Bildungsvorstellungen und Bildungserwartungen von Eltern aus so genannten bildungsfernen Milieus für ihre Kinder - Andrea Kuschel - E-Book

Bildungsvorstellungen und Bildungserwartungen von Eltern aus so genannten bildungsfernen Milieus für ihre Kinder E-Book

Andrea Kuschel

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: 1,3, Universität zu Köln, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Zusammenhang von sozialen Milieus und Bildung. Wie schon im Titel zu erkennen ist, geht es hier besonders um bildungsferne Milieus, also um Menschen mit niedriger oder sogar ganz ohne Bildung. Gemeinhin verstehen wir in unserer postmodernen Gesellschaft unter Bildung fast ausschließlich Schulbildung. Spricht man also von Bildungsfernen, so sind Menschen ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung gemeint. Bildungsabschlüsse gelten als Garant für die Chance auf einen gesicherten Lebensunterhalt; je höher der Bildungsabschluss, umso anerkannter ist ein Mensch in der Gesellschaft, und umso sicherer sind seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. In unserer Gesellschaft belegt man mit einem Abschluss sein Wissen und seine Intelligenz, und das gibt Selbstbewusstsein. Bildungsferne Menschen werden leicht, ohne nachzufragen, als faul oder gar dumm verurteilt. Diese fehlende gesellschaftliche Anerkennung ist oft auch Ursache für Langzeitarbeitslosigkeit und den sozialen Abstieg. Um die eigenen Kinder vor diesem Schicksal zu bewahren, wird für diese meist ein guter Schulabschluss angestrebt. Nicht selten fordern Eltern Leistungen von ihren Kindern, die sie selbst nie erbringen konnten. Sie wollen ihren Kindern Chancen bieten, die sie selber nicht bekommen haben. Wie viel Eltern für die schulische Laufbahn ihrer Kinder tatsächlich tun, was für sie Schule bedeutet und wie Kinder möglicherweise auch unter den Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, die sich ihre Eltern für sie zurechtgelegt haben, leiden müssen, wird sich in den Interviews der Studie zeigen. Die Ergebnisse sind zum Teil erschütternd. Sie stellen die Bedeutung der Schule im Kampf um den sozialen Aufstieg dar und spiegeln gleichzeitig die Abneigungen und Ängste der Eltern gegenüber der Institution Schule wider, die sich aus der eigenen Bildungsbiographie ergeben.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Vom Klassenbegriff zum Milieubegriff

3. Soziale und kulturelle Reproduktion

3.1 Soziale und kulturelle Reproduktion durch das Elternhaus

3.2 Soziale und kulturelle Reproduktion durch die Schule

4. Auswahl der Erhebungsmethode

4.1 Das leitfadengestützte Interview

4.2 Biographie- und Lebensstilforschung als zentrale Forschungsfelder qualitativer Sozialforschung

4.3 Vorbereitung und Durchführung der Interviews

4.4 Auswertung der Interviews

5. Interview 1: Familie Jakob

5.1. Vor dem Interview: Der erste Eindruck

5.2 allgemeine Biographie und Bildungsbiographie

5.3 Einstellungen gegenüber der Schule

5.4 Bildungsvorstellungen und Bildungserwartungen

5.5 Transkript des Interviews

6. Interview 2: Familie Rick

6.1 Vor dem Interview: Der erste Eindruck

6.2 allgemeine Biographie und Bildungsbiographie

6.3 Einstellungen gegenüber der Schule

6.4 Bildungsvorstellungen und Bildungserwartungen

6.5 Transkript des Interviews

7. Vergleich und Interpretation der Ergebnisse

8. Fazit

Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

 

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Zusammenhang von sozialen Milieus und Bildung. Wie schon im Titel zu erkennen ist, geht es hier besonders um bildungsferne Milieus, also um Menschen mit niedriger oder sogar ganz ohne Bildung. Gemeinhin verstehen wir in unserer postmodernen Gesellschaft unter Bildung fast ausschließlich Schulbildung. Spricht man also von Bildungsfernen, so sind Menschen ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung gemeint. Bildungsabschlüsse gelten als Garant für die Chance auf einen gesicherten Lebensunterhalt; je höher der Bildungsabschluss, umso anerkannter ist ein Mensch in der Gesellschaft, und umso sicherer sind seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings beginnt dieses Bild durch die fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen zu schwanken. Auch immer mehr Akademiker sind arbeitslos, und der Bildungsabschluss scheint als Garantie für einen sicheren Arbeitsplatz an Wert zu verlieren. Dennoch gilt noch immer die Faustregel: je höher der Bildungsabschluss, desto geringer die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden.[1]

