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In 'Bilder aus Italien' entführt uns der renommierte Autor Charles Dickens auf eine faszinierende Reise durch das malerische Italien des 19. Jahrhunderts. Mit seinem charakteristischen Schreibstil, der von wortgewandter Beschreibung und lebhaften Dialogen geprägt ist, taucht Dickens tief in die Kultur, Geschichte und Landschaften Italiens ein. Das Buch ist nicht nur ein Reisebericht, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen und politischen Entwicklungen, die Dickens mit feiner Ironie und scharfem Blick beleuchtet. 'Bilder aus Italien' zeigt Dickens als Meister des literarischen Realismus, der mit seiner genauen Beobachtungsgabe und seiner eindrucksvollen Erzählkunst die Leser in seinen Bann zieht. Charles Dickens' persönliche Faszination für Italien und sein tiefes Verständnis für die menschliche Natur machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Werk für alle Liebhaber der Literatur und der Reiseliteratur. Empfohlen für alle, die in die Welt des 19. Jahrhunderts eintauchen und Italien in all seiner Vielfalt erleben möchten.
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Seitenzahl: 343
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Wenn die Leser dieses Bändchens so freundlich sein wollen, ihre Empfehlungsschreiben für die verschiedenen Orte, mit denen sich des Verfassers Erinnerungen beschäftigen werden, von dem Verfasser selbst zu nehmen, so wird ihre Phantasie diese Plätze vielleicht mit größerem Genuß und mit besserer Einsicht in das, was sie zu erwarten haben, besuchen.
Schon viele Bücher sind über Italien geschrieben worden, die viele Möglichkeiten eröffnen, die Geschichte dieses interessanten Landes und seine zahllosen Erinnerungen zu studieren. Ich nehme nur wenig Rücksicht auf dieses Magazin des Wissens, denn ich betrachte es durchaus nicht als notwendige Folge meiner Einsicht in diese Vorräte, daß ich die leicht zugänglichen vor den Augen meiner Leser ausbreiten sollte.
Auch wird man in diesem Bändchen keine ernste Untersuchung über die gute oder schlechte Regierung dieses Landes in irgendeinem seiner Teile finden. Kein Besucher des schönen Landes wird es versäumen, sich eine starke Meinung über diese Sache zu bilden, aber da ich mich während meines Aufenthaltes dort als Fremder jeder Diskussion über derartige Fragen mit Italienern, welchem Stande sie auch angehören mochten, enthielt, so möchte ich auch jetzt diese Saite lieber nicht berühren.
Während meines zwölfmonatigen Aufenthaltes in Genua fand ich nie, daß ihrem Wesen nach eifersüchtige Behörden mich mit Mißtrauen betrachtet hätten; und es sollte mir leid tun, wenn ich ihnen Gelegenheit gäbe, ihre arglose Höflichkeit gegen mich oder gegen irgendeinen meiner Landsleute zu bereuen.
Es gibt wahrscheinlich kein berühmtes Kunstwerk in ganz Italien, welches nicht leicht unter einem Berg von Papier, bedruckt mit Abhandlungen über dasselbe, begraben werden könnte. Daher werde ich auch, obgleich ich ein großer Bewunderer der Malerei und der Skulptur bin, nicht lange bei der Beschreibung von berühmten Gemälden und Standbildern verweilen.
Dieses Buch ist eine Reihe von Spiegelbildern – bloßer Schatten im Wasser – von Orten, welche die Einbildung der meisten Menschen mehr oder weniger anziehen, mit denen sich die meine seit Jahren beschäftigt hat und die für alle einiges Interesse haben. Die Beschreibungen wurden größtenteils an Ort und Stelle niedergeschrieben und von Zeit zu Zeit in Privatbriefen nach Hause geschickt. Ich erwähne das nicht als eine Entschuldigung der etwaigen Mängel des Werkes, denn es wäre keine, sondern bloß als eine Gewährleistung für den Leser, daß sie wenigstens niedergeschrieben worden, als der Verfasser erfüllt war von dem, was er sah, und noch beherrscht von den neuesten und frischesten Eindrücken.
Zeigen sie irgendwo eine phantastische und träumerische Färbung, so wird der Leser vielleicht voraussetzen, daß sie geschrieben worden im Schatten eines sonnigen Tages, inmitten der Gegenstände, von denen sie handeln, und sie werden ihm darum nicht weniger gefallen, daß sie dies örtliche Gepräge tragen.
Ich hoffe nicht, daß Bekenner des römisch-katholischen Glaubens irgend etwas, was in diesem Büchelchen vorkommen wird, mißverstehen könnten. In einem meiner frühern Werke habe ich mein Möglichstes getan, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und ich hoffe, daß sie in diesem auch gegen mich gerecht sein werden. Wenn ich ein Schauspiel erwähne, das mir absurd oder abstoßend vorkommt, so suche ich nicht es mit einem wesentlichen Bestandteil ihres Glaubens in Verbindung zu bringen. Wenn ich von den Zeremonien der Karwoche spreche, so spreche ich nur von ihrer Wirkung und fordere den guten und gelehrten Doktor Wiseman nicht auf, ihre Bedeutung darzulegen. Wenn ich einen Widerwillen gegen Nonnenklöster für junge Mädchen verrate, welche der Welt entsagen, ehe sie dieselbe geprüft und gekannt haben, oder an der Ex-officio-Heiligkeit aller Priester und Mönche zweifle, so tue ich nicht mehr, als viele gewissenhafte Katholiken im Ausland und im Inland tun.
Ich habe diese Bilder mit Schatten im Wasser verglichen, und ich möchte hoffen, daß ich nirgends das Wasser so sehr aufgeregt habe, um die Schatten zu zerstören. Ich kann niemals verlangen, auf besserem Fuß mit allen meinen Freunden zu stehen, als jetzt, wo abermals auf meinem Pfad sich ferne Berge erheben; denn ich brauche nicht anzustehen, offen zu sagen, daß ich jetzt, bestrebt, einen kurzen Irrtum wieder zu verbessern, den ich vor nicht langer Zeit beging, indem ich die alten Verhältnisse zwischen mir und meinem Leser störte und für einen Augenblick meine alte Beschäftigung verließ, sie jetzt in der Schweiz wieder freudig aufnehmen will, wo ich während eines zweiten Jahres der Abwesenheit die Gegenstände, die ich im Kopfe habe, ohne Unterbrechung ausarbeiten und zugleich, während mein englisches Publikum im Hörbereich bleibt, meine Kenntnis eines schönen und für mich unaussprechlich anziehenden Landes weiter ausdehnen kann.
