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Die Geschichte der Berliner Polizei seit Ende des Zweiten Weltkriegs – nicht nur für Krimi-Fans und Geschichtsinteressierte! Neben dem Fokus auf entscheidenden politischen Ereignissen in dieser wechselvollen Metropole, wie z.B. den Studentenunruhen der 1960er oder dem Mauerfall 1989, geht es selbstverständlich auch um Verbrechensbekämpfung. -
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Seitenzahl: 435
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v.-Hinckeldey-Stiftung
Mit einer Einführung von Prof. Dr. Laurenz Demps und Beiträgen von Klaus Hübner, Georg Schertz, Hagen Saberschinsky u. a.
Saga
Berliner Polizei von 1945 bis zur GegenwartCoverbild / Illustration: Sutterstock Copyright © 1998, 2019 v.-Hinckeldey-Stiftung und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726410495
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Politische Weitsicht oder verfassungsrechtlicher Zufall? In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg besaßen die Westberliner Polizeipräsidenten einen Sonderstatus: Sie wurden auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus gewählt – waren also dem Parlament verantwortlich. Außerdem spielte das Besatzungsrecht eine wichtige Rolle. In West-Berlin konnte der Polizeipräsident nur im Einvernehmen mit den drei westlichen Alliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) bestimmt werden. Der erste Polizeipräsident, der nach dem Krieg amtierte und noch für ganz Berlin zuständig war, war direkt von den Sowjets eingesetzt worden.
Das Amt des Polizeipräsidenten war und ist für die Stadt von außerordentlicher Bedeutung. Der jeweilige Polizeipräsident stand immer im Licht der Öffentlichkeit und damit auch der Kritik, denn die öffentliche Sicherheit wird – leider zu Unrecht – als ausschließliche Aufgabe der Polizei empfunden.
Trotzdem hatte die (West-)Berliner Polizei in der Zeit von 1945 bis 1992 lediglich fünf Präsidenten. Doch mit Ausnahme von Georg Moch, der schon bei Dienstantritt durch Kriegsverletzungen schwerbehindert war und deshalb innerhalb von Jahresfrist aus Gesundheitsgründen ausschied, gerieten alle übrigen Präsidenten bei der Ausübung ihrer Funktion mit den zuständigen Politikern in starke Konflikte.
Nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 beauftragten die Sowjets bereits am 19. Mai 1945 Oberst Paul Markgraf, ein Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, mit der Leitung des im Ostsektor gelegenen Polizeipräsidiums. Er war schon in Moskau auf diese Aufgabe vorbereitet und dann eingeflogen worden. Alle wesentlichen Funktionen wurden mit Kommunisten oder linientreuen Personen besetzt.
Wegen zahlreicher Vorkommnisse – über 5000 Personen waren spurlos verschwunden, nachdem sie festgenommen worden waren; die Stadtverordnetenversammlung wurde vor kommunistischen Übergriffen nicht geschützt; Polizeibeamte waren verfassungswidrig entlassen worden – wurde Markgraf am 26. Juli 1948 vom damaligen Bürgermeister Dr. Ferdinand Friedensburg suspendiert. Einen Monat zuvor waren in den drei Westzonen Deutschlands (20.6.) sowie in der sowjetisch besetzten Zone plus Ost-Berlin (23.6.) jeweils eine Währungsreform durchgeführt worden, nachdem sich die Alliierten auf eine gemeinsame Währungsumstellung nicht hatten einigen können. Am 24. Juni war die Westmark auch in West-Berlin eingeführt worden, und daraufhin hatte die Blockade West-Berlins durch die Sowjets begonnen.
Die Suspendierung des Polizeipräsidenten blieb allerdings wirkungslos, weil Markgraf weiterhin von den Sowjets getragen wurde und der Sitz des Polizeipräsidiums ja in Ost-Berlin lag.
Dr. Johannes Stumm war seit dem 4. Februar 1948 vom Magistrat der Stadt Berlin als stellvertretender Polizeipräsident ernannt. Er wurde von Friedensburg am 26. Juli 1948 (zeitgleich mit der Suspendierung Markgrafs) aufgefordert, die Amtsgeschäfte und Befugnisse des Polizeipräsidenten kommissarisch zu leiten. Diese Funktion trat Dr. Stumm am 28. Juli 1948 in der in West-Berlin gelegenen Polizeikaserne in der Friesenstraße (Kreuzberg) an, obgleich die Sowjets durch einen Befehl ihres Stadtkommandanten, Generalmajor Alexander Kotikow, vom Magistrat forderten, Dr. Stumm wegen »spalterischer Handlungen« fristlos zu entlassen.
Auch diese Maßnahme blieb wirkungslos, weil Dr. Stumm inzwischen in West-Berlin residierte und die drei Westalliierten die Forderung der Sowjets als ungültig betrachteten. Als Stumm am 28. Juli 1948 erklärte, daß nur noch die vom Polizeipräsidium in der Friesenstraße getroffenen Entscheidungen verbindlich seien, war die Spaltung der Berliner Polizei vollzogen. Stumm wurde später offiziell zum Polizeipräsidenten ernannt und schied aus Altersgründen Ende März 1962 aus.
Die nächsten Polizeipräsidenten wurden dann vom Abgeordnetenhaus nach vorheriger Konsultation mit den drei westlichen Alliierten gewählt. Bis auf Georg Moch bekamen die drei weiteren Polizeipräsidenten, Erich Duensing (1962-1967), Klaus Hübner (1969-1987) und Georg Schertz (1987-1992), wegen der häufig schwierigen Amtsausübung im turbulenten Berlin große Probleme mit der Stadtpolitik. Duensing mußte wegen des polizeilichen Einsatzes beim Besuch des Schahs von Persien am 2. Juni 1967, bei dem der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen worden war, Ende 1967 in den vorzeitigen Ruhestand treten. Das Polizeivorgehen beim Schahbesuch löste zudem eine Senatskrise aus, die dazu führte, daß der Regierende Bürgermeister, Heinrich Albertz, und der Innensenator, Wolfgang Büsch, zurücktraten. Hübner und Schertz sahen nach 18- beziehungsweise fünfjähriger Amtszeit ihre Vertrauens- und Arbeitsbeziehung zur politischen Leitung als gestört an und baten deshalb um die Abwahl durch das Abgeordnetenhaus, die auch erfolgte.
Es steht außer Frage, daß die Berliner Polizei und damit die für sie verantwortlichen Polizeipräsidenten in dieser Zeit die Geschichte und die Geschicke der Stadt auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und Ordnung, das sowohl für den Staat wie für die Bevölkerung von existentieller Bedeutung ist, wie kaum eine andere staatliche Institution geprägt haben.
Das vorliegende Buch, das von der v.-Hinckeldey-Stiftung herausgegeben wird, möchte diese etwa fünfzigjährige Polizeigeschichte zusammenfassend in einem Werk dokumentieren und dazu beitragen, daß sie für die Gegenwart und Zukunft bewahrt bleibt.
Es will an die umfangreichen »Verwaltungsberichte des Königlichen Polizei-Präsidiums Berlin« für die Jahre 1891 bis 1900 sowie an das Buch »Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik« anknüpfen. Zudem ergänzt es die Darstellungen in der im Jahre 1987 gegründeten »Polizeihistorischen Sammlung« und die 1997 unter dem Titel »Einsatz« erschienenen Erinnerungen des vormaligen Polizeipräsidenten Klaus Hübner.
Das Buch bezieht seine Authentizität daraus, daß Polizeiangehörige, die in verschiedenen Funktionen und Zeitabschnitten tätig waren, über ihre Aufgaben und Funktionen berichten. Ein spezieller Beitrag geht zudem auf die parallel verlaufende Geschichte der Berliner Volkspolizei ein.
Da die Berliner Polizei in der Nachkriegszeit eine besondere Rolle innehatte, die staatspolitisch gewollt war, ist auch die Vorgeschichte von Interesse beziehungsweise die Frage, wie sich die Berliner Polizei oder das Polizeipräsidium stadtgeschichtlich über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Auch hierzu will das Buch durch einen Beitrag des renommierten Berliner Historikers Prof. Dr. Laurenz Demps eine Antwort geben.
Die Besonderheit der Berliner Polizei in der Nachkriegszeit soll durch folgende Fakten noch einmal schlaglichtartig charakterisiert werden:
Noch ein Wort zu Gegenwart und Zukunft: Die Berliner Polizei stand und steht seit der Vereinigung vor großen Aufgaben und Herausforderungen. Sie mußte den Zusammenschluß zweier völlig unterschiedlich ausgerichteter Polizeien vollziehen – ein Unterfangen, für das es keinen Vorläufer gab und auch keine Probezeit, denn die Sicherheit der Stadt sollte bereits mit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 voll gewährleistet sein.
Jetzt steht die Stadt vor großen Herausforderungen durch neue Kriminalitätsstrukturen und durch die Hauptstadtfunktion, die zusätzliche polizeiliche Verantwortungen bei gleichzeitiger Reduzierung des Personalkörpers mit sich bringt.
