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Der Feind in meinem Bett
Skye trifft an der Hotelbar einen Mann, der ihr sofort gefällt. Sein Blick – unwiderstehlich. Die gemeinsame Nacht – unvergesslich. Als Skye am nächsten Morgen das Hotel verlässt ist sie sicher, dass sie Cole niemals wieder sehen wird. Doch das Leben hat andere Pläne. Denn leider ist genau dieser Mann der skrupellose Milliardär, der Skyes Buchladen schließen will. Er ist ihr größter Feind, doch Skye wird nicht kampflos aufgeben. Im Krieg und in der Liebe ist schließlich alles erlaubt …
Auftakt der großen Seattle Billionaires Reihe von Olivia Hayle. Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 414
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Der Feind in meinem Bett
Skye trifft an der Hotelbar einen Mann, der ihr sofort gefällt. Sein Blick – unwiderstehlich. Die gemeinsame Nacht – unvergesslich. Als Skye am nächsten Morgen das Hotel verlässt ist sie sicher, dass sie Cole niemals wieder sehen wird. Doch das Leben hat andere Pläne. Denn leider ist genau dieser Mann der skrupellose Milliardär, der Skyes Buchladen schließen will. Er ist ihr größter Feind, doch Skye wird nicht kampflos aufgeben. Im Krieg und in der Liebe ist schließlich alles erlaubt …
Auftakt der großen Seattle Billioaires Reihe von Olivia Hayle. Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.
Olivia Hayle ist eine hoffnungslose Romantikerin mit einer großen Vorliebe für Milliardäre. Da sie leider noch keinen in der der Realität getroffen hat, erschafft sie sie kurzerhand selbst – auf dem Papier. Ob sexy, charmant, cool oder verletzlich – bislang hat sie noch keinen (fiktiven) Milliardär getroffen, den sie nicht mochte.
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Olivia Hayle
Billion Dollar Enemy
Aus dem Amerikanischen von Sabine Neumann
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Grußwort
Informationen zum Buch
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Zitat
1: Skye
2: Skye — Vier Wochen später …
3: Skye
4: Cole
5: Skye
6: Skye
7: Skye
8: Cole
9: Skye
10: Skye
11: Skye
12: Cole
13: Skye
14: Skye
15: Cole
16: Skye
17: Skye
18: Cole
19: Skye
20: Skye
21: Cole
22: Skye
23: Cole
24: Skye
25: Cole
26: Skye — Zwei Monate später
Epilog — Cole
Impressum
Lust auf more?
»Vergib deinen Feinden, nichts verdrießt sie so.«
Oscar Wilde
1
An jenem Abend in der Hotelbar hat sich mein Leben verändert. Da wusste ich noch nicht, dass ich eine andere Welt betreten hatte, eine aus Geld und Reichtum –
Nein, das geht so nicht. Das ist klischeehaft und vorhersehbar.
Seufzend lege ich mein Handy hin und greife nach meinem Old Fashioned. Der Drink ist der Inbegriff der Kultiviertheit, aber nach dem zweiten Schluck schaffe ich es bloß mit Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen, so stark ist er. Ich habe ihn bestellt, um ins Bild zu passen. Denn ich habe mich nicht getraut, dem schnöseligen Barkeeper zu sagen, dass ich gern etwas fruchtig-süßes hätte. Missmutig starre ich auf den überteuerten Cocktail hinunter und bereue diese Entscheidung zutiefst.
Ich bin zu Recherchezwecken für meinen neuen Roman hergekommen. Um zwischen luxuriösem Ambiente und im Hintergrund dudelnder Jazzmusik ein Gefühl für das Setting zu bekommen. Eine Umgebung, die mir alles andere als vertraut ist, und durch meinen Abschluss in Englischer Literatur weiß ich, wie wichtig Immersion ist. Und welche Location würde sich da besser eignen als die Legacy Sky Bar im obersten Stockwerk eines der nobelsten Hotels in Seattle? Raumhohe Fenster geben den Blick frei auf die Skyline, die mit ihren Lichtern genauso funkelt wie die Diamantenkette der Frau, die am Nebentisch sitzt. Hier geht es ums sehen und gesehen werden.
Die Bar ist nur etwa halb voll, aber jede Person hier ist interessant. Bisher habe ich beobachtet, wie eine wunderschöne Blondine in schwindelerregenden High Heels eine komplette Schüssel Oliven gegessen hat, während sie ihren viel älteren Begleiter ausdruckslos anstarrte.
Die Oliven wurden vollkommen gelangweilt vertilgt, schreibe ich in die Notizblock-App auf meinem Handy, wie so vieles in ihrem Leben – Erlebnisse bloß um des Erlebens willen, um der grenzenlosen Langeweile der Realität zu entkommen.
Dann lese ich es noch einmal und lösche es wieder. Zu hochgestochen.
Vielleicht war es ein Fehler, herzukommen. Ich sitze jetzt schon seit fast einer Stunde alleine in dieser Bar, und inzwischen fühlt es sich längst nicht mehr anregend an, sondern nur noch peinlich. Ich streiche mit einer Hand über mein figurbetontes schwarzes Cocktailkleid, ein Spontankauf von vor einem Jahr, der sich heute als nützlich erwiesen hat. In dem Roman, an dem ich gerade arbeite, geht es um Klassenunterschiede und den amerikanischen Traum. Gründliche Recherche ist dabei entscheidend, und deshalb habe ich mich auf der Suche nach Inspiration an einem Donnerstagabend ins Legacy gewagt.
Doch bisher gab es für mich bloß zwei wichtige Erkenntnisse: Man muss richtig reich sein, um sich die völlig überteuerten Drinks hier leisten zu können. Und: Selbst in der schicksten Bar ist man nicht vor widerlichen Fieslingen sicher.
Der Mann zu meiner Linken starrt mich schon wieder so anzüglich an. Seinem verhangenen Blick nach zu urteilen, ist das bei Weitem nicht sein erster Scotch, der da vor ihm steht.
Witzig, dass es solche Widerlinge in allen Gesellschaftsschichten gibt, oder? Da machen auch ein maßgeschneiderter Anzug und ein sechsstelliges Einkommen keinen Unterschied.
Das lösche ich nicht. Es ist einfach zu wahr.
Der Mann rückt ein paar Stühle näher an mich heran, ein anzügliches Grinsen auf den Lippen. »Guten Abend, schöne Frau.«
»’n Abend«, entgegne ich knapp.
»Was führt Sie heute Abend her?«
»Ich wollte nur kurz in Ruhe etwas trinken«, sage ich, mit der Betonung auf in Ruhe.
Sein Blick wandert von meinem Gesicht hinunter zu meinem züchtigen Ausschnitt. »Ich auch. Trinken wir etwas zusammen.«
»Danke, aber ich bin eigentlich eher wegen des Ambientes hier, als um mich zu unterhalten.«
»Niemand geht in eine Bar, um alleine zu sein.« Er beugt sich näher zu mir herüber, und er riecht nach zu viel Aftershave und zu viel Whiskey. Nach außen hin mag der Typ vielleicht noch den Anschein machen, sich unter Kontrolle zu haben, doch seinen blutunterlaufenen Augen nach zu schließen, ist er mehr als nur ein wenig angetrunken.
