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Heiß. Heißer. Chelsea Fine.
Jenna Lacombe ist ein totaler Kontrollfreak – vor allem, was ihre Gefühle betrifft. Deshalb passt es ihr auch gar nicht, dass der sexy Bad Boy Jack Oliver ihr nicht mehr aus dem Kopf geht. Als er sich dann auch noch selbst zu Jennas Roadtrip einlädt, fällt es ihr immer schwerer, die Oberhand zu behalten.
Seit Jack sein altes Leben hinter sich gelassen hat, ist Jenna sein einziger Lichtblick. Doch obwohl die beiden eine heiße Nacht miteinander verbracht haben, hät sie ihn auf Abstand – bis Jacks Vergangenheit ihn einholt und für beide gefährlich wird …
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Seitenzahl: 397
Buch
Jenna hat mit Jack nur eine einzige Nacht verbracht. Das ist schon Monate her, aber dennoch kann Jenna die Stunden mit Jack nicht vergessen. Zu groß war die Anziehungskraft zwischen den beiden und zu leidenschaftlich die kurze gemeinsame Zeit. Doch Jenna ist ein kompletter Kontrollfreak, und eine wilde Affäre mit Jack wäre das Letzte, was sie gerade braucht. Bisher hat sie es auch ganz gut hinbekommen, Jack mit seinen Tattoos und seinem Bad-Boy-Charme von sich fernzuhalten. Aber als sie einen Road Trip zu ihrer Familie nach New Orleans plant und Jack sich als Beifahrer anbietet, lässt ihre Widerstandskraft schnell nach. Doch Jack hat Geheimnisse, die Jenna lieber nicht erfahren hätte – und die auch sie in Gefahr bringen können …
Autorin
Chelsea Fine lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Phoenix, USA. Sie verbringt möglichst viel Zeit damit zu schreiben und zu malen, um möglichst wenig ungeliebte Hausarbeit erledigen zu müssen. Dafür liebt sie Superhelden, Kaffee und verrückte Socken.
Außerdem von Chelsea Fine bei Blanvalet lieferbar:
Broken– Gefährliche Liebe
Trouble– Süchtig nach Dir
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CHELSEAFINE
Beyond
Ich bin dir verfallen
Roman
Aus dem Amerikanischen von Babette Schröder
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Right Kind of Wrong« bei Grand Central Publishing, New York.
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Erste Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2015 by Chelsea Lauterbach
Published by arrangement with Chelsea Lauterbach
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Blanvalet Verlag,
Neumarkter Straße 28, 81673 München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign,
unter Verwendung eines Motivs von dreamstime.com
Redaktion: Ulrike Nikel
Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-20001-5V003
www.blanvalet.de
Für Kristen, die mich so gut kennt und trotzdem immer noch mit mir befreundet ist.
Du bist die beste »Jenna«, die man sich als Freundin wünschen kann.
1
Jenna
»Na, sieh mal an, jetzt bist du ernsthaft verliebt. Richtig erwachsen. Ich bin ja so stolz auf dich«, sage ich und lächele meiner besten Freundin Pixie zu, während wir Kartons in unser Wohnheimzimmer schleppen. »Und was dich betrifft, Levi«, füge ich hinzu und wende mich an Pixies neuen, echt scharfen Begleiter, »gern geschehen.«
Er setzt einen Karton ab. »Ach ja?«
Ich nicke. »Hätte ich Pixie nicht gesagt, dass sie ihre Ängste einfach vergessen und zu ihrer Liebe stehen soll, wärst du immer noch ein unglücklicher Handwerker.«
»Ich bin immer noch Handwerker.«
»Ja, aber kein unglücklicher mehr.« Ich grinse. »Und das hast du mir zu verdanken.«
Er zieht Pixie in seine Arme und küsst sie auf die Schläfe. »Dann sollte ich mich wohl bei dir bedanken.«
Als sie anfangen, sich zu küssen, klingelt mein Telefon – ich bin froh, eine Ausrede zu haben, mich zu verdrücken und die beiden allein lassen zu können.
Ich schlüpfe in den Flur und schließe die Tür hinter mir.
»Hallo?«
»Hallo, Jenna.« Als ich die Stimme meiner Mutter höre, muss ich lächeln. »Wie geht es meiner Kleinen?«
»Gut«, antworte ich. »Pixie und ich sind fast fertig. Sie ist heute Abend mit ihrem Typ hergekommen, und wir haben beinahe schon alles eingeräumt. Bis auf ein paar Kartons, die noch bei den Cousinen stehen, aber die hole ich später ab. Und wie geht’s dir?«
Sie zögert. »Nun ja, mir geht es gut.«
So wie sie das »mir« betont, ist mir sofort klar, warum sie anruft.
»Grandma?«, seufze ich. »Schon wieder?«
»Ich fürchte, ja. Sie meint, jetzt geht es wirklich zu Ende – sie würde das genau spüren.«
Ich verdrehe die Augen. »Mom, das behauptet sie seit zehn Jahren, und dabei hatte sie nicht das Geringste, nicht mal einen Husten.«
»Ich weiß, bloß diesmal scheint es ernst zu sein.«
Alle paar Jahre teilt meine Großmutter der Familie mit, dass sie jeden Augenblick den Löffel abgeben wird. Die ersten beiden Male bin ich sofort mit der nächsten Maschine nach New Orleans geflogen, wo sie mit meiner Mutter und meinen jüngeren Schwestern in dem Haus lebt, in dem ich aufgewachsen bin. Doch als ich eintraf, war Granny gesund und munter – ihr fehlte rein gar nichts. Deshalb bin ich beim letzten Alarm nicht sofort zum Flughafen gestürzt, sondern habe mir ein paar Tage Zeit gelassen, in Ruhe zu erledigen, was so anlag – und als ich schließlich in New Orleans ankam, vergnügte meine »sterbende« Großmutter sich gerade in einer Karaokebar.
Insofern dürfte wohl klar sein, dass ich keinerlei Lust verspüre, schon wieder auf ihre alberne Tour hereinzufallen.
»Ganz bestimmt nicht«, sage ich. »Ich gebe nicht schon wieder mein hart verdientes Geld für einen Flug aus, damit Grandma mir was von Liebe und Schicksal erzählt, während sie laut eine Strophe aus Black Velvet zum Besten gibt. Sag ihr, ich werde sie erst dann besuchen, wenn ein Arzt bescheinigt, dass sie es tatsächlich nicht mehr lange macht.«
»Ach, Jenna. Werde bitte nicht theatralisch. Du bist ja bald genauso schlimm wie deine Großmutter.«
»Ich weiß«, räume ich mit gespielter Verzweiflung ein. »Aber wenn Granny so weitermacht und alle zwei Jahre groß ihren bevorstehenden Tod ankündigt, dürfte es schwer für mich werden, meinen Ruf als Dramaqueen der Familie zu verteidigen. Könntest du ihr bitte sagen, dass sie endlich mit dem Scheiß aufhören soll, anstatt dauernd zu versuchen, mich auszustechen. Ich bin für Theatralik zuständig und damit Punkt.
»Das ist nicht lustig, Jenna«, weist meine Mutter mich in einem eindeutig missbilligenden Ton zurecht.
»Doch, ist es«, widerspreche ich grinsend. »Und Grandma wäre meiner Ansicht.«
»Bitte sei zur Abwechslung mal ernst«, fordert sie mich auf.
