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Eine faszinierende Wissenschaftsgeschichte Der wissenschaftliche Charakter der BWL wurde in der Vergangenheit oft in Frage gestellt und die BWL teils als Profitlehre verspottet. Lars Wachter zeichnet hingegen ein facettenreiches Bild von dieser spannenden Wissenschaft: Er erläutert zentrale Begriffe und Konzepte, stellt die großen Namen der Disziplin vor und geht auf deren Bedeutung ein. Beispielhafte Fragen, die im Buch Beantwortung finden: - Warum spricht die Buchhaltung von Soll und Haben? - Gab es Marketing schon im 18. Jahrhundert? - Wer war der eigentliche Gründervater der deutschen BWL? Und warum geriet er in Vergessenheit? - Gab es eine „Nazi-BWL“? - Und: Welcher Betriebswirt prophezeite das Ende des Kapitalismus? Lesenswert für Lehrende und Studierende der Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften sowie für BWL-Interessierte.
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Seitenzahl: 661
Lars Wächter
Betriebswirtschaftliches Denken von der Antike bis zur Gegenwart
UVK Verlag · München
Lars Wächter ist Diplom-Handelslehrer und Studienrat. Er ist Autor zahlreicher wirtschaftswissenschaftlicher Aufsätze und Bücher, z. B. „Ökonomen auf einen Blick – Ein Personenhandbuch zur Geschichte der Wirtschaftswissenschaft“ (2. A., 2022) und „Groß- und Außenhandel – Einführung in die Handelsbetriebslehre mit historischen und praktischen Bezügen“ (1. A., 2023).
Umschlagabbildung: © Evgeny Gromov · iStock
Autorenbild: © privat
DOI: https://doi.org/10.36198/9783838562919
© UVK Verlag 2024— Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung
utb-Nr. 6291
ISBN 978-3-8252-6291-4 (Print)
ISBN 978-3-8463-6291-4 (ePub)
Für Lia & Massiel
Während die betriebswirtschaftliche Literatur selbst für ausgewiesene Fachleute schon seit Jahrzehnten kaum mehr zu überschauen ist, verhält es sich mit der Literatur über die Entwicklung der Disziplin völlig anders. Die Anzahl der Arbeiten zur Geschichte der BWL ist insgesamt recht übersichtlich. Dabei möchte man eigentlich meinen, dass mit zunehmendem Alter einer Wissenschaft auch das Bedürfnis steigen würde, sich über deren Entwicklungsstufen zu informieren; und dies insbesondere dann, wenn – wie dies in der BWL der Fall ist – seit über einem halben Jahrhundert eine zunehmende Spezialisierung und Zersplitterung des Faches zu konstatieren ist.
Überraschenderweise setzte der Beginn der BWL-Geschichtsschreibung schon sehr früh ein, zu einer Zeit, als die BWL als Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte: 1914 erschien die „Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre“ von Eduard Weber. Und im Jahre 1923, zum 25-jährigen Bestehen des Faches als Hochschuldisziplin, veröffentlichte der junge Betriebswirt Alfred Isaac „Die Entwicklung der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutschland seit 1898“. Zwei Jahre später erschien ein Aufsatz von Balduin Penndorf mit dem Titel „Die geschichtliche Entwicklung der Handelswissenschaften bis zum Ende des 19. Jahrhunderts“. Rudolf Seÿffert, der sich auf dem Gebiet der historischen Forschung und Lehre der BWL besonders verdient gemacht hat und schon früh Vorlesungen hierzu in Köln hielt, veröffentlichte 1924 seine Antrittsvorlesung über „Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre“ als Aufsatz in der Zeitschrift für Handelswissenschaftund Handelspraxis, der in ähnlicher Form auch in das 1926 erstmals erschienene Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre Eingang fand. Dieser Text erlebte als Separatdruck bis 1971 sechs Auflagen und bietet auf rund 70 Seiten eine kenntnisreiche und immer noch lesenswerte Einführung in die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre bis in die 1960er-Jahre. 1932 erschien „Das Methodenproblem in der Einzelwirtschaftslehre“ von Fritz Schönpflug. Wie Hans Seischab im Vorwort zu der von ihm herausgegebenen und erweiterten zweiten Auflage von 1954 bemerkt, wollte Schönpflug „keine Geschichte der gesamten betriebswirtschaftlichen Lehrmeinungen geben, sondern einen Querschnitt durch das Schrifttum zu Beginn der 30er-Jahre legen.“ 1935 veröffentlichte Josef Löffelholz seine soziologisch geprägte „Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre“, in der er, wie Wilhelm Kalveram im Geleitwort schreibt, „versucht, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Mensch, zwischen Gesellschaft und Betrieb mit Hilfe der ‚historischen Methode‘ zu erforschen.“ Immer noch lesenswert ist die „Geschichte der Betriebswirtschaftslehre“ von Bernhard Bellinger aus dem Jahr 1967, der auf rund 100 Seiten die Entwicklung der BWL von der Antike bis zu den Entwicklungstendenzen in der Mitte des 20. Jahrhunderts nachzeichnet. Bellingers Anspruch war es, die Geschichte der BWL sowohl unter problem- als auch unter ideengeschichtlichen Gesichtspunkten zu behandeln.
Um die Jahrtausendwende erschienen zum hundertjährigen Jubiläum der BWL als Fachdisziplin (Gründung der ersten Handelshochschule 1898 in Leipzig) die von Michael Lingenfelder (1999) sowie von Eduard Gaugler/Richard Köhler (2002) herausgegebenen Sammelwerke, in denen namhafte Fachvertreter die Entwicklungspfade der Allgemeinen BWL sowie insbesondere der Speziellen Betriebswirtschaftslehren nachzeichnen. In diese Zeit fällt auch die voluminöse Monographie von Dieter Schneider (2001), der im vierten Band seiner Betriebswirtschaftslehre auf über 1.000 Seiten (!) die „Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft“ äußert fundiert und kenntnisreich darstellt. Als aktuelle Monographien sind die vornehmlich wissenschaftsprogrammatisch bzw. wissenschaftstheoretisch orientierte „BWL-Story“ von Günther Schanz und die „Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte“ von Klaus Brockhoff zu nennen. Das jüngste Sammelwerk ist die zweibändige „Ideengeschichte der BWL“: Der von Wenzel Matiaske und Wolfgang Weber (2018) herausgegebene erste Band thematisiert die ABWL sowie die Spezialgebiete Organisation, Personal, Rechnungswesen und Steuern; der von Wenzel Matiaske und Dieter Sadowski (2022) besorgte zweite Band widmet sich den Bereichen Produktion, Operations Research, Innovation, Marketing, Finanzierung, Nachhaltigkeit, ÖBWL und internationales Management.
Diese Spezialisierung spiegelt auch die reale Entwicklung des Faches wider. Zwar wirkt sich die Spezialisierung – im Sinne einer wissenschaftlichen Arbeitsteilung – zumeist förderlich auf den wissenschaftlichen Fortschritt aus und wird als wünschenswert erachtet; allerdings sollte sie nicht zu einer Verengung der Perspektive, zur Verselbständigung der Teilbereiche oder zum Verlust einer ganzheitlichen Perspektive führen. Gerade die Wissenschaftsgeschichte kann hier nützliche Dienste leisten und als „Klammer“ der Allgemeinen BWL wirken.
Sowohl für Studenten der BWL als auch für alle an der Wissenschaftsgeschichte der BWL Interessierten scheint mir – zumindest für den Einstieg in das Thema – eine kompakte, überschaubare Darstellung geeignet, die gleichermaßen sowohl die herausragenden Persönlichkeiten des Faches vorstellt als auch deren Schriften, Ideen, Theorien und Wissenschaftsprogramme darstellt und historisch einordnet. Damit ist im Wesentlichen auch schon der Zweck umrissen, den das vorliegende Buch verfolgt: Es soll eine grundlegende, aber auch facettenreiche Einführung bieten in die faszinierende Ideengeschichte der Betriebswirtschaftslehre.
Danken möchte ich Wolf-Dieter Ludwig, der das Manuskript Korrektur gelesen hat. Herr Prof. Dr. Norbert Koubek gab nicht nur nützliche Hinweise zum zehnten Kapitel, insbesondere zum Konzept der AOEWL, sondern war auch so freundlich, mir ein Foto zur Verfügung zu stellen, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Bei meiner Bildrecherche wurde ich weiterhin unterstützt von: Birgit Abeler (Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V.), Dr. Sandra Eichfelder (Universitätsarchiv der Universität Mannheim), Frau Prof. Dr. Andrea Gröppel-Klein (Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes), Corinna Groß (NWB Verlag), Dr. Wolfgang Müller (Universitätsarchiv der Universität des Saarlandes), Dr. Katharina Schaal (Hessisches Staatsarchiv Marburg), Dr. Bianca Volk (Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V.) und dem Stadtarchiv Nürnberg. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Herrn Rainer Berger vom UVK Verlag danke ich für die stets professionelle und sehr angenehme Zusammenarbeit.
