Bei uns läuft's kacka - Peter Imhof - E-Book

Bei uns läuft's kacka E-Book

Peter Imhof

4,8

Beschreibung

Als Eva und Peter Imhof noch keine Kinder hatten, war für sie die Elternwelt so klar wie ein Gebirgssee. Sie waren sich einig, dass ihre Kinder schon ganz früh friedlich durchschlafen würden, mit ordentlich gekämmtem Haar und blütenweißen Klamotten mit Mama und Papa am Tisch sitzen und brav alles essen würden. Es gäbe kein Rumgerenne, Gebrüll oder sonstige Zickereien. Nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter stellte sich jedoch schnell heraus, dass diese Vorstellung selbstverständlich ins Reich der Fantasie gehört. Denn wie fast alle frisch gebackenen Eltern fragten sich auch Eva und Peter schon sehr bald, wie sie die nächsten Jahre ohne Nervenzusammenbruch überstehen sollten. Kaum Schlaf, mindestens zwei kindliche Wutanfälle pro Tag, das Essen landet eher auf dem Boden als im Mund – all die schönen Vorstellungen vom perfekten Familienleben halten der Realität nicht stand. Und die Imhofs gehen den mutigen Weg, indem sie irgendwann alle guten Ratschläge ignorieren, ihren Humor wiederentdecken und einfach dazu stehen, dass eben nicht alles so läuft wie im Bilderbuch. Da darf es statt selbst gekochtem Bio-Babybrei eher Spaghetti Bolo aus dem Gläschen sein und sie müssen auch akzeptieren, dass durch das ganze elterliche Gefluche das erste Wort der Zwillinge "Fuck" ist. Humorvoll und authentisch erzählen Eva und Peter Imhof von ihrem Dasein als Eltern und wie sie ihren eigenen Weg gefunden haben, nachdem sie sich von überzogenen Erwartungen und realitätsfernen Ratgebern freigemacht haben.

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Originalausgabe: 1. Auflage 2017

© 2017 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: © Fräulein Fotograf, www.fräulein-fotograf.de

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

ISBN Print 978-3-86882-761-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-991-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-992-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für Lilly und Luisa

Inhalt

Impressum

Widmung

Einleitung

Ankunft

Der Tag der Geburt oder die Invasion der Aliens

Die ersten Tage

Lektion 1: Explodierte Brüste mit Kraut

Lektion 2: Die Milchkuh mit der Melkmaschine

Lektion 3: Trinkstreik!

Lektion 4: Krankenhauskoller

Lektion 5: Die Null-Eltern mit ohne Vorbereitung

Das erste Jahr

Lektion 6: Solle mer se schreie lasse?!

Lektion 7: Die Schreibabys in der Federwiege ohne Kultur

Lektion 8: Die hängenden Labber-Luftballons

Lektion 9: Mamma mia, ihnen schmeckt’s nicht!

Lektion 10: Ich will nie wieder zurück nach Westerland

Lektion 11: Urlaub auf der Arbeit

Lektion 12: Das Nasenspray-Attentat

Das zweite Jahr

Lektion 13: Die Drecksstrumpfhosen von Terminal A

Lektion 14: Unser erster Flugzeugabsturz

Lektion 15: Die Unfall-Finca

Lektion 16: Das böseste Gummibärchen der Welt

Lektion 17: Ein Wutanfall kommt selten allein

Lektion 18: »Oh Fuck!«

Lektion 19: Einzug ins Hüpfparadies? 

Lektion 20: Das Todes-Trampolin 

Lektion 21: Kotze und Kaviar

Lektion 22: Der Friedhof der Kuscheltiere

Lektion 23: Das verschwundene Schlafi – an Silvester!

Das dritte Jahr

Lektion 24: Notruf an die Flaschenfee

Lektion 25: Kalter Entzug im Feenparadies

Lektion 26: Nicht ohne meinen Kinderwagen

Lektion 27: Das Stützräder-Dilemma

Lektion 28: Die doppelten Gürteltiere

Lektion 29: Im Zauberkleid zu den Erziehungsprofis

Lektion 30: Besuch vom Karies und dem Schlecker-Jörg

Das vierte Jahr

Lektion 31: Die Kinder aus der Mülltonne

Lektion 32: Die Tech-Nickis

Lektion 33: Böse Überraschungen

Lektion 34: Ein Film mit ohne Happy End

Lektion 35: Die verunglückte Spaghettischlacht

Lektion 36: Die Spießerkinder

Dank

Einleitung

Früher war für uns die Elternwelt so klar wie ein Gebirgssee. Also, als wir noch keine Kinder hatten. Wir waren die besten Eltern-Ratgeber − so nach dem Motto: »Wer in der Kindererziehung nicht weiterweiß, fragt am besten jemanden, der keine Kinder hat, der weiß es am besten.« Die größte Übereinstimmung verzeichneten wir in der sicheren Annahme, dass unsere Kinder mit ordentlich gekämmtem Haar und blütenweißen Bodys bereits im frühen Alter in der Lage sein würden, mit Mama und Papa am Tisch zu sitzen – ohne Rumgerenne und Gebrüll!

Die Praxis als Zwillingseltern entpuppt sich allerdings rasch als das Gegenteil unserer Theorie: Schon wenige Stunden nach der Geburt der Zwillinge Lilly und Luisa fragen wir uns, wie wir nur die ersten Jahre überstehen sollen, bis sich professionell ausgebildetes Personal um die Erziehung der beiden kümmert. Beim gemeinsamen Essen landet mehr auf dem Boden als im Mund, zwei Wutanfälle pro Tag (gerne an der Supermarktkasse) gehören zum guten Ton der Zwillinge, und die weißen Bodys werden sehr schnell durch bunt gemusterte Stoffe ersetzt, auf denen man die Flecken nicht so sieht.

Leider wird einem ja zur Geburt keine Gebrauchsanweisung mitgeliefert für sein individuelles Exemplar, und so stolpern wir von einem Fehler zum Nächsten und lernen irgendwann, dass alles halb so wild ist, solange kein Blut spritzt und niemand kotzt.