Vergeblich, denn ich habe null Bock, die Eskapaden meiner Großmutter für bare Münze zu nehmen. »Ich befasse mich ernsthaft mit Grandmas Tod, wenn sie ernsthaft stirbt.«
Ein resignierter Seufzer dringt an mein Ohr. »Jenna, bitte.«
»Warum gehen wir überhaupt auf ihre Launen ein? Schließlich schikaniert sie uns damit. Wir lassen alles stehen und liegen, damit wir nicht zu spät kommen. Aber statt auf dem Totenbett ihre Hand zu halten, müssen wir ihr beim Karaoke die Daumen drücken. Nur deshalb zieht sie überhaupt diese Show ab. Warum machen wir eigentlich dieses Spiel immer wieder mit?«
»Sie ist sehr abergläubisch und fürchtet, ohne den Segen ihrer Verwandten kein Glück im Leben nach dem Tod zu finden. Das weißt du doch.«
Jetzt war es an mir, vernehmlich zu seufzen – ich hatte es langsam dicke.
Wie sollte ich das je vergessen? Seit meiner frühesten Kindheit tyrannisiert Grandma uns mit diesem abergläubischen Kram. Damit hat sie ihre Familie unerbittlich im Griff, bestimmt über sie, kontrolliert sie. Auch wenn es uns zum Hals raushängt – schlimm ist bloß, dass ihre Voodoo-Eingebungen so unheimlich zutreffend sind. Verstörend, total krass. Und das macht es uns schwer, ihre Marotten einfach zu ignorieren.
Ob man nun daran glauben will oder nicht. Fakt ist, dass meine Großmutter schon viele Ereignisse korrekt vorausgesehen hat. Sie weiß genau, was jemand vorhat, was er denkt oder was ihn antreibt, wenn sie ihm nur die Hand schüttelt. Einfach gruselig. Und als ob das nicht reichen würde, nutzt sie unsere Angst vor ihren übersinnlichen Kräften auch noch, um uns zu manipulieren.
Ihre wiederkehrende Ankündigung, bald zu sterben, ist ihre schärfste Waffe, und bislang hat sie immer ihr Ziel erreicht, denn jedes Mal fallen wir darauf rein. Was, wenn sie zur Abwechslung recht behalten sollte?
»Ja, ja«, murmele ich mit unverhohlenem Zynismus. »Scheint, dass ihr Abschied von dieser Welt mit allem Drum und Dran zelebriert werden muss. Das beansprucht sie.«
Ich höre, wie meine Mutter geräuschvoll einatmet. »Darum geht es nicht allein, obwohl es stimmt. Deine Großmutter fühlt sich einfach nicht wohl und möchte dich gerne sehen, weil sie mal wieder ihre Ahnungen hat.« Als ich nichts sage, fügt sie hinzu: »Und würdest du dich nicht schrecklich fühlen, wenn es diesmal wirklich so wäre und du hättest dich nicht von ihr verabschiedet?«
Aha, meine Mutter will mir ein schlechtes Gewissen machen, spielt die Schuldkarte aus. Ein ganz mieser Trick, den alle Mütter draufzuhaben scheinen.
Ich gebe mich geschlagen. »Okay, ich komme – einen Flug zahle ich allerdings nicht. Diesmal fahre ich mit dem Auto.«
»Den ganzen Weg von Tempe bis nach New Orleans?«
»Ja. Dadurch spare ich eine Menge Geld. Ich muss bloß noch organisieren, dass jemand bei der Arbeit meine Schichten übernimmt, und dann mache ich mich morgen früh auf den Weg.«
»Hervorragend. Grandma wird überglücklich sein.«
»Ja, ja – so happy, dass sie eigens für mich Karaoke singt«, frotzele ich.
Meine Mutter räuspert sich leicht indigniert. »Schön, also bis demnächst. Ich freue mich, dass du kommst.«
Damit ist das Gespräch beendet, und ich gehe zurück in das Zimmer, wo Levi und Pixie so richtig in Fahrt gekommen sind.
»Gott. Ist das euer Ernst?«, sage ich und verziehe leicht angewidert das Gesicht. »Ich weiß, ihr habt euch erst vor ein paar Stunden wiedergesehen, aber echt! Ihr seid schließlich nicht alleine im Raum.«
Levi scheint keine Notiz von mir zu nehmen, denn er macht weiter an Pixie rum, und die lässt sich Zeit, bevor sie von ihrem Loverboy ablässt und meine Anwesenheit endlich zur Kenntnis nimmt.
Mit einem verträumten Lächeln blickt sie auf mein Handy. »Wer war das?«
»Meine Mom.« Ich atme hörbar aus. »Grandma behauptet, dass sie sterben wird.«
»Schon wieder?« Pixie beißt sich auf die Lippe.
Ich nicke. »Darum fahre ich morgen hin und versuche zurück zu sein, bevor die Uni losgeht.«
Pixie löst sich einen kleinen Schritt von Levi. Gerade so viel, dass er nicht länger an ihren Haaren herumschnüffeln kann – ich schwöre, das hat er gerade getan. Die beiden sind dermaßen verliebt, dass es schon fast abstoßend ist. Widerwillig macht Levi sich wieder ans Auspacken.
»Allein?«, erkundigt Pixie sich besorgt, und ihre grünen Augen weiten sich.
Wir beide, sie und ich, haben uns letztes Jahr im ersten Semester an der Arizona State University kennengelernt. Wir waren im selben Wohnheim untergebracht und wurden Zimmergenossinnen. Während der Semesterferien mussten wir unsere Studentenbude verlassen und uns den Sommer über etwas anderes suchen. Pixie kam bei ihrer Tante unter, der ein kleines Hotel nördlich von hier gehört, und hatte somit zugleich einen Ferienjob. Ich hingegen bin in Tempe geblieben und zu meinen drei Cousinen gezogen, die ebenfalls aus Louisiana nach Arizona gezogen sind. War ganz okay, aber jetzt bin ich froh, wieder mit meiner besten Freundin zusammenziehen zu können.
Wir studieren beide Kunst – sie Malerei, ich Bildhauerei –, sodass wir haufenweise Gemeinsamkeiten haben und uns super verstehen. Sie ist die beste Freundin, die ich je hatte. »Ja.« Ich lege das Telefon weg. »Allein.«
Pixie wirkt nach wie vor skeptisch. »Das hört sich aber nicht sehr spaßig an. Auch nicht besonders sicher.«
Levi blickt zu mir herüber. Es ist einer dieser beschützenden Großer-Bruder-Blicke, und ich unterdrücke ein Lächeln. O Gott, wie süß. Er kennt mich kaum und scheint dennoch um meine Sicherheit besorgt. Zum bestimmt hundertsten Mal freue ich mich im Stillen, dass er und Pixie sich gefunden haben. Für sie ist er einfach perfekt. Mich würde so ein Typ allerdings verrückt machen.
»Ich komme klar«, erkläre ich den beiden, winke ab und nehme meine Tasche. »Jetzt muss ich noch bei der Arbeit vorbei, damit die eine Vertretung für mich organisieren, und anschließend fahre ich zu meinen Cousinen, schlafe dort auch. Mit andern Worten: Ich werde eine Weile weg sein, ihr zwei könnt also weiter an der Wand herumknutschen oder was immer tun.« Ich zwinkere Pixie zu. »Bis später.«
Mein erstes Ziel ist der Thirsty Coyote, wo ich hinter der Theke arbeite. Es ist ein ordentlicher Job für eine Collegestudentin. Gute Arbeitszeiten, gutes Geld. Und er passt zu mir. Drinks auszuschenken ist zwar nicht mein Traumjob, aber er hilft mir, mein Studium bis zum Abschluss zu finanzieren und danach hoffentlich meine eigene Galerie zu eröffnen – denn genau das ist mein Traumjob.
