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Die Fortsetzung des TikTok-Hits und Weltbestsellers »Bevor der Kaffee kalt wird« mit vier weiteren Geschichten aus dem magischen Café Erneut werden Leser:innen in den besonderen Sessel hineinversetzt, der einen in die Vergangenheit reisen lässt – diesmal in neuem Ambiente: Der dritte Teil der magischen Cafè-Reihe bringt die Leser:innen zurück nach Japan, aber dieses Mal nach Hokkaido im Norden Japans. Das Café Donna, Donna liegt in der alten japanischen Hafenstadt Hakodate. Auch in diesem wird ein Menschheitstraum wahr: Nicht nur in die Vergangenheit zu reisen, sondern auch die vergangenen Situationen zu verändern und Dinge, die du bereust, wieder gut zu machen. Vier Erzählungen über den Sinn des Lebens und die Aussöhnung mit der Vergangenheit Im Stil von Das Café am Rande der Welt erzählt der Dramatiker Toshikazu Kawaguchi auch in Bevor die Erinnerung verblasst vier mitreißende Geschichten von Menschen, die in die Vergangenheit gereist sind. Ihre Motive waren unterschiedlich, doch die gelernte Lektion dieselbe: Egal ob Versöhnung, Vergebung oder neue Hoffnung – das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Die magische Fortsetzung des TikTok-Phänomens Before the coffee gets cold Wie im SPIEGEL-Bestseller Bevor der Kaffee kalt wird begegnen wir abermals vier Menschen und ihren berührenden Schicksalen: - Der Tochter, die ihren verstorbenen Eltern nachtrauert, die sie als Waisenkind zurückgelassen haben. - Dem Comedian, der seine ehemalige Partnerin und deren gemeinsame Träume vermisst. - Der Schwester, die sich in ihrer Trauer verliert. - Dem jungen Mann, der zu spät seine Gefühle für seine Kindheitsfreundin erkennt.
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Seitenzahl: 268
Toshikazu Kawaguchi
Knaur eBooks
Die Fortsetzung des Weltbestsellers Bevor der Kaffee kalt wird mit vier weiteren magischen Geschichten
Wieder setzen wir uns in den besonderen Sessel, der uns in die Vergangenheit reisen lässt. Allerdings steht er dieses Mal im Café Donna Donna, am Hang eines Berges im Norden Japans gelegen und mit einem atemberaubenden Blick auf die Hafenstadt Hakodate. Auch in diesem neuen Ambiente wird der alte Menschheitstraum wahr: Nicht nur vergangene Situationen noch einmal zu erleben, sondern sie auch verändern zu können, Dinge, die wir bereuen, wiedergutzumachen.
Toshikazu Kawaguchi erzählt vier weitere mitreißende Geschichten von Menschen, die in die Vergangenheit gereist sind. Ihre Motive waren unterschiedlich, doch die gelernte Lektion dieselbe: Egal ob Versöhnung, Vergebung oder neue Hoffnung – das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.
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Motto
Karte der Verwandtschaftsbeziehungen
Ⅰ Die Tochter
Ⅱ Der Komiker
Ⅲ Die Schwester
Ⅳ Der junge Mann
If you could go back, who would you want to meet?
Ein Geist, der am Tisch gleich beim Eingang auf dem Platz sitzt, der Reisen durch die Zeit ermöglicht. Einmal am Tag geht er zur Toilette.
Ein Komiker, der zusammen mit Gen Todoroki das erfolgreiche Komiker-Duo PORON DORON bildet.
Ein Komiker, der zusammen mit Kohta Hayashida das erfolgreiche Komiker-Duo PORON DORON bildet. Seine Frau, Setsuko Yoshioka, ist vor fünf Jahren gestorben.
Ehefrau von Gen Todoroki. Sie ist vor fünf Jahren gestorben.
Vater von Yayoi Seto.
Eine junge Frau, deren Eltern bei einem Autounfall starben, als sie sechs Jahre alt war.
Mutter von Yayoi Seto. Sie starb bei einem Autounfall, als Yayoi sechs Jahre alt war.
Die ehemalige Chefin des Donna Donna. Sie ist gerade in Amerika und hilft einem Jungen, seinen Vater zu finden.
Tochter von Kazu Tokita, sieben Jahre alt. Sie serviert den Kaffee bei der Zeremonie, die einem Gast eine Reise durch die Zeit ermöglicht.
Student und aufstrebender Komiker, der aushilfsweise im Donna Donna arbeitet. Kindheitsfreund von Nanako Matsubara.
Vater von Miki Tokita, Sohn von Yukari Tokita. Führt das Café Donna Donna seiner Mutter und besitzt das Funiculi Funicula in Tokio. Seine Frau Kei starb vor fünfzehn Jahren bei der Geburt von Miki.
Cousine von Nagare Tokita. Mutter von Sachi. Sie arbeitet während der Abwesenheit von Yukari Tokita im Donna Donna.
Stammgast im Donna Donna. Ihre jüngere Schwester Yukika starb vor wenigen Monaten.
Psychiaterin im Krankenhaus und Stammgast im Donna Donna.
Studentin und Stammgast im Donna Donna. Kindheitsfreundin von Reiji Ono.
Jüngere Schwester von Reiko Nunokawa. Sie arbeitete in Teilzeit im Donna Donna und starb vor wenigen Monaten.
I
»Warum bist du in Hokkaido?«
Kei Tokitas Stimme klang blechern aus dem Hörer.
