Bergauf mit Rückenwind - Kelly McGonigal - E-Book
SONDERANGEBOT

Bergauf mit Rückenwind E-Book

Kelly McGonigal

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Goldmann
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Innerer Schweinehund ade

Die Überwindung des inneren Schweinehundes scheint fast immer nur mit eiserner Selbstbeherrschung erreichbar. Doch Kelly McGonigal zeigt, dass Willenskraft allein eine Frage des richtigen Energiemanagements ist. Mit der Einsicht in die inneren Mechanismen, durch ausreichend Regeneration, etwas Training und das Setzen von Prioritäten kann man lernen, das eigene Leben im Griff zu haben, ohne sich übermäßig anstrengen zu müssen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 350

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Mit dem Rauchen aufhören, abnehmen, regelmäßig Sport treiben, Terminsachen rechtzeitig erledigen oder weniger Geld ausgeben– gute Vorsätze, die man für gewöhnlich nicht einhält. Eiserne Selbstbeherrschung scheint dementsprechend die wichtigste Tugend unserer Zeit zu sein, aber die meisten Menschen fühlen sich dabei eher wie Versager. In einem Moment haben sie noch volle Kontrolle, im nächsten sehen sie sich von ihrem inneren Schweinehund ausgetrickst. Kelly McGonigal beleuchtet anhand unterhaltsamer Beispiele die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, warum gute Vorsätze nicht funktionieren, und zeigt, dass es sich bei Willenskraft um eine Frage des Energiemanagements handelt. Mit der richtigen Einsicht in die inneren Mechanismen, etwas Training und dem Setzen von Prioritäten kann man lernen, ohne Stress Entscheidungen zu treffen und durchzuhalten, problemlos Versuchungen zu widerstehen und ohne Anstrengung das eigene Leben im Griff zu behalten.

Autorin

Kelly McGonigal, Doktorin der Psychologie, unterrichtet an der Stanford University. Sie erhielt für ihre Arbeit bereits mehrere Preise und tritt immer wieder als Expertin im Fernsehen und in der Zeitung in Erscheinung. Außerdem schreibt sie regelmäßig für verschiedene Zeitschriften.

www.kellymcgonigal.com

Kelly McGonigal

Bergauf mit Rückenwind

Willenskraft effizient einsetzen

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Hutter

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Copyright © 2012 Kelly McGonigal, Ph. D.

Alle Rechte vorbehalten.

Originaltitel: The Willpower Instinct. How Self-Control Works, Why It Matters, and What You Can Do to Get More of It

Originalverlag: Avery Books, Penguin Group (USA) Inc.

Published by arrangement with Avery, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München

Umschlagillustration: FinePic®, München

Illustrationen: Kapitel 1 und 5 Theiss Heidolph, München

Redaktion: Carmen Dollhäubl

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

JE · Herstellung: IH

ISBN 978-3-641-06751-9V003

www.goldmann-verlag.de

Dieses Buch ist jedem gewidmet, der je mit einer Versuchung, einer Sucht, mit Vermeidungsverhalten oder mit mangelnder Motivation zu kämpfen hatte – also uns allen.

»Kluge Menschen wünschen sich Selbstbeherrschung, Kinder Süßigkeiten.«

Rumi

Willkommen beim Programm für mehr Willenskraft

Wenn ich erwähne, dass ich Vorlesungen über Willenskraft halte, höre ich so gut wie immer: »Ach, das wäre etwas für mich.« Mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt unserer Geschichte ist den Menschen klar geworden, dass Willenskraft – die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit, unsere Gefühle und unsere Wünsche zu steuern – Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit, die finanzielle Situation, auf Beziehungen und den beruflichen Erfolg hat. Wir wissen, dass wir auf jeden Aspekt unseres Lebens achten sollten, von dem, was wir essen, bis zu dem, was wir tun, sagen und kaufen.

Trotzdem fühlen sich die meisten Menschen in puncto Willenskraft als Versager, stets bedroht vom Kontrollverlust. In einer Erhebung der American Psychological Association gab eine Mehrzahl der Befragten mangelnde Willenskraft als wichtigsten Grund dafür an, dass sie ihre Ziele nicht erreicht.1 Die Folge sind Enttäuschung und Schuldgefühle. Andere fühlen sich ihren Gedanken, Gefühlen und Gelüsten ausgeliefert, ihr Leben wird eher von spontanen Impulsen als von bewussten Entscheidungen beherrscht. Auch die wirklich Disziplinierten spüren eine Tendenz zur Überforderung und fragen sich, ob das Leben wirklich so mühsam sein muss.

1 American Psychological Association: Americans Report Willpower and Stress as Key Obstacles to Meeting Health-Related Resolutions.Umfrage, durchgeführt von Harris Interactive, 2. 3.– 4. 3. 2010.

Als Gesundheitspsychologin und Lehrbeauftragte für das Programm »Bessere Gesundheit« der Stanford School of Medicine ist es mein Beruf, Menschen im Umgang mit Stress und bei der Entwicklung gesunder Verhaltensweisen zu unterstützen. Nachdem ich jahrelang beobachtet hatte, wie schwer es Menschen fällt, ihr Denken, ihre Gefühle und Gewohnheiten zu verändern, begriff ich, dass oft eine falsche Auffassung von Willenskraft den Erfolg untergräbt und unnötigen Stress entstehen lässt. Die althergebrachten Strategien der Selbstregulation waren offenbar kontraproduktiv. Auf der anderen Seite existierten zwar ausgesprochen hilfreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zu diesem Thema, diese erreichten aber nicht die breite Öffentlichkeit.

Das alles veranlasste mich, im Rahmen eines öffentlich zugänglichen Kursangebotes an der Stanford University eine Wissenschaft der Willenskraft zu entwickeln. Der zugehörige Lehrgang verbindet neueste Einsichten aus Psychologie, Wirtschaftswissenschaft, Neurowissenschaften und Medizin und erklärt, wie man schädliche Gewohnheiten durch förderliche ersetzen, Vermeidungsverhalten überwinden, seinen Fokus finden und Stress bewältigen kann. Er beleuchtet die Frage, warum wir einer Versuchung nachgeben, und wie wir die Kraft finden, ihr zu widerstehen. Er zeigt auf, wie wichtig es ist, die Grenzen der Selbstregulation zu erkennen, und stellt die besten Methoden zur Stärkung der Willenskraft vor.

Zu meiner großen Freude gewann der Kurs an Popularität. Es kamen Manager, Lehrer, Sportler, im Gesundheitswesen Beschäftigte und viele andere Interessenten; die Hörer brachten Ehegatten, Kinder und Arbeitskollegen mit.

