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Wenn Sie wollen, dass Ihr Leben tief und schön wird, dann greifen Sie nach einem 2000 Jahre alten Buch namens Bibel. Und nehmen Sie diese Gebrauchsanweisung hinzu! Doch Vorsicht! Sie ist voller verrückter Ideen, praktischer Tipps und lebensverändernder Maßnahmen. Es könnte sein, dass Sie sich hinterher nicht mehr wiedererkennen, so gut geht es Ihnen … Freundliche Grüße, Ihr Werner Tiki Küstenmacher. biblify your life von Werner Tiki Küstenmacher: als eBook erhältlich!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 317
Werner Tiki Küstenmacher
biblify® your life
Erfüllter und bewusster leben
Mit 216 Illustrationen des Autors
Knaur e-books
Für Marion,
Sophia, Lukas und Simon
»Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Buch, das Sie hier in Händen halten, wird eins der wichtigs-ten Bücher in Ihrem Leben werden.«
Mit diesem vollmundigen Satz begann ich im Jahr 2001 das Vorwort des mittlerweile zum Klassiker gewordenen Buchs »simplify your life«. Ein frecher Satz. Doch wenn Sie genau lesen, werden Sie merken: Neben »einem der wichtigsten Bücher in Ihrem Leben« ist trickreicherweise noch Platz für das »wirklich wichtigste Buch in Ihrem Leben«. Und um dieses Buch geht es jetzt. Also, jetzt kommt das Vorwort für das Buch, das Sie in Händen halten:
Liebe Leserinnen und Leser,
die Bibel (die möglicherweise irgendwo in Ihrer Wohnung ungelesen herumsteht) wird das wichtigste Buch in Ihrem Leben werden. Und zwar in einer Art und Weise, die Sie sich niemals hätten träumen lassen.
Martin Luther stellte sich die Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das war im Mittelalter die tiefste Frage, als die große Angst regierte – sowohl um die Seele jedes Einzelnen als auch um die der gesamten Gesellschaft. Man lebte in ständiger Sorge, von Gott oder geheimnisvollen Mächten der Finsternis mit einer Krankheit geschlagen zu werden, Opfer eines feindlichen Angriffs zu werden oder sonst ein schlimmes Schicksal zu erleiden.
In unserer Zeit Sozialer Marktwirtschaft in einem hoch organisierten Wohlfahrtsstaat haben sich die Fragen verändert. Sie lauten eher: Was soll das alles hier? Wozu bin ich da? Wie kann ich ein erfülltes Leben leben? Oder, in spiritueller Sprache: Wie bekomme ich einen erfahrbaren Gott?
Die Bibel, das Alte wie das Neue Testament, enthält die aufgeschriebenen Erfahrungen von Menschen mit Gott. Sie ist gleichsam ein Anleitungsbuch zu einem erfahrbaren Gott. Es ist an der Zeit, diesen Schatz zu heben. Seien Sie überzeugt: Irgendwo in der Bibel gibt es auch für Sie einen Satz, der Sie umhaut. Bei dem Sie sagen: Wow!
Immer wieder war es die Bibel, die Rückkehr zum exakten biblischen Text, die in Geisteswissenschaft, Theologie und Gesellschaft Neues befördert hat. biblify your life möchte diesen Aspekt der Bibel nutzbar machen: vom Glauben zum Schauen, vom »Reden über« zur direkten Erfahrung.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen helfen, Erfahrungen zu machen, wie die Menschen in der Bibel sie gemacht haben. Am großen Buch der menschlichen Erfahrungen mit Gott wird weitergeschrieben – auch durch Ihr Leben. Sie selbst sind Teil einer großen Dynamik. Sie sind Teil des großen »Dritten Testaments«.
Eine aufregende Reise wünscht Ihnen
PS: Wenn ich in diesem Buch die Bibel zitiere, bin ich mit den vorhandenen Bibelübersetzungen sehr frei umgegangen. Meist sind es Zusammenstellungen aus verschiedenen Bibelausgaben, die ich in Zweifelsfällen mit dem hebräischen und griechischen Original abgeglichen habe.
Für viele Menschen ist die Bibel ein heiliges Buch, denn es geht darin um Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Gott redet in der Bibel. Immer wieder heißt es: »So spricht der Herr.« Also, schließen viele messerscharf, ist die Bibel nicht von Menschen geschrieben, sondern von Gott. Dieses Buch, so sagen sie, ist wahrer als andere Bücher. Widerspruch gegen dieses Buch verbietet sich von selbst. Was hier drin steht, ist ewige Weisheit und Wahrheit.
