Bildethik - Christian Schicha - E-Book

Bildethik E-Book

Christian Schicha

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Beschreibung

Dieser Band nimmt eine Einführung in das Forschungsfeld der Bildethik vor. Er beschäftigt sich mit Grundlagen, Anwendungen und Bewertungen der Bildkommunikation aus einer normativen Perspektive. Es werden spezifische Charakteristika von Bildern aufgezeigt, Spannungsfelder zwischen dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit einerseits und dem Schutz von abgebildeten Personen andererseits dargelegt. Es geht um Werturteile, die den Fragen nachgehen, nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, welche Bilder in welchem Kontext unter welchen Bedingungen welchem Personenkreis gezeigt werden dürfen und in welchen Fällen auf Veröffentlichungen von Aufnahmen aufgrund gut begründeter Argumente verzichtet werden sollte. Neben grundlegenden Informationen zur Relevanz, Funktion und Wahrnehmung von Bildern werden juristische und ethische Zugänge aufgezeigt, bevor Ausprägungen der Dokumentar- und Kunstfotografie sowie des Fotojournalismus skizziert werden. Inhaltlich werden neben Berichten über Kriege und Terroranschläge auch Beiträge thematisiert, die sich mit politischen und werblichen Fotografien beschäftigen. Darüber hinaus werden Einsatzfelder von Körperbildern reflektiert, die sich mit Modeaufnahmen ebenso auseinandersetzen wie mit erotischen Fotos und Selfies. Weiterhin werden Formen und Ausprägungen der analogen und digitalen Bildbearbeitung erörtert, bevor satirische Abbildungen im Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und Schmähkritik problematisiert werden. Abschließend werden Beispiele und Kriterien für einen ethisch angemessenen Umgang mit Bildern von verstorbenen Menschen vorgelegt.

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EPUB

Seitenzahl: 374

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Christian Schicha

Bildethik

Grundlagen, Anwendungen, Bewertungen

Umschlagabbildung: © iStockphoto ozgurdonmaz

 

© UVK Verlag 2021– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

 

utb-Nr. 5519

ISBN 978-3-8252-5519-0 (Print)

ISBN 978-3-8463-5519-0 (ePub)

Inhalt

1 EinleitungI Grundlagen2 Bilder2.1 Relevanz2.2 Bildwissenschaft und Visual Culture Studies2.3 Bild und Text2.4 Bildverwendung2.5 Bildverarbeitung2.6 Bildikonen2.7 Bildfunktionen2.8 Bildtypen2.9 Bildwahrnehmungen2.10 Bildwirkungen3 Normative Zugänge3.1 Bildrecht3.2 Bildethik3.3 Medienselbstkontrolle: Der Deutsche PresseratII Anwendungen4 Dokumentar- und Kunstfotografie4.1 Arthur H. Feeling4.2 Lee Miller4.3 Henri Cartier-Bresson4.4 Robert Capa4.5 Willy Ronis4.6 Helmut Newton4.7 Guy Bourdin4.8 Robert Lebeck4.9 Gerhard Richter4.10 Herlinde Koelbl4.11 Roger Melis4.12 Sebastião Salgado4.13 Robert Mapplethorpe4.14 James Nachtwey4.15 Andres Serrano4.16 Martin Parr4.17 Bettina Rheims4.18 Cindy Sherman4.19 Andreas Gursky4.20 Juergen Teller4.21 Terry Richardson4.22 Till Mayer5 Fotojournalismus5.1 Publikationen5.2 Boulevard5.3 Paparazzi6 Kriegsberichterstattung6.1 Kriegsfotografen6.2 Kriegsbilder6.3 Normative Leitlinien7 Die Terroranschläge vom 11. September 2011 in den USA7.1 Publikationen7.2 Die Attentate als Medienevent7.3 The Falling Man7.4 Katastrophen im Spielfilm7.5 Symbole des Terrors7.6 Trauerbekundungen7.7 Medienberichte über weitere Attentate und Anschläge8 Politische Bilder8.1 Politik(vermittlung) auf vier Ebenen8.2 Symbolische Politik8.3 Wahlkampf8.4 Propaganda8.5 Deutsche Politiker8.6 Amerikanische Politiker8.7 Obamas Fotografen9 Werbung9.1 Frauenbilder9.2 Provokationen9.3 Medienselbstkontrolle: Der Deutsche Werberat10 Körperbilder10.1 Mode10.2 Erotik10.3 Pornografie10.4 Selfies11 Bildbearbeitung11.1 Fälschungen11.2 Manipulationen11.3 Techniken11.4 Kennzeichnungsoptionen11.5 Überprüfungsmöglichkeiten12 Satire12.1 Politische Karikaturen12.2 Mohammed-Karikaturen12.3 Bearbeitung eines Papstbildes12.4 Bildproteste13 Bilder von Verstorbenen13.1 Papst Johannes Paul II13.2 Politiker13.3 Geflüchtete13.4 Opfer von VerbrechenIII Bewertungen14 Fazit und Ausblick15 Initiativen15.1 Fachgruppe Visuelle Kommunikation der DGPuK15.2 Freelens e.V.15.3 Mimikama15.4 Reporter ohne Grenzen e.V.15.5 Übermedien GmbH15.6 Virtuelle Hochschule Bayern16 Kommentierte Auswahlbibliografie16.1 Monografien16.2 Sammelbände16.3 Schriftenreihen16.4 Fachzeitschriften17 FilmbeiträgeLiteraturZum Autor

1Einleitung

Diese Monografie stellt eine Einführung in das breite Forschungsfeld der Bildethik dar. Sie beschäftigt sich mit Formen, Anwendungen und Bewertungen der Bildkommunikation aus einer normativen Perspektive auf der Basis von Wertvorstellungen über einen angemessenen Umgang mit visuellen Angeboten.

Es werden spezifische Charakteristika von Bildern aufgezeigt, Spannungsfelder zwischen dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit einerseits und dem Schutz von Betroffenen andererseits dargelegt sowie anhand konkreter Beispiele Argumente für und gegen die Veröffentlichungen von Aufnahmen dargelegt.

Es geht dabei nicht um Geschmacks-, sondern um Werturteile, also um die Frage, nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, welche Bilder in welchem Kontext unter welchen Bedingungen welchem Personenkreis gezeigt werden dürfen und in welchen Fällen auf Veröffentlichungen von Aufnahmen aufgrund gut begründeter Normen und Werte verzichtet werden sollte.

In diesem Band wird von einem breit angelegten Bildbegriff ausgegangen. So werden unterschiedliche Bildformen (u.a. Foto, Film, Grafik) für die Analyse und ethische Reflexion vorgestellt. Dabei ist zwischen Einzelaufnahmen und Bewegtbildern zu differenzieren. Es ist weiterhin zu unterscheiden, ob es sich um manuell gefertigte Bilder in Form von Malereien oder Zeichnungen handelt oder um technisch erzeugte Aufnahmen in analoger oder digitaler Form. Gleichwohl geht es nachfolgend zunächst darum, grundlegende Themen- und Problemfelder sowie Beispiele für die bildethische Reflexion zu identifizieren und einzuordnen.

I Grundlagen

Nachdem im zweiten Kapitel neben der Relevanz von Bildern zunächst Ansätze der Bildwissenschaft und der Visual Culture Studies skizziert werden, geht es daran anknüpfend um die Wechselverhältnisse zwischen Bild und Text. Es schließen sich Ausführungen zur Reichweite der Bildverwendung an, bevor Dimensionen der individuellen und kollektiven Bildverarbeitung erörtert werden. Danach werden politische und kulturelle Bildikonen exemplarisch vorgestellt. Es folgen Anmerkungen über Funktionen und Typen von Bildern, bevor Wahrnehmungsprozesse und mögliche Wirkungen aufgezeigt werden.

Das Kapitel 3 widmet sich den normativen Grundlagen des Bildrechtes und der Bildethik. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Disziplinen aufgezeigt. Inhaltlich geht es bei dem juristischen Zugang u.a. um das Recht am eigenen Bild und um spezifische Kriterien, die für und gegen die Verbreitung von Aufnahmen sprechen. Der ethische Zugang setzt sich mit normativen Theorienzugängen, Reflexions- und Bewertungsverfahren sowie Norm­ver­stößen im Zusammenhang mit dem Bildgebrauch auseinander. Abschließend werden Richtlinien der Medienselbstkontrolle zum angemessenen Umgang mit Bildern am Beispiel des Deutschen Presserates vorgestellt.