Ich hatte gehofft, dass der Lehrgang diesen so unterschiedlichen Teilnehmern – ihre Ziele reichten von Raucherentwöhnung und Gewichtsabnahme über Schuldenabbau bis zur besseren Elternschaft – von Nutzen sein würde. Doch sogar ich war von den Ergebnissen überrascht. Eine Umfrage vier Wochen nach Beginn ergab, dass 97 Prozent der Hörer das Gefühl hatten, ihr eigenes Verhalten besser zu verstehen, und 87 Prozent berichteten, die Methoden aus dem Lehrgang hätten ihre Willenskraft bereits gesteigert. Bei Lehrgangsende erzählten Teilnehmer, dass sie ihre dreißig Jahre andauerte Sucht nach Süßigkeiten überwunden, endlich ihre Steuerschulden bezahlt oder ihre Kinder nicht mehr angebrüllt hätten. Die wissenschaftlich begründeten Strategien zur Selbstregulation halfen den Menschen, mit verschiedensten Versuchungen fertig zu werden, sei es Alkohol, der Hang zum exzessiven Computerspielen oder Einkaufen oder die Anziehungskraft einer verheirateten Kollegin. Die Hörer meisterten Herausforderungen wie einen Marathon, die Gründung eines eigenen Betriebs, den Umgang mit den Belastungen der Arbeitslosigkeit oder familiären Konflikten oder den gefürchteten Rechtschreibtest am Freitagmorgen (so ist das, wenn Mütter ihre Kinder mit in die Vorlesung bringen). Sie waren insgesamt zufriedener mit sich selbst und nun in der Lage, bewusstere Entscheidungen zu treffen. In den Lehrgangsbewertungen wurde der Begriff »lebensverändernd« gebraucht. Die Teilnehmer waren sich einig: Das Wissen um die Hintergründe der Willenskraft lieferte klare Strategien für die Entwicklung von Selbstregulation und gab ihnen Kraft für die Umsetzung dessen, was ihnen wichtig war.

Und natürlich lernte auch ich eine Menge von meinen Studenten. Sie schliefen ein, wenn ich zu theoretisch blieb. Sie waren äußerst kreativ in der Umsetzung der wöchentlichen Hausaufgaben und ließen mich umgehend wissen, welche Strategien im Alltag funktionierten und welche ein Reinfall waren – das sind Dinge, die man durch eine Laborstudie niemals herausfinden könnte. Die Erfahrungen Hunderter Kursteilnehmer sind in dieses Buch eingeflossen. Es vereint die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse mit praktischen Übungen aus dem Lehrgang.

Die Mechanismen des Scheiterns verstehen lernen

Die meisten Bücher über Verhaltensänderungen – ob es nun um eine neue Diät oder um finanzielle Unabhängigkeit geht – möchten uns anleiten, uns Ziele zu setzen und diese zu verfolgen. Doch wenn es ausreichen würde zu erkennen, was wir ändern wollen, wäre jeder Neujahrsvorsatz ein Erfolg und mein Hörsaal leer. Kaum ein Ratgeber sagt uns, warum wir all das nicht längst tun, von dem wir wissen, dass wir es tun sollten.

Ich denke, die wichtigste Voraussetzung zur Verbesserung der Selbstbeherrschung ist es zu erkennen, wie und warum wir die Beherrschung verlieren. Das Wissen, unter welchen Bedingungen wir höchstwahrscheinlich schwach werden, erlaubt es uns, uns selbst zu unterstützen und Fallstricke zu umgehen. Forschungen zeigen, dass jene Menschen, die meinen, die meiste Willenskraft zu besitzen, in Wahrheit die ersten sind, die einer Versuchung nachgeben. So ist beispielsweise bei Rauchern, die ihre Fähigkeit zum Verzicht besonders optimistisch einschätzen, die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach vier Monaten rückfällig werden, am größten.2 Warum? Sie können nicht einschätzen, wann, wo und warum sie schwach werden. Sie setzen sich stärker der Versuchung aus, gehen etwa mit Rauchern aus. Sie reagieren angesichts von Rückschlägen auch am ehesten überrascht und geben ihr Vorhaben auf, wenn Schwierigkeiten auftreten.

2 Nordgren, L. F., F. van Harreveld, J. van der Pligt: »The Restraint Bias: How the Illusion of Self-Restraint Promotes Impulsive Behavior«. In: Psychological Science 20 (2009), 1523 –1528. Siehe auch Saito, H., Y. Kimura, S. Tashima, N. Takao, A. Nakagawa, T. Baba, S. Sato: »Psychological Factors That Promote Behavior Modification by Obese Patients«. In: BioPsychoSocial Medicine 3 (2009), 9.

Selbsterkenntnis – besonders in Hinblick auf Bedrohungen für unsere Willenskraft – ist die Grundlage für Selbstregulation. Deswegen stehen die häufigsten Fehler, die wir alle in puncto Willenskraft begehen, im Fokus dieses Buches. Jedes Kapitel räumt mit einer verbreiteten Fehleinschätzung über Selbstregulation auf und lässt uns Herausforderungen in einem neuen Licht sehen. Wir werden jedes Missverständnis sezieren: Was genau lässt uns scheitern, wenn wir einer Versuchung nachgeben oder eine Angelegenheit aufschieben? Worin liegt unser fataler Irrtum, und warum begehen wir ihn? Und, besonders wichtig: Wie können wir uns selbst in Zukunft vor diesem Schicksal bewahren? Wie können wir das Wissen um die Mechanismen unseres Scheiterns in Erfolgsstrategien verwandeln?

Wenn Sie dieses Buch zu Ende gelesen haben, werden Sie Ihr unvollkommenes, aber zutiefst menschliches Verhalten besser verstehen. Eines wird bei der wissenschaftlichen Betrachtung der Willenskraft deutlich: Jeder kämpft mit Versuchung, Sucht, Ablenkbarkeit und Vermeidungsverhalten. Das sind keine individuellen Unzulänglichkeiten, es sind universelle Erfahrungen, die zum Wesen des Menschen gehören. Wenn ich mit diesem Buch erreiche, dass Sie das erkennen, bin ich schon glücklich. Doch ich hoffe, dass es viel mehr bewirkt – dass es Sie in die Lage versetzt, bleibende Veränderungen in Ihrem Leben vorzunehmen.

So nutzen Sie dieses Buch

Werden Sie zum Willenskraft-Forscher

Ich bin Wissenschaftlerin, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Theorien zwar eine schöne Sache sind, Fakten aber wesentlich mehr bringen. Daher möchte ich Sie bitten, an dieses Buch wie an ein wissenschaftliches Experiment heranzugehen. Sie können – und sollten! – sich selbst zum Gegenstand Ihrer eigenen Studie machen. Nehmen Sie, wenn Sie dieses Buch lesen, nicht alles als gegeben hin. Testen Sie meine Konzepte in Ihrem eigenen Leben. Sammeln Sie Ihre eigenen Daten, und stellen Sie fest, was für Sie funktioniert.

In jedem Kapitel finden Sie zwei Arten von Aufgaben, die Ihnen helfen, zum Forscher in Sachen Willenskraft zu werden. Die erste trägt die Überschrift »Unter dem Mikroskop« und hält Sie dazu an, sich Ihre jetzige Situation anzusehen. Denn bevor Sie etwas verändern können, müssen Sie es bewusst wahrnehmen. Ich werde Sie beispielsweise bitten, darauf zu achten, wann Sie am ehesten einer Versuchung nachgeben oder wie sich Hunger auf Ihr Kaufverhalten auswirkt. Bei jeder dieser Aufgaben müssen Sie wie ein unvoreingenommener, neugieriger Beobachter vorgehen – wie ein Wissenschaftler, der in sein Mikroskop blickt und hofft, etwas Nützliches zu entdecken. Auf keinen Fall sollten Sie diese Aufträge zum Anlass nehmen, sich selbst für Ihre mangelnde Willenskraft zu tadeln oder über die Verlockungen der modernen Welt herzuziehen. (Ersteres ist völlig unangebracht, und Letzteres übernehme ich selbst.)