An das Scheitern im Elternkosmos müssen wir uns allerdings erst gewöhnen, und wir erleben dabei Geschichten, die alle Eltern erzählen könnten, die sich aber kaum jemand auszusprechen traut. Denn Elternsein ist heutzutage wie ein kompliziertes Sportprogramm – es wird alles durchorganisiert, optimiert und muss perfekt sein. Wir haben aber keine Lust, den unausgesprochenen Wettkampf um das am besten behütete, intelligenteste und am meisten geförderte Kind mitzumachen.

Während unserer wahnsinnigen Achterbahnfahrt durch die wirre Welt unseres Nachwuchses lernen wir, dass sich das Geheimnis erfolgreicher Erziehung in einem Satz zusammenfassen lässt. Aber bevor der Knoten platzt, müssen wir durch einiges durch: Unfälle, ein Flugzeugabsturz, kotzende Kinder in der Feinkostabteilung eines Nobelkaufhauses, und einmal haben wir unsere Kinder sogar in einem Garten vergessen. Wir hoffen, dass unsere »Beichte« für viele Eltern sehr erleichternd sein wird. Denn bei dem Wahnsinn, der heute betrieben wird, ist es kein Wunder, dass Mütter in Foren durchdrehen, ständig ein schlechtes Gewissen haben oder am Ende gar zugeben, dass sie das mit dem Kinderkriegen nicht noch mal machen würden. Aber wir sind der Meinung: Wir Eltern müssen nichts bereuen – vorausgesetzt, wir hören damit auf, ständig alles perfekt machen zu wollen.

Wenn wir von »wir« sprechen, sind das Peter und ich, Eva. Und wenn nur von »ich« die Rede ist, dann bin das ich, Eva.

Wir wohnen in Berlin und arbeiten intelligenterweise in Leipzig, Köln und Dresden. Es hat keinen Sinn zu fragen, warum wir nicht in einer der Städte leben, in denen wir arbeiten, denn es gibt keinen. Wir haben uns irgendwann daran gewöhnt, immer auf dem Sprung zu sein und aus dem Koffer zu leben. Andererseits hält die Pendelei auch die Ehe frisch. Oder wie es eine Freundin kürzlich ausdrückte: »Ich weiß, warum ihr so glücklich seid. Ihr seht euch einfach nie.«

Geheiratet haben wir kitschigerweise am 8.8.2008, am 1.8.2012 kamen unsere Zwillinge Lilly und Luisa auf die Welt.

Nach vier Jahren mit unseren Zwillingen wissen wir: Nichts ist beim Kinderhaben leichter, als zu scheitern. Eltern können auf so viele kuriose, köstliche, katastrophale Arten und Weisen danebenliegen, dass es schon wieder Spaß macht. Ja, ehrlich. Als Vater und Mutter zu versagen, kann wunderbar erfrischend sein. Vor allem, weil man in guter Gesellschaft ist. Alle Eltern kommen irgendwann an den Punkt, wo sie mit ihrem Latein am Ende sind und sich eingestehen müssen, dass sie sich das alles doch etwas anders vorgestellt haben. Bei uns kam dieser Moment schon recht früh, nämlich am Tag der Geburt unserer Töchter.

Ankunft

Der Tag der Geburt oder die Invasion der Aliens

Heute ist einer dieser Sommertage, an denen man am liebsten auf einer Decke am See liegen würde, mit einem kühlen Bier in der Hand. Es ist angenehm warm draußen, ohne zu heiß zu sein, und die Sonne wirft durch die Blätter der Bäume tanzende Schatten auf den Boden. Es ist einer dieser Tage, die man am liebsten wie früher verbringen würde: an nichts denkend, in den Tag hinein lebend mit dem unbeschwerten Gefühl von Leichtigkeit und der Aussicht darauf, alle Möglichkeiten des Lebens noch ausschöpfen zu können.

Aber wir befinden uns nicht am See, sondern in einem hellgrauen Krankenhauszimmer mit dunkelblauem Linoleumboden. Und wir sind uns ganz sicher: Heute wird der schönste Tag unseres Lebens! So liest man das doch immer überall. Wir stellen uns schon seit Jahren vor, dass die Geburt unseres ersten Kindes sogar noch unsere Hochzeit toppt. Und unsere Hochzeit war schon wie die gefrorene Sahne im Inneren eines Spaghettieises: einfach das Beste, was man sich vorstellen kann.

Ehrlich gesagt, hatte ich immer ein bisschen Angst vor dem Heiraten. Ich habe tatsächlich zwei Freundinnen, die schon ihre Hochzeitseinladungen verschickt hatten und dann wieder alles abgesagt haben, weil sie erst kurz vor Schluss gemerkt haben, dass der Typ doch nicht der Richtige war. Und dann liest man ja immer von diesen Geschichten von Hochzeiten, bei denen am Ende alle so besoffen sind, dass es der Bräutigam mit der Schwägerin auf dem Klo treibt oder die Braut mit dem Bruder ihres frisch Angetrauten abhaut.

Bei uns war die Hochzeit wie das Ende eines Rosamunde-Pilcher-Romans: links wie rechts voller Liebe und Harmonie. Dass unsere Freunde besoffen den Golfcart der Hotelanlage geknackt und damit den Rasen umgepflügt haben, verschweigen wir mal lieber.

Und dann noch das Datum! 8.8.2008! Kippt man die Zahl Acht in die Waagrechte, ist sie das Zeichen für Unendlichkeit, und somit sind wir uns ganz sicher: Wenn auch statistisch jede dritte Ehe scheitert, bei uns ist die Ewigkeit vorprogrammiert.

Und nun soll unsere Liebe durch die Geburt unserer Zwillinge gekrönt werden. Wir stellen uns schon vor, wie sie nach der Geburt in rosa Kaschmirjäckchen eingewickelt in unseren Armen schlafen.

Natürlich sind wir nicht so naiv zu denken, eine Geburt sei ein Sonntagsspaziergang im warmen Sonnenlicht, aber wir versuchen uns einfach auf das »Danach« zu konzentrieren und nicht an die blutige Presserei und Schreierei davor.

Und irgendwie habe ich mir vorher gar keine Gedanken darüber gemacht, wie sich das so anfühlt mit einem Zwillingsbauch im Endstadium.