Wenn Sie das auch so sehen, werden Sie von biblify your life enttäuscht. Enttäuscht im wahrsten Sinne des Wortes: Die Täuschung ist zu Ende. Nein, die Bibel wurde von Menschen geschrieben. Hier haben sie ihre Erfahrungen mit Gott aufgezeichnet.
Unsere Vorfahren (vor fünf bis zehn Generationen) haben eine entscheidende Entdeckung gemacht: die Aufklärung, den »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Es war die Befreiung von einer eingebildeten Fessel. »Wage, dich deines Verstandes zu bedienen!«, rief der deutsche Philosoph Immanuel Kant den Menschen damals zu. Traut euren Zweifeln! Lasst euch nicht das Nachdenken verbieten! Damit begann eine geistige Revolution, die wir heute kaum noch nachvollziehen können. Für uns ist es selbstverständlich geworden, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Wir prüfen Tatsachen selbst nach. Für einen Gelehrten des Mittelalters war das anders. Da galt die Aussage des großen Aristoteles, dass eine Fliege acht Beine hat, mehr als die eigene Beobachtung – die stets nur auf sechs Beine kam.
Die Entdeckung des menschlichen Geistes in der Aufklärung ist durchaus vergleichbar mit der Entdeckung eines neuen Kontinents. Man kann die Entdeckung Amerikas oder Australiens nicht wieder rückgängig machen. Genauso wenig können wir Menschen hinter die Aufklärung zurück, sosehr wir uns das manchmal wünschen. Wir wissen es alle wirklich: Ein Gesetz ist von Menschen verfasst worden. Die Bibel ist von Menschen geschrieben. Und wenn jemand behauptet, die Schreiber der Bibel hätten jedes einzelne Wort von Gott direkt diktiert bekommen, dann ist ebendiese Behauptung auch wieder nur von Menschen aufgestellt worden. Die Wahrheit eines Buches, eines Textes, eines Gesetzes erweist sich nicht durch irgendwelche Geschichten über ihre übersinnliche Entstehung, sondern durch die Wahrheit und den Vollzug dieses Textes im wirklichen Leben. Ein Gesetz muss sich bewähren. Ein Buch über Gott muss den Alltagstest bestehen.
So etwas gibt es nicht nur bei der Bibel. Untersuchen Sie eine x-beliebige hierarchische Struktur in einer Firma, einer Behörde, einem Staat, einem Verein oder sonst irgendwo, und Sie werden feststellen: Am Ende gibt es irgendwo ein Buch, ein Gesetz oder eine Sammlung von Schriften, die zur letztgültigen Instanz erklärt wird – Bhagawadgita, Koran, Grundgesetz, Vereinssatzung, Unternehmensgrundsätze. Der Clou an dem Ganzen: Es sind natürlich nicht die Gesetze oder die Buchstaben auf dem Papier, die diese Sammlung zu etwas Absolutem machen. Es ist immer, ohne Ausnahme, eine Gruppe von Menschen, die ihren Absolutheitsanspruch auf das Buch projizieren und ihn damit begründen möchten. Bei genauer Analyse wird es noch klarer: Am Ende sind es stets ein paar alte Männer, die dieses Buch, dieses Gesetz oder was auch immer zur Festigung ihrer Herrschaft verwenden.
Das gilt übrigens auch für jede Sekte, für jede radikale Gemeinschaft, für jede ideologische Bewegung. Offiziell wird sie zusammengehalten durch eine ganz große Idee, eine gigantische Weltverbesserungsmission oder einen glühenden Glauben. Forscht man aber weiter, stößt man früher oder später auf einen alten Mann, der den Laden mit Hilfe eines von ihm verbissen vertretenen Lehrgebäudes zusammenhält. Die Gemeinschaft hat nur eine Chance, wenn sie diesen alten Knaben stürzt oder ihn wenigstens mit Hilfe kluger junger Männer und Frauen zum Umdenken bringt.
Um Kritiker solcher Systeme zum Verstummen zu bringen, werden kuriose Tricks benutzt. Einer der erfolgreichsten: Irgendwo in dem heiligen Buch steht, dass es ein heiliges Buch ist und damit die letztgültige Wahrheit darstellt (was bei unserer christlich-jüdischen Bibel erstaunlicherweise gar nicht der Fall ist: Nirgends wird in ihr behauptet, sie sei auf übersinnliche Weise entstanden). Die in christlich-fundamentalistischen Kreisen vehement vertretene These von der »Verbalinspiration« der Bibel ist keine Idee der Bibel. Dass jedes einzelne Wort (verb) vom Heiligen Geist Gottes (spirit) diktiert worden wäre, ist eine der armen Bibel nachträglich aufgepfropfte Idee.