Gerhard Simke v.-Hinckeldey-Stiftung
Berlin war lange Zeit nicht nur eine Bürgerkommune, sondern auch Residenz von Kurfürsten, Königen und Kaisern. Sowohl Magistrat als auch der Hof nahmen Einfluß auf die Geschicke der Stadt, wobei sie durchaus unterschiedliche Interessen verfolgten. Von daher bestimmte das rechtliche Verhältnis zwischen Magistrat und Residenz jahrhundertelang über die Geschichte Berlins mit.
Streitpunkte waren die Verfügung über die Polizeigewalt sowie über die Polizei- und Justizbehörden. Diese stellten die organisierende Kraft bei der Umsetzung der staatlichen Gewalt dar.
Der angesprochene Gegensatz entsprang der unterschiedlichen Nutzung des Stadtterritoriums und der Frage, wer in der Stadt bestimmte. Residenz wird hier als »Punkt der größten Verdichtung der Herrschaft« verstanden. 1 Qualitativ muß zwischen Hauptstadt und Residenz unterschieden werden. Hauptstadt wird hier als permanenter Sitz der vom Hof ausgegliederten staatlichen Institutionen verstanden, während Residenz als Ort des sporadischen oder längeren Aufenthaltes des Landesherrn angesehen wird. 2 Der Hauptstadt kommen administrative, verwaltungstechnische und gerichtliche Aufgaben für das ganze Land zu. Sie ist das Rechtsund Kreditzentrum sowie der Hauptort der Einnahmen und Verwaltung der Steuern. Nicht zuletzt wirkt sie auch als Kultur- und Informationszentrum.
Berlin entstand als eine mittelalterliche Kommune, als eine Bürgerstadt. Mit der Verleihung des Stadtrechts erhielt Berlin eine Ratsverfassung und bekam die Selbstverwaltung, die der Stadt eine politisch autonome Stellung in der Mark sicherte. Die verliehenen Rechte waren durchaus denen vergleichbar, die die älteren deutschen Städte errungen hatten. Die Stadt konnte ihre Stellung ausbauen, und als Haupt des mittelmärkischen Städtebundes gewann Berlin in vollem Maße städtische Autonomie. Berlin war eine souveräne Stadt geworden. Das beinhaltete auch die Gerichtsbarkeit und – modern ausgedrückt – die Polizeihoheit über alle Bewohner der Stadt.
Der Landesherr, die Markgrafen von Brandenburg, mußte diese Entwicklung dulden. 1280 tagte in Berlin der erste märkische Landtag, eine Versammlung des Markgrafen mit den Ständen (Bischöfe, Äbte, Adel sowie Städte der Altmark, der Prignitz und der Mittelmark).
Damit trat erstmals das grundlegende Problem für die Stadt auf: Wem und welcher Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt unterstanden die Stände sowie deren Angehörige und Bedienstete, vor allem aber die Angehörigen des Hofes? Sie konnten als landesherrliche Beauftragte und als Vertreter der Landesversammlung, die der Stadt übergeordnet war, nicht der städtischen Obrigkeit unterworfen sein. Sie nutzten zwar städtisches Territorium, waren aber von ihrer Rechtsstellung her dem Regiment der Stadt übergeordnet. Eine Lösung dieses Problems war nur in die Richtung möglich, daß Teile des städtischen Geländes aus der Jurisdiktion der Stadt gelöst und unter landesherrliche Freiheiten gestellt wurden.
Scheinbar ein kleines Problem und leicht zu regeln. Der Landesherr war in der Stadt nur selten anwesend, und seine – wenigen – Beauftragten in der Mark Brandenburg wohnten und lebten zwar in der Stadt, hatten aber im Detail keinen Einfluß auf die städtische Politik. Andererseits jedoch konnte die Stadt sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.
Nach zahlreichen (zumeist innerstädtischen) Auseinandersetzungen kam es am 26. Februar 1442 zu einer Neuregelung der Verfassung der Stadt, in der der Landesherr sich mehr Rechte zusprach. Es folgte am 29. August 1442 eine Abtretungsurkunde, das heißt, die Stadt trat alles öffentliche Land (Straßen, Plätze, Brücken etc.) an den Kurfürsten ab. Dazu gehörte auch das Gelände, auf dem das Schloß erbaut wurde. Dagegen erhob sich im Jahre 1447/48 Widerstand aus der Bevölkerung – der sogenannte Berliner Unwille -, durch den aber letztendlich die Position des Landesherrn gestärkt wurde.
Im Jahre 1451 war der Schloßbau abgeschlossen, und seine Kapelle wurde 1465 zum Kollegiatstift erhoben. 1470 wurde Berlin ständige Residenz, und für die Hofhaltung wurde eine Ordnung erlassen, laut der die kurfürstliche Hofhaltung etwas mehr als 200 Personen umfaßte.
Mit dem Schloßbau begann die Umwandlung der mittelalterlichen städtischen Kommune in eine kurfürstliche/königliche Residenz. Dieser Vorgang hatte im Detail viele Tücken, vollzog sich voller Konflikte zwischen dem Landesherrn und dem Magistrat und führte letztlich zur Ausschaltung kommunaler Selbstverantwortung.
Das eigentliche Problem bestand darin, daß der Besitz des Landesherrn in der Stadt nicht der städtischen Verwaltung unterstellt werden konnte. Die Vertreter des Landesherrn, seine Bediensteten, kurz: sein ganzer Hof, konnten nicht der Jurisdiktion des Magistrats unterstellt werden, denn der Hof des Landesherrn stand über dem Magistrat. Als Ausweg bot sich das »Burglehen« oder »Freihaus« an. Frei bedeutete hier Freiheit von den bürgerlichen Lasten der Stadt, das heißt von den städtischen Steuern, der Einquartierung und vor allem der städtischen Gerichtsbarkeit.
Die Freihäuser lagen zunächst vor allem in der Klosterstraße. Es handelte sich um den Ort, an dem sich der Markgraf und Kurfürst nebst seinem Hof aufhielt, wenn er in der Stadt weilte, sowie um benachbarte Häuser in der Klosterstraße und Heilig-Geist-Straße, die von Angehörigen seiner Hofhaltung bewohnt wurden. Nachdem Kurfürst Friedrich II. 1451 das neuerbaute Schloß in Berlin bezogen hatte, stiftete er eine Reihe von Burglehen, deren Besitzer im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen den Sitz des Kurfürsten zu verteidigen hatten.
Diesen Stadtbewohnern wurde die Bezeichnung »Eximierte«, Ausgenommene, Befreite, zugelegt. Sie waren ausgenommen und befreit von den städtischen Lasten. Die anderen Bewohner, die Mehrheit, waren die »Imierten«, also die in die städtischen Rechte und Lasten eingesetzten oder eingewiesenen Personen.
Solange die Zahl der zum kurfürstlichen Hofstaat gehörenden Personen klein blieb, ergaben sich wenig Probleme. Kompliziert wurden die Verhältnisse nach dem Dreißigjährigen Krieg, als die Aufstellung des stehenden Heeres, der Festungsbau und eine organisierte Einwanderung anstanden.
Der Gegensatz zwischen Eximierten und Imierten mußte zu Spannungen innerhalb der Stadt führen, denn bei vielen Streitigkeiten mußte zunächst geklärt werden, welcher Verwaltung und damit welchem Gericht der Fall zu überweisen war. Das Aufblühen der Stadt Berlin und das Anwachsen ihrer Bevölkerung waren mit der Auflösung der Verfassung der alten Stadtgemeinde verbunden, da der Rat der Stadt in seiner Funktion als Obrigkeit immer mehr eingeschränkt wurde. Einem unverhältnismäßig großen Teil der Bevölkerung hatte er nichts mehr zu sagen, er war in der Ausübung der Polizei- und Gerichtsgewalt eingeschänkt. 3 Die Anlage neuer Städte im Westen und Südwesten von Berlin komplizierte die Situation noch mehr, denn es gab zwischen diesen neuen Städten (Friedrichswerder, Dorotheenstadt und später Friedrichstadt) und den Altstädten (Berlin und Cölln) keine Beschränkungen im Verkehr, aber Unterschiede in der Unterstellung der Bewohner unter die städtische oder staatliche Verwaltung.
Vier Magistrate regierten nebeneinander, es gab eine starke Garnison, die Zahl der Eximierten und Hugenotten, die keinem der vier Magistrate Gehorsam schuldeten, wuchs. Der Landesherr war als Institution die einzige Macht, die von allen Bewohnern der Stadt Respekt fordern konnte. Folgerichtig ergingen die Verordnungen in Polizeiangelegenheiten im Namen des Kurfürsten und dann Königs. Zwar blieb die Befugnis des Magistrats, Verordnungen in Polizeisachen zu erlassen, erhalten, aber diese waren nur beschränkt wirksam. Doch auch die kurfürstlichen Verordnungen konnten nur schwer oder gar nicht durchgesetzt werden, denn die ausführenden Behörden bildeten wieder die Magistrate, denen aber ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung nicht unterstand.