Durch die hellgrauen Vorhänge fällt sanft das Sonnenlicht auf den gelb gerahmten Blumendruck an der Wand, und ich fühle mich nicht wie eine beseelte Elfe, die auf die Niederkunft ihrer Elfenkinder wartet, sondern wie ein gestrandeter Wal, der nicht mehr zurück ins Meer findet.

Aber egal. Auf diesen Tag haben wir jahrelang gewartet: endlich Eltern!

Mir ist irgendwie plötzlich ganz schummerig, und ich spüre, dass die Kinder nun irgendwie tatsächlich aus diesem Bauch rauswollen. Nur wie?! Immerhin sind wir schon im Krankenhaus, und es kann uns nicht passieren, dass unsere Töchter im Auto geboren werden oder im Eingangsbereich zwischen den automatischen Schiebetüren. Das ist einer Frau in den USA passiert, und das Ganze wurde von der Überwachungskamera praktischerweise mitgefilmt. Die Geburt dauerte nicht mal fünf Minuten, und sie hat sich ihr Baby selbst da unten rausgezogen. Allein bei dem Gedanken kriege ich schon Schnappatmung.

Dagegen geben wir gerade ein ziemlich verlorenes Bild ab: Peter steht in unserem grauen Krankenhauszimmer vor mir, ich hänge halb auf dem Bett, und wir gucken uns beide mit einem schmerzverzerrten Gesicht an. Er ist co-schwanger und leidet mit, weil Männer bekanntlich schon aus einem Schnupfen gerne eine Lungenentzündung machen. Hilfesuchend und mit einem flauen Gefühl im Magen gucke ich ihn an:

»Peter, kannst du bitte noch mal nach der Ärztin klingeln? Die muss mal ganz schnell die Wehen messen. Ich glaube, da dreht gerade alles völlig durch.«

Er guckt ganz erschrocken. Aber vielleicht auch nur deshalb, weil ihm in diesem Moment bewusst wird, dass sich seine ehemals schlanke Frau nun endgültig in ein rothäutiges dickes Etwas verwandelt hat. Es ist die 35. von 40 errechneten Schwangerschaftswochen. Die Kinder wollten schon viel früher raus. Deshalb habe ich schon vor Wochen angefangen, irgendwelche Tabletten zu schlucken, die die Wehen bremsen sollen. Und als die nicht mehr halfen, kam ich an einen »Anti-Wehen-Tropf«. Zwei Wochen war ich angeschlossen an dieses Teil, und es kam mir vor, als hätte ich permanent einen Hund an der Leine. Und diese ganzen Anti-Wehen-Medikamente haben bei mir die unschöne Nebenwirkung, dass sie die Durchblutung fördern. Ich bin rot wie ein Hummer, und dazu sind meine Füße dick angeschwollen und leuchten knallrot. Ich versuche, mir einzureden, dass ich mir durch meine neue Färbung wenigstens die Zeit sparen kann, mir auch noch die Nägel rot zu lackieren. Aber ehrlich gesagt, würden es die Ausmaße meines Bauchs sowieso verhindern, dass ich überhaupt die Füße erreiche. Laufen ist auch nicht mehr möglich. Da ich ständig das Gefühl habe vornüberzukippen, ziehe ich es vor, mich im Rollstuhl fahren zu lassen. Ansonsten liege ich einfach nur da.

Es ist der 1. August, und ich hoffe nur, dass eine Ärztin kommt und keiner dieser Ärzte. Die halten mich allesamt für ein Blondinchen, das einen auf Hollywood-Geburt machen will. Denn ich habe mir von Anfang an gewünscht, dass ich die Zwillinge nicht auf natürlichem Weg zur Welt bringen möchte, sondern per Kaiserschnitt. Und das war ein sehr, sehr großer Fehler! Schließlich ist nur eine Mutter, die bei der Geburt vor Schmerzen fast ohnmächtig wird, zumindest einen Dammriss hat oder wenigstens so laut schreit, dass die Fensterscheiben klirren, eine gute Mutter.

Die ganzen Arzttypen haben mich glatt ausgelacht, als ich da mit meinem großen Kuschelkissen unter dem Arm stand und meinte, mir sei eine Spontangeburt zu riskant für die Kinder. Schließlich kann sich bei einer Zwillingsgeburt das zweite Baby verirren und den Weg nicht finden, wenn das erste schon draußen ist. Einmal hat mich der Oberarzt beim Anblick meines Kuschelkissens tatsächlich gefragt, ob ich mein Schnuffeltuch dabeihätte! Da habe ich mich gefühlt wie in der sechsten Klasse, als mich die Jungs immer in den Mülleimer gesteckt haben.

In den Klassenräumen standen damals immer recht große Papiermülleimer ohne Deckel. Und da haben sie mich reingesetzt. Und wenn man da mit dem Hintern erst mal drinsteckt, kommt man nämlich ohne fremde Hilfe nicht mehr heraus. Das ist maximal erniedrigend, und ich habe mich danach selten wieder so hilflos gefühlt – erst seit ich durch meine Zwillingsschwangerschaft Stammgast in der Gynäkologie bin, fühle ich mich wieder ähnlich dämlich.

Nach einer dieser unzähligen Untersuchungen, die man so hat während einer Zwillingsschwangerschaft, meinte einer dieser Oberärzte, ich solle doch unbedingt eine natürliche Geburt »probieren«. Einen Kaiserschnitt könne man ja immer noch machen. Soll heißen: Wenn Komplikationen auftreten, kann nach der natürlichen Geburt von Zwilling Nummer eins die Nummer zwei immer noch aus dem Bauch geschnitten werden. Damit dürfte ich also die Schmerzen einer natürlichen Geburt UND eines Kaiserschnitts erleben – quasi als Survival-Training. Ich erwog, ihn zu fragen, ob er an einer Penisverlängerung interessiert sei. Die würde ich auch persönlich und ohne Narkose vornehmen, aber ich verwarf den Gedanken dann doch wieder. Unsere Hebamme hat Peter und mir geraten, immer positiv zu denken. Das würde sich angeblich auch gut auf die Kinder auswirken. Übrigens wird eine Zwillingsschwangerschaft automatisch als Risikoschwangerschaft eingestuft. Die ÄrztINNEN – allesamt selbst Mütter – haben mir mehrheitlich von einer natürlichen Geburt abgeraten. Und dazu bin ich ja auch noch Erstgebärende. Peter ist sowieso für einen Kaiserschnitt, weil er meint, jede werdende Mutter soll doch selber entscheiden, wie sie »es« durchziehen will. Und wenn sie sich allein in den Wald hocken will und ihr Kind zwischen Ameisenhaufen und Tannenbäumen gebären möchte – Hauptsache, SIE hat das so entschieden und nicht irgendein reinlabernder Idiot.

