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In einem Freizeitpark mit großem Piratensee hören Ben und Lasse zufällig, dass ein Anschlag geplant wird. Gerade, als die beiden Geschwister Hilfe holen wollen, werden sie von den Bösewichten gefasst und auf eine kleine Insel mitten im See verschleppt. Wie sollen sie sich befreien und die Verbrecher aufhalten?
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Seitenzahl: 225
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Harry Voß
Ben & LasseAgenten als Piratenbeute
Harry Voß, Jahrgang 1969, ist hauptamtlich für den Bibellesebund e.V. tätig und leitet dort den Bereich Arbeit mit Kindern.
Nach dem Megaseller Schlunz hat Harry Voß mit Ben & Lasse eine neue erfolgreiche Buchreihe für Kinder ab 8 Jahren ins Leben gerufen.
Mit seiner Familie lebt Harry Voß in Gummersbach.
Impressum
© 2019 Bibellesebund Verlag Marienheide
und SCM Verlag in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen
© 2019 der E-Book-Ausgabe
Bibellesebund Verlag, Marienheide
https://shop.bibellesebund.de/
Autor: Harry Voß
Coverillustration: Georg Design, Münster (www.georg-design.de)
Covergestaltung: Luba Siemens, Marienheide
ISBN 978-3-95568-353-5
Hinweise des Verlags
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des Textes kommen.
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Inhalt
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Impressum
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„Wie weit isses noch?“ Lasse beugt sich vor, hält sich an der Kopfstütze des Sitzes vor ihm fest und brüllt seine Frage noch einmal laut durch das ganze Auto: „Moni! Wie weit ist es noch?!!“
„Es dauert noch eine Weile“, gibt Moni zurück, „und jetzt frag nicht alle fünf Minuten, Lasse. Wir machen jetzt gleich eine Pause, dann können alle mal ein bisschen herumlaufen, Pipi machen und etwas essen.“
„Ich hab keinen Hunger“, mault Lasse.
„Ich auch nicht“, sagt Kathi, die neben Lasse sitzt.
Seit ungefähr einer Stunde fahren wir in diesem alten VW-Bulli in Richtung „Käpt’n Silvers Wunderland“, einem riesengroßen Freizeitpark mit Achterbahnen, Piratenschiffen, Geisterbahnen und anderen aufregenden Attraktionen. Wir – das sind sieben Kinder aus unserem Kindergottesdienst plus Moni und Manni, unsere Betreuer. Den Kindergottesdienst besuchen mein Bruder Lasse und ich schon, seit wir denken können. Jeden Sonntag treffen wir uns im Gemeindehaus in der unteren Etage, singen Lieder, spielen Spiele und hören Geschichten aus der Bibel. Moni, die schon erwachsen ist, ist die Leiterin der Gruppe. Und wenn irgendwelche besonderen Aktionen stattfinden, dann ist auch Monis Bruder Manni dabei. So wie heute. Einmal im Jahr machen wir als kompletter Kindergottesdienst einen Ausflug. Mal besuchen wir einen Zoo, letztes Jahr waren wir in einem Museum für Kinder – und dieses Jahr fahren wir in „Käpt’n Silvers Wunderland“.
Ich habe mich im Internet schon ein bisschen schlau gemacht und seitdem freue ich mich noch mehr auf diesen Tag. In dem Freizeitpark gibt es die gruseligste Geisterbahn Deutschlands, so schreiben sie es selbst auf ihrer Internetseite. Außerdem die schnellste grün-braun gestreifte Holz-Achterbahn Europas und die größte Piratenschiff-mit-Piratengesang-Rundfahrt der Welt. In der Mitte des Parks befindet sich ein großer See, der schon vorher dort war, der sogenannte Piratensee. In der Mitte des Sees liegt eine Insel mit einem dichten Wald. Sie wird die „Todesinsel“ genannt. Die Bahnen und Attraktionen befinden sich rund um den See herum. Laut Internet leben seit ein paar Jahren in diesem Park echte Krokodile. Die schwimmen jetzt durch den See oder ruhen sich auf der Todesinsel in der Mitte des Sees aus. Einzig ein paar große Piratenschiffe dürfen noch am Rand des Sees entlangschippern. Der Rest des Sees ist eingezäunt und für die Parkbesucher nicht zu erreichen. Ein als Pirat verkleideter Mensch erzählt auf den Schiffen Piratengeschichten und ein zweiter spielt auf seinem Schifferklavier Piratenlieder. Das ist für alte Omas bestimmt ganz interessant. Für mich aber eher nicht.