Eine derartige Argumentation ist im Übrigen so beweiskräftig, wie wenn Sie auf einen goldfarben angestrichenen Eisenklotz schreiben: »Das ist echtes Gold!« Aber so unfassbar windig diese Art von Selbstbeweis auch ist, in der Vergangenheit hat sie verblüffend gut funktioniert. Ich bin jedoch überzeugt: So funktioniert das heute nicht mehr.
Wir haben es durchschaut. So, wie wir auch vieles andere durchschaut haben. Der entscheidende Grundgedanke der Aufklärung lässt sich am griffigsten mit einem modernen Begriff erklären: Projektion. Wie mit einem Beamer strahlen wir unsere eigenen Wünsche und Vorstellungen auf einen anderen Menschen oder ein Objekt – und meinen, dadurch wäre dieser Mensch oder dieser Gegenstand ein anderer geworden. Je bunter und lebendiger das Video ist, das wir auf der Projektionsfläche ablaufen lassen, umso bunter und lebendiger kommt uns die Fläche vor. Aber sie bewegt sich nicht, zumindest nicht so, wie wir es wollen.
Ein harmloses Beispiel für Projektion ist der Umgang mit Haustieren. Findet jemand seinen Hund hinterlistig oder seine Katze traurig, so sind das menschliche Gefühle, die auf das Tier projiziert werden. Für das instinktive Verhalten des Tieres taugen solche Beschreibungen nicht. Der Hund bellt, weil er sein Revier verteidigt und nicht, weil er damit sein Herrchen ärgern will. Die Katze hängt herum, weil sie müde ist, und nicht wegen einer vermeintlichen depressiven Stimmung.
Wenn sich zwei Menschen verlieben, findet dabei eine Menge Projektion statt. Deswegen verlieben wir uns am liebsten in einen Menschen, den wir noch kaum kennen, denn dann eignet er sich ideal als Projektionsfläche für unsere eigenen Träume. Psychologen nennen das die »narzisstische Entdeckung«: Der Liebende findet im Geliebten jene Eigenschaften, die er sich selbst so sehnlich wünscht. Wie Narziss, der sich unsterblich in das wunderschöne Antlitz verliebte, das er in der glatten Oberfläche des abendlichen Teiches erblickte. Das heißt nicht, dass es keine wahre Liebe gäbe. Aber es ist wichtig, den Anteil der Selbstverliebtheit in jeder Verliebtheit zu kennen.
Im weiteren Verlauf einer Paarbeziehung wird fleißig weiterprojiziert. Was einen in Krisenzeiten am einst so geliebten Partner nervt, sind in Wahrheit meist die eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen. Sie an sich selbst wahrzunehmen, ist schwierig. Aber auf den anderen projiziert, stehen sie einem überdeutlich vor Augen. »Du bist so egoistisch!«, sagt der Mann zu seiner Frau, die ganz in Haus und Kindern aufgeht und keine Zeit hat für ihn – und sieht nicht, dass er selbst der Egozentriker ist. Er sieht die Beziehung zu seiner Frau vor allem unter dem Aspekt, was dabei für ihn herausspringt. Das gleiche Phänomen gibt es auch mit vertauschten Rollen.
Eltern finden in ihren Kindern wieder, was sie sich selbst so sehr wünschen – oder was sie so abgrundtief hassen. Menschen kaufen sich ein bestimmtes Auto, weil sie ihre eigenen Träume auf das große Stück lackiertes Metall projizieren. Aus dem gleichen Grund funktionieren Mode, Marketing und Werbung.
Den Vogel in Sachen Projektion schoss ein trockener Gelehrter aus Königsberg ab, der entlegensten Ecke des damaligen Königreichs Preußen. Der Philosoph Immanuel Kant trieb den aufklärerischen Gedanken der Projektion auf die Spitze. In seiner Erkenntnistheorie lässt sich Kant darüber aus, dass wir über die Außenwelt eigentlich überhaupt keine Aussage machen können. Was uns so selbstverständlich als Realität erscheint, nimmt ein anderer Mensch möglicherweise völlig anders wahr. Der dreidimensionale Raum etwa, in dem wir die Gegenstände um uns herum wahrnehmen, ist selbst nicht Gegenstand unserer Wahrnehmung. Er ist etwas, das wir dieser Welt hinzufügen. Genau so verhält es sich mit der Zeit: Die Zeit selbst können wir nicht empfinden, wir leben immer nur im Moment der Gegenwart. Für uns finden die Ereignisse in einer zeitlichen Reihenfolge statt, wir sind an die Beschränkungen der Zeit gebunden. Aber damit ist nicht garantiert, dass es der Wirklichkeit ebenso ergeht. Es sind durchaus Wesen denkbar, die diesen Beschränkungen auf Raum und Zeit nicht unterworfen sind. Wesen, die diese Welt ganz anders wahrnehmen.