Darüber hinaus werden Sie in jedem Kapitel auch »Willenskraft-Experimente« finden. Dabei handelt es sich um praktische Strategien zur Verbesserung der Selbstregulation auf Basis einer wissenschaftlichen Studie oder Theorie. Sie können diese Willenskraftverstärker sofort auf alltägliche Herausforderungen anwenden. Versuchen Sie, an jede Strategie unvoreingenommen heranzugehen, auch an jene, die Ihnen vollkommen falsch erscheinen (das werden eine ganze Menge sein!). Jede dieser Strategien wurde von Studenten aus meinen Kursen erprobt und, obgleich nicht jede Strategie bei jedem Menschen funktioniert, positiv bewertet. Und jene, die sich in der Theorie gut anhörten, aber in der Praxis als Flop erwiesen? Die werden Sie auf diesen Seiten nicht finden!

Diese Experimente sind eine gute Möglichkeit, den Stillstand zu überwinden und neue Lösungen für alte Probleme zu finden. Sie sollten unterschiedliche Strategien ausprobieren und auf dieser Datenbasis selbst herausfinden, was Ihnen hilft. Es handelt sich nicht um Prüfungen, Sie können nicht durchfallen – auch wenn Sie beschließen, genau das Gegenteil der Empfehlung auszuprobieren (Wissenschaft braucht Skepsis!). Sprechen Sie mit Freunden, Verwandten und Kollegen über die Strategien, und beobachten Sie, was bei wem funktioniert. Sie werden ständig dazulernen und so Ihre eigenen Strategien zur Selbstregulation verfeinern.

Wo liegen die Schwachpunkte Ihrer Willenskraft?

Damit Sie von diesem Buch maximal profitieren, empfehle ich Ihnen, einen bestimmten Problembereich auszuwählen und jedes Konzept daran zu erproben. Jeder hat Bereiche, in denen seine Willenskraft schwach ist. Manche betreffen uns alle – dank unserer Biologie ist das beispielsweise das Verlangen nach Zucker und Fett; wir alle müssen uns zurückhalten, damit wir nicht die Konditorei um die Ecke leer futtern. Doch manche Problembereiche sind individuell. Was Sie unbedingt haben wollen, kann ein anderer abstoßend finden. Wonach Sie süchtig sind, wird manch anderen langweilen. Und vielleicht zahlt sogar jemand für etwas, was Sie auf die lange Bank schieben. Egal worum es genau geht, diese Herausforderungen laufen für uns alle in etwa gleich ab. Ihr Verlangen nach Schokolade unterscheidet sich nicht so sehr von jenem eines Rauchers nach einer Zigarette oder dem eines Einkaufssüchtigen. Die Rechtfertigung des einen, warum er keinen Sport treibt, unterscheidet sich nicht groß von der eines anderen, der überfällige Rechnungen gar nicht erst öffnet.

Mangelnde Willenskraft kann etwas betreffen, was Sie bisher vermeiden (was wir als »Ich werde«-Herausforderung bezeichnen), oder eine Gewohnheit, die Sie ablegen möchten (eine »Ich werde nicht«-Herausforderung). Sie könnten auch ein wichtiges Ziel in Ihrem Leben wählen, auf das Sie sich stärker konzentrieren wollen (eine »Ich will«-Herausforderung) – sei es, dass Sie Ihren Umgang mit Stress, Ihre Erziehungskompetenz oder Ihre Karriereaussichten verbessern möchten. Weil Ablenkbarkeit, Versuchung, Impulskontrolle und Vermeidungsverhalten solch universelle menschliche Herausforderungen sind, werden die Strategien in diesem Buch Ihnen auf dem Weg zu jedem beliebigen Ziel nützlich sein. Wenn Sie dieses Buch zu Ende gelesen haben, werden Sie mehr über Ihre ganz persönlichen Knackpunkte wissen und sie mithilfe neuer Strategien der Selbstregulation meistern können.

Lassen Sie sich Zeit

Dieses Buch ist nach dem Vorbild meines zehnwöchigen Kurses in zehn Kapitel gegliedert. Jedes Kapitel beschreibt ein wesentliches Konzept und dessen wissenschaftlichen Hintergrund und geht darauf ein, wie Sie dieses Konzept auf Ihre Ziele anwenden können. Die Kapitel bauen aufeinander auf.

Sie könnten zwar das ganze Buch an einem Wochenende lesen, ich würde Ihnen jedoch raten, langsam vorzugehen. Die Studenten meines Lehrgangs haben eine ganze Woche Zeit, um zu beobachten, wie sich jedes Konzept in ihrem eigenen Leben auswirkt. Sie testen jede Woche eine neue Strategie zur Selbstregulation und berichten im Anschluss darüber. Nehmen auch Sie sich Zeit für die praktischen Übungen und die Reflexion. Probieren Sie auf keinen Fall mehrere neue Strategien auf einmal aus. Wählen Sie aus jedem Kapitel eine Strategie, die zu Ihrem Problemfeld passen könnte.

Sie können bei jedem neuem Ziel, das Sie erreichen möchten, dieses Buch wieder von vorn durcharbeiten – so, wie einige Studenten meinen Lehrgang mehrmals besuchten, jedes Mal mit Fokus auf eine andere Herausforderung. Wenn Sie jedoch zunächst einfach das ganze Buch lesen möchten, genießen Sie es – und machen Sie sich dabei keine Gedanken über Reflexionen und Übungen. Merken Sie sich die, die Ihnen interessant erscheinen, und kommen Sie darauf zurück, wenn Sie bereit sind, die Konzepte umzusetzen.

Unter dem Mikroskop

Wählen Sie eine Herausforderung

Wenn Sie noch keinen konkreten Problembereich ins Auge gefasst haben, ist es nun Zeit zu überlegen, worauf Sie die Konzepte in diesem Buch anwenden möchten. Die folgenden Fragen helfen Ihnen bei der Entscheidung:

»Ich werde«-Herausforderung: Was möchten Sie öfter oder intensiver tun beziehungsweise nicht länger aufschieben, weil Sie wissen, dass es Ihre Lebensqualität steigern wird?»Ich werde nicht«-Herausforderung: Was ist die hartnäckigste schlechte Gewohnheit in Ihrem Leben? Was möchten Sie gerne sein lassen oder reduzieren, weil es Ihre Gesundheit, Ihr Glück oder Ihren Erfolg untergräbt?»Ich will«-Herausforderung: Was ist das wichtigste langfristige Ziel, auf das Sie sich konzentrieren möchten? Welcher unmittelbare »Wunsch« oder Impuls wird Sie am wahrscheinlichsten davon ablenken oder abbringen?

1.