II Anwendungen

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit ausgewählten Fotografen1 aus dem dokumentarischen und künstlerischen Kontext, die aufgrund ihrer Arbeiten z.T. kritisiert worden sind. So wird der visuelle Umgang mit provokativer Nacktheit und Sexualität ebenso kontrovers diskutiert, wie die Darstellung von Verbrechens- und Kriegsopfern.

Im Kapitel 5 werden Grundlagen, Themenfelder und Veröffentlichungen des Fotojournalismus skizziert, bevor der Boulevard- und Paparazzijournalismus vorgestellt wird, dem vorgeworfen wird, aus kommerziellen Motiven heraus ethische und juristische Regeln der Bildbeschaffung und -verbreitung zu missachten.

Im sechsten Kapitel geht es um die Rahmenbedingungen, Zwänge und normativen Leitlinien, denen Fotografen im Zusammenhang der Kriegsberichterstattung als eingebettete Reporter ausgesetzt sind. Ihre Aufnahmen zeigen das Leid der am Kriegsgeschehen beteiligten Akteure.

Das Kapitel 7 reflektiert die Terrorberichterstattung am Beispiel der Anschläge vom 11. September 2001 in New York. Dabei werden Mechanismen, Symbole und Bilder reflektiert, die das Verbrechen zum Medienevent gemacht haben. Zudem werden Ausprägungen und Entwicklungen von (Bild-)Berichten über weitere Attentate und Anschläge problematisiert.

Das achte Kapitel beschäftigt sich mit Bildern von Politikern. Es werden verschiedene Ebenen des Politikvollzuges, der Politikvermittlung und der Politikwahrnehmung aufgezeigt sowie Ausprägungen symbolischer Politikinszenierungen vorgestellt. Darüber hinaus werden Funktionen und Ausprägungen von Wahlkampfbildern thematisiert, bevor Merkmale und Ausprägungen der Bildpropaganda erörtert werden. Danach werden Bildstrategien im Umgang mit deutschen und amerikanischen Politikern anhand von Beispielen skizziert und bewertet.

Im Kapitel 9 werden visuelle Darstellungsformen der Werbung diskutiert. Hierbei werden u.a. frauenfeindliche und provokative Formen der kommerziellen Produktdarstellung aufgezeigt und eingeordnet. Abschließend werden Standards und Bewertungskriterien zur werblichen Bildkommunikation am Beispiel der Medienselbstkontrollinstanz des Deutschen Werberates vorgestellt.

Im zehnten Kapitel werden Körperbilder thematisiert. Dabei geht es zunächst um Modeaufnahmen. Das bisweilen eindimensionale Schönheitsbild der ausgewählten Fotomodelle steht dabei ebenso in der Kritik wie Skandale, die Modeunternehmen zu verantworten haben. Zudem werden die Darstellung von Nacktheit und Sexualität im Spannungsfeld zwischen Kunst, Erotik und Pornografie sowie mögliche negative Bildwirkungen auf die Rezipienten in diesem Zusammenhang erörtert. Abschließend wird das Phänomen von Selfies als digitale Form von Selbstportraits problematisiert.

Das Kapitel 11 beschäftigt sich mit Formen und Ausprägungen der analogen und digitalen Veränderung von Einzelaufnahmen und Bewegtbildern. Hinsichtlich der Bewertung von Aufnahmen wird zwischen der Bearbeitung, der Fälschung und der Manipulation differenziert. Hierzu werden entsprechende Techniken (u.a. Einfügen und Löschen von Bildelementen, Ästhetisierung, Montage, Retusche) aufgezeigt, bevor konkrete Beispiele vorgestellt und eingeordnet werden. Zudem wird diskutiert, inwiefern Bildveränderungen erkannt und gekennzeichnet werden können.

Im zwölften Kapitel werden ausgewählte Satirebilder aus einer normativen Perspektive analysiert. Es geht dabei um Karikaturen und Cartoons, die bildethische Debatten ausgelöst haben. Dabei wird auch der visuelle Umgang mit religiösen Motiven und Akteuren diskutiert.

Das Kapitel 13 thematisiert die Bilddarstellung von prominenten und nichtprominenten Verstorbenen. Das Spektrum der analysierten Fallbeispiele reicht von Politikern über Geflüchtete bis hin zu Opfern von Verbrechen und Katastrophen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob und wenn ja, in welcher Form und in welchem Kontext Tote überhaupt abgelichtet und gezeigt werden dürfen.

III Bewertungen

Ein Fazit mit Ausblick schließt sich an. Zudem werden Initiativen vorgestellt, die sich aus bildethischen Perspektiven mit normativen Fragen der visuellen Kommunikation beschäftigen.

Eine kommentierte Auswahlbibliografie zur Bildethik und der Hinweis auf ausgewählte Filmbeiträge zum Thema runden den Band ab.

Zielgruppe

Der Band richtet sich u.a. an Studierende und Lehrende der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Journalistik, Politikwissenschaft, Medienpsychologie, Medienpädagogik, Soziologie, Philosophie und Kulturwissenschaft. Dabei werden Inhalte vermittelt, die auch für Journalisten und Fotoreporter relevant sein können, um die Reflexion und Sensibilität im Umgang mit Bildern zu fördern.

Danksagung

Nachdem ich 2019 in der utb-Reihe bereits die Monografie Medienethik. Grundlagen – Anwendungen – Ressourcen veröffentlichen durfte, möchte ich mich bei Dr. Jürgen Schechler vom UVK-Verlag für die erneut gute Zusammenarbeit bei dem vorliegenden Band bedanken.

Inhaltliche Anregungen und konstruktive Kritik zum Manuskript habe ich von Dr. Cornelia Brantner, Susanna Endres, Christian Gürtler, Prof. Dr. Thomas Zeilinger und Prof. Dr. Oliver Zöllner erhalten. Susanna Endres hat zusätzlich die Erstellung der Abbildungen 1 und 2 in diesem Buch übernommen. Sie entstanden im Rahmen des Online-Seminars Medienethik an der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB).

 

Mein besonderer Dank für die Korrekturen und Unterstützung gilt Lisa Glagow-Schicha.

 

Erlangen, im März 2021    Christian Schicha

IGrundlagen

2Bilder

Bildeindrücke sind nicht zwingend mit realen Aufnahmen verbunden, sondern können auch in der Fantasie entstehen. Mitchell (2008) zufolge lassen sich verschiedene Bildkategorien voneinander unterscheiden. Dazu gehören:

grafische Kategorien (u.a. Gemälde, Zeichnungen, Pläne),

optische Kategorien (u.a. Spiegel, Projektionen),

geistige Kategorien (u.a. Träume, Erinnerungen, Ideen).

Zudem lassen sich unterschiedliche Formen von Bildern voneinander abgrenzen, wie die nachfolgende Abbildung zeigt:

Abb. 1:

Bildformen in Anlehnung an Leifert 2007

Hinzu kommen Schaubilder, Grafiken und Diagramme, die als Infografiken bezeichnet werden. Sie visualisieren abstrakte Vorgänge, die in der Regel nicht verständlich sind, wenn nur das Abbild eines Gegenstandes vorgelegt wird. Durch sie werden komplexe Sachverhalte und komplizierte Zusammenhänge verdeutlicht,

„[…] die in journalistischen Texten oft nur schwer, prägnant, präzise und verständlich wiedergegeben werden können. Infografiken bieten dem Leser den Vorteil, schnell eine große Informationsdichte zu vermitteln. Zudem fehlt es bei bestimmten Ereignissen an Fotomaterial oder die Erstellung einer Fotoserie käme zu teuer. […] Der Einsatz dieser visuellen Darstellungsform ist vor allem geeignet zur Veranschaulichung von Zahlen und Informationen aus den Bereichen Politik, Soziologie, Wirtschaft, Sport, Naturwissenschaften und Wetter“ (Mast 2004, S. 337f.).

Als weitere Variante einer Infografik kann auf das Zahlenbild zurückgegriffen werden, bei denen zumeist statistische Informationen visualisiert werden. Dazu gehören u.a. „Stab-, Balken-, Säulen-, Flächen-, Kurven- oder Kreisdiagramme, […] die von den gängigen Computer-Grafikprogrammen produziert werden“ (Mast 2004, S. 338).