»So, Frau Imhof, da wollen wir mal schauen, ob heute der Geburtstag Ihrer Mädels ist, wa?!«

Die blonde junge Ärztin, die mich schon öfters untersucht hat, kommt durch die Tür gerauscht und reißt mich aus meinen Geburtsgedanken.

»Ja, vielleicht hängen Sie mal den Wehenschreiber an, also irgendetwas ist tatsächlich ganz anders als sonst. Ich kann es aber auch nicht genau sagen. Komischerweise ist die Fruchtblase aber noch nicht geplatzt.«

Die Ausschläge sind so hoch, dass man überhaupt keine Kurven mehr erkennen kann. Es sind nur noch senkrechte Linien. Und die Wehen werden immer heftiger. Ich beiße mir in den Daumen. »Der Muttermund ist auch schon drei Zentimeter offen. Kaiserschnitt wollten Sie, ja?! Frau Imhof, es wird höchste Zeit! Sie sind zwar fünf Wochen zu früh, aber Sie haben doch auch so tapfer durchgehalten all die Monate! Und – hach – dass ich jetzt ausgerechnet Dienst habe! Ich finde das so cool, dass wir das zusammen machen. Ach so, aber Sie sind ja Privatpatientin. Dann macht das der Oberarzt, dann müssen wir jetzt noch warten.«

Warten auf den Sascha Hehn für Arme? Niemals!

»Nein, ich bin keine Privatpatientin, und wir brauchen auch keinen Oberarzt, ich finde das nämlich total cool, dass SIE heute da sind«, presse ich irgendwie noch heraus.

»Okay, dann geht’s los.« Sie ist so voller Tatendrang, das gibt mir ein extrem gutes Gefühl. Peter packt meine Taschen und kümmert sich parallel um ein Familienzimmer. Damit wir heute alle zusammen in einem Zimmer schlafen können. Verrückt, nachher haben wir uns mal eben verdoppelt!

Über die Flure werde ich zunächst in den Kreißsaal geschoben. Wir einigen uns auf eine Betäubung mit Spinalanästhesie.

Dafür wird einem eine dicke Nadel mit Betäubungsmittel in den Rücken gestoßen. Plötzlich steht eine ganze Horde von grün bekittelten Frauen mit Mundschutz um uns herum. Und wie das bei Operationen so ist, bekommt man erst mal gesagt, was alles schieflaufen kann. Zum Beispiel, dass ich im schlimmsten Fall querschnittsgelähmt enden könnte. Normalerweise wird so ein Kaiserschnitt ja nach Termin geplant. Und die Anästhesistin ist wohl etwas überrumpelt von dieser Spontanaktion, denn sie wird immer hektischer und meint, es sei keine gute Idee von mir gewesen, mir noch den Bauch mit Döner und Eis vollzuschlagen. Das würde ihre Arbeit erschweren und die Dosierung extrem erschweren. Ich nicke nur. Mir wird schlecht.

Zum Glück weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was nachher noch schieflaufen wird.

Zunächst einmal muss ich noch loswerden, dass ich auf keinen Fall eine Vollnarkose möchte. Die Vorstellung, aufzuwachen und plötzlich zwei Kinder zu haben, finde ich irgendwie merkwürdig. Das könnten ja dann auch irgendwelche Babys sein! Am Ende werden sie noch vertauscht oder so was. Außerdem habe ich mal gehört, eine Vollnarkose könne die Bindung zwischen Mutter und Kind beeinträchtigen. Also will ich das unbedingt miterleben, schon allein weil ich sichergehen will, dass das auch wirklich meine Kinder sind. Zum Glück ist Peter auch dabei.

Die Anästhesistin versucht, mit der Nadel in meinen Rücken zu stechen.

»Frau Imhof, so geht das nicht. Sie müssen sich mehr nach vorne beugen.«

»Aber wie denn? Da ist doch mein Bauch?« Ganz abgesehen davon, bin ich völlig geschockt von diesem Raum. Das sieht hier aus wie beim Metzger. Aber Entschuldigung, was habe ich denn erwartet? Dass mir hier noch ein paar Schnittchen mit Champagner serviert werden und die Kinder zur Begrüßung in einem Schoko-Brunnen gebadet werden?!

Hier sieht es so aus, als würden gleich Schweine zum Zerteilen an Haken angefahren kommen.

»Frau Imhof, so wird das nix. Sie müssen sich nun wirklich mehr nach vorne beugen, sonst können wir nicht anfangen.« Irgendwie kriegen sie ihr Röhrchen dann doch noch in mein Rückenmark gestoßen. Und dann geht alles ratzfatz: Peter sitzt neben meinem Kopf, als vor uns ein grünes Tuch gespannt wird. Ich werde nach links gekippt, nach rechts gekippt, und es wird an mir herumgezerrt, als würden sie mir sehr fest sitzende Cowboystiefel ausziehen wollen. Und dann plötzlich ein Quäken. Jemand hebt sehr schnell ein bläuliches Bündel hoch und zeigt es uns.

WAS ist DAS? Das ist doch kein Mensch! Ein Alien? Was hat denn das Ding da für eine komische Farbe?

»Zwilling Nummer eins ist da, Herr Imhof, kommen Sie mit zur Untersuchung? Wir müssen uns beeilen!« Also, so haben wir uns das nicht vorgestellt. Schon ertönt ein zweites Quäken. Das zweite Baby wird mir schon gar nicht mehr gezeigt, sie rennen damit gleich weg. Bevor ich weiter nachdenken kann, ob ich mit der Geburt zweier Aliens nun eine weltweite Sensation auslöse, höre ich die Stimme der Ärztin: »Kann hier mal jemand bitte schnell helfen? Jetzt muss ich alles alleine nähen!« Die Assistenzärztin ist in Ohnmacht gefallen.