Kassel, im Sommer 2024
Lars Wächter
Abb. | Abbildung
ABWL| Allgemeine BWL
AOEWL| Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre
Aufl. | Auflage
Bd./Bde. | Band/Bände
BLBS | Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen
BRD | Bundesrepublik Deutschland
BvLB | Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung
BWL | Betriebswirtschaftslehre
DBW | Die Betriebswirtschaft
DDP | Deutsche Demokratische Partei
DDR | Deutsche Demokratische Republik
DGB | Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft oder Deutscher Gewerkschaftsbund
D.H.H.L | Diplom der Handels-Hochschule Leipzig (bis 1920er-Jahre)
Dipl.-Hdl. | Diplom-Handelslehrer
Dipl.-Kfm. | Diplom-Kaufmann
DM | Deutsche Mark
Dr. | Doktor
jur. | juris (Rechtswissenschaft)
oec. | oeconomiae (Wirtschaftswissenschaft)
phil. | philosophiae (geisteswissenschaftliche Disziplinen)
rer. pol. | rerum politicarum (Politik-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaft)
ebd. | ebenda
et al. | et alii (und andere)
f./ff. | folgende/folgenden (Seiten)
FDJ | Freie Deutsche Jugend
FfH | Forschungsstelle für den Handel
HdStW | Handwörterbuch der Staatswissenschaften
HdSW | Handwörterbuch der Sozialwissenschaften
HdWW | Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft
HfÖ | Hochschule für Ökonomie
HH | Handelshochschule
hrsg. v. | herausgegeben von
Hrsg. | Herausgeber
Jb. | Jahrbuch
JBE | Journal of business economics (zuvor ZfB)
Jh. | Jahrhundert
Kap. | Kapitel
KZ | Konzentrationslager
LDPD | Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
MEW | Marx-Engels-Werke
NIÖ | Neue Institutionenökonomik
NS | Nationalsozialismus, nationalsozialistisch
NSD | Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund
NSDStB | Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund
NSDAP | Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
RM | Reichsmark
S. | Seite
SBWL | Spezielle Betriebswirtschaftslehre/n
SBZ | Sowjetische Besatzungszone
SED | Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Sp. | Spalte
SPD | Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Tab. | Tabelle
TH | Technische Hochschule
UdSSR | Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion)
vgl. | vergleiche
VDDK | Verband deutscher Diplom-Kaufleute e. V.
VEB | Volkseigener Betrieb
VHB | Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V.
VLW | Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen
VWL | Volkswirtschaftslehre
WiSt | Wirtschaftswissenschaftliches Studium
WSI | Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut
WU | Wirtschaftsuniversität
ZfB | Zeitschrift für Betriebswirtschaft
ZfbF | Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
ZfhF | Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung
ZfHH | Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis (später DBW)
zit. n. | zitiert nach
„Die Geschichte einer Kunst oder Wissenschaft trägt sehr viel zur richtigen Beurtheilung und Verbesserung derselben bey. Sie legt uns den Zeitpunct vor Augen, da dieselbe gestiegen oder gefallen ist, und entdecket uns dadurch die Ursachen und Mittel, die zu ihrem Wachsthum oder Verfall etwas beygetragen haben, oder noch beytragen können.“1
J. C. May, 1762
„Unsere Wissenschaft, einstmals kaum eines mitleidigen Blickes gewürdigt, gehört längst zu den Kulturgütern der Nation.“2
A. Isaac, 1923
„Auf dem Gebiet der historischen Forschung in unserer betriebswirtschaftlichen Disziplin zeigt sich ganz allgemein eine gewisse Scheu oder Uninteressiertheit.“3
O. R. Schnutenhaus, 1967
Die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre ist eine WissenschaftsgeschichteWissenschaftsgeschichte. Es ist noch gar nicht lange her, dass der Wissenschaftscharakter der Betriebswirtschaftslehre in Frage gestellt und sie als eine bloße „Profitlehre“ verspottet wurde. Bevor wir uns anschauen, wie sich die Betriebswirtschaftslehre entwickelt hat, werden in dieser Einleitung vorab wichtige Begriffe wie Betrieb, Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre erklärt. Anschließend wird nach dem Nutzen gefragt, den die Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte bzw. mit der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre bringt, bevor abschließend auf die Problematik der Periodisierung eingegangen wird und die Epochen benannt und voneinander abgegrenzt werden, an denen sich der Aufbau des vorliegenden Buches orientiert.
Da sich die BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre erst ab dem 20. Jahrhundert zu einer Hochschuldisziplin entwickelt hat, wurde sie innerhalb der WirtschaftswissenschaftWirtschaftswissenschaft im Vergleich zur (vermeintlich) „altehrwürdigen“ Volkswirtschaftslehre nicht nur als eine junge, sondern auch als eine unreife Disziplin betrachtet. Zuweilen haben Volkswirtschaftler der Betriebswirtschaftslehre überhaupt den Rang einer Wissenschaft abgesprochen: So bezeichnete der Nationalökonom Lujo BrentanoBrentano, Lujo (1844–1931) die Privatwirtschaftslehre, wie die Betriebswirtschaftslehre damals auch genannt wurde, polemisch als „ProfitlehreProfitlehre“. Und auch dessen Fachkollege Karl DiehlDiehl, Karl (1864–1943) konnte seinen wissenschaftlichen Hochmut nicht verbergen, wenn er in seinem Beitrag über „Nationalökonomie und Handelsbetriebslehre“1 dem privatwirtschaftlichen Fach keinen Wissenschaftscharakter zuspricht.2
Wie SchneiderSchneider, Dieter klarstellt, sind jedoch „wissenschaftliche Einsichten, die heute zur Betriebswirtschaftslehre zählen, älter als solche zur Volkswirtschaftslehre, weil es in Landgütern, Handelsgesellschaften oder bei der Verwaltung von Heeresbeständen und deren Rechnungslegung seit Jahrtausenden Probleme zu lösen galt, während eine Volkswirtschaft als Wirtschaftssystem […] sich erst ab dem 17./18. Jahrhundert herausgebildet hat.“3 Gestützt wird diese Auffassung von LöffelholzLöffelholz, Josef: „Betrieb und Betriebswirtschaft […] bestehen vom Urbeginn der Menschheit an. So lange der Mensch als denkendes Wesen existiert, hat er innerhalb eines Betriebes gewirtschaftet.“4 Wenn dies zunächst überzogen klingen mag, liegt das wohl daran, dass mit dem Begriff „BetriebBetrieb“ zumeist die neuzeitliche Erscheinungsform einer gewinnorientierten, kapitalistischen Unternehmung in Verbindung gebracht wird. Verständlich werden diese Hinweise auf „jahrtausende alte Probleme“ – die sogar bis zum „Urbeginn der Menschheit“ reichten – erst dann, wenn man sich das Erfahrungsobjekt (Betrieb) und Erkenntnisobjekt (Wirtschaften) der Betriebswirtschaftslehre vergegenwärtigt.
In seiner Betrachtung gelangt SeÿffertSeÿffert, Rudolf – der sich übrigens als einer der ersten Betriebswirte auch der Geschichte seines Faches widmete – zu der Erkenntnis, dass es außerhalb der Betriebe gar kein Wirtschaften gibt. Was er unter BetriebBetrieb, Betriebswirtschaft und der Lehre davon versteht, erläutert er so:
„Der BetriebBetrieb im allgemeinsten Sinne ist ein soziales Gebilde, das mit menschlichem Zweckhandeln erfüllt ist. Er tritt überall auf, wo menschliche körperliche und geistige Bedürfnisse zur Befriedigung drängen und die Mittel und Wege dazu gesucht werden. Der Betrieb kann schon durch einen einzelnen Menschen in seinem organisierten Bemühen um die Zweckverwirklichung gebildet werden. […]
Mit BetriebswirtschaftBetriebswirtschaft wird sowohl der einzelne wirtschaftliche Betrieb (die Einzelwirtschaft) wie das Wirtschaftsleben der Betriebe als Gesamterscheinung bezeichnet […]. Die wirtschaftlichen Betriebe oder Betriebswirtschaften sind in sich geschlossene, mit wirtschaftlichen Prozessen erfüllte Sozialgebilde im Dienste der menschlichen Bedarfsdeckung. Sie sind Organisationseinheiten der Wirtschaft. […] Unmittelbare Bedürfnisdeckung erfolgt in den Haushaltungen, die insofern auch als wirtschaftliche Betriebe anzusehen sind. Mittelbar wird der Bedarf durch arbeitsteiliges Wirtschaften gedeckt, das zumeist auf den Erwerb von Kaufkraft ausgerichtet ist, die dann der Bedarfsdeckung in der Haushaltung dient. Alle wirtschaftlichen Betriebe stellen in sich geschlossene Organisationseinheiten dar, die durch Wirtschaften die Bedürfniswerte für die Bedürfnisbefriedigung bereitstellen. […] Alles Wirtschaften dient dem Bereitstellen der Befriedigungswerte für die Bedürfnisbefriedigung. Von hier aus erhalten die Vorgänge in der Wirtschaft ihren Sinn und ihre Berechtigung. […] Jede andere Zwecksetzung widerspricht dem wahren Wesen wirtschaftlicher Betätigung. […]
Die BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre befaßt sich mit der Erforschung der wirtschaftlichen Erscheinungen an der Stelle ihrer Entstehung in den wirtschaftlichen Betrieben. Die betriebswirtschaftliche Forschung geht immer vom einzelnen Betriebe aus. Ihr Aufgabenkreis umfaßt das Erforschen und Beschreiben, Analysieren und Systematisieren der inneren und der äußeren Beschaffenheit der Betriebswirtschaften, der Betriebsvorgänge, der Beziehungen der Betriebswirtschaften untereinander und ihrer Stellung im gesellschaftlichen Leben, eingeschlossen jegliche Art von Zusammenschlüssen von Betriebswirtschaften.“1
Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden vielfältige Organisationsformen und Sozialgebilde zur Bedarfsdeckung verwirklicht. Zu unterschiedlichen Zeiten sind sie in ganz unterschiedlichen Formen in Erscheinung getreten. So unterscheidet sich z. B. die zentral geplante und gesteuerte TempelwirtschaftTempelwirtschaft im altertümlichen Orient von der Oikos-WirtschaftOikos im antiken Griechenland, welche die zwei unterschiedlichen sozialen Einheiten Familie und Betrieb miteinander verbindet.2 Die römische Sklavenwirtschaft, die mittelalterliche Lehnswirtschaft und das Zunftsystem funktionierten wiederum völlig anders als der frühe Handelskapitalismus zur Zeit der RenaissanceRenaissance. Dies führt uns zu der grundsätzlichen Frage, ob damals gewonnene Einsichten und Erkenntnisse heutzutage überhaupt noch von Nutzen sein können: Kann man also aus der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre etwas lernen? Oder ist die Wissenschaftsgeschichte für den Betriebswirtschaftler nutzlos?