Was Willenskraft ist, und warum wir sie brauchen

Wenn Sie an etwas denken, was Willenskraft erfordert, was kommt Ihnen dann in den Sinn? Für die meisten von uns besteht die klassische Prüfung der Willenskraft in einer Versuchung, ob durch ein Stück Kuchen, eine Zigarette, einen Abverkauf oder einen One-Night-Stand. Wenn Menschen sagen: »Ich habe keine Willenskraft«, meinen sie damit meist, »Ich kann nicht Nein sagen, wenn mein Mund, Magen, Herz oder … (setzen Sie den passenden Körperteil selbst ein) Ja sagen möchte.« Diese Themen bezeichnen wir als »Ich werde nicht«-Herausforderung.

Neinsagen ist jedoch nur ein Aspekt der Willenskraft. Immerhin ist das konsequente Neinsagen das Lieblingsverhalten aller Drückeberger und Couch-Potatoes auf der ganzen Welt. Manchmal ist es wichtiger, Ja zu sagen. Denken Sie nur an alle Dinge, die wir (immer wieder?) auf morgen verschieben! Willenskraft hilft uns, sie ganz oben auf unsere Aufgabenliste zu setzen, auch wenn Angst, das Fernsehprogramm oder andere Ablenkungsmöglichkeiten uns davon abbringen möchten. Das ist eine »Ich werde«-Herausforderung – zu tun, was man tun muss, auch wenn ein Teil von uns sich sträubt.

Die inneren Haltungen »Ich werde« und »Ich werde nicht« sind die zwei Seiten unserer Selbstregulation, aber sie alleine machen noch nicht unsere Willenskraft aus. Um in den richtigen Momenten Nein oder Ja zu sagen, braucht man eine dritte Fähigkeit: Man muss wissen, was man will. Ich weiß, in manchen Momenten denken Sie, das Stück Schokokuchen, ein dritter Martini oder ein freier Tag ist doch genau das, was Sie wollen. Doch wenn Sie einer Versuchung gegenüberstehen oder den Impuls verspüren, sich wegzuducken, müssen Sie daran denken, dass Sie in Wirklichkeit in Ihre engen Jeans passen, befördert werden, die Kreditkartenschulden abbauen, Ihre Ehe retten oder auf freiem Fuß bleiben möchten. Was könnte Sie sonst davon abhalten, Ihrem unmittelbaren Verlangen nachzugeben? Um Selbstregulation zu praktizieren, müssen Sie, wenn es darauf ankommt, Ihre Motivation kennen. Das ist die »Ich will«-Herausforderung.

Bei der Willenskraft geht es darum, die Macht dieser drei Einstellungen – »Ich werde«, »Ich werde nicht« und »Ich will« – für Ihre Ziele zu nutzen (und zur Vermeidung von Schwierigkeiten). Bevor wir uns in die Niederungen des Alltags begeben und analysieren, warum wir dieses Potenzial nicht ausschöpfen, sollten wir uns klar machen, dass wir Menschen uns glücklich schätzen können, dass unser Gehirn über diese Möglichkeiten verfügt. Die Entwicklung dieser drei Fähigkeiten – »Ich werde«, »Ich werde nicht«, »Ich will« – macht vielleicht sogar das Wesen des Menschen aus. Werfen wir einen kurzen Blick ins Gehirn, wo das Wunder geschieht, und entdecken wir, wie wir dem Gehirn mehr Willenskraft antrainieren können. Wir werden auch eine erste Vorstellung davon bekommen, warum die Willenskraft uns manchmal im Stich lässt, und wie wir eine weitere einzigartige Eigenschaft des Menschen – das Ich-Bewusstsein – nutzen können, um ein Versagen der Willenskraft zu vermeiden.

Warum wir über Willenskraft verfügen

Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Wir bewegen uns 100000 Jahre zurück. Sie sind der oberste Homo sapiens in der Hierarchie der jüngst entwickelten Varietät. Nehmen Sie sich ruhig einen Moment Zeit, sich über die praktische Stellung Ihres Daumens und Ihre aufrechte Wirbelsäule zu freuen. Glückwunsch auch zu Ihrer Fähigkeit, Feuer einzusetzen, ohne sich selbst anzuzünden, und einen Büffel mit fortschrittlichen Steinwerkzeugen zu zerlegen.

Nur wenige Generationen vorher wären Ihre Aufgaben im Leben so einfach gewesen: 1. Nahrung suchen. 2. Fortpflanzen. 3. Überraschende Begegnungen mit einem Crocodylus anthropophagus (Lateinisch für »menschenfressendes Krokodil«) vermeiden. Doch Sie leben in einem eng verbundenen Stamm, und Ihr Überleben hängt von anderen Homo sapiens ab. Das bedeutet, Sie müssen Ihre Prioritätenliste um »niemanden vergraulen« erweitern. Gemeinschaft erfordert Zusammenarbeit und das Teilen der Ressourcen. Ein gestohlener Büffel-Burger oder Gefährte könnte zu Ihrem Ausschluss aus der Gruppe oder sogar zu Ihrem Tod führen. (Bedenken Sie, auch andere Homo sapiens haben Steinwerkzeuge, und Ihre Haut ist wesentlich dünner als die des Büffels.) In der Steinzeit waren die Regeln, wie man Freunde gewinnt, vermutlich ähnlich wie heute: Gastfreundschaft, wenn der Nachbar einen Unterschlupf braucht, das Abendessen teilen, auch wenn man selbst noch hungrig ist, und zweimal überlegen, ob man sagt: »In diesem Lendenschurz siehst du fett aus«. Kurz und gut: ein wenig Selbstregulation, bitte!

Es geht nicht nur um Ihr Leben. Das Überleben des gesamten Stammes hängt von Ihrer Fähigkeit ab, sorgfältig abzuwägen, gegen wen Sie kämpfen (nur gegen Clanfremde) und mit wem Sie sich paaren. Und wenn Sie Glück haben und einen Gefährten/eine Gefährtin finden, wird eine Bindung fürs Leben erwartet, nicht bloß ein kurzes Vergnügen im Gebüsch. Ja, Ihre guten alten Instinkte Appetit, Aggression und Sex geben Ihnen, dem (beinahe) modernen Menschen, verschiedenste neue Möglichkeiten, in Schwierigkeiten zu geraten.

Das waren die ersten Anfänge dessen, was wir heute als Willenskraft bezeichnen. Im Verlaufe der (Ur-)Geschichte machte die zunehmende Komplexität des sozialen Zusammenlebens auch eine Zunahme der Selbstregulation erforderlich. Die Notwendigkeit, sich anzupassen, kooperativ zu sein und langfristige Bindungen einzugehen, verlangte den Gehirnen unserer Vorfahren Strategien zur Selbstregulation ab. Unser Gehirn entwickelte sich weiter, und voilà, wir heutigen Menschen verfügen über Willenskraft: über die Fähigkeit zur Impulskontrolle, die uns erst zu richtigen Menschen machte.3

3 Dunbar, R. I. M.: »The Social Brain: Mind, Language, and Society in Evolutionary Perspective«. In: Annual Review of Anthropology 32 (2003), 163 –181. Siehe auch Dunbar, R. I. M., S. Shultz: »Evolution in the Social Brain«. In: Science 317 (2007), 1344 –1347.