Ich mache dies Buch so allgemein zugänglich wie möglich, weil es mir eine große Freude wäre, wenn ich hoffen könnte, durch seine Vermittlung meine Eindrücke mit manchen Eindrücken der vielen zu vergleichen, welche in späterer Zeit mit Teilnahme und Entzücken die Gegenden, die ich beschrieben, besuchen werden.
Und ich habe jetzt nur noch nach Paßmanier meines Lesers Porträt zu skizzieren, das ich vermutungsweise für beide Geschlechter wohl folgendermaßen entwerfen darf:
Gesicht:
schön
Augen:
sehr heiter
Nase:
nicht gerümpft
Mund:
lächelnd
Miene:
strahlend
Allgemeiner Ausdruck:
außerordentlich angenehm.
An einem schönen Sonntagmorgen im hohen Sommer und im hochsommerlichen Wetter des Jahres 1844 war es, mein guter Freund, als – erschrecken Sie nicht – nicht als man zwei Reisende langsam durch jene malerische und hindernisreiche Gegend schreiten sah, durch welche das erste Kapitel eines mittelalterlichen Romans gewöhnlich erreicht wird, sondern als man einen englischen Reisewagen von stattlicher Größe, ganz frisch angekommen aus den schattigen Hallen des Pantechnikons unweit Belgrave Square in London, zum Tore des Hotels Maurice in der Rue Rivoli in Paris herausfahren sah – dieser »man« war nämlich ein sehr kleiner französischer Soldat; denn ich sah, wie er den Wagen anguckte.
Ich bin nicht mehr verpflichtet zu erklären, warum die englische Familie, die in und auf diesem Wagen reiste, von allen guten Tagen in der Woche gerade am Sonntag aufbrach, als ich gehalten bin, einen Grund dafür anzuführen, warum alle kleinen Leute in Frankreich Soldaten und alle großen Leute Postillione sind: das ist eine unfehlbare Regel. Daß sie aber für das, was sie taten, irgendeinen Grund hatten, bezweifle ich nicht; und wie Sie wissen, war ihr Grund, überhaupt so zu erscheinen, der, daß sie in dem schönen Genua ein Jahr lang leben wollten und daß das Haupt der Familie sich vorgenommen hatte, während der Zeit herumzureisen, wo seine Wanderlust ihn hintrieb.
Und es wäre mir ein kleiner Trost gewesen, der Bevölkerung von Paris im allgemeinen zu erklären, daß ich dieses Familienhaupt sei und nicht jene freudestrahlende Verkörperung von guter Laune, die neben mir saß in der Person eines französischen Kuriers, des besten aller Diener und des freundlichsten aller Menschen! Die Wahrheit zu gestehen, er sah viel patriarchalischer aus als ich, der im Schatten seiner stattlichen Gegenwart zu völliger Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfte.
Natürlich zeigte sich sehr wenig in dem Aussehen von Paris, als wir an der unheimlichen Morgue vorüber und über den Pontneuf rollten, was uns über unsere Sonntagsreise hätte Vorwürfe machen können. In den Weinschenken (ein Haus um das andere) herrschte geräuschvollster Verkehr; Zeltdächer wurden ausgebreitet und Tische und Stühle geordnet vor den Cafés, als Vorbereitung auf den Verzehr von Eis und kühlen Getränken, in der späteren Zeit des Tages. Schuhputzer waren geschäftig auf den Brücken; Läden waren offen; Karren und Wagen rasselten auf und ab; die engen, steilen, trichterförmigen Straßen über dem Fluß waren ebenso viele Perspektiven von Menschengedränge und Lärm, von bunten Nachtmützen, Tabakspfeifen, Blusen, großen Stiefeln und zottigen Köpfen; nichts zeigte den Tag der Ruhe an; außer etwa hier und da das Erscheinen einer Familie, die, auf einer Landpartie begriffen, in einen alten und schwerfälligen Einspänner eingepfercht war; oder der Anblick eines beschaulichen Feiertagmachers im ungeniertesten Negligé, der sich aus dem niedern Dachfenster herauslehnte und in ruhiger Erwartung das Trocknen seiner neugewichsten Schuhe auf dem kleinen Fensterbrett (wenn es ein Herr war) oder das Trocknen ihrer Strümpfe in der Sonne (wenn es eine Dame war) beobachtete.
Ist man einmal über das nie zu vergessende oder nie zu vergebende Pflaster hinaus, welches Paris umgibt, so sind die ersten drei Reisetage nach Marseille recht ruhig und einförmig. Nach Sens. Nach Avallon. Nach Chalons. Eine Skizze von den Erlebnissen eines Tages ist eine Skizze von allen dreien; und hier ist sie.
Wir haben vier Pferde und einen Postillion, der eine sehr lange Peitsche hat und der seinen Postzug etwa wie der Kurier von St. Petersburg im Zirkus von Astley oder Franconi fährt; nur daß er auf seinem Pferde sitzt, anstatt zu stehn. Die ungeheuern Kanonenstiefel, welche diese Postillione tragen, sind zuweilen ein oder zwei Jahrhundert alt und stehen in so lächerlichem Mißverhältnis zu dem Fuße ihres Trägers, daß der Sporn, welcher am Absatz angebracht ist, zuweilen auf die Mitte der Wade des Postillions zu stehen kommt. Der Mann tritt oft aus dem Stall mit der Peitsche in der Hand und in Schuhen und trägt mit beiden Händen einen Stiefel nach dem andern heraus und setzt sie mit großem Ernst auf die Erde neben das Pferd, bis alles fertig ist. Wenn das der Fall ist – und, o Himmel, welchen Lärm sie dazu machen! –, steigt er mit seinen Schuhen in die Stiefel oder läßt sich von ein paar Freunden hineinheben; dann ordnet er die Zugstricke des Geschirrs, mit erhabener Arbeit verziert – durch die Bemühungen der zahllosen Tauben in den Ställen –, bringt alle Pferde zum Bäumen und Ausschlagen, klatscht mit der Peitsche wie ein Verrückter; schreit » en route – hi!« und fort geht es. Man kann darauf rechnen, daß er sich mit seinem Pferde veruneinigt, ehe wir sehr weit sind; und dann nennt er es Dieb, Räuber, Schwein und was sonst alles, und schlägt es um den Kopf, als ob es von Holz wäre.