»Tja, ich schon. Wenn Sie mich also bitte entschuldigen würden …«
Ich versuche, vom Barhocker zu rutschen und aufzustehen, aber seine Hand auf meiner nackten Schulter hält mich zurück. »Gehen Sie doch nicht sofort.«
»Bitte lassen Sie mich los.«
»Ich weiß nicht, was –«
Eine tiefe Stimme übertönt das, was immer er gerade sagen wollte. »Die Dame hat es sehr deutlich gemacht: Lassen Sie sie los.«
Der betrunkene Typ sieht zu dem Fremden hoch, der plötzlich neben mir steht, und weicht zurück. »Ah. Entschuldigung.«
»Sie hatten ein paar Gläser zu viel«, sagt der große Fremde. »Ich schlage vor, Sie beenden den Abend, oder zumindest lassen Sie die Dame in Ruhe.«
Der betrunkene Typ kneift die Augen zusammen, nickt dann aber. »Ich wusste nicht, dass sie vergeben ist. Sorry.« Er schlendert davon, und ich starre den Fremden vor mir wie betäubt an.
Er lehnt lässig an der Bar und hat den obersten Knopf seines teuren Hemdes geöffnet. Sein Blick wirkt irgendwie gelangweilt und interessiert zugleich.
»Alles in Ordnung?«
Ich denke an diesen dämlichen Ausdruck ein markantes Kinn, der für mich bisher nie Sinn ergeben hat, aber als ich diesen Mann jetzt so ansehe, weiß ich endlich, was damit gemeint ist.
Seine Gesichtszüge sind auffallend symmetrisch, der Hauch eines Bartschattens lässt seine Haut dunkel erscheinen. Dichtes braunes Haar fällt ihm wellig in die Stirn – es ist genau die Art von Frisur, durch die wohl jede Frau gern mit den Händen fahren würde. Breite Schultern und ein teurer Anzug. Er sieht auf eine herbe Weise wohlhabend aus, nicht so auf Hochglanz poliert wie viele andere Reiche – ein entscheidender Unterschied.
Ich sollte das aufschreiben, denke ich matt. Oder ein Foto von ihm machen.
Er sieht mich besorgt an. »Miss? Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Ja«, antworte ich. »Danke.«
»Es war mir ein Vergnügen.«
Ein unschöner Gedanke blitzt in mir auf, und konsterniert wie ich gerade bin, platze ich direkt damit heraus. »Er ist abgehauen, weil er dachte, wir wären ein Paar, und nicht, weil ich sagte, ich sei nicht interessiert.«
»Das stimmt wahrscheinlich.«
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Überhaupt nichts«, sagt der Halbgott vor mir. »Er hätte Ihr Nein respektieren sollen.«
»Ja, das hätte er.«
»Was trinken Sie?«
Ich sehe auf mein Glas hinunter. »Einen Old Fashioned.«
»Und Sie finden ihn furchtbar«, sagt er und zieht die Augenbrauen hoch.
»Nein, das stimmt nicht.«
»Doch, das stimmt. Ich saß die ganze Zeit da drüben« – er deutet auf eine ruhige Ecke der Bar –, »und Sie haben bei jedem Schluck die Stirn gerunzelt.«
»Sie haben mich beobachtet?«
»Ich beobachte gern die Leute um mich herum.« Er legt den Kopf schief und gewährt mir so einen noch besseren Blick auf sein markantes Kinn. »Genauso wie Sie, oder? Das haben Sie hier heute Abend doch auch gemacht, oder?«
»Ja«, entgegne ich schwach.
»Und? Zu was für einem Schluss sind Sie gekommen?«
»Über die anderen Leute hier?«
»Ja.« Er winkt den Barkeeper heran. »Ich nehme einen Whiskey pur, und die Dame hätte gern einen …«
Ich bekomme eine zweite Chance, und dieses Mal werde ich sie ergreifen. »Einen Porn Star Martini«, sage ich. »Mit extra viel Maracuja.«
Der Fremde grinst mich schief an. »Interessante Wahl.«
»Der schmeckt gut«, verteidige ich mich, »trotz des Namens.«
»Hm. Oder vielleicht gerade deswegen?«
Zu meinem eigenen Entsetzen fühle ich, wie ich rot werde. Ich räuspere mich und deute mit dem Kinn zum anderen Ende der Bar hinüber. »Ich habe über das Paar da hinten nachgedacht … Sie sind eindeutig aus einem besonderen Anlass hier. Können Sie erraten, aus welchem?«
Er sieht zu den beiden hinüber. Sie sind mittleren Alters, chic gekleidet, aber wirken ein wenig fehl am Platz. Der Mann wirft dem Kellner einen nervösen Blick zu.
»Will er ihr einen Heiratsantrag machen?«
Mein gut aussehender Fremder schüttelt den Kopf und beugt sich näher zu mir herüber. Er duftet dezent nach Rasierwasser. »Ich wette, er hat zum ersten Mal eine Affäre.«
»Wow«, sage ich. »Wenn ich schon dafür schief angeschaut werde, dass ich einen Porn Star Martini bestelle, was sagt das hier dann über Sie aus?«
Sein schiefes Grinsen ist wieder da. »Ist vermerkt. Dann nehmen wir lieber den Heiratsantrag. Im Zweifel immer auf ein Happy End hoffen.«
Ich recke den Hals. »Ich hoffe, wir bekommen ihn auch wirklich zu sehen.«
Er wendet sich mir jetzt vollständig zu und kneift dabei die Augen zusammen, als würde er versuchen, aus mir schlau zu werden. »Also, ich habe Sie beobachtet, aber Sie sind nicht so leicht zu knacken. Danach zu urteilen, wie finster Sie auf Ihr Handy gestarrt haben, müssen Sie lauter frustrierende Textnachrichten bekommen haben. Warten Sie auf jemanden?«
Ich lächele. »Nein, ich habe versucht, zu schreiben.«
»Sie sind Autorin?«
»Ja«, sage ich. Zumindest eine angehende. Aber dieser Mann – der älter ist als ich und wahrscheinlich extrem erfolgreich – muss nicht wissen, dass ich nicht mehr bin als eine einfache Buchhändlerin mit einem halbfertigen Manuskript in der Schublade.
»Habe ich schon mal etwas von Ihnen gelesen?«
Ich lächele in meinen Drink hinein. »Wahrscheinlich nicht, nein.«
Es sei denn, er war ein begeisterter Leser meiner Collegezeitung. Als Studentin habe ich ein paar echt spannende Beiträge über den Mangel an vegetarischen Optionen in der Cafeteria geschrieben.
Er nickt dem Barkeeper zu, als er unsere Drinks vor uns abstellt. Seiner ist imposant und stilvoll, meiner fruchtig und leuchtend orange. Ich nehme einen Schluck.
»Besser?«
»Viel besser. Wie kommt es, dass Sie mich beobachtet haben?«
»Wie gesagt, ich beobachte gern die Leute um mich herum.«
Der Barkeeper bringt die Rechnung, und der gut aussehende Fremde nimmt sie an sich. »Die geht auf mich«, sagt er.