Lasse lehnt sich in seinem Sitz zurück und strahlt mich an. „Das wird klasse, was, Ben?“
„Ja.“
„Mama hat mir gestern ein Bild von dem Park gezeigt. Da laufen echte Piraten rum! Das wird aufregend!“
„Ja, bestimmt.“
„Du, Ben“, fällt Lasse plötzlich ein, „Piraten sind doch auch stark. Ja? Und sie verfolgen andere, sie können beschatten und fesseln. Dann sind sie ja auch fast wie Agenten. Oder? So wie wir!“
Tja. Wie wir. Ich bin tatsächlich Agent. Ich habe mich selbst zu einem ernannt. Immerhin habe ich hier und da schon mitgeholfen, dass Schmuggler, Diebe oder andere Verbrecher geschnappt und ins Gefängnis gebracht wurden. Mein Papa ist Polizist. Er ist in unserer Stadt unter anderem dafür zuständig, Betrüger festzunehmen, Einbrüche aufzuklären und sämtliche Gangster zu verhaften. Wenn ich erwachsen bin, werde ich auch Polizist. Das weiß ich jetzt schon. Darum übe ich mich auch jetzt schon darin, auffällige Personen zu beschatten oder Spuren eines Verbrechens aufzudecken. Während meines ersten Falls letztes Jahr vor Weihnachten habe ich mir eine Anstecknadel gemacht: eine goldene Plakette mit der Aufschrift: „Agent Benjamin Baumann“. Als mein sechsjähriger Bruder Lasse, der noch im ersten Schuljahr ist, das gesehen hat, hat er so lange gebettelt, bis ich ihm auch so eine Anstecknadel gebastelt habe. Darauf steht: „Agent Lasse Baumann.“ Bei ihm habe ich mir allerdings nicht so viel Mühe gegeben. Lasse hat sich trotzdem darüber gefreut, als hätte ich ihm einen Goldschatz überreicht. Seitdem trägt er diesen Anstecker jeden Tag. Auch heute. Ich dagegen bin elf Jahre alt und gehe bereits in die fünfte Klasse. Da habe ich natürlich schon mehr Ahnung und weiß zum Beispiel, dass Piraten nie und nimmer Agenten sind. Abgesehen davon, dass die Piraten in diesem Park, den wir heute besuchen, sowieso alle bloß verkleidet sind.
„Nein, Lasse“, gebe ich ihm darum zur Antwort. „Piraten sind keine Agenten. Im Gegenteil. Die echten Piraten überfallen Schiffe, stehlen Gold und anderen Schmuck und töten schlimmstenfalls Leute, die ihnen im Weg stehen. Piraten sind im wirklichen Leben Verbrecher.“
Lasse schlägt sich beide Hände an den Mund. „Wirklich? Dann … dann müssen wir die Piraten in dem Park ja verhaften!“
„Die Piraten in dem Park sind lieb“, erkläre ich. „Die können wir laufen lassen. Die tun niemandem was Böses. Die singen nur Lieder und erzählen Geschichten. Das ist nicht verboten.“
„Woher weißt du das, Ben? Vielleicht tun die ja nur ganz lieb und sind in echt ganz böse!“
„In diesem Fall kannst du dich entspannen, Lasse. Denk dran: Es gibt nicht nur Verbrecher auf dieser Welt.“
„Nicht nur. Aber viele! Und wenn Piraten eigentlich Verbrecher sind, sollten wir sie besser im Auge behalten!“
„In Ordnung. Du behältst sie im Auge. Ich fahre Achterbahn.“
Kathi zieht verächtlich die Nase hoch: „Ihr immer mit euren Agenten-Angebereien.“ Sie öffnet ihren Rucksack und zieht eine Haarbürste heraus.
Lasse dreht sich zu ihr um: „Angebereien? Nur weil wir Agenten sind? Du bist ja bloß neidisch!“ Lasse tippt auf die Agentennadel auf seinem T-Shirt. „Siehst du? Das hier ist der Beweis: Ich bin wirklich ein Agent!“
Kathi beachtet den Anstecker nicht, sondern bürstet sich ihre sowieso schon glatten braunen Haare, während sie aus dem Fenster schaut. „Ihr spinnt.“
Kathi, Lasse und ich sitzen auf der hintersten Bank des VW-Bullis. Vor uns sitzen Maria, Jonas und Hanna. Ganz vorne neben Moni sitzt Elisabeth. Manni ist unser Fahrer.