Was man damals und heute mit dem Begriff der Polizeigewalt meinte beziehungsweise meint, ist nur schwer zu vergleichen. Das Wort Polizei wird vom griechischen politeía (Staat) abgeleitet, und man verstand bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die gesamte innere Verwaltung darunter – sei sie nun städtisch oder staatlich. Sie wurde mit dem Begriff res politicae erfaßt, um sich von der res ecclesiasticae, der kirchlichen Verwaltung, zu unterscheiden.
Das Wort entstand um 1500 in Frankreich und beschrieb die Gesamtheit derjenigen Behörden, die die Aufgabe hatten, Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, Wohlfahrt und Ordnung entgegenzutreten. Nach der Reichspolizeiordnung von 1530 hatten die Behörden nicht nur Sicherheit und Ordnung herzustellen, sondern auch Sittenlosigkeit und Luxus einzudämmen sowie den Volkswohlstand zu heben. Aus diesem umfassenden Aufgabenverständnis leitete sich die Auffassung ab, daß die Behörden in alle Bereiche des Lebens gewaltsam eindringen dürften. Seit dem 17. Jahrhundert, als das Heerwesen, die Justizapparate und andere Behörden aufgebaut wurden, verstand man dann unter Polizei die innere Verwaltung im weitesten Sinne. Der Bogen reichte von Markt-, Gassen-, Armen-, Gesundheits-, Veterinär- und Baupolizei bis zur Sicherheitspolizei.
Der Bau der Festung Berlin hatte eine neue Institution geschaffen, der alle Bewohner – Bürger, Soldaten, Eximierte und Kolonisten – unterstanden: den Gouverneur der Festung. Er nahm allen innerhalb der Festungsmauer wohnenden Personen gegenüber eine gebietende Stellung ein. Ihm war bereits vor dem Bau der Festung ein Teil der Baupolizei übertragen worden, denn er hatte darüber zu wachen, daß Neubauten nicht die Anlagen und die Funktion der Festung beeinträchtigen. Ihm oblag die Erteilung von Bauerlaubnissen. Dem Gouverneur wurde nach und nach die Polizeigewalt in Berlin übertragen. Damit verbunden war die Aufstellung eines Haushaltes für diese Funktion, denn die Kosten für die Ausübung der Polizeigewalt durch den Gouverneur mußte der Landesherr übernehmen, da der Gouverneur als kurfürstlicher Beamter nicht in Abhängigkeit von den Stadtmagistraten geraten durfte.
Die Einrichtung der Garnison und die Zuwanderung hatten das städtische Armenwesen belastet. Soldatenfamilien, Invaliden und verarmte Einwanderer vermehrten die Zahl der Armen und trieben die Kosten in die Höhe. 1670 beantragte der Magistrat für derartige Aufgaben einen Zuschuß aus den kurfürstlichen Kassen. Der Kurfürst erkannte die Forderung an und übergab dem Gouverneur mit den Geldmitteln auch die Aufsicht. Ähnliches vollzog sich im Bereich des Wachtwesens. Dieses wurde vollständig dem Gouverneur unterstellt. Die Stadt hatte dafür die Kosten zu tragen. Immer weniger Bürger kamen ihrer Pflicht zur persönlichen Dienstleistung nach, sie stellten vielmehr Ersatzgelder, die der Magistrat einzog und von denen er die Mannschaft bezahlte. Die Unterbringung der Soldaten der Garnison war zunächst Sache des Magistrats gewesen, der die notwendigen Gelder – den Servis – einzog und die belegbaren Grundstücke angab. Auch dies wurde nach und nach dem Gouverneur übertragen. Ab 1680 flossen dem Gouverneur jährlich etwa 2000 Taler für Straßenreinigung, Pflasterweg, öffentliche Brunnen, Beleuchtung, Feuerlöschwesen und ähnliches zu. Damit erhielt er die Aufsicht über die Polizeigebiete. 4
Am 17. Januar 1709 erging das königliche »Rescript von Kombinierung der rathäuslichen Kollegien«, mit dem die Vereinigung der vier Magistrate zu einer Stadt befohlen wurde. Das alte Stadtrecht, wie es nach Herkommen und Rechtstiteln bestand, wurde beseitigt. Ohne Befragung oder Beratung setzte sich damit die unbeschränkte landesherrliche Gewalt gegenüber der Stadtgemeinde Berlin durch. In der Folgezeit wurden die Bereiche festgelegt, für die die Stadtgemeinde verantwortlich war: Kirchenwesen, Hospitäler, Schulen, städtische Gerichtspflege und Kämmereiverwaltung. Offen blieb beziehungsweise nicht eindeutig festgelegt wurde die Ausübung der Polizeigewalt und das Verhältnis zum Gouvernement sowie zur Hausvogtei (Gefängnis und Rechtsprechungsstätte).
1733 fing eine Kommission der kurmärkischen Kammer an, die städtischen Finanzen zu untersuchen, wobei sie sich vor allem mit dem Polizeiwesen befaßte. Sie stellte fest, daß es in der Stadt noch nicht einmal ein einheitliches Maß und Gewicht gäbe und keine Aufsicht über das Marktwesen ausgeübt würde. Daraufhin wurde am 16. Juli 1735 das »Patent über die Jurisdiktion in Polizeisachen in der Residenz« erlassen, das die Polizeigewalt des Magistrats auch auf die Eximierten und Soldaten ausdehnte. Das führte zur Trennung von Polizei- und Gerichtswesen und zur Ausformung der Polizeiverfassung. Zu den Aufgaben der Polizei rechnete man die Aufsicht über das Marktwesen einschließlich der Aufsicht über Maß und Gewicht, Vorkäuferei und Wirtshäuser. Hinzu kamen die Aufsicht über das Gesindewesen, das Feuerlösch- und Brunnenwesen, Pflaster und Brücken, Reinhaltung, Beleuchtung und Sicherheit auf den Straßen sowie die Sorge für die Sonntagsruhe.
Gegen diesen Schritt gab es Einwände des Gouvernements und aus den Kreisen der Eximierten, die sich nicht der Polizeibefugnis des Magistrats beugen wollten. Das Generaldirektorium, die 1723 gegründete oberste Innenbehörde des Staates, deren Mitglieder vom König ernannt wurden, entwarf deshalb eine Polizeiordnung, die am 20. Februar 1742 veröffentlicht wurde. Sie schuf die Behörde eines Polizeidirektors, der zugleich Stadtpräsident und wirkliches (nicht ehrenamtliches) Mitglied des Magistrats war. So war zwar die Verbindung zu den städtischen Behörden gewährleistet, aber dieser Polizeidirektor stand faktisch über dem Magistrat, denn er wurde vom König ernannt, also nicht gewählt, und seine vorgesetzte Behörde war das Generaldirektorium. Außerdem wurde der Sonderstatus der Eximierten aufgehoben. Hergestellt war damit die Einheitlichkeit bei der Ausübung der Polizeigewalt. Doch dem Magistrat war die Ausübung der Polizeigewalt genommen, denn der Polizeidirektor war Königlicher Beamter und beaufsichtigte den Magistrat. Dies Vorgehen war der entscheidende Schritt im Prozeß der Umwandlung zur Residenz. Die Polizei stellte die Einheitlichkeit des Handelns des Staates gegenüber den verschiedenen Rechtsgruppen dar, und sie war zum verbindenden Glied geworden.
Erster Polizeidirektor wurde Carl David Kircheisen, der in seiner Amtszeit zahlreiche Widerstände der Eximierten, die an ihren Privilegien festhalten wollten, beseitigte. Waren in Streitfälle aber Soldaten verwickelt, behielt der Gouverneur das Bestrafungsrecht bei polizeilichen Übertretungen. Was das bedeutete, soll ein Blick auf die Einwohnerzahlen Berlins erweisen: Im Jahre 1795 lebten 156 218 Menschen in Berlin, von denen 10 742 Bürger waren; unter den 183 960 Einwohnern im Jahre 1799 befanden sich 45 745 Militärpersonen.
Am 21. Februar 1747 trat eine Neuordnung der Verfassung der Stadt in Kraft, das »Rathäusliche Reglement der Residenzien Berlin«. Vorgesetzter des Magistrats wurde der Königliche Polizeidirektor, der zugleich Bürgermeister war. Er wurde vom König ernannt, während die anderen Mitglieder des Magistratskollegiums durch Wahl ergänzt wurden. Allerdings mußte der König die Wahl bestätigen. Das Wahlrecht blieb zwar unangetastet, aber der König behielt sich die Zuteilung der Ressorts, ja sogar die Bestätigung der Höhe des Gehaltes der Magistratsmitglieder vor.