»He, bleib ganz ruhig … Alles in Ordnung.«
Nagare Tokita hörte zum ersten Mal seit vierzehn Jahren wieder die Stimme seiner Frau. Er befand sich in Hokkaido – in Hakodate, genau genommen.
Hakodate ist voll von Häusern im westlichen Stil, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gebaut wurden. Diese Häuser finden sich in der ganzen Stadt und sind architektonisch durchaus einzigartig – japanisch im Erdgeschoss, aber in den oberen Etagen nach westlichem Zuschnitt. Direkt am Fuß des Mount Hakodate liegt der Stadtteil Motomachi (was so viel wie »Altstadt« bedeutet), ein beliebtes Ziel für Touristen. Er besitzt großen altertümlichen Charme, der noch verstärkt wird durch historische Gebäude wie die ehemalige Stadthalle, einen Strommast aus Beton mit quadratischem Querschnitt – dem ersten in ganz Japan – und die bekannten Lagerhäuser aus roten Backsteinen im historischen Hafenbezirk.
Kei befand sich am anderen Ende der Leitung im weit entfernten Tokio in einem gewissen Café, das seinen Kunden Gelegenheit zu Reisen durch die Zeit bot. Sein Name war Funiculi Funicula. Kei war aus der Vergangenheit fünfzehn Jahre in die Zukunft gereist, um ihre Tochter zu treffen. Dazu blieb ihr im Café in Tokio nur die kurze Zeitspanne, die sie brauchte, um ihren Kaffee auszutrinken, bevor er kalt war. Da sich Nagare im fernen Hokkaido im Norden Japans befand, hatte er keine Ahnung, wie weit ihr Kaffee schon abgekühlt war. Deshalb beschränkte er seine Worte auf das Notwendigste.
»Ich habe keine Zeit zu erklären, warum ich in Hokkaido bin. Bitte hör mir einfach zu.«
Kei wusste natürlich nur zu gut, wie knapp ihre Zeit bemessen war.
»Was sagst du? Du hättest keine Zeit? Ich bin es doch, die keine Zeit hat!« Sie klang aufgebracht.
Aber Nagare ging nicht darauf ein. »Da ist ein Mädchen bei euch, nicht wahr? So alt, dass sie in die Middleschool gehen könnte.«
»Was? Eine Schülerin? Ja, sie ist hier. Es ist die, die schon vor zwei Wochen hier im Café war; sie kam aus der Zukunft, um ein Foto mit mir zu machen.«
Für Kei war das erst zwei Wochen her, aber sie sprach von etwas, das für Nagare volle fünfzehn Jahre zuvor geschehen war.
»Hat sie große runde Augen … und trägt sie einen Rollkragenpulli?«
»Ja, schon. Was ist mit ihr?«
»Okay, beruhige dich einfach und hör mir zu. Du bist aus Versehen fünfzehn Jahre in die Zukunft gereist.«
»Wie ich schon sagte, ich kann dich hier kaum verstehen.«
Ein heftiger Windstoß hatte Nagare gerade in dem Augenblick getroffen, als er ihr etwas Entscheidendes sagen wollte. Selbst Kei hörte im Telefon den Sturm heulen, und eine vernünftige Verständigung war fast nicht möglich. Doch die Zeit drängte, und Nagare fuhr unbeirrt fort.
»Jedenfalls, das Mädchen, das du da siehst«, sagte er, lauter diesmal.
»Wie? Was!? Das Mädchen?«
»Sie ist unsere Tochter!«
»Was?«
In Nagares Telefon wurde es totenstill. Und dann hörte er statt Keis Stimme das vertraute Dong, dong der mittleren Standuhr im Funiculi Funicula. Er stieß einen leisen Seufzer aus und begann ganz ruhig zu erklären.
»Eigentlich wolltest du zehn Jahre in die Zukunft reisen und hattest erwartet, dass dein Kind ungefähr zehn sein müsste, aber es muss ein Missgeschick passiert sein, und du bist fünfzehn Jahre weit gereist. Bei zehn Jahren und fünfzehn Stunden ist irgendwas mit fünfzehn Jahren und zehn Stunden durcheinandergekommen. Schau mal zur mittleren Standuhr. Sie müsste zehn Uhr anzeigen, richtig?«
»Mhm.«
»Wir hatten nach deiner Rückkehr davon gehört. Aber jetzt sind wir leider in Hokkaido, und mir fehlt die Zeit, die Gründe dafür zu erklären.«
Nagare hatte seine Erklärung heruntergerattert, aber nun hielt er inne.
»Auf alle Fälle solltest du die knappe Zeit nutzen und dir unsere fast ausgewachsene, gesunde und muntere Tochter gut ansehen, bevor du in deine Gegenwart zurückkehrst«, bemerkte er zum Schluss und legte auf.
Von dort, wo er stand, konnte Nagare die ganze schnurgerade Straße überblicken, die bis zur blauen Weite des Ozeans abfiel, und darüber den Himmel, der sich wie eine Krone über den Hafen von Hakodate wölbte. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Café.