In den ersten zwei Tagen zeigt sich wenig mehr als eine lustige Abwechslung in der Landschaft. Aus einer öden Ebene kommt man in eine endlose Allee und aus der endlosen Allee wieder in die öde Ebene. Eine Menge Reben sieht man auf freiem Felde, aber von niedrigem Wuchs und nicht in Girlanden, sondern an geraden Stöcken gezogen. Unzählige Bettler gibt es überall, aber eine außerordentlich dünne Bevölkerung und weniger Kinder, als ich irgendwo getroffen. Ich glaube nicht, daß wir hundert Kinder zwischen Paris und Chalons sahen. Wunderliche alte Städte mit Zugbrücken und Mauern; mit seltsamen kleinen Türmchen an den Ecken, gleich fratzenhaften Gesichtern, als ob die Mauer eine Maske aufgesetzt hätte und in den Graben hinabstarrte; andere sonderbare kleine Türme in Gärten und Feldern und am Ende von Heckengängen und in Bauernhöfen: immer alleinstehend und stets rund mit einem spitzen Dach und niemals zu irgendeinem Zweck benutzt; verfallene Gebäude aller Art; zuweilen ein Rathaus, zuweilen eine Wache, zuweilen ein Wohnhaus, zuweilen ein Château mit einem von Unkraut überwucherten Garten, reich an Löwenzahn und überwacht von Türmen mit Kerzenhütchen-Dächern und kleinen blinzelnden Fenstern. Das sind die immer wiederkehrenden Gegenstände, die das Auge sieht. Zuweilen kommen wir an einer Dorfschenke vorüber mit einer dazu gehörenden verfallenen Mauer und einer vollständigen Stadt von Nebengebäuden, und über dem Tore steht: »Stallungen für sechzig Pferde«; ja, sechzig Dutzend könnten hier Stallungen finden, wären nur überhaupt Pferde vorhanden, die einen Stall suchten, oder jemand, der hier rastete, oder nur etwas, was sich regte, außer dem weinverkündenden Busch da oben. Der Busch, der langsam im Winde schwankt, in träger Harmonie mit der ganzen Umgebung, und gewiß nie im grünen Jugendalter, sondern immer so alt ist, daß er in Stücke fällt. Und den ganzen Tag lang fahren seltsame kleine schmale Wagen in Reihen von sechs oder acht, mit Käse aus der Schweiz beladen und oft alle nur von einem Mann oder sogar nur einem Knaben beaufsichtigt – und der sitzt oft schlafend auf dem ersten –, klingelnd vorüber: schläfrig läuten die Pferde die Glocken an ihrem Geschirr und sehen geradeaus, als ob sie glaubten – und gewiß tun sie es –, ihre großen blauen wollenen Decken von ungeheurer Schwere und Dicke mit ein Paar wunderlichen Hörnern auf dem Kummet wären viel zu warm für das Hochsommerwetter.
Dann kommt die Diligence zwei- oder dreimal des Tages, mit den staubigen Außenpassagieren in blauen Blusen gleich Fleischern und den Drinsitzenden mit weißen Nachtmützen, mit dem Kutscherhäuschen auf dem Dach, das nickt und schwankt wie der Kopf eines Wahnsinnigen, und den Jung-Frankreich-Passagieren, aus dem Fenster schauend mit Bärten bis auf die Brust und blauen Brillen, die gar grausig ihre kriegerischen Augen bedecken, und sehr dicken Stöcken, fest von der nationalen Faust umschlossen. Dann die Mallepost mit nur zwei Passagieren, die mit einer wirklichen Teufelsschnelle dahinrast und in einem Nu uns aus den Augen ist. Dann und wann stolpern behäbige alte Curés vorbei in so wunderlichen, rostigen, moderigen, klappernden Kutschen, wie ein Engländer sich gar nicht denken kann. Und knochige Frauen wanken an öden Orten herum, eine weidende Kuh am Strange haltend oder grabend und hackend oder mit Feldarbeit gröberer Art beschäftigt, oder als echte Schäferinnen mit ihren Herden – und um einen gehörigen Begriff von dieser Beschäftigung und diesen Leuten zu erlangen, braucht man nur ein Hirtengedicht oder ein Hirtenbild herzunehmen und sich das zu denken, was dieser Darstellung am allerausgesuchtesten und entschiedensten unähnlich ist.
Ihr seid abgestumpft genug, wie gewöhnlich auf der letzten Wegstrecke des Tages, dahingefahren; und die sechsundneunzig Glocken der Pferde – vierundzwanzig bei jedem – haben euch einschläfernd eine halbe Stunde lang ins Ohr geläutet; und es ist eine sehr alltägliche, einförmige und langweilige Geschichte geworden; und ihr habt schon ernstlich darüber nachgedacht, was man euch wohl auf der nächsten Station vorsetzen werde, wenn hinten am Ende der langen Allee, durch welche ihr fahrt, die erste Andeutung einer Stadt in Gestalt einiger zerstreuter Hütten erscheint und der Wagen über ein entsetzlich unebenes Pflaster zu rasseln beginnt. Als ob der Wagen ein großes Feuerwerk wäre und der bloße Anblick eines rauchenden Schornsteins es angezündet hätte, geht jetzt ein Lärm los, als säße der leibhaftige Teufel darin. Klack, klack, klack. Klack-klack-klack. Klick-klack. Klick-klack. Hallo! Hallo! Vite! Voleur! Brigand! Hi hi hi! En r-r-r-r-r-route! Peitsche, Kutscher, Steine, Bettler, Kinder; klack, klack, klack; heda! hallo! Charité pour l'amour de Dieu! Klick-klack-klick-klack; klick, klick klick; bums, puff, krach, puff, klick-klack; um die Ecke, die enge Straße hinauf, den gepflasterten Berg hinab auf der andern Seite; in die Gosse; bums, bums; puff, klick, klick, klick; klack, klack, klack; in die Ladenfenster auf der linken Seite der Straße und dann erst mit weiter Wendung in den hölzernen Torweg zur Rechten; rumpel, rumpel, rumpel; trapp, trapp, trapp; klick, klick, klick; und hier sind wir im Hof vom Hôtel de l'Ecu d'Or; abgenutzt, verloschen, rauchend, erschöpft, tot, doch manchmal noch ganz unerwartet auffahrend und aufblitzend, aber ohne daß etwas weiter daraus wird – wie ein Feuerwerk bis zuletzt!