Diese auch heute noch reichlich schräg anmutenden Gedanken wurden auf erstaunliche Weise bestätigt durch die moderne Physik. Albert Einstein und Werner Heisenberg entdeckten, dass der beobachtende Mensch keineswegs nur von außen die Dinge ansieht. Er verändert sie durch seine Beobachtung! Als sich die Physik immer tiefer in die letzten Geheimnisse der Moleküle, Atome und Elementarteilchen hinein versenkte, stieß sie ständig auf paradoxe Beobachtungen. Eine Welle, also reine Energie, verhielt sich manchmal wie ein Teilchen, das eine klar definierte Masse hatte. Und umgekehrt schienen sich Teilchen manchmal so zu verhalten wie eine völlig gewichtslose Energiewelle. Je nachdem, wie man sie ansah, veränderte sich die Realität. Eine letztgültige Aussage, ob es sich um ein Teilchen oder eine Welle handelt, ließ sich nicht machen.
Ihre unmittelbarste Wirkung entfaltete die Wucht der Aufklärung bei Glauben und Religion. Luther oder Kant wagten es nicht, es auszusprechen; die französischen Aufklärer waren da schon mutiger und machten Aussagen, die wir heute so übersetzen würden: Gott ist eine menschliche Projektion. Der Mensch erschuf Gott, sich zum Bilde.
Gott als alter Mann mit langem weißem Bart ist als Projektion leicht erkennbar. Aber auch ein Gott, der mich hört und mir meine Wünsche erfüllt, ist eine Projektion. Gott als Vater oder als Mutter – alles menschliche Vorstellungen, mit einem subkutanen mentalen Projektor in die Tiefen unseres Herzens hineingeworfen. Gott ist kein Vater, Gott ist keine Mutter. Er ist nicht Sohn oder Tochter, nicht Bruder oder Freund.
Sogar die Idee vom »Schöpfergott« verlängert nur unsere bescheidene menschliche Sicht ins Universale: Alles hat bei uns einen Anfang und einen Macher. Also, meinen wir, muss das auch jenseits aller Vorstellungen von Zeit und Raum so sein. Aber warum? Nein, auch die Idee von der Schöpfung als einer immensen göttlichen Ingenieurleistung ist eine Projektion.
Vielleicht, liebe Leserinnen und Leser, haben Sie die letzten Abschnitte mit wachsendem Unbehagen gelesen. Gott als Projektion? Kein Gottvater, keine Urmutter? Nicht mal als Schöpfer in grauer Vorzeit? Was haben wir denn dann noch? Macht der aufklärerische Geist alles kaputt und lässt uns als intellektuelle Waisenkinder allein?
So wurde schon früh gegen die Aufklärung protestiert. Die Vertreter von Religion und Kirche bemühten sich nach Kräften, den christlichen Glauben vor den zersetzenden Fragen der Aufklärung zu retten. Der einfachste Weg: Es wurde einfach verboten, Gottesfragen in die alles plattmachende Kraft des Verstandes einzubeziehen. Aus Ehrfurcht vor Gott und den jahrhundertealten Traditionen sollten die aufgeklärten Menschen doch bitte den Glauben anders behandeln. Hier sei eben nicht alles mit dem Intellekt zu erklären, und man solle den analytischen Verstand in einem demütigen Akt Gott zum Opfer darbringen. Dieses »sacrificium intellectus«, das »Opfern des Verstandes« findet sich bis heute in den Köpfen vieler leitender Klerikaler und Kirchenmitglieder.
Bestens naturwissenschaftlich ausgebildete Ingenieure, Ärzte oder Manager, die im beruflichen und privaten Alltag alles mit der Schärfe ihres Verstandes analysieren – beim Betreten der Kirche schalten sie innerlich um. Sie downshiften in eine kindliche Religiosität, die sich damals in den Kindertagen so gemütlich angefühlt hat. Das geschieht aus edelsten Motiven: Man bleibt höflich gegenüber der Gemeinde und den Priestern, man würdigt die eigene Kindheit und den Kinderglauben der anderen.
Doch früher oder später schlägt die Stunde der Wahrheit. Den eigenen unschuldigen Glauben von früher als Grundlage für ein Leben als erwachsener oder alter Mensch zu verwenden, ist wie die Eisschicht auf einem zugefrorenen See im Frühjahr. Es wäre so schön, wenn sie immer bliebe und einen trägt. Aber wir wissen ganz genau, dass das nicht so ist.
Die römisch-katholische Kirche mit dem Papst an der Spitze führt einen verzweifelten Kampf gegen die »Moderne«. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, gegen die Aufklärung, gegen die Entdeckung eines Kontinents, der immer und für alle entdeckt bleiben wird.