Die Bedeutung der Willenskraft in der modernen Welt

Kehren wir zurück ins moderne Leben (Sie können Ihre schönen Daumen natürlich behalten, aber vielleicht möchten Sie ein wenig mehr anziehen). Willenskraft ist von einem Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen und anderen Tieren zu etwas geworden, das uns Menschen voneinander unterscheidet. Wir sind vielleicht alle mit der Anlage zur Willenskraft geboren worden, doch einige von uns nutzen sie mehr als andere. Menschen, die ihre Aufmerksamkeit, ihre Gefühle und Handlungen besser unter Kontrolle haben, sind beinahe in jeder Hinsicht besser dran. Sie sind glücklicher und gesünder. Ihre Beziehungen sind befriedigender und halten länger. Sie verdienen mehr und kommen beruflich besser voran. Sie können mit Stress und Konflikten umgehen, Feindseligkeit überwinden. Sie leben sogar länger.4 Im Vergleich mit anderen Tugenden hat Willenskraft eindeutig die meisten Vorteile. Die Fähigkeit zur Selbstregulation hat größeren Einfluss auf den akademischen Erfolg als Intelligenz5, bestimmt das Führungspotenzial stärker als Charisma6 und ist wichtiger für das Eheglück als Einfühlungsvermögen.7 (Ja, das Geheimnis einer glücklichen Ehe kann auch darin bestehen, dass man den Mund halten lernt.) Wenn wir unser Leben verbessern möchten, ist Willenskraft kein schlechter Anfang. Dafür werden wir unserem durchschnittlich ausgestatteten Gehirn ein wenig mehr abverlangen müssen. Beginnen wir mit einem kurzen Blick auf das, womit wir arbeiten.

4 Tangney, J. P., R. F. Baumeister, A. L. Boone: »High Self-Control Predicts Good Adjustment, Less Pathology, Better Grades, and Interpersonal Success«. In: Journal of Personality 72 (2004), 271– 324. Siehe auch Kern, M. L., H. S. Friedman: »Do Conscientious Individuals Live Longer? A Quantitative Review.« In: Health Psychology 27 (2008), 505 – 512.

5 Duckworth, A. L., M. E. Seligman: »Self-Discipline Outdoes IQ in Predicting Academic Performance of Adolescents«. In: Psychological Science 16 (2005), 939 – 944.

6 Kirkpatrick, S. A., E. A. Locke: »Leadership: Do Traits Matter?«. In: Academy of Management Executive 5 (1991), 48 – 60.

7 Tucker, J. S., N. R. Kressin, A. Spiro, J. Ruscio: »Intra-personal Characteristics and the Timing of Divorce: A Prospective Investigation«. In: Journal of Social and Personal Relationships 15 (1998), 211– 225.

Willenskraft in den Neurowissenschaften

Wie genau passte sich das menschliche Gehirn im Laufe der Evolution an? Die Antwort scheint in der Entwicklung des präfrontalen Cortex zu liegen, einem ziemlich großen Hirnareal unmittelbar hinter Stirn und Augen. Lange Zeit steuerte der präfrontale Cortex nur Bewegungen: Gehen, Laufen, Greifen, Schieben – eine Art Proto-Selbstregulation. Im Verlauf der Evolution wuchs unser präfrontaler Cortex und vernetzte sich stärker mit anderen Hirnbereichen. Er macht beim Menschen heute einen größeren Teil des Gehirns aus als bei anderen Arten – ein Grund, warum Sie nicht erleben werden, dass Ihr Hund Trockenfutter für seine alten Tage anspart. Als der präfrontale Cortex größer wurde, übernahm er neue Funktionen: die Steuerung der Aufmerksamkeit, des Denkens, sogar des Fühlens. Das verbesserte seine Kontrolle des Handelns.

Robert Sapolsky, Neurobiologe an der Stanford University, ist der Auffassung, es wäre die Hauptaufgabe des modernen präfrontalen Cortex, das Gehirn – also Sie – dazu zu bringen, sich der jeweils schwierigeren Aufgabe zu widmen. Wenn es leichter ist, auf der Couch sitzen zu bleiben, veranlasst Ihr präfrontaler Cortex Sie, aufstehen zu wollen, um sich zu bewegen. Wenn es leichter ist, Ja zum Nachtisch zu sagen, zählt Ihr präfrontaler Cortex die Gründe auf, warum Sie stattdessen Tee bestellen sollten. Und wenn es leichter ist, ein Vorhaben auf morgen zu verschieben, hilft Ihnen Ihr präfrontaler Cortex, es in Angriff zu nehmen.8

8 Sapolsky, R. M.: »The Frontal Cortex and the Criminal Justice System«. In: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series B, Biological Sciences 359 (2004), 1787 –1796.

Sitz der Willenskraft im Gehirn

Der präfrontale Cortex ist keine einheitliche graue Masse; er gliedert sich in drei Hauptregionen, die sich die Aufgaben des »Ich werde«, »Ich werde nicht« und »Ich will« aufteilen. Eine Region nahe dem linken oberen präfrontalen Cortex ist auf die Fähigkeit zum »Ich werde« spezialisiert. Sie hilft uns, langweilige, schwierige oder belastende Aufgaben in Angriff zu nehmen und durchzuhalten. Die rechte Seite dagegen ist der Sitz des »Ich werde nicht« und hält Sie davon ab, jedem spontanen Impuls nachzugeben. Gemeinsam steuern diese beiden Bereiche, was Sie tun.

Der dritte Bereich, etwas weiter unten, in der Mitte des präfrontalen Cortex, kümmert sich um Ihre Ziele und Wünsche. Er entscheidet darüber, was Sie wollen. Je rascher seine Zellen feuern, desto stärker sind Sie motiviert, zu handeln oder einer Versuchung zu widerstehen. Dieser Teil des präfrontalen Cortex bedenkt, was Sie wirklich wollen, auch wenn der Rest Ihres Gehirns brüllt: »Iss dieses! Kauf jenes!«9

9 Suchy, Y.: »Executive Functioning: Overview, Assessment, and Research Issues for Non-Neuropsychologists«. In: Annals of Behavioral Medicine 37 (2009), 106 –116.

Unter dem Mikroskop

Was ist schwieriger?

Jede Herausforderung für die Willenskraft besteht darin, etwas Schwieriges zu tun, ob es nun darum geht, eine Versuchung links liegen zu lassen oder vor einer Stress-Situation nicht wegzulaufen. Stellen Sie sich vor, wie Sie Ihrer spezifischen Herausforderung gegenüberstehen. Was ist schwieriger? Was macht es so schwierig? Was empfinden Sie, wenn Sie an die Ausführung der schwierigeren Alternative denken?

Ein erstaunlicher Fall verlorener Willenskraft

Wie wichtig ist der präfrontale Cortex für die Selbstregulation? Eine Antwort ergibt sich aus der Frage, was passiert, wenn er verloren geht. Der berühmteste Fall einer Schädigung des präfrontalen Cortex ist die grausige Geschichte von Phineas Gage.