Das ist jetzt nicht wahr, oder?! Das läuft mir nun wirklich alles ein bisschen zu sehr aus dem Ruder.

Statt Champagner und Kaschmirdecken (die wir ja auch irgendwo hätten kaufen müssen) gibt’s hier nur lange Gesichter und Panik, denn plötzlich gucken alle im Raum herum auf die in einer Ecke liegende ohnmächtige Assistenzärztin, die mich ja nun leider nicht mehr zunähen kann.

»Die Narkose hört auf zu wirken«, höre ich mich selbst sagen, und: »Mir ist so schlecht!«

Hektik bricht aus, und gleichzeitig fangen plötzlich alle an, darüber zu diskutieren, welches Baby denn nun wie heißen soll. Ich schaue hinter mich, und wie bei einem Kaffeekränzchen sitzen alle miteinander um Peter herum, während ich japse:

»Das ist mir egal, wie die heißen! Ich will das hier nur überleben. Peter, mach du das.«

Und so wird Zwilling Nummer eins, geboren um 18:47 Uhr, Luisa genannt, und Zwilling Nummer zwei, geboren um 18:48 Uhr, Lilly. Als ich endlich zugenäht bin, werden sie mir in die Arme gelegt und sehen plötzlich gar nicht mehr aus wie Aliens. Sie sind weder blau noch glipschig zusammengerollt, sondern einfach nur rot und winzig klein. Obwohl sie fünf Wochen zu früh sind, sehen sie topfit aus, und wir sind froh, dass wir das alle miteinander durchgezogen haben.

***

Ganz ehrlich: Dieser ganze Geburtskram wird oft viel zu verklärt dargestellt. Zwar sind wir insofern gescheitert, als dass die Realität mit unserer Vorstellung von der Bilderbuchgeburt so gar nichts zu tun hatte. Aber wie man im Bekanntenkreis hört und sehr oft liest, sind die Erwartungen an die »perfekte« Geburt mitunter derart hoch, dass es nahezu unmöglich ist, sie zu erfüllen. Und es ist kein Wunder, wenn Frauen sich danach schlecht oder gar wie eine Versagerin fühlen.

Dabei ist jede Geburt logischerweise individuell, und in der Regel sieht man ja bei anderen das Ergebnis erst, wenn das Blut schon abgewaschen wurde und die Händchen und Füßchen entknittert sind und die Glücksgefühle den Geburtsvorgang längst übertüncht haben. Wir sind der Meinung: Zielgerichtet denken hilft! Es bewahrheitet sich der weise Spruch von Helmut Kohl: »Entscheidend ist, was hinten rauskommt!« Oder besser gesagt vorne. Hauptsache, das Ergebnis stimmt und am Ende sind Mama und Mini(s) wohlauf. Egal ob Spontangeburt, Kaiserschnitt oder gar Notkaiserschnitt. Was zählt, ist die Zukunft. Das Leben ist nie perfekt, also warum muss ausgerechnet so etwas Brachiales wie eine Geburt perfekt ablaufen?

Apropos perfekt: Die ersten Wochen mit Kind bzw. Kindern sind natürlich alles andere als perfekt. Und zum Glück werden diese ganzen Glückshormone am Anfang ausgeschüttet, denn wer ahnt schon, dass wir noch einige Situationen erleben werden, in denen wir unsere Zwillinge am liebsten wieder in den Bauch zurückstopfen würden.

Die ersten Tage

Lektion 1: Explodierte Brüste mit Kraut

In den ersten Wochen als Eltern ist das Potenzial zum Scheitern besonders groß. Man fängt diesen Eltern-Job an und hat erst mal überhaupt keine Ahnung davon, wie er überhaupt funktioniert. Im Berufsleben macht man irgendwelche Aus- oder Fortbildungen, um sich zu qualifizieren. Und bei der Geburt wird nicht mal eine Gebrauchsanweisung für das jeweilige Kind mitgeliefert.

Und wie wir später immer deutlicher merken werden: Diese »Geräte«, die wir da nun im Haus haben, ticken ziemlich unterschiedlich.

In meiner Babytraumwelt existieren bisher nur Bilder von wohlgenährten Babys mit glückselig geschlossenen Augen, die an Mamas Busen nuckeln. Die Mutter schaut ebenfalls glückselig und entspannt auf ihr zufriedenes Baby herab, während das sanfte Sonnenlicht zart mit ihren langen, leicht lockigen und wohlfrisierten Haaren spielt.

Aber niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ich mich als Neu-Mami fühlen werde wie eine in die Jahre gekommene Milchkuh. Und schaffe ich es wohl, als Milchkuh des Jahres ausgezeichnet zu werden? Heutzutage geht die Emanzipation ja schon so weit, dass sogar Milchkühe selbst bestimmen, wann sie gemolken werden. Zumindest gibt es solche Vorzeigehöfe mit Kuh-Zapfanlagen, in die die Tiere selbst reinlaufen, wenn sie das Gefühl haben, es sei mal wieder an der Zeit, Milch abzulassen. Und das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen, da ich darüber mal einen Beitrag fürs Fernsehen gemacht habe. Ich meine mich also schon ein bisschen auszukennen im Milchbusiness. Aber ob ich das auch so hinkriege mit der eigenen Milch?

Bevor wir auf dem harten Boden der Baby-Realität landen, befinden wir uns in den ersten Stunden nach der Geburt glücklicherweise in einem zeitlichen Vakuum und fragen uns: Ist diese Ruhe nach einer Geburt normal? Und das mit zwei lebendigen Babys, die in meinem Arm links und rechts liegen! Diese Ruhe kommt uns irgendwie komisch vor. Also fangen wir gleich mal an, Selfies zu machen. Irgendwann werden sie uns hier aus diesem Ruheraum abholen und auf unser Zimmer bringen. Peter musste sich einen Kittel und Mundschutz anziehen und sieht nun aus wie einer dieser attraktiven Ärzte aus einer Vorabendserie.