Die Rezipienten bauen sich mit Hilfe dieser und weiterer visueller Darstellungen und Erinnerungen daran einen Erfahrungshorizont auf, der ihnen Orientierung ermöglichen kann. Die Bilder können entschlüsselt, verglichen und eingeordnet werden.

Nachfolgend wird darauf eingegangen, warum visuelle Darstellungen überhaupt relevant sind und welche theoretischen Zugänge zum Forschungsfeld existieren. Es wird skizziert, welche Merkmale Bilder im Vergleich zu Texten besitzen, welche Verwendungs- und Verarbeitungszusammenhänge sich aufzeigen lassen, welche Bildtypen unterschieden werden können und welche Bildwahrnehmungen sowie potenziellen Bildwirkungen vorhanden sein können.

2.1Relevanz

„Ohne die Photographie mit ihren Abkömmlingen Film und Fernsehen wäre unser Zeitalter geradezu blind. Sie unterstützt die Fähigkeiten unseres Auges und wandelt den flüchtigen Eindruck zum bleibenden Dokument. Sie übertrifft die Fähigkeiten des Auges und wandelt den flüchtigen Eindruck zum bleibenden Dokument. […] Vom Winzigsten bis zum Riesigsten dringt sie in den Mikro- und Makrokosmos ein und hat so das Sehvermögen des Menschen in alle Dimensionen potenziert. Und immer bleibt der Mensch hierbei das Maß aller Dinge; denn die Photographie wurde von ihm für ihn geschaffen.“ (Gruber 1968, S. 5)

Die Verbreitung von Bildern hat in den letzten Jahren durch die Nutzung sozialer Netzwerke im Internet rasant zugenommen. Auf Facebook werden täglich etwa 350 Millionen Fotos hochgeladen. Dies entspricht 4000 Fotos pro Sekunde. Digitale Anbieter wie Instagram und Snapchat forcieren diesen Trend (vgl. Schankweiler 2019).

In nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen der Menschheit spielen Bilder eine zentrale Rolle. Dies gilt sowohl für die Medien, Wirtschaft, Werbung, Medizin, Politik und Kunst als auch für die Nachrichtenkommunikation.

„Mit Hilfe von Bildern werden Nachrichten vermittelt; Infografiken sind aus den Printmedien nicht mehr wegzudenken. Geschichtsbücher mutieren zu Bildbänden; Bildgebende Verfahren prägen die medizinische Diagnostik; das Fernsehen wandelt sich zum hundertkanäligen Unterhaltungsmedium; Großleinwände werben für die neuesten Produkte oder senden ‚Breaking News‘; Handys versenden Kurzfilme schon fast in Echtzeit.“ (Paul 2011, S. 7)

Technische Neuerungen wie die digitale Fotografie bieten Hobbyfotografen die Möglichkeit, mit dem eigenen mobilen Endgerät kostengünstig hochwertige Aufnahmen zu machen und zu verbreiten. Durch die Nutzung von Smartphones mit eingebauter Kamera erfährt der Amateurfilm im Rahmen der fortschreiten Digitalisierung eine zusätzliche Bedeutung. Private Aufnahmen werden ohne großen technischen oder finanziellen Aufwand als Handyfoto oder Film verschickt und mit anderen geteilt. Banale Alltagsaufnahmen werden ebenso publiziert wie Bilder von Unglücken und Katastrophen (vgl. Holfelder/Schönberger 2017). Sogar Kinder sind in der Lage, Kurzfilme zu produzieren und über einschlägige Kanäle im Internet zu verbreiten. Medienkonsumenten avancieren als sogenannte Prosumer zusätzlich zu Produzenten von Medieninhalten. Dieser User-Generated-Content ist „zu einem fixen Bestandteil der Alltagskommunikation geworden […], bei dem die Grenzen zwischen Bildkonsum und Bildproduktionen zunehmend verschwimmen“ (Bernhardt/Liebhart 2020, S. 19). Durch diese Entwicklung verschiebt sich die Verantwortung von den professionellen Bildfotografen zusätzlich auf die Fotoamateure.

2.2Bildwissenschaft und Visual Culture Studies

„Bilder prägen gesellschaftliches Handeln, Denken und Erinnern – Bilder interpretieren Normen und Wertvorstellungen und stellen damit Aussichten kultureller, gesellschaftlicher und politischer Räume dar.“ (Knieper 2006, S. 306f.)

Um einen ersten Eindruck über das Forschungsfeld der visuellen Kommunikation zu erhalten, wird zunächst auf bildwissenschaftliche und kulturelle Zugänge zurückgegriffen, wobei die daran anknüpfende ethische Bewertung von Bildern in unterschiedlichen Ausprägungen und Zusammenhängen aus einer normativen Perspektive für die vorliegende Publikation zentral ist.

Die Bildwissenschaft wird als eine übergreifende und heterogene Wissenschaftsdisziplin verstanden, die unterschiedliche Fachrichtungen umfasst (vgl. Sachs-Hombach 2003 und 2005). Ihre Aufgaben werden Frank und Lange (2010, S. 11) zufolge wie folgt interpretiert:

„Am besten ist Bildwissenschaft als Tätigkeit in einem Feld zu bezeichnen, auf dem mit interdisziplinären Verfahrensweisen die Objekte einer visuellen Kultur erst konstruiert, dann analysiert und interpretiert werden.“

Dazu gehören u.a. die Kunsttheorie und Kunstwissenschaft, die Politikwissenschaft, die Kulturwissenschaft, die Soziologie, die Philosophie, die Psychologie, die Semiotik, die Ästhetik, die Theologie, die Pädagogik sowie die Medien- und Kommunikationswissenschaft (vgl. Pichler/Ubl 2014). Die Bildwissenschaft beschäftigt sich weniger mit ethischen, sondern vorwiegend mit theoretischen und historischen Aspekten. Dabei geht es um Bildpraktiken in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, wobei ein grundlegendes Verständnis für alle Bildmedien entwickelt wird (vgl. Lobinger 2012).

Die Visual Culture Studies hingegen verfolgen einen anderen Zugang. Sie

„[…] unternehmen eher eine Kritik der Bilder, die gesellschaftliche Bildpraktiken und ihre Verflechtungen in postkoloniale, gender- und machttheoretische Aspekte. Daher resultiert auch eine unterschiedliche historische Orientierung: während die Bildwissenschaft entweder systematisch, sprich überzeitlich, oder historisch ausgerichtet ist, verstehen sich die Visual Culture Studies zuallererst als Kritik gegen die zeitgenössischen Bildkulturen. Ihre Aufmerksamkeit gilt daher vor allem der Gegenwart. Ein letzter, aber entscheidender Unterschied liegt in dem jeweiligen Gegenstandsbereich: während die Bildwissenschaften sich auf Bilder konzentrieren, gilt es den Visual Culture Studies um das deutlich weitere Feld des Visuellen, um visuelle Kulturen.“ (Rimmele/Sachs-Hombach/Stiegler 2014, S. 10)

Insofern werden hierbei bereits Kritik- und Machtaspekte aus einer normativen Perspektive erörtert. Dabei wird das Forschungsfeld der Populär- und Alltagskultur berücksichtigt, das die Konzeption der Cultural Studies (Machart 2008) aufgreift. Danach kann Kultur als ein Feld von politischen Machtbeziehungen interpretiert werden, das soziale Identitäten wie Klasse, Geschlecht oder sexuelle Orientierung in die Analyse einschließt.

Die Visual Culture Studies lassen sich in das „Verhältnis zur kulturellen Ebene von Gesellschaften setzen“ (Astheimer 2016, S. 58), da sie die entsprechenden Sinngehalte u.a. über Privatbilder, Werbeanzeigen und Illustrationen transportieren. Darüber hinaus sind kulturübergreifende Vergleiche in visueller Form über die Kanäle der Neuen Medien möglich. Seitz, Graneß und Stenger (2018, S. 1) zufolge

„[…] können Bilder dank neuer Informations- und Distributionstechniken mit rasanter Geschwindigkeit über alle kulturellen Grenzen hinweg zirkulieren und dabei in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedliche Effekte zeitigen“.

Insofern werden Aufnahmen hier in einen weitergehenden kulturellen Zusammenhang gerückt. Wirkungen und Bedeutungen von Bildern und Praktiken des Bildes „sind eingebettet in gesellschaftliche Symbolsysteme, Normen, Praktiken und Machtkonstellationen etc.“ (Rimmele/Stiegler 2012, S. 9). Es wird untersucht, auf welche Weise Bilder Bedeutungen produzieren, etablieren und in Frage stellen. Zudem wird analysiert, in welchen unterschiedlichen Bereichen Bilder entstehen, wie sie rezipiert werden und welche Funktionen sie erfüllen (vgl. Helbig/Russegger/Winter 2014 a und b).