Kompliziert blieb die Unterstellung unter die Behörden, die die Staatsaufsicht über die Stadt Berlin ausübten. Der Stadtpräsident – zugleich Polizeidirektor – unterstand dem Generaldirektorium, das die entscheidende Position in allen Finanzangelegenheiten der Stadt behielt. Die übrigen Amtsgeschäfte beaufsichtigte die Kurmärkische Kammer, die sich nach und nach in alle Angelegenheiten der Stadt einmischte und den »Magistrat selbständiger Handlungen entwöhnte«. 5
Über diese Struktur mischte sich der König immer stärker und häufiger direkt in die Angelegenheiten der Stadt ein; der Stadtpräsident hielt als Polizeidirektor beim König Vortrag über die Geschäfte der Berliner Stadtverwaltung. So verschwand einerseits jede selbständige Mitwirkung der Bürger Berlins an ihren ureigensten Geschäften, und andererseits nahm die Stadt mehr und mehr den Charakter einer königlich verwalteten und vom Hofe abhängigen Gemeinde an.
Bei den gewählten und bestätigten Mitgliedern des Magistratskollegiums verblieben das Stadtgericht, das Patronat über die Kirchen und das Innungswesen. Das Armenwesen der Stadt verwaltete die Königliche Armendirektion, während die gesamte Polizeiverwaltung aus der Verantwortung des Magistrats völlig ausschied. Diese Struktur von Polizeiverwaltung und Verfassung der Stadt Berlin hielt sich bis zum Jahre 1806.
Entsprechend ihrem Selbstverständnis als Sicherheitsbehörde hatte die Polizei einerseits Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung vorzubeugen, Straftaten zu verfolgen und Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen sowie Gefahren für den einzelnen und die Gesamtheit abzuwenden und andererseits zur Förderung des Gemeinwohls und der Wohlfahrt mit Zwang in das Recht des einzelnen einzugreifen. Aus dieser Vorgehensweise leitete sich die Bezeichnung Polizeistaat ab. Sie wurde gegen den mittelalterlichen Rechtsbewahrungsstaat gesetzt, und man verstand darunter eine umfassende Tätigkeit auf dem Gebiet der inneren Verwaltung sowie eine umfassende Fürsorge für die irdische Glückseligkeit der Untertanen. Dies entsprang den Auffassungen der Zeit, daß der Landesherr durch die Reformation die Befugnis und die Pflicht hatte, für das Seelenheil und die Existenz seiner Untertanen zu sorgen. Insofern stellte die Tätigkeit der Polizei das weltliche Gegenstück zur kirchlichen Tätigkeit dar. Um dieses Ziel zu erreichen, übertrug man den Behörden das Recht einer umfangreichen Verwaltungsaktivität, die auch das Recht und die Pflicht umfaßten, starke Eingriffe in den Privatbereich der Untertanen vornehmen zu dürfen.
Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 änderte die Aufgaben der Polizei und beschränkte sie im Teil II, Titel 11, Paragraph 10 auf die mit Zwang ausgestattete Staatstätigkeit, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung sowie zur Abwehr von Gefahren angewendet werden mußte. 6 Eindeutig festgelegt wurde in den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts (Teil II, Titel 17, § 12), daß die Polizeibehörde in jedem Fall, durch den die öffentliche Ruhe und Sicherheit gestört wurde, das Recht und die Pflicht des ersten Angriffs und der vorläufigen Untersuchung hatte. Gemäß Paragraph 13 mußte der Fall dann der öffentlichen Gerichtsbarkeit übertragen werden. Dieses rechtsstaatliche Verfahren ermöglichte es der Polizei, ihre Aufgaben wahrzunehmen, sicherte zugleich aber auch den einzelnen Bürger gegen mögliche Willkür ab. Hier läßt sich die Entwicklung vom Polizeistaat zum Rechtsstaat ablesen. Das Allgemeine Landrecht änderte aber nicht die Verfassung der Stadt Berlin, hier behielt der Polizeidirektor seine überragende Stellung.
Nach der Niederlage des preußischen Staates im Krieg gegen Frankreich und nach dem Einzug Napoleons in Berlin am 27. Oktober 1806 bekam die Stadt einen französischen General als Stadtkommandanten und erhielt eine besondere Verfassung. Zunächst wurde jede Unterordnung unter die Kurmärkische Kammer aufgehoben. Am 7. November 1806 wurde ein Comité administratif eingesetzt, das die alleinige Stadtverwaltung und Stadtobrigkeit war und die Verwaltung der Stadt übernahm. Zum Tätigkeitsbereich dieses Komitees gehörte auch das Polizeiwesen. Für diesen Zweck wurde eine Bürgergarde geschaffen, die dem ehemaligen Bürgermeister Büsching unterstand.
Nach der Niederlage von 1806 setzte eine Reform des preußischen Staates ein. Vor allem das Oktoberedikt, das am 9. Oktober 1807 in Kraft trat und die ständischen Beschränkungen für Handel, Gewerbe und Grundbesitz sowie die Beschränkungen der persönlichen Freiheit aufhob, sowie die Städteordnung vom 19. November 1808 bewirkten weitreichende Veränderungen. Die Städteordnung erweiterte die Aufgaben der städtischen Organe. Die verwickelten Verfassungsgesetze für Berlin wurden beseitigt und durch die Städteordnung ersetzt.
Das Königliche Polizeipräsidium entstand am 16. Dezember 1808. Am 5. Januar 1809 bestätigte König Friedrich Wilhelm III. das Polizei-Reglement von Berlin. 7
Darin wurde eine direkte Unterstellung der Behörde unter den preußischen Minister des Innern angeordnet – eine Regelung, die bis nach dem 30. Januar 1933 beibehalten wurde. Der erste Polizeipräsident von Berlin, Justus von Gruner, leitete die Einführung der Städteordnung und ordnete die Verhältnisse derart, daß dem Polizeipräsidium »Befugnisse über die städtische Verwaltung« 8 eingeräumt wurden. Gruner machte am 6. April 1809 in den Zeitungen publik, daß ihm der König die Sorge für Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Stadt übertragen habe. Als Polizeipräsident wurde er unmittelbar dem Minister des Innern unterstellt. Gruners Aktivitäten liefen wegen des Residenzcharakters der Stadt darauf hinaus, städtische Einflußnahmen im Bereich des Polizeiwesens auszuschalten. Das Gouvernement verlor seine Verwaltungsaufgaben für Berlin, die ausnahmslos auf den Polizeipräsidenten übergingen. 1810 wurde ein engerer Polizeibezirk geschaffen, der die Stadt selbst und das Weichbild umfaßte, sowie ein weiterer Polizeibezirk, zu dem die Stadt Charlottenburg und eine Reihe von Orten im Kreis Teltow und Niederbarnim gehörten. In diesem Raum sollte nach Paragraph 3 der Polizeipräsident für die »öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung« sowie »die Vorbeugung und Stillung von Aufläufen, Ausmittlung und Ergreifung von Verbrechern und Veranlassung von General-Visitation« verantwortlich sein. 9 Maßgebend war dabei die Erkenntnis, daß Täter und Tätergruppen aus Berlin im Umland beziehungsweise umgekehrt aus dem Umland in der Stadt agierten.
Die neue Kompetenzverteilung wurde für kurze Zeit aufgehoben, als Berlin am 20. April 1815 eine Regierung bekam, die besondere Befugnisse erhielt, die weit über die anderer Regierungen hinausgingen. Insbesondere wurde ihr das gesamte Polizeiwesen unterstellt. Regierungspräsident wurde Paul Ludwig le Coq, unter dessen Leitung ein Polizeidirektor die Aufgaben der Ortspolizei versah. Am 21. Dezember 1821 hob eine Kabinettsorder diese Regierung wieder auf und schuf die Behörde des Polizeipräsidenten neu. Die Stadt Berlin und der Polizeipräsident wurden direkt dem Minister des Innern unterstellt, beide waren zwar gleichrangig, aber der Polizeipräsident erhielt die Staatsaufsicht über den Magistrat. 10
Das erweiterte Polizei-Reglement vom 18. September 1822 bestimmte, daß das »Polizeipräsidium eine in sich vereinigte Behörde« sei, das heißt zugleich Landesund Ortspolizeibehörde. Paragraph 2 erläuterte die Festlegung mit den Worten, daß das Präsidium »in der Regel sowohl alle diejenigen Befugnisse und Verpflichtungen, welche den Regierungen als Provinzial-Behörden zustehen und obliegen, als auch diejenigen auszuüben und zu erfüllen habe, welche den Lokalpolizei-Obrigkeiten« übertragen worden waren oder noch zu übertragen seien. Im Zusammenhang mit der direkten Unterstellung unter den Innenminister, die hier wiederholt und durch die Unterstellung sowohl des Präsidenten als auch der Angehörigen des Präsidiums unter die Disziplinargewalt des Innenministers bekräftigt wurde, zeichnete sich die besondere Stellung der Behörde ab. Dem Berliner Magistrat – so wird in Paragraph 29 erklärt – steht »zufolge der eigentümlichen Stellung des Polizei-Präsidiums in der Verwaltung der dieser Behörde zugewiesenen polizeilichen Geschäftsgegenstände und Fonds in keiner Art eine Einmischung oder Kontrolle zu«. 11 Ein derartiges einmaliges Vorgehen erklärte sich aus der Stellung Berlins, das Hauptstadt des preußischen Staates und Residenz war. Da sich immer mehr Menschen in der Stadt zusammenballten, bekam die Frage nach der Beherrschbarkeit des Regierungssitzes eine große Bedeutung. Die Einzelheiten, die das Polizei-Reglement festhielt, belegen, daß das Polizeipräsidium die entscheidende Verwaltungsbehörde der Stadt geworden war. Es gab kein kollegiales Verfahren der Verwaltung, die Haftung für sämtliche Geschäfte übernahm der Polizeipräsident in persönlicher Verantwortung.