Ich betrete die Bar und gehe nach hinten durch. Der Laden ist wie immer um diese Zeit ziemlich voll. Ich muss mich durch die Menge drängeln, um an den Tresen zu gelangen.
»Cody«, rufe ich meinem Kollegen zu.
Er dreht sich um und lächelt mir zu. »Was gibt’s, Jenna? Ich dachte, du hättest heute Abend frei.«
»Hab ich auch. Aber ich muss für den Rest der Woche ein paar Schichten abgeben. Darum dachte ich, ich komme schnell vorbei und frage meinen Lieblingskollegen …«
Ich klimpere affektiert mit den Wimpern, als wollte ich ihn anbaggern. Müsste ich gar nicht. Zum einen würde ich damit nichts erreichen, weil Cody nicht auf mich steht – zum anderen wird er meine Schichten sowieso übernehmen, weil er das Geld braucht.
Er grinst. »Ich höre …«
Ich öffne meinen Kalender und zeige ihm die Tage, an denen ich weg sein werde. Wie erwartet, ist er sofort bereit einzuspringen. Für sämtliche Schichten.
Während Cody nach hinten geht, um die Vertretung gleich in den Personalplan einzutragen, warte ich am Tresen und überlege, wie lange ich wohl nach New Orleans unterwegs sein werde. Mindestens zwanzig Stunden schätzungsweise. Uff. Pixie hat recht. Das wird wirklich kein Vergnügen.
Mein Blick wandert über die Menge und bleibt an einer großen Gestalt hängen, die in der Ecke steht. Stahlgraue Augen. Widerspenstige schwarze Haare. Tätowierte Arme und breite Schultern. Sofort ist mein Körper in Alarmbereitschaft.
Jack Oliver.
Es überrascht mich nicht, ihn hier zu sehen. Er kommt andauernd her, allerdings zumeist in Begleitung seiner Freunde. Ein Typ, der fast notorisch gut gelaunt ist. Jetzt telefoniert er gerade und sieht für seine Verhältnisse ziemlich sauer aus. Die grauen Augen sind zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, sein Kiefer wirkt angespannt. Aber ich will nicht lügen. Wut steht ihm.
Mit seiner Größe von über eins achtzig, seinen breiten Schultern und den vielen Tattoos wirkt Jack auf den ersten Blick eher ein wenig bedrohlich. Dabei ist er ein richtiger Softie. Jack wütend zu erleben ist somit eine neue Erfahrung für mich.
Eine scharfe Erfahrung.
Er merkt, dass ich ihn beobachte und hebt das Kinn zum Gruß. Kurz verschwindet sein Ärger, und er verzieht die Lippen zu einem schiefen Grinsen, dann konzentriert er sich erneut auf sein Telefonat, ballt die freie Hand zur Faust und beendet das Gespräch.
Interessant, hochinteressant.
Jack schiebt das Telefon in die hintere Hosentasche und kommt auf mich zu.
»Was ist los?«, frage ich. »Sah aus, als wärst du wütend.«
Er zuckt mit den Schultern. »Ach, nichts. Familienkram.«
Ich seufze hörbar. »Gott, das kenne ich zur Genüge.«
Als er nickt, treffen unsere Blicke sich und bleiben aneinander hängen.
Eins.
Zwei.
Ich hasse diesen Aspekt unserer Freundschaft. Es lässt mich unwillkürlich daran denken, was letztes Jahr in einer schwülen Nacht passiert ist, als wir betrunken waren. Die Erinnerung daran sollte mich eigentlich nicht mehr derart anmachen, tut sie aber. Allerdings ist es schwer, bei Jack nicht weich zu werden – vor allem beim Blick seiner grauen Augen, die von einem hellgrünen Rand umgeben sind, schwarze Sprengsel haben und manchmal fast silbern wirken.
Wir reden nie über damals, was auch gut so ist. Doch in Momenten wie diesen, wenn er mich so durchdringend ansieht, spüre ich fast wieder seine Hände auf meinem Körper. Wie er mit den Fingerspitzen über meine Haut gestrichen hat. Mit den Innenflächen seiner Hände über meine Rundungen …
»Hier.«
Cody kehrt mit dem Personalplan zurück, damit ich ihn abzeichne, und ich danke ihm im Stillen für die Störung.
Mich Erinnerungen an Jacks Hände hinzugeben, oder an andere Teile seines Körpers, führt zu nichts Gutem.
»Ich habe deine Schichten übernommen und bei dir Urlaub eingetragen«, sagt Cody.
»Danke.« Ich nehme das Buch und zeichne die Änderungen ab.
»Hey Jack.« Cody nickt ihm zu. »Was willst du trinken?«
»Nur ein Bier«, sagt Jack und lässt sich auf dem Barhocker neben mir nieder.
Er kommt mir so nah, dass ich sein Shampoo riechen kann. Es duftet nach Natur, nach Holz, Sägespänen und Pinien – ein Geruch, der schon wieder Erinnerungen in mir aufsteigen und mein Herz erneut schneller schlagen lässt.
»Wohin fährst du in Urlaub?« Sein warmer Atem streicht über meine Schulter und treibt eine Welle heißen Verlangens durch meinen Körper.
Zur Hölle mit ihm.
Bei genauerer Überlegung: zur Hölle mit mir. Warum fühle ich mich von ihm dermaßen angetörnt?
Eigentlich passt das nämlich gar nicht zu mir. Ich schwöre: Männer stehen ganz unten auf meiner Prioritätenliste. Erst kommen Schokolade, Tattoos, hundert andere Dinge – und ganz am Ende Männer. Eine Frau braucht nämlich keinen Kerl, um ein erfülltes Leben zu führen. Dafür bin ich der lebende Beweis.
Ich antworte ihm, ohne den Blick von dem Personalbuch zu lösen.
»Nach New Orleans, um meine Grandma zu besuchen.«
Er nickt. »Stirbt sie mal wieder?«
Sogar meine Freunde wissen inzwischen, wie lächerlich die regelmäßig wiederkehrenden Drohungen meiner durchgeknallten Großmutter sind.
»Yep.« Ich lasse das Pploppen. »Ganz Dramaqueen, als die sie sich zu inszenieren pflegt, kostet sie ihre Rolle voll und ganz aus. Sie liebt diese Auftritte.«
Jack grinst. »Du klingst irgendwie neidisch. Als ob du darauf warten würdest, dass du endlich mit deiner Exzentrik zum Zuge kommst.«
Jack und ich haben uns vor zwei Jahren kennengelernt, als ich im Thirsty Coyote anfing und er mich eingearbeitet hat. Wir sind gleich Freunde geworden, und inzwischen kennt er mich ziemlich gut mit all meinen Besonderheiten. Er weiß um meine Ungeduld, meine Rücksichtslosigkeit, wenn ich etwas durchsetzen will, und nicht zuletzt um meinen Hang zum Theatralischen, mit dem ich meiner Großmutter kaum nachstehe.
Cody stellt Jacks Bier auf die Theke und fragt mich: »Fliegst du heute Abend?«
»Nein.« Ich klappe das Buch zu und reiche es Cody. »Diesmal werde ich mit dem Auto fahren, morgen früh geht’s los.«
Jack wendet mir sein Gesicht zu, zwischen seinen Brauen bildet sich eine leichte Furche.