Hakodate ist bekannt für seine vielen steilen Straßen. Neunzehn von ihnen haben Namen erhalten, so die Twenty Astride Rise, die sich von Japans ältestem Strommast hinaufzieht, oder die Eight Banner Rise, die in der Nähe der roten Backstein-Lagerhäuser an der bei Touristen so beliebten Bucht von Hakodate beginnt. Daneben gibt es die Fish View Rise und die Ship View Rise, die sich ebenfalls vom Ufer aufwärts ziehen. Weiter oben am Hang liegen die Cockle Rise und die Green Willow Rise, die in Richtung Yachigashiracho ansteigen, was so viel wie Talende bedeutet. Eine weitere steile Straße ist auf den Stadtplänen für Touristen nicht verzeichnet. Ortsansässige nennen sie die No Name Rise. Das Café, in dem Nagare arbeitete, lag auf halber Strecke die No Name Rise hinauf. Es hieß Donna Donna, und um einen ganz bestimmten Platz in diesem Café rankte sich eine merkwürdige urbane Legende.
Wenn man diesen Platz einnahm, so hieß es, dann würde er einen an einen beliebigen gewünschten Zeitpunkt befördern.
Dabei galten allerdings eine Reihe ärgerlicher und lästiger Regeln:
Man konnte in der Vergangenheit nur jemanden treffen, der das Café schon einmal besucht hatte.
Egal, was man in der Vergangenheit unternahm, man konnte nichts an der Gegenwart verändern.
Die Reise in die Vergangenheit war nur möglich, wenn man auf diesem einen Platz saß. War er besetzt, dann musste man warten, bis er frei wurde.
In der Vergangenheit angekommen, musste man unter allen Umständen auf diesem Platz sitzen bleiben.
Die Zeitreise begann mit dem Eingießen des Kaffees und musste beendet sein, bevor er kalt geworden war.
Und das waren noch nicht einmal alle ärgerlichen Regeln. Trotz alledem sollte sich auch heute wieder eine Person einfinden, die von dem Gerücht gehört hatte.
Nagare war kaum vom Telefonat zurück, als Nanako Matsubara vom Barhocker an der Theke unumwunden fragte: »Nagare, warum bist du nicht in Tokio geblieben? Findest du immer noch, dass es gut war, hierherzukommen?«
Nanako studierte an der Universität von Hakodate. Ihr hellbeiges Top hatte sie, wie es gerade modisch war, in die weite Hose gesteckt. Dazu trug sie dezentes Make-up, und ihr locker dauergewelltes Haar war mit einem Haargummi nach hinten gebunden.
Nanako hatte gehört, dass Nagares verstorbene Frau aus der Vergangenheit kommen und ihre Tochter im Café in Tokio besuchen wollte. Für Nagare war das eine einmalige Gelegenheit, seine Ehefrau zu treffen, die er vierzehn lange Jahre nicht gesehen hatte, und Nanako fand es unbegreiflich, dass er mit ihr nur kurz telefoniert hatte, anstatt sie persönlich zu treffen.
»Ja, vielleicht«, erwiderte Nagare unbestimmt, ging an ihr vorbei und weiter hinter die Theke. Auf dem Hocker neben Nanako saß die schläfrig wirkende Saki Muraoka mit einem Buch in der Hand. Saki arbeitete in einem der örtlichen Krankenhäuser auf der psychiatrischen Station. Sowohl sie als auch Nanako waren hier im Café Stammgäste.
»Wolltest du sie denn nicht wiedersehen?« Nanako blickte Nagare, einen Riesen von annähernd zwei Metern Körpergröße, eindringlich an.
»Schon, aber ich musste die Tatsachen anerkennen.«
»Und die wären?«
»Sie kam, um ihre Tochter zu treffen, nicht mich.«
»Trotzdem.«
»Ist schon in Ordnung. Natürlich ist es inzwischen lange her, aber ich habe immer noch lebhafte Erinnerungen …«
Nagare wollte damit sagen, dass er alles unternommen hätte, um für Mutter und Tochter die knappe gemeinsame Zeit so wertvoll wie möglich zu machen.
»Du bist so gütig, Nagare«, bemerkte Nanako voller Bewunderung.
»Jesus!«, erwiderte er aufbrausend und bekam ganz rote Ohren.
»Kein Grund, sich zu schämen.«
»Davon bin ich weit entfernt«, entgegnete er und verzog sich eilig in die Küche, um Ruhe vor ihr zu haben.
An seiner Stelle kam Kazu Tokita aus der Küche. Über ihrer weißen Bluse und dem beigen Rüschenrock trug sie eine aquamarinblaue Kellnerschürze. Sie war siebenunddreißig, aber mit ihrer offenen und unbekümmerten Art wirkte sie deutlich jünger.
»Und? Bei Frage Nummer wie viel bist du gerade?«, fragte sie in Richtung Dr. Saki.
Jetzt wo Kazu hinter der Theke stand, wurde das Gesprächsthema gewechselt.
»Äh, Frage Nummer vierundzwanzig«, antwortete Saki, die neben Nanako saß. An deren Unterhaltung mit Nagare hatte sie nicht das geringste Interesse gezeigt und sich ganz ihrem Buch gewidmet.
»Ach ja …«, schaltete sich Nanako ein, als erinnere sie sich plötzlich. Verstohlen warf sie einen Blick auf Sakis Buch. Die blätterte mehrere Seiten zurück und las laut vor.
»Was, wenn die Welt morgen untergeht? Hundert Fragen.
Frage Nummer vierundzwanzig. Es gibt eine Person – Mann oder Frau –, die du sehr liebst. Wenn die Welt morgen unterginge, was würdest du tun?