Der Barkeeper nickt. »Natürlich, Sir.«
Ich runzele die Stirn. »Ich würde meinen Drink gern selbst bezahlen.«
»Auf keinen Fall«, antwortet er. »Ihnen hat der erste nicht geschmeckt, also sollten Sie für den Ersatz nicht bezahlen müssen. Das ist Regel Nummer eins für guten Service.«
»Ja, aber das sollte dann die Bar in Ordnung bringen, nicht Sie. Die Bar gehört doch nicht Ihnen, oder?«
In seinen Augen blitzt etwas gefährlich auf. »Nein.«
»Eben.« Ich schlage die Beine übereinander, in dem vollen Bewusstsein, dass der Stoff meines Kleides dabei hochrutscht, und versuche, meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Es kommt nicht gerade oft vor, dass ich mich mit so gut aussehenden Männern in teuren Bars unterhalte. Das hier wird perfektes Material für meinen Roman abgeben! »Und glauben Sie, mir wäre nicht bewusst, was Sie hier gerade machen.«
»Ach?« Er präsentiert wieder sein schiefes Grinsen. »Und was mache ich hier gerade?«
»Sie sind rübergekommen, um einen Mann davon abzuhalten, mir einen auszugeben, nur um dann darauf zu bestehen, mich selbst auf einen Drink einzuladen.«
Er kratzt sich am Kinn. »Es ist ziemlich offensichtlich, oder?«
»Ziemlich, ja.«
»Ich fürchte, Subtilität war noch nie meine Stärke.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Sind Sie deshalb heute Abend hier? Nicht, um Leute zu beobachten, sondern um jemanden aufzureißen?«
Er lacht schallend, und es klingt wundervoll – einfach verführerisch. Sein Lachen fühlt sich auf meiner Haut an wie warmer Sommerwind. »Wow. Sie nennen die Dinge beim Namen, was?«
»Habe ich recht?«
»Nein, eigentlich nicht. Geplant habe ich es zumindest nicht. Aber je mehr Sie reden, desto mehr könnte ich es mir vorstellen, ja.«
Ich spüre, wie ich nervös werde, doch ich werde mir diese Chance nicht entgehen lassen. Also strecke ich die Hand aus. »In dem Fall ist wohl eine ordentliche Vorstellung angebracht, denke ich. Ich heiße Skye.«
»Skye?«
»Ja«, sage ich und muss mich zusammenreißen, nicht wohlig zu erschaudern, als sich seine warme Hand um meine schließt. Er schüttelt sie einmal, zweimal, dreimal … »Meine Mutter hatte gerade ihre Künstlerphase, als sie mit mir schwanger war. Die Phase war irgendwann vorbei, aber ich bin noch da.«
Er lächelt wieder. »Der Name ist auf jeden Fall einzigartig. Genauso wie eine Frau, die alleine in einer Bar sitzt, um zu schreiben.«
»Tja, besagte Frau wüsste nun gern Ihren Namen.«
Er lässt langsam meine Hand los und sagt: »Cole. Und da du keinen Nachnamen genannt hast, lasse ich meinen auch weg.«
Jetzt sind wir also schon beim Du. Ich nehme noch einen Schluck. Trink dir Mut an, Skye! »Gehört das nicht dazu zu so einer Art von Begegnung? Die Anonymität?«
Er zieht die Augenbrauen hoch. »Das weiß ich nicht. Normalerweise rede ich nicht mit Frauen in Hotelbars.«
»Irgendwie bezweifle ich das.«
Er trinkt einen großen Schluck Whiskey. »Ich hatte eine bestimmte Vorstellung von dir, während ich dich beobachtet habe. Diesem Kommentar nach zu urteilen hast du auch eine von mir.«
»Willst du wissen, was ich vermute?«
»Ja. Du sagst, du beobachtest gern Leute. Also, lass hören.« Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Sein Sakko spannt dadurch ein wenig über seinen breiten Schultern.
Diese Unterhaltung fühlt sich an wie ein Drahtseilakt, bei dem ich meine Füße genau richtig platzieren muss, um nicht auf der einen oder anderen Seite abzustürzen. »Na ja, dem Schnitt deines Anzugs und der Uhr an deinem Handgelenk nach zu schließen, würde ich mal annehmen, dass du gut situiert bist. Und da du hier ganz alleine vor deinem Whiskey sitzt … würde ich sagen, du hast gegrübelt.«
»Gegrübelt?«
»Ja«, sage ich und ignoriere die Belustigung in seinem Blick. »Irgendeine alte Wunde nagt an dir.«
»Ich frage mich, was für eine Wunde das wohl sein könnte.«
»Oh, das kann alles Mögliche sein. Du bist nicht geschieden, oder? Kriegsveteran? Waise?«
»Nein, nein und nein. Aber gute Ansätze. Mir gefällt dieses Spiel. Ich bekomme nicht oft die Chance, zu hören, was eine wunderschöne Frau denkt, wenn sie mich sieht.«
Wunderschön? Ich nehme schnell noch einen Schluck von meinem Drink, um wieder zur Besinnung zu kommen, und sehe, wie die Belustigung in seinem Blick wächst. Oh, er weiß genau, welche Wirkung er auf mich hat.
»Weiter …«, fordert er.
»Hm … der Barkeeper schien dich zu kennen. Also nehme ich mal an, du bist hier Stammgast.«
Er nickt. »Ich bin nicht zum ersten Mal in diesem Hotel, das stimmt.«
»Bist du auf Geschäftsreise?«
»Sozusagen.«
Ich lasse meine Finger über den Tresen gleiten. »Siehst du? Du magst das Vage, genauso wie ich die Anonymität.«
Hätte ich ihm meinen Nachnamen gesagt, hätte er mich googeln können und sofort herausgefunden, welch große Schriftstellerin ich bin. Das Einzige, was er entdeckt hätte, wäre mein erfolgreichster Artikel in der Collegezeitung gewesen: Student findet Haar im Cafeteria-Essen. Wenn ich den aus den Google-Archiven löschen könnte, würde ich es auf der Stelle tun.
»Ich denke, da hast du recht. Ja.«
»Und angesichts deines … na ja.« Ich mache eine Handbewegung, die sein Gesicht miteinschließt. »Denke ich, dass du sehr wohl öfter mit Frauen an Orten wie diesem plauderst.«
»Mmm. Ich bin mir nicht sicher, was du meinst, was ich vorhin gesagt habe, ist allerdings wahr. Ich rede nicht oft mit Frauen in Hotelbars. Sollten sie alle sein wie du, habe ich da aber eindeutig etwas verpasst.«
Das ist das zweite Kompliment innerhalb von wenigen Minuten. Ich nehme noch einen Schluck. Passiert das hier gerade wirklich? Werde ich gerade aufgerissen?
»Du wohnst hier im Hotel?«
»Ja.«
Ich gebe einen Brummton von mir. Meine Gedanken überschlagen sich angesichts der Möglichkeiten. Es ist schon spät. Wenn er fragt … was soll ich dann machen?
»Du denkst zu weit voraus. Das sehe ich.« Cole deutet mit dem Kinn auf meinen Cocktail. »Nimm noch einen Schluck. Wir unterhalten uns nur.«
»Versuchst du, mich betrunken zu machen?«
»Nein, aber ich denke, du musst dir nach dieser Frage etwas Mut antrinken.« In seinen Augen blitzt wieder etwas auf, und irgendwie hat es eine beruhigende Wirkung auf mich. Er hat Spaß daran. Und ich auch. Tatsächlich hat mir lange nichts mehr so einen Spaß gemacht. Ich war so selten wild in meinem Leben. War immer die brave Tochter, die brave Schwester, die brave Angestellte. Ab und zu auch die brave Freundin von jemandem.
»Vielleicht«, erwidere ich leise. Es kommt mir vor, als würde ich hier heute Abend eine ganz andere Rolle spielen. Eine Frau, die an Verehrer gewöhnt ist. Eine Frau, die mühelos mit gut aussehenden Männern in Bars flirtet. Eine Frau, die sich etwas traut.
Wir reden über Gott und die Welt, bis die Bar schon fast schließt, nur nicht über uns. Da bleiben wir so anonym und vage, wie wir es zuvor beschlossen haben. Wir diskutieren darüber, was wohl der beste Drink auf der Karte ist, darüber, ob die Blondine mit den Oliven sich heute Abend wirklich amüsiert oder bloß so tut. Ich mache ein Spiel daraus, zu raten, in welcher Branche Cole arbeitet, und es wird ziemlich schnell kokett. Er quittiert all meine Rateversuche mit einem schiefen Lächeln. Nur beim Astronauten lacht er laut los.