In einem 1984 erschienenen Aufsatz stellte Dieter SchneiderSchneider, Dieter (1935–2014) die weit verbreitete Auffassung unter Betriebswirtschaftlern in Frage, wonach die eigene WissenschaftsgeschichteWissenschaftsgeschichte nutzlos sei.1 Hierfür prägte er den Begriff vom „Denkstil der geschichtslosen Managementwissenschaft“ und untermauerte ihn anhand einiger recht plausibler Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte: So setzten sich seit den 1960er-Jahren Zustands- und Entscheidungsbäume in der Planungstheorie durch, die durch Übersetzung der angelsächsischen Literatur auch Einzug in die deutschen BWL-Lehrbücher fanden. Doch diese Konzepte seien eben nicht neu, wie SchneiderSchneider, Dieter betont. Um eine logische Entscheidung bei alternativen Zukunftslagen zu erläutern, habe der Philosoph ChrysipposChrysippos im 3. Jahrhundert v. Chr. das Beispiel eines Hundes gewählt, der beim Jagen der Beute an eine Stelle kommt, wo der Weg sich dreiteilt. Der Hund versucht die Fährte auf zwei Wegen zu erschnüffeln – und folgt dann ohne Zögern und erneutes Schnüffeln dem dritten Weg. Denn wenn von einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten alle bis auf eine ausgeschlossen werden können, dann muss die verbleibende die richtige sein. „Wenn schon in der Antike Hunde ihre Entscheidungen an Zustandsbäumen ausrichteten, dann stellt sich“, wie SchneiderSchneider, Dieter süffisant anmerkt, „doch die Frage: Warum wurde dieses einfache Planungskonzept in der Betriebswirtschaftslehre bis nach 1960 nicht gelehrt und mußte erst aus dem angelsächsischen ManagementschrifttumManagement übersetzt werden?“2 Gleiches gilt auch für die weiteren von SchneiderSchneider, Dieter genannten Beispiele aus der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre: die Berechnung von Ertragswerten bzw. Kapitalwerten mittels Zinseszinsen durch Gottfried Wilhelm LeibnitzLeibnitz, Gottfried Wilhelm 1682 und darauf aufbauend durch Friedrich LöhmannLöhmann, Friedrich 1829, die Ausführungen Johann Heinrich von Thünensvon Thünen, Johann Heinrich über Planungsrechnungen zur Sensitivitätsanalyse, die Plankostenrechnung mit Ursachenanalyse von FredersdorffFredersdorff, Leopold Friedrich aus dem Jahr 1802 und die erste Berechnung der kostendeckenden Ausbringung, die Carl Freiherr von OeynhausenCarl von Oeynhausen im Jahre 1822 aufstellte – 80 Jahre vor der Break-even-Analyse des Amerikaners Henry HessHess, Henry, auf den auch die Bezeichnung Break-even-PointBreak-even-Point zurückgehe; und 90 Jahre vor der Berechnung der kostendeckenden Ausbringung durch Johann Friedrich SchärSchär, Johann Friedrich, der hierfür den Namen Toter Punkt fand. So gelangt SchneiderSchneider, Dieter zu dem Befund, dass bei etwas mehr wissenschaftlichem Interesse so manche der heutigen betriebswirtschaftlichen Grundlagen Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte früher hätten gelehrt und negative unternehmens- und gesellschaftspolitische Folgen verhindert werden können.3
Als „eine Ursache des fragwürdigen Geschichtsbewusstseins in der BWL“ nennt SchneiderSchneider, Dieter das „Fehlverständnis von wissenschaftlichem Arbeiten“ von Eugen SchmalenbachSchmalenbach, Eugen, einem der Gründerväter der modernen Betriebswirtschaftslehre und einflussreichsten Hochschullehrer seiner Zeit. Dieser sprach sich gegen eine auf Erklärung ausgerichtete Theorie aus und stattdessen für eine Lehre, die auf unmittelbar praktische Anwendbarkeit gerichtet ist, also für eine BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre im Sinne einer auf Vermarktung gerichteten ManagementwissenschaftManagement. SchneiderSchneider, Dieter kritisiert daran, dass überzeugende, durch Argumente abgewogene Handlungsempfehlungen ohne erklärende Theorien nicht möglich seien. Zuerst seien empirische Gesetzmäßigkeiten zu erarbeiten, ehe Handlungsempfehlungen für die Praxis gegeben werden können: „Wer eine Wissenschaft anwenden will, muß erst einmal eine Wissenschaft haben.“4
Schon relativ früh, Mitte der 1920er-Jahre, bemängelt SeÿffertSeÿffert, Rudolf, dass die „historische Methode als der Erforschung von Betriebsverhältnissen, die der Vergangenheit angehören“ in der betriebswirtschaftlichen Forschung vernachlässigt wird und stellt hierzu kritisch fest:
„Die historische Methode kann für die BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre sehr ergiebig sein. Viele technische Besonderheiten, z. B. das Rechnungswesen, der Welthandelsorganisation, des Verkehrswesens können nur historisch erklärt und verstanden werden. Weiter bieten die Geschichte der Firmen, der Kolonialgesellschaften, des Geldwesens usw. eine Fülle von auch für die Jetztzeit ausnutzenswerten Stoffes, der betriebswirtschaftlich noch nicht durchgearbeitet worden ist. Von der Anwendung der historischen Methode ist noch viel für die Betriebswirtschaftslehre zu erwarten.“1
Dennoch scheint es auch ein Jahrhundert später immer noch nötig zu sein, eine Rechtfertigung der historischen Methode zu liefern bzw. den Nutzen der Geschichte für die betriebswirtschaftliche Forschung zu begründen. „Was lehrt eine Beschäftigung mit der Geschichte wirtschaftlichen Denkens?“2 Diese Frage wirft SchneiderSchneider, Dieter am Beginn des vierten Bandes seiner Betriebswirtschaftslehre auf, in dem er sich auf über 1.000 Seiten der „Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft“ widmet. Nach seiner Auffassung erleichtere sie das Erlernen, das Beurteilen und die spätere berufliche Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Theorien in fünffacher Hinsicht:3
Verständnis einzelner TheorienTheorie, Verständnis:
Die Theoriegeschichte helfe beim Verständnis des Problems und der vorgeschlagenen Lösung sowie beim Erkennen der Voraussetzungen der Theorie.
Anwendungsvoraussetzungen von TheorienTheorie, Anwendungsvoraussetzung
Kenntnisse um die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens können voreilige Schlüsse und Irrtümer verhindern.
Verständnis für den TheoriezusammenhangTheorie, Zusammenhang
Wissenschaftsgeschichte bilde einen inneren Zusammenhang der einzelnen wirtschaftswissenschaftlichen Teilgebiete und biete die Möglichkeit, eine Fülle an Einzelwissen miteinander zu verknüpfen. Zudem lasse sich aus den Erfahrungen des bisherigen Vorgehens in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung die Fruchtbarkeit verschiedener Forschungsmethoden überprüfen.
Entwicklung verbesserter TheorienTheorie
Häufig offenbare erst das Lesen der Originaltexte bzw. Primärliteratur zu einer heutigen Theorie, was diese beantworten wollte, was sie gelöst hat oder nicht gelöst hat. So könne der Blick auf Kritikpunkte erweitert werden und es werden Lösungsalternativen erkennbar.
Standortbestimmung der Wissenschaft
Mangelndes Wissen über die Geschichte einer Wissenschaft begünstige eine Fehleinordnung neuer Problemstellungen und verführe zu einer Über- oder Unterschätzung von Methodenproblemen, wodurch es zu Fehlurteilen hinsichtlich der Aussagefähigkeit von Theorien kommen kann.
Eine letzte Frage, die hier in der Einleitung angesprochen werden soll, betrifft die Periodisierung. Wann lässt man eine Geschichte der Betriebswirtschaftslehre beginnen? Und in welche Epochen lassen sich die Entwicklungsstufen (sinnvoll) einteilen?