Wir legen uns die beiden abwechselnd auf die Brust. Durch den direkten Hautkontakt soll das unsichtbare Band zwischen Vater und Kind bzw. Mutter und Kind entstehen, das im besten Fall ein Leben lang hält – steht in sämtlichen Ratgebern. Wir haben beide ein bisschen Angst vor einer Wochenbettdepression – man kann das ja vorher nicht wissen, ob einen die Liebe befällt oder die Angst vor der wohl größten Aufgabe unseres Lebens: Kinder großziehen! Und das auch noch doppelt! Und dann auch noch zwei Mädchen! Peter hat schon während der Schwangerschaft gedroht, sie in der Pubertät nicht mehr aus dem Haus zu lassen und einen Elektrozaun ums Haus zu ziehen. Dass irgendwann irgendwelche dahergelaufenen pubertären Schnösel an unseren Töchtern rumfummeln, ist beim Anblick dieser gerade mal 43 und 51 Zentimeter großen, rot verschrumpelten Knäuel allerdings nur schwer vorstellbar.

Die Tür zu unserem Zimmer wird aufgerissen, und die hereintretende Krankenschwester kommt ohne Umschweife oder Freundlichkeitsfloskeln gleich zum Punkt: »Und? Wollen Sie nun Ihre Zwillinge stillen oder nicht?«

Ich liege hilflos wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer mit meinem Katheter zwischen den Beinen auf dem Bett, kann gerade mal noch meine Arme so halten, dass Peter mir die Kinder da reinlegen kann, und frage mich, wie ich aus dieser Position überhaupt jemals wieder hochkommen soll. Der Kaiserschnitt war meine erste Operation überhaupt, und ich fühle mich, als hätte mich ein Laster überfahren. Wie soll ich denn in dieser Verfassung noch das mit dem Stillen hinkriegen?

Gleichzeitig ist da diese schlechte Gewissen: ALLE kriegen das hin! Und ich soll scheitern? Ein Kind zu stillen, ist doch das Natürlichste und Praktischste auf der Welt, hämmert es in meinem Kopf herum. Und gleichzeitig sind da diese Gedanken, über die ich mit niemandem bisher gesprochen habe: Ich stelle mir das Gefühl, dass da rechts und links jeweils ein Baby an mir hängt und saugt, nämlich irgendwie beklemmend vor. Mit Sicherheit bin ich gestört. Es muss sich doch jede Mutter danach sehnen, ihr Baby liebevoll aus der Kraft ihres eigenen Körpers heraus zu ernähren! Meine Ekelgedanken darf ich natürlich auf keinen Fall laut aussprechen! Was würden die Leute von mir denken? Meine Freundinnen würden mich garantiert nicht verstehen, für die ist Stillen ein Geschenk von Mutter Natur. Mit Peter habe ich mein Busenproblem noch gar nicht besprochen. Das ist mir irgendwie peinlich.

Wenn ich mich gegen das Stillen entscheiden würde, müsste ich nun einfach zwei Tabletten gegen den Milcheinschuss schlucken, und ich hätte ein Problem weniger. Aber ich kann das nicht. In meinem Hirn höre ich die Worte von unserer Hebamme Anja, die mich durch die Schwangerschaft begleitet hat. Sie hat mir immer wieder eingebläut, wie wichtig die »lebenden Kulturen« und die »Antikörper« für die Kinder seien.

»Weißt du, Evalein, die Milch, die du produzierst, die ist genau abgestimmt auf die Bedürfnisse deiner beiden Engelchen. Und glaub mir, das schafft dieses Pulverzeugs nicht«, pflegte sie zu sagen und meinte mit »Pulverzeugs« diese Trockennahrung, die man mit Wasser zu Milch anrührt, wenn man sich gegen das Stillen entscheidet oder aus irgendwelchen Gründen nicht stillen kann. Insgeheim hatte ich ja ein wenig darauf spekuliert, mein Körper würde die Milchproduktion verweigern, aber es läuft alles wie im Lehrbuch.

Also lasse ich mir das mit dem Stillen von der Krankenschwester zeigen. In der Theorie klingt das ja in diesen Ratgebern immer so einfach: »Wenn Sie einen Kaiserschnitt hatten, dann können Sie Ihr Kind am Anfang vielleicht noch nicht selber halten. Seien Sie nicht traurig, denn Sie verpassen dadurch nichts Entscheidendes, um die Bindung zu Ihrem Baby aufzubauen. Ihre Hebamme wird Ihnen helfen, direkten Körperkontakt mit Ihrem Baby zu haben, sobald es möglich ist.«

Da steht aber nicht, dass man sich im Krankenhaus die Hebamme, die einem das zeigt, nicht aussuchen kann. Unsere Anja ist nämlich keine Beleghebamme. Und deshalb betreut sie uns erst wieder, wenn wir mit den Babys zu Hause sind, hier im Krankenhaus führen andere das Regiment. Im Krankenhaus gibt es überhaupt ein ganzes Heer an Fachpersonal mit den unterschiedlichsten Charakteren. Vom hurtigen Helfer bis zum akribischen Arbeitshelden gibt es ein buntes Sammelsurium an Persönlichkeiten. Wir unterscheiden hauptsächlich zwischen zwei Typen: Da sind zum einen die Freundlich-Fürsorglichen wie die kreative Krankenschwester Karin, die die kleinen Füßchen durch Massagen anregen will, und zum anderen die Gehetzt-Pragmatischen wie unser Drill-Instruktor Doris.

Doris versucht zwar, freundlich zu sein, ist aber wahrscheinlich einfach schon zu lange in ihrem Job, um sich noch groß die Still­befindlichkeiten einer Neu-Mutti anzuhören.

Mit voller Wucht versucht sie, Luisa an meine Brust zu rammen. Und die macht sich wie ein Vampir ans Werk, bis es blutet. Ich will abwechselnd im Boden versinken und diesem Bootcamp hier entfliehen. Es funktioniert überhaupt nicht, und es ist noch weniger daran zu denken, parallel Lilly an die andere Brust anzudocken. Wie soll das alles nur mit ZWEI Babys funktionieren?