Nach und nach verlassen alle Gäste die Bar, und wir sehen dem Paar im mittleren Alter hinterher.
»Kein Heiratsantrag«, sage ich.
»Auch keine Affäre.«
»Ich frage mich immer noch, ob es beunruhigend ist, dass du direkt auf so etwas getippt hast.«
Er lacht wieder und hält seine Finger hoch, an denen kein Ring steckt. »Ich bin nicht verheiratet und auch nicht in einer Beziehung.«
»Puh«, sage ich. »Da bin ich aber erleichtert.«
»Und du bist auch nicht vergeben.« Er nickt auf meine Hand hinunter, und ich folge seinem Blick. Die Ringfinger sind unberingt wie eh und je. »Nein. Alles andere als das.«
Er zieht die Augenbrauen hoch. »Alles andere als das? Wie interessant.«
»Ach?«
»Die meisten Menschen sind entweder verheiratet oder nicht. Da gibt es normalerweise keine Abstufungen.« Sein Lächeln wird neckend. »Ich nehme an, dann bist du bereits länger Single?«
Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen und stoße ein übertriebenes Stöhnen aus. Er lacht wieder. Und dann spüre ich eine warme Hand auf meinem nackten Arm. »Komm schon. Dafür muss man sich doch nicht schämen.«
Ich schiele durch meine Wimpern hindurch zu ihm hoch. »Das tue ich auch nicht, aber wenn du das mit nur einem Blick errätst …«
»Hm. Vielleicht habe ich bloß das gesehen, was ich sehen wollte.« Sein Daumen streicht über meine Haut und jagt kleine Stromschläge durch meinen Körper. Plötzlich ist mir zu heiß, so als käme ich vom Joggen oder hätte zu lange in der Sonne gelegen, und ich bin gefangen in seinem intensiven Blick. Und sein Daumen bewegt sich weiter, raue Haut streicht sanft über meinen Arm.
»Das verstehe ich«, murmele ich.
»Ja?«
»Ich wollte auch, dass du Single bist.«
»Na, siehst du? Wir sind beide praktischerweise frei und ungebunden.«
»Und wir sind beide in diesem großen, schönen Hotel.«
»Stell dir das mal vor«, sagt er und lächelt wieder sein schiefes Lächeln. Kann ich das hier wirklich durchziehen?
Zum Glück bleibt es mir erspart, mit selbst eine Antwort auf diese Frage geben zu müssen, denn da kommt der Barkeeper. Er wirft Cole einen entschuldigenden Blick zu. »Es tut mir leid, Sir, aber …«
»Ich verstehe.« Cole nickt ihm zu und steht auf. Dabei trinkt er den letzten Schluck seines Whiskeys aus. »Danke, dass wir länger bleiben durften.«
»Kein Problem.«
Mit wackeligen Beinen erhebe ich mich ebenfalls, und mir wird klar, wie viel größer Cole ist. Der Schnitt seines Anzugs, seine schlanke Statur, die kräftigen Schultern … wo bin ich hier nur hineingeraten?
»Was machen wir jetzt?«, frage ich.
Er wirft mir einen amüsierten Blick zu. »Tja, das hängt von dir ab.«
»Von mir?«
»Ja. Ich habe ein Zimmer hier. Wenn du unser Gespräch fortsetzen möchtest, würde ich mich freuen. Und ich habe eine Minibar. Ich könnte dir also jederzeit noch einen Old Fashioned mixen, wenn du Durst hast.«
Es ist ein ziemlich direktes Angebot, verpackt als Witz. Ich lache, wende den Blick ab und nutze die Pause, um kurz nachzudenken. Soll ich es wagen?
Seine nächsten Worte besiegeln meine Entscheidung. »Ich bin nicht das Arschloch, mit dem du vorhin zu tun hattest. Wenn du irgendwann gehen willst, ist das überhaupt kein Problem. Wenn du die ganze Nacht mit mir reden willst, bin ich auch dabei.« Seine Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln, bei dem mir ganz heiß wird. »Wobei ich sagen muss, dass du nicht so wirkst, als hättest du ein Problem damit, zu sagen, was du denkst.«
»Habe ich auch nicht.« Ich greife nach seiner Hand, und sie schließt sich um meine. Seine Haut fühlt sich trocken und warm an, zugleich aber auch angenehm rau. »Wo geht’s lang?«
2
Vier Wochen später …
»Es ist, als säßen wir in der Todeszelle«, sagt Karli. »Wir sitzen hier und warten nur darauf, dass es passiert. Bald steht schon der Termin für den Abriss fest.«
Ich steige von der kleinen Trittleiter herunter und sehe zu ihr hinüber. Sie steht mit zusammengesackten Schultern und niedergeschlagenem Blick an der Kasse und sieht genauso aus, wie ich mich fühle. Traurig und hoffnungslos.
»Ich kann es immer noch nicht akzeptieren«, sage ich.
»Ich weiß deinen Optimismus zu schätzen, Skye, wirklich … aber in den Briefen stand alles klar und deutlich.«
»Wunder geschehen.«
Sie lächelt mich an, allerdings mit einem matten, nachsichtigen Lächeln, so als würde sie einem kleinen Kind etwas durchgehen lassen. »Vielleicht.«
Ich trage die Trittleiter von der H-L-Sektion hinüber zu M-P. Dieser Buchladen ist mein Leben. Hier habe ich als Kind meine Nachmittage nach der Schule verbracht, hier hatte ich meinen ersten Nebenjob. Mit sechzehn habe ich zuerst Bücher sortiert, bevor ich dann schließlich auch kassieren durfte.
Und jetzt soll der Laden abgerissen werden, damit irgendjemand hier sein Hotel bauen kann?
Als bräuchte Seattle noch ein hochtrabendes Gebäude für die Reichen und Mächtigen. Diese Buchhandlung steht hier bereits seit Jahrzehnten.
Karli und ich haben beide geweint, als das erste Schreiben im Briefkasten lag. Der Grund und Boden, auf dem der Buchladen steht, ist von der Stadt gepachtet, und sie hat das komplette Grundstück an Porter Development verkauft.
Nach der Trauer kam die Wut. Ich habe das Porter-Development-Logo ausgedruckt und im Lagerraum an eine alte Dartscheibe gepinnt. Als ich schließlich Karli die Dartpfeile in die Hand drückte, sah sie mich an, als wäre ich verrückt geworden.
»Ist das echt dein Ernst?«
»Ja. Das machen die Leute in Filmen auch immer, also muss etwas Wahres dran sein. Los, wirf mal!«
Kopfschüttelnd nahm sie die Dartpfeile, und wir wechselten uns mit Werfen ab, und am Ende fühlten wir uns tatsächlich ein winziges bisschen besser beim Anblick des durchlöcherten Firmenlogos.
Es ist Mittag, und der Laden ist leer, wie an den meisten Tagen. Und an den meisten Abenden, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin.
Karli ruft zu mir herüber: »Hast du die zeitgenössischen Liebesromane, die geliefert wurden, schon einsortiert?«
»Ja!«, rufe ich zurück. »Und ich habe gesehen, welchen du als unsere Empfehlung ausgewählt hast!«
Sie lacht. »Hast du gesehen, wie die Story anfängt? Die Hauptfiguren haben einen superheißen One-Night-Stand …«
»Ich kann dich nicht hören!«
»Lügnerin!«
Ich verdrehe die Augen und sortiere weiter die Fantasy-Bände ein. Seit ich Karli von der Nacht im Hotel mit Cole erzählt habe, fängt sie immer wieder damit an.