Zugleich orientierte sich die räumliche Zuständigkeit des Präsidiums wieder an der Bestimmung des Jahres 1810. Die 1810 zum weiteren Polizeibezirk gehörenden Orte kamen in den sechziger Jahren zum Territorium von Berlin. Eine erneute Ausdehnung der Befugnisse des Polizeipräsidenten auf die Umgebung von Berlin erfolgte mit dem Gesetz vom 12. Juni 1889, das bestimmte, daß die Stadtkreise Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf einen Landespolizeibezirk Berlin bilden. 12 Weiterhin gehörten folgende Orte dazu: Deutsch-Wilmersdorf, Lichtenberg, Reinikkendorf, Weißensee, Stralau und Rummelsburg. 1901 wurden diesem Bezirk noch Tempelhof, Treptow, Britz, Pankow und Tegel hinzugefügt.
1844/45 geriet Preußen in eine Agrarbeziehungsweise Wirtschaftskrise, aus der sich eine politische Krise entwickelte. Ihre tiefere Ursache lag in der Verweigerung politischer Reformen und einer demokratischen Modernisierung. Der Staat wollte zunächst nicht eingreifen, und als er es doch tat, geschah es in einer Art und Weise, die das Heraufziehen der Katastrophe eher beschleunigte, statt ihr gegenzusteuern.
Die Verweigerung von Reformen lag am Festhalten an überholten Strukturen; die Eliten (Krone, Adel, Militär) waren nicht in der Lage, die Veränderungen wahrzunehmen, die die industrielle Revolution mit sich brachte. Berlin war auf dem Wege, die größte Industriestadt Preußens und eine der wichtigsten in Europa zu werden, und hatte sich in der ersten Phase der europäischen Eisenbahnentwicklung zu einem Verkehrsknotenpunkt entwickelt Neue Schichten, das Bürgertum und vereinzelt auch schon die Arbeiterschaft, drängten nach vorn und verlangten politische Mitsprache. Die Forderungen nach politischer Gleichstellung aller und einer konstitutionellen Verfassung lösten im Februar und März 1848 im Deutschen Reich – und auch in Berlin – eine Revolution aus, die jedoch 1848/49 niedergeschlagen wurde.
In dieser spannungsgeladenen Situation kam der im November 1848 ernannte Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey zum Zuge, der konservative mit modernen Vorstellungen verband. Er zeigte sich zunächst als Politiker, der auf die Restitution der königlichen Macht zielte, und stand auf der Seite von General von Wrangel, der im November 1848 das Stadtzentrum Berlins besetzte und die Nationalversammlung auflöste. Bezeugt ist jedoch auch, daß er den Sinngehalt einiger, allerdings nicht genuin politischer Forderungen der Barrikadenkämpfer des Jahres 1848 anerkannte. Er wollte seine Möglichkeiten nutzen, schob alles Hinderliche beiseite und begann in seinem Tätigkeitsbereich – eben Polizei nach damaligem Begriff –, die notwendigen Veränderungen, sprich kommunale Verbesserungen, herbeizuführen. Er organisierte die gesamte Polizeiverwaltung Berlins um, damit ein Beispiel für andere größere Städte gebend.
Der erste Schritt war bereits mit der Bildung der Schutzmannschaft (23. Juni 1848) getan worden. 13
Hinckeldey reorganisierte sie und richtete die Exekutive militärisch aus, um ein schlagkräftiges Instrument gegen mögliche Unruhestifter zu haben. Dann aber folgten die ersten Schritte zur Modernisierung der städtischen Infrastruktur: reorganisierte Straßenreinigung, Einrichtung von öffentlichen Speise-, Wasch- und Badeanstalten, Eröffnung der ersten Herberge für stellungslose weibliche Dienstboten, Reform der Gefängnisse in Berlin, Aufbau der Wasserversorgung von Berlin, Vorantreiben der öffentlichen Beleuchtung der Stadt, Aufbau einer Feuerwehr, die dann in Berlin als besonders mustergültig galt, Vernetzung – um den modernen Begriff zu gebrauchen – der Polizeistationen und der Feuerwehr durch Telegraphie, Einführung des Kooperationszwanges für die Berliner Fabrikarbeiter (1853), allerdings mit dem Verbot der politischen Betätigung, und Vorbereitung der Fluchtliniengesetzgebung.
Dem gegenüber stand die Bildung der Geheimpolizei, aus der später die Politische Polizei hervorging. Ein Netz polizeilicher Überwachung, von Spitzeln unterstützt, überzog ganz Berlin, und das Ziel der Politischen Polizei war es nicht nur, politische Gegner zu verfolgen, sondern sie zu vernichten. Es soll hier nicht der Vorwurf erhoben werden, daß eine Politische Polizei aufgebaut wurde, sondern daß sie versuchte, menschliche Existenzen zu zerstören, und daß Unschuldige eingesperrt oder aus dem Lande vertrieben wurden. Derartige Verfolgungen trafen insbesondere während der Zeit des Sozialistengesetzes (Versammlungs-, Organisations- und Publikationsverbot für die Sozialdemokratie 1878-90) viele Menschen.
Mit den von Hinckeldey eingeleiteten Veränderungen begann ein Prozeß der Umgestaltung der Stadt, die sie zu einer der modernsten Europas machte. Der Verwaltungsorganismus konnte auf alle kommunalen Anforderungen meisterhaft reagieren. Wer die drei Verwaltungsberichte des Berliner Polizeipräsidenten aus der Zeit zwischen 1871 und 1914 zur Kenntnis nimmt, wird dem zustimmen können. Alles war für den Bürger in die Wege geleitet, alles klappte wie am Schnürchen – von der Sauberkeit der Straßen bis zur medizinischen Versorgung. Alles war überschaubar geworden und konnte nur noch besser werden. Auch Hinckeldey frönte – wie viele zu seiner Zeit – einem unbedingten Fortschrittsglauben, meinte aber, daß nur die königliche Verwaltung ihn wirklich durchsetzen könne.
Vom 18. Jahrhundert bis zur Revolution von 1918/19 war das politische Denken in Deutschland von einem angenommenen Gegensatz zwischen »Staat« und »Gesellschaft« bestimmt. 14 Mit der Reform der Stadtverfassung hatte Freiherr vom und zum Stein im Jahre 1808 beabsichtigt, diese strikte Antimonie von Staat und Gesellschaft aufzulockern und die im städtischen Bürgertum vorhandenen Kräfte für die preußische Monarchie nutzbar zu machen.
Somit entwickelte sich die kommunale Selbstverwaltung zu einem politischen Emanzipationsforum der auf staatlicher Ebene zunächst machtlos bleibenden gesellschaftlichen Kräfte. In seinem Stadtregiment sah das liberale Bürgertum über Jahrzehnte hin ein Unterpfand seiner Opposition gegen den Obrigkeitsstaat. Auch in Berlin nahmen die alteingesessenen liberalen Bürger die Selbstverwaltung als Möglichkeit wahr, bürgerlich-genossenschaftliches Selbstbewußtsein zu entwickeln und sich damit gegenüber dem zentralstaatlichen Absolutheitsanspruch abzugrenzen. Als mit der Reichsgründung von 1871 die Städte von bloßer Hoheits- und Vermögensverwaltung zur Leistungsverwaltung übergingen, war damit auch ein gesamtgesellschaftlicher Wandel verbunden. Mit dem neuen Selbstverständnis, Dienstleistungseinrichtung für die Bürger zu sein, übernahm die städtische Verwaltung – wie der Staat – zunehmend vorsorgende Aufgaben. Weil Staat und Gemeinde somit das gleiche Ziel – die Fürsorge für den Bürger – verfolgten, entschärfte sich der krasse Gegensatz zwischen beiden öffentlichen Verwaltungen; die Selbstverwaltung löste sich mehr und mehr aus der Oppositionsrolle, in die sie sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts begeben hatte.
Das Verhältnis zwischen den beiden Machtfaktoren blieb in Berlin dennoch angespannt, hatte die Stadt doch die besondere Funktion einer Haupt- und Residenzstadt. Auseinandersetzungen zwischen städtischen Gremien und dem Herrscherhaus hatten bereits eine lange Tradition. Die preußische Regierung und das »Rote Rathaus« bildeten die beiden Kräfte, die in Widerstreit miteinander gerieten. Konservativer Politik auf der einen Seite standen bürgerliche Eliten, im linken Flügel des Liberalismus organisiert, gegenüber. Der König war bestrebt, über den Polizeipräsidenten großen Einfluß auf die städtische Politik zu behalten und sich Geltung in der Stadt zu bewahren. Von daher wurde die staatliche Aufsicht über die städtische Politik in Berlin sehr streng gehandhabt.