2.3Bild und Text

‚Bild schlägt Wort‘ ist die prägnante Bezeichnung einer These, die behauptet, dass die visuellen Eindrücke das gesprochene Wort dominieren und die Erinnerungsleistung von Medieninhalten stärker durch das Bild als durch den Text geprägt wird. Die Metapher der sogenannten Text-Bild-Schere besagt, dass die Aufnahmen z. B. beim Fernsehkonsum einen stärkeren Eindruck hinterlassen als der gesprochene Text. Ursprünglich sollten die Bilder nur unterstützend dazu beitragen, dass der Text besser verstanden wird. In empirischen Experimenten, bei denen TV-Magazinbeiträge rezipiert wurden, hat sich herausgestellt, dass sich die Aufmerksamkeit der Rezipienten stärker auf die gezeigten Bewegtbilder gerichtet haben als auf die Worte im Film. Die bildlichen Eindrücke konnten besser behalten werden als die Wortbeiträge. Dies galt besonders dann, wenn es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Wort und Bild gab. Dann erinnerten sich die Zuschauer häufig kaum an den Text, während der Inhalt der Bilder gut behalten wurde. Dennoch fühlte sich das Publikum subjektiv gut informiert. Insofern war hier auch eine Schere in Bezug auf die Wahrnehmung zu konstatieren (vgl. Wember 1991).

In der Entwicklung des Menschen ist vor der Sprache zunächst die visuelle Wahrnehmung ausgeprägt. Berger (1996, S. 7) formuliert diese Tatsache wie folgt: „Sehen kommt vor Sprechen. Kinder sehen und erkennen, bevor sie sprechen können.“ Dabei folgt die Informationsaufnahme unmittelbar: „Bilder sind schnelle Medien, viel schneller als Worte. Denn sie können uns einen komplexen Sachverhalt sehr direkt vermitteln, ohne wirklich viel erklären zu müssen.“ (Doswald 2002, S. 7)

Visuelle Kommunikation ist für die effektive Verarbeitung von Informationen zentral. Bilder lassen sich schneller wahrnehmen als verbale Botschaften. Sie erfordern eine geringere kognitive Anstrengung und können gut erinnert werden. In diesem Kontext wird von einem „Bildüberlegenheitseffekt (Picture Superiority Effect)“ (Bernhardt/Liebhardt 2020, S. 20) ausgegangen.

Die Präsentation mit Bildern ist deshalb eingängiger als sprachliche Kommunikation, weil die in ihr enthaltene Interpretation des Geschehens nicht ohne weiteres widerspruchsfähig ist. Bilder erwecken hingegen den Eindruck einer unmittelbaren Wirklichkeitswiedergabe.

Die Logik der Texte unterscheidet sich von der Logik der Bilder, da die Textlogik argumentativ und die Bildlogik assoziativ verläuft. Bild und Text sind deshalb aber nicht zwingend konkurrierende menschliche Ausdrucksformen, da sie sich wechselseitig aufeinander beziehen können und demzufolge für die Erfassung des Gesamtzusammenhangs voneinander abhängig sind (vgl. Müller/Geise 2003, Schicha/Vaih-Bauer 2015). Im Bild werden sämtliche visuellen Elemente gleichzeitig erfasst, während die sprachliche Schilderung „Handlungsakte und Ereignisse einer Geschichte nacheinander erzählt“ (vgl. Pandel 2008, S. 15).

Bilder besitzen den weiteren Vorteil, dass sie unmittelbar verständlich sind, nicht in Fremdsprachen übersetzt werden müssen und somit einen konstruktiven Beitrag zur globalen Verständigung leisten können (vgl. Tappe 2016). Dennoch sind für die Entschlüsselung und Bewertung von Bildern weitere visuelle und ethische Kompetenzen erforderlich.

2.4Bildverwendung

Mit Hilfe von Bildern lassen sich Sachverhalte auf vielfältige Weise präsentieren. Es können Dinge dargestellt werden, die den Blickwinkel des menschlichen Auges in Form von Luftaufnahmen, Fotomontagen und Rundsichten überschreiten. Der Einsatz von Bildtechniken ermöglicht neue Perspektiven durch Transformationen, Verzerrungen, Vergrößerungen und Verkleinerungen. Bilder über das „Werden des menschlichen Lebens im Mutterleib“ (Koetzle 2017, S. 434) durch Ultraschallaufnahmen schaffen Möglichkeiten für die Diagnostik zu medizinischen Zwecken (vgl. Geise/Brückmann 2015). Neben Röntgenaufnahmen können bildgebende Verfahren der Magnetresonanztomographie Aufnahmen aus Körpern des Menschen zeigen, die die Basis bei der Entscheidung ärztlicher Behandlungen schaffen.

„Fotografien werden während des gesamten Lebenslaufs und von allen Lebenslagen gemacht, von der pränatalen Ultraschallaufnahme des Fötus bis zum Foto eines Verstorbenen auf dem Totenbett, von der Mikroaufnahme einer Körperzelle bis zum Blick in fremde Galaxien des Weltraumteleskops Hubble, von der Fotografie der Freizeitaktivitäten bis hin zum Foto politisch-diplomatischer Geheimverhandlungen. Fotografie ist fester Bestandteil sowohl der Kunst als auch der populären Kultur und des Alltags geworden.“ (Pilarczyk/Mietzner 2005, S. 14)

Bilder können als Belege für einen Sachverhalt oder als Kunstwerke und historische Quellen in Erscheinung treten. Sie können als bemalte, gezeichnete, gestochene und belichtete Fläche auftreten und als grafische Sonderform wie der Karikatur, dem Plakat und dem Comic zur Darstellung gelangen.

Bilder dokumentieren Sachverhalte in Form von Ereignissen, Personen, Gegenständen und Landschaften aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie zeigen ideal typischerweise, was der Fall ist. Gleichwohl verzerren sie die Proportionalität und reduzieren durch ihre Größe in der Regel den Ausschnitt, der aufgenommen worden ist. So ist üblicherweise das aufgenommene Foto kleiner als das eigentliche Motiv. Der umgekehrte Fall tritt bei Aufnahmen einer Zelle oder von Bakterien und Teilchen auf. Dann eröffnet das Foto eine Fülle von Details und zeigt etwas, das mit dem menschlichen Auge nicht wahrgenommen werden kann.

Durch die Fotografie werden flüchtige Augenblicke eingefangen und dokumentiert, die über Sprachgrenzen hinweg einen spezifischen Sinn produzieren können (vgl. Pandel 2008). Die Grenzen der eigenen Wahrnehmung können durch visuelle Aufnahmen erweitert werden: „Bilder berichten von lebenden Zellen, von fernen Galaxien, von genetischen Codes, von physikalischen Schaltungszuständen.“ (Faßler 2002, S. 10)

Durch die Betrachtung eines Bildes kann ein Zugang zu Sachverhalten erlangt werden, die sich der unmittelbaren Anschauung entziehen. „Ein Bild ist ein Ort der Repräsentation, d.h. ein Bild vergegenwärtigt durch die Mittel der visuellen Darstellung ein an sich abwesendes Phänomen.“ (Borstnar/Pabst/Wulff 2008, S. 97) Honnef (2013, S. 11) weist zusätzlich auf den Vergangenheitsbezug der Bildentstehung hin:

„Was ein fotografisches Bild tatsächlich dokumentiert, ist ein Augenblick, der immer schon gewesen ist. Die Präsenz der Vergangenheit. Alles andere ist Erscheinung. Der Zeitpfeil der Fotografie zieht unumkehrbar nach rückwärts.“

Erfahrungen vergangenen Momente werden festgehalten und erhalten durch eine Aufnahme eine Form und eine Gestalt (vgl. Sontag 2019).

2.5Bildverarbeitung

Bilder werden mit der klassischen Medienberichterstattung in Verbindung gebracht, die primär dokumentarischen Zwecken dient und dadurch ein Angebot an die Rezipienten macht, die Aufnahmen den individuellen Bedürfnissen folgend sinnvoll zu verwerten.

