Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe im Kontext von Menschenwürde und  Autonomie - Maria Pohlmeyer - E-Book

Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe im Kontext von Menschenwürde und Autonomie E-Book

Maria Pohlmeyer

0,0
29,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Theologie - Sonstiges, Note: 1,0, Universität Osnabrück (Kath. Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Auf die Gesellschaft bezogen lässt sich feststellen, dass Tod und Sterben im Allgemeinen Themen sind, die lieber vermieden werden. Viele Menschen haben Angst vor einem eigenen qualvollen Sterben und fürchten ebenso den Verlust naher Angehöriger. Als Grund für diese Befürchtung kann die Säkularisierung angeführt werden, da der christliche Glaube an ein Leben nach dem Tod für viele Menschen nicht mehr als Trost und Hoffnung dient. Daneben ist aber auch der medizinische Fortschritt einhergehend mit einer zunehmenden Technisierung ein Grund dafür, dass sich das gesellschaftliche Meinungsbild zum Sterbeprozess modifiziert hat. Der Punkt, an dem Ärzte wie früher sagen konnten, „hier ist nichts mehr zu machen“ ist nicht mehr klar zu definieren, sondern ist zu einem diffusen Suchen nach weiteren Therapiemöglichkeiten geworden. In vielen Fällen bedeutet das Ausreizen von therapeutischen Möglichkeiten jedoch eine Verlängerung des Leidens- und Sterbeprozesses. Die unverzichtbaren medizinischen Techniken bringen die Paradoxie mit sich, dass sich der Patient entscheiden muss, ob und wie die Technik in seinem Fall angewendet werden soll. In dieser Arbeit werden zunächst die für das Verständnis der Thematik notwendigen Begrifflichkeiten definiert und zugleich juristische Aspekte benannt. Dann sollen exemplarisch die Vorgehensweise der schweizerischen Organisation Exit und die Praxis der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden vorgestellt werden. Um sich der ethischen Kontroverse anzunähern, bedarf es zunächst einer Untersuchung von sozialen Einflussfaktoren, die in der Debatte um Sterbehilfe häufig angeführt werden. Im Hauptteil der Arbeit erfolgt die ethische Auseinandersetzung mit aktiver Sterbehilfe und Suizidbeihilfe unter Bezugnahme auf die ethischen Werte Autonomie und Menschenwürde. In Ergänzung zu den ethischen Aspekten werden christlich-theologische Argumentationen zum Thema angeführt und Schlussfolgerungen für Kirche und Theologie abgeleitet. Da die Auseinandersetzung um menschenwürdiges Sterben immer in Abhängigkeit mit der klinischen Praxis stattfindet, sollen ebenso Konsequenzen für die Medizin und Pflege angeführt werden. Dabei liegt ein Fokus auf der Patientenautonomie und dem Fachbereich Palliative Care. Ziel der Arbeit soll eine Betrachtung aus individualethischer Perspektive sein. Dazu gilt es befürwortende wie ablehnende Positionen aufzuzeigen. Im Fazit soll eine Entscheidung zur Sterbehilfe – wenn möglich – auf ethischer Ebene getroffen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

 

1.         Einleitung

2.         Begriffsbestimmungen und Rechtsgrundlagen

2.1.  Sterbehilfe

2.2.  Sterbebegleitung

3.         Praktische Umsetzung

3.1.  Die so genannte Sterbehilfeorganisation „Exit“

3.2.  Das niederländische Modell der aktiven Sterbehilfe

4.         Soziale Einflussfaktoren

4.1.  Arzt-Patient-Beziehung

4.2.  Gesellschaftliche Einflüsse und Folgen

4.3.  Zwischenfazit: Orientierung für den Einzelfall?

5.         Ethische Argumentationen

5.1.  Autonomie

5.1.1.       Autonomie als normativer Anspruch

5.1.2.       Autonomie und Sterben

5.2.  Menschenwürde

5.2.1.       Zum Begriff der Menschenwürde

5.2.2.       Was macht den Menschen aus?

5.2.3.       Menschenwürde am Lebensende

5.3.  Zwischenfazit: Der Wunsch zu sterben - autonom und menschenwürdig!?

6.         Theologische Aspekte

6.1.  Theologisch-ethische Aspekte

6.2.  Positionen der Kirchen

6.3.  Beitrag von Kirche und Theologie

7.         Konsequenzen für Medizin und Pflege

7.1.  Schutz der Patientenautonomie

7.2.  Palliative Care

8.         Fazit

9.         Literaturverzeichnis

10.       Abkürzungsverzeichnis

1.                Einleitung

 

Wiederholt wird in Deutschland in den letzten Jahren über die Selbstbestimmung im Sterbeprozess debattiert. Man diskutiert über die Gültigkeit von Patientenverfügungen, rechtmäßigem Behandlungsabbruch und darüber, ob die Tötung von unheilbar Kranken auf deren ausdrücklichen Wunsch hin nicht nur ausnahmsweise möglich, sondern ein ethisches Erfordernis sein kann.[1] Das folgende Interview, veröffentlicht am 09.07.2008 auf Spiegel Online, verdeutlicht die Sicht einer Patientin mit aussichtsloser, sog. infauster Prognose:

 

„Seit 65 Jahren leidet Ingrid Sander an Kinderlähmung. Sie hat chronische Schmerzen, ihre Nerven sterben ab, die Muskeln schwinden. Die 70-Jährige will selbstbestimmt sterben und fordert: ,Ein Arzt darf sich nicht strafbar machen, wenn er mir die nötigen Medikamente verschreibt.’ [...] Spiegel Online: Geht es Ihnen so schlecht?