Lasse will noch etwas erwidern, holt kurz Luft, aber dann überlegt er es sich anders und beugt sich wieder nach vorne: „Wann sind wir da, Moni?“
„Wie gesagt“, Moni dreht sich nach hinten um, „gleich machen wir kurz Rast.“
„Ich will keine Rast machen“, blökt Lasse, „sondern ins Piratenland. Ich habe auf dem Bild gesehen, dass es da ein ganz wildes Karussell gibt. Es heißt ‚Fips-Piratenfloh‘, hat Mama mir vorgelesen. Das klingt lustig. Darauf will ich fahren. Du auch, Ben?“
„Garantiert nicht.“
„Fips-Piratenfloh“ ist eins der Kinderkarussells für die jüngeren Kinder. Ich werde mich heute nicht blamieren und mit Lasse in Kindergarten-Bähnchen fahren. Eigentlich habe ich noch nicht einmal vor, mit meinem kleinen Erstklässler-Bruder durch den Freizeitpark zu schlendern, aber das habe ich ihm noch nicht deutlich genug erklären können. Ich weiß nur noch nicht, mit wem genau ich durch diesen Park gehe.
„Eine Pause tut uns allen gut“, fährt Moni fort. „Dann sind wir in ‚Käpt’n Silvers Wunderland‘ gestärkt und müssen nicht sofort unser Geld für Essen ausgeben.“
„Ich hab genug Geld mit“, gibt Kathi an.
„Ich hab immer Hunger“, sagt Hanna, die direkt vor Kathi sitzt.
„So siehst du auch aus“, kommt es frech von Kathi.
Hanna dreht sich empört nach hinten und schlägt mit ihrer Hand nach Kathi. Aber durch den Gurt kann sie sich nicht genug bewegen. Sie trifft Kathi nicht.
„Ha, ha“, kräht Kathi, „nicht getroffen, Schnaps gesoffen!“
„Du doofe Kuh!“, schimpft Hanna, dreht sich nach vorne und zieht eine Tüte Erdnuss-Flips aus ihrem Rucksack.
Lasse klopft mir an den Arm: „Wartest du dann vor der Bahn, während ich im Fips-Piratenfloh fahre?“
„Ähm, Lasse …“, versuche ich ihm mein Anliegen schonend beizubringen, „wolltest du … ähm … nicht mit Jonas zusammen durch den Park gehen?“
„Jonas geht doch mit Maria.“
„Ja, aber die dürfen nicht zu zweit bleiben. Da passt du noch gut dazu. Schau mal, Jonas ist neun Jahre und du bist sechs. Das passt besser als elf und sechs. Meinst du nicht auch?“
Lasse zieht seine Unterlippe nach vorne. „Ich will aber lieber mit dir gehen, Ben.“
„Aber ich will vielleicht in den großen, gefährlichen Bahnen fahren. Da darfst du noch nicht rein.“
Lasse drückt nachdenklich seinen dicken Kuschel-Elefanten an sich, den er die ganze Fahrt über schon auf seinem Schoß hält. Dann sagt er: „Ich kann doch vor der Bahn warten, bis du zu Ende gefahren bist.“ Und schon grinst er wieder. „Aber nur unter der Bedingung, dass du dann auch mit mir Fips-Piratenfloh fährst!“
„Das ist ein Baby-Karussell, Lasse. Damit fahre ich nicht.“
„Stimmt gar nicht! Das geht ganz schön hoch. Und wenn man in den Wagen sitzt, dann kann man einen Hebel ziehen, dann gehen die Wagen hoch und runter. Wie ein hüpfender Floh.“
„Klasse, Lasse. Trotzdem sind das Baby-Bähnchen. Ich glaube, Jonas würde gerne mit so was fahren. Frag den doch gleich mal.“
Jonas, der vor Lasse sitzt, dreht sich um: „Nein, Ben. Ich fahre nicht mit Fips-Piratenfloh. Das ist mir zu schnell. Da wird mir schwindlig.“
Ich beuge mich entsetzt vor: „Im Piratenfloh wird dir schwindlig?“
„Ja.“
Lasse schlägt mir an den Arm. „Siehst du, Ben! Der ist nämlich doch sehr, sehr gefährlich! Genau das Richtige für mutige Agenten, wie wir es sind!“
Mutige Agenten, die ein albernes Plüschtier auf dem Schoß halten müssen. Ich lach mich tot. Natürlich nur innerlich. Äußerlich sage ich nichts und schaue aus dem Fenster.