Derweil hat sich Peter in eine Ecke verzogen und guckt peinlich berührt auf den Boden. Und als ob das nicht alles schon schräg genug wäre, kommt zu der Praxisübung auch noch dieser abartige Milcheinschuss dazu. Mit einer solchen Explosion meiner Brüste hatte ich nicht gerechnet. Denn direkt nach der Geburt erscheint das Still-Business noch recht harmlos. Der noch straffe Busen sondert die sogenannte Vormilch, auch Erstmilch oder Kolostrum genannt, ab. Dieses Sekret wird gehypt, als wären es die neuesten Gucci-Taschen.

Als diverse Versuche meinerseits, den Babys das mit dem Brusttrinken beizubringen, scheitern, kommt sogar die kreative Krankenschwester Karin auf die Idee, das Zeug aus meinen Brüsten abzusaugen, um es den Kindern anschließend in den Mund zu träufeln.

Und nun, am dritten Tag nach der Entbindung, ploppen meine Brüste plötzlich auf, als hätte mir ein verrückt gewordener Schönheitschirurg auf jeder Seite ein Kilo Silikon reingepumpt.

Mühsam schleppe ich mich ins Bad und bestaune das Ergebnis. Jede Porno-Uschi wäre bestimmt neidisch, so, wie die da stehen: knallhart und knackig wie zwei saftige Melonen.

Es sieht beeindruckend aus. Ebenso beeindruckend ist mein immer noch immenser Bauchumfang. Mein Bauch sieht weiterhin so aus, als wäre mindestens ein Baby darin. Wir haben vorsichtshalber mal nachgefragt, ob sie vielleicht eins drin vergessen haben. Aber leider währt die Freude über die explodierten Brüste nicht lange. Denn kaum sind sie drall und ansehnlich, fangen sie auch schon an, ungemütlich zu werden. Die Dinger glühen, als hätten wir sie auf den Grill gelegt. Und schon eilt eine der Drill-Instruktor-Krankenschwestern zu unserem Einsatzort und brüllt mich an:

»Wollen Sie Quark oder Kraut zum Kühlen?«

Ich entscheide mich für Kraut, weil das nicht so rumsaut. Dafür riecht es die nächsten Tage bei uns durchgehend nach Döner-Bude. Zu den Krautwickeln, die an meiner entzündeten Brust gegart werden, massiert noch die eine oder andere Schwester die durch den Milchstau entstandenen Knoten in meinen Brüsten weg. Was muss das für ein kurioser Anblick sein! Ich fühle mich wie ein alter, ausgewrungener Lumpen. Am liebsten würde ich diesen ganzen Kram abbrechen und literweise Tequila in mich reinschütten. Mit viel Zitrone und Salz. Aber stattdessen greife ich brav zum Stilltee.

***

Also sagen wir mal so: Meinen Einstand als Milchlieferantin habe ich mir harmonischer vorgestellt. Und vor allem habe ich nicht damit gerechnet, dass so ein zahnloses Baby zuschnappt wie eine Rattenfalle. Der Mann hat bei diesem Thema nur die Funktion, entweder im Weg rumzustehen oder dumm zu gucken. Da darf man sich keiner Illusion hingeben.

Aber was habe ich mir vorher eigentlich gedacht? Irgendwie hatte ich nur diese Wonnebilder aus der Werbung im Kopf und habe mir keine Gedanken darüber gemacht, dass das mit dem Stillen nicht immer so reibungslos klappt. Aber es ist ein heikles Thema. Denn schließlich wird bei diesen »Rund ums Baby«-Themen neben »Kaiserschnitt – ja oder nein« nur noch das Thema »Stillen« genauso heiß diskutiert. Die ideale Mutter hat ihr Kind am besten natürlich zu gebären und anschließend mindestens sechs Monate voll zu stillen, wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. Oder besser noch ein Jahr lang. Das Stillen wird glorifiziert und eine nicht stillende Mutter flugs in die Schublade der Rabenmütter einsortiert.

Im Nachhinein würde ich auf jeden Fall nicht mehr irgendwelche Foren im Internet ansteuern, wo sich (angehende) Mütter »beraten«. Das ist nur verwirrend und birgt wenig Erhellendes, dafür aber jede Menge Schuldgefühle. Auch wenn es niemand zugeben würde, aber es gibt einen ungeschriebenen Wettbewerb um die beste Mutterschaft. Grundsätzlich liegen diejenigen schon ganz weit vorne, die sehr viele Stunden in den Wehen lagen, ihr Kind ohne PDA oder sonstige Hilfen zur Welt schreien und anschließend als überbordender Milchquell ihr Baby rundumversorgen, bis es sich den ersten − natürlich schonend dampfgegarten − Möhrchenbrei mit einem glücklichen Glucksen in den kleinen Mund schieben kann.

Der Möhrchenbrei kommt bei uns auch noch ganz groß raus, allerdings weniger im Mund als auf dem Boden.

Lektion 2: Die Milchkuh mit der Melkmaschine

Wir merken schon in den ersten Tagen: Mit ein bisschen Trickserei wird das Elterndasein leichter. Das gilt vor allem für später. Aber in unserem Frühstadium müssen wir erst mal unsere Fassade aufrechterhalten. Diese ganze Still-Thematik liegt mir schwer im Magen. Eine der meistgestellten Fragen, und zwar von Freundinnen über Verwandtschaft bis hin zu wildfremden Menschen, lautet: »Und? Klappt es denn mit dem Stillen?«

Soll ich jetzt jedem meine psychomäßige Abneigung gegen das doppelte Ausgesaugtwerden erzählen? Das geht auf keinen Fall, die würden mich doch alle für krank erklären! Oder soll ich rumjammern, dass mir vom Kaiserschnitt alles wehtut und ich andere Probleme habe als diese Still-Scheiße? Das geht auch auf keinen Fall. Das hört sich viel zu egoistisch an, und außerdem muss die Ernährung meiner Kinder an erster Stelle stehen. Ganz abgesehen davon, dass nun etwas passieren muss, damit sie nicht am Ende noch verhungern!

Unglaublicherweise rettet mich ausgerechnet eine Melkmaschine aus meiner misslichen Lage. Zum Glück wird mir nämlich mein Problem durch eine der Krankenschwestern abgenommen, die meine Unfähigkeit, die Zwillinge an meinen Busen anzudocken, wohl nicht länger ertragen kann.