Du hast heute früh Schluss, sagt sie dann zum Beispiel. Vielleicht solltest du mal wieder im Legacy vorbeischauen?
Ich hätte ihr nicht von ihm erzählen sollen – aber ich konnte einfach nicht aufhören, an ihn zu denken, also sprudelten die ganzen Details plötzlich einfach so aus mir heraus.
Seine starken Hände. Das schiefe Lächeln. Unser Geplänkel. Das Hin und Her. Unser Lachen. Er spielt weit außerhalb meiner Liga, aber für den einen Abend waren wir auf Augenhöhe.
Die ganze Nacht fühlte sich an, als hätte sie jemand anders erlebt. Eines der Mädchen in diesen Liebesromanen, nicht ich selbst, Skye Holland. Aufstrebende (gescheiterte) Autorin. (Bald arbeitslose) Buchhändlerin. Fünfundzwanzig Jahre alt, Mieterin einer zu kleinen Wohnung und seit Monaten ohne Date.
Die Skye, die ich bei Cole war, war eine andere. Sie war witzig und mutig. Sie sagte Dinge wie Sie graben mich gerade an, ohne mit der Wimper zu zucken. Und sie sagte Ja, wenn attraktive, geheimnisvolle Männer sie in ihr Hotelzimmer einluden.
Mir steigt die Hitze in die Wangen, als ich daran denke, aber ich stoppe die Gedanken nicht. An jene Nacht zu denken, ist das Einzige, was mich noch aufrecht hält, seit wir vom Schicksal der Buchhandlung erfahren haben.
Wir hatten uns schon eine Stunde lang auf seinem Bett unterhalten, bevor er mich überhaupt berührte. Als er es dann tat und mir die Haare hinter das Ohr strich, lief mir ein Schauer der Erwartung und Erregung über den Rücken.
»Du bist außergewöhnlich«, sagte er dunkel. »Ich hatte keine Ahnung, dass heute Abend jemand wie du hier sein würde.«
Ich lächelte. »Wirst du mich jemals küssen?«
Und dann küsste er mich und zeigte mir, warum ich gar nicht nervös hätte sein müssen. Es war Sex, allerdings mit einem fett gedruckten S, die Art von Sex, die ich immer hatte haben wollen, aber noch nie wirklich hatte. Es gab kein unbeholfenes Gefummel. Er sagte mir genau, was er von mir wollte, und fragte im Gegenzug, was mir gefiel.
Und dann gab er es mir.
Ich greife nach einem weiteren Stapel mit Fantasy-Romanen und sortiere sie wie ferngesteuert ins Regal ein, in Gedanken bei den multiplen Orgasmen, die Cole mir beschert hat. Wie war das möglich? Im College hatte ich eine zweijährige Beziehung und war bei dem Typen nur zweimal gekommen. Das hat Cole in einer einzigen Nacht geschafft.
Der Sex mit ihm war intensiv und hart, geradezu animalisch. Sein Körper hat sich auf mir bewegt, als ginge es um sein Leben. Er war unerbittlich: Dreimal haben wir es gemacht, ehe wir beide völlig fertig in seinem riesigen Hotelbett einschliefen.
»Du bist fantastisch«, murmelte er nach dem letzten Mal, den Arm lässig um meine nackte Taille geschlungen. »Werde ich jetzt in einem deiner Bücher auftauchen?«
»Vielleicht«, sagte ich und streckte zögernd die Hand aus, um durch sein dichtes braunes Haar zu fahren. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dir gerecht werden würde.«
Doch er war schon eingeschlafen, und ich bald darauf auch.
Perfekt – es war perfekt.
Und da ich nicht in der Lage war, meine Aufregung für mich zu behalten, erzählte ich es Karli, die es seitdem ständig zur Sprache brachte. Seit vier Wochen so gut wie jeden Tag. Würde es heute anders sein?
»Ich fasse es nicht, dass du ihm nicht deine Nummer gegeben hast«, sagt sie beim Mittagessen. Eigentlich sollten wir nacheinander Mittagspause machen, aber es sind weit und breit keine Kunden zu sehen, also essen wir unser Sushi zusammen an der Kasse.
»Das hätte alles zerstört.«
»Nein, es hätte der Anfang von etwas sein können.«
»Ein Mann wie er? Nein, er wäre nicht langfristig an mir interessiert. Ich habe es einfach nur im Keim erstickt.« Und damit verteidige ich meine Entscheidung zum tausendsten Mal. Es spielt keine Rolle, dass ich mich abends, wenn ich im Bett liege, immer noch frage, ob ich das Richtige getan habe.
»Das kannst du nicht wissen.«
»Nein, aber ich denke, ich kann es ganz gut einschätzen. Was, wenn ich ihm meine Nummer gegeben und er mich nie angerufen hätte?« Ich kann es Karli nicht erklären, doch das hätte mich fertiggemacht. Eine Nacht wie diese mit jemandem zu verbringen und dann von ihm einen Korb zu bekommen. So nach dem Motto: Danke, aber nein danke.
»Was hast du noch mal auf die Serviette geschrieben?«
»Karli, das weißt du ganz genau.«
Sie lacht schrill, wie es typisch für sie ist, und rückt sich die Brille zurecht. »Ja, aber ich will es noch mal aus deinem Mund hören. Ich lebe hier indirekt durch dich. Willst du mir das wirklich verwehren? Nach acht Jahren Freundschaft?«
Ich verdrehe die Augen angesichts ihrer Theatralik, doch ich tue ihr den Gefallen. »Ich habe geschrieben: Danke für letzte Nacht, du Hengst! O Gott, wie peinlich das klingt!«
Sie kichert. »Das ist so ein Klischee.«
»Tja, ich bin auch nicht anders als die meisten Leute.«
»Und du bist gegangen, als er noch geschlafen hat. Ich frage mich, was er wohl gedacht hat. Du schiebst mit ihm eine schnelle Nummer, und dann verschwindest du einfach.«
»Wahrscheinlich ist er das gewohnt. Glaub mir, bei den Fähigkeiten, die er an den Tag gelegt hat, hat er eine Menge Sex.«
Sie reicht mir ihr Wasabi, von dem sie weiß, dass ich es liebe. »Vielleicht. Oder du hättest mit ihm die heißeste Freundschaft mit gewissen Vorzügen überhaupt haben können. Überleg doch mal, wie viel Inspiration dir das für dein Buch geliefert hätte.«
Ich grinse sie an. »Es hätte mich eher abgelenkt.«
»Wie viele Wörter hast du jetzt geschrieben?«
»Zweiunddreißigtausend. Aber ich glaube, ich muss das ganze letzte Kapitel noch mal umschreiben. Was meine Hauptfiguren so machen, ergibt irgendwie keinen Sinn.«
Karli nimmt sich ein weiteres Stück Sushi und sieht mich erwartungsvoll an. »Erzähl. Wir machen ein Brainstorming.«
Ich finde es toll, dass ihr meine Geschichten so am Herzen liegen. Das war schon immer so, seit ich angefangen habe, hier zu arbeiten. Unsere Liebe zu Büchern ist nur eine von vielen Gemeinsamkeiten, die wir haben. Sie ist zehn Jahre älter als ich und mehr eine Freundin als eine Kollegin. Sie hat den Buchladen geerbt, als Eleanor gestorben ist, und mich nach dem College fest angestellt. Allein deshalb habe ich ihr alles zu verdanken.