 

Der Kampf um Arbeitsplätze hat längst begonnen. Die Positionierung der Unternehmen auf dem Weltmarkt, die Fusion großer Firmen zu Megakonzernen und die daraus resultierenden Rationalisierungen fordern zunehmend Opfer: Menschen ohne Bildungszertifikate. Sie zählen meist als erstes zu den Entlassenen, finden nur schwer eine neue Arbeitsstelle und werden meist schlecht bezahlt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es ihnen häufig nicht nur an Bildung, sondern auch an Selbstvertrauen und Selbstsicherheit fehlt. Einen Bildungsabschluss zu haben, bedeutet etwas vorweisen zu können. In unserer Gesellschaft belegt man mit einem Abschluss sein Wissen und seine Intelligenz, und das gibt Selbstbewusstsein. Bildungsferne Menschen werden leicht, ohne nachzufragen, als faul oder gar dumm verurteilt. Diese fehlende gesellschaftliche Anerkennung ist oft auch Ursache für Langzeitarbeitslosigkeit und den sozialen Abstieg. Um die eigenen Kinder vor diesem Schicksal zu bewahren, wird für diese meist ein guter Schulabschluss angestrebt.

 

Mittels einer qualitativen Studie möchte ich versuchen einen Blick auf diese Hintergründe zu werfen. Sind Menschen ohne Abschluss tatsächlich freiwillig und aus eigener Entscheidung bildungsfern? Die oben genannten Nachteile für Bildungsferne sprechen vehement gegen diese These. Niemand kann stolz auf etwas sein, was er nicht erreicht hat, aber man kann versuchen seinen Kindern eine bessere Lebenssituation zu bieten, als die eigene. Der Ausbruch aus dem bildungsfernen Milieu kann durch die Kinder verwirklicht werden. Schule muss ihnen als Chance und Zweck zum Erreichen der persönlichen Ziele dargestellt werden, denn schulischer Erfolg ist immer mit besseren Zukunftschancen und zahlreicheren beruflichen Perspektiven verbunden. Nicht selten fordern Eltern Leistungen von ihren Kindern, die sie selbst nie erbringen konnten. Sie wollen ihren Kindern Chancen bieten, die sie selber nicht bekommen haben. Wie viel Eltern für die schulische Laufbahn ihrer Kinder tatsächlich tun, was für sie Schule bedeutet und wie Kinder möglicherweise auch unter den Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, die sich ihre Eltern für sie zurechtgelegt haben, leiden müssen, wird sich in den Interviews der Studie zeigen. Die Ergebnisse sind zum Teil erschütternd. Sie stellen die Bedeutung der Schule im Kampf um den sozialen Aufstieg dar und spiegeln gleichzeitig die Abneigungen und Ängste der Eltern gegenüber der Institution Schule wider, die sich aus der eigenen Bildungsbiographie ergeben.

 

Die Tatsache, dass Bildung in Deutschland, wie in keinem anderen europäischen Land von der sozialen Herkunft abhängt[2], lässt vermuten, dass Schule ihrer Funktion als herkunftsunabhängige und chancengleiche Bildungsinstitution nicht gerecht wird.

 

Die mögliche Korrelation zwischen Eindrücken der eigenen Schulzeit und den heutigen Erfahrungen mit Schule durch die eigenen Kinder, ist zentraler Schwerpunkt dieser Arbeit. Inwieweit wirken die eigenen Erlebnisse auf die Einstellungen zur Schule heute ein, und welche Rolle spielen positive oder negative Erlebnisse der eigenen Schulzeit dabei? Welches Bild von Schule wird den Kindern durch das Elternhaus vermittelt und inwieweit kann dies die Vorgänge der sozialen und kulturellen Reproduktion begünstigen?

 

Schule muss gerade in der heutigen Zeit, in der Leistungsdruck schon beim Schuleintritt beginnt, kritisch betrachtet werden. Dies ist auch mit Blick auf die Ausweitung der Ganztagsschulen dringend nötig. Greifen Ganztagsschulen wirklich in dem Maße in die soziale Reproduktion ein, wie erhofft wird oder verstärkt sich diese so nur noch mehr? Welche Funktion haben Lehrerinnen und Lehrer in diesem Zusammenhang? Inwieweit ist die Schule als Institution überhaupt noch zeitgemäß in der Lage auf die veränderten Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen und sie als Individuen zu fördern? Im letzten Teil der Arbeit sollen diese kritischen Fragen, besonders im Hinblick auf die Ergebnisse der qualitativen Interviews erneut aufgegriffen werden.