»Du willst mit dem Auto bis nach Louisiana düsen?«
Wir stammen beide aus diesem Bundesstaat im alten amerikanischen Süden. Ich aus New Orleans, er nördlich davon aus einer Kleinstadt namens Little Vail. Die Tatsache, dass wir praktisch in der gleichen Gegend aufgewachsen sind, obwohl wir uns erst auf der anderen Seite des Landes, in dieser Bar in Arizona, begegneten, hat uns von Anfang an verbunden.
Das und Tequila.
»Ja, was denkst denn du. Ich gebe doch nicht Hunderte Dollar für ein Last-Minute-Ticket aus. Wenn Grandma das nächste Mal beschließt, tot umzufallen, muss sie mir mindestens einen Monat vorher Bescheid sagen.«
Jack trinkt einen Schluck von seinem Bier, mustert mich jedoch weiterhin unverwandt.
»Was ist?«, erkundige ich mich ungehalten.
Er zuckt die Schultern. »Das ist eine ziemlich lange Fahrt für einen allein.«
»Möglich, aber zum Glück fahre ich gern Auto.« Ich wende mich Cody zu. »Danke, dass du für mich einspringst. Ich schulde dir was. Bis bald, Jack.«
Als ich mich zum Gehen anschicke, rempelt mich so ein betrunkener Typ an, und ich falle rücklings gegen Jacks Brust.
Der packt mich automatisch bei den Hüften, und meine Hüften wünschen sich prompt, dass er mir die Jeans runterreißt.
Meinem Körper ist offenbar nicht zu trauen, keinem einzigen Teil.
»Pass doch auf.«
Unwirsch ranze ich den betrunkenen Typen an und schubse ihn ein Stück von mir weg nach vorn, damit ich mich von Jack lösen kann.
Langsam nimmt mein tätowierter Softie die Hände von meinen Hüften.
Schade, denke ich und senke sehnsüchtig die Lider.
Verdammt, ich brauche eindeutig Sex. Nicht mit Jack – das wäre eine Katastrophe –, sondern mit einem anderen Mann. Bald. Um Sex mit Jack aus meinem System zu bekommen.
Wieder mal, denn das habe ich in letzter Zeit ziemlich häufig versucht.
Als ich blinzelnd aufblicke, merke ich, dass Jack mich beobachtet. Eindeutig hat er meinen Moment der Schwäche bemerkt, mein Verlangen nach ihm.
Mist.
»Pass auf dich auf, Jenn«, sagt er leise, und seine Worte kribbeln auf meiner Haut.
Jack ist der einzige Mensch, dem ich erlaube, mich »Jenn« zu nennen. Keine Ahnung, warum. Vermutlich liegt es an seiner Stimme – sie ist tief und sexy und streichelt meine Ohren, die sich nach so was verzehren.
Zur Hölle mit ihm, zur Hölle mit ihm, zur Hölle mit ihm.
»Mach ich«, verspreche ich und trete betont lässig zurück. »Ich gehe dann mal. Wir sehen uns, wenn ich zurück bin.
Mit diesen Worten drehe ich mich um und zwänge mich durch die Menge zur Tür. Jacks Blicke folgen mir. Ich spüre es, ohne es zu sehen.
2
Jack
Es gibt nur zwei Dinge, über die ich niemals spreche: meine verrückte Familie und meine Geschichte mit Jenna. Und in diesem Moment habe ich es mit beiden zu tun.
Ich beobachte, wie Jenna sich zur Tür durchkämpft, und kann nichts gegen das ungute Gefühl tun, das mich befällt. Die Vorstellung, dass sie sich allein auf eine so lange Autofahrt begibt, gefällt mir gar nicht. Sie ist selbstständig und klug, okay, und ich weiß, dass sie auf sich aufpassen kann, aber das beruhigt mich nicht im Geringsten.
Sie hat die langen, dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, was ihre goldfarbenen Augen und ihre hohen Wangenknochen noch mehr zur Geltung bringt. Dass sie zur Hälfte Kreolin ist, erklärt den bronzenen Schimmer ihrer Haut und unterstreicht ihre Schönheit noch. Sie sieht echt toll aus, richtig geil. Das schulterfreie Top lässt eine Menge von ihren Tattoos sehen, doch ich weiß, dass sie sich nicht auf die sichtbaren Stellen beschränken, sondern ebenfalls dort zu finden sind, wo sie jetzt den Blicken durch Kleidungsstücke entzogen sind.
Tattoos und sexy Kurven. Sie ist rasant und nicht zu bändigen, und sie macht mich total verrückt.
Als sie mit schwingenden Hüften durch die Tür entschwindet, zieht sich mein Magen zusammen. Wenn ihr jemals etwas zustoßen sollte oder wenn irgendjemand versuchen würde, ihr etwas anzutun, dann … Himmel, das darf ich mir gar nicht vorstellen. Und darum ist es auch völlig inakzeptabel für mich, dass Jenna drei Tage lang allein mit dem Auto über einsame Freeways und durch öde, verlassene Gegenden fährt.
Das gefällt mir nicht – nein, das gefällt mir ganz und gar nicht.
Mein Mitbewohner Ethan, der offenbar in irgendeinem Duftwässerchen gebadet hat, lässt sich neben mir auf einen Barhocker fallen.
»Hey Kumpel.«
»Hey«, sage ich.
Ich habe in diesem Jahr schon mit mehreren Typen die Wohnung geteilt, doch Ethan ist mir bislang der liebste. Zumindest ist er derjenige, den ich am besten ertrage. Was vermutlich daran liegt, dass wir befreundet sind, seit ich aus Louisiana nach Arizona gezogen bin – und so verschieden wir in vielerlei Hinsicht sein mögen, wir kommen ziemlich gut miteinander klar.
»War das Jenna, die da eben gegangen ist?« Er deutet mit dem Kopf in Richtung Tür.
»Ja.«
Ethan verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Womit hast du sie diesmal verärgert?«
Ich muss grinsen. Dass ich sie ständig gegen mich aufbringe, ist ein wunder Punkt, aber ich kann nicht anders. Allerdings ist sie selbst schuld. Würde sie sich einfach wie eine Erwachsene benehmen und mit mir über unseren Ausrutscher vom letzten Jahr sprechen, könnte ich mich ebenfalls anders verhalten. Doch so zu tun, als wäre nie etwas zwischen uns passiert, das ist nicht nur ein No-Go, sondern darüber hinaus beleidigend. Einfach kränkend. Schließlich ist sie nicht irgendein Mädchen, das ich mal so nebenbei abgeschleppt habe.
Herrgott, sie ist Jenna.
Aber wenn sie es nicht anders will – okay, dann spiele ich mit. Auf meine Weise allerdings. Und deshalb ist sie hin und wieder sauer auf mich. Ich denke mal, das hat damit zu tun, dass sie nicht so abgeklärt ist, wie sie tut, und dass ich ihr mehr bedeute, als sie zugibt.
Hoffe ich zumindest.
»Ausnahmsweise«, erwidere ich, »habe ich sie diesmal kein bisschen geärgert. Tatsache.«
Ethan schüttelt den Kopf. »Ich weiß sowieso nicht, warum du sie immer aufziehen musst.«
»Weil es Spaß macht.« Ich zucke die Schultern. »Und außerdem macht sie mich wütend, wenn sie loszieht und mit irgendwelchen Idioten schläft.« Nachdenklich drehe ich mein Bierglas zwischen den Händen. »Sie weiß doch, dass sie was Besseres haben kann.«
»Jaaaa«, sagt Ethan gedehnt und schürzt die Lippen. »Dich interessiert viel zu sehr, mit wem Jenna schläft. Das ist nicht gesund, Alter.«
Ich unterdrücke ein Stöhnen. »Ich weiß.«
Ethan bestellt bei Cody etwas zu trinken, während ich in mein Bierglas starre.