„Bekanntlich ist die Einteilung in verschiedene Perioden ein notwendiges Übel“, stellte schon SchumpeterSchumpeter, Joseph in seiner „History of Economic Analysis“ (dt. „Geschichte der ökonomischen Analyse“) fest, denn „geschichtliche Entwicklungen sind immer kontinuierlich, und man kann sie niemals in Abschnitte zerlegen, ohne Willkür und Verlust mit in Kauf zu nehmen.“2 Dies betrifft nicht nur die Einteilung in einzelne Epochen innerhalb der Geschichtserzählung, sondern auch deren Beginn und Ende. Zwar lässt GutenbergGutenberg, Erich in seiner „Einführung in die Betriebswirtschaftslehre“ – sie gilt als Klassiker unter den betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern – seinen kurzen historischen Rückblick im 15. Jahrhundert mit Luca PacioliPacioli, Luca beginnen; er weist aber auch darauf hin, dass „sich bereits bei den Ägyptern und den Babyloniern, selbstverständlich auch bei den Griechen und Römern, Schriften nachweisen lassen, die betriebstechnische und betriebswirtschaftliche Erörterungen enthalten.“3
Ähnlich äußert sich Seÿffert, wenn er berechtigte Fragen zur Datierung der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre aufwirft – und zugleich eine Antwort auf diese findet:
„Von wann ist die Geschichte der BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre zu datieren? Erst von dem Zeitpunkt an, von dem von einer wissenschaftlichen Lehre gesprochen werden kann? Oder hat die Forschung sich auch zu erstrecken auf die Vorläufer der eigentlichen Lehre, auch wenn weder Wille noch Vermögen zur Ausbildung einer wissenschaftlichen Disziplin festzustellen ist? Mir scheint kein Zweifel darüber, daß auch diese ersten Keime, aus denen sich später eine Lehre entwickeln konnte, mit einzubeziehen sind; ohne Rücksicht darauf, welchen Motiven sie ihre Entstehung zu verdanken haben.“4
Seine weiteren Ausführungen lassen erkennen, dass eine Datierung demgemäß „in der frühesten Zeit der Geschichte“ ihren Anfang nehmen kann, da sich beweisen lässt, dass schon damals eine geordnete Rechnungsführung existierte und „das Buchhaltern, das Wirtschaftsrechnen und später auch das Verfassen kaufmännischer Schriftstücke verbreitete, erlernbare Techniken waren.“5
Diesem Verständnis folgt auch BellingerBellinger, Bernhard, der seine „Geschichte der BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre“ mit der „Alten Geschichte“ beginnen lässt, die einen Zeitraum von ca. 3000 v. Chr. bis ca. 1600 n. Chr. umfasst. Denn in dieser Spanne sei es gelungen, „einzelne soziale Beziehungen im betriebswirtschaftlichen Bereich durch die Buchhaltung zu erfassen und zu quantifizieren, bestimmte Verfahrenstechniken zu entwickeln, zu generell gültigen Prinzipien erfolgreichen Wirtschaftens vorzustoßen, die theoretischen Grundlagen gesicherter Erkenntnisse zu entdecken, das kaufmännische Rechnen mit indischen Zahlzeichen zu entwickeln, Grundsätze der Geschäftspolitik aufzustellen und für Forschungszwecke rationale und kausale Betrachtungsweisen einzuführen.“6
BrockhoffBrockhoff, Klaus lässt seine Ideengeschichte der BWL im Altertum mit der physischen Dokumentation von Geschäftsfällen durch Tontafeln und Keilschrift im Zweistromland beginnen. Als Ende der Periodisierung wählt er die 1970er-Jahre, um so „Herkommen und Einordnung gegenwärtiger Wissensstände etwas besser beurteilen zu können.“7
In der Geschichtsschreibung der BetriebswirtschaftslehreBetriebswirtschaftslehre hat sich im Wesentlichen die Periodisierung von SeÿffertSeÿffert, Rudolf durchgesetzt, die aus folgenden Entwicklungsstufen besteht:
Die Frühzeit der verkehrs- und rechnungstechnischen Anleitungen (bis 1675).
Die Zeit der systematischen Handlungswissenschaft (1675–1804).
Die Niedergangszeit der Handlungswissenschaft (19. Jahrhundert).
Die Aufbauzeit der beschreibenden Handelstechnik (1898–1910).
Die Zeit des Ausbaus zur Betriebswirtschaftslehre und deren Instituierung als Hochschuldisziplin (ab 1910/12–1954).
Die Expansion der Betriebswirtschaftslehre in der Nachkriegszeit durch Rezeptionsprozesse, zunehmende Ausrichtung auf die Betriebswirtschaftspolitik und Ausfächerungstendenzen (ab 50er-Jahre).8
Diese Einteilung SeÿffertsSeÿffert, Rudolf soll im Wesentlichen (leicht modifiziert) auch der hier vorliegenden Darstellung zugrunde gelegt werden. Abweichungen von SeÿffertsSeÿffert, Rudolf Periodisierung erfolgen ab der neueren Geschichte: Die Zeit des Ausbaus (1910/12–1954) wird hier differenzierter dargestellt (Systematisierung und Konsolidierung). Die Zeit des NationalsozialismusNationalsozialismus (1933–1945) stellt hier eine eigene Epoche dar. Die Entwicklung der BWL im Nachkriegsdeutschland erfordert aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme eine entsprechende separate Darstellung der Fachdisziplin in der SBZ/DDRDDR und in den Westsektoren bzw. der BRD. Dieses Kapitel endet mit der Gutenberg-Ära Ende der 1960er-Jahre. Das Kapitel zur neueren Entwicklung lassen wir 1969 beginnen und befassen uns darin mit verschiedenen Ansätzen, die im Wesentlichen eine Folge der sozialwissenschaftlichen Öffnung des Fachs sind und deren Bedeutung teilweise bis in die jetzige Zeit hineinreicht. Den Abschluss bildet die Problematik, die sich aus dem Spannungsverhältnis von Allgemeiner und Spezieller Betriebswirtschaftslehre ergibt.
Allgemein versteht man unter einem BetriebBetrieb ein soziales Gebilde, eine in sich geschlossene Organisationseinheit, in der Menschen zweckmäßig handeln. Insofern stellen auch Haushaltungen natürliche, ursprüngliche Betriebe dar.
BetriebswirtschaftBetriebswirtschaft bezeichnet sowohl den Einzelbetrieb als auch die Betriebe in ihrer Gesamtheit. Betriebswirtschaften sind in sich geschlossene Organisationseinheiten der Wirtschaft, die dem Zweck der menschlichen Bedarfsdeckung dienen.
Zu den Aufgaben der Betriebswirtschaftslehre (BWL)Betriebswirtschaftslehre gehören das
Erforschen,
Beschreiben,
Analysieren und das
Systematisieren
der wirtschaftlichen Vorgänge in den Betrieben/Betriebswirtschaften.
Kenntnisse über die historische Entwicklung der BWL (WissenschaftsgeschichteWissenschaftsgeschichte)
erleichtern das Verständnis von Problemen und Theorien,
helfen Fehlurteile zu vermeiden und
ermöglichen methodische Probleme besser einzuschätzen.
Eine PeriodisierungPeriodisierung der Geschichte der BWL kann durch Einteilung in folgende Entwicklungsstufen erfolgen:
bis 1675: Frühzeit (Handelskunde/Anleitungen und „Rezepte“),
1675–1804: Systematische Handlungswissenschaft
19. Jahrhundert: Niedergang/Verfall der Handlungswissenschaft,
ab 1898: Aufbau der BWL zur wissenschaftlichen Disziplin (Gründung der ersten Handelshochschulen),
1910–1933: Ausbau der BWL (erste systematische Abhandlungen, zunehmende Professionalisierung, Gründung von Zeitschriften, Verbänden und Instituten, Promotionsrecht),
1933–1945: ideologisierte, unwissenschaftliche BWL in der NS-Zeit,
1945–ca. 1969: Wiederaufbau der BWL, Expansion, Übernahme amerikanischer Ansätze (z. B. Marketing),
ab ca. 1969: Öffnung der BWL, sozialwissenschaftliche und alternative Ansätze, zunehmende Spezialisierung und Internationalisierung.
In einem äußerst weitgefassten Verständnis lassen sich die Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens bereits für altorientalische TempelwirtschaftenTempelwirtschaft im AltertumAltertum festmachen, in denen – wie archäologische Funde zeigen – schon das Bedürfnis bestand, Vermögen, Schulden und Lagerbestände zu dokumentieren, um die Erzeugung und Herstellung von Gütern sowie deren Lagerung und Distribution zu koordinieren.
In der AntikeAntike beruhte die Wirtschaft auf der Sklaverei, und der für diese Epoche und dieses Wirtschaftssystem charakteristische Betriebstyp war der OikosOikos, d. h. die geschlossene Hauswirtschaft, die auch handwerkliche und landwirtschaftliche Betriebe umfasste. Sowohl griechische Philosophen als auch römische SchriftstellerRom priesen den OikosOikos als die Betriebswirtschaft, die der menschlichen Gesellschaft entspricht. In GriechenlandGriechenland waren dies z. B. AristotelesAristoteles und XenophonXenophon, in Rom vor allem Marcus Porcius CatoCato, Marcus Porcius. Als durch systematische Raubzüge im Mittelmeer die Sklavenreservoire erschöpft waren, brach auch dieses antike Wirtschaftssystem zusammen: „Die Römer schlachteten selbst die Henne, die ihnen die goldenen Eier gelegt hatte.“1
Im Mittelalter nahmen arabische Kaufleute eine herausragende Stellung ein. Aus der Blütezeit des arabischen Handels stammt eine der ältesten Schriften über den Handel. Später entwickelten sich italienische Städte zu Zentren des Handelskapitalismus. Hier nahm die doppelte Buchführung ihren Anfang und fand schließlich durch Luca PacioliPacioli, Luca ihre Verbreitung. Christliche Gelehrte wie Thomas von Aquinvon Aquin, Thomas und Martin LutherLuther, Martin setzten sich mit Fragen auseinander, welche die Vereinbarkeit des Handels mit der christlichen Lehre betrafen. Der Handel galt aus christlicher Sicht als problematisch, da die Kaufleute nicht – wie in der Landwirtschaft und dem Handwerk – ihren Unterhalt im Schweiße des Angesichts verdienten, sondern dadurch, dass sie Güter unverändert weiterverkauften. So trieb die Kaufleute die Sorge um, ob und wie es möglich sei, im Einklang mit der christlichen Lehre Handel zu treiben, ohne das eigene Seelenheil zu gefährden. Daher entwickelten Thomas von Aquinvon Aquin, Thomas und Martin LutherLuther, Martin wirtschaftsethische Grundsätzewirtschaftsethische Grundsätze und gaben praktische Ratschläge, die es den Kaufleuten ermöglichen sollten, sich mit den Fragen und Problemen, die der aufkommende FrühkapitalismusFrühkapitalismus mit sich brachte, zurechtzufinden. Auch die meisten kaufmännischen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts werden noch dominiert von moralischen und religiösen Anweisungen. Praktische Kenntnisse über den HandelHandel wurden bis dahin von den Handelsherren als Geschäftsgeheimnis gehütet, in Notizbüchern festgehalten und nur an den eigenen Nachwuchs oder Geschäftspartner weitergegeben. Zu den ersten Schriften, in denen Handelskenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, gehören die Bücher des Nürnberger Kaufmanns Lorenz MederMeder, Lorenz und des Genuesen Giovanni Domenico PeriPeri, Giovanni Domenico. Sie enthalten eine bunte Zusammenstellung praktischer Kenntnisse, die ein Kaufmann damals wissen musste. Ihr Mangel besteht in der unsystematischen Ordnung und einer lückenhaften Darstellung; und theoretische Zusammenhänge sucht man dort vergebens. WeberWeber, Eduard versteht diese Schriften daher auch als „Winke aus der Praxis für die Praxis“, während sie für SombartSombart, Werner ein „ziemlich konfuses, schlecht disponiertes Sammelsurium aller möglichen Lehren“2 sind. Die im Folgenden dargestellten Anfänge betriebswirtschaftlichen Denkens umfassen einen Zeitraum, der von den ersten Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken im Altertum bis hin zum ersten Versuch einer systematischen Lehre vom Handel in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts reicht.