„Bilder, vor allem Fotografien und Fernsehbilder, verfügen gegenüber anderen Medien über gewichtete Vorteile, die einen Teil ihrer Macht begründen. Zunächst lässt sich mit ihnen schnell und effektiv Aufmerksamkeit erzielen, ein in moderner Gesellschaft knappes und daher wertvolles Gut. Für viele Menschen haben Bilder darüber hinaus eine natürliche Autorität und genießen daher größeres Vertrauen, sie scheinen die Realität objektiv und authentisch, nach einer naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit abzubilden.“ (Paul 2009a, S. 88)

Jeder Mensch trägt seine eigenen Bilder im Kopf, da er individuelle Eindrücke und Erfahrungen gemacht, erinnert und verarbeitet hat. Gleichwohl sind bedeutende historische, sportliche, wirtschaftliche, kulturelle, technische und politische Ereignisse sowie Milieustudien in Form von Fotos, Fernsehbildern, Illustrationen und Gemälden im kollektiven Bildgedächtnis einer Gesellschaft als Erinnerungsorte haften geblieben sind (vgl. Becher 2001). Derartige Aufnahmen zeigen Triumphe und Katastrophen sowie Momente der Freude und der Trauer. Schönes und Schreckliches wird in Bildern inszeniert, arrangiert, bearbeitet und gefälscht.

Dabei ist zwischen Aufnahmen zu differenzieren, die über die analogen und digitalen Medienkanäle im Rahmen der Berichterstattung vermittelt werden und persönliche Bilder, die eigenständig erstellt werden. Besonders beliebt sind Privat- und Familienaufnahmen, die eine Gegenwart einfangen, die nach der Aufnahme direkt zur Vergangenheit gehören:

„So erlaubt uns das Familienalbum mit den Familienschnappschüssen viele Zeitreisen. Manche Motive ändern sich nie. Familienfeiern, Freunde, Hochzeiten, Babys, Haustiere, Häuser, Gärten, Urlaub, Reisen, Weihnachten, verlängerte sonnige Wochenenden, überraschender Schneefall, Teilnahme an nationalen Ereignissen.“ (Roberts 2001, S. 106)

Grundlegend ist zu differenzieren zwischen dem gesellschaftlichen und privaten Bildgedächtnis sowie deren potenziellen Vermengung durch das Verschieben der Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit.

Im privaten Kontext kann eine „Kultur der Grosszügigkeit“ (Simon 2014, S. 13) leichtsinnig werden, sofern Menschen im Umgang mit eigenen Bildern teilweise unbedarft agieren. In diesem Zusammenhang wird auf die Konzeption des Privacy-Paradoxons hingewiesen, das besagt, dass Personen persönliche Informationen teilen, obwohl sie sich zugleich Sorgen um den Erhalt ihrer Privatsphäre machen (vgl. Grimm/Krah 2016, Grimm/Keber/Zöllner 2019). Derartige Verhaltensweisen finden statt, wenn Eltern Aufnahmen ihrer Kinder ins Netz stellen, ohne zu reflektieren, ob diese damit langfristig einverstanden sind. Zudem sollte bedacht werden, dass eingestellte Bilder im Internet kaum depubliziert werden können. Bereits gelöschte Aufnahmen können wiederhergestellt werden, sofern Spuren im Netz erhalten bleiben (vgl. Zöllner 2017).

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Bilder nicht nur eine hohe Relevanz für Kommunikations- und Erinnerungsprozesse sowie deren Folgen besitzen, sondern sogar einen Ikonenstatus erreichen können.

2.6Bildikonen

Spektakuläre und unterhaltsame Bilder verfügen bei der Aufnahme und Wahrnehmung der Rezipienten über einen Aufmerksamkeitsvorsprung gegenüber verbalen Informationen und den konventionellen Bildritualen, um eine Themenkarriere zu machen. Es haben sich Bilder im Kopf (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 2009) im kollektiven Gedächtnis eingeprägt, die zentrale politische und historische Ereignisse dokumentieren und einen Ikonenstatus erlangen können. Dazu gehören Bilder von Terroranschlägen wie am 11. September 2001 in den USA ebenso wie Bilder von entführten Personen wie dem damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer von 1977 oder Fotos von Verstorbenen wie dem Studenten Benno Ohnesorg von 1967 oder dem geflüchteten Kind Aylan Kurdi, dessen Leiche 2015 an den Strand von Bodrum angespült worden ist. Die erste Mondlandung von 1969 ist ebenso präsent wie das Bild des ostdeutschen Grenzsoldaten, der 1961 über den Stacheldraht der innerdeutschen Grenze sprang und dabei sein Gewehr weggeworfen hat.

Sogenannte Photo-Icons konzentrieren sich auf „Schlüsselbilder aus der Geschichte des Mediums, die bezogen auf Technik, Ästhetik oder sozialen Gebrauch die konventionelle Fotografie ‚vorangetrieben‘ haben“ (Koetzle 2005, S. 7). Hier finden sich Fotos von berühmten Schauspielern und Popstars, Bilder von Kriegen und Katastrophen, historische und politische Aufnahmen sowie Dokumente der Fotokunst (Koetzle 2012). Einige Bilder sind zu Ikonen geworden (vgl. Paul 2008). Sie haben einen Platz im kollektiven Gedächtnis ihrer Betrachter bekommen. Dabei handelt es sich nicht um Heiligenbilder der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, sondern auch um Aufnahmen von Persönlichkeiten und Gegenständen aus der Kunst, der Werbung, dem Sport und der Politik.

Es geht dabei auch um Phänomene der Kulturindustrie.

Als Werbeikone gilt z. B. die Coca-Cola Flasche.

Der VW-Käfer wird als Designikone klassifiziert.

Als Ikonen der Vernichtung werden die 1945 entstandenen Bilder der Leichenberge aus befreiten Konzentrationslagern in Deutschland bezeichnet.

Zu den Politikerikonen gehören visuelle Darstellungen u.a. von Mao Zedong oder Che Guevara.

Ereignisikonen umfassen Katastrophen wie den Absturz des Luftschiffs Hindenburg und der gewaltsame Angriff auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 durch Anhänger des damaligen Präsidenten Donald Trump.

Als Ikonen der Popkultur werden Künstler wie die Beatles, Madonna und Michael Jackson klassifiziert.

Ikonenstatus erhalten insbesondere Verstorbene, die in jungen Jahren ums Leben gekommen sind. Musiker wie Robert Johnson (1911-1938), Brian Jones (1942-1969)), Jimi Hendrix (1942-1970), Janis Joplin (1943-1970), Jim Morrison (1943-1971), Curt Cobain (1967-1994) und Amy Winehouse (1983-2011) starben bereits im Alter von 27 Jahren und wurden ebenfalls zu (Bild-)Ikonen (vgl. Seim/Spiegel 2009).

Derartige Aufnahmen besitzen für die Rezipienten eine spezifische Botschaft, die eine weitergehende Bedeutung enthalten können und somit über die eigentliche Verwendung der Gegenstände oder Darstellung der abgebildeten Personen bzw. Ereignisse hinausgehen. In diesem Kontext wird auch auf symbolisch aufgeladene Mythen des Alltages (Barthes 1964) verwiesen, die im kollektiven Bildgedächtnis erhalten bleiben.

Aufnahmen von Protesten können ebenfalls einen Ikonenstatus erhalten. Der Mann, der 1968 in Bratislava mit entblößter Brust vor einem sowjetischen Panzer demonstrierte, als eine Kanone auf ihn gerichtet wurde, gehört ebenso dazu wie der sogenannte Tank Man, der sich 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking ebenfalls vor einen Panzer stellte:

„Hier hatte sich einen Tag nach der gewaltsamen Niederschlagung eines Volksaufstands auf dem Platz ein einzelner Mann einer Panzerkolonne entgegengestellt. Die Bilder des Vorfalls erlangten internationale Bekanntheit.“ (Schankweiler 2019, S. 25)

Derartige Aufnahmen symbolisieren Schankweiler (2019, S. 27) zufolge den Kampf gegen starke Autoritäten. Die „David-gegen-Goliath-Bildformel, in der sich eine einzelne heldenhafte Person einer Übermacht entgegenstellt, ist äußerst stabil und gehört regelrecht zum Repertoire von Protestkulturen“.