Es sollte mir wirklich egal sein, mit wem Jenna schläft, zumal ich in dieser Hinsicht selbst nicht gerade ein Engel bin. Aber verdammt. Ich kann nicht anders. Es gefällt mir nicht, dass sie einem anderen erlaubt, ihren Körper zu berühren.
Schon wieder klingelt mein Telefon.
Ich seufze vernehmlich. Seit einer Woche bekomme ich ständig Anrufe von meiner Familie, und das nervt mich ganz gewaltig. Vorhin erst musste ich meine hysterische Mutter beruhigen, die sich große Sorgen um meinen jüngsten Bruder Drew macht. Dabei ist der zwanzig und sollte mittlerweile auf sich selbst aufpassen können. Funktioniert wohl nicht, denn anscheinend macht er in letzter Zeit irgendwelche krummen Sachen – und das beunruhigt meine Mutter verständlicherweise. Sie flippt regelrecht aus, und mir gehen allmählich die besänftigenden Worte aus.
Eigentlich habe ich gehofft, nach diesem Endlosgespräch mit meiner Mutter für eine Weile Ruhe zu haben, doch jetzt will mein anderer Bruder, Samson, was von mir.
Das ist kein gutes Zeichen.
Widerwillig nehme ich das Gespräch entgegen und sage knapp: »Was?«
»Ruhig, Bruder«, erwidert Samson. »Ich bin nur der Bote, der die Nachrichten überbringt.«
»Ja und? So langsam habe ich die Nase voll von euren Nachrichten.«
»Was bitte soll ich denn deiner Meinung nach tun? Dich nicht anrufen? Drew einfach draufgehen lassen?«
»Nein, natürlich nicht«, erkläre ich resigniert
»Das habe ich mir gedacht. Leider scheint Drew in ernsthafteren Schwierigkeiten zu stecken, als wir anfangs gedacht haben. Das spüre ich, obwohl er nicht richtig mit der Sprache rausrückt. Mom geht es genauso, und wenn nichts passiert, rastet sie vollends aus. Du musst herkommen.«
Samson ist ein Jahr älter als Drew und ein Jahr jünger als ich und der Entspannteste von uns dreien. Eigentlich kaum aus der Ruhe zu bringen. Dass er mich in den letzten Tagen mehrfach angerufen hat, ist an sich schon ein beängstigendes Alarmzeichen.
Als ältester Bruder – und zudem einzige männliche Autoritätsperson in der Familie – ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle ruhig, cool und gelassen bleiben. Was, wie mir dieser Anruf beweist, zunehmend schwerfällt.
»Auf keinen Fall.« Obwohl er mich nicht sehen kann, schüttele ich energisch den Kopf. »Ich bin aus gutem Grund weggegangen, Samson. Ich komme nicht zurück. Unter gar keinen Umständen. Vergiss es.«
»Du kannst mich nicht hängen lassen – das ist unfair.« Er klingt total angespannt und zudem ziemlich verzweifelt. »Sag mir, was zum Teufel ich machen soll? Auf mich hört doch sowieso keiner.«
Ich fahre mir gereizt durch die ohnehin verstrubbelten Haare. »Sag Drew, er soll mich anrufen, dann knöpfe ich mir den Idioten mal vor.«
Samson stößt ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Leichter gesagt, als getan. Da nämlich liegt das Problem. Drew ist verschwunden.«
Für einen Moment denke ich, mein Herz setzt aus. »Davon hat Mom nichts gesagt.«
»Weil sie nicht wirklich wahrhaben will, dass ihr kleiner Junge in der Scheiße steckt. Sie meint, er treibt sich irgendwo herum, aber du und ich, wir beide wissen es besser.«
Hektisch fahre ich mir übers Gesicht, bemühe mich, nicht in Panik zu geraten oder loszubrüllen. Genau wegen dem Mist bin ich von zu Hause weg und nach Arizona gegangen.
Und jetzt holt mich alles wieder ein.
»Gut, ich komme«, willige ich schließlich ein. »Sag Mom, sie soll sich beruhigen, okay? Wenn sie vollends durchdreht, macht sie alles bloß noch schlimmer. Und damit ist keinem geholfen.«
»Verstanden. Bis dann.«
Ich lege auf und fahre mit dem Finger über mein kaltes Glas.
Drew ist verschwunden. Ich habe immer befürchtet, dass so etwas irgendwann passieren würde. Dass einer meiner Brüder trotz meiner Warnungen mit der Drogenszene in Berührung kommt. Man kann sich nicht mit Dealern abgeben und ungeschoren davonkommen.
»Alles klar bei dir, Kumpel?«, fragt Ethan und hebt mir sein Glas entgegen.
»Was? Ja. Oder wie man’s nimmt.« Unschlüssig halte ich inne und verziehe das Gesicht. »Familienprobleme eben.«
Er trinkt einen Schluck. »Du hast mir nie von deiner Familie erzählt. Warum nicht?«
Ich lege den Kopf in den Nacken. »Weil es da nichts zu erzählen gibt.«
In Wahrheit gäbe es massenhaft zu erzählen. Allerdings nichts, was die Leute gern hören. Und ich bin offen gestanden froh, dass ich mir in Arizona ein eigenes Leben aufgebaut habe. Ohne den Ballast der Vergangenheit. Ohne lastende Erwartungen.
Nun denn.
Seufzend mache ich mich daran, auf meinem Smartphone die Flugpreise zu checken. Kein einziges günstiges Angebot. Fliegen scheint verdammt teuer geworden zu sein. Aber plötzlich macht es in meinem Kopf klick. Jenna fährt doch nach New Orleans, und auf dem Weg muss sie ohnehin an Little Vail vorbei, das nur zwei Autostunden weiter nördlich liegt. Ich werde einfach bei Jenna mitfahren.
Eine in jeder Hinsicht geniale Idee.
3
Jenna
Kaum habe ich die Wohnung betreten, werde ich vom aufgeregten Geschnatter meiner Cousinen empfangen.
»Deine Mom hat angerufen«, sagt Alyssa und redet wie ein Wasserfall. »Sie sagte, dass du ganz allein mit dem Auto nach Hause fahren willst, um deine Großmutter zu sehen. Und dass du Fliegen zu teuer findest, aber das ist doch wohl nicht wahr, oder? Bitte sag, dass das nicht stimmt. Mutterseelensolo quer durch die Staaten zu fahren, wäre echt verrückt.«
»Total irre«, bekräftigt Becca und nickt mit dem Kopf. »Da draußen gibt es Killer, die sich als Trucker ausgeben. Die verfolgen und entführen dich und machen Lampenschirme aus deiner Haut und solche Dinge.«
Ich verziehe das Gesicht. »Was bitte …«
»Das stimmt«, pflichtet Callie, die Älteste der drei, bei. »Ich sehe immer diese Dokumentationen über merkwürdige Verbrechen im Fernsehen. Da wird ständig von jungen Mädchen berichtet, die allein irgendwohin fahren und nicht lebend zurückkehren, weil irgendein Psycho sie wie einen Truthahn gegrillt hat.«
Meine Cousinen starren mich aus großen Augen an und warten, dass ich ihre absurden Ängste zerstreue und ihnen sage, dass ich natürlich nicht allein mit dem Auto quer durchs Land fahre. Nicht ohne einen Lover oder zumindest einen Aufpasser, der über mich und meine Tugend wacht.