Auch die protestantischen Kirchen schaffen es nur selten, ihrer eigenen Tradition treu zu bleiben. Denn sie sind alle Kinder der Aufklärung. Martin Luther hat mit seinem Aufstand gegen die absurden Ablassangebote der katholischen Kirche die Aufklärung eingeleitet. Er hat protestiert gegen die Verdummung des Volkes, gegen die Herrschaft der Priester und Kirchenfürsten. Wenn er vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen spricht, dann ist das die Entdeckung einer Wahrheit, die nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Und doch wird es versucht. In den evangelischen Kirchen Deutschlands feiert das Priestergehabe fröhliche Urständ. Im vorletzten Jahrhundert hat man den Titel Bischof wieder eingeführt, seit ein paar Jahrzehnten benennen sich Kreisdekane und Superintendenten (etwas verzopfte, aber doch ursprünglich weltliche Titel) in Regional-bischöfe um und lassen sich fanta-sievolle Amtstrachten für die erhabene Selbstbezeichnung schneidern. Eine christliche Gemeinde bräuchte keinen Pfarrer oder Pfarrerin an ihrer Spitze, aber diese mutige Idee der Reformation ist bald wieder im Muff der kirchlichen Organisation verschwunden.
All das geht vielleicht noch eine Zeit lang gut, aber die Kirchen bluten aus, weil sie ihr Heil in der eigenen Vergangenheit suchen. Auf Dauer aber, davon bin ich überzeugt, können sie nur bestehen, wenn sie viel von dem Ballast abwerfen, den sie im Lauf der Jahrhunderte erworben haben. Wenn sie sich selbst entrümpeln und zurückfinden zu ihrer eigentlichen Kraftquelle: die Urgewalt der Erfahrungen, die Menschen mit ihrem Glauben gemacht haben.
Womit wir endlich bei der guten Nachricht sind, die uns die Erkenntnisse der letzten Jahrhunderte im Blick auf den Glauben gebracht haben.
Ich habe die Bibel etwa ein halbes Jahrhundert lang im Alltag getestet. Mein Ergebnis: Dieses Buch hat sich bewährt. Es ist stabil, es enthält tiefste Wahrheiten, es tröstet wirklich, es ermutigt auf effiziente Weise, es enthält grandiose Schätze. Es enthält die Erfahrungen von Menschen mit ihrem Gott. Das ist wahr, das ist wirklich. Viel wirklicher als alle unsere Gottesprojektionen, die jetzt nicht mehr funktionieren.
Wie das Wunder der Bibel genau funktioniert, können wir vielleicht erst verstehen, seit wir das Internet zur Verfügung haben. Dazu möchte ich ein bisschen ausholen.
1965 trat der junge Soziologe Ted Nelson an ein Rednerpult in Ohio und schwärmte von einer abgefahrenen Idee. Er nannte sie »Hypertext«: eine Art digitales Buch, in dem hinter bestimmten Wörtern Verbindungen zu anderen digitalen Büchern und Texten stecken. Mit so einem System, so träumte der Visionär aus Ohio, müssten sich eines Tages Bücher und wissenschaftliche Arbeiten verknüpfen lassen, die über die ganze Welt verstreut lagern. 1965 gab es noch keine PCs, noch nicht einmal Arpanet, den Vorläufer des Internets. Damals verstand man so eine Technik als eine Art bequemer Fußnoten, mit denen sich Zitate einfacher finden ließen als durch das mühsame Suchen in Katalogen und Bibliotheken.
Über 20 Jahre mussten vergehen, bis Nelsons Vision einigermaßen Wirklichkeit wurde: HyperCard nannte Apple ein unscheinbares kleines Programm, das seit 1987 kostenlos mit jedem Macintosh-Computer ausgeliefert wurde. Der Programmierer Bill Atkinson hatte es entwickelt, um die Möglichkeiten der grafischen Benutzeroberfläche und der Maus zu demonstrieren. Auf eine »Karte«, die genau einen Computerbildschirm groß war, konnte man Texte und Bilder stellen und jedes einzelne dieser Elemente mit anderen Karten verknüpfen. Wenn man etwa auf das Bild eines Menschen klickte, konnte man dessen Biografie lesen. »Verlinken« nannte Atkinson diese Technik. Weil sich der Benutzer in dem Gestrüpp von Querverweisen rasch verirrte, war auf jeder Karte ein kleines Häuschen zu sehen. Wer darauf klickte, kam »nach Hause« – zurück auf die erste Karte, mit der er seine Klicktour begonnen hatte. Alle Karten zusammen, mit der Zu-Hause-Karte ganz obenauf, nannte Atkinson »stack«, also Stapel.