Bereits für das AltertumAltertum lassen sich durch archäologische Funde und andere Quellen kaufmännische Aufzeichnungen nachweisen. Sie stammen vornehmlich aus dem Bereich des sogenannten Fruchtbaren HalbmondesFruchtbarer Halbmond (Gebiet), einem Gebiet, das sich vom Persischen Golf im Süden des heutigen Irak über den Norden von Syrien, den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien erstreckt (→ Abb. 2.1).
Mesopotamien innerhalb heutiger Staatsgrenzen. | [1]
Im 4. Jahrtausend vollzogen sich dort tiefgreifende soziale und kulturelle Veränderungen. In dieser Periode, die auch Uruk-Zeit genannt wird, kam es zu einem starken Bevölkerungswachstum und zur Entstehung echter Städte. Der marxistische Archäologe VereGordon ChildeChilde, Vere Gordon (1892–1957) führte hierfür den Begriff der urbanenRevolution, urbane Revolutionurbane Revolution1 ein. Zahlreiche dörfliche Siedlungen wurden von den Bewohnern aufgegeben, um sich in der Stadt Uruk oder ihrer näheren Umgebung anzusiedeln. Dies hatte Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Dörfliche Strukturen, die bis dahin das Wirtschaftsleben prägten, und in denen territoriale und verwandtschaftliche Beziehungen weitgehend identisch waren, mussten durch neue OrganisationsformenOrganisationsformen ersetzt werden. So mussten vor allem neue Prinzipien der Arbeitsteilung und der Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen entwickelt werden. Dies konnte nur erreicht werden „durch eine eingreifende zentrale Planwirtschaft und eine Zwangsfestlegung der erreichten Arbeitsteilung“2. Dadurch, dass die kleinen Stadtstaaten Mesopotamiens die Produktionsleistung in Landwirtschaft, Bergbau und Handwerk vorschrieben, die Distribution der Versorgungsgüter organisierten und auch das Volkseinkommen umverteilten, ergab sich die Notwendigkeit, Vermögen, Schulden und Warenbestände zu dokumentierenDokumentation. Dies geschah zunächst durch Einkerben und Ritzen in Tonscherben; später wurden Symbole entwickelt, die Auskunft über Warenart und Menge gaben (→ Abb. 2.2), und schließlich entwickelten sich die Schrift und ZahlenZahlen. Durch diese konnten seit etwa 3000 v. Chr. Geschäftsvorfälle erstmals abstrakt dokumentiert und rechenbar gemacht werden.3
Sumerische Bilderschrift. | [2]
Die ältesten BuchhaltungsaufzeichnungenBuchhaltung, älteste stammen aus der Tempelwirtschaft des Tempels Dublal-mach in Ur, die aus einem fortlaufend geführten Inventar und einer monatlichen Gewinn- und Verlustrechnung bestand und die auf einem Kontenplan basierte, der sogar Kostenstellen für die tempeleigenen Spinnereien und Webereien enthielt.4 Um 3000 v. Chr. wurden auch schon Plankalkulationen, Soll-Ist-Vergleiche, Abrechnungen von Arbeitsleistungen und Aggregationen von Mengengrößen aufgestellt.
Weitere keilschriftliche Aufzeichnungen sind GesetzeGesetze, wie z. B. jene des Urnamus von Ur („Codex Ur-NammuCodex Ur-Nammu“) von ca. 2100 v. Chr. und des Königs HammurapiHammurapi (König), einem der bedeutendsten Herrscher des alten Orients, der von 1792–1750 v. Chr. in BabylonBabylon regierte. Dieser „Codex HammurapiCodex Hammurapi“ ist die umfangreichste Sammlung von Rechtsnormen aus dem Alten Orient und der antiken Welt – lange vor dem römischen Recht, das erst im 6. Jahrhundert nach Chr. kodifiziert wurde. Im „Codex HammurapiCodex Hammurapi“, der aus 282 kasuistisch formulierten (Wenn-dann-Schema) Rechtssätzen (Paragraphen) besteht, werden auch Bereiche des Wirtschaftslebens geregelt, wie z. B. Kauf, Miete, Pacht, Darlehen sowie Höchstsätze für Preise, Löhne und Zinsen.5
Auch in der altindischen Maurya-Dynastie im 4.–3. Jahrhundert v. Chr. wurden ähnliche Buchhaltungs-Buchhaltung, Techniken und Verfahrenstechniken sowie wirtschaftlich relevante Rechtsvorschriften entwickelt, welche die Grundlage bildeten für die Tätigkeiten der königlichen Beamten und ihnen auch ermöglichten, Kontrolle auszuüben und Strafen zu verhängen. BrockhoffBrockhoff, Klaus hebt hervor, dass „Redlichkeit eine mehrfach geforderte Tugend ist, der vielfach Nachdruck verliehen wird“. Werden z. B. Waren aus dem königlichen Eigentum verkauft, so soll auch die Bevölkerung davon profitieren.6
Zu einer interessanten wirtschaftshistorischen und sozialanthropologischen Einordnung dieser altertümlichen Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken gelangt Karl PolanyiPolanyi, Karl (1886–1964). Er vertritt in seinem Werk „The Great Transfomation“ (1944) die Ansicht, dass vor den modernen Zeiten und dem Aufkommen der Marktwirtschaft die meisten ökonomischen Transaktionen unter der Aufsicht und nach den Regeln eines bestimmten gesellschaftlichen Akteurs stattfanden. Nach seiner Meinung war die WirtschaftWirtschaft in der Geschichte so gut wie immer in eine GesellschaftGesellschaft eingebettet. Soziale Normen hatten Priorität vor wirtschaftlichen Aktivitäten. Seiner Ansicht nach dürfe aus den oben beschriebenen Buchhaltungs- und Verfahrenstechniken nicht der Schluss gezogen werden, Geschäfte zu machen sei so alt wie die Menschheit und die damals gemachten Geschäfte seien von der Art, wie wir sie heute kennen, nämlich Kaufen und Verkaufen mit dem Ziel, Profite zu machen. Die Händler von damals seien wohl eher mit Beamten vergleichbar. Ihr Einkommen stammte nicht aus den Profiten des Handels, sondern aus den Gehältern, die sie vom Herrscher bezogen. PolanyiPolanyi, Karl bemängelte, dass viele Ökonomen die Art dieses altertümlichen Handels missverstanden hätten; denn es ist eben nicht der Handel, wie wir ihn heute kennen. Damals sei die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen in seine SozialbeziehungenSozialbeziehungen eingebettet gewesen. Erst sehr viel später setzte sich im Zuge einer großen Transformation der sichselbstregulierende MarktMarkt als Steuerungsmechanismus der Ökonomie durch, und die Wirtschaft wurde aus ihrer „Einbettung“ in die Gesellschaft herausgelöst. Während in nichtmarktwirtschaftlichen Gesellschaften die Wirtschaftsordnung bloß eine Funktion der Gesellschaftsordnung war, jene also von dieser abhängig war bzw. die Gesellschaft die Ökonomie dominierte, kehrte sich im Zuge der TransformationTransformation diese Beziehung um:
„Die neuere historische und anthropologische Forschung brachte die große Erkenntnis, daß die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen in der Regel in seine Sozialbeziehungen eingebettet ist. Sein Tun gilt nicht der Sicherung seines individuellen Interesses an materiellem Besitz, sondern der Sicherung seines gesellschaftlichen Rangs, seiner gesellschaftlichen Ansprüche und seiner gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Er schätzt materielle Güter nur insoweit, als sie diesem Zweck dienen.7
Vor diesem Hintergrund lassen sich die beschriebenen kaufmännischen Aufzeichnungen als ein ManagementinstrumentManagement altorientalischer PlanwirtschaftPlanwirtschaft, altorientalische begreifen.
Im Gegensatz zur altorientalischen Planwirtschaft Mesopotamiens war das Wirtschaftssystem des antiken GriechenlandsGriechenland von 560 bis 330 v. Chr. marktwirtschaftlichMarktwirtschaft geprägt. So konnten beispielsweise für das vierte Jahrhundert eine Athener Getreidebörse mit Musterproben sowie Anfänge von Schreibgeld (GiroGiro) nachgewiesen werden. Diesen freiwirtschaftlichen Aspekten stand allerdings eine gesellschaftliche Produktionsbeziehung entgegen, die auf SklavenarbeitSklaven basierte.1 Die vorherrschende Wirtschaftsweise der griechischen Privatwirtschaft war die sogenannte Oikos-Wirtschaft. Sie war die zentrale Organisationsform der Produktion, Distribution und Konsumtion von Gütern und Leistungen.