„Ein Agent wie ich blamiert sich auf keinem Piratenfloh-Bähnchen. Das kann ich dir sagen.“
Da dreht sich Hanna um: „Ich finde Fips, den Piratenfloh lustig. Ich kann mit dir darin fahren, Lasse.“
„Oh, cool!“, freut sich Lasse. „Kommst du dann mit uns beiden? Ben und ich sind schon mal ein Zweierteam. Mit dir sind wir zu dritt!“
Kathi beugt sich nach vorne: „Meinst du, du passt in das Bähnchen rein, Hanna, ohne dass die Bahn einkracht?“
Wieder regt sich Hanna auf und schlägt mit ihren Händen nach hinten: „Du doofe, doofe, alte Zicke!“
Nach mehreren Schlägen in die Luft hat sie Kathi an den Beinen getroffen.
„Moni, Moni!“, quakt die laut durch den Bus. „Hanna schlägt mich!“
Hanna verteidigt sich sofort: „Und Kathi ärgert mich!“
Moni dreht sich um und rollt mit den Augen. „Jetzt haltet es einfach noch ein paar Minuten aus. Auf dem Rastplatz könnt ihr euch austoben.“
„Ich will zum Freizeitpark fahren“, knurre ich, „und mich dort austoben.“
2
Bald darauf sitzen wir auf einem Rastplatz um einen Steintisch herum auf zwei Holzbänken. Auf jeder Bank sitzen vier Leute und mampfen etwas aus dem mitgebrachten Vorrat. Lasses Kuschel-Elefant sitzt auf dem Tisch und soll uns zuschauen. Manni lehnt an einem anderen Tisch und isst einen Pfirsich. Die Sonne scheint. Es ist ein toller Tag für einen Ausflug in einen Freizeitpark. Moni schaut fröhlich in die Runde: „So, jetzt ist es gar nicht mehr weit, bis wir da sind. Am Eingang werde ich für uns alle die Eintrittskarten besorgen. Dann gehen wir rein und werden einen schönen Tag haben. Ihr habt ja alle meine Handynummer. Wenn irgendwo ein Problem auftaucht oder sich eine Gruppe verliert, dann könnt ihr mich jederzeit anrufen.“
„Ich hab kein Handy“, meldet sich Lasse.
Moni lächelt. „Aber Ben hat ja eins. Richtig, Ben?“
Mir fährt ein kleiner Stich durch den Bauch. „Ja, schon, äh … aber … ich weiß noch nicht, ob ich … äh …“
„Ich hab auch kein Handy“, sagt Jonas, „aber Maria hat ja eins.“ Er schaut Maria an. Die nickt, ohne den Strohhalm ihres Trinkpäckchens aus dem Mund zu nehmen.
„Manni“, versuche ich es geradewegs heraus, „mit wem gehst du durch den Park?“
„Das weiß ich noch nicht. Mit wem gehst du, Moni?“
„Ich wollte hauptsächlich in die Seehunde-Show und die anderen Vorführungen“, gibt die zur Antwort und schaut Lasse und mich an. „Wollt ihr da mitkommen?“
„Au ja, Seehunde!“, ruft Lasse. „Ben, sollen wir mit Moni gehen?“
„Geh du mit Moni“, sage ich schnell. „Das ist eine gute Idee. Dann gehe ich mit Manni. Ja, Manni?“
„Ich finde die Seehunde auch eine gute Idee“, meint Manni.
„Ach so.“ Ich muss schlucken. „Ich dachte, du willst vielleicht in die wilden Bahnen. In manche darf man zum Beispiel nur, wenn ein Erwachsener mitkommt.“
Lasse meldet sich. „Ja, in das Fips-Piratenfloh-Karussell zum Beispiel. Das ist so wild, da wird manchen ganz schwindlig!“
Elisabeth beißt in ihr Salamibrot. „Mir gefallen die wilden Bahnen. Aber die Seehunde-Show finde ich auch gut.“
Kathi schaut mit klimpernden Augen Moni an: „Ich geh mit dir. Ja?“
„Ja, wenn du auch zur Seehunde-Show mitkommen möchtest?“
„Alles ist mir recht, solange ich nicht mit Hanna gehen muss.“ Damit wirft sie Hanna einen bitterbösen Blick zu. Hanna pumpt ihre Backen auf und schlägt mit beiden Fäusten auf den Steintisch.