 

2. Vom Klassenbegriff zum Milieubegriff

 

In diesem Abschnitt möchte ich versuchen die Begriffe „soziales Milieu“ und „bildungsfernes Milieu“ zu verdeutlichen. Dazu ist eine Darstellung der verschiedenen Ungleichheitstheorien erforderlich, durch welche die Bedeutung der Terminologie „Milieu“ für unsere Gesellschaft ersichtlich wird. Die Darstellung der sozialen Lage einer Gesellschaft ohne eine Einbeziehung der sozialen Milieus ist heute fast undenkbar.

 

Soziale Ungleichheit spiegelt sich in fast allen Gesellschaftsbereichen auf allen Teilen der Welt wider. Dabei ist mit sozialer Ungleichheit nicht nur der Unterschied zwischen „arm“ und „reich“ und die ungleiche Verteilung des ökonomischen Kapitals und der Ressourcen gemeint, vielmehr können auch ungleiche Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, Wohn- und Arbeitsbedingungen, die soziale Herkunft und Hautfarbe, sowie das Geschlecht Ursachen für soziale Benachteiligung sein.[3] Die Faktoren, welche bewirken, dass Menschen zu höhergestellten oder benachteiligten Personenkreisen gehören, haben sich im Laufe der Jahrhunderte durch den Wandel der Gesellschaft ebenfalls verändert. Die Entwicklung von der mittelalterlichen Ständegesellschaft bis hin zu einer postmodernen Dienstleistungsgesellschaft vollzog sich in seinen Phasen mal schneller mal langsamer, stets jedoch mit Veränderungen, die keine Garantie vor dem Verlust des eigenen Status gewähren konnte. Mit der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft war auch die Gesellschaftsordnung einem zunehmenden Wandel unterworfen. Besonders neue Erfindungen und Entdeckungen, aber auch die Menschen selbst, sorgten im Laufe der Jahrhunderte dafür, dass die bestehende Ordnung demokratischer und das Leben selbstbestimmter wurde.

 

Im 16. und 17. Jahrhundert bestand die Gesellschaftsordnung aus Ständen. In einen bestimmten Stand wurde man hineingeboren. Der gesellschaftliche Status hing also von der familiären Herkunft ab und in der Regel galt dies für ein ganzes Leben, denn die Aufstiegschancen waren sehr beschränkt.[4] Die Ständegesellschaft folgt einer stark hierarchischen Ordnung und wird in drei Gruppen eingeteilt. Das höchste Ansehen hatten Adel und Klerus, den untersten und gleichzeitig größten Teil der Gesellschaft bildeten die Bauern. Diese feudalistische Gesellschaftsordnung wandelte sich jedoch im späten Mittelalter, insbesondere in den Städten hin zu einer Vier-Ständegesellschaft. Es bildete sich durch Handel, Handwerk und Dienstleistung eine Art Mittelschicht, das Bürgertum, heraus. Die rechtlichen Bedingungen der Menschen untereinander änderten sich und auch ihre Beziehungen zueinander wurden anonymer. Die Gesellschaft modernisierte sich.[5]

 

Nach und nach wurde die Ständegesellschaft durch die Entwicklung der vorindustriellen Gesellschaft zur frühindustriellen Gesellschaft von einer klassenähnlichen Gesellschaft abgelöst.[6] Hierbei spielten besonders die Befreiung der Bauern, die Einführung des Merkantilismus, sowie die Durchsetzung der Gewerbefreiheit eine wichtige Rolle.[7] Aufgrund dieser Entwicklungen erhielten die Menschen ein höheres Maß an Freiheit und Selbstbestimmung, was bisher durch rechtliche Grundlagen unterdrückt worden war.

 

In der industriellen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts galten der Besitz und das Kapital als wichtigste Indizien für eine angesehene gesellschaftliche Stellung. Technischer Fortschritt und neue Erfindungen kennzeichnen diese gesellschaftliche Epoche ebenso, wie zunehmende Massenproduktion, Ausbeutung von Arbeitskraft und Gewinnmaximierung. Erst jetzt kann man von einer Klassengesellschaft sprechen, da sich hier Besitzende und Nichtbesitzende, also Menschen mit gegensätzlichen Interessen, gegenüber stehen. In einer Klassengesellschaft stehen sich einerseits die zahlenmäßig kleinere herrschende Gruppe und eine große Gruppe von Menschen, die so genannten Proletarier gegenüber. Die herrschende Klasse verfügt über Macht und unterscheidet sich von den Proletariern durch ihren Besitz an Produktionsmitteln.[8] Nach Max Weber, neben Karl Marx einer der bedeutendsten Begründer der Klassentheorie, teilt sich die Gesellschaft in eine Besitz- und eine Erwerbsklasse auf. Angehörige dieser Klassen befinden sich, ihm zufolge, in etwa der gleichen Ausgangslage, was ein Grund für die Entstehung von Klassen ist. Marx geht weiter, indem er behauptet nicht allein der Besitz und das Einkommen mache die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse aus. Er unterscheidet zwischen einer „Klasse an sich“, die aufgrund des Kapitals und der damit einhergehenden ökonomischen Lebenslage ihrer Mitglieder besteht und einer „Klasse für sich“, die durch das Bewusstsein, die Identifikation mit der Klasse und die Solidarisierung ihrer Mitglieder entsteht.[9] Hierbei wird schon deutlich, dass es nicht nur die äußeren Merkmale sind, die eine Klassenzugehörigkeit ausmachen, auch soziale Faktoren spielen dabei eine Rolle.