Die Wirtin des Hôtel de l'Ecu d'Or ist da; und der Wirt des Hôtel de l'Ecu d'Or ist da; und das Zimmermädchen des Hôtel de l'Ecu d'Or ist da; und ein Herr mit einer lackierten Mütze und einem roten Bart, der im Hôtel de l'Ecu d'Or wohnt, ist da; und Monsieur le Curé geht in einer Ecke des Hofes allein auf und ab, mit einem dreieckigen Hut auf dem Kopf, einem schwarzen Mäntelchen auf dem Rücken und einem Buch in der einen und einem Regenschirm in der andern Hand; und alle, außer Monsieur le Curé, sperren Mund und Augen auf in Erwartung der Öffnung der Kutschentüre. Der Wirt des Hôtel de l'Ecu d'Or liebt den Kurier so sehr, daß er es kaum erwarten kann, bis er vom Bock steigt, und seine Beine und Stiefelabsätze umarmt, während er herabkommt. »Mein Kurier! Mein wackerer Kurier! Mein Freund! mein Bruder!« Die Wirtin liebt ihn, das Zimmermädchen segnet ihn, der Kellner verehrt ihn. Der Kurier fragt, ob sein Brief angekommen ist. Natürlich, natürlich. Sind die Zimmer bereit? Natürlich, natürlich. Die besten Zimmer für meinen wackern Kurier; die Staatszimmer für meinen braven Kurier; das ganze Haus steht meinem besten Freund zu Diensten! Seine Hand verläßt den Wagenschlag noch nicht, und er stellt noch eine Frage, um die Erwartung zu steigern. Über den Rock trägt er eine grünlederne Tasche an einem Riemen. Die Herumstehenden betrachten sie; einer berührt sie. Sie ist ganz angefüllt mit Fünf-Franc-Stücken. Ein Gemurmel der Bewunderung rauscht durch die Schar der Knaben. Der Wirt fällt dem Kurier um den Hals und drückt ihn an die Brust. Er ist viel dicker geworden, sagt er. Er sieht so frisch und gesund aus!
Der Schlag geht auf. Atemlose Erwartung. Die Dame der Familie steigt aus! Ah, die liebe Dame! Die schöne Dame! Die Schwester der Dame der Familie steigt aus. Großer Gott, Mamsell ist reizend! Erster kleiner Knabe steigt aus. Oh, was für ein hübscher kleiner Junge! Erstes kleines Mädchen steigt aus. Ach, das reizende Kind! Zweites kleines Mädchen steigt aus. Die Wirtin, dem schönsten Trieb unserer gemeinsamen Menschennatur nachgebend, hebt es in ihren Armen in die Höhe! Zweiter kleiner Knabe steigt aus. Oh, der liebe Junge! Ach, die niedlichen kleinen Leute! Das Wickelkind wird herausgereicht. Das Engelskind! Das Wickelkind hat alles übertroffen. Das ganze Entzücken richtet sich auf das Wickelkind! Dann steigen die beiden Kindermädchen heraus; die Begeisterung steigert sich bis zum Wahnsinn, und die ganze Familie wird die Treppe hinaufgetragen, wie auf einer Wolke; während die Müßiggänger unten im Hofe sich um den Wagen drängen und hineingucken und um ihn herumgehen und ihn anfühlen. Denn es ist schon etwas, einen Wagen anzufühlen, in dem so viele Leute gesessen haben. Das ist eine Hinterlassenschaft für Kinder und Kindeskinder.
Die Zimmer sind im ersten Stock, außer der Kinderstube für die Nacht, einem großen öden Saale mit vier oder fünf Betten darin! Durch einen dunklen Gang, zwei Stufen hinauf, vier hinab, an einem Brunnen vorüber, über einen Balkon und in die Tür neben dem Stall. Die andern Schlafzimmer sind groß und luftig; jedes mit zwei kleinen Bettstellen, geschmackvoll wie die Fenster mit roten und weißen Vorhängen geziert. Der Salon ist prächtig. Der Tisch ist schon für drei gedeckt, und die Servietten sind wie dreieckige Hüte. Der Fußboden besteht aus roten Ziegeln, Teppiche fehlen, und von den Möbeln ist nicht viel zu sagen; aber Überfluß herrscht an Spiegeln, und große Vasen mit künstlichen Blumen unter Glasglocken und eine Menge Uhren sind vorhanden. Die ganze Reisegesellschaft ist in Bewegung. Vorzüglich der wackere Kurier ist überall; er sieht nach den Betten, muß sich von seinem lieben Bruder, dem Wirt, Wein die Gurgel hinabgießen lassen und findet Gurken – immer Gurken; weiß der Himmel, wo er sie findet –, mit denen er herumgeht, eine in jeder Hand, wie einen Marschallstab.
Es ist serviert. Wir bekommen eine sehr dünne Suppe; sehr große Brote, eins für jeden; einen Fisch; dann vier Gänge; dann Geflügel; dann Nachtisch; und keinen Mangel an Wein. In den Schüsseln ist nicht viel; aber die Gerichte sind sehr gut und immer sogleich fertig. Wenn es fast dunkel ist, tritt der wackere Kurier, nachdem er die beiden Gurken, in den Inhalt einer ziemlich großen Ölflasche und in den einer Weinflasche geschnitten, verzehrt hat, aus seinem Versteck unten heraus und schlägt einen Besuch des Domes vor, dessen mächtiger Turm auf den Hof des Gasthauses herabsieht. Wir machen uns auf den Weg; und sehr feierlich und großartig nimmt sich die Kirche aus in der Dämmerung; so dämmerhaft zuletzt, daß der höfliche alte Sakristan mit dem Totenkopfgesicht einen winzigen Kerzenstummel anbrennt, um zwischen den Gräbern herumzustolpern – und er sieht unter den düstern Säulen aus wie ein verirrtes Gespenst, das sein eigenes Grab sucht. Als wir zurückkehren, sehen wir die niedere Dienerschaft des Gasthofes unter dem Balkon im Freien an einem großen Tisch zu Abend essen; das Gericht ist ein Ragout aus Fleisch und Gemüse, rauchend in dem eisernen Kessel, in dem es gekocht, aufgetragen. Sie haben einen Krug mit dünnem Wein und sind sehr lustig, lustiger als der Herr mit dem roten Bart, der Billard spielt in dem lampenerhellten Zimmer, links im Hofe, wo Schatten mit Queues in der Hand und Zigarren im Munde beständig vor den Fenstern vorbeischweben. Immer noch geht der hagere Curé mit Buch und Regenschirm auf und ab, immer noch allein. Und da geht er noch, und dort klicken die Billardbälle, nachdem wir lange schon schlafen.