Heute schmunzeln Sie wahrscheinlich über diesen historischen Rückblick, so sehr ist Ihnen das Prinzip von »Links« und »Seiten« (statt der damaligen »Karten«) inzwischen vertraut. Die Idee mit dem Häuschen findet sich noch in der Bezeichnung »Homepage« für die Startseite einer »Website« – das moderne Wort für Atkinsons »stack«. Das Internet, entstanden aus einem zunächst militärischen, dann rein wissenschaftlichen Verbindungsnetz zwischen Großrechenanlagen, erlebte Ende der 1980er-Jahre einen ersten Durchbruch mit der Idee der elektronischen Post: E-Mail. Der eigentliche Paukenschlag aber, der das Internet-Zeitalter eröffnete, geschah 1993, als mit dem »World Wide Web« eine bunte grafische Oberfläche auf die wissenschaftliche Buchstabenwüste gestülpt wurde.
Die Idee eines vernetzten Textes aber ist sehr viel älter als die Vision des jungen Ted Nelson oder die Milliarden von Seiten im www. Die Bibel dürfte eins der ältesten Hypertextkonzepte der Menschheit sein und hat sich im Lauf der Jahrhunderte zu einer kulturell-geistlichen Vernetzung entwickelt, die weltweit und historisch ohne Beispiel ist. Mit dem Begriff biblify möchte ich diesem Phänomen einen Namen geben. Im Verlauf dieses Buchs werde ich Ihnen darlegen, wie sich dieses biblify-Konzept im Lauf der Jahrhunderte entwickelt hat, warum es so unglaublich erfolgreich war und wie Sie seine Energie für sich nutzen können.
Das Alte Testament, die heilige Schrift der Juden, enthält Texte aus über siebzehn Jahrhunderten. Immer wieder wird dabei Bezug genommen auf früher beschriebene Ereignisse und Erkenntnisse. Mehrfach werden andere Bücher erwähnt, etwa das Buch der Chronik, das in der Bibel auch selbst enthalten ist. Oder andere wie »das Buch des Redlichen« aus Josua 10,13, von dem nichts mehr erhalten blieb. Im Alten Testament gibt es außerdem zahlreiche Verlinkungen zu den Kulturen Ägyptens und Mesopotamiens.
Nur durch diese ständige Vernetzung und Verlinkung sind die biblischen Texte bis zu unserer Zeit erhalten geblieben. Indem sie immer wieder zitiert, neu interpretiert, abgeschrieben und manchmal auch verändert wurden, haben sie die unglaubliche Zeit von mehreren Jahrtausenden überdauert. Kein anderer historischer Text liegt in so vielen Abschriften und Varianten vor wie die Bibel des Alten und Neuen Testaments.
Mit dem Neuen Testament wurde die Verlinkung noch intensiver. Schon Jesus nahm immer wieder Bezug auf das Alte Testament. Der Apostel Paulus zitiert Jesus, dessen Rückbezüge auf die alten Schriften, und er stellt selbst Beziehungen her zwischen all diesen Zitaten. Weit über 2000 Links gibt es vom Neuen zum Alten Testament. Die fünf Bücher Mose kommen zusammen auf 898 Links, das Prophetenbuch Jesaja wird 419-mal, die Psalmen 414-mal zitiert. Recht abgeschlagen sind die Propheten Ezechiel mit 141, Daniel mit 133 und Jeremia mit 125 Links.
Es ist eine erstaunliche Erfahrung beim Bibellesen: Die Personen, die da schreiben und dichten, agieren und sprechen, beten und leiden, hoffen und sich freuen – all diese Menschen sind uns nicht fern. Wir sind über viele Jahrhunderte hinweg mit ihnen verlinkt, manchmal intensiver als mit Menschen unserer eigenen Kultur, die vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten gelebt haben. Es ist etwas eigenartig Vertrautes in allen biblischen Erzählungen, so fremdartig und fern uns Ort und Zeit dieses Geschehens doch sein müssten.
Deswegen können Sie im Verbundensein mit ihnen auch die alten Vorstellungen und Bezeichnungen weiter verwenden. Sie können Gott als Vater bezeichnen oder als Mutter. Sie können ihn betrachten als Schöpfer und als ein Wesen, das Sie hört und Sie tröstet. Auch wenn Sie als Nachkomme der Aufklärung wissen, was davon möglicherweise Projektio-nen sind und Wunschbil-der Ihres Inneren – die vielfältigen Bilder und Metaphern vom unsichtbaren und ungreifbaren Gott funktionieren. Sie sind eingebrannt in unsere kollektive Seele.