1848 war Phineas Gage 25 Jahre alt und Vorarbeiter im Eisenbahnbau. Seine Dienstgeber schätzte ihn, sein Bautrupp respektierte und mochte ihn. Freunde und Verwandte beschrieben ihn als ruhig und respektvoll. Sein Arzt, John Martyn Harlow, sprach von einem seelisch und körperlich außergewöhnlich starken Menschen »mit eisernem Willen und eiserner Konstitution«.

All das änderte sich am Mittwoch, den 13. September, um 16.30 Uhr. Gage und seine Männer arbeiteten mit Sprengstoff, um eine Eisenbahnlinie durch Vermont anzulegen. Gages Aufgabe bestand wie schon Tausende Male zuvor darin, die Sprengung vorzubereiten. Diesmal ging etwas schief. Die Explosion setzte zu früh ein und katapultierte eine Eisenstange geradewegs durch Gages Schädel. Sie durchbohrte seine linke Wange, seinen frontalen Cortex und landete 30 Meter hinter ihm auf dem Boden.

Wahrscheinlich stellen Sie sich nun Gage tot auf dem Boden liegend vor. Doch er überlebte. Nach Augenzeugenberichten wurde er nicht einmal bewusstlos. Seine Arbeiter legten ihn in einen Ochsenkarren und schoben ihn zu dem Gasthaus, in dem er wohnte. Sein Arzt versorgte Gage, so gut es ging, setzte das größte Stück Schädeldecke wieder ein, das man an der Unfallstelle gefunden hatte, und dehnte die Kopfhaut darüber, sodass die Wunden bedeckt waren.

Es dauerte mehr als zwei Monate, bis Gage körperlich wiederhergestellt war. Am 17. November war er so weit genesen, dass er sein normales Leben wieder aufnehmen konnte. Gage selbst berichtete, er fühle sich »in jeder Hinsicht besser«, hätte keine Schmerzen mehr.

Ein Happyend? Unglücklicherweise geht die Geschichte weiter. Die äußeren Wunden waren verheilt, doch im Inneren von Gages Gehirn passierte etwas Seltsames. Laut Freunden und Kollegen hatte sich seine Persönlichkeit verändert.10 Dr. Harlow beschrieb die Veränderungen in einem Anhang zu seinem ursprünglichen medizinischen Unfallbericht:

10 Macmillan, M.: »Restoring Phineas Gage: A 150th Retrospective.« In: Journal of the History of the Neurosciences: Basic and Clinical Perspectives 9 (2000), 46 – 66.

»Das Gleichgewicht zwischen seinen intellektuellen Fähigkeiten und seinen animalischen Neigungen scheint zerstört zu sein. Er ist launenhaft, respektlos, zeitweise äußerst vulgär (was er früher nicht war), hat kaum Achtung vor seinen Mitmenschen, duldet keine Beschränkung und keinen Rat, wenn diese seinen Wünschen widersprechen … hat viele Zukunftspläne, die er aufgibt, kaum dass sie geschmiedet sind … In dieser Hinsicht hatte sich sein Wesen radikal verändert, so entschieden, dass Freunde und Bekannte sagten, er wäre ›nicht mehr Gage‹.«11

11 Harlow, J. M.: »Passage of an Iron Rod through the Head«. In: Boston Medical and Surgical Journal 39 (1848), 389 – 393.

Mit anderen Worten: Als Gage seinen präfrontalen Cortex verlor, ging seine Fähigkeit zum »Ich werde«, »Ich werde nicht« und »Ich will« verloren. Sein starker Wille – der ein fester Teil seines Charakters zu sein schien – war von der Eisenstange in seinem Schädel zerstört worden.

Wir alle tragen einen kleinen Phineas Gage in uns. Der präfrontale Cortex ist nicht immer so verlässlich, wie wir es gerne hätten. Viele Zustände – etwa Trunkenheit, Schlafmangel oder einfach nur Ablenkung – hemmen den präfrontalen Cortex vorübergehend und wirken wie Gages Hirnschädigung. Dadurch können wir unsere Impulse weniger gut kontrollieren, auch wenn unsere graue Masse wohlbehalten in unserem Schädel liegt. Selbst wenn wir ausgeruht und nüchtern sind, besteht eine gewisse Gefahr. Denn wir alle sind zwar in der Lage, das Schwierigere zu realisieren, wünschen uns aber gleichzeitig, genau das Gegenteil zu tun. Dieser Impuls muss unterdrückt werden, und er hat, wie wir sehen werden, oft ein Eigenleben.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust …

Was treibt unser präfrontaler Cortex in Situationen, in denen unsere Willenskraft versagt? – Wenn wir zu viel konsumieren, Zeit verschwenden oder ungeduldig werden? Es mag durchaus möglich sein, der Versuchung zu widerstehen, das heißt aber noch lange nicht, dass wir es auch tun werden. Es ist denkbar, dass wir heute tun, was morgen getan werden muss, aber in den allermeisten Fällen wird es erst morgen geschehen. Für diese frustrierenden Tatsachen dürfen Sie sich auch bei der Evolution bedanken. In deren Lauf wurde das menschliche Gehirn zwar größer, aber es veränderte sich gar nicht so besonders stark. Die Evolution baut lieber aus, was sie geschaffen hat, als von vorne zu beginnen. Als der Mensch neue Fertigkeiten benötigte, wurde unser primitives Gehirn daher nicht durch ein völlig neues ersetzt; das System der Selbstregulation wurde lediglich auf das alte System der Triebe und Instinkte aufgesetzt.12

12 Cohen, J. D.: »The Vulcanization of the Human Brain: A Neural Perspective on Interactions Between Cognition and Emotion«. In: Journal of Economic Perspectives 19 (2005), 3 – 24.

Das bedeutet, jeder Instinkt, der uns einst nützlich war, ist erhalten geblieben – auch wenn er uns nun in Schwierigkeiten bringt. Die gute Neuigkeit lautet jedoch, dass die Evolution uns auch die Möglichkeit gegeben hat, mit den Problemen, auf die wir stoßen, umzugehen. Ein Beispiel: Das unstillbare Verlangen nach Süßem erleichterte dem Menschen einst das Überleben, denn Nahrung war knapp und zusätzliches Körperfett eine Art Lebensversicherung. Heute, im Zeitalter des Fastfood, ist zusätzliches Gewicht ein Gesundheitsrisiko geworden; die Fähigkeit, verlockenden Speisen zu widerstehen, ist langfristig wichtiger für das Überleben. Doch unser Gehirn ist immer noch mit einer instinktiven Vorliebe für Fettes und Süßes ausgestattet. Glücklicherweise können wir dieses Verlangen mithilfe des neueren Systems der Selbstregulation in Zaum halten. Wir tragen also nicht nur den Impuls mit uns herum, sondern verfügen auch über die Möglichkeit der Impulskontrolle.