Um sechs Uhr schon am andern Morgen sind wir auf den Beinen. Herrliches Wetter, den Schmutz des gestrigen Tages am Wagen beschämend, wenn irgend etwas einen Wagen in einem Lande beschämen könnte, wo Wagen niemals gewaschen werden. Alles ist munter und rührig; und während wir unser Frühstück beendigen, kommen die Pferde aus dem Posthaus in den Hof geklingelt. Alles, was aus dem Wagen genommen worden ist, wird wieder hineingetan. Der wackere Kurier meldet, daß alles bereit sei, nachdem er durch jedes Zimmer gegangen und sich überall umgesehen, um sich zu überzeugen, daß nichts zurückbleibt. Alles steigt ein; alles, was zum Hôtel de l'Ecu d'Or gehört, ist wieder entzückt. Der wackere Kurier läuft ins Haus, um ein Päckchen mit kaltem Geflügel, Schinkenschnitten, Brot und Keksen zum Lunch zu holen, reicht es in die Kutsche und eilt wieder zurück.
Was hat er jetzt in der Hand? Wieder Gurken? Nein. Einen langen Zettel. Es ist die Rechnung.
Der wackere Kurier hat an diesem Morgen zwei Gürtel: der eine trägt die Geldtasche, der andere eine tüchtige Lederflasche, bis zum Stöpsel gefüllt mit dem besten leichten Bordeaux des Hauses. Er bezahlt niemals die Rechnung eher, als bis diese Flasche voll ist. Dann macht er seine Ausstellungen.
Er macht jetzt seine Ausstellungen, und zwar mit Lebhaftigkeit. Er ist immer noch des Wirtes Bruder, aber von einem andern Vater und einer andern Mutter. Er ist ihm nicht mehr so nahe verwandt wie gestern abend. Der Wirt kratzt sich hinter den Ohren. Der wackere Kurier zeigt auf gewisse Ziffern in der Rechnung und gibt zu verstehen, daß, wenn sie so blieben, das Hôtel de l'Ecu d'Or von jetzt an und in alle Ewigkeit ein Hôtel de l'Ecu de Cuivre sein werde. Der Wirt geht in ein kleines Kontor. Der wackere Kurier folgt ihm, zwingt ihm die Rechnung und eine Feder in die Hand und spricht schneller und eifriger als je. Der Wirt nimmt die Feder. Der Kurier lächelt. Der Wirt ändert etwas. Der Kurier reißt einen Witz. Der Wirt ist zärtlich, aber nicht mit Schwäche. Er trägt es wie ein Mann. Er schüttelt seinem wackern Bruder die Hand, aber umarmt ihn nicht. Aber dennoch liebt er seinen Bruder; denn er weiß, daß er in guter Zeit diese Straße mit einer andern Familie zurückkommen wird, und sieht voraus, daß sein Herz sich wieder nach ihm sehnen wird. Der wackere Kurier geht noch einmal um den Wagen herum, besieht den Hemmschuh, untersucht die Stricke, steigt hinauf, gibt das Zeichen, und fort geht's!
Es ist Markttag. Der Markt wird auf dem kleinen Platz vor dem Dom gehalten. Er ist gedrängt voll von Männern und Weibern in Blau, in Rot, in Grün, in Weiß, von leinwandüberdachten Ständen und flatternden Waren. Das Landvolk steht herum, vor sich die reinlichen Körbe. Hier die Spitzenverkäufer; dort die Butter- und Eierverkäufer; hier die Obstweiber; da die Schuhmacher. Der ganze Platz sieht aus, als wäre er die Bühne eines großen Theaters, als wäre der Vorhang eben aufgegangen zum Beginn eines malerischen Balletts. Und da ist auch noch der Dom: wie eine Dekoration, ganz ernst, gebräunt, zernagt und kalt, auf das Pflaster dort ein paar blutrote Tropfen streuend, als die Morgensonne, durch ein kleines Fenster auf der Ostseite sich hereinstehlend, durch ein paar gemalte Scheiben auf der Westseite bricht.
In fünf Minuten sind wir an dem eisernen Kreuz mit einem Stückchen Rasen zum Knien und an den letzten Häusern der Stadt vorüber und wieder auf der Straße.
Chalons ist ein hübscher Rastort, wegen seines guten Gasthofes am Ufer des Flusses und der kleinen gar schmuck rot und grün angestrichenen Dampfboote, die auf ihm hin und her fahren; das ist ein angenehmes und erfrischendes Schauspiel nach dem staubigen Weg. Aber außer wenn ihr auf einer ungeheuern Ebene wohnen wollt, mit krummen Reihen von wetterzerrissenen Pappeln, die aus der Ferne wie Kämme mit zerbrochenen Zähnen aussehen, und außer wenn ihr gern euer ganzes Leben zubringen wollt, ohne die Möglichkeit, einmal bergauf zu gehen, oder überhaupt etwas anderes hinaufzusteigen als Treppen, wird euch schwerlich Chalons als Wohnort gefallen.
Wahrscheinlich aber wird es euch noch besser erscheinen als Lyon, welches ihr, wenn es euch sonst gefällt, in einem der vorerwähnten Dampfschiffe in acht Stunden erreichen könnt.
Welch eine Stadt Lyon ist! Ihr sprecht von Leuten, denen es zu gewissen unglücklichen Zeiten ist, als wären sie aus den Wolken gefallen! Hier ist eine ganze Stadt, die wie vom Himmel herabgefallen ist, nachdem sie erst wie andere Steine, die aus jener Region herabkommen, aus Morästen und öden Flecken, unheimlich anzusehen, zusammengelesen wurde! Die zwei großen Straßen, durch welche die zwei großen Ströme stürzen, und alle die kleinen Straßen, deren Name Legion ist, lagen da, kochend und rauchend im Sonnenbrand. Die Häuser hoch und groß, schmutzig über alle Maßen, verrottet wie alter Käse und ebenso dicht bevölkert. Bis zu der Spitze der Hügel hinauf, welche die Stadt eng einschließen, drängen sich diese Häuser, und die Wesen darin lagen faulenzend in den Fenstern und trockneten ihre zerlumpten Kleider auf Stangen und krochen zu den Türen rein und raus und traten heraus, um auf dem Pflaster mühsam kärgliche Luft zu schöpfen, und schlichen zwischen hohen Haufen und Balken verrotteter und stockiger Waren hindurch, und lebten oder starben vielmehr nicht, bis ihre Zeit kommen wird, unter dieser luftleeren Luftpumpen-Glocke. Alle Fabrikstädte, zu einer verschmolzen, würden kaum den Eindruck wiedergeben, den Lyon auf mich machte: denn alle Eigenschaften einer ausländischen Stadt, wo Abzugskanäle und Kehrbesen noch nicht erfunden sind, schienen hier auf das angeborne Elend der Fabrikstadt gepfropft zu sein; und daraus entstehen Früchte, denen ich gern ein paar Meilen aus dem Wege gehen würde, um sie nicht noch einmal zu sehen.