Die kommunale Verwaltung befand sich in ständiger Auseinandersetzung mit staatlichen Behörden, so mit der Ministerial-, Militär- und Baukommission, der die fiskalischen Gebäude, Grünflächen und Wasserstraßen im Stadtbereich unterstanden. Angelpunkt des schwierigen Verhältnisses war die starke Stellung des Polizeipräsidenten. Er hatte die Polizeigewalt und besaß die Befugnisse eines Regierungspräsidenten. Als Vertreter der bürokratisch-konservativen Staatsgewalt natürlicher Gegner des Liberalismus der Selbstverwaltungsorgane, wirkte er als ein starker Rivale des Magistrats, mit dem er sich über Zuständigkeiten und seine Amtsführung stritt.
Als erstes Beispiel für diese Auseinandersetzungen sei auf die Verwaltung der Straßen der Stadt verwiesen, die ja seit 1442 im Besitz des Landesherrn waren. Eine Königliche Kabinettsordre aus dem Jahre 1838 bestimmte, daß die vor dem 1. Januar 1837 innerhalb der Stadtmauer neu errichteten Straßen und Brücken weiter dem Fiskus gehörten und von ihm zu unterhalten seien. Alle nach diesem Zeitpunkt neu angelegten Straßen sollten von der Stadt unterhalten werden. Der Fiskus sicherte sich aber die Eigentumsrechte, das heißt, die Stadt trug die Kosten und die Verantwortung, das Verfügungsrecht indes blieb ihr versagt. Nach langen Verhandlungen kam es im Dezember 1875 zu einer neuen Einigung, laut der die Verwaltung und der Unterhalt aller öffentlichen Straßen, Plätze und Brücken in die Hände der Stadt übergingen.
Als »spektakulärste Form staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten« auf die städtische Selbstverwaltung galt das Recht des Königs, die kommunalen Spitzenbeamten, den Oberbürgermeister, zu bestätigen. 15 In der preußischen Haupt- und Residenzstadt wurde dieses Genehmigungsverfahren zur Kraftprobe zwischen König und städtischem Selbstbewußtsein; überliefert sind die geduldigen Worte des Berliner Oberbürgermeisters Martin Kirschner, dem der König lange Zeit die Bestätigung vorenthielt: »Ich kann warten!« 16
Der Kirchbaulaststreit am Ende des 19. Jahrhunderts zeigte dann das gewonnene Selbstbewußtsein der Kommune, dokumentierte zugleich aber auch, daß es um mehr als eine Auseinandersetzung zwischen Magistrat und Polizeipräsidium ging. Der Streitpunkt war die Finanzierung des Neubaus von evangelischen Kirchen in der immer größer werdenden Stadt. Die Stadt war fest entschlossen, sich nicht den kirchlichen Forderungen nach Finanzierung des Kirchenbaus zu fügen, zog vor die Gerichte und bekam sowohl vom Kammergericht (13. März 1903) als auch vor dem Reichsgericht (13. Juni 1904) Recht. Damit war die anstehende Trennung allgemein-öffentlicher und kirchlicher Belange, die sich im Zuge der Modernisierung in der gesamten deutschen Gesellschaft herauskristallisierte, frühzeitig und punktuell für die Stadt Berlin vollzogen.
All diese Entwicklungen vollzogen sich schrittweise und waren von Konflikten zwischen Magistrat und Polizeipräsidium begleitet. Die Novemberrevolution von 1918 beziehungsweise die Ausrufung der Republik hatte eine Entschärfung des Konflikts zur Folge. Denn die einstigen Streitpunkte wurden unbedeutend, da die Sicherung der königlichen/kaiserlichen Macht als Aufgabe wegfiel und die Widersprüche der Gesellschaft sich in andere Bereiche verlagerten. Gegenüber der Stadt behielt das Polizeipräsidium als Staatsaufsichtsbehörde zwar die überragende Stellung, aber das Präsidium beschränkte sich immer mehr darauf, nur Aufsichtsbehörde zu sein. Zahlreiche Aufgaben gingen in die städtische Verwaltung über, wie die Baupolizei, die nun unter der Bezeichnung Bauaufsicht zur städtischen Aufgabe wurde.
Nach dem Abflauen der politischen Kämpfe in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg traten Bestrebungen hervor, den Polizeikörper zu zentralisieren. Das führte zur Schaffung einer eigenen Polizeibehörde auf Landesebene sowie zu einer Trennung der Kriminalpolizei und der Politischen Polizei von den anderen Polizeiorganen. Zugleich verlagerte sich damit auf kriminalpolizeilichem und politisch-polizeilichem Gebiet der Schwerpunkt nach Berlin in das Polizeipräsidium, wo alle Fäden zusammenliefen.
Das Militär hatte durch den Versailler Vertrag von 1919, gemäß dem es auf 100 000 Mann verkleinert worden war, seine überragende Position bei der Wahrung der inneren Sicherheit verloren. 1919 dachte man zunächst daran, eine militärisch gegliederte, straff geführte Sicherheitspolizei aufzubauen, doch das verboten die Alliierten 1920.
Ausdruck dieser Zentralisierungstendenzen war der Erlaß des preußischen Innenministers vom 20. Mai 1925 über die Bildung eines Landeskriminalpolizeiamtes: »Die Regierungspräsidenten und der Polizeipräsident von Berlin haben bei den in der Anlage 1 ersichtlichen staatlichen Polizeiverwaltungen ihrer Bezirke ›Landeskriminalpolizeistellen‹ einzurichten...«, und »bei dem Polizeipräsidium in Berlin wird ein Landeskriminalpolizeiamt eingerichtet«. 17 Dieser Landeskriminalpolizeistelle (Lkst.) beziehungsweise dem Landeskriminalpolizeiamt (LKPA) mußte von den Ortspolizeibehörden in folgenden Fällen Anzeige erstattet werden: Verbrechen und Vergehen, die sich gegen den Bestand und die Sicherheit des Staates richten, zum Beispiel Hochverrat, Landesverrat, Verrat militärischer Geheimnisse, Verbrechen und Vergehen gegen das Gesetz zum Schutz der Republik sowie alle strafbaren Handlungen, die auf einen politischen Beweggrund zurückzuführen waren. Im eigentlichen Sinne wurden die bestehenden kriminalpolizeilichen Stellen des Polizeipräsidiums zum Landeskriminalpolizeiamt umgebildet und das Präsidium mit den notwendigen kriminaltechnischen Ausrüstungen versehen.
Mit der »Centrale der Staatspolizei«, der politischen Polizei, besaß das Polizeipräsidium ein im ganzen Reichsgebiet operierendes Organ. Das Handbuch der preußischen Verwaltung schrieb 1928: »Eine einheitliche Organisation besteht jedoch für die Bekämpfung des Landesverrats (Spionage). Für diese Straftaten ist das Pol. Präs. (Landeskriminalamt) als Zentralstelle bestimmt. Die Geschäfte werden erledigt durch die Staatspolizei-Zentralstelle (C.St.), eine Unterabteilung der Abteilung I A.« 18 Polizeirat Hennig teilte 1925 mit, daß diese Zentralstelle an allen Ermittlungen beteiligt war, die im Zusammenhang mit den 318 Personen durchgeführt wurden, die im Jahre 1924 wegen Landesverrat im Deutschen Reich verurteilt worden waren. 19
Mit dieser Ausweitung der Zuständigkeit erfolgte eine wesentliche Akzentverschiebung der Tätigkeit des Polizeipräsidiums von der Stadt weg hin auf die Tätigkeit für das Land Preußen. Der alte Konflikt zwischen Stadt und Staat hatte sich entschärft, andere politische Konflikte bestimmten die Tätigkeit des Präsidiums.
Am 20. Juli 1932 setzte Reichskanzler Franz von Papen durch Notverordnungen die geschäftsführende Regierung von Preußen ab und ließ die preußische Polizeiführung in Berlin durch Reichswehr verhaften. Dieser sogenannte Preußen-Schlag vernichtete unter anderem die Möglichkeit, die Demokratie von Weimar mit Hilfe der Polizei zu verteidigen, entfernte demokratische Politiker von ihren Positionen und spielte den mächtigen Apparat der Berliner Polizei in die Hände der Kräfte, die diesem Staat feindlich gegenüberstanden und eine Diktatur errichten wollten.
Nach dem 30. Januar 1933, nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, verlor das Berliner Polizeipräsidium seine überragende Position in der Verwaltung und in der Exekutive. Zunächst wurde mit dem Gesetz vom 26. April 1933 die Abteilung I (vormals I A), die Politische Polizei, zum Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) umgebildet und dem preußischen Ministerium des Innern unterstellt. Im Präsidium entstand – ebenso wie an den anderen Sitzen der Regierungspräsidenten – eine Gestapostelle mit Außenstellen (Gestapo). Diese waren noch lose mit der regionalen staatlichen Verwaltung verbunden. Alles zielte darauf, die Außenstellen direkt und unmittelbar dem Gestapa zu unterstellen, sie zu nachgeordneten Behörden der Zentrale zu machen. Mit dem Erlaß Hitlers vom 17. Juni 1936, der den »Reichsführer SS« Heinrich Himmler als Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern einsetzte, wurde die Polizei »verreichlicht«, das heißt, das bisher für die Polizei geltende Landesrecht verlor seine Bedeutung. Die folgende grundlegende Neuorganisation der Polizei löste die Gestapo als Politische Polizei aus den letzten Zusammenhängen mit den Ländern und machte die regionalen Organe zu nachgeordneten Vollzugsorganen der Reichsbehörden.