Manche Neurowissenschaftler gehen sogar so weit zu sagen, wir hätten zwar ein Gehirn, aber gewissermaßen zwei Personen in unserem Inneren. Die eine Person folgt dem Impuls und sucht nach sofortiger Befriedigung, die andere kontrolliert unsere Impulse im Dienste langfristiger Ziele und schiebt die Befriedigung auf. Beide gehören zu uns, doch wir wechseln zwischen ihnen hin und her.13 Manchmal identifizieren wir uns mit dem Teil, der abnehmen möchte, dann wieder mit jenem, der Kekse essen möchte. In diesem Widerstreit besteht die Herausforderung für unsere Willenskraft. Wenn unsere beiden Anteile uneinig sind, muss sich einer gegen den anderen durchsetzen. Der Teil in uns, der nachgeben möchte, ist nicht schlecht – er hat nur andere Prioritäten.

13 Cohen, J. D.: Neural Perspective on Cognitive Control and the Multiplicity of Selves. Vortrag bei der Jahrestagung der American Psychological Association, San Diego, Kalifornien, 13. August 2010.

Das Problem der »zwei Seelen«

Unter dem Mikroskop

Ihre beiden Seelen

Jede Herausforderung für Ihre Willenskraft ist ein Konflikt zwischen zwei Teilen Ihres Selbst. Wie würden Sie diese konkurrierenden Anteile bezüglich Ihrer aktuellen Problemstellung beschreiben? Was möchte die impulsive Version Ihres Selbst, was die klügere? Manchen Menschen hilft es, dem impulsiven Part einen Namen zu geben, etwa »das Keksmonster« für den Teil, der stets nach sofortiger Befriedigung strebt, »der Kritiker« für den Teil, der sich ständig beklagt, oder »der Zauderer« für den Teil, der sich niemals zu einem Anfang aufraffen kann. Dieser Name kann Ihnen helfen zu erkennen, wann dieser Teil die Führung übernimmt, und rechtzeitig Ihr klügeres Selbst zur Unterstützung der Willenskraft zu mobilisieren.

Der Nutzen der widerstreitenden Anteile

Es ist verlockend, das System der Selbstregulation als eindeutig überlegenes Selbst zu betrachten, die primitiven Instinkte dagegen als peinlichen Überrest aus der evolutionären Vergangenheit. Natürlich, solange wir im Handknöchelgang unterwegs waren, halfen uns diese Instinkte, lang genug zu überleben, um unsere Gene weiterzugeben. Doch nun sind sie nur im Weg, führen zu gesundheitlichen Störungen, leeren Bankkonten und sexuellen Kontakten, für die wir uns im Fernsehen entschuldigen müssen. Wären wir zivilisierten Wesen bloß nicht mit den Trieben unserer fernen Vorfahren belastet!

Nicht so voreilig! Unser Überlebenssystem arbeitet zwar nicht immer zu unserem Vorteil, es ist jedoch ein Fehler zu glauben, wir sollten den primitiven Anteil völlig überwinden. Medizinische Fallstudien über Menschen, die diese Instinkte durch eine Hirnschädigung verloren haben, zeigen, wie wesentlich primitive Ängste und Wünsche für Gesundheit, Glück und sogar eine funktionierende Selbstregulation sind. Es gibt Fälle von Menschen, die nach Gehirnoperationen die Fähigkeit zu Furcht und Abscheu verloren haben und denen mit diesen Instinkten eine wichtige Basis der Selbstregulation genommen wurde – mit fatalen Folgen von übermäßigem Essen bis hin zu sexuellen Übergriffen.14

14 Anson, J. A., D. T. Kuhlman: »Post-Ictal Klüver-Bucy Syndrome after Temporal Lobectomy«. In: Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry 56 (1993), 311– 313.

Ohne Verlangen wären wir depressiv, und ohne Furcht könnten wir uns nicht vor Gefahren schützen. Ein Aspekt beim Meistern von Herausforderungen besteht darin, solche primitiven Instinkte zu nutzen, statt sie zu bekämpfen. Neuroökonomen, die wissenschaftlich untersuchen, was im Gehirn bei Entscheidungen abläuft, entdeckten, dass das System der Selbstregulation und unsere Überlebensinstinkte sich nicht immer im Konflikt befinden. In manchen Fällen arbeiten sie zusammen, damit wir sinnvolle Entscheidungen treffen. Stellen Sie sich etwa vor, sie gehen durch ein Kaufhaus und sehen plötzlich eine reizvolle Kleinigkeit. Ihr primitives Gehirn schreit: »Kauf es!« Dann sehen Sie das Preisschild: 199,99 Euro. Bevor Sie den horrenden Preis kannten, hätte es einer strengen Intervention durch den präfrontalen Cortex bedurft, um den Kaufimpuls zu unterdrücken. Studien zeigen, dass das Gehirn mit einer instinktiven Schmerzreaktion auf einen hohen Preis reagiert.15 Dieser Schock erleichtert Ihrem präfrontalen Cortex die Arbeit. Wenn wir unsere Willenskraft steigern, nutzen wir alle Facetten des menschlichen Wesens, um unserer Ziele zu erreichen – auch die primitivsten Instinkte, vom Streben nach Lust bis zum Bedürfnis dazuzugehören.

15 Knutson, B., S. Rick, G. E. Wimmer, D. Prelec, G. Loewenstein: »Neural Predictors of Purchases« in: Neuron 53 (2007), 147 –156.

Erkenne dich selbst

Selbstregulation ist ein fabelhaftes Bonusprogramm, das wir Menschen mitbekommen haben, doch wir zeichnen uns auch durch andere Dinge aus. Wir besitzen Ich-Bewusstsein: die Fähigkeit zu realisieren, was wir tun, während wir es tun, und zu verstehen, warum wir es tun. Mit etwas Glück können wir auch vorhersehen, wie wir wahrscheinlich handeln werden, und erhalten so die Gelegenheit, es uns gut zu überlegen. Dieses Maß an Ich-Bewusstsein scheint es nur beim Menschen zu geben. Sicher, Delphine und Elefanten können sich selbst im Spiegel erkennen, doch es gibt wenig Hinweise darauf, dass sie versuchen, sich selbst zu verstehen.

Ohne Ich-Bewusstsein wäre das System der Selbstregulation nutzlos. Sie müssen eine Entscheidungssituation, die Willenskraft erfordert, erkennen; andernfalls wählt das Gehirn immer den einfachsten Weg. Denken Sie an eine Frau, die das Rauchen aufgeben möchte. Sie muss das erste Anzeichen des Verlangens erkennen und wissen, wohin es führen wird (hinaus in die Kälte, mit dem Feuerzeug kämpfend). Sie muss sich auch darüber im Klaren sein, dass ein einmaliges Nachgeben heute die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Zigarette morgen erhöht. Ein weiterer Blick in die Kristallkugel, und sie weiß, dass sie auf diese Weise letztlich all die schrecklichen Krankheiten bekommen wird, vor denen auf der Zigarettenpackung gewarnt wird. Um diesem Schicksal zu entgehen, muss sie sich bewusst gegen die Zigarette entscheiden. Ohne Ich-Bewusstsein ist die Angelegenheit hoffnungslos.