Eine außergewöhnliche Art der biblischen Vernetzung ist die Verlinkung nach vorne: die Prophezeiung, die Verheißung. Fast die gesamte erste Hälfte des Alten Testaments ist geprägt von der großen Hoffnung und dem ständigen Wandern ins Gelobte Land. Später in den Büchern der Propheten entwickelt sich eine neue Verheißung mit großer Dynamik: die Erwartung eines Erlösers, des Messias.
Diese Art der Zeit und Raum übergreifenden Verlinkung ist das eigentlich revolutionäre Konzept der Bibel, es ist der Kern von biblify und das Herz des christlichen Glaubens.
Lange Zeit war die Bibel – wie viele heilige Bücher von Religionsgemeinschaften – ein Kampfbuch. Sie wurde verwendet als Alleinstellungsmerkmal, als Abgrenzung und Eintrittskriterium. Zugleich aber ist im Alten wie im Neuen Testament vom Überwinden aller Schranken die Rede, von der grenzenlosen Liebe Gottes, die sich auf alle Menschen der Erde erstreckt. biblify widmet sich auch diesem Aspekt der Bibel. Es geht um die Befreiung der Bibel von ihren eigenen Grenzen – eine Befreiung, die in ihr selbst angelegt ist.
biblify heißt nicht: Lassen Sie Ihr kleines Leben von einem großen, absoluten, weisen Schriftstück regieren. Sondern genau andersherum: Machen Sie es wie die Autoren der Bibel. Machen Sie Erfahrungen mit Gott, schreiben Sie sie auf, erzählen Sie anderen davon, lassen Sie sich verlocken zu einem Abenteuer. Lassen Sie sich von Jesus zurufen »Folge mir nach!«. Sehen Sie den größeren Rahmen, in dem sich Ihr Dasein abspielt. Die unendliche große Liebe Gottes, die Ihre Lebenszeit auf diesem Planeten weit übersteigt.
biblify ist wie simplify die Bezeichnung einer bereits bekannten Tatsache durch ein neues Wort. simplify war die Neuentdeckung des Vereinfachens, des Loslassens und Entrümpelns. Bei biblify geht es um die Anwendung der Bibel auf das ganz alltägliche Leben. Aber nicht in einem herkömmlichen kirchlichen oder moralischen Sinn, sondern unter einem weiten, gleichzeitig individuellen wie universalen Aspekt, wie er zum globalen Geist des beginnenden 21. Jahrhunderts passt. In seinen Gleichnissen macht Jesus es vor: Alltägliche Gegenstände wie ein Weizenkorn oder eine Münze werden vernetzt mit den großen Wahrheiten des Glaubens. Das Endliche wird Sinnbild für das Unendliche. Das Reich Gottes ist vernetzt mit dem Reich der Dinge, und die mit ihnen arbeitenden Menschen sind vernetzt mit dem, von dem alles kommt.
Die ultimative Verlinkung fand statt mit Jesus selbst: Gott vernetzt sich mit dem Menschen. Gott wird Mensch. Das ist, so schreibt schon der Apostel Paulus, eine Gotteslästerung:
Wir verkündigen, dass Christus, der Gekreuzigte, der Retter ist. Für die Juden ist das ein Skandal. (1. Korintherbrief 1,23)
Der unendliche Abstand zwischen Mensch und Gott ist dahin, Gott ist zu den Menschen gekommen. Das ist die eine Hälfte der Wahrheit, an die wir uns trotz allen Skandals gewöhnt haben. Die andere Hälfte aber fällt noch schwer zu akzeptieren: Der Mensch ist zu Gott gekommen. Der Mensch ist Gott ähnlich geworden.
Das ist keine späte Erfindung, sondern so hat es Gott von Anfang an gewollt. Schon am Beginn der Bibel in der Schöpfungserzählung heißt es:
Und Gott sprach: »Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei!« (1. Mose/Genesis 1,26)
Und Gott sprach: »Nun ist der Mensch wie einer von uns geworden und weiß, was gut und böse ist.« (1. Mose/Genesis 3,22)
Was wir bisher nur Gott zugetraut haben, entdecken wir als unsere eigenen Möglichkeiten. Das ist die konsequente Weiterentwicklung des menschlichen Bewusstseins. Was wir in unsere Vorstellung von Gott hineinprojiziert hatten, war (wie wir immer wieder verblüfft feststellen) schon in uns.
Mit Jesus, so fürchten dann manche, hat sich Gott eigentlich überflüssig gemacht. Aber dieser Jesus war ja selbst ein Glaubender. Er ist als Mensch schlechthin nicht vorstellbar ohne seine Beziehung zu Gott, den er »Abba« nennt, das Kleinkindwort für »Vater«. Im Johannes-evangelium sagt er es mehrfach:
»Ich und der Vater sind eins.« (Johannes 10,30)
biblify bedeutet, zurückzukehren zum ursprünglichen Geist Jesu und zum ursprünglichen Geist des jüdischen Glaubens. biblify steht für eine neuartige Wiederentdeckung der Bibel. Eine Entdeckung indes, die es nicht beim Staunen und der intellektuellen Einsicht belässt, sondern die sich aufmacht, die Konsequenzen dieser Erfahrung nutzbar zu machen für das alltägliche Leben.