In der Kühle des Abends – oder vielmehr in der erstorbenen Hitze des Tages – gingen wir zum Dom, wo verschiedene alte Weiber und ein paar Hunde beschaulich verweilten. Hinsichtlich der Reinlichkeit war kein Unterschied zwischen dem steinernen Fußboden der Kirche und der Straßen zu bemerken; auch ein wächserner Heiliger war vorhanden, in einem kleinen Kasten, wie eine Schiffskoje mit einer Glastüre davor, eine Figur, mit der Madame Tussaud sich um keinen Preis würde abgeben wollen und deren sich selbst die Westminsterabtei hätte schämen können. Wenn ihr alles von der Architektur dieser Kirche oder einer andern, ihren Erbauern, ihrer Größe, ihrem Reichtum und ihrer Geschichte wissen wollt, so steht es ja geschrieben in Murrays Führer, und ihr könnt es dort lesen und ihm dafür danken, wie ich es tat!
Aus demselben Grunde würde ich auch die merkwürdige Glocke im Lyoner Dom nicht erwähnen, wäre es nicht des kleinen Irrtums wegen, in den ich bei diesem Kunstwerk verfiel. Der Sakristan der Kirche wollte sie mir durchaus zeigen; teils wegen der Berühmtheit des Domes und der Stadt, und vielleicht auch, weil er einen Anteil an dem Führergeld hatte, welches wir dann mehr geben mußten. Wie dem immer sein mag, die Uhr wurde in Bewegung gesetzt, worauf eine Unmasse kleiner Türen aufflog und zahllose kleine Figuren herausstolperten und wieder zurückfuhren mit jener eigentümlichen Ungewißheit, was sie zu tun hätten, und jenem Zucken in ihren Bewegungen, welches Figuren, die durch Uhrwerke bewegt werden, immer anhängt. Unterdessen erklärte der Sakristan diese Wunder und zeigte sie uns nach der Reihe mit seinem Stab. In der Mitte war die Jungfrau Maria, und dicht neben ihr ein Loch, wie in einem Taubenschlag, aus dem eine andere und sehr häßliche Puppe so plötzlich herausfuhr, wie ich es nimmer gesehen, bei dem Anblick der Jungfrau wieder verschwand und ihre kleine Tür heftig hinter sich zuschlug. In der Meinung, dies sei eine symbolische Darstellung des Sieges über Sünde und Tod, und durchaus nicht abgeneigt zu zeigen, daß ich in der Sache vollkommen unterrichtet sei, sagte ich, schnell dem Führer das Wort aus dem Munde nehmend: »Aha! Der böse Geist. Ganz recht. Er ist sehr bald abgetan.« » Pardon, Monsieur«, sagte der Sakristan, mit einer höflichen Handbewegung gegen das Türchen, als ob er jemand vorstellte, »der Engel Gabriel!«
Kurz nach Tagesanbruch am nächsten Morgen fuhren wir mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen in der Stunde die pfeilschnelle Rhone hinab, in einem sehr schmutzigen Dampfschiff voller Waren und mit nur drei oder vier anderen Passagieren als Reisegefährten. Unter ihnen war der merkwürdigste ein lächerlicher, alter, demütig aussehender, knoblauchessender, unendlich höflicher Chevalier, mit einem Stückchen schmutzigen roten Bandes im Knopfloch, als ob er es hineingeknüpft hätte, um sich an etwas zu erinnern: gerade wie Tom Noddy in der Farce Knoten in sein Taschentuch schlingt.
Während der letzten zwei Tage hatten wir große düstere Hügel, die ersten Vorläufer der Alpen, in der Ferne grauen sehen. Jetzt schossen wir neben ihnen hin: zuweilen dicht an ihrer Seite, zuweilen lag noch ein sanfterer Abhang zwischen uns und ihnen, bedeckt mit Weinbergen. Dörfer und kleine Städte hoch droben in der Luft mit großen Olivenwäldern, die man durch die luftigen offenen Türme ihrer Kirchen erblickte, während Wolken langsam über die steile Höhe hinter ihnen strichen; verfallene Burgen auf jeder Höhe und zerstreute Häuser in den Schluchten und Spalten der Hügel machten das Schauspiel sehr schön. Auch ließ ihre große Höhe die Gebäude sehr niedlich erscheinen, daß sie aussahen wie zierliche Modelle. Ihre außerordentliche Weiße auf dem Hintergrund der braunen Felsen oder dem düsteren und gesättigten Grün des Olivenbaumes und das zwerghafte Maß und die kleinen langsamen Schritte der Männer und Frauen an dem Rande gaben ein reizendes Bild ab. Auch Fähren ohne Zahl gab es; Brücken: der berühmte Pont d'Esprit mit ich weiß nicht wie vielen Bögen; Städte, wo bedeutende Weine gemacht werden; Valence, wo Napoleon studierte; und der großartige Fluß, der bei jeder Wendung neue Schönheiten zu Gesicht brachte.
Endlich lag noch an demselben Nachmittag die gebrochene Brücke von Avignon vor uns, und die ganze Stadt buk in der Sonne, allerdings mit einem bezinnten Wall, gelb wie eine schlechtgebackene Pastetenrinde, die niemals braun werden will, und wenn sie auch jahrhundertelang büke.
