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Von der Kunst, nicht ständig