung genutzt werden kann. Des weiteren werden hieraus ethische Ableitungen für das professionelle Handeln getroffen und in einen methodischen Handlungsvorschlag (einer möglichen Vorgehensweise) überführt. Dennoch: Ausgangspunkt und Ziel von Unterstützungsleistungen (professioneller oder nicht-professioneller) muss immer der Adressat sein. Nur in der Rückkoppelung und Bewertung durch die Person gelingt ein Zugang zur subjektiven Lebenswelt. Zwar können Hilfsinstrumente, wie das vorgeschlagene Reflexionsmodell, Orientierungspunkt für ein Verständnis der vorliegenden Lebenssituation, oder der Entwurf eines methodischen Handelungsvorschlags, Grundlage einer geplanten Unterstützungsleistung sein, jedoch wäre es eine Utopie davon auszugehen, damit das menschliche Sein vollständig erschließen zu können. Die Unterstützung von Anderen ist kein objektivierbarer Zustand, der anhand von rationalen Effektivitätskriterien zu bemessen ist, sondern ein solidarischer Akt der Annahme der Individualität des Gegenübers und der Mitverantwortlichkeit bei der Realisierung persönlicher Lebensziele, professionell als auch nicht-professionell.
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