Ich erzähle ihr, was ich meine, und sie hört zu und wirft ab und zu ein paar Kommentare oder Witze ein. In solchen Momenten fällt es mir leicht, zu verdrängen, dass es diesen Buchladen mit all seinen Ecken und Winkeln und dem staubigen Dachboden, den Bücherregalen, die nicht zusammenpassen, und den kleinen Leselampen in zwei Monaten nicht mehr geben wird.
***
Nach dem Mittagessen verändert sich mein Leben erneut. War ich eben noch in die Abteilung mit moderner amerikanischer Lyrik vertieft, bin ich jetzt ein zitterndes Nervenbündel.
Fünf Minuten, bevor alles den Bach hinuntergeht, nehme ich ein kleines Buch mit kurzen Gedichten in die Hand. »Du bist ein brillantes Büchlein«, sage ich zu ihm. »Aber du lässt dich echt nicht leicht verkaufen.«
Natürlich erwidert es nichts, also stelle ich es seufzend wieder ins Regal. Wir haben über fünfzig davon. Und vor uns liegt noch jede Menge Inventur, ehe wir schließen müssen.
Die Türglocke bimmelt. Kundschaft!
»Skye, ich bin hinten!«, ruft Karli.
»Ich mache das schon!«, rufe ich und stelle den Gedichtband zurück.
Ich liebe Kunden. Ich liebe es, anhand ihrer Kleidung, ihres Akzents, ihrer Lesevorlieben zu raten, welches Buch ihnen gefallen könnte, warum sie hier sind. Manchmal treffe ich voll ins Schwarze, und manchmal überraschen sie mich – zum Beispiel die würdevolle ältere Dame, die auf der Suche nach dem neuesten Horrorroman ist. Der Mann im Anzug, der nach einem Selbsthilfebuch fragt, in dem es um Glücklichsein geht. Das sind meine Lieblingskunden, diejenigen, die mich lehren, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.
Ich gehe durch den Fantasy-Bereich und am Kochbuchregal vorbei. Vor der Ecke mit unseren Empfehlungen steht ein Mann mit dem Rücken zu mir. Karli und ich bestücken dieses Regal monatlich neu, oft trinken wir dabei eine Flasche Wein und haben jede Menge Spaß.
Er ist groß. Das ist mein erster Eindruck, dicht gefolgt von der Tatsache, dass er einen Anzug trägt. Dichtes braunes Haar lockt sich am Ansatz seines Nackens, direkt über dem Hemdkragen. Mein Instinkt sagt mir, dass er hier ist, um ein Buch für jemanden anders zu kaufen. Ein Geschenk zu einem Geburts- oder Jahrestag.
»Hallo«, sage ich. »Suchen Sie etwas Bestimmtes? Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Er dreht sich um.
Und es fühlt sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen.
Inzwischen sind vier Wochen vergangen, und wir sind hier in einem gut beleuchteten Buchladen und nicht in einer schicken Hotelbar, aber er ist bei Tageslicht nicht weniger umwerfend. Das markante Kinn, der gleiche Bartschatten. Dichtes Haar und ein durchdringender Blick, der kein bisschen überrascht wirkt.
»Skye«, sagt er.
Ich öffne den Mund, schließe ihn dann aber wieder. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Die Fähigkeit zu sprechen ist mir vollständig abhandengekommen. Er wartet mit erwartungsvollem Blick und fragt sich wahrscheinlich, ob ich plötzlich meine Stimme verloren habe.
»Ähm. Hi«, stoße ich schließlich hervor.
Hervorragend. Ich habe vier Jahre Englische Literatur studiert, und das ist alles, was ich rausbekomme.
»Arbeitest du hier?«
Kann ich so tun, als ob nicht? Für ihn soll ich doch eine preisgekrönte Autorin sein, die in teuren Hotelbars sitzt und klischeebehaftete Abschiedsgrüße auf Servietten schreibt.
»Ich hätte nicht gedacht, dich noch mal wiederzusehen«, sage ich dämlicherweise. Ich trage die gleiche Jeans wie immer und ein T-Shirt, auf dem Between the Pages steht. Er hingegen sieht großartig aus. Der Schnitt seines Anzugs betont seine breiten Schultern.
Seine Stimme klingt trocken. »Offensichtlich nicht. Du hast dich ja auch nachts einfach so davongemacht.«
»Ja. Ähm, ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel?«
Er schüttelt den Kopf, aber eher resignierend als verneinend. »Ich wusste, du bist zu gut, um wahr zu sein.«
Ein Statement, das ich in meinem schäbigen Outfit und dem nachlässigen Pferdeschwanz nur bestätigen kann. »Ja. Sorry.«
Er beginnt, den Gang entlangzugehen, und sieht sich im Vorbeikommen die Regale an. Ich folge ihm wie in Trance. Die Nacht, die wir zusammen verbracht haben, war magisch, und das hier ist total profan. Wir sind an meinem Arbeitsplatz. Diese beiden Welten passen nicht zusammen, und mein Gehirn versucht verzweifelt, mit diesem Überraschungsbesuch klarzukommen – vergebens.
»Erzähl mir von diesem Buchladen. Between the Pages, oder?«
Von allen Dingen, die er hätte fragen können … »Ja. Wir führen alle gängigen Genres und haben Neuerscheinungen im Programm. Genauso wie alle größeren Klassiker. Die findest du hier. Proust, Austen, Machiavelli.« Ich benetze die Lippen. »Homer.«
»Hm.« Er nimmt ein Buch aus dem Regal und liest sich den Klappentext durch. Ich kenne es – ein netter Thriller, aber ich könnte ihm einen besseren empfehlen. »Also«, sagt er, »was für ein Spiel hast du damals in der Bar gespielt?«
»Was für ein Spiel?«
Er stellt das Buch zurück ins Regal. »Brauchtest du einen solchen Abend zur Inspiration? Um irgendeine Schreibblockade zu lösen?«
Mein Herz rast jetzt in meiner Brust. »Fragst du, ob du Teil meiner Recherchen warst?«
Er lächelt sein schiefes Lächeln, das nur noch mehr zeigt, wie umwerfend gut er aussieht. »Wenn es so war, habe ich natürlich kein Problem damit. Aber ich denke, das habe ich damals schon klargestellt.«
Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt. O ja, das hat er. »Du warst außergewöhnlich.«
»Du aber auch. Und ich muss sagen, ich wurde noch nie zuvor als Hengst bezeichnet.«
Die Röte intensiviert sich. »Oh, das war … es erschien mir in dem Moment als passend.«
Er nickt. »Aber jetzt nicht mehr?«
»Ich … du bist unmöglich.«
Sein Grinsen ist zurück. »Das höre ich öfter.«
Mein Blick wandert von ihm zu dem Regal hinter ihm. »Warum bist du hier?«
»Ich möchte ein Buch kaufen.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich kann tatsächlich lesen.«
Ich lehne mich gegen das Regal und versuche die Tatsache zu ignorieren, dass er mich nackt gesehen hat, dass ich weiß, wie sich sein Stöhnen anhört, wenn er kommt. »Tja, in dem Fall helfe ich gern. Wonach suchst du?«
Er lächelt. Natürlich blufft er, und ihm ist völlig klar, dass ich das weiß. »Ich will etwas, das mein Herz zum Rasen bringt.«
»Einen Horrorroman?«
»Nein«, sagt er. »Etwas anderes.«
Ich räuspere mich. »Wie wär’s mit einem Thriller? Ich habe einen, der dir sicher gefällt.«
Er streckt den Arm aus. »Nach dir, Skye.«
Er folgt mir zum anderen Ende des Ladens. Er hat nach einem Buch gefragt, das sein Herz zum Rasen bringt, aber meins braucht dafür erst gar kein Buch.