Die Umweltorganisation Greenpeace folgt ebenfalls diesem Muster, indem sie die Bilder zeigt, auf denen ihre Schlauchbootaktivisten im Kampf gegen die großen umweltbelastenden Schiffe auf den Weltmeeren vorgehen (vgl. Schicha 2001b). Insgesamt lassen sich Bilder von Protesten auf Demonstrationen vielfältig nutzen. Einerseits können die Demonstranten ihr eigenes Protesthandeln durch die entsprechenden Aufnahmen dokumentieren und weiterverbreiten, um weitere Anhänger zu generieren (vgl. Venema 2020). Die Bilder können andererseits der Überwachung und daraus resultierenden Strafverfolgung der Demonstranten durch den Staat dienen. Sie haben zum Teil als Schlüsselbilder den Eingang in die Geschichtsbücher gefunden.

2.7Bildfunktionen

„Das fotografische Bild muss ernst genommen werden als ein ästhetisches Konstrukt, zugleich sind die spezifisch medialen Eigenschaften des fotografischen Bildes, seine Technizität, massenhafte Reproduzierbarkeit und das Prinzip der Selektion als Grundzug fotografischer Produktion und Verwendung sowie die Konsequenzen für Bildgebrauch und Bildwahrnehmung für die theoretische und methodologische Fundierung fotografischer Analysemethoden zu bedenken.“ (Pilarczyk/Mietzner 2005, S. 8)

Schockbilder werden in der Gesundheitskommunikation eingesetzt, um gesunde Verhaltensweisen zu fördern. Ihre Funktion liegt darin, Angst vor den negativen Konsequenzen etwa des Rauchens durch den Einsatz von Schockbildern zu erzeugen:

„Zahlreiche Forschungsarbeiten beschäftigen sich z. B. mit Warnhinweisen im Gesundheitskontext. Gesellschaftlich relevant ist etwa die Frage nach dem Einfluss von Fotos auf Zigarettenpackungen, die in Europa verpflichtend sind. Warnhinweise mit Fotos auf Zigarettenpackungen scheinen tatsächlich effektiver zu sein als Warnhinweise ohne Fotos (nur Text).“ (Stein/Sehic/Appel 2020, S. 178)

Auf den Packungen werden Bilder gezeigt, die Ekel erzeugen können. Zu sehen sind kranke und verstorbene Menschen, sowie amputierte Körperteile und beschädigte Lungenflügel. Die Fotos sollen auf die Risiken und möglichen Konsequenzen des Tabakkonsums hinweisen und dazu beitragen, dass die Zahl der Raucher abnimmt.

Bilder sind mehr als schmückendes Beiwerk von Texten oder Worten. Sie dienen nicht nur der visuellen Ausgestaltung von Ereignissen, sondern besitzen wichtige gesellschaftliche Orientierungsfunktionen. So wird der Visualisierung die Funktion zugeschrieben, bestimmte Inhalte durch Bilder zu komplettieren und transparent zu machen. Diese Ergänzungsfunktion hat sich zu einer Dominierungsfunktion gegenüber den Informationsquellen Schrift und Wort weiterentwickelt. Aufnahmen dienen als Beleg und Beweis für bestimmte Zustände, obwohl nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit gezeigt wird.

„Bilder sind nie perfekte Abbildungen der Wirklichkeit. Jedes Foto und jedes Video stellt aufgrund natürlicher und technischer Restriktionen bereits einen vom Schaffenden gewählten Ausschnitte einer Gesamtszenerie dar und das Herstellen von Bildern selbst ändert oft das, was abgebildet werden soll.“ (Stein/Sehic/Appel 2020, S. 177)

Spezifische Dinge und Ereignisse, die visuell dargestellt und wiedergegeben werden, können als sogenannte Eyecatcher über einen werblichen Charakter verfügen (vgl. Ballensiefen 2009). Neben der Belegfunktion, Darstellungsfunkton und Werbefunktion sind weitere Bildfunktionen für Lernprozesse im Zusammenwirken von Texten von entscheidender Bedeutung (vgl. zum Folgenden Meutsch 1990, Schicha 2005b):

Durch ihre dekorierende Funktion erhöhen sie die Attraktivität von Texten und ermöglichen einen Ebenenwechsel zwischen dem geschriebenen Wort und dem visuellen Moment, sofern zusätzliche Ausschmückungen und Dekorationen von Gegenständen und Körpern angeboten werden.

Bilder in repräsentativer Funktion besitzen einen Bezug zu den Inhalten von Texten. Sie bilden Hauptpersonen und Objekte ab, die im Text eine zentrale Rolle übernehmen und akzentuieren relevante Personen durch Hervorhebung.

Die interpretierende Funktion von Bildern kann komplizierte Textpassagen durch Vergleiche mit bereits bekannten Prinzipien ermöglichen, um zu einer besseren Texterklärung zu gelangen. Zum Verständnis von Elektrizität kann etwa in einer visuellen Darstellung auf Analogien mit dem Wasserkreislauf zurückgegriffen werden.

Die transformierende Funktion sorgt dafür, dass Bilder eine Gesamtaussage anbieten, die nachträglich durch Detailinformationen im Text erläutert und weitergehend ausdifferenziert wird.

Die erläuternde Funktion erörtert durch Statistiken, Grafiken und Diagramme spezifische Entwicklungen – etwa in Form von Meinungsumfragen – in komprimierter und übersichtlicher Form.

Weiterhin lassen sich nachfolgende Bildfunktionen aufzeigen (vgl. Meckel 2001):

Durch die Informationsfunktion liefern Bilder zusätzliche oder ergänzende Informationen zum Textteil.

Bilder vermitteln durch die Erlebnisfunktion das Gefühl, ein Ereignis miterleben zu können und können dadurch ggf. eine Augenzeugenillusion erzeugen.

Bilder können im Rahmen der Emotionalisierungsfunktion Gefühle und Stimmungen eindringlich produzieren.

Bilder in repräsentativer Funktion besitzen einen Bezug zu den Inhalten von Texten. Sie bilden Hauptpersonen und Objekte ab, die im Text eine zentrale Rolle übernehmen und akzentuieren damit durch Hervorhebung die relevanten Personen.

Doelker (1997) und Glaab (2003) verweisen auf zusätzliche funktionale Bedeutungen von Bildern:

Spurbilder besitzen eine registrative Funktion. So steht die Abbildung von Rauch für ein Feuer, das visuell nicht als eigentliches Ereignis in Erscheinung tritt. Die Fotografie fungiert hier als Verweis auf einen weitergehenden Zusammenhang.

Abbilder, Schaubilder und Phantasiebilder verfügen über eine mimetische Funktion im Verständnis einer Nachahmung. So werden Gerichtszeichnungen zu Illustrationszwecken genutzt, wenn das Fotografieren nicht gestattet ist. Weiterhin können Schaubilder in Form wissenschaftlicher Visualisierungen entsprechend eingesetzt werden.

Surrogatbilder generieren eine simulative Funktion. Sie dienen der Nachbildung. Dazu gehören Höhlenbilder ebenso wie Standbilder von Herrschern und Abbilder von Produkten auf Verpackungen.

Schaubilder verfügen über eine explikative Funktion. Derartige Darstellungen können z. B. die Struktur eines Moleküls anschaulich erklären und verdeutlichen.

Phantasiebilder haben durch ihre diegetische Funktion als Erzählung keinen unmittelbaren Bezug zur Wirklichkeit, sondern liefern künstlerische Formen, die über reale Erscheinungen hinausgehen. Hierzu zählen Bilder von Comics über den Fotoroman bis hin zum Animationsfilm.

Pushbilder besitzen eine appellative Funktion. Sie verfolgen die Absicht, Emotionen zu schaffen und spezifische Handlungen auszulösen. Bilder von hungernden Menschen oder Opfern von Naturkatastrophen können dazu führen, dass die Spendenbereitschaft der Betrachter wächst, um zu helfen (vgl. Knüpfer/Fischer/Vüllers 2005).

Füllbilder umfassen eine phatische Funktion. Es geht darum, Verbindungen herzustellen. Dies kann durch eine spezifische Farbgestaltung oder ein Logo in Form einer Buchstabenkombination sowie einer Illustration bewerkstelligt werden.

Clipbilder übernehmen eine ontische Funktion. Hierbei werden künstlerische Visualisierungsformen eingesetzt, die keinen unmittelbaren Bezug zum eigentlichen Gegenstand haben müssen. So werden in Musikvideos und Videoclips Bildelemente eingesetzt, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Song stehen. Es geht primär um eine ästhetisch ansprechende Wirkung. Das Bild dient hier primär der Formgebung (vgl. Weiß 2007).