Im Rahmen der Lehre vom OikosOikos setzten griechische Philosophen sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen und Problemen auseinander. Oikos bezeichnete im Griechischen nicht nur das „Haus“, sondern es „umfasste die Familie des Eigentümers, die Sklaven oder andere abhängige Arbeitskräfte, die Wohn- und Wirtschaftsräume, Äcker und Baumpflanzungen, die Vorräte an Saatgut und Lebensmitteln, das Vieh und die Gerätschaften, mithin eine ganze Welt im Kleinen“2. Der OikosOikos war Untersuchungsgegenstand einer eigenen Kunstlehre: der OeconomiaOeconomia. Der Begriff ÖkonomieÖkonomie setzt sich zusammen aus OikosOikos (= Haus, Haushalt, Betrieb) und NomosNomos (= Gesetz, Regel) und kann dementsprechend übersetzt werden mit der „Lehre von der Hauswirtschaft“, „Haushaltungskunst“, „Haushaltsführung“ oder auch „Betriebslehre“. Aus dem Bemühen, praktische Aufgaben der Versorgung mit Lebensnotwendigem zu bewältigen, entsteht einzelwirtschaftliches Denken und schließlich auch eine Lehre von der Ökonomie. Die Ökonomik begegnet uns in der Literatur einiger griechischer Philosophen, deren Adressat der bildungsbeflissene Hausherr ist. Schneider erkennt in dieser Ökonomikliteratur eine „ganzheitliche ManagementlehreManagement zur Führung einer Organisation oikos“3. Die bedeutendsten antiken Schriften zur Ökonomik ist XenophonsXenophon Werk „Oikonomikós“ („Über die Haushaltsführung“) und das AristotelesAristoteles zugeschriebene Buch „OikonomikaOikonomiká“.
XenophonXenophon (um 430–354 v. Chr.) stammte aus einer wohlhabenden Familie, vermutlich aus der griechischen Ritterschaft, und wirkte in der Praxis als Söldnerführer und Landgutbesitzer. Nach der Schlacht bei Koroneia (394) wurde Xenophon aus politischen Gründen aus Athen verbannt und ließ sich in Skillus bei Olympia nieder. Dort lebte er von 390 bis 365 v. Chr. auf seinem Landgut, das er von Sparta erhielt. Wahrscheinlich führte diese erzwungene Tätigkeit in der Haus- und Landwirtschaft dann zur Entstehung seines Werkes „OikonomikosOikonomikós“.
Xenophon. | [3]
XenophonXenophon, der für die Klarheit seines Stils bekannt ist, verfasste zwei Bücher, in denen er sich mit ökonomischen Fragestellungen beschäftigt. Diese beiden Werke können im Prinzip als die ersten Fachbücher für Betriebs- und für Volkswirtschaftslehre betrachtet werden. Hier ist sein Werk „OeconomicusOeconomicus“ (dt.: „Von der Hauswirtschaft“/„Über die Haushaltsführung“) von Interesse, das XenophonXenophon vermutlich zwischen 385 und 370 v. Chr. verfasste. Darin werden in Form eines kunstvollen Dialogs zwischen SokratesSokrates und KritobulusKritobulus die Prinzipien einer guten Haushaltungskunst und Landwirtschaft diskutiert. Der erste Teil (Kap. I bis VI) handelt von der Haushaltungskunst im Allgemeinen. Es werden zunächst die Grundbegriffe der Unterredung definiert und gezeigt, dass die Haushaltung eine Kunst sei, welche sich mit der Verwaltung des Hauswesens befasst – und zwar sowohl eines eigenen oder auch eines fremden. ÖkonomieÖkonomie definiert XenophonXenophon als die Wissenschaft, durch welche die Menschen „ihr HauswesenHauswesen emporzubringen imstande sind“. Das erste Thema befasst sich mit den Pflichten einer Hausfrau (z. B. Aufsicht im Haus, Verantwortung für Ordnung und Arbeitseinteilung, Einrichtung des Hauses, Auswahl einer guten Haushälterin) sowie den Pflichten des Ehemanns (z. B. Aufsicht und Rechtsprechung über die Sklaven, Auswahl und Einweisung der richtigen Mitarbeiter). Im zweiten Teil (ab Kap. VII) geht es um die Landwirtschaft. Darin werden Themen von der Bodenkunde bis hin zu den ökonomischen und menschlichen Qualitäten eines Landmanns behandelt. Dieser Teil kann im Prinzip als eine erste (agrarökonomische) Betriebswirtschaftslehre betrachtet werden: Ein Experte namens IschomachosIschomachos unterrichtet über Inventur, Organisation und Planung. Sodann wird die Notwendigkeit erörtert, Überschüsse anzustreben und auf eine Vermehrung des Reichtums bedacht zu sein. In diesem Zusammenhang werden Anforderungen genannt, die an den Eigentümer und Verwalter gestellt werden, wie beispielsweise eine geschickte Verhandlungstechnik, Fachkenntnisse und Prinzipien guter Menschenführung. Schließlich wird eine Theorie der Landwirtschaft entworfen und es werden Techniken der Bodenbearbeitung, der Aussaat und der Ernte besprochen.
Einige jener wirtschaftlichen Fragestellungen, mit denen sich XenophonXenophon befasste, sind auch heute noch von Bedeutung. So erkannte er die Bedeutung der ArbeitsteilungArbeitsteilung als Mittel zur QualitätssteigerungQualität der Produktion und beschäftigte sich beispielsweise mit Fragen zu InvestitionenInvestition und zur GewinnmaximierungGewinn, Maximierung.
Aristoteles. | [4]
Aristoteles (384–322 v. Chr.) gilt als ein hervorragender Beobachter, der der Erfahrung und Wirklichkeit zugewandt und auch entschieden sachlicher und systematischer war als PlatonPlaton. AristotelesAristoteles (→ Abb. 2.4) beschäftigte sich mit einer Vielzahl von Wissensgebieten und gelangte auch auf ökonomischem Gebiet zu tiefen Einsichten. Seine ökonomischen Abhandlungen in Form von Dialogen und Monologen finden sich in seiner „PolitikPolitik“ und der „Nikomachischen EthikNikomachischen Ethik“, mit denen er die praktische Philosophie begründete. Im Zusammenhang mit den dort behandelten Fragestellungen, wie der Staat aufgebaut sein sollte, beschäftigt er sich auch mit der Verwaltung und Führung des OikosOikos, denn das Haus ist seiner Ansicht nach die kleinste Einheit des Staates.
Bestandteile des Hauses sind der Mensch und die Besitztümer. Zu den wichtigsten Besitztümern, die sich ein Hauseigentümer beschaffen muss, werden die SklavenSklaven gezählt. Im Zusammenhang mit der Führung der Sklaven setzt sich Aristoteles mit Problemen der Personalführung auseinander, insbesondere mit Formen der Entlohnung und der Motivation.1 Im Umgang mit dem Vermögen nennt AristotelesAristoteles konkrete Tätigkeiten, die der Hauswirt kennen sollte:
„Er soll sowohl fähig sein zu erwerben als auch zu bewahren, wenn nicht nützt das Erwerben nichts; das heißt mit dem Sieb schöpfen und ist das sprichwörtliche Faß ohne Boden. Außerdem soll er das Vorhandene in Ordnung halten und zu gebrauchen verstehen, denn wegen dieser letztgenannten Tätigkeitsformen brauchen wir auch jene erstgenannten. Es ist nötig, daß jeder Teil des Besitzes aufgegliedert wird und daß die einträglichen Teile mehr sind als die nicht einträglichen, und daß die Arbeiten so eingeteilt werden, daß die einzelnen nicht zugleich allen Gefahr bringen.“2
BellingerBellinger, Bernhard erkennt in diesen Tätigkeiten „vier Grundprinzipien der betriebswirtschaftlichen Betätigung“ und findet es bemerkenswert, „daß in das erwerbswirtschaftliche Prinzip unmittelbar das Prinzip der Sicherung gegen RisikenRisiken eingeht“, denn dadurch, dass die ertragsreichen Kapitalanlagen überwiegen müssten, wird zugleich eine Verteilung der Risiken gefordert.3
Neben der Hausführung setzt sich AristotelesAristoteles auch mit den Einkünften auseinander. „Die wichtigste Einnahme [ist] die, die aus dem Boden kommt. Die zweite ist die aus den anderen stets wiederkehrenden Tätigkeiten. Die dritte ist die aus dem Geld“. Zudem formuliert Aristoteles mit der generellen Forderung, „daß die Ausgaben nicht größer sein dürfen als die Einkünfte“4 ein grundlegendes finanzwirtschaftliches Ziel, nämlich das des finanziellen Gleichgewichts.
Von der ÖkonomikÖkonomik, die AristotelesAristoteles als eine naturgegebene wirtschaftliche Tätigkeit zur Bedürfnisbefriedigung begreift, grenzt er die ChrematistikChrematistik ab, unter der er eine naturwidrige „Kunst, Vermögen zu machen“ sieht – eine schrankenlose Anhäufung von Reichtum in Geldform. So unterscheidet er GüterGüter einerseits in Verbrauchsgüter, die dem unmittelbaren Gebrauch dienen, und andererseits in Güter, die dem Tausch dienen. Erwerbsarten, die der Versorgung dienen, seien natürlich, der bloße Erwerb von Tauschmitteln sei künstlich. Diese entstehen durch Überproduktion in dem einen Haushalt und Unterproduktion in dem anderen. Solange diese Überproduktion zufällig ist, bleibt die Verwendung von Gütern als TauschmittelTausch noch natürlich. Geschieht Überproduktion jedoch ganz gezielt, um das Produkt marktfähig zu machen, so entwickelt sich eine künstliche Erwerbsart. Deren Regeln sind dann nicht mehr Gegenstand der Ökonomik, sondern der sog. Chrematistik.