Ich verdrehe die Augen und dränge mich an ihnen vorbei in das kleine Wohnzimmer.
»Jetzt chillt mal, Mädels. Mich bringt niemand um. Und gegessen werde ich schon gar nicht.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?« Alyssa schafft es tatsächlich, die Augen noch weiter aufzureißen, sodass sie geradezu riesig wirken.
»Weil ich anders als ihr drei«, sage ich und deute auf jede Einzelne mit dem Zeigefinger, »nicht von einem überbesorgten Daddy großgezogen wurde, der mir vor allem und jedem Angst gemacht und mir zudem eingetrichtert hat, dass es nur einen Schutz gebe: einen Mann. Mich hat eine unabhängige Frau erzogen: Sherry Lacombe, meine Mutter, und deshalb kann ich selbst auf mich aufpassen.«
Ich liebe Onkel Noah, einen Cousin mütterlicherseits, aber heiliger Himmel, er hat mit seiner Overprotection ein Trio ängstlicher Kätzchen herangezogen. Früher war ich eifersüchtig auf meine Cousinen, weil sie einen Daddy hatten, der immer für sie da war und auf sie aufgepasst und endlos mit ihnen geredet hat. Wenn ich sie allerdings jetzt so ansehe, bin ich im Nachhinein gottfroh und dankbar, dass ich dem entgangen bin.
Nichts ist schließlich gefährlicher, als vor allem Angst zu haben.
»Du solltest wirklich lieber den Flieger nehmen, Jenna. Wir könnten doch alle den gleichen Flug nehmen – schließlich wollen wir vor Semesterbeginn auch noch mal kurz nach Hause«, schlägt Callie vor.
Becca nickt. »Ja, genau.«
»Ja«, echot Alyssa, während sie und ihre Schwestern mich flehend umringen.
»Und mein hart verdientes Geld verschwenden?« Ich schüttele den Kopf. »Nein. Kommt nicht infrage. Ich fahre mit dem Auto. Punkt. Keine Diskussion mehr. Also, entspannt euch.« Energisch schiebe ich die drei Cousinen beiseite und gehe Richtung Küche. »Gott, ihr benehmt euch wirklich wie eine Horde verschreckter Hühner. Die Männer, bei denen ihr mal landet, tun mir leid.«
Schockiert folgen sie mir.
In Momenten wie diesen wünsche ich, die Studenten dürften während der Sommerferien weiter auf dem Campus wohnen. Aber nein. Ich musste raus aus meinem gemütlichen Zimmer im Wohnheim, das ich mit Pixie geteilt habe, und bei meinen drei Cousinen einziehen. Typischen Südstaatenschönheiten, die heimlich um den Titel des mädchenhaftesten aller Mädchen zu wetteifern scheinen.
Obwohl sie die Wohnung heute ziemlich sicher nicht ein einziges Mal verlassen hat, ist Alyssa wie üblich total aufgetakelt.
Die langen Haare hochgesteckt, auffälliges, viel zu starkes Make-up und Ohrgehänge, die es auf eine Länge bringen, die in Zentimetern der Höhe ihrer High Heels entsprechen dürften. Für einen Ausflug nach Las Vegas wäre das okay, aber für einen normalen Dienstag im Wüstenstaat Arizona eher nicht.
Becca mit ihrer Stupsnase steht ihrer Schwester kaum nach. Sie hat die Haare mit einem rosafarbenen Haarband glatt zurückfrisiert, sich die Wangen rosa geschminkt und die Fußnägel knallpink lackiert. Trotz der Babyfarben wirkt sie umwerfend sexy, was mich gleichermaßen verblüfft und beeindruckt.
Und Callie? Nun ja, mit ihrem Busen könnte sie jedes Model für Bademoden eifersüchtig machen. Und weil sie das weiß, trägt sie aufreizende Klamotten, die so eng sind, dass sie meiner Meinung nach eigentlich eine Sauerstoffflasche zum Atmen braucht.
Irgendwie wirken sie mit ihren Schmollmündern allesamt lächerlich, wie Barbies fast, und es ist schwer zu glauben, dass wir miteinander verwandt sind. Mit meinen zahllosen Tattoos und Piercings und mit meiner Vorliebe für Punkrockerklamotten sehe ich wie ein halb kreolisches Baby von Amy Lee und Lara Croft aus, das zu viel Eyeliner zum Geburtstag geschenkt bekommen hat.
Überflüssig zu sagen, dass ich zwischen meinen Cousinen völlig deplatziert wirke. Doch obwohl ich mir alle Mühe gegeben habe, anders auszusehen, habe ich die Lacombe-Gene, hohe Wangenknochen und zierlicher Körperbau, geerbt. Außerdem trage ich mit Vorliebe jede Menge Schmuck – Ohrstecker und mindestens einen Ring an jedem Finger –, sodass ich unwillentlich ebenfalls irgendwie mädchenhaft wirke.
»Was willst du dann machen?«, fragt Becca, eine Hand zum Zeichen des Protests in die Seite gestemmt und das Kinn nach vorn geschoben. »Einfach deine Tasche packen, dich in deinen Kleinwagen setzen und mit deinem Smartphone als Navi drei Staaten durchqueren?«
Wenn Blicke töten könnten, wäre das Becca soeben passiert.
Mein roter Dodge Charger ist nämlich mein ganzer Stolz, und auf den lasse ich nichts kommen. Für diesen Luxus geht zwar die Hälfte meines Monatslohns drauf, aber egal. Ich liebe ihn, und insofern kränken mich die Worte meiner Cousine ganz gewaltig.
»Ja«, bestätige ich. »Genau das habe ich vor.«
»Das ist echt bescheuert!« Becca wedelt mit der Hand, die sie nicht in die Hüfte gestemmt hat, wild vor meiner Nase herum. »Was, wenn du dich verfährst?«
»Was, wenn du ausgeraubt wirst?«, setzt Callie eins obendrauf.
»Was, wenn man dich aufisst?« Alyssa meint es völlig ernst. »Ich will nicht, dass dich jemand aufisst«, fügt sie leise flüsternd hinzu.
Ungläubig starre ich sie an.
Es ist, als würde ich mit Tweedledee, Tweeldledum und Tweedledoom zusammenwohnen.
»Ja.« Ich wende mich dem Kühlschrank zu und hole eine Packung Eiscreme heraus. »Das wäre in der Tat ein Horrortrip. Aber seht es mal positiv. Wenn ich irgendwelchen Kannibalen in die Hände falle, könnt ihr drei meinen Kleiderschrank nach Herzenslust plündern und behalten, was immer euch davon gefällt.«
Callie schaut mich pikiert an. »Als ob wir irgendetwas von deinen Klamotten haben wollten. Zerrissene Jeans und Ledertops? Nein, danke.«
Ich hebe eine Braue. »Dein dicker Hintern würde sowieso nicht in meine Sachen passen.«
»Du bist doch nur neidisch auf meinen klasse Po.« Callie deutet mit der Hand vielsagend auf ihre ansehnlich gerundete Kehrseite.
»Ich bin hochzufrieden mit dem, was ich habe«, kontere ich und schiebe boshaft nach: »Wenigstens kann ich nach Herzenslust Eis essen.«
Alyssa, die ganz offensichtlich nicht von der Vorstellung loskommt, ich könnte neben dem Highway gegrillt und verspeist werden, schürzt die Lippen.