»Hier muss es irgendwo sein …«, murmele ich und lasse den Finger über die Buchrücken gleiten, bis ich es gefunden habe.
Ich halte es ihm hin.
Sein Blick wandert vom Titel zu mir. Dann lacht er leise. »Okay, okay«, sagt er und nimmt es mir aus der Hand.
»Es ist ein Thriller«, sage ich.
»Das sehe ich.«
Er liest sich den Klappentext durch, und ich weiß genau, was dort steht. Es geht um einen Milliardär, der außer Kontrolle gerät. Um Morde in seinem Penthouse, verborgene Geheimnisse unter Seide und Geld, einen Drogenring.
»Interessant«, sagt er mit amüsiertem Unterton. »Den empfiehlst du mir?«
»Na ja«, sage ich und frage mich, ob ich zu weit gegangen bin, »das ist wirklich ein gutes Buch.«
Er klemmt es sich unter den Arm und sieht sich um. Sein Blick schweift über die Bücherregale, den alten Ohrensessel in der Ecke. »Schöner Laden. Mit traditionellem Charme.«
»Finde ich auch«, sage ich. »Aber wir müssen dichtmachen.«
»Ach?«
»Ja. Eine Immobilienentwicklungsfirma will hier ein Hotel bauen, und die Stadt hat zugestimmt. Wir haben noch zwei Monate.«
»Ein Hotel?«
»Ja, wie das, in dem wir uns kennengelernt haben. Das Unternehmen, das es entwickelt, hat diesen Habitus, weißt du?«
»Welchen Habitus?«
»Na ja, so einen Hotelbar-Habitus.« Ich gestikuliere mit den Händen und versuche, ihm klarzumachen, was ich meine. Es ist schwer, ein Gefühl zu beschreiben. »Elegante Musik, beigefarbene Möbel. Wahrscheinlich im Besitz irgendeines reichen alten Typen, der das Geld überhaupt nicht braucht, oder weitere Hotels oder noch mehr Einfluss. Also verschwindet dieser Laden hier und ist für die Nachwelt für immer verloren.« Meine Stimme klingt unbekümmert, aber bei dem Gedanken daran schnürt es mir die Kehle zu. Viele Jahre lang hat mir dieser Laden Trost gespendet, und Karlis Großmutter Eleanor – die ursprüngliche Inhaberin – war stets für mich da.
Coles Blick ist unergründlich. »Das klingt kompliziert.«
»Ehrlich gesagt ist es ziemlich einfach. Raus mit dem Alten und rein mit dem Neuen.« Ich wende mich von ihm ab, bevor ich mich vollkommen lächerlich mache und in Tränen ausbreche. »Soll ich das Buch als Geschenk einpacken?«
»Nein.«
»Ist es für dich?«
Er lächelt über meine überraschte Reaktion. »Das war vorhin kein Witz. Ich kann lesen.«
»Ich bin froh, dass unser Schulsystem nicht bei dir versagt hat. Aber du wirkst auf mich nicht wie … ah.«
»Eine Leseratte?«
Ich spüre, wie ich schon wieder erröte. »Na ja … ja, tatsächlich. Ich hätte nicht gedacht, dass du viel Zeit zum Lesen hast.«
»Habe ich auch nicht. Aber manchmal muss man sich Zeit nehmen, besonders für die Dinge, die wichtig sind.«
Zum ersten Mal hat er heute etwas Ernstes gesagt. Mir fällt keine geistreiche Erwiderung ein, also nicke ich nur. Was macht er beruflich? Damals im Hotel hat er es mir nicht erzählt, und ich habe nicht gefragt. Wir hatten einander Anonymität versprochen. »Da hast du recht«, sage ich, und mein Blick tanzt über seinen Anzug, seine Krawatte, seine Manschettenknöpfe.
Er klingt belustigt. »Versuchst du gerade wieder, deine Fähigkeit, Menschen zu lesen, auf mich anzuwenden?«
»Macht der Gewohnheit.«
»Bei mir auch«, sagt er. »Obwohl ich glaube, ich habe dich beim ersten Mal komplett falsch eingeordnet.«
»Ach?« Mein Herz zerspringt fast in meiner Brust. Beim ersten Mal.
Er lehnt sich gegen ein Bücherregal, zu groß für diesen Laden, für mich, für diese Welt. »O ja. Ich dachte, dass du so etwas ständig machst.«
»So etwas?«
»Heißen Sex mit einem völlig Fremden haben«, sagt er. »Tu nicht so, als hättest du den Teil vergessen.«
Meine Wangen sehen im Flammen, aber ich zwinge mich dazu, seinem Blick standzuhalten. Bitte, Karli, bleib bloß da hinten im Lager!
»Ich habe ihn nicht vergessen«, sage ich. »Das wäre zugegebenermaßen auch schwer.«
»Du hattest Spaß?«
Okay, jetzt muss ich den Blickkontakt abbrechen. »Das weißt du genau.«
»Gut.« Sein Blick verdunkelt sich. »Als ich diese beleidigende Nachricht gesehen habe, die du mir hinterlassen hast, habe ich mich gefragt, ob ich hinter den Erwartungen zurückgeblieben bin.«
Die Vorstellung, er könnte denken, er habe meine Erwartungen nicht erfüllt, ist einfach lächerlich. An ihm ist nichts auch nur im Entferntesten Verletzliches zu entdecken. Nicht in seiner Stimme, nicht in seinem Gesicht mit dem selbstbewusst hochgereckten Kinn. Ich sehe ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Weißt du, fishing for compliments ist äußerst unwürdig.«
Er lacht, und ich entdecke ein Grübchen in seiner linken Wange. Das habe ich bei unserem ersten Treffen in der Dunkelheit gar nicht gesehen.
»Okay. Du bist vielleicht nicht so selbstbewusst, wie du damals in der Hotelbar getan hast, aber du bist genauso schnell mit deinen Standpauken.«
»Du glaubst, das war vorgespielt?«
Immer noch lächelnd schüttelt er den Kopf. »Ich glaube, du wolltest für einen Abend eine andere Frau sein. Ich bin froh, dass ich für deine Fantasie zur Verfügung stand.«
Meine Kehle fühlt sich staubtrocken an. »Ich auch«, sage ich schwach. »Und was die Nachricht angeht …«
Das ist meine Chance. Meine Chance, etwas zu ändern, es wiedergutzumachen, ihn vielleicht noch einmal wiederzusehen. Was er alles gemacht hat … ich denke seit Wochen jeden Tag an ihn.
Er lächelt noch immer. »Ja?«
»Vielleicht war ich da ein wenig vorschnell.«
»Mmm. Vielleicht.« Er schlendert zur Kasse hinüber und schiebt das Buch und einen Zwanziger lässig über die Theke. »Und was hättest du hinzugefügt, wenn du mehr Zeit gehabt hättest?«
Verdammt, er will, dass ich es ausspreche. »Ein paar Ziffern vielleicht.«
»Deine Telefonnummer, hoffe ich.«
»Ja«, flüstere ich.
»Gut.« Er beugt sich über die Theke, und sein Gesicht ist meinem so nahe, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüre. Mein Körper spannt sich an, erinnert sich an seinen Geruch, seine Nähe, daran, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlen. »Ich will, dass du dich daran erinnerst.«
Ich öffne blinzelnd die Augen und sehe, dass er wieder aufrecht steht und sein schiefes Lächeln aufgesetzt hat. »Was meinst du?«
»Das wirst du herausfinden.« Er macht einen Schritt zurück und geht mit seinem Buch in der Hand zur Tür hinüber. »Und, Skye?«
»Ja?«
»Ich hätte dich angerufen. Ich will, dass du das auch weißt.«
Und dann ist er verschwunden, genauso schnell, wie er gekommen ist, der gut aussehende Mann im Anzug.