 

Sander: Mein Körper ist völlig verbraucht, er wird vom Schmerz beherrscht. Vor einiger Zeit habe ich noch geglaubt, man brauche sich davon nur abzulenken und ein paar Pillen zu nehmen. Doch das funktioniert nicht mehr. [...]

 

Spiegel Online: Aber es gibt doch Schmerzmittel, die helfen, heißt es immer wieder.

 

Sander: Das ist eine dreiste Lüge, wenn behauptet wird, mit Opiaten könne man alle Schmerzen in den Griff bekommen. Jeder, der damit zu tun hat, weiß das. Auch die Ärzte in den Hospizen wissen es, sie sagen es nur nicht öffentlich. Erst am letzten Wochenende hatte ich wieder so einen Schmerzanfall, der springt einen plötzlich an wie ein Tiger. Das Morphin begann erst Stunden später zu wirken, bis dahin macht man die Hölle durch. [...]

 

Spiegel Online: Gibt es keine Aussicht auf Besserung?

 

Sander: Ich merke, dass es immer weniger wird, was ich machen kann, dass ich immer weniger Kraft habe. Meine Nerven sterben ab, meine Muskeln schwinden. Ich befinde mich auf einer schiefen Ebene, die zwangsläufig in den Tod führt. Ständig verschlechtert sich mein Zustand. Seit letztem Jahr kam Diabetes und ein Lymphstau hinzu. Ich muss nachts Sauerstoff inhalieren, mehrere Stürze zertrümmerten das rechte Knie, den rechten Oberschenkel. Es ist nur noch ein verzweifeltes Rudern gegen den Strom. [...]

 

Spiegel Online: Wie möchten Sie sterben?

 

Sander: In einem Bett, zu Hause. Und nicht erst, wenn ich zum besinnungslosen Fleischklumpen mutiert bin. Ich möchte mein Ende bewusst gestalten. Ich will mich von meinen Kindern und Freunden verabschieden und dabei diesen Cocktail trinken, um friedlich zu entschlummern. Wenn sie wollen, dann sollten sie dabei sein können, ohne Angst vor Strafen.

 

Spiegel Online: Was hindert Sie daran, diesen Plan zu verwirklichen?

 

Sander: Ich komme weder legal noch illegal an einen solchen Cocktail. Ich habe auch keine 6000 Euro, um damit zum Sterben in die Schweiz zu fahren. Selbstbestimmtes Sterben mit Begleitung muss endlich auch hier in Deutschland legal werden. Ein Arzt darf sich nicht strafbar machen, wenn er mir die nötigen Medikamente verschreibt. Es dürfen ihm auch keine standesrechtlichen Sanktionen drohen, wie das jetzt noch der Fall ist. Der selbstbestimmte Tod muss endlich entmystifiziert werden. Niemand darf da durch neue Gesetze in eine Grauzone von Kriminalität und Illegalität hineingedrängt werden.

 

Spiegel Online: Wann ist für Sie der Tag zum Sterben gekommen?

 

Sander: Noch nicht heute oder morgen. Ich brauche ja Hilfe bei der Beschaffung und Einnahme meines Sterbetrankes. Das will gut vorbereitet sein. Ich bin bereit, ein Präzedenzfall zu sein, das ist mein gutes Recht. Vielleicht dauert es noch eine Weile. Bis dahin will ich noch jede gute Stunde genießen. Die Freuden werden kleiner, aber jede erträgliche Nacht lässt mich noch etwas länger leben. Ich bin ja nicht lebensmüde, ich bin nur Realist und weiß, es geht irgendwann nicht mehr. Den Tag, an dem ich sterbe, möchte ich dann selbst bestimmen.“[2]

 

Die Patientin prognostiziert, dass ihr Leiden in Zukunft so ihre Lebensqualität vermindern wird, dass sie andere um Hilfe bitten wird, ihr Leben beenden zu können. Aus ethischer Sicht ist fraglich, ob man ihr das Recht auf einen derart selbstbestimmten Tod zusprechen kann. Zeigt sich in der Bestimmung des eigenen Todeszeitpunktes die höchste Form der Autonomie des Individuums oder sind wir nicht gerade dann, wenn wir um Lebensbeendigung bitten, völlig unfrei, weil unser Leben durch ein schweres Leid fremdbestimmt wird?