1. Der Person einen Heiratsantrag machen.
2. Keinen Heiratsantrag machen, weil es sinnlos wäre.«
Saki riss den Blick vom Buch los und blickte zu Nanako und Kazu. »Also, was meint ihr?«
»Hm, ich weiß nicht recht …«, murmelte Nanako
»Komm schon, sag!«
»Was würdest du denn tun, Saki?«
»Ich? Ich glaube, einen Heiratsantrag machen.«
»Warum?«
»Mir gefällt die Vorstellung nicht, irgendetwas zu bereuen, wenn ich sterbe.«
»Oh, ich finde, das ist ein guter Grund.«
»Und? Heißt das, du würdest keinen Antrag machen, Nanako?«
Zum Antworten gedrängt, neigte Nanako den Kopf zur Seite. »Ach, ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Nun ja, wenn ich ganz sicher wüsste, dass er mich liebt, dann vielleicht. Aber wenn ich das nicht mit Bestimmtheit wüsste, dann wohl nicht.«
»Wirklich? Warum nicht?«
Saki schien Nanakos Antwort nicht akzeptieren zu können.
»Also, wenn ich wüsste, dass er mich liebt, würde ich ihn nicht in einen Zwiespalt stürzen, oder?«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Aber wenn er nie in dieser Weise an mich gedacht hätte, würde ich ihn damit doch zwingen, anders über mich zu denken; ich würde ihm aber auf keinen Fall zusätzliche Sorgen bereiten wollen.«
»Aber so etwas passiert doch ständig, gerade Männern. Wenn einer am Valentinstag Schokolade von einer Frau bekommt, an die er noch nie gedacht hat, dann ist sie plötzlich in seinem Bewusstsein.«
»Ich würde mich schrecklich fühlen, wenn ich jemandem noch extra Sorgen bereitete, wenn der Weltuntergang bevorsteht. Außerdem würde es mir nicht gefallen, wenn ich keine Antwort bekäme. Jemandem einen Antrag zu machen kann schon bedeutsam sein, aber ich glaube nicht, dass ich es tun würde.«
»Ich glaube, du nimmst das zu ernst, Nanako.«
»Ach, wirklich?«
»Auf jeden Fall! Und außerdem ist es nicht so, dass die Welt morgen untergeht.«
»Ja, das denke ich auch.«
»Und du, Kazu? Was würdest du tun?« Nanako beugte sich über die Theke nach vorn. Auch Saki blickte Kazu erwartungsvoll an.
»Also, ich würde …«
»Hallo! Willkommen«, rief Kazu automatisch in Richtung Eingang und setzte ihr Bedienungsgesicht auf. Nanako und Saki drängten daraufhin nicht weiter auf eine Antwort. Statt Kundschaft kam allerdings ein Mädchen in einem hellrosafarbenen Kleid hereinspaziert.
»Ich bin wieder da!«, rief die Kleine energisch. Es war Sachi Tokita, Kazus siebenjährige Tochter. Sie schleppte eine offenbar ziemlich schwere Umhängetasche und hielt eine Postkarte in der Hand. Diese war von ihrem Vater Koku Shintani, Kazus Ehemann, einem weltbekannten Fotografen. Er hatte in die Familie Tokita eingeheiratet und auch diesen Nachnamen angenommen, arbeitete aber unter seinem eigenen Namen. Für die Arbeit war er ständig in der Welt unterwegs und fotografierte Landschaften; in Japan verbrachte er nur wenige Tage im Jahr. Deshalb schickte er Sachi regelmäßig eigene Fotos als Postkarten.
»Willkommen zurück!«, rief Nanako, während Kazu den jungen Mann anschaute, der Sachi ins Lokal gefolgt war. Es war Reiji Ono, Teilzeitkraft im Café.
»Guten Morgen«, rief Reiji. Er war lässig mit Jeans und weißem T-Shirt bekleidet und schien etwas außer Atem zu sein. Schweißperlen auf seiner Stirn zeugten davon, dass er den Berg heraufgehastet war.
»Es ist Zufall, dass wir gleichzeitig kommen«, erklärte er, obwohl keiner danach gefragt hatte.
Reiji verschwand in der Küche und man hörte, wie er Nagare begrüßte. In zwei Stunden begann die geschäftige Mittagszeit, und demnächst würden sie mit den Vorbereitungen beginnen.
Sachi setzte sich an den Tisch am großen Fenster, von dem man einen herrlichen Blick auf den Hafen von Hakodate hatte. Sie betrachtete diesen Platz offenbar als ihr privates Studierzimmer.
Neben Nanako und Saki befanden sich noch andere Gäste im Café. Den Tisch gleich beim Eingang belegte ein älterer Herr im schwarzen Anzug, und am Vierertisch saß eine Frau etwa im Alter von Nanako. Sie war gleich nach Ladenöffnung hereingekommen und hatte seitdem verträumt zum Fenster hinausgeblickt. Das Café öffnete morgens schon um sieben, um für Touristen bereit zu sein, die den Markt besuchten.
Sachi wuchtete ihre Tasche auf den Tisch. Offenbar war etwas Schweres darin, denn es rummste laut.
»Was ist denn dadrin? Warst du wieder in der Bücherei?«
»Mhm.«
Nanako nahm gegenüber von Sachi Platz. »Du magst Bücher gern, nicht wahr.«
»Mhm.«
Nanako wusste, dass Sachi an jedem schulfreien Tag gleich morgens in die Bücherei ging, um sich neuen Lesestoff zu besorgen. Heute war ihre Grundschule zum speziellen Andenken an deren Gründungstag geschlossen. Sachi breitete genüsslich die frisch ausgeliehenen Bücher auf dem Tisch aus.