Moni seufzt. „Eigentlich dachte ich, dass wir uns hier im Kindergottesdienst etwas netter behandeln.“
Hanna zieht ihre Augenbrauen zusammen. „Kathi weiß doch überhaupt nicht, was ‚nett‘ ist!“
„Hört jetzt auf, ihr zwei“, mahnt Moni genervt.
Ich starre auf mein Rosinenbrötchen, das ich erst zur Hälfte aufgegessen habe. Das wird ja doch um einiges komplizierter, als ich gedacht habe. Hoffentlich verbringe ich nicht die meiste Zeit des Tages mit Seehunde-Shows und anderen langweiligen Theatervorführungen.
Moni zieht ein paar bunt bedruckte Blätter aus ihrem Rucksack. „Das sind die Lagepläne des Freizeitparks“, erklärt sie. „Hier sind alle Bahnen, Shows und Karussells eingezeichnet.“ Sie teilt die Pläne an alle aus. „In der Mitte seht ihr den großen See. Der ist das Zen trum des ganzen Parks. Wenn man einmal um den ganzen See herumgegangen ist und dabei alle Bahnen und Karussells gefahren ist, die einem da rechts und links begegnen, dann hat man alles durch.“ Sie grinst. „Aber das schafft man sowieso nicht an einem einzigen Tag. Weil man bei den meisten Attraktionen auch noch mindestens eine halbe Stunde anstehen muss, schafft man noch weniger. Das Beste ist, ihr sucht euch von vornherein die drei bis vier Sachen aus, die ihr auf jeden Fall erleben wollt. Sonst seid ihr nachher vielleicht enttäuscht.“
Manni wirft den Stein seines aufgegessenen Pfirsichs in hohem Bogen über die angrenzende Wiese und beugt sich über den ausgebreiteten Plan auf unserem Tisch. „Und weil der ganze Freizeitpark ja auf Piraten und Piratenschätze ausgelegt ist, haben wir für euch auch eine Schatzsuche vorbereitet.“ Er grinst. „Natürlich nur, wenn ihr Lust habt.“
„Ja, klar!“, schreien alle laut auf. Ich dagegen bin mir noch nicht ganz sicher, wie super ich das finde. Wenn wir gleich vor lauter Schatzsuche nicht mehr dazu kommen, die wilden Bahnen zu fahren, dann finde ich das einigermaßen blöd.
„Wir haben auf jedem Lageplan vier Kreuze eingezeichnet“, erklärt Manni. „Überall dort könnt ihr nach einem Teil einer Schatzkarte suchen. Wenn ihr alle vier Teile gefunden und aneinander gelegt habt, dann seht ihr auf dieser Karte, wo genau ein dicker Schatz versteckt ist. Wer ihn zuerst gefunden hat, kann ihn sich mit seiner Kleingruppe teilen.“
Moni hebt einen Finger. „Aber gebt uns eine Stunde Zeit, bevor ihr zu suchen beginnt. Denn wir müssen die Kartenteile und den Schatz zuerst noch im Park verstecken.“
Lasse staunt: „Ach, ihr beide habt den Schatz? Dann könnt ihr ihn uns ja auch gleich geben!“
Moni lacht. „Nein. Das ist natürlich ein Spiel. Eine Schatzsuche rund um den Piratensee. Das ist doch lustig.“ Sie schließt ihren Rucksack, der noch auf dem Tisch liegt, und zieht ihn zu sich auf den Schoß. Dann schaut sie uns mit geheimnisvollem Blick an und beginnt ganz unvermittelt etwas zu erzählen: „Es war einmal ein Mann, der ging wie jeden Tag auf einen Acker, um dort zu arbeiten. Der Acker gehörte ihm nicht selbst. Aber weil er bei dem Acker-Besitzer angestellt war, bekam er für seine Arbeit Geld. Doch an diesem Tag geschah etwas Außergewöhnliches. Als er mit der Schaufel in den Boden stach, um einen großen Batzen Erde umzugraben, stieß er auf eine große Kiste. Voller Begeisterung zog er die Kiste heraus und öffnete sie. Und was meint ihr, was da drinnen war?“
„Ein Schatz!“, platzt es aus Lasse heraus.