 

Ein weiterer moralischer Aspekt bezieht sich auf diejenigen, die der Frau beim Suizid helfen bzw. wenn sie selbst nicht mehr dazu in der Lage wäre, die die Tötungshandlung an ihr vornehmen würden. Wann darf man jemandem darin zustimmen, dass sein Leben nicht mehr lebenswert ist?

 

Auf die Gesellschaft bezogen lässt sich feststellen, dass abgesehen von den öffentlichen Diskussionen Tod und Sterben im Allgemeinen Themen sind, die lieber vermieden werden. Viele Menschen haben Angst vor einem eigenen qualvollen Sterben und fürchten ebenso den Verlust naher Angehöriger. Als Grund für diese Befürchtung kann die Säkularisierung angeführt werden, da der christliche Glaube an ein Leben nach dem Tod für viele Menschen nicht mehr als Trost und Hoffnung dient. Daneben ist aber auch der medizinische Fortschritt einhergehend mit einer zunehmenden Technisierung ein Grund dafür, dass sich das gesellschaftliche Meinungsbild zum Sterbeprozess modifiziert hat.[3] Der Punkt, an dem Ärzte[4] wie früher sagen konnten, „hier ist nichts mehr zu machen“ ist nicht mehr klar zu definieren, sondern ist zu einem diffusen Suchen nach weiteren Therapiemöglichkeiten geworden. In vielen Fällen bedeutet das Ausreizen von therapeutischen Möglichkeiten jedoch keine Verbesserung der Lebensqualität, sondern eine Verlängerung des Leidens- und Sterbeprozesses. Gleichzeitig steht es außer Frage, dass die medizinischen Techniken unverzichtbar sind. Dabei bringen sie allerdings die

 

Paradoxie mit sich, dass sich der Patient entscheiden muss, ob und wie die Technik in seinem Fall angewendet werden soll.[5]

 

In dieser Arbeit werden zunächst die für das Verständnis der Thematik notwendigen Begrifflichkeiten definiert und zugleich juristische Aspekte benannt (Kapitel 2), da diese zur Definition beitragen. Dann sollen exemplarisch die Vorgehensweise der schweizerischen OrganisationExitund die Praxis der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden vorgestellt werden (Kapitel 3).

 

Um sich der ethischen Kontroverse anzunähern, bedarf es zunächst einer Untersuchung von sozialen Einflussfaktoren, die in der Debatte um Sterbehilfe häufig angeführt werden (Kapitel 4). Im Hauptteil der Arbeit (Kapitel 5) erfolgt die ethische Auseinandersetzung mit aktiver Sterbehilfe und Suizidbeihilfe unter Bezugnahme auf die ethischen Werte Autonomie und Menschenwürde. In Ergänzung zu den genuin ethischen Aspekten werden christlich-theologische Argumentationen zum Thema angeführt und Schlussfolgerungen für Kirche und Theologie abgeleitet (Kapitel 6). Da die Auseinandersetzung um menschenwürdiges Sterben immer in Abhängigkeit mit der klinischen Praxis stattfindet, sollen ebenso Konsequenzen für die Medizin und Pflege angeführt werden. Dabei liegt ein Fokus auf der Patientenautonomie und dem FachbereichPalliativeCare(Kapitel 7).

 

Die Entscheidung für oder gegen assistierten Suizid oder aktive Sterbehilfe liegen sowohl beim Patienten als auch beim Arzt.[6] Da die Arbeit aber nicht in erster Linie auf Handlungsempfehlungen für die Ärzteschaft abzielt, sondern aus individualethischer Perspektive argumentiert, ob jemand prinzipiell über den eigenen Todeszeitpunkt bestimmen darf, werden die Beihilfe zum Suizid und die aktive Sterbehilfe nicht durchgängig differenziert und häufig allgemein als Sterbehilfe benannt. Wenn doch eine differenzierte Betrachtungsweise nötig ist oder nur auf eine Maßnahme Bezug genommen wird, wird dies explizit benannt. Des Weiteren ist es unumgänglich bestimmte Aspekte aus der Argumentation weitestgehend auszuklammern. So kann auf die prinzipielle Un- Verfügbarkeit des menschlichen Lebens nur im Zusammenhang mit anderen Aspekten, jedoch nicht im Besonderen eingegangen werden. Desgleichen werden der moralische Unterschied zwischen Handeln und Unterlassen, das Dilemma des Sterbewunsches bei psychischen Erkrankungen sowie die Sterbehilfe in der Neonatalogie nicht näher analysiert, da sie den Rahmen der Arbeit überschreiten würden.

 

Ziel der Arbeit soll folglich eine Betrachtung aus indiVidualethischer PerspektiVe sein. Dazu gilt es befürwortende wie ablehnende Positionen aufzuzeigen. Im Fazit (Kapitel 8) soll eine Entscheidung zur Sterbehilfe - wenn möglich - auf ethischer Ebene getroffen werden. Zumindest soll auch anhand der sozialen, praktischen und theologischen Aspekte begründet Stellung bezogen werden.