 

Das Gesellschaftsmodell der „Klasse“ ist nie gänzlich von einem anderen abgelöst worden und existierte bis ins neue Jahrtausend hinein neben anderen Modellen weiter. Jedoch ist die klare Einteilung in Klassen, aufgrund von ökonomischen Merkmalen, wie sie bei Marx und Weber vorkommt nicht mehr aktuell.[10] Die gesellschaftlichen Strukturen sind um einiges komplexer, als dass man sie nur nach einem Ordnungsprinzip charakterisieren könnte.[11]

 

Bourdieu fügte dem Begriff der Klasse, welcher sich aufgrund der Theorien von Marx, insbesondere auf das ökonomische Kapital bezog, weitere Kapitalformen hinzu. Jedoch beruht auch die Theorie Bourdieus auf der marxistischen Grundvorstellung, nach welcher die Gesellschaft in Ober-, Mittel, und Unterklasse, bzw. Proletariat eingeteilt ist. Bourdieu behauptet dagegen aber auch, eine Gesellschaft teile sich nicht nur nach ökonomischen Voraussetzungen in unterschiedliche Klassen auf und ergänzt das ökonomische Kapital durch das soziale, kulturelle und symbolische Kapital. Diese drei Kapitalformen bilden demnach die Grundlage für die Unterscheidung der gesellschaftlichen Klassen. Wobei das ökonomische Kapital bei Bourdieu, im Gegensatz zur Auffassung der Marxisten, nur die Güter umfasst, welche direkt in Geld umgesetz werden können.[12]

 

Unter sozialem Kapital versteht Bourdieu die Gesamtheit der tatsächlichen und potentiellen Ressourcen, die sich aus dem Netzwerk sozialer Beziehungen von Menschen ergeben. Es umfasst die Quantität als auch die Qualität dieser Beziehungen, und stellt damit dar in welchem Maße das Individuum an der Gesellschaft teilnimmt.[13] Bedeutender als das soziale kann jedoch das kulturelle Kapital angesehen werden. Hier unterscheidet Bourdieu zwischen inkorporiertem, objektiviertem und institutionalisiertem Kulturkapital, allerdings kann man nach den Ausführungen von Honneth sagen, dass es sich beim kulturellen Kapital vornehmlich um Bildungskapital, also um die „Menge und Güter der erworbenen Schulabschlüsse“[14] handelt. Schließlich bleibt noch das symbolische Kapital, welches unabdingbar für die Durchsetzung der soeben aufgeführten Kapitalsorten ist. Das symbolische Kapital sorgt dafür, dass die Hierarchie, die sich aus den Kapitalsorten ergibt, erhalten bleibt, indem es die Existenz der Kapitalformen, sowohl gegenüber den Herrschenden als auch gegenüber den Beherrschten legitimiert.

 

Aufgrund dieser Kapitalformen bilden sich Klassen, die sich, nach Bourdieu, durch das Habituskonzept erhalten. Dieses Konzept besagt, dass die Angehörigen der Klassen stets entsprechend ihrer Klasse handeln, ohne sich dessen bewusst zu sein oder individuellen Nutzen daraus zu ziehen.[15] Sie versuchen sich durch das Prinzip der Distinktion von anderen Klassen abzugrenzen und ihrer Klasse eine Höherwertigkeit zuzuschreiben. Dadurch entsteht ein klassenspezifischer Geschmacks- und Lebensstil, der sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt.[16] Angehörige der „Mittelklasse“ beispielsweise versuchen sich vom Proletariat abzugrenzen und ihren Lebensstil dem der „Oberklasse“ anzupassen, indem sie ihren Mangel an ökonomischem und kulturellem Kapital durch Bildungseifer und Opferbereitschaft kompensieren.[17] Die Oberklasse will ihre Position in dieser gesellschaftlichen Hierarchie natürlich nicht verlieren und bemüht sich daher stets um ein hohes Maß an Exklusivität und Individualität. Die Unterklasse hingegen gibt sich aufgrund ihrer, sowohl in ökonomischer als auch kultureller Hinsicht begrenzten Mittel einem hedonistischen und materialistischen Lebensstil hin, der sich auf die Entscheidung für finanziell erreichbare Vergnügungen und praktische Kulturgüter ausrichtet.[18]