Das Landeskriminalpolizeiamt des Berliner Polizeipräsidiums wurde noch 1933 aus dem bisherigen organisatorischen und rechtlichen Rahmen gelöst und ebenfalls dem Innenminister unterstellt. Als regionale Stelle erhielt das Präsidium eine Kriminalpolizeistelle, die nur noch lose mit dem Präsidium in Verbindung stand. Mit Erlaß vom 26. Juni 1936 kam das Landeskriminalpolizeiamt zum Hauptamt »Sicherheitspolizei« beim Chef der Deutschen Polizei. Am 20. September 1936 erging die Weisung des Reichsinnenministers Wilhelm Frick zur Neugliederung der Kriminalpolizei. Das preußische Landeskriminalpolizeiamt wurde zum Reichskriminalpolizeiamt mit 15 Zentralstellen umgebildet (16. Juli 1937), dem zunächst 13 Kriminalpolizeileitstellen und fünfzig Kriminalpolizeistellen unterstellt waren. Die Kriminalpolizeileitstelle in Berlin war nun nicht mehr dem Polizeipräsidium unterstellt. Es bestanden arbeitsmäßige Beziehungen.
Räumlich blieb die Kriminalpolizei im Präsidium am Alexanderplatz, war dem Polizeipräsidenten aber nur indirekt unterstellt. Die Zentralbehörde als vorgesetzte Dienststelle griff wegen der Funktion und Position Berlins als Reichshauptstadt immer wieder und immer öfter in die Geschäfte des Präsidiums ein, das faktisch eine nachfolgende Behörde der zentralisierten Reichsbehörden geworden war.
Aufgrund des Gesetzes zum Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 gingen die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über. Das hatte weitere Folgen für die Polizei in Berlin. Die Landespolizei Preußen erhielt zahlreiches Personal und technische Ausrüstungen von der Berliner Polizei. Nur ältere Beamte blieben bei der Schutzpolizei, deren Stärke Ende 1934 bei rund 4000 Mann lag. 1935 ging die Landespolizei in die Wehrmacht über, woraufhin der Wiederaufbau der Schutz- und Revierpolizei erforderlich wurde. Im Zuge der »Verreichlichung« und Zentralisierung der Polizei kam es zur Bildung eines Hauptamtes Ordnungspolizei, dem Ende 1936 erneut rund 14 000 Beamte in Berlin unterstanden. Dazu gehörten zum Beispiel die Berufsfeuerwehren – nun unter der Bezeichnung Feuerschutzpolizei –, die Wasserschutzpolizei sowie die Verwaltungspolizei. Über sie gebot der Polizeipräsident aber nur eingeschränkt, er war Zwischen- oder Mittelinstanz gworden. Die Verwaltungspolizei, die die Einheitlichkeit des inneren Dienstes zu gewährleisten hatte, geriet immer stärker in die Hände der Gestapo.
Die Staatsaufsicht über Berlin, die der Polizeipräsident bisher innehatte, wurde mit der Einsetzung des Stadtpräsidenten am 31. Mai 1933 eingeschränkt. Über verschiedene Stufen gingen dann die Aufsichtsrechte bis zum 1. Januar 1936, dem Tag des Erlasses einer neuen Verfassung für Berlin, völlig verloren. Als Aufsichtsbehörde fungierte nunmehr ein Staatskommissar für Berlin. Nur über die Fremdenpolizei gebot das Präsidium noch voll, war aber dabei fest an Weisungen der Gestapo gebunden. Hinzu kamen Verkehrsund Gewerbepolizei sowie die Aufsicht über das Gesundheits- und Veterinärwesen.
Der Polizeipräsident in Berlin war Ortspolizeibehörde geworden, alle landespolizeilichen Befugnisse und die Aufgabe der Staatsaufsicht waren verloren. Das Präsidium blieb aktiver Teil der zentralen Reichspolizei, griff aber selbst nicht mehr gestaltend ein. Es war ausführendes Organ der auf Terror und auf Vernichtung von Menschenleben ausgerichteten menschenverachtenden Politik der Nazis.
Mit der Bildung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) war die nationalsozialistische Zentralisierung der Polizeiorgane vollzogen; das Berliner Präsidium stand räumlich mit der Zentrale und den regionalen Behörden dieser Terrorzentrale in Verbindung. Auch hier galt die Sicherung des Regierungssitzes als oberstes Gebot, und das Präsidium hatte seinen Anteil an der Umsetzung der Gewaltkonzepte der NS-Herrschaft, bestimmte aber nicht mehr.
Am 5. August 1944 wurde durch Reichsgesetz die Dienststelle des Stadtpräsidenten unter Erweiterung der Kompetenzen zum »Regierungspräsidenten von Berlin« umgewandelt. Dieser Dienststelle wurden unter anderem die Preußische Bau- und Finanzdirektion und das Polizeipräsidium von Berlin unterstellt. Die Funktion des Regierungspräsidenten übernahm Propagandaminister Joseph Goebbels, sein Stellvertreter war Dr. Maretzky.
Anfang April 1945 begann im Berliner Präsidium die Vernichtung der Personalakten, der Strafakten und anderer belastender Unterlagen. Am 27. April räumten die letzten Angehörigen die Ruine der »Zwingburg« am Alexanderplatz; das einst so mächtige Berliner Polizeipräsidium gab es nicht mehr.
Der Neuaufbau der Berliner Schutzpolizei geht bis in die Zeit des Kampfes um Berlin im April 1945 zurück. Als sich der letzte Befehlshaber der Reichshauptstadt General der Artillerie Helmuth Weidling am 30. April 1945 aufgrund der aussichtslosen Lage zur bedingungslosen Kapitulation entschloß, die in den Morgenstunden des 2. Mai 1945 in Kraft trat, hatten in den Außenbezirken Berlins einzelne sowjetische Militärbefehlshaber bereits die ersten Maßnahmen für die Aufstellung einer Polizei getroffen.
Diese lokal begrenzten ersten Versuche eines Neuaufbaues der Polizei erfolgten jedoch zusammenhangslos und trugen dementsprechend einen provisorischen Charakter.
Als am 2. Mai 1945 die Waffen endgültig schwiegen, wurden die im Kampf um Berlin in Gefangenschaft geratenen Beamten und Reservisten der Ordnungspolizei sowie die Angehörigen der Deutschen Wehrmacht in Richtung Osten abtransportiert.
Mit der Unterzeichnung der »Militärischen Kapitulationsurkunde« durch die Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht in Berlin-Karlshorst am 8. Mai 1945 gehörte auch die bisherige Berliner Polizeiorganisation der Vergangenheit an.
Der bereits am 28. April 1945 vor dem Ende der Kampfhandlungen eingesetzte Chef der sowjetischen Besatzungstruppen und erste Stadtkommandant von Berlin, Generaloberst Nikolai Bersarin, hatte am gleichen Tage im Befehl Nummer 1 in elf Punkten administrative und politische Maßnahmen zur Normalisierung des Lebens in Berlin erlassen.
Am 25. Mai 1945 verfügte er:
Befehl des Militärkommandanten der Stadt Berlin. – Im Interesse der schnellen Wiederherstellung des normalen Lebens der Bevölkerung der Stadt Berlin, im Interesse des Kampfes gegen Verbrechen und öffentliche Ruhestörung, der Regulierung des Straßenverkehrs und des Schutzes der Selbstverwaltungsgebäude der Stadt Berlin ist der Selbstverwaltung der Stadt Berlin vom Kommando der Roten Armee erlaubt, die Stadtpolizei, das Gericht und die Staatsanwaltschaft zu organisieren; diese Organe sind bereits am 20. Mai d. J. (1945) gebildet und haben ihre normale Arbeit begonnen.
Ich befehle:
1. Dem Polizeipräsidenten des Präsidiums der Stadt Berlin, Oberst Markgraf, vom 25. Mai bis 1. Juni d. J. den Schutzpolizeiapparat in die Uniform einzukleiden, die bis zum Jahre 1933 im Dienstgebrauch war, und eine notwendige Zahl von Polizeiposten in der Stadt aufzustellen.
2. Der Zivilbevölkerung der Stadt Berlin, den Aufforderungen der Polizei, des Gerichts und der Staatsanwaltschaft als Vertreter der städtischen Macht Folge zu leisten und ihnen jegliche Hilfe zu erweisen.
3. Den Angehörigen der Roten Armee des Standortes Berlin, der Polizei, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft während der Durchführung der ihnen auferlegten Dienstpflichten keine Schwierigkeiten zu bereiten. gez. Bersarin.