Das mag einfach klingen, doch Psychologen wissen, dass die meisten unserer Entscheidungen automatisch getroffen werden, ohne echtes Wissen um den Antrieb und ohne ernsthaftes Nachdenken über die Folgen. In den meisten Fällen ist uns nicht einmal klar, dass wir eine Entscheidung treffen. In einer Studie wurde gefragt, wie oft man pro Tag eine Entscheidung in Bezug auf Nahrungsmittel trifft. Was würden Sie sagen? Im Durchschnitt schätzten die Menschen 14 Mal. Wenn dieselben Personen sorgfältig Buch über ihre Entscheidungen führten, waren es im Durchschnitt 227.16 Das bedeutet, über 200 Entscheidungen wurden nicht bewusst wahrgenommen – und das sind nur nahrungsbezogene Entscheidungen. Wie können Sie Ihr Verhalten steuern, wenn Sie gar nicht merken, dass es etwas zu steuern gibt?

16 Wansink, B., J. Sobal: »Mindless Eating«. In: Environment and Behavior 39 (2007), 106 –123.

Unsere moderne Gesellschaft mit ihrem ständigen Angebot an Zerstreuungen ist nicht eben hilfreich. Baba Shiv, Professorin für Marketing an der Stanford Graduate School of Business, wies nach, dass abgelenkte Menschen anfälliger für Verlockungen sind. Bei Studenten, die gerade versuchen, sich eine Telefonnummer zu merken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Schokokuchen statt zu Obst greifen, um 50 Prozent höher. Abgelenkte Käufer sind empfänglicher für Werbung im Laden und nehmen häufiger Dinge mit, die nicht auf dem Einkaufszettel stehen.17

17 Shiv, B., A. Fedorikhin: »Heart and Mind in Conflict. The Interplay of Affect and Cognition in Consumer Decision Making«. In: Journal of Consumer Research 26 (1999), 278 – 292. Siehe auch Shiv, B., S. M. Nowlis: »The Effect of Distractions While Tasting a Food Sample. The Interplay of Informational and Affective Components in Subsequent Choice«. In: Journal of Consumer Research 31 (2004), 599 – 608.

Wenn Ihr Geist beschäftigt ist, werden statt Ihrer langfristigen Ziele Ihre Impulse Ihre Entscheidungen lenken. Sie schreiben eine SMS, während Sie im Coffeeshop anstehen – und ehe Sie sich’s versehen, bestellen Sie einen klebrigen Mokka-Milkshake anstelle des Milchkaffees (Eingehende SMS: »Wette, du willst nicht wissen, wie viele Kalorien da drin sind.«)

Willenskraft-Experiment

Welche Entscheidungen fordern Ihre Willenskraft?

Um Ihre Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken, müssen Sie zunächst Ihr Ich-Bewusstsein weiterentwickeln. Ein guter erster Schritt ist, zu beobachten, wann Sie Entscheidungen treffen, die mit Ihrem persönlichen Willenskraft-Problem zu tun haben. Ein Beispiel: Sie wollen mehr Sport treiben und fragen sich, ob Sie nach der Arbeit ins Fitness-Studio gehen sollen. Haben Sie morgens Ihre Sporttasche gepackt, sodass Sie nicht nochmal nach Hause müssen? (Wie schlau! Das macht Sie weniger anfällig für Ausreden.) Wurden Sie durch einen Anruf aufgehalten, bis Sie zu hungrig waren, um sofort trainieren zu gehen? (Die Trainingswahrscheinlichkeit sinkt …) Die Auswirkungen früherer Entscheidungen auf die aktuelle werden erst jetzt offensichtlich. Beobachten Sie mindestens einen Tag lang Ihre Entscheidungen. Ziehen Sie am Ende des Tages Bilanz: Welche Entscheidungen waren Ihren Ziele förderlich, welche haben sie sabotiert? Kurze Notizen reduzieren auch die Zahl jener Entscheidungen, die man abgelenkt trifft – ein sicherer Weg, die Willenskraft zu stärken.

Ein Ausweg aus der E-Mail-Sucht

Michele prüfte ständig ihre E-Mails auf ihrem Computer oder ihrem Handy. Das Problem war, dass sie es oft gar nicht merkte, bis sie alle neuen Nachrichten durchgesehen hatte. Michele konnte den Impuls nicht im Vorfeld erkennen. Mit der Zeit registrierte sie jedoch eine Art Spannung in Gehirn und Körper, die abklang, sobald sie nachgab. Als sie vermehrt darauf achtete, wie sie sich nach dem Prüfen der E-Mails fühlte, wurde Michele klar, dass dieser Vorgang so wirkungslos war wie Kratzen bei Juckreiz – es wurde nur schlimmer. Mit diesem Wissen über Impuls und Reaktion gelang es ihr, ihr Verhalten besser zu kontrollieren.

Beobachten Sie in dieser Woche, was genau passiert, wenn Sie einem Impuls nachgeben. Versuchen Sie, sich in diesem Prozess immer früher auf die Schliche zu kommen, diejenigen Gedanken, Gefühle und Situationen zu finden, die den Impuls am häufigsten auslösen. Welche Sätze, die Sie sich selbst sagen, machen ein Nachgeben wahrscheinlicher? Führen Sie eine Woche lang Buch über Ihre Entscheidungen.

Mehr Willenskraft durch Gehirntraining

Angesichts der Jahrmillionen, die nötig waren, um einen präfrontalen Cortex zu entwickeln, mag der Anspruch ein wenig unbescheiden sein, aber ist es möglich, unser Gehirn in einer absehbaren Zeitspanne in seiner Selbstregulation zu verbessern? Was können wir konkret tun, um unser Selbstregulations-Potenzial auszubauen?

Lange gingen Forscher davon aus, dass das Gehirn in seiner Struktur und seinen Möglichkeiten festgelegt ist. Die einzige Veränderung, die sie feststellten, war der altersbedingte Abbau. Erst im Verlauf der letzten zehn Jahre entdeckten Neurowissenschaftler, dass das Gehirn ganz bemerkenswert auf Erfahrung reagiert – wie ein eifriger Schüler. Lassen Sie Ihr Gehirn jeden Tag rechnen, und es wird besser darin. Lassen Sie Ihr Gehirn jeden Tag grübeln, und es wird ein Meister im Grübeln. Verlangen Sie Ihrem Gehirn täglich Konzentration ab, und es gelingt immer besser.

Im Zuge dieser Veränderungen passt sich auch das Organ selbst den Anforderungen an. Einige Abschnitte des Gehirns werden dichter, sie erhalten mehr graue Substanz, wie ein trainierter Muskel an Masse zunimmt. So entwickeln beispielsweise Erwachsene, die jonglieren lernen, mehr graue Substanz in jenen Hirnbereichen, die bewegte Objekte verfolgen.18 Hirnareale können auch mehr Verbindungen untereinander ausbilden und so den Informationsaustausch beschleunigen. Erwachsene entwickeln durch 25 Minuten Memory-Spiel pro Tag beispielsweise eine bessere Verbindung zwischen den Hirnbereichen für Aufmerksamkeit und für Gedächtnis.19

18 Taubert, M., B. Draganski, A. Anwander, K. Muller, A. Horstmann, A. Villringer, P. Ragert: »Dynamic Properties of Human Brain Structure. Learning-Related Changes in Cortical Areas and Associated Fiber Connections«. In: Journal of Neuroscience 30 (2010), 11670 –11677.

19