3
»Erzähl mir noch mal genau, wo ihr euch unterhalten habt«, drängt Karli.
Ich lache. »Okay, also, er kam zur Vordertür rein. Und dann ist er diesen Gang langgegangen … und hier rein. Wir standen kurz dort drüben – er hat Die Suche nach Elle aus dem Regal genommen –, und dann sind wir zur Kasse gegangen, wo er bezahlt hat. War das detailliert genug?«
»Ja.« Sie stößt einen dramatischen Seufzer aus. »Ich fasse es nicht, dass ich die Gelegenheit verpasst habe, Mystery Man zu sehen.«
»Pech«, sage ich, auch wenn ich angesichts unseres Gesprächs insgeheim froh darüber bin, dass sie hinten im Lager war.
»Und ich kann ihn noch nicht mal im Internet suchen, weil du immer noch nicht seinen Nachnamen kennst. Im Ernst, Skye: Weißt du eigentlich irgendwas darüber, wie man ein Date klarmacht?«
Ich setze mich auf den Hocker hinter der Kasse. »Du bist seit elf Jahren glücklich mit John verheiratet. Inzwischen funktioniert das alles ganz anders. Die Dating-Szene ist heutzutage eine Katastrophe.«
Sie wirft mir einen spitzen Blick zu. »Nachnamen auszutauschen ist immer noch Usus. Da brauche ich keine Ahnung von aktuellen Trends zu haben, um das zu wissen.«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wiedersehen werde. Und sieh dir das an – er lenkt uns so von der Arbeit ab! Schon wieder!« Ich nehme meinen Stift in die Hand und schreibe meinen Infozettel weiter. Wir schließen in zwei Monaten. Sichern Sie sich 20 % Rabatt beim Kauf von drei oder mehr Büchern!
»Ja«, sagt Karli trocken. »Gott bewahre, dass du vom Schreiben abgelenkt wirst!«
»Meine Schreibkunst könnte uns retten.«
»Hoffentlich wird es nicht so weit kommen«, sagt sie, aber ihre Stimme kling amüsiert. Seit wir von dem Abriss erfahren haben, hält sich Karli wesentlich besser als ich, obwohl der Buchladen ja ihr gehört. Ich weiß, dass er für sie einst genauso die Rettung war wie für mich, doch Karli hat jetzt einen Ehemann und zwei Kinder und eine Leidenschaft fürs Backen, die sie gern zum Beruf machen würde.
»Ich habe heute eine E-Mail bekommen«, sagt sie. »Und bevor du gleich in die Luft gehst – sieh mich nicht so an, ich weiß, dass das passieren wird, Skye! – ich habe es dir nicht sofort erzählt, weil ich erst darüber nachdenken wollte.«
Ich lege meinen schwarzen Filzstift weg. »Was stand drin?«
»Sie ist von Porter Development. Sie haben um ein Treffen mit mir gebeten.«
»Um ein Treffen?«
»Ja.« Sie rückt sich die Brille zurecht. »Ich weiß nicht, was sie wollen. In der E-Mail hieß es nur, dass sie über unsere ›gemeinsame Zukunft‹ reden möchten.«
»Unsere gemeinsame Zukunft? Aber unsere fällt ihrer zum Opfer.«
»Es ist echt seltsam.« Karli lehnt sich stirnrunzelnd gegen die Kasse. »Ich wollte dich fragen, ob du zu dem Treffen mitkommst.«
»Natürlich, wenn du das möchtest. Keine Frage.«
Sie lächelt schief. »Aber wir müssen uns zivilisiert benehmen.«
Auch wenn sie wir sagt, weiß ich, dass sie mich damit meint. »Ich werde mich von meiner besten Seite zeigen, versprochen.«
»Gut. So, diese Kartons packen sich nicht von allein aus. Lass uns das zusammen machen, und dabei kannst du mir erzählen, was du letztes Wochenende gemacht hast. Warst du wieder bei Timmy babysitten? Mit Isla essen? Hast du in einer Hotelbar einen gut aussehenden Fremden kennengelernt? Erzähl mir irgendwas, Hauptsache, es hat nichts mit Windeln oder Büchern zu tun, bitte. Ich muss indirekt durch dich leben.«
Ich lächele sie an. Meine Kollegin, die für mich so viel mehr ist als das, und dann erzähle ich ihr so unterhaltsam wie möglich von meinem langweiligen Wochenende.
Dabei verschweige ich die Tatsache, dass ich fast einen halben Tag das Internet nach Suchergebnissen zu Cole und Seattle durchforstet habe. Es war die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.
***
Am Tag unseres Treffens mit Porter Development ziehe ich meine professionellste Bluse und einen Bleistiftrock an, die ich aus den hintersten Ecken meines Kleiderschranks hervorkrame. Als ich im Buchladen ankomme, trägt Karli ein ganz ähnliches Outfit.
Sie schnaubt. »Unsere Rüstung, was?«
»Hauptsache, wir sehen aus, als wüssten wir, wie man ein Unternehmen führt.« Ich greife nach dem Geschlossen-Schild am Fenster und drehe es um. Hier arbeiten bloß wir beide, und wir haben niemanden, der im Laden die Stellung hält, wenn wir nicht da sind. Leider war nie genug Geld da, um noch jemanden einzustellen. Aber insgeheim glaube ich sowieso nicht, dass uns während der paar Stunden, die wir nicht da sein werden, auch nur ein einziger Kunde flöten gehen wird. In letzter Zeit kann man das Geschäft nicht gerade als florierend bezeichnen.
Karli schnappt sich die Hefte, die hinter der Kasse liegen. Ich weiß, was drinsteht – unsere gesamten Finanzen, alle Zahlen, unser nicht vorhandener Gewinn. Sie stopft sie in ihre Tasche und schenkt mir ein Lächeln, das mutiger aussieht, als ich mich fühle.
»Na dann. Machen wir uns auf in die Höhle des Löwen, oder?«
»Ja«, sage ich. »Allerdings darf man uns auch nicht unterschätzen. Ich habe dir versprochen, dass ich mich zivilisiert benehmen werde – aber ich werde kämpfen, Karli.«
Ihr Lächeln wird entschlossener. »Warum glaubst du, habe ich dich gebeten, mitzukommen?«
Wir fahren schweigend durch Seattle. Bald schon verschwinden die kleineren, zweistöckigen Gebäude hinter uns und werden durch brachiale Wolkenkratzer und scharfe Kanten ersetzt. Auf den Straßen sieht man Männer in Anzügen und Frauen in Pumps, gemütliche Cafés werden von den großen Ketten abgelöst. Karli parkt in einem Parkhaus in der Nähe unseres Ziels. Das behauptet zumindest das GPS auf meinem Handy, doch wir sind immer noch zwei Blocks entfernt und müssen uns beeilen.
Porter Development befindet sich in einem riesigen Gebäude – groß, imposant, komplett verglast. Jemand drängt sich mit einem genervten Seufzer an uns vorbei, als wir mitten auf dem Gehweg stehen bleiben und hinaufstarren.
»Okay«, sagt Karli matt, »das ist weniger eine Löwenhöhle als …«
»Ein riesiges Denkmal für die Profitgier großer Konzerne?«
»Ja. Genau das.«