Die Trauben hingen dicht gedrängt in den Straßen, und der Oleander glänzte überall in voller Blüte. Die Straßen sind alt und sehr schmal, aber leidlich reinlich und beschattet von Markisen, die zwischen den Häusern aufgespannt sind. Grellfarbige Stoffe und Tücher, Kuriositäten, alte holzgeschnitzte Bilderrahmen, alte Stühle, gespenstisch aussehende Gemälde, heilige Jungfrauen, Engel und grell gemalte, plumpe Porträts standen darunter zum Verkauf, so daß die Stadt ganz eigentümlich und heiter aussah. Gehoben wurde dies noch durch zufällige Einblicke durch offenstehende rostige Tore, in schlummerstille Höfe mit stattlichen alten Häusern, still wie Gräber. Das Ganze war wie eine Beschreibung aus Tausendundeiner Nacht. Die drei einäugigen Derwische hätten an jede dieser Türen klopfen können, bis die Straße widerhallte, und der Türsteher, der durchaus nicht aufhören wollte zu fragen – der Mann, der die schönen Sachen am Morgen in seinem Korbe fand –, hätte öffnen können, ohne daß sich jemand darüber gewundert hätte.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen gingen wir aus, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu betrachten. Ein so köstlicher Wind wehte vom Norden herüber, daß der Spaziergang ganz anmutig war, obgleich die Pflastersteine und die Mauern und die Häuser viel zu heiß waren, als daß man ruhig die Hand hätte daran legen können.
Zuerst gingen wir eine felsige Höhe hinauf zum Dom, wo die Messe zelebriert wurde vor einem Publikum, das dem in Lyon sehr ähnlich war, nämlich verschiedenen alten Weibern, einem kleinen Kind und einem Hund von unzerstörbarem Gleichmut, der sich eine Übungsbahn ausgesucht hatte, die beim Altargitter anfing und bei der Tür endigte und die er während der ganzen Dauer des Gottesdienstes so methodisch ruhig auf und ab trabte, wie es nur ein alter Herr im Freien tun konnte. Der Dom ist eine kahle, alte Kirche, und die Gemälde an der Decke sind von der Zeit und dem feuchten Wetter traurig mitgenommen; aber die Sonne schien herrlich durch die roten Fenstervorhänge und funkelte auf dem Altargerät; und alles sah so hell und freundlich aus, wie es nur zu verlangen war.
Ich ging beiseite, um einige Malereien anzusehen, die ein französischer Maler und sein Schüler in Fresco ausführen sollten, und musterte bei dieser Gelegenheit genauer, als ich sonst getan hätte, eine große Anzahl von Votivtafeln, mit denen die Wände der verschiedenen Kapellen überreichlich bedeckt waren – ich will nicht sagen, verziert, denn sie waren sehr roh und wunderlich ausgeführt, wahrscheinlich von armen Schildermalern, die sich auf diese Weise ein ärmliches Brot verdienen. Es waren lauter kleine Bilder, und jedes stellte eine Krankheit oder einen Unfall dar, aus dem die solches widmende Person durch die Vermittlung ihres Schutzheiligen oder der Madonna gerettet worden war, und ich kann sicher behaupten, daß sie gute Beispiele der ganzen Klasse waren. Sie sind in Italien sehr häufig.
In ihren wunderlichen eckigen Umrissen und ihrer unmöglichen Perspektive waren sie den Holzschnitten in alten Büchern nicht unähnlich; aber es waren Ölgemälde, und der Künstler hatte, wie der Maler der Pfarrerfamilie von Wakefield, die Farben nicht geschont. Auf dem einen wollte sich eine Dame eine Zehe abnehmen lassen, eine Operation, zu deren Beaufsichtigung eine Heilige auf einer Wolke in die Stube geschwebt war. Auf einem andern lag eine Dame im Bett, sehr säuberlich in die Bettücher eingewickelt, und starrte mit großer Fassung einen dreibeinigen Tisch an, auf dem ein großes Becken stand: die gewöhnliche Form eines Waschtisches und außer dem Bett das einzige Stück Hausrat im Zimmer. Man hätte sich nie träumen lassen, daß sie an etwas leide, außer vielleicht an der Unannehmlichkeit, so wunderbar wach zu sein, wenn der Maler nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die ganze Familie auf den Knien in einer Ecke zu versammeln, die Beine hinten auf den Fußboden hinausstreckend wie Stiefelleisten. Darüber erschien die Jungfrau auf einer Art blauem Sofa und versprach der Kranken Genesung. Auf einem andern Bild sah man eine Dame unmittelbar draußen vor der Stadtmauer in drohendster Gefahr, von einem großen Wagen überfahren zu werden. Aber auch hier war wieder die Madonna. Ob die übernatürliche Erscheinung das Pferd scheu gemacht hatte oder ob sie ihm unsichtbar war, weiß ich nicht; aber es galoppierte hinweg ohne die geringste Ehrfurcht oder Reue. Auf jedem Bild war » ex voto« mit gelben großen Buchstaben in den Himmel gemalt.
Obgleich Votivgaben in heidnischen Tempeln nicht unbekannt waren und eine der vielen Kompromisse zwischen der falschen Religion und der wahren sind, wo die wahre sich noch in ihrer Kindheit befindet, möchte ich doch wünschen, daß alle andern Kompromisse eben so harmlos wären. Dankbarkeit und Frömmigkeit sind christliche Eigenschaften; und mit einem dankbaren, demütigen christlichen Geist läßt sich dieser Brauch durchaus vereinbaren.
Dicht bei dem Dom steht der alte Palast der Päpste, von dem ein Teil jetzt ein Kerker, der andere eine lärmende Kaserne ist; während düstere Reihen von Staatszimmern, verschlossen und verlassen, wie ein Hohn auf den Glanz und die Pracht ihrer Vergangenheit dastehen, gleich einbalsamierten Königsleichen. Aber wir gingen dorthin, weder um Prunkzimmer noch um Kasernenräume oder Gefängnisse zu sehen, obgleich wir ein paar Geldstücke in die Gefangenenbüchse an der Tür steckten, während die Gefangenen hoch oben durch ihre eisernen Gitter blickten und uns mit unruhiger Aufmerksamkeit betrachteten. Wir gingen hin, um uns die Ruinen der schauerlichen Räume anzusehen, in welchen die Inquisition vor Zeiten ihre Sitzungen abhielt.