»Welche Art Bücher liest du denn gern?«
»Ja, das würde ich auch gerne wissen, was für Bücher du magst.« Saki Muraoka erhob sich vom Barhocker und kam herüber. »Was hast du dir geholt?«
Nanako beugte sich vor und griff sich ein Buch. »Aufgaben zu imaginären und ganzen Zahlen.«
Saki nahm sich auch eines. »Die Apokalypse in einem endlichen Universum.«
»Moderne Quantenmechanik und die unfehlbare Diät.«
Nanako und Saki lasen abwechselnd Buchtitel vor.
»Probleme der klassischen Kunst am Beispiel von Picasso.«
»Die spirituelle Welt afrikanischer Textilien.«
Mit jedem Buch, das sie aufhoben, wich etwas von der Begeisterung aus ihren Mienen. Sie waren von den Titeln doch einigermaßen verblüfft. Auf den Tisch lagen weitere Bücher, deren Titel sie noch nicht verkündet hatten, aber sie schienen beide die Lust zu verlieren.
»Also, hm, das scheinen mir ja alles ziemlich schwierige Themen zu sein!«, bemerkte Nanako und verzog das Gesicht.
»Schwierig? Meinen Sie das wirklich?« Sachi neigte unsicher den Kopf zur Seite.
»Sachi, Liebes, wenn du diese Bücher alle verstehst, dann müssen wir ab jetzt Dr. Sachi zu dir sagen, fürchte ich!«, seufzte Saki, die immer noch auf Die spirituelle Welt afrikanischer Textilien starrte. Dem Anspruch nach glich das Buch der medizinischen Literatur, die Saki als Psychiaterin las.
»Sie hat kein Interesse daran, das alles zu verstehen. Sie sieht sich nur sehr gern das interessante Geschriebene an, weiter nichts«, bemerkte Kazu hinter der Theke, wie um die beiden erwachsenen Frauen zu trösten.
»Trotzdem … Ich muss schon sagen!«
»Ja … Wow.«
Die beiden wollten damit sagen, dass siebenjährige Schülerinnen normalerweise nicht solche Bücher aussuchen würden.
Nanako ging zur Theke zurück, griff sich das Buch, in dem Saki gelesen hatte, und begann zu blättern. »So ein Buch ist eher nach meinem Geschmack.«
Damit meinte sie, dass ihr Bücher mit wenigen Zeilen auf jeder Seite lieber waren als welche mit dicht gedrängtem Text in winzigen Buchstaben.
»Was ist das denn für ein Buch?« Es schien nun auch Sachi zu interessieren.
»Möchtest du ein bisschen darin lesen?« Nanako reichte ihr das Buch, und Sachi las mit leuchtenden Augen: »Was, wenn die Welt morgen untergeht? Hundert Fragen. Das hört sich aber interessant an!«
»Willst du es einmal versuchen?«
Nanako hatte das Buch mitgebracht und freute sich, dass sich Sachi dafür interessierte.
»Na klar!«, antwortete Sachi.
»Also gut, dann fangen wir am besten gleich mal mit der ersten Frage an.« Nanako blätterte zur ersten Seite zurück.
»Frage Nummer eins: Vor Ihnen liegt ein Zimmer, in dem nur Platz für eine Person ist. Wenn Sie dieses Zimmer betreten, bleiben Sie vom Ende der Welt verschont.
Wenn die Welt morgen untergeht, was werden Sie tun?
Erstens, Sie betreten das Zimmer.
Zweitens, Sie betreten das Zimmer nicht.
Was würdest du tun, Sachi?«
»Hm.« Sachi zog die Augenbrauen zusammen. Nanako und Saki mussten lächeln, als sie das sahen, weil Sachi die Antwort ernsthaft zu erwägen schien. Ihr Lächeln nährte sich wahrscheinlich aus der Erleichterung, dass die Kleine im Grunde eben doch ein siebenjähriges Mädchen war.
»Ist die Frage zu schwierig für dich, Sachi?«, fragte Nanako und blickte Sachi forschend an.
»Ich würde das Zimmer nicht betreten«, verkündete Sachi voller Überzeugung.
»Aha?« Nanako klang verblüfft, weil Sachi so unbeirrt geantwortet hatte. Nanako hatte entschieden, das Zimmer zu betreten, ebenso Saki. Kazu verfolgte die Unterhaltung hinter der Theke völlig gleichgültig.
»Warum willst du nicht hineingehen?«, fragte Nanako. Sie schien wirklich erstaunt, dass sich eine Siebenjährige gegen das rettende Zimmer entscheiden könnte.
Sachi bekam die Verwunderung der beiden Frauen offensichtlich gar nicht mit, sie setzte sich aufrecht und lieferte eine für die beiden schier undenkbare Begründung.
»Nun ja, alleine zu überleben ist doch fast dasselbe, wie alleine zu sterben?«
»…«
Nanako und Saki hatte es offenbar die Sprache verschlagen.