„Richtig“, nickt Moni. „In der Kiste lag genau das, wonach sich der Mann sein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Das, wovon er schon immer geträumt hatte!“
„Gold“, plärrt Lasse begeistert.
„Hm“, macht Moni, „in diesem Fall nicht. Der Mann fand etwas, das sonst in keiner Schatzkiste liegt. Was denkt ihr, könnte sich der Mann schon ein Leben lang gewünscht haben?“
„Ein Pferd“, grinst Hanna. Alle lachen bei der Vorstellung, ein Pferd käme aus einer Kiste im Acker herausgaloppiert.
„Tja“, fährt Moni fort, „vielleicht lag in dieser Kiste etwas, das man mit keinem Geld der Welt bezahlen kann. Etwas, das man noch nicht mal sehen und anfassen kann, sondern das man als Sehnsucht in seinem Herzen trägt.“
„Frieden auf der ganzen Welt“, startet Elisabeth einen Versuch.
Lasse grinst breit: „Eine große, dicke Mama-Umarmung.“
Moni nickt und freut sich. „Wäre das ein großer Schatz für dich, Lasse?“
„Ja! Und natürlich eine Papa-Umarmung!“
„Eine Eins in Mathe“, fällt Hanna ein.
„Ein glückliches Leben“, ergänzt Elisabeth nachdenklich.
„Eine Ballett-Aufführung, in der alle zuschauen“, sagt Kathi. „Die ganze Klasse, die ganze Familie. Und nachher klatschen alle und sagen Aaah und Oooh.“
„Das war ja klar, dass so was von dir kommt“, zickt Hanna.
Kathi wirft ihr einen vernichtenden Blick zu. „Na und?“
„In meiner Kiste“, geht Manni schnell dazwischen, „wäre auch eine Welt voller Frieden. So wie es Elisabeth gesagt hat. Eine Welt, in der einer für den anderen da ist. In der man sich nach einem Streit wieder versöhnt. In der niemand der Größte sein will. In der jeder so sein darf, wie er ist, und man sich nicht immer vergleichen muss.“
„Boah, das wäre cool!“, schwärmt Hanna sofort.
„Der Mann jedenfalls“, erzählt Moni weiter, „war sehr froh, dass er den größten Schatz seines Lebens gefunden hatte. Da gab es jedoch ein Problem: Nur weil er den Schatz gefunden hatte, gehörte er ihm nicht automatisch. Er kam ja aus einem Acker, der einem ganz anderen gehörte. Und wem der Acker gehörte, dem gehörte auch der Schatz. Nun wollte der Mann aber das, wovon er schon immer geträumt hatte, auf keinen Fall einem anderen überlassen. Er vergrub also den Schatz wieder in dem Loch. Dann rannte er zu seinem Chef und erklärte ihm, er wollte den Acker kaufen. Als er den Kaufpreis hörte, bekam er einen Schrecken. So viel Geld hatte er nicht. Er ging nach Hause und schaute sich an, was in seinem Haus alles herumstand. Alles schöne Dinge, über die er sich freute. Aber auch alles Dinge, die ihm geradezu wertlos vorkamen im Vergleich zu dem Schatz, den er gefunden hatte. Also verkaufte er alles, was er bis dahin besessen hatte. Dann hatte er genug Geld, um den Acker zu kaufen. Und damit gehörte ihm auch der Schatz. Der Mann war überglücklich. Denn nun besaß er das, wonach er sich sein ganzes Leben lang gesehnt hatte.“
„Und was war das jetzt für ein Schatz?“, will Jonas wissen.
„Jesus hat die Geschichte erzählt“, erklärt Moni. „Und er hat dazu gesagt: ‚Den Schatz kann man mit dem Himmelreich vergleichen, mit Gottes neuer Welt.‘“
Jonas legt ungläubig seine Stirn in Falten. „Also war der Himmel in der Schatzkiste?“
„Wenn Jesus vom Himmelreich spricht“, erklärt Moni, „dann meint er ja nicht nur den Ort, wohin wir kommen, wenn wir gestorben sind. Mit dem Himmelreich meint Jesus Gottes neue Welt, die er aufbauen will. Jesus ist in dieser Welt der König. Dieses Reich hat mit Jesus begonnen und nun breitet es sich immer weiter aus. Jesus hat gezeigt, wie es in Gottes Welt zugeht: voller Liebe und Erbarmen. Voller Mitleid, Teilen, Vergebung. So wie sich Manni seinen Schatz in der Kiste vorgestellt hat.“
Einige Kinder nicken nachdenklich. Ich finde diesen Gedanken auch schön. Aber gibt es denn so was?