Gut gelaunt kommt sie mit einem kleinen gelben Gerät zur Tür herein und flötet: »So, Frau Imhof, ich habe Ihnen hier mal was mitgebracht, damit Sie sich nicht länger von Ihren Kindern quälen lassen müssen.«

»Was ist das?« entgegne ich halb skeptisch und halb hoffnungsvoll.

»Das ist eine elektrische Milchpumpe. Klingt sexy, oder?«, sagt sie lachend und fährt fort: »Wissen Sie, Ihre Kinder sind ja fünf Wochen zu früh auf die Welt gekommen, und bei Frühchen ist es oft so, dass sie nicht die Kraft haben, das mit dem Saugen an der Brust zu schaffen. Vielleicht geht es einfacher mit der Flasche. Das sollten Sie mal probieren. Denn es wäre ja schade um die gute Muttermilch, oder?«

»Ah ja, Muttermilch ist einfach das Beste!«, antworte ich, als würde ich gerade für einen Werbespot gecastet, und lasse mir das Ding erklären.

Es ist tatsächlich eine Melkmaschine für Menschen! Von dem kleinen gelben Kasten gehen zwei Schläuche ab. An diese Schläuche montiert man zwei Flaschen mitsamt Trichter, und dann stülpt man das Ganze rechts und links auf die Brust. Schließlich muss man auf dem gelben Kasten einen »On«-Knopf drücken, und flugs geht der Melkvorgang los. Schlussendlich kann man noch zugucken, wie die Milch sich in den Flaschen sammelt. Wenn ich zehn Minuten an dem Ding hänge, kommt eine schöne Portion zusammen.

Und dieses Teil funktioniert tatsächlich nach dem gleichen Prinzip wie die Zapfanlage bei einer Kuh. Es ist absurd, dass ich mich lieber an so ein Ding hänge, als einfach direkt zu stillen. Denn es macht wirklich überhaupt keinen Sinn und ist dazu noch doppelte Arbeit. Erst muss ich zehn Minuten abpumpen und dann versuchen, den Kindern die Milch einzuflößen, anstatt sie einfach direkt an die Milchquelle anzuschließen. Ich fühle mich wie eine Verrückte. Es ist mir selbst ein Rätsel, warum ich das mit dem Stillen nicht hinkriege und lieber diesen umständlichen Umweg gehe. Ich bin mir sicher, Psychologen wittern dahinter ein Problem mit Nähe oder Ähnliches. Und prophezeien mir am Ende, dass meine Kinder einen Schaden davontragen, wenn ich ihnen meine Brust verweigere. Zum Glück sind hier aber keine Psychologen in der Nähe. Ich fühle mich maximal gescheitert und nutze die hilflose Lage meiner Kinder aus, die zum Glück noch nicht sprechen können. Ich schiebe einfach alle Schuld auf sie. Zum einen sind sie faul und wollen sowieso so gut wie nichts trinken, zum anderen erzähle ich einfach jedem, wie schwach die armen Frühchen seien und dass es ja so traurig sei, dass sie das mit dem Saugen aufgrund ihrer Schlappheit nicht hinkriegen.

Aber in Wahrheit stimmt das gar nicht, und ich bin eine elende Lügnerin. Sobald ich sie mir nämlich zum Kuscheln auf den Bauch lege, robben sie instinktiv nach oben. Und selbst wenn sie es noch nicht hinkriegen würden, so leitet sie auf jeden Fall ihr Instinkt an den richtigen Platz. Das hat die Natur schon sehr gut eingerichtet.

Und jetzt sind diese armen Wesen bei einer Mutter wie mir gelandet. Aber aus der Milchproduktion aussteigen will ich auch nicht. Ich erinnere mich an die Unterhaltung mit einer Kollegin vor ein paar Monaten, die unumwunden zugab: »Nee, also Stillen würde ich nicht. Da kriegt man ganz hässliche Brüste!«

Woraufhin ich sie entsetzt ansah: »Aber das ist doch so wichtig für das Immunsystem der Kleinen wegen der ganzen Antikörper!«

»Das ist doch alles Quatsch! Ich glaube an die Kraft meiner Fußbodenheizung!«.

Sie war die Einzige, die sich jemals diesbezüglich vor mir geoutet hat.

Damit bei mir die Milchproduktion in Gang kommt, soll ich mich alle zwei Stunden für zehn Minuten an die elektrische Milchpumpe hängen, egal, ob die Kinder die Milch dann trinken oder nicht.

»Wir können die Milch auch einfrieren. Für später!«, sagt eine der Krankenschwestern ehrfurchtsvoll, und wieder wird mir klar, dass es auf diesen grauen Krankenhausfluren nichts Wertvolleres gibt als Muttermilch. Und ich muss zugeben, dass es mich ein wenig mit Stolz erfüllt, wenn dieses cremefarbene Gold sich in den Flaschen sammelt.

In diesem Moment klingelt mein Telefon. Eine meiner Freundinnen ist dran, die auch vor Kurzem ein Kind bekommen hat. Mit verzweifelter Stimme schluchzt sie ins Telefon: »Ich glaube, ich habe zu wenig Milch. Meine Kleine schreit nur und trinkt kaum, und ich weiß gar nicht, was ich machen soll.«

Zwar bin ich erst seit wenigen Stunden im Milchgeschäft, fühle mich aber schon wie ein Profi: »Na, das ist doch ganz einfach«, trällere ich fröhlich und siegesgewiss ins Telefon, da mir die Lösung dieses Problems glasklar erscheint:

»Dann pumpst du einfach deine Milch ab und gibst sie ihr aus der Flasche zu trinken. Dann siehst du ganz genau, wie viel sie trinkt. Und dann merkst du auch, ob du zu wenig Milch hast, und kannst im Zweifel auf dieses Pulverzeug umstellen!«

Für einen Moment ist Stille am anderen Ende der Leitung, und dann sagt meine Freundin vollkommen angewidert: »Nein, das geht auf gar keinen Fall! Ich habe Angst vor einer Still-Verwirrung!«

Nun bin ich verwirrt und komme mir wieder so dämlich vor wie in der Schule, wenn mich meine Klassenlehrerin immer drangenommen hat, obwohl sie wusste, dass ich die Antwort auf ihre Frage garantiert nicht weiß.