Das Imperium Romanum, das antike römische Reich, war im Wesentlichen eine politische und militärische Macht. Die Römer waren Bauern, Soldaten, Juristen und Staatsmänner. Kaufleute hatten in dieser Gesellschaft einen schlechten Ruf. Und da der Handel eines feinen Mannes unwürdig war, wurde der Einzelhandel in Rom vor allem von Sklaven betrieben; und der Fern- und Großhandel lag fast vollständig in den Händen von Griechen, Syrern, Karthagern und anderen fremden Völkern. Die Wirtschaft im Römischen Reich beruhte hauptsächlich auf der Landwirtschaft (wichtigste Agrarerzeugnisse waren Wein, Oliven und Getreide), die sehr arbeitsintensiv und in der Regel ohne technische Hilfsmittel betrieben wurde. Im 5. bis 3. Jahrhundert v. Chr. bildete die Landwirtschaft die wesentliche, wenn nicht gar die alleinige Grundlage der Wirtschaft. Im 3. Jahrhundert kam es zu einer enormen Ausweitung des römischen Staatsgebietes: Umfasste das Staatsgebiet um 338 v. Chr. 5.525 km2, kontrollierte Rom um 200 v. Chr. ein Territorium von 130.000 km2 mit einer Bevölkerung von etwa 3.000.000 freien Bürgern, an die Rom Gebiete zur Bewirtschaftung verteilte. Es entstehen erste mittlere (villae) und große LandgüterLandgüter (latifundiae), durch welche die Landwirtschaft auf eine neue Grundlage gestellt und in der Folge rationeller und marktorientierter geführt wird.1
Bildeten früher Getreideanbau und Tierhaltung die Grundlage der römischen Selbstversorgungswirtschaft, kam es mit zunehmender Größe der Landgüter, mit einem Aufblühen der Latifundien zur SpezialisierungSpezialisierung. Etwa im 1. Jahrhundert v. Chr. spezialisierten sich die LatifundienLatifundien, die riesige Ausmaße annahmen und von Verwaltern und Sklaven bewirtschaftet wurden, zunehmend auf den Wein- und Olivenanbau. Daher verwundert es nicht, dass hier eine Literatur entstand, „die sich vor allem der Führung von Landgütern widmet und teilweise erstaunlich tiefe Spezialisierungen in diesem Bereich aufweist“2, und in der neben naturkundlichen Fragen auch solche der Produktionsplanung und der Organisation des Arbeitsablaufs behandelt werden.3
Cato. | [5]
Von den römischen Schriftstellern der Landwirtschaftslehre ist neben Marcus Terentius VarroVarro, Marcus Terentius, VirgilVirgil und LuciusJunius Moderatus ColumellaColumella, Lucius Junius Moderatus vor allem Marcus Porcius Cato (Catoder Ältere, 234–149 v. Chr.) erwähnenswert, der von 234 bis 149 v. Chr. lebte und als Feldherr, Politiker und Schriftsteller wirkte (→ Abb. 2.5). Er, der sich als „knochenharter Haustyrann“4 gab, gilt als Verfechter altrömischer Lebensart. In Wort und Schrift bekämpfte die nach Rom eingeführte hellenistische Kultur, die von ihm als verderblich gewertet wurde. Auch erkannte CatoCato, Marcus Porcius die Gefahr, die Rom durch die überlegene hellenistische Landwirtschaft drohte. Durch neue Methoden versuchte er die römischen Landwirte konkurrenzfähigKonkurrenz zu halten.5 Dies erklärt auch, warum seine im Jahre 154 v. Chr. verfasste Schrift De agricultura, auch: De re rustica (lat. „Vom Landbau“), einen warnenden und belehrenden Charakter hat. Auffällig an diesem Werk ist die äußere Formlosigkeit, das Bauprinzip lockerer Reihung, das infolge der vielfachen Abschweifungen und Einschübe den Eindruck einer willkürlichen Notizensammlung erzeugt, obwohl der Beginn durchaus planvoll anmutet. Zunächst hebt Cato in einem Vorwort die Vorzüge der Landwirtschaft hervor und preist den Wert des Bauern gegenüber dem Banker und dem Kaufmann:
„Mag sein, daß es manchmal besser ist, durch Handel nach Vermögen zu streben, wenn es nicht so gefährlich wäre, und ebenso, Wucher zu treiben, wenn es nur ehrenhaft wäre. Unsere Voreltern haben es so gehalten und so in den Gesetzen verordnet, daß ein Dieb ums Doppelte, der WuchererWucher ums Vierfache gestraft werde. […] Und einen rechten Mann wenn sie lobten, lobten sie ihn so: als einen rechten Bauern und guten Landwirt; […]. Den Kaufmann aber halte ich für einen tüchtigen und auf Erwerb bedachten Mann, doch ist er […] der Gefahr und dem Unglück ausgesetzt. Aber aus den Bauern gehen die tapfersten Männer und die tüchtigsten Krieger hervor, und der ehrlichste und dauerhafteste Gewinn kommt heraus und der am wenigsten dem Neid ausgesetzte, und am wenigsten schlechte Gedanken haben die, welche mit dieser Arbeit beschäftigt sind.“6
Anschließend gibt CatoCato, Marcus Porcius Anweisungen für die Einrichtung eines Landgutes und Vorschriften für die anfallenden Tätigkeiten in Feld, Garten und Weinberg. Dann wird es ungeordnet: Es folgen z. B. Vorschläge für Kochrezepte, es werden Haus- und Heilmittel aufgezählt und Gebetsvorschriften erteilt. Die Themen springen vor und zurück, von Schädlingsbekämpfung bis zur Behandlung von Verdauungsbeschwerden. Konsequent eingehalten wird eigentlich nur ein strenger, erzieherischer Befehlston.
Betriebswirtschaftliche Aspekte kommen bei den römischen Autoren zur Sprache, wenn z. B. auf die mengenmäßige Kombination von (limitationalen) Produktionsfaktoren bei der Bewirtschaftung eines Olivenhains oder Weinbergs eingegangen wird oder Zusammenhänge zwischen Bewirtschaftungsintensität und Bodenertrag aufzeigt werden, Hinweise auf die Bedeutung der Transportkosten erfolgen und Vorgabezeiten für Landarbeiter genannt werden.7 Diese betriebswirtschaftliche Denkweise mag wohl FinleyFinley, Moses I. zu folgendem Urteil über CatoCato, Marcus Porcius veranlasst haben: „Es gab niemals jemanden, der das Gewinnstreben leidenschaftlicher vertrat als jener selbsternannte Hohepriester der alten Tugenden, […] der ältere Cato.“8 Eine ähnliche Meinung scheint auch RuffingRuffing, Kai zu vertreten, denn er sieht in Catos Schrift „ein Zeugnis für die hohe Bedeutung einer rationell geführten und marktorientierten Landwirtschaft, wie sie von der Oberschicht in dieser Zeit betrieben wurde.“9
Im Mittelalter nahmen arabische Kaufleute eine Mittlerfunktion zwischen China und Europa ein. Sie beherrschten die alten Handelswege zu Lande und zu Wasser, insbesondere die Seidenstraße sowie die wichtigsten Seerouten im Mittelmeer und im Indischen Ozean. „Die arabischen Kaufleute des 8. bis 15. Jahrhunderts beherrschten den Handel in Kleinasien, Ägypten, den Durchgangshandel über die alten Karawanenstraßen vom Fernen Osten mit den großen Umschlagsplätzen Bagdad, Antiochien, Ephesos, Alexandrien, Kairo. Sie teilten sich den Mittelmeerhandel mit Byzanz und den italienischen Handelsstädten“1 (→ Abb. 2.6). Ihr Handelsnetz, das sich über ganz Eurasien erstreckte, machte sie zu einer wahren Wirtschaftsmacht im Mittelalter.
Handelswege nach dem Nahen Osten. | [6]
Aus dieser Blütezeit des arabischen Handels stammt „die älteste zusammenhängende Darstellung über Handelswissenschaften“2. Es wird angenommen, dass dieses arabische Kaufmannsbucharabisches Kaufmannsbuch zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert von Alī ad-DimišqīAlī ad-Dimišqī3 in Damaskus verfasst worden ist. Über den Verfasser und die exakte Abfassungszeit seiner Schrift mit dem ausschweifenden Titel „Das Buch des Hinweises auf die Schönheiten des Handels und die Kenntnis der guten und schlechten Waren und die Fälschungen der Betrüger an ihnen“4 ist nichts bekannt.
Dieses orientalische Handbuch der Handelskunde besteht aus vier Teilen, nämlich einer Warenkunde, einem wirtschaftstheoretischen Teil, einem handelswissenschaftlichen Teil und einem paränetischen Teil, wobei neben sittlichen Ermahnungen und Belehrungen auch absatzpolitische und geschäftspolitische Ratschläge gegeben werden. So heißt es z. B.: „Alles, was verkauft und gekauft wird, wird mit dem Hohlmaß gemessen oder abgewogen oder mit dem Längenmaß gemessen oder nach Zeit oder Zahl bestimmt.“ „Beim Ausgeben hat man sich vor fünf Eigenschaften zu hüten: vor Geiz, Knauserigkeit, Verschwendung, Protzerei und schlechter Verwaltung.“5SchneiderSchneider, Dieter hebt hervor, dass dieses Buch „auch erste Erwägungen über die Einflußgrößen des Marktpreises und die Bestimmungsgründe der Lagerhaltung bringt.“6 So heißt es über das Zustandekommen der Warenpreise: „Der Marktpreis ist das Produkt von Angebot und Nachfrage, die wieder von verschiedenen Faktoren abhängen.“7LeithererLeitherer, Eugen weist darauf hin, dass dieses Buch „außer den üblichen informatorischen Mitteilungen bereits gewisse theoretische Einsichten in die wirtschaftlichen Zusammenhänge erkennen läßt.“8 Im Welthandel wurden die arabischen Kaufleute abgelöst von den Italienern.