»Sachi, deine Antwort ist besser als meine!«, erklärte Saki und machte eine Verbeugung. Sie musste dieser Begründung, die ihr selbst im Leben nicht eingefallen wäre, einfach Respekt zollen. Nanako und Saki wechselten einen Blick und schienen beide dasselbe zu denken: Vielleicht versteht die Kleine tatsächlich die schwierigen Bücher, die sie da liest!
»Ah, wie ich sehe, seid ihr wieder damit beschäftigt«, bemerkte Reiji, der aus der Küche gekommen war. Jetzt trug er eine Schürze. »Das Buch sieht man gerade überall.«
»Es muss wirklich bekannt sein, wenn sogar Reiji schon davon gehört hat!«, rief Saki erstaunt.
»Was soll das heißen – ›sogar‹?«
»Na, als eingefleischte Leseratte sind Sie mir bis jetzt noch nicht aufgefallen, das ist alles.«
»Hmpf! Nur damit Sie’s wissen: Ich bin’s, von dem sich diese Frau das Buch ausgeborgt hat.«
Eigentlich wäre es sehr unhöflich gewesen, »diese Frau« zu sagen, wenn Nanako praktisch danebensaß. Aber Reiji war zusammen mit Nanako aufgewachsen, und sie studierten an derselben Universität; deshalb nahm er sich bei ihr das eine oder andere heraus.
»Ach wirklich?«
»Ja, das stimmt. Reiji sagte, es sei interessant, und er hat es mir ausgeliehen. Das Buch ist auf dem Campus gerade in aller Munde.«
»Scheint ja wirklich Furore zu machen.« Saki Muraoka streckte die Hand aus, als wolle sie sagen: Lass doch mal sehen, und Nanako reichte es ihr.
»Alle fahren darauf ab.«
»Ja, hm, langsam kann ich mir auch vorstellen, warum.« Sie war ja vorhin selbst ganz absorbiert davon gewesen. Und jetzt hatte sogar die siebenjährige Sachi Feuer gefangen. Während sie ein bisschen weiterblätterte, hielt sie es für möglich, dass es zu einem landesweiten Bestseller wurde.
»Interessant«, meinte sie voller Bewunderung.
»Danke, das war wirklich köstlich«, sagte die junge Frau, die schon seit dem frühen Morgen im Café gewesen war, als sie von ihrem Platz aufstand. Reiji trabte eilig zur Kasse hinüber.
»Ein Eistee und eine Kuchenvariation, richtig? Siebenhundertachtzig Yen, bitte«, verkündete er nach einem Blick auf die Rechnung.
Wortlos zog die Frau ihren Geldbeutel aus der Handtasche. Dabei fiel ihr, ohne dass sie oder sonst jemand das bemerkte, ein Foto auf den Boden.
»Hier, bitte.« Sie reichte ihm einen Tausend-Yen-Schein.
Piep, piep machte die Kasse, während Reiji die Tasten drückte. Dann sprang mit einem gedämpften Kabloink die Geldschublade auf, und so gewandt, wie er das Wechselgeld herausfischte, war klar, dass er das schon unzählige Male getan hatte. »Sie bekommen zweihundertzwanzig heraus.«
Nachdem sie das Geld aus Reijis ausgestreckter Hand entgegengenommen hatte, ging die junge Frau zur Tür und murmelte dabei vor sich hin: »Das Mädchen hat recht. Ich wäre besser tot, als allein zu leben.«
»Danke … für … Ihren Besuch.«
Der Abschiedsgruß kam Reiji nicht so locker über die Lippen wie sonst.
»Was ist?«, fragte ihn Saki, als er, den Kopf immer noch zur Seite geneigt, von der Kasse zurückkam.
»Äh, im Augenblick … wäre es besser, ich wäre tot!«
»Was?«, kreischte Nanako auf.
»Äh, nein, nein! Ich meine die Frau gerade; sie sagte, sie wäre besser tot, als alleine zu leben«, erklärte Reiji hastig.
»Du darfst mich nicht so erschrecken!«, keuchte Nanako und versetzte Reiji, als er an ihr vorbeiging, einen Klaps auf den Rücken.
»Trotzdem …«, bemerkte Saki verblüfft in Richtung Kazu. Eine solche Bemerkung konnte man nicht ignorieren.
Kazu hatte den Blick immer noch auf den Eingang gerichtet. »Ja … wirklich seltsam«, erwiderte sie.
Für einen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben.
»Wie lautet denn die nächste?«, fragte Sachi und holte alle in die Gegenwart zurück. Ihre Augen flehten förmlich darum, mit den Hundert Fragen fortzufahren. Saki indessen warf einen Blick auf die Standuhr und erhob sich: »Oh, halb elf, es wird Zeit …«
Es gab im Café drei solche Standuhren, die fast bis zur Decke reichten – eine gleich beim Eingang, eine mitten im Café und eine neben dem großen Fenster mit Blick auf den Hafen. Saki hatte die Zeit von der mittleren Uhr abgelesen. Die beim Eingang ging vor, die neben dem Fenster ging nach.
»Ruft die Arbeit?«
»Ja«, bestätigte Saki, während sie ohne jede Eile Münzen aus ihrer Geldbörse abzählte. Sie wohnte nur einen Steinwurf vom Café entfernt. Es war bei ihr zur täglichen Gewohnheit geworden, vor der Arbeit auf einen Kaffee hereinzuschauen.
»Aber was ist denn mit der nächsten Frage, Dr. Saki?«, rief Sachi.
»Wir machen später weiter, okay?« Sie lächelte und legte dreihundertachtzig Yen auf die Theke.