Wirkbilder generieren eine energetische Funktion. Hierbei kommt es darauf an, bei den Rezipienten als Impuls durch die Farbgestaltung eine positive Wirkung im Rahmen einer Therapie zu erreichen. Überspitzt formuliert übt das Bild eine positive oder negative Macht auf den Betrachter aus. Im negativen Fall können Aggressionen erzeugt werden.

Nachfolgend werden die zuletzt skizzierten Bildfunktionen in dem folgenden Schaubild noch einmal zusammengefasst:

Abb. 2:

Bildfunktionen in Anlehnung an Doelker 1997

2.8Bildtypen

Der Journalismus lebt im Rahmen der Berichterstattung vom Verkauf der Medienprodukte, den Klicks der Internetnutzer und der „Einschaltquotenmentalität“ (Bourdieu 1998, S. 36.) im Fernsehen. Massenmedien müssen im Rahmen ihrer Berichterstattung neben den für die Rezipienten vorherrschenden Relevanzstrukturen, Bedürfnissen und Wunschvorstellungen zusätzlich die Sehgewohnheiten diverser Publika beachten, um auf dem Medienmarkt bestehen zu können. Dabei werden Bilder so ausgewählt und eingesetzt, dass sie das Interesse und die Aufmerksamkeit der Rezipienten durch die Verwendung unterschiedlicher Bildtypen erreichen. Durch die Aufnahme von Bildeindrücken lässt sich insgesamt eine hohe Aufmerksamkeit generieren. Diese werden ohne große mentale Anstrengungen aufgenommen und verarbeitet. Sie besitzen zusätzlich einen hohen Wiedererkennungswert (vgl. Geise 2011). Gleichwohl können dadurch weitergehende Zusammenhänge zum Gesamtverständnis nicht erfasst werden. Dafür sind weitergehende Informationen erforderlich.

Im Rahmen einer eigenen Untersuchung (Meyer/Ontrup/Schicha 2000a) sind eine Reihe von empirisch anzutreffenden Bildtypen aus der politischen Medienberichterstattung skizziert worden, die im Folgenden in einer überarbeiteten und ergänzten Form noch einmal dargestellt und eingeordnet werden.

Das Erläuterungsbild übernimmt eine unterstützende Funktion gegenüber der verbalen Information, indem es einen Zusammenhang, über den im Text gesprochen wird, visuell verständlich macht. Dabei antwortet es auf Fragen der Zusammenhänge. Die primäre Funktion ist also die didaktische Form der Verständnissicherung. Bilder dieser Art beruhen auf Diagrammen und Trickgrafiken, z. B. bei der Wetterkarte im Fernsehen.

Das Demonstrationsbild ist dem Erläuterungsbild zwar eng verwandt, unterscheidet sich aber dadurch von ihm, dass wesentlich neue Informationen auf der Bildseite liegen, bzw. der Inhalt des Bildes als noch nicht bekannt vorausgesetzt wird. Es antwortet auf die Frage nach der konkreten Ausgestaltung. Dabei handelt es sich vorzugsweise um Realbilder in einem mehr oder weniger illustrativen Verhältnis zum Text. Es geht darum zu zeigen, worüber im Text gesprochen wird.

Unter die Kategorie des Darstellungsbildes fallen in dieser Perspektive stereotypisierte Schnittmusterszenen, die jeder Nachrichtenzuschauer seit Jahrzehnten kennt: Politiker be- oder entsteigen Limousinen oder Flugzeugen, unterzeichnen Verträge, schütteln Hände usw. Politiker sehen sich dabei gerne als Erlöser, indem sie durch eine symbolische Scheinhandlung den Eindruck suggerieren, dass sich die Probleme durch ihren Auftritt tatsächlich lösen ließen. So sollte der Besuch von Bill Clinton bei den amerikanischen Soldaten in Deutschland während des Kosovokrieges die Solidarität des amerikanischen Volkes symbolisieren. Als optisches Signal trug der Präsident eine Bomberjacke, um die Verbundenheit mit der Armee zum Ausdruck zu bringen. Entsprechende Kostümierungen haben die amerikanischen Präsidenten George W. Bush und Donald Trump ebenfalls getragen.

Vom bloßen Darstellungsbild ist das Relationsbild zu unterscheiden, das eine bestimmte Beziehung ausdrückt und dabei erst durch den Zusammenhang mit dem verbalen Text verständlich wird. Die Bilder von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow im Juli 1990 beim Spaziergang in Alltagskleidung haben nicht einfach nur zwei hemdsärmelige Herren beim Spaziergang gezeigt, sondern sind zum Symbol für die deutsch-sowjetische Verständigung im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung geworden. Derartige, angeblich private, Treffen gehören inzwischen bereits zum Standardprogramm von Begegnungen, bei denen sich Regierungschefs in einer für die Medien inszenierten betont lockeren Form treffen, bei der dann z. B. auf das Tragen von Krawatten verzichtet wird.

Das Aktionsbild ist umrissen durch ein bestimmtes Milieu, eine bestimmte Situation, aus der eine Handlung hervorgeht, die wiederum die Situation modifiziert. Aktionsbetonte Bilder zeigen einen emotionell interessanten Übergang durch die plötzliche und aktionsreiche Veränderung einer Situation. In diesem Sinne ist das Aktionsbild Teil einer Handlungsfolge, einer Kausalkette mit einer zugrunde liegenden Ursache und einer Folge. Der Dramatisierungseffekt besteht in der Steigerung des unmittelbaren Erlebens und in der Intensivierung des Eindrucks, ein bewegtes emotional interessantes Geschehen zu verfolgen wie Bernhardt und Liebhart (2020, S. 26) konstatieren:

„Wer beispielsweise die Auswirkungen der Klimakrise verständlich machen möchte, tut dies besser mit Bildern von Waldbränden oder Flutkatastrophen als mit Fotos fröhlicher Badegäste in gut besuchten Schwimmbädern.“

Dies können ebenfalls Aufnahmen erreichen, die die Konsequenzen des Klimawandels dokumentieren, sofern etwa rasch schwindende Gletscher gezeigt werden. Derartig beeindruckende Katastrophenfotos können einerseits dazu motivieren, sinnvolle Aktivitäten für den Klimaschutz zu beginnen. Andererseits können sie aber eine Abwehrhaltung (Reaktanz) erzeugen, sofern sich Rezipienten mit diesen visuellen Negativbotschaften nicht auseinandersetzen möchten (vgl. Staud 2016). Obwohl aktionsreiche Bilder den Nimbus der Einzigartigkeit verbreiten sollen, bedienen sie in der Regel konventionelle Schemata. Das visuelle Material hat hier einen hohen Konventionalisierungsgrad bei der Darstellung von Kriegshandlungen, Polizeieinsätzen oder gewalttätigen Ausschreitungen, die sich primär an Nachrichtenfaktoren orientieren, bei denen u.a. Konflikte, Auseinandersetzungen und Kontroversen für die Selektion von Nachrichten dargestellt werden (vgl. Staab 1990, Ruhrmann u.a. 2003).

Eine besonders unterhaltsame und auflockernde Funktion hat das Beziehungsbild. bei dem in Magazin- und Nachrichtensendungen beliebten Prinzip der Doppelmoderation. Hier findet die Zuschaueransprache in einem betont theatralisch inszenierten Rollenspiel statt, bei dem neben dem Moderator noch ein Experte für den Sport im Studio sitzt. Dort werden – speziell bei den privat-kommerziellen Anbietern – so genannte Scherzdialoge geführt, um eine lockere Studioatmosphäre zu suggerieren. Beide Moderatoren werden dann gleichzeitig im Bild für die Zuschauer präsentiert.

Die Wirkung des Emotionsbildes kann durch die Strategie forciert werden, ein Schockbild zu zeigen. Dabei werden etwa die Schrecken des Krieges am eindrucksvollsten durch das Frontalbild eines getöteten Opfers dokumentiert. Es haben sich in diesem Kontext einige Schlüsselbilder herausgebildet, die bei den Rezipienten im Gedächtnis haften geblieben sind. Besonders verwerflich waren die Verbrechen amerikanischer Soldaten an den irakischen Gefangenen, die 2004 im Abu-Ghuraib-Gefängnis bei Bagdad misshandelt wurden. Es wurden Scheinhinrichtungen inszeniert, Stromstöße verabreicht und Hunde auf die teilweise nackten Opfer gehetzt. Diese Misshandlungen des Folterskandals mit den lachenden Tätern wurden weltweit verbreitet. Am 28. April 2004 wurden diese Bilder bei CBS im amerikanischen Fernsehen gezeigt (vgl. Beilenhoff 2007, Leifert 2007, Haller 2008a).