»Es gefällt mir einfach nicht, dass du allein mit dem Auto die ganze lange Strecke fahren willst«, erklärt sie zum wiederholten Mal.
Ich lächele. »Gib meiner Grandma die Schuld. Die Frau ›stirbt‹ immer in den unpassendsten Momenten.«
Natürlich sind die drei Cousinen, die ebenfalls aus New Orleans stammten, bestens mit den Marotten der exaltierten alten Verwandten vertraut.
Becca nickt. »Das stimmt. Meint ihr, dass sie diesmal wirklich krank ist?«
Alyssa zuckt mit den Schultern. »Wer weiß, wir werden es bei unserem Besuch sehen. Aber vor allem freue ich mich, bald wieder mal nach Hause zu fliegen. Ich vermisse Dad.«
»Ich auch«, pflichten die beiden anderen ihr bei und nicken zur Bekräftigung heftig mit dem Kopf.
Während sie sich anschließend gegenseitig versichern, was für einen tollen Vater sie haben, stelle ich die Eiscreme zurück und gehe in mein Zimmer, um zu packen. Ich brauche nicht lange. Eigentlich muss ich nur alles in den großen violetten Koffer stopfen, den meine Mutter mir geschenkt hat, als ich zu Hause ausgezogen bin, um in Arizona mit dem Studium zu beginnen.
Sie war zunächst nicht gerade erfreut darüber, dass ich Louisiana verlassen wollte. Ihr Wunsch wäre es gewesen, dass ich in der Nähe bleibe – und das aus gutem Grund. Ich bin nämlich für sie nicht bloß eine Art Freundin und Vertraute, sondern auch und vor allem eine wichtige Hilfe. Als Älteste habe ich mich immer mit um meine drei jüngeren Schwestern gekümmert: die vierjährige Shyla, die sechsjährige Raine und die sechzehnjährige Penny.
Dabei bin ich eigentlich ein Einzelkind.
Als ich zwölf war, beschloss meine Mutter jedoch, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen. Eigentlich sollte es eine vorübergehende Sache sein, aber Mom verliebte sich unweigerlich in jedes Baby, das zu ihr kam, und schaffte es, alle zu adoptieren. Als ich achtzehn wurde, war sie alleinerziehende Mutter von vier Kindern.
Meine Schwestern sind sehr lustig, können allerdings auch ganz schön anstrengend sein. Ich weiß, dass Mom dankbar war für meine Hilfe bei den Kindern und im Haushalt, vor allem nachdem Grandma bei uns einzogen war und mit dem »Sterben« anfing.
Wir waren eine sehr glückliche, wenngleich ziemlich bankrotte sechsköpfige weibliche Familie.
Ich kellnerte, meine Mutter hatte einen Job im Krankenhaus, so sind wir über die Runden gekommen. Allerdings fürchtete ich irgendwann, dauerhaft einer Zukunft als Kellnerin entgegenzusehen, in der ich von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck lebte.
Ich war schon fast zwei Jahre mit der Highschool fertig und verlor allmählich die Hoffnung, meinen Traum von einer eigenen Kunstgalerie je realisieren zu können, als mir die Arizona State University ein Kunststipendium anbot. Die Chance, ohne Studiengebühren eine Uni zu besuchen, durfte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Plötzlich hatte ich wieder eine Zukunft.
Meine Mutter hingegen war nicht gerade erbaut, als ich ihr von der für mich so überaus erfreulichen Wendung meines Schicksals berichtete. Vor allem Arizona störte sie, aber irgendwann akzeptierte sie es. Sah ein, dass ich weggehen musste – nicht allein der Uni wegen, auch weil ich etwas aus mir machen sollte. Schließlich war das ja für die ganze Familie eine Zukunftsoption.
Als ich dann Pixie kennenlernte, wurde mein Leben endgültig richtig toll.
Obwohl ich eineinhalb Jahre älter bin als sie, kommen wir beide diesen Herbst ins zweite Studienjahr, und ich könnte nicht glücklicher sein. Arizona war eindeutig eine gute Entscheidung für mich.
In solche Gedanken versunken, beginne ich den violetten Koffer zu packen, bis er beinahe überquillt und ich mich daraufsetzen muss, um den Reißverschluss zu schließen. Anschließend ziehe ich meinen Pyjama an, wünsche den gackernden Hühnern im Wohnzimmer eine gute Nacht und krieche ins Bett.
4
Jack
»Warum ist es dir so wichtig, wie ein Idiot auszusehen, sobald du die Wohnung verlässt?«, sage ich und nehme skeptisch Ethans Aufzug in Augenschein.
Nachdem wir die Bar verlassen haben, sind wir in unsere beschissene Wohnung zurückgekehrt, wo Ethan sich sofort in sein, wie er es selbst nennt, »Pfauenkostüm« geworfen hat – es ist in der Tat so schrecklich, wie es sich anhört. Dann ist er ins Bad gegangen, um vor dem Spiegel Grimassen zu schneiden. Ich dagegen habe angefangen, für die Reise mit Jenna, die noch nichts weiß von ihrem Glück, ein paar Klamotten einzupacken. Leider muss ich immer wieder am Bad vorbei und mit ansehen, was Ethan da so treibt.
»Das ist ein Blickfang«, verkündet Ethan und deutet auf seine hautenge lilafarbene Jeans und das schwarze Smokinghemd, an dem diverse Knöpfe offen stehen, um die drei goldenen Ketten auf seiner Brust zur Geltung zu bringen. »Erst ziehe ich mit meinem Outfit die Blicke der Damen auf mich. Dann erobere ich mit meinem Charme ihre Herzen.«
Ich schüttele den Kopf und ziehe meine Reisetasche aus dem Flurschrank.
»Ich weiß nicht, wo du diesen Mist gelesen hast, aber du siehst lächerlich aus. Wodurch ich ebenfalls lächerlich wirke. Bitte hör auf, mich lächerlich zu machen.«
»Sorry.« Er setzt in einem ganz bestimmten Winkel einen weichen Fedora-Hut auf und zuckt mit den Schultern. »Das geht nicht in der Disco.«
Ich verdrehe die Augen, wende mich ab und rufe ihm vom Flur aus zu: »In die Disco? Was bist du eigentlich? Ein Teenieschwarm, der Star einer Boygroup?« Ich schnaube verächtlich. »Jenna hat recht, Kumpel. Du hast echt keine Ahnung von Frauen.«
Höhnisch höre ich ihn etwas in seinen nicht vorhandenen Bart murmeln. »Zumindest habe ich Eier.«
Jetzt reicht’s. Ich werfe die Reisetasche auf mein Bett und gehe zur Badezimmertür, starre ihn wütend an.
»Was bitte soll das denn heißen?«
Er streicht über seinen offenen Kragen. »Dass Jenna dich an den Eiern hat und mit dir macht, was sie will.«
»Du kannst mich mal.«
»Hey Mann. Beschwichtigend hebt er die Hände. »Ich sage doch nicht, dass das schlecht ist. Ich meine nur, wenn Jenna behauptet, Vogelkacke sei lecker, dann würdest du ihr wahrscheinlich immer noch recht geben.«
Mit finsterer Miene wende ich mich ab. »Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Jenna zu tun. Du hast keine Ahnung von Frauen. Steh dazu.«
»Steh dazu«, spottet er, während ich weiter meine Sachen packe.
Mein Smartphone vibriert in meiner Hosentasche, ich ziehe es heraus und blicke gereizt auf das Display, bevor ich mich melde.