Dieser Maßnahme war am 19. Mai 1945 die Einrichtung eines Polizeipräsidiums in Berlin N 4, Linienstraße 83–85, unter der Leitung des von der sowjetischen Militäradministration eingesetzten Polizeipräsidenten, Oberst Paul Markgraf, vorausgegangen.
Damit konnte der Neuaufbau der Polizei in halbwegs geregelten Bahnen erfolgen. Unabdingbare Voraussetzung war, daß er sich keinesfalls auf den Polizeiapparat des untergegangenen Nazi-Regimes stützte.
Mit behelfsmäßigen Plakatierungen wurde zum Eintritt in die Polizei geworben. Unbelastete Bewerber im Alter von 21 bis 55 Jahren konnten sich melden. Eine Reihe ehemaliger Polizeibeamter, die nach dem Machtantritt Hitlers wegen ihrer politischen Einstellung und Überzeugung aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus dem Polizeidienst entlassen worden waren und die Kriegswirren in Berlin überstanden hatten, stellte sich in jenen Tagen zur Mitarbeit beim Wiederaufbau der Berliner Polizei zur Verfügung. Zu ihnen gehörte auch der spätere Polizeipräsident Dr. Johannes Stumm. Allein in Berlin waren nach dem Machtantritt der Nazis 445 Polizeibeamte aufgrund dieses Gesetzes, das sich gegen jüdische und dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstehende Beamte wandte, aus dem Dienst entlassen worden. Viele von ihnen bildeten mit dem begrenzten Kreis der unmittelbar nach dem Zusammenbruch wieder in Dienst genommenen Beamten und Reservisten der ehemaligen Ordnungspolizei den Grundstock ausgebildeter Polizeiangehöriger, die die verschiedensten Funktionsstellen einnahmen.
Dank ihrer Fachkenntnisse und Erfahrungen konnten sie die neu eintretenden Polizeianwärter mit den polizeilichen Grundbegriffen vertraut machen und sie zunächst in einem enggezogenen Rahmen auf der Ebene der unteren Dienststellen anleiten und schulen.
Bewerber, die sich aufgrund der Plakatanschläge bei den örtlichen Polizeidienststellen einfanden, wurden nach kurzer Überprüfung ihrer persönlichen Verhältnisse sofort zum Dienst herangezogen. Eine Einstellungsprüfung und ärztliche Untersuchung erfolgte in den ersten Wochen und Monaten nicht. Jede Polizeidienststelle handelte selbständig, wenn nicht sogar selbstherrlich. Eine zentrale Planung in Personalangelegenheiten fehlte. Außerdem war es unmöglich, die Angaben, die die Bewerber auch hinsichtlich etwaiger Vorstrafen zu machen hatten, zu überprüfen, da die Strafregister noch verlagert und die polizeilichen Melderegister vernichtet waren. So gelang es auch unlauteren und ungeeigneten Personen, eingestellt zu werden.
Zur Überprüfung der Bewerber schalteten die unteren Polizeidienststellen vielfach die sogenannten Antifaschistischen Ausschüsse ein, die sich sofort nach dem Zusammenbruch gebildet hatten und mit der Unterstützung durch die sowjetischen Bezirkskommandanturen rechnen konnten. Die Absicht war klar: Man wollte eine möglichst große Anzahl von Personen, die sich der kommunistischen Ideologie verschrieben hatten oder ihr zumindest nahestanden, in den Polizeidienst bringen.
In einer Anordnung an die Polizeiinspektionen vom 28. Mai 1945 übermittelte der Polizeipräsident den oben zitierten Befehl des Militärkommandanten der Stadt Berlin vom 25. Mai 1945 mit der Maßgabe, ihn den Beamten der Inspektionen und der Reviere umgehend bekanntzugeben. Er sprach die Erwartung aus, daß jeder Angehörige der Polizei sich mit all seinen Kräften für die Aufgaben einsetzen werde, die der Berliner Polizeiverwaltung durch den Befehl des Militärkommandanten gestellt seien: »Die Uniformierung der Außendienstbeamten«, hieß es weiter, »hat – soweit noch nicht geschehen – sofort zu erfolgen, so daß ab 1. Juni 1945 der Straßendienst einheitlich uniformiert aufgenommen werden kann.«
Abschließend betonte der Polizeipräsident mit Nachdruck:
Der Befehl des Herrn Militärkommandanten läßt eine klare Abgrenzung zwischen den Aufgaben des Magistrats, der Gerichte und Staatsanwaltschaft und der Polizeiverwaltung erkennen. Es ist auf jeden Fall zu vermeiden, daß die Polizeiverwaltung auch Aufgaben der Stadtverwaltung wahrnimmt.
Bis dahin hatte nämlich beispielsweise die Inspektion Charlottenburg auch die Verteilung der Lebensmittelkarten für die Bevölkerung als ihre Aufgabe betrachtet.
Unter der Überschrift »Wir packen mit an, Ordnung zu schaffen« war zu lesen:
In der »Berliner Zeitung« wird heute der Befehl des Stadtkommandanten der Stadt Berlin über die Bildung einer Ordnungspolizei veröffentlicht. Die Bevölkerung der Stadt Berlin kann davon überzeugt sein, daß von seiten der Polizei alles getan werden wird, um die notwendige Hilfe zu leisten und den Werktätigen Schutz zu bieten.
Alle Gliederungen der Polizei, die Verwaltungs-, Schutz- und Kriminalpolizei, kennen ihre Aufgaben und werden bestrebt sein, sie als wirkliche Volkspolizei zu erfüllen. Alle Organe der Polizei werden zusammen mit der Roten Armee an der Schaffung der nötigen Ordnung in der Stadt tätig sein.
Schon jetzt sind die örtlichen Polizeidienststellen und Polizeireviere mit dem nötigen Schutz- und Kriminalpolizeipersonal besetzt, so daß die Bevölkerung, die Hilfe oder Rat sucht, sich an die Polizei wenden kann. Außerdem arbeitet schon die zentrale Verwaltung, die sich im Polizeipräsidium befindet. Doch soll man nicht vergessen, daß die Polizei erst vor einigen Tagen gebildet wurde und daß zur Schaffung der nötigen Exaktheit der Arbeit erst bestimmte Schwierigkeiten, die mit den allgemeinen Zerstörungen der Stadt verbunden sind, überwunden werden müssen. Ich hoffe, daß zur Überwindung dieser Schwierigkeiten der Polizeiapparat auf die Unterstützung aller Kreise der Bevölkerung der Stadt rechnen kann. Ich und meine Mitarbeiter sind unsererseits bereit, der Bevölkerung die nötige Hilfe und den nötigen Schutz vor den Übertretern der Ordnung zu leisten. Das Polizeipräsidium befindet sich jetzt in Berlin N 4, Linienstraße 83-85. Die Polizeireviere befinden sich in den alten Gebäuden, die der Bevölkerung bekannt sind. Die Adressen der neuen Polizeireviere werden in der Zeitung veröffentlicht.
Der Präsident des Polizeipräsidiums der Stadt Berlin gez. Oberst Markgraf.
Die Polizeianwärter versahen ihren Dienst zunächst gänzlich unbewaffnet und in bürgerlicher Kleidung, nur eine Armbinde machte ihre Funktion kenntlich. Obwohl aus dem Befehl über die Aufstellung der uniformierten Polizei hervorging, daß die bis 1933 übliche Uniform eingeführt werden sollte, wurden Ende Mai/Anfang Juni 1945 die vorhandenen Bestände der grünen Dienstbekleidung der Ordnungspolizei ausgegeben, die bis zum 2. Mai 1945 in Gebrauch gewesen waren. Die nationalsozialistischen Hoheitszeichen wurden natürlich vorher entfernt. Die Beschaffung des erforderlichen blauen Uniformtuches war zunächst unmöglich.
Alle Polizeiangehörigen galten als Polizeianwärter. Schulterstücke und Dienstgradabzeichen gab es nicht. Die mit leitenden Aufgaben betrauten Polizeiangehörigen hatten lediglich das Recht, an der Mütze eine Silberkordel zu tragen und Offiziersspiegel anzulegen. Die übrigen Polizeikräfte trugen Mannschaftsspiegel.
Der am 17. Mai 1945 vom sowjetischen Militärkommandanten ernannte Magistrat der Stadt Berlin war politisch einseitig zusammengesetzt. Von 18 Stadträten gehörten neun der KPD an, die anderen standen ihr nahe. Als Oberbürgermeister setzte die sowjetische Besatzungsmacht Dr. Arthur Werner ein, der vor 1933 Regierungsbaumeister gewesen war. Warum die Wahl gerade auf den bis dahin unbekannten Mann fiel, blieb bis heute ungeklärt.
Bereits im Juni 1945 gab der Magistrat eine Verlautbarung heraus, laut der das Beamtenrecht abgeschafft war und alle im öffentlichen Dienst der Stadt Berlin stehenden Kräfte arbeitsrechtlich als Angestellte behandelt wurden. Das galt auch für die Angehörigen der Polizei.