Der Idealtyp des Affektbildes ist die Großaufnahme eines Gesichts oder eines anderen Körperteils, das im Detail gezeigt wird, um einen bestimmten Eindruck zu suggerieren. Bilder dieses Typs sind in gewissem Sinne aus dem zeit-räumlichen Zusammenhang eines Geschehens herausgehoben und konzentrieren sich ganz auf eine emotionale Qualität. Sie sind deshalb nicht auf die Großaufnahme beschränkt, sondern schließen unter bestimmten Bedingungen die Naheinstellung ein. Eine Sonderform des Affektbildes ist die Körperdetailaufnahme, die offensichtlich die Absicht verfolgt, Indizien für den emotionalen Zustand oder den Charakter einer Person einzufangen. So wird in politischen Talkshows die Unruhe der am Gespräch beteiligten Protagonisten häufig durch die Kamera eingefangen. Dort ist das nervöse Wackeln mit dem Fuß ebenso zu sehen wie die Schweißperlen auf der Stirn. Durch eine professionell eingesetzte Kameraregie kann es gelingen, einen Politiker entsprechend vorteilhaft und unvorteilhaft wirken zu lassen (vgl. Ontrup/Schicha 2001, Tenscher/Schicha 2002). Bei der Affektzeugenschaft ist die persönliche Betroffenheit der Fotografen als direkte Mitteilung zentral, sofern sie etwa Bilder von zivilgesellschaftlichen Protesten vor Ort machen und somit direkt in das Geschehen eingebunden sind. Es geht hierbei um eine persönliche Betroffenheit, aus der Gefühle von Gemeinschaftlichkeit und Solidarität resultieren können. Schrankweiler (2018) verweist in diesem Zusammenhang auf handygefilmte Amateurvideos von Polizeigewalt in den sozialen Medien. Entsprechende Aussagen in Bild- oder Videoform können durch Zirkulationen im Social Web in Form von Memen verbreitet werden, um die Effekte zu steigern und dadurch politisch wirksam zu werden. Das Teilen dieser Bilder gilt dann als Phänomen memetischer Verbreitung, um eine größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. Bernhardt 2020, von Gehlen 2020). Sie treten in satirischer Form bisweilen „bewusst grenzüberschreitend und provokant“ (Grimm/Keber/Zöllner 2019, S. 244) in Erscheinung. Dabei können derartige Bilder bearbeitet und manipuliert werden, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

Das Motivationsbild kann dadurch Aufmerksamkeit erzeugen, dass es sich auf sich selbst bezieht, also autoreflexiv erscheint, indem es die Aufmerksamkeit des Betrachters darauf lenkt, wie es gemacht ist bzw. unter welchen außergewöhnlichen Umständen es entstanden ist. Ungewöhnliche Kameraperspektiven lassen sich dabei auf eine besonders dramatisierende oder psychologisierende Absicht zurückführen. Sie werden bei banalen und unspektakulären Vorgängen eingesetzt, um zusätzliche Reize beim Zuschauer zu wecken, das angebotene Programm zu konsumieren. Konventionelle Handlungen, etwa in Form einer Politikerrede werden dann aus der Froschperspektive gefilmt, um einen visuellen Spannungsbogen aufzubauen.

Beim Schachtelbild wird der Bildschirm geteilt, so dass zwei miteinander sprechende Personen gleichzeitig zu sehen sind. Bei Interviews und Korrespondentenberichten ersetzen die Redaktionen das bekannte Schuss-Gegenschuss-Prinzip durch einen elektronisch inszenierten Dialog auf dem Bildschirm. Durch diese Technik sind die wechselseitigen mimischen und gestischen Reaktionen der beiden Protagonisten zu den jeweiligen Äußerungen des Gegenübers unmittelbar wahrnehmbar. Diese Technik wird weiterhin bei Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern eingesetzt.

Das Beweisbild hat die Aufgabe, in strittigen Situationen als gerechte Entscheidungshilfe zu dienen, sofern die menschliche Perspektive dies nicht leisten kann. Ein Beispiel hierfür ist der Videobeweis im Sport, der z. B. in der Fußballbundesliga eingesetzt wird. Durch Zeitlupen, Wiederholungen und spezielle Techniken kann geprüft werden, ob der Ball die Torlinie vollständig überquert hat, ein Foul- oder Handspiel vorliegt oder Spieler bei Sanktionen durch eine gelbe oder rote Karte vom Schiedsrichter den Regeln zufolge angemessen sanktioniert worden sind. Obwohl Bildinhalte zusätzlich geprüft und erklärt werden müssen, dienen sie dennoch neben den oft trügerischen Erinnerungen als Zeugenschaft für spezifische Ereignisse.

„Das Erinnerungsvermögen freilich ist of genug vage und wird von Irrtümern (Zuordnung des Erinnerten an die Kategorien Ort und Zeit) getrübt. Deshalb können Bilder, vor allem aber Videos wegen ihrer mechanisch hergestellten sequenziellen Bildaussage häufiger dokumentarischen Charakter erlangen, sofern die reale Authentizität die Aufnahmesituation (Standort, Zeit, Beteiligte) nachgewiesen ist. In solchen Fällen besitzen sie mitunter eine erhöhte informationelle Bedeutung. Sie vermitteln mittels der subjektiven Kameraperspektive des beobachtenden Zeugen, wie sich Dinge (aus Sicht genau dieser Perspektive) im chronologischen Nacheinander zugetragen haben.“ (Haller 2008a, S. 272)

Um spezifische Ereignisse als Erinnerung und Beweismittel zu dokumentieren, können Screenshots von Livestreams, Chatverläufen und Onlinepostings in den sozialen Medien festgehalten werden (vgl. Frosh 2019). Gleichwohl können derartige Aufnahmen verändert und manipuliert werden.

2.9Bildwahrnehmungen

„Während die Wortnachricht erst durch den ‚Verdauungstrakt’ der kognitiven Informationsverarbeitung gehen muß, nehmen wir Bildnachrichten gleich intravenös auf.“ (Schulz 1996, S. 6)

Die aktuelle Medienrezeption ist zumindest bei den älteren Zuschauern nach wie vor durch das Fernsehen geprägt, dessen Programm oftmals über einen bildorientierten und unterhaltsamen Medienstil verfügt. Gleichwohl werden Bilder nicht mehr ausschließlich über das lineare Fernsehen in Echtzeit rezipiert, sondern zeitversetzt über weitere mobile Endgeräte mit einem digitalen Zugang. Soziale Bildnetzwerke wie die Foto-Sharing-Plattform Instagram sprechen ein breites Spektrum an Nutzern an, die visuelle Inhalte einstellen, anklicken und teilen. Die Gruppe der jugendlichen Rezipienten im Alter von zwölf bis 19 Jahren konzentriert sich primär auf die Internetangebote. Einer repräsentativen Befragung von mehr als 1.000 Personen dieser Zielgruppe im Rahmen der JIM-Studie 2020 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020) zufolge steht YouTube mit 57 % auf dem ersten Platz. Den zweiten Platz belegt Whats-App (31 %) vor Netflix (16 %) und Google (14 %).

Visuelle Wahrnehmungen können Zusammenhänge leichter fassbar machen. Sie bleiben länger im Gedächtnis haften als gesprochene oder geschriebene Worte. Es entsteht der Eindruck, dass Bilder einen authentischen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, obwohl die Auswahl der Bilder, die Perspektive des Betrachters und die Schnittfolge dazu beitragen, Bearbeitungen zu ermöglichen (vgl. Forster 2003, Grittmann 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer 2019).

Aus einer normativen Perspektive gilt die hohe Glaubwürdigkeit von Bildern bisweilen als problematisch, da bildliche Informationen weit weniger kritisch rezipiert werden als vergleichbare sprachliche Informationen. Es wird bemängelt, dass durch die visuelle Kommunikation keine Argumentationskette herausgebildet wird. So argumentiert Röll (1998, S. 44):

„Wahrnehmungsformen und Kommunikationsgewohnheiten werden zunehmend von der Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung bestimmt. Da der Eindruck und nicht das Argument zählt, wird logisch kausales Denken in den Hintergrund gedrängt. Bildliche (Schein-)Welten treten an die Stelle der interessegeleiteten Weltbilder des diskursiven Zeitalters.“