Weil Sachi etwas missmutig dreinblickte, sagte Kazu: »Willst du nicht anfangen, die Bücher zu lesen, die du ausgeliehen hast?«
Sachis Miene hellte sich augenblicklich auf. »Okay.«
Lesen ging bei ihr so, dass sie viele Bücher gleichzeitig aufschlug und sie dann parallel las. Vielleicht hatte sie so betrübt ausgesehen, weil sie eben zum ersten Mal auf diese Weise mit anderen zusammen gelesen hatte. Das hatte ihr Spaß gemacht.
Sie griff sich eines der Bücher auf dem Tisch, ließ sich auf einen Stuhl fallen und fing umgehend an, schweigend zu lesen.
»Sie ist wirklich ein Bücherwurm«, bemerkte Nanako nicht ohne Neid. Mit anspruchsvoller Lektüre hatte sie selbst immer ihre Probleme gehabt.
»Dann bis später. Tschüss.« Saki winkte allen zu.
»Danke!«, rief ihr Reiji nach. Er klang nun wieder heiter wie gewöhnlich.
In der Tür drehte sich Saki unvermittelt um und sagte zu Kazu:
»Falls Reiko vorbeikommt, kannst du sie fragen, wie es ihr geht?«
»Aber sicher«, antwortet Kazu, nickte und machte sich daran, Sakis Tasse abzuräumen.
»Was ist denn mit Reiko los?«, wollte Nanako wissen.
»Ach, dies und das«, erwiderte Saki schnell und eilte zur Tür hinaus.
»Saki! Warte!«, rief ihr Nanako nach, als sie das Foto auf dem Boden bemerkte. Saki hörte es jedoch nicht mehr und hastete davon. Nanako hob das Foto auf und wollte ihr nachjagen, aber dann starrte sie es nur an und wandte sich verwirrt um.
»Kazu, das …« Anstatt Saki nachzulaufen, hielt sie Kazu das Foto hin. »Ich dachte, Saki hätte das fallen lassen, aber ich glaube, es gehört dieser Frau …«
Das Bild zeigte nicht Saki, sondern eine junge Frau, einen Mann ähnlichen Alters und ein Neugeborenes. Die Frau hielt das Baby in den Armen. Und es war noch eine weitere Person zu sehen: Yukari Tokita.
Yukari war die Frau, der das Café gehörte. Nagare, der hier arbeitete, war ihr Sohn und Kaname Tokita – Kazus Mutter – ihre jüngere Schwester. Yukari war eine temperamentvolle Frau, die spontan tat, was ihr gerade einfiel. Damit war sie genau das Gegenteil von Nagare, für den, aufgrund seiner Beständigkeit und seines Verantwortungsgefühls, immer die anderen zuerst kamen. Zwei Monate zuvor war Yukari mit einem amerikanischen Jungen, der das Café besucht hatte, nach Amerika gegangen, um seinen verschwundenen Vater zu suchen.
Als die Besitzerin plötzlich fort war, war nur Reiji, der gelegentlich aushalf, geblieben, um das Café zu führen. Yukari hatte das Café eigentlich bis zu ihrer Rückkehr, also wahrscheinlich für längere Zeit, schließen wollen. Reiji hätte sie so lange sogar den Lohn weiterbezahlt, denn sie hatte sich nicht vorstellen können, jemandem durch die Schließung Unannehmlichkeiten zu bereiten. Reiji allerdings ertrug die Vorstellung nicht, auf diese Weise zu schmarotzen.
Er hatte damals ohnehin eine Reise nach Tokio geplant und schaute bei der Gelegenheit im Café Funiculi Funicula vorbei, um Nagare, der es führte, zu fragen, ob der ihm nicht irgendwie dabei behilflich sein könnte, das Café in Hakodate in Betrieb zu halten. Nagare fühlte sich für das sprunghafte Verhalten seiner Mutter persönlich verantwortlich und willigte ein, das Café so lange zu führen. Das war in aller Kürze der Hintergrund, weshalb Nagare in Hakodate war und seine Tochter Miki im Café in Tokio alleine zurückgelassen hatte.
Im Detail war die Sache allerdings nicht so einfach. Wenn Nagare alleine gekommen wäre, hätte das längst nicht alle Probleme gelöst. Wie im Funiculi Funicula gab es auch im Café Donna Donna einen Platz, auf dem Gäste durch die Zeit reisen konnten. Dieser lag gleich beim Eingang und wurde von dem älteren Herrn in Schwarz besetzt.
Aber kein Kaffee, den Nagare einschenkte, war in der Lage, Gäste auf Zeitreise zu schicken. Dazu brauchte es eine weibliche Angehörige der Familie Tokita, die mindestens sieben Jahre alt war. Im Prinzip kamen dafür derzeit vier Personen infrage: Yukari, Kazu, Nagares Tochter Miki, die er in Tokio zurückgelassen hatte, und Kazus Tochter Sachi. Bekam eine Frau aus der Familie Tokita allerdings ein Mädchen, dann ging die Gabe für das Einschenken des Cafés auf die Tochter über, und die Mutter verlor die Fähigkeit.
Yukari war inzwischen in Amerika, Kazu hatte die Gabe an Sachi weitergegeben, und Nagares Tochter Miki war in Tokio geblieben, damit sie dort war, wenn ihre Mutter sie aus der Vergangenheit besuchte. Somit konnte im Café in Hakodate derzeit nur Sachi den Gästen den Kaffee für Zeitreisen einschenken.