 

Innerhalb der einzelnen Klassen finden ebenfalls soziale Kämpfe statt, die denen zwischen den Klassen entsprechen. Diese inneren Kämpfe ergeben sich aus der Hierarchie, die sich innerhalb der Klassen gebildet hat. Man könnte also von interklassischen und intraklassischen sozialen Kämpfen sprechen. Nach Bourdieu beruht die Hierarchie innerhalb der Klassen auf den Berufsgruppen, die sich hier angeordnet haben.

 

In Bezug auf diese Arbeit kann man daraus folgernd sagen, dass Bildungsferne, aufgrund ihres Mangels an kulturellem, und daher meist auch ökonomischem Kapital der untersten Klasse angehören. In diesem Zusammenhang spielt auch die kulturelle bzw. soziale Reproduktion eine wichtige Rolle. Sie besagt, dass die soziale Stellung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse sozusagen an die Nachfolgegeneration vererbt wird. Innerhalb dieses Reproduktionsprozesses spielt die Schule eine nicht unerhebliche Rolle, da sie für die „unterschiedlichen sozialen Klassen zum Fokus für ihre Reproduktionsstrategien“[19] wird. Sie bietet die Chance auf Erfolg mittels der, durch sie vergebenen Titel und Abschlüsse und bietet so eine Plattform für die Bildungsbestrebungen der sozialen Klassen. Durch sie kann kulturelles Kapital angehäuft und somit die Position im Kampf um die Verteilung der Güter verbessert werden. Diesen Aspekt werde ich jedoch an späterer Stelle noch genauer ausführen.

 

In entwickelten Industriegesellschaften, seit dem 20. Jahrhundert, gibt es immer mehr Menschen in unselbstständigen Arbeitsverhältnissen ohne eigene Besitztümer. Durch die industrielle Entwicklung bilden sich immer mehr Berufsgruppen heraus, die sich nach der, für sie erforderlichen Bildung unterscheiden lassen. Die Gesellschaft wird durch diese Entwicklung vielfältiger, die Übergänge werden fließender. So schließt beispielsweise unselbstständige Arbeit Besitztum nicht aus, wie es in Klassengesellschaften der Fall wäre. Als Reaktion darauf beginnt man die Gesellschaft in Schichten zu unterteilen, um so neue Formen der Ungleichheit sichtbar zu machen und besser differenzieren zu können.

 

In Schichtengesellschaften spielen die Berufsgruppen eine besondere Bedeutung für die Unterteilung der Gesellschaft. Während in Klassengesellschaften vorrangig nach Besitz unterschieden wird, ergibt sich hier eine Unterscheidung nach Einkommen, beruflichem Prestige und Qualifikation.[20] Die Ungleichheit in Schichtengesellschaften basiert also auf einer Berufshierarchie. Im Vergleich zu Ständegesellschaften, in denen der Aufstieg in einen anderen Stand praktisch rechtlich unmöglich war, bietet sich hier eine offenere Form der Ungleichheit dar. Auch in Klassengesellschaften wird soziale Mobilität, aufgrund der wirtschaftlichen Machtverhältnisse, die in ihnen herrschen, erschwert. In einer Gesellschaft, deren Ungleichheit sich in der Berufshierarchie widerspiegelt, ist ein Aufstieg eher möglich, da er, im Gegensatz zu den oben genannten Gesellschaftsformen, weniger von äußeren Faktoren abhängt, als vom persönlichen Engagement und Ehrgeiz des Einzelnen. Jedoch gibt es auch hier Barrieren, die schwer zu überbrücken sind. Beispielsweise ist es für ein Arbeiterkind viel schwieriger zu studieren, als für ein Kind aus einer Akademikerfamilie. Jedenfalls spiegelt sich dies in allen Untersuchungen zu sozialer Ungleichheit und Bildung wider.[21] Schichtengesellschaften sind also nur auf den ersten Blick offener für soziale Mobilität, die Hürden des sozialen Aufstiegs sind noch immer vorhanden, jedoch in subtilerer und weniger offensichtlicher Art und Weise.