Nördlich der Alpen prägten zwei selbständige Wirtschaftssysteme mit eigenen Betriebsformen und Betriebsweisen die mittelalterliche Wirtschaft: Das System der kirchlich-feudalen Naturalwirtschaft mit dem Betrieb der Klöster und der Grundherrschaft sowie das System der berufsständischen Stadtwirtschaft mit dem Zunftbetrieb. Klosterbetrieb und Grundherrschaft wirtschafteten autark, sie waren eine Bedarfsdeckungswirtschaft. Der wirtschaftliche Schwerpunkt lag auf der (primitiven) Landwirtschaft. Handel wurde nur mit solchen Gütern betrieben, die in den grundherrschaftlichen Großbetrieben nicht selbst hergestellt wurden. „Betriebswirtschaftlich gesehen stellt sich die Grundherrschaft als ein autarker Produktionsverband selbständiger ländlicher Betriebe mit einem Herrenhof als Mittelpunkt dar.“1
Die Wirtschaftsweise der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, die das Gemeinschaftswohl im Blick hatte, war geprägt durch das Prinzip der wirtschaftlichen Selbstgenügsamkeit, der ökonomischen Autarkie und die „Idee der Nahrung“. So entstand ein kompliziertes und straffes System von Regeln, welches das Wirtschaftsleben ordnete. Tragende Organisationen dieses Systems waren die ZünfteZünfte der Handwerker und die Gilden der Kaufleute. Zu deren Aufgabenbereichen gehörten neben wirtschaftlichen auch soziale und sogar religiöse Angelegenheiten. „Die planenden und dispositiven betriebswirtschaftlichen Funktionen sind so umfassend, daß sie für sich selbst eine Betriebswirtschaft darstellen, in welche die einzelnen Zunftbetriebe gleichsam als Teilbetriebe eingebettet sind.“2
Mit Thomas von Aquinvon Aquin, Thomas (1225–1274) erreichte die mittelalterliche Rezeption der Schriften des Aristoteles ihren Höhepunkt. Thomas versuchte, die christliche Lehre mit der Wissenschaftsauffassung des AristotelesAristoteles in Einklang zu bringen. Die Grundlage der Theologie bildet der Glaube, die der Philosophie die Vernunft. Nach Thomas ließen sich einige Wahrheiten sowohl mit der Vernunft, d. h. rational und wissenschaftlich, als auch durch die Offenbarung ergründen. Beide gelangten also durch unterschiedliche Herangehensweise letztlich zum gemeinsamen Ziel.
Thomas von Aquin. | [7]
Thomasvon Aquin, Thomas wirkte im 13. Jahrhundert zu einer Zeit, als sich die Städte – basierend auf dem Marktrecht – zu Zentren von Handel und Gewerbe entwickelten: Der Warenaustausch erhöhte sich, die Bedeutung der Geldwirtschaft nahm zu und der Einfluss der Kaufleute verstärkte sich. Vor allem der Fernhandel mit begehrten Luxusgütern aus dem Orient (z. B. Gewürze, Seide, Weihrauch) bescherte den Kaufleuten äußerst lukrative Gewinne. Da sie aber – im Gegensatz zu den Bauern und Handwerkern – ihren Lebensunterhalt nicht nach dem Willen der Bibel „im Schweiße ihres Angesichts“ verdienten, trieb sie die Sorge um eine Erlösung aus dem Fegefeuer in besonderem Maße um: Wie war es möglich, im Einklang mit der Lehre des Christentums wirtschaften und Handel treiben zu können, ohne das eigene Seelenheil zu gefährden? Thomas, „dem die Probleme der Menschen in seiner Zeit bekannt waren und der auf Antworten bedacht war, die Hilfen für die Menschen sein sollten“3, liefert keine Wirtschaftstheorie, sondern er entwickelte vielmehr sittliche Grundsätze, die es dem Menschen ermöglichen sollen, sich in wirtschaftlichen Angelegenheiten zurechtzufinden. Seine ökonomischen Ansichten und Lehren, die über sein Gesamtwerk verstreut sind, stellen ein „Fundament der mittelalterlichen Wirtschaftslehre“4 dar und „haben auch heute noch einen tiefen Sinn für die Deutung unserer Probleme.“5
Für Thomasvon Aquin, Thomas gehört das Wirtschaften zur Schöpfung Gottes. Als animal sociale et politicum sei der Mensch auf wirtschaftliche Aktivitäten angewiesen, denn diese haben die Aufgabe, die leiblichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Allerdings dient das WirtschaftenWirtschaften nicht dazu, Reichtümer und Gewinn zu mehren, sondern dass alle das zum Leben Notwendige und Angemessene erhalten. Wenn Gewinne erwirtschaftet werden, so darf davon nur das einbehalten werden, was der ExistenzsicherungExistenzsicherung dient und zudem einen standesgemäßen Unterhalt sichert. Was darüber hinausgeht, ist der Gemeinschaft wieder zurückzuführen. Daher wird in der Regel auch gar kein Gewinn erzielt, der über die standesgemäße Nahrungstandesgemäße Nahrung hinausgeht.6
Grundlage der städtischen Wirtschaft solle die Eigenversorgung sein. Eine Versorgung mittels des Handels betrachtet Thomasvon Aquin, Thomas als gefährlich. Er ist sich aber wohl bewusst, dass dies nicht immer zu vermeiden ist, „weil keine städtische Wirtschaftsgemeinschaft alle lebensnotwendigen Güter innerhalb ihres Gebietes erzeugen kann.“7 Insofern misst er dem Handel eine gemeinwirtschaftliche Bedeutung zu. Trotz übler Folgen für das Seelenheil der Kaufleute sei er aus ökonomischen Gründen nicht zu entbehren. Allerdings solle beim Handel Gleichwertiges ausgetauscht werden. Thomas unterscheidet – wie schon zuvor Aristoteles – zwei Arten von Tausch. Den TauschTausch, der dazu dient, lebensnotwendige Bedürfnisse zu befriedigen (Ware gegen Ware), betrachtet er als natürlich und nützlich. Der berufsmäßige HandelHandel jedoch, den Kaufleute treiben (Geld gegen Ware bzw. Ware gegen Geld), um Gewinn zu erzielen, habe etwas Schimpfliches an sich, da er kein ehrenhaftes Ziel verfolge. Werde allerdings der Gewinn für den Familienunterhalt oder zur Unterstützung der Armen verwendet, werde das Handeln zu einer ehrenhaften Beschäftigung. Gleiches gilt auch, „wenn der Handel dem öffentlichen Nutzen dient und wenn dabei der Gewinn nicht als Ziel gesucht wird, sondern als Lohn der Arbeit aufgefasst wird. […] Nach dieser Auffassung ist der Gewinn des Kaufmanns der Lohn für seinen Beitrag zur Güterversorgung.“8LöffelholzLöffelholz, Josef führt hierzu aus, dass sowohl der Wert der Arbeit als auch der Gewinn nicht durch marktwirtschaftliche Faktoren bestimmt werde, sondern vom Status der Person und der Rangordnung des Berufs. Diese war in der kleinen mittelalterlichen Stadt „durch die ständische Verfassung der Zünfte so stabil, daß der Kostenwert der Arbeit als „aestimatio communis“ erschien und nicht als Ergebnis einer betriebswirtschaftlichen Wertung auf der Grundalge von Marktpreisen.“9 Ähnlich einfach wird der Wert eines Produktes ermittelt, der sich zusammensetzt aus den ArbeitskostenArbeitskosten (labores) plus den Rohstoff- und Materialkosten (expensae). Da sich ein großer Teil des Handels in Form von Naturaltausch (Ware gegen Ware) vollziehen sollte und zudem die Wirtschaft und die Märkte streng reguliert und stabil waren, waren ein kostenmäßiges Denken in Zahlen und Preiskalkulationen dem Zunftbetrieb völlig fremd. Für Handwerksbetriebe bestand kein Marktrisiko, da in der Regel auf Bestellung produziert wurde. Im Handel sollte nach scholastischer Lehre ein ÄquivalenzprinzipÄquivalenzprinzip befolgt werden, d. h. eine Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung sollte dem Tauschgeschäft innewohnen. Dies führe zum iustum Pretium, einem gerechten PreisPreis, gerechter, der eine Preisbildung am Markt überflüssig mache. Allerdings sah Thomasvon Aquin, Thomas schon früh die Gefahr, die dem Äquivalenzprinzip durch die Kaufleute drohte. „Da dem Handel das Erwerbsstreben immanent ist, hat er dann schließlich auch die mittelalterliche Stadtwirtschaft gesprengt.“10
In der RenaissanceRenaissance, einer Übergangsphase zwischen Mittelalter und Neuzeit (etwa 1400 bis 1600) befreiten Wissenschaftler, Forscher und Künstler sich aus der gedanklichen Enge der mittelalterlichen Scholastik. Sie sahen ihren Sinn nicht mehr darin, durch die christliche Lehre ohnehin schon vorgegebene Antworten neu zu begründen. Vielmehr besann man sich zurück auf das Geistesleben der Antike und suchte nach neuen Antworten auf alte Fragen. Einer der führenden Mathematiker dieser Zeit war der italienische Franziskanermönch Luca PacioliPacioli, Luca (1445–1517). Er publizierte als erster eine geschlossene Darstellung der doppelten Buchführung1 und trug entscheidend zu deren Verbreitung bei.
Wirtschaftlich ist die Epoche der Renaissance gekennzeichnet durch die Herausbildung frühkapitalistischer Strukturen infolge der sogenannten kommerziellenRevolution, kommerzielle Revolutionkommerzielle Revolution, die durch folgende Umstände begünstigt wurde: Die Kaufleute bedienten sich verstärkt des Schriftverkehrs (z. B. kaufmännischer Briefwechsel, Bücher mit Umrechnungstabellen für unterschiedliche Maße, Münzen und Gewichte), und es wurden Schreibschulen für Kaufleute gegründet. Im Zahlungsverkehr bzw. im Kreditwesen gewann der Warenkredit zunehmend an Bedeutung: „Spätestens im ausgehenden 13. Jh. hatte sich eine Kreditkette aufgebaut, die vom Produzenten bis hin zum Konsumenten reichte. Der Kaufmann, der seinen Lieferanten bar bezahlte, dem Kunden jedoch Kredit einräumte, wäre rasch insolvent geworden.“2