„Mit Jesus hat in dieser Welt etwas Neues angefangen“, sagt Moni. „Er weiß, dass diese Welt voller Unfrieden ist. Voller Neid, Hass und Gemeinheiten. Aber er selbst hat gesagt, dass er den Frieden bringt. Dabei geht es zuerst einmal um den Frieden in uns selbst. Dass wir wissen, wie wertvoll Gott uns gemacht hat und dass wir es nicht nötig haben, uns mit anderen zu vergleichen oder sie gemein zu behandeln. Daraus wird dann auch der Frieden mit anderen. Und es geht um Frieden mit Gott. Sich mit Gott anzufreunden und ihm zu vertrauen. Da, wo das passiert, kann mitten in unserer Welt eine andere Welt wachsen. Ein Königreich voller Frieden, in dem Jesus der König ist.“
Klingt gut, denke ich. Allerdings möchte ich jetzt lieber mal langsam aufbrechen und zu „Käpt’n Silvers Wunderland“ kommen. Die Achterbahn und die anderen aufregenden Sachen kann man ja trotzdem erleben, auch wenn man die Welt von Gott gut findet. Oder etwa nicht?
3
Es ist kurz nach zehn, als wir an den Pforten von „Käpt’n Silvers Wunderland“ stehen. Und fast halb elf, als Moni endlich die lange Schlange vor der Kasse überstanden und die Karten besorgt hat. Wir gehen gemeinsam durch das Eingangstor. Dort stehen einige schwarz gekleidete Männer mit Kopfhörern im Ohr und einem Schildchen am Anzug mit der Aufschrift „Sicherheit“. Sie schauen sich jeden, der durch das Tor geht, prüfend an. Als Manni an ihnen vorbeikommt, muss er seinen Rucksack öffnen. Die Männer lassen ihn erst durch, nachdem sie ein bisschen in seinem Rucksack gekramt haben. Ich muss schmunzeln. Sie haben Manni für einen Gangster gehalten.
Als ich durch das Tor in den Freizeitpark gelangt bin, kann ich schon jede Menge Verkaufsbuden, Karussells und andere aufregende Attraktionen sehen. Direkt am Eingang stehen ein paar Häuser, in denen es Essen und Trinken zu kaufen gibt. „Toiletten“ steht an einem der Häuser. Daneben an einer Extratür: „Erste Hilfe“. An einem anderen Haus steht: „Verwaltung“ und „Geschäftsleitung“. Auch hier stehen überall diese schwarzen Sicherheits-Männer herum. Die scheinen ja wirklich mit vielen Dieben zu rechnen, wenn hier so viele Männer für Sicherheit sorgen sollen. Aber jetzt bin ich ja da. Sollte hier jemand etwas Böses im Schilde führen, werde ich das natürlich sofort herausfinden. Obwohl – eigentlich bin ich heute ja nicht hier, um Verbrecher zu fangen, sondern um Spaß zu haben. Im Hintergrund ragt schon das riesige Holzgestell der Achterbahn über Bäumen und Häusern heraus. Ich kann es kaum mehr abwarten, endlich losflitzen zu können.
Direkt vor uns befindet sich eine Fläche, die mit verschiedenen Blumen so bepflanzt ist, dass sich ein Bild von einem Piratenschiff ergibt. Das sieht klasse aus. Aus Lautsprechern dröhnt Musik mit Piratenliedern. Überall laufen menschengroße Tiere herum und winken den Parkbesuchern zu: ein Krokodil, ein Pinguin, ein Löwe. Das sind natürlich verkleidete Menschen. Sie sind umringt von Kindern, deren Eltern aufgeregt Fotos knipsen.