Ein kleines, altes, braunes Weib mit funkelnden schwarzen Augen – ein Beweis, daß die Welt den Teufel in ihr noch nicht beschworen hatte, obgleich sie sechzig bis siebzig Jahre dazu Zeit gehabt hätte – trat mit einem großen Bund Schlüssel aus der Kasernenschenke, der sie vorstand, und schritt uns voraus. Wie sie uns unterwegs erzählte, daß sie eine Regierungsbeamtin sei ( concierge du palais apostolique) und seit ich weiß nicht wie vielen Jahren schon gewesen sei; und wie sie diese Gefängnisse Fürsten gezeigt habe; und wie sie die beste von allen Kerkerführern sei; und wie sie in diesem Palast von Kindheit an gewohnt habe – dort geboren sei, wenn ich nicht irre –, das brauche ich nicht zu erzählen. Aber eine solche wütende, kleine, rasche, feuersprühende, energische Teufelin habe ich nirgends gesehen. Sie war die ganze Zeit über in Feuer und Flammen. Ihr Gebärdenspiel war über alle Maßen heftig. Sie sprach niemals, ohne dazu stehen zu bleiben. Sie stampfte mit dem Fuße, faßte uns bei den Armen, nahm theatralische Stellungen ein, hämmerte gegen die Mauern mit ihren Schlüsseln, um ihren Worten noch Nachdruck zu verleihen. Jetzt flüsterte sie, als wäre die Inquisition noch da; jetzt schrie sie, als läge sie selbst auf der Folter, und dabei machte sie geheimnisvolle hexenartige Gesten mit ihrem Zeigefinger, wenn sie sich den Resten einer neuen Schrecklichkeit näherte – wobei sie zurücksah und auf den Zehen schlich und abscheuliche Grimassen schnitt –, die sie allein befähigt hätten, um eines Kranken Kopfkissen, mit Ausschluß aller andern Gestalten, durch die ganze Dauer eines Fiebers schweben zu lassen.
Wir kamen über einen Hof, in dem unbeschäftigte Soldaten herumstanden, und gingen durch ein Seitentor, welches diese Hexe für uns öffnete und wieder hinter uns schloß. Dann traten wir in einen engen Hof, noch enger geworden durch herabgefallene Steine und Schutthaufen, von denen einige die Mündung eines verfallenen unterirdischen Ganges verstopften, der einst mit einem andern Schloß auf dem entgegengesetzten Ufer des Flusses in Verbindung stand oder gestanden haben soll. Dicht neben diesem Hof ist ein Kerker – wir standen drinnen in der nächsten Minute – in dem unheimlichen Turm des oubliettes, wo Rienzi gefangensaß, mit einer eisernen Kette an dieselbe Mauer gefesselt, die jetzt noch steht, aber beraubt des Himmelslichtes, welches jetzt hereinscheint. Ein paar Stufen brachten uns in die Verliese, wo die Gefangenen der Inquisition achtundvierzig Stunden lang nach ihrer Verhaftung ohne Speise und Trank eingesperrt blieben, damit ihre Standhaftigkeit erschüttert werde, selbst ehe sie noch vor ihre schrecklichen Richter traten. Dorthin ist der Tag noch nicht gelangt. Noch sind es enge Zellen, eingeschlossen von vier starren harten Mauern; immer noch herrscht dort die tiefste Nacht; immer noch schließen sie feste Türen und Riegel wie ehedem.
Die Hexe ging mit dem Blick, den ich oben beschrieben habe, leise weiter in einen gewölbten Raum, jetzt als Vorratskammer benutzt, einst die Kapelle des heiligen Offiziums. Der Saal, wo das Gericht tagte, war einfach, die Bühne hätte gestern erst entfernt sein können. Man denke sich das Gleichnis des guten Samariters an der Wand eines dieser Inquisitionsräume! Und doch war das Bild dort, und noch jetzt kann man seine Spur entdecken.
Hoch oben in der mißtrauischen Mauer sind Nischen, wo die bebende Antwort der Beschuldigten vernommen und niedergeschrieben wurde. Viele von ihnen brachte man aus derselben Zelle, die wir soeben gesehen; durch denselben steinernen Gang. Wir waren in ihre Fußstapfen getreten.
Ich blicke um mich mit dem Schrecken, den ein solcher Ort einflößt, als mich die Hexe am Arme faßt und nicht die knochigen Finger, sondern den Griff eines der Schlüssel an die Lippe legt. Mit einer Bewegung lädt sie mich ein, ihr zu folgen. Ich tue es. Sie führt mich in einen anstoßenden Raum mit einem trichterförmigen, oben immer enger werdenden Dach, das sich hoch oben dem hellen Himmel öffnet. Ich frage sie, wo wir sind. Sie schlägt die Arme übereinander, grinst abscheulich und starrt mich an. Ich frage wieder. Sie blickt um sich, um zu sehen, ob die ganze kleine Gesellschaft da ist; dann setzt sie sich auf einen Steinhaufen nieder, wirft die Arme in die Luft und ruft mit gellender Stimme wie ein Dämon: » La salle de la question!«
Die Folterkammer! Und das Dach wurde in dieser Form gebaut, um das Geschrei der Opfer zu ersticken. O Hexe, Hexe! laß uns eine Weile darüber nachdenken und schweigen. Still, Hexe! Bleibe mit deinen kurzen Armen, deine Knie umfassend, dort auf dem Steinhaufen nur fünf Minuten lang sitzen, und dann sei wieder Feuer und Flamme!
Minuten! Sekunden hat der Zeiger der Palastuhr noch nicht hinter sich, als die Hexe schon wieder mit funkelnden Augen in der Mitte des Gemachs steht und mit ihren sonnenverbrannten Armen ein Rad darstellt, das schwere Schläge austeilt. »So drehte es sich um und um!« rief die Hexe. »Dumpf hallend, eine endlose Reihe schwerer Hämmer, niederfallend auf des Gemarterten Glieder. Seht den steinernen Trog«, sagte die Hexe. »Für die Wasserfolter. Da schlinge, schwelle, berste zu des Erlösers Ehre! Ziehe den blutigen Leinenfetzen mit jedem deiner Atemzüge in deinen ungläubigen Körper, Ketzer! Und wenn der Henker ihn wieder herauszieht, rauchende Spuren tragend von den kleinen Geheimnissen von Gottes Ebenbild, dann erkenne in uns seine auserwählten Diener, die wahrhaft an die Bergpredigt Glaubenden, die erlesenen Schüler dessen, der nie anders Wunder tat, als um zu heilen, der nie über einen Menschen Lähmungen, Blindheit, Taubheit, Stummheit, Wahnsinn oder eine andere Krankheit verhängte, der seine gesegnete Hand nie anders ausstreckte, als um Genesung und Erlösung vom Leid zu spenden.«
»Seht!« ruft die Hexe. »Dort war der Ofen. Dort machten sie die Eisen glühend heiß. Jene Löcher stützten den gespitzten Pfahl, an dem die Gemarterten hingen; mit ihrem ganzen Gewicht baumelten sie vom Dach herab. Aber«, flüsterte die Hexe, »hat Monsieur von diesem Turme gehört? Ja? Dann sehen Sie hinab!«