Die Organisationsstruktur der von Jesus begründeten Gemeinschaft war genial einfach: Er suchte sich zwölf Jünger und baute damit ein kleines, aber stabiles Netzwerk. Bildhafterweise waren einige von ihnen Fischer und wuschen gerade ihre Netze (Lukas 5,2), als Jesus sie ansprach. Die Vernetzung ging und geht weiter, aus kleinen Grüppchen wurden Gemeinden, aus kleinen Gemeinden große Gemeinschaften, aus ihnen allen schließlich die Kirche.
biblify zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des jüdischen wie des christlichen Glaubens. Das beginnt bei den Propheten des Alten Testaments, die um das Jahr 1000 v.Chr. herum die immer selbstherrlicher werdenden Herrscher regelmäßig daran erinnern müssen, dass die ihre Autorität nicht sich selbst, sondern einer weit über ihnen stehenden Macht verdanken. Die Propheten greifen gern zurück auf die abenteuerlichen Anfänge des Volkes Israel – nach dem Motto: Der Gott, auf den ihr euch damals verlassen konntet, auf den vertraut gefälligst auch jetzt! So verlinken sie die Gegenwart mit der Vergangenheit, sie erzählen Geschichte in Geschichten.
597 v.Chr. wird Jerusalem von König Nebukadnezar erobert, die Juden verlieren ihr Land und werden nach Babylon verschleppt. Als sie zwei Generationen später zurückkehren (weil sich das Rad der Weltgeschichte inzwischen zugunsten der Perser weitergedreht hat), gibt es eine weitere biblify-Epoche: Neue Propheten erinnern wiederum an den Geist von damals, als ein heimatloses Volk unter der Führung von Mose das Gelobte Land Israel von Gott entgegennahm.
Auch Jesus ist ein biblifyer: In seinen Predigten nimmt er wiederholt die Prophezeiungen auf, wie sie aufgezeichnet sind in der Ur-Bibel, den Schriften des Alten Testaments.
Ebenso arbeitete der Apostel Paulus bei der Ausbreitung des neuen, durch den Wanderprediger Jesus gegründeten Glaubens mit der biblify-Methode: Er predigte in den Synagogen des Römischen Reiches über die Verheißungen der heiligen jüdischen Schriften und legte den erstaunten Zuhörern dar, dass sie sich mit Jesus erfüllt hätten. Daneben schrieb er seine berühmten Paulusbriefe, was in der Folge zu einem weiteren Aspekt von biblify führte: Man stellte eine neue Bibel zusammen, ein Neues Testament. Man schrieb die Erfahrungen auf, die Menschen mit Jesus gemacht hatten. Sorgfältig hob man die Briefe des Paulus auf, um sie für die Nachwelt zu erhalten.
Immer wenn Menschen die Bibel, also die gesammelten Erfahrungen von Menschen mit Gott, neu entdeckten und sich daranmachten, sie in ihrem Leben zu verwirklichen, kam es zu Konflikten. biblify bringt Sprengstoff in den Alltag. Denn stets geht es dabei um Wahrheiten, die den Mächtigen gefährlich werden, weil sie von ihnen in ihrem Alleinvertretungsanspruch bedroht werden. Das musste das Volk Israel im Lauf seiner Entstehung und Sesshaftwerdung mehrfach erleben. Ebenso erging es der jungen Gemeinschaft der Christen, die schon bald nach ihrer Gründung in den schärfsten Gegensatz zum herrschenden politischen System kam. Der erste Kontext, in dem das Wort »Christen« in der Geschichtsschreibung vorkommt, ist die Wortzusammensetzung »Christenverfolgung«.
Doch dann kam es in der Geschichte der Christenheit zu einem weiteren biblify-Aspekt: Der Staat eignete sich die Wahrheiten der Bibel an. Kaiser Konstantin gründete im Jahr 313 das Römische Reich neu, nun auf den Grundlagen der Bibel und des christlichen Glaubens. Damit begann ein langer Siegeszug der christlichen Religion, leider begleitet von Gewalttaten und schrecklichen Abweichungen vom eigentlichen Geist der Bibel. Doch auch dagegen regte sich immer wieder Protest – immer wieder gab es Stimmen, die gleichsam »biblify!« riefen:
Franziskus von Assisi war so ein biblifyer.