Lasse strahlt übers ganze Gesicht. „Boah, das wird klasse hier! Was, Ben? Kann man dort in den Häusern was kaufen? Mama hat mir fünf Euro Taschengeld mitgegeben! Dafür kann ich mir was kaufen! Komm, Ben! Wir schauen mal nach, was es da gibt!“
„Nein, Lasse!“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Jetzt warte doch erst mal!“
Moni verschafft sich noch einmal Gehör: „Um 17 Uhr ist hier im Park eine große Parade. Da laufen alle verkleideten Tiere aus den verschiedenen Themenbereichen noch einmal die Hauptstraße um den See entlang. Große geschmückte Wagen fahren hintereinander her. Die Tiere und Piraten winken den Besuchern zu. Wie bei einem Karnevals-Umzug. Sie starten irgendwo da hinten an einer großen Halle. Und dort kommen sie auch wieder an. Wenn die Parade vorbei ist, treffen wir uns alle wieder genau hier. Hier an diesem Blumenbeet. Spätestens um 18 Uhr.“ Sie zeigt auf das Piratenschiff aus Blumen vor uns. „Heute Mittag um eins“, fährt sie fort, „werden Manni und ich an einer der Buden hier im Eingangsbereich etwas zu essen kaufen und eine Mittagspause einlegen. Wer von euch also zwischendurch mal die anderen sehen will, kann gerne dazu stoßen. Ansonsten bleibt es dabei: Ihr werdet in kleinen Gruppen mit mindestens drei Personen durch den Park laufen. Ihr könnt auch zu siebt oder mit Manni und mir gehen, wenn ihr wollt. Aber niemand geht alleine oder zu zweit. Habt ihr das verstanden?“
„Warum eigentlich?“, will Jonas wissen. „Ich gehe mit Maria. Ich brauche die anderen nicht.“
„Das habe ich euch doch schon mehrmals erklärt“, sagt Moni. „Wenn einem etwas zustößt oder wenn sich einer verletzt hat oder sonst etwas passiert ist, dann kann einer loslaufen und Hilfe holen und der andere bleibt bei dem Verletzten.“
„Uns passiert nichts“, weiß Jonas jetzt schon.
„Das will ich auch hoffen“, gibt Moni zurück. „Aber es bleibt dabei. Wenn etwas passiert, ist es wichtig, dass ihr zu dritt seid. Darüber diskutiere ich auch nicht mit euch. Wenn Manni und ich jemanden von euch alleine oder zu zweit antreffen, dann müsst ihr für den Rest des Tages mit uns beiden gehen und dürft nur die Bähnchen fahren, die wir beide uns aussuchen. Verstanden?“
Lasse meldet sich: „Und was ist, wenn einer oder zwei in eine wilde Bahn wollen und der dritte will nicht mitfahren?“
„In diesem Fall wartet der dritte an einer Bank am Eingang dieser Bahn auf die anderen. Das ist eine Ausnahme. Aber er darf auf keinen Fall alleine weitergehen. Klar?“
„Und wenn der, der alleine wartet, dann dringend aufs Klo muss?“, forscht Lasse weiter.
Moni seufzt. „Dann geht er eben schnell. Aber danach muss er sofort wieder zum Eingang gehen.“
Lasse grinst: „Ist das jetzt die Ausnahme von der Ausnahme?“
„Ja, von mir aus. Aber jetzt versuch nicht noch mehr Ausnahmen auszuhandeln, Lasse. Ich hoffe, du hast verstanden, dass du ansonsten immer ganz klar bei deinem Bruder bleibst. Oder du gehst mit uns Großen.“
„Nee, ich bleib bei meinem Bruder und laufe nicht weg! Hab ich verstanden!“ Lasse grinst mich an.
Ich grinse nicht. „Aber … äh … es ist doch noch gar nicht klar, dass Lasse und ich zusammen gehen …“
„Wie ihr euch zusammentut, bleibt euch überlassen“, winkt Moni ab. „Mit wem möchtet ihr denn zusammen sein?“
„Ich will mit Ben gehen!“, bestimmt Lasse sofort.
„Ich geh mit Maria!“, ruft Jonas und greift sofort nach Marias Ärmel.
„Ich auch!“, rufen Hanna, Kathi und Elisabeth.
„Siehste!“, freut sich Lasse. „Dann müssen wir beide ja zusammenbleiben!“
„Und noch ein Dritter sollte dazugehen“, beharrt Moni und schaut mich an. „Oder ihr beiden geht mit Manni und mir, wenn ihr mögt. Das ist für uns auch in Ordnung.“
Mir ist irgendwie unwohl zumute. „Aber du wolltest doch nur in diese komische … äh … Seehunde-Show …“
„Ja. Die ist sehr interessant.“