»Was ist?«
Samson schnalzt mit der Zunge. »Nichts Besonderes. Wollte mich bloß noch mal melden.«
»Was willst du, Mann?«
»Ich will gar nichts, rufe bloß auf Moms Wunsch hin an. Soll dich daran erinnern, für alle Fälle einen Regenschirm einzupacken.«
Mir verschlägt es die Sprache bei so viel Blödsinn. Drehen jetzt alle am Rad?
»Sie kann das doch nicht ernst gemeint haben, dass du mich wegen eines Regenschirms anrufst, oder? Was steckt dahinter? Wollte sie nicht in Wahrheit überprüfen, ob ich auch wirklich komme?«
»Wahrscheinlich. Ja, vermutlich schon.«
Ich seufze. »Okay. Sag ihr, sie soll relaxen. Ich fahre morgen los. Und wie geht es ihr?«
Samson zögert einen Augenblick. »Nicht gut.«
Natürlich geht es ihr nicht gut. Ihr jüngster Sohn ist verschwunden. Wo wir herkommen, gibt es lediglich zwei Gründe, warum jemand verschwindet: Entweder ist er auf der Flucht oder in den Untergrund gegangen. Wobei beides im Grunde genommen nicht zu unserem Bruder passt.
Was das Ganze auch so rätselhaft macht.
Drew ist weder ein Dealer noch ein Kämpfer. Ganz im Gegenteil: Bislang war er eher ein Muttersöhnchen, brav und gesetzestreu, und ist Schwierigkeiten aus dem Weg gegangen. Trotzdem sitzt er jetzt offenbar in der Patsche.
Ich höre auf zu packen. »Das alles missfällt mir, Sam. Irgendwas stimmt da nicht.«
»Ich weiß«, erwidert er. »Ich gebe mein Bestes, diesen Mist zu klären, Jack. Ehrlich. Aber du weißt ja, wie das hier ist. Niemand will mit mir reden – weil ich nicht du bin. Ich verfüge nicht über deine Verbindungen. Deine Kontakte.«
»Absolut richtig, die hast du nicht«, gebe ich barsch zurück, doch hinter meinem harten Ton verbirgt sich Angst, die brennend heiß meinen Körper durchflutet.
»Ja«, sagt Samson langsam. »Ohne dich kann ich nicht viel ausrichten. Natürlich tue ich alles, um eine Spur von Drew zu finden.«
»Das weiß ich, Sam«, versuche ich, ihn zu beruhigen, denn schließlich kann er nichts für diesen ganzen Mist. »Drew hat Glück, dass er dich hat.«
Schuldgefühle erfassen mich mit solcher Wucht, dass es mir die Brust einschnürt.
Ich hätte Little Vail nicht verlassen dürfen – und vor allem nicht meine Familie.
Aber ich musste weg – es ging nicht anders. Es war meine einzige Chance, dort rauszukommen. Dennoch war es nicht richtig …
»Nein. Drew hat Glück, dass er dich hat.«
Samsons Worte reißen eine frische Wunde auf und lindern zugleich meinen Schmerz ein wenig – die Schuld ist eben ein launischer Geselle.
»Wir alle sind froh, dich zu haben«, höre ich meinen Bruder sagen.
Ich schlucke schwer und stopfe weiter meine Sachen in die Reisetasche.
»Hat Mom genug Geld? Oder braucht sie was? Ich kann ihr aushelfen und etwas mitbringen …«
»Sie kommt zurecht – wir kommen zurecht«, betont er. »Wir brauchen nichts, außer dass du deinen Arsch herschaffst, um uns bei dem Schlamassel mit Drew zu helfen. Wie kommst du? Fliegst du?«
»Nein. Eine Freundin nimmt mich im Auto mit.«
»Warum schmeißt du dich nicht auf dein Motorrad?«
»Die Strecke ist mir zu weit. Am Ende bleibe ich noch mit der Maschine liegen. Außerdem: Was wäre, wenn es regnet?«, füge ich spöttisch hinzu. »Das könnte dann brenzlig werden. Selbst mit Regenschirm.«
Er versteht nicht, worauf ich anspiele. »Hast du etwa Angst, nass zu werden?«, fragt er naiv.
»Nein. Ich bin nur nicht so ein leichtsinniger Schwachkopf wie du.«
»Na, dann flieg eben.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber eine Freundin von mir fährt morgen sowieso nach New Orleans. Zwei, drei Tage kommt ihr doch noch ohne mich zurecht, oder?«, erkundige ich mich vorsichtig. »Meinst du, das ist okay für Mom?«
»Ja, sie kommt klar. Hauptsache, sie weiß, dass du kommst«, versichert Sam. »Außerdem stehe ich jetzt zu ihrer Verfügung, schon vergessen? Ich wohne wieder bei ihr. Wegen der Sache mit Trixie. Sie hat mich rausgeworfen.«
»Gott, du hast es echt nicht drauf mit Frauen.«
Ich höre ihn verächtlich schnauben. »Na, du hast es gerade nötig, eine große Lippe zu riskieren. Du hattest schließlich überhaupt noch keine Frau.«
»Wie bitte – ich hatte keine Frau?«
»Du weißt schon, was ich meine. Du bist nie ernsthaft mit einer zusammen gewesen.«
»Stimmt«, gebe ich zu. »Deshalb wirft mich auch keine raus. Komisch, was?«
»Du Arschloch«, murmelt er. »In diesem Sinne, machen wir Schluss. Bis die Tage also. Ich würde ja sagen, fahr vorsichtig, aber da du ja sogar zu zimperlich bist, um im Regen zu fahren …«
»Leck mich.«
»Desgleichen. Bis später, Bruder.«
Die Leitung ist tot, ich stecke das Telefon zurück in meine Hosentasche, hole ein Päckchen Zigaretten aus der anderen und zerre meine Tasche ins Wohnzimmer.
»Teufel.« Ethan mustert meine Tasche, während er sich eine protzige Uhr übers Handgelenk schiebt. »Wie willst du das Ding denn auf deine Harley bekommen?«
»Will ich nicht«, erwidere ich und fische ein Feuerzeug aus der Schlüsselschale in der Küche. »Ich fahre mit Jenna. Ihrer Großmutter geht es nicht gut, darum muss sie nach Louisiana. Da schließe ich mich einfach an.«
Mit diesen Worten trete ich auf den kleinen Balkon hinaus, der zu unserer Wohnung gehört, und zünde mir eine Zigarette an. Ethan steht im Türrahmen und sieht mir zu.
»Im Ernst?«
Ich nicke.
»Hast du Jenna gefragt?«
Ich schüttele den Kopf.
»Warum nicht?«
All diese Fragen, es ist, als würde ich mit einem Mädchen zusammenwohnen.
»Weil…« Ich stoße eine lange Rauchwolke aus. »Wenn ich sie frage, sagt sie Nein. Wenn ich dagegen einfach bei ihr auftauche, sagt sie anfangs vielleicht immer noch Nein, aber dann ist es viel leichter, sie zu bequatschen.«
»Du musst aufhören, sie unter Druck zu setzen. Jack. Das ist nicht cool.«
»Ich setze sie unter Druck? Es ist genau umgekehrt.« Tief einatmend, wende ich den Blick ab.
»Wirklich Alter, ich mag Jenna«, versucht Ethan, die Wogen zu glätten. »Nur wenn es ihrer Großmutter nicht gut geht, solltest du sie lieber nicht zusätzlich stressen. Sie ist nicht so stark, wie sie wirkt …«