Natürlich hätte Nagare auch allein nach Hakodate kommen können, dann hätte es dort halt niemanden gegeben, der Kaffee für Zeitreisen ausschenkt. Aber Sachi, gerade sieben geworden, hatte erklärt, sie wolle unbedingt mitkommen.
Mit sieben konnte sie natürlich nicht gut fern von ihrer Mutter leben. Glücklicherweise hatte sich Kazu erboten, Sachi nach Hokkaido zu begleiten. Eigentlich wollte Nagare das nicht annehmen, denn schließlich war es seine unzuverlässige Mutter, für die er einspringen musste. Miki indessen sagte, es mache ihr nichts aus, wenn ihr Vater für eine Weile fort war.
»Fumiko und Goro haben angeboten zu helfen, also ist das gar kein Problem. Und es ist ja nur, bis Grandma Yukari wieder da ist, oder? Ich werde das schon hinbekommen.«
Mikis Unterstützung hatte dann den Ausschlag gegeben, und die Sache war entschieden. Sachi war begeistert, und da der Aufenthalt eine ganze Weile dauern konnte, sorgte Kazu dafür, dass die Kleine auf die Schule in Hakodate wechselte.
Das Café in Tokio wurde also Fumiko und Goro anvertraut, die dort seit mehr als zehn Jahren Stammgäste waren, und Nagare, Kazu und Sachi machten sich auf die Reise nach Hakodate. Nun trieb alle einzig noch die Frage um, wann Yukari wohl zurückkehren würde.
Aller Augen waren auf Yukari auf dem Foto gerichtet.
»Sie ist noch so jung. Schaut nur, wie hübsch sie ist! Wie viele Jahrzehnte mag das wohl her sein?« Nanako stellte sich offensichtlich Yukaris Gesicht beim Aufbruch nach Amerika vor. Sie konnte ihre Verblüffung über die unfassbar jugendlich wirkende Yukari nicht verbergen. »Das Foto muss der jungen Frau gehören, die den ganzen Morgen hier war.«
Kazu nickte. Sie dachte dasselbe.
»Kazu, schau. Auf der Rückseite steht etwas geschrieben.«
»27.08.203020:31 Uhr …? Das ist das heutige Datum!«
Eigentlich musste das Foto, schon aufgrund von Yukaris jugendlicher Erscheinung, ziemlich alt sein. Aber auf der Rückseite war eindeutig das heutige Datum verzeichnet.
Noch verblüffender allerdings war, was hinter den Zahlen geschrieben stand:
Nanako neigte verwirrt den Kopf zur Seite. Kazu, die neben ihr stand, dachte: Das ist heute Abend …
Am selben Abend …
Gegen Ladenschluss befanden sich keine Gäste mehr im Donna Donna – nur der ältere Herr in Schwarz am Tisch gleich beim Eingang war noch da, und Sachi, die an der Theke saß und in ihren Büchern las.
»Ich denke, ich hole schon mal das Schild herein«, sagte Reiji zu Kazu, nachdem er noch einmal alle Tische abgewischt hatte.
»Ja, gute Idee.«
Es war inzwischen halb acht und draußen vollkommen dunkel geworden. Reiji ging hinaus, um das Reklameschild hereinzuholen, wobei die Türglocke gedämpft läutete.
Normalerweise schloss das Café um sechs; Gäste kamen nach Einbruch der Dunkelheit nur selten, weil die Straße so steil war. Während der Sommerferien blieb allerdings bis acht geöffnet, denn dann fanden auch im Dunkeln gelegentlich noch jugendliche Touristen den Weg ins Café.
Es war noch eine halbe Stunde bis Ladenschluss. Die Zeit für die letzten Bestellungen war aber schon verstrichen, und Kazu machte sich zum Schließen bereit.
»Sachi …«
Kazu sprach Sachi an, die immer noch an der Theke las, aber keine Antwort gab. Nicht, dass Kazu etwas anderes erwartet hätte; so war das fast immer. Trotzdem hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, Sachi wenigstens einmal beim Namen anzusprechen. Nun nahm Kazu das Lesezeichen, das neben Sachi lag, legt es behutsam in den Falz der geöffneten Seite und schloss das Buch.
Erst als die Schriftzeichen aus ihrem Gesichtsfeld verschwanden, schien Sachi zur Besinnung zu kommen. »Was ist, Mum?«
Sie klang, als hätte sie Kazu gerade erst neben sich bemerkt. Offensichtlich hatte sie nicht mitbekommen, dass Kazu sie vor wenigen Augenblicken schon einmal gerufen hatte.
»Wir schließen. Gehst du bitte nach unten und lässt ein Bad einlaufen?«
»Okay«, antwortete sie. Sie glitt behände vom Hocker, schnappte sich das Buch, das sie gelesen hatte, und huschte die Treppe neben dem Eingang hinunter. Sie wohnten im Keller des Cafés. Durch die Hanglage gab es allerdings auch dort ein Fenster mit Blick zum Hafen.
Kazu stand an der Kasse und zählte die Tageseinnahmen.
Kazu blickte auf und sah, dass die junge Frau wieder hereingekommen war.
Wie ich erwartet hatte.
Normalerweise hätte Kazu Gäste um diese Zeit abgewiesen, aber da war ja dieses Foto.
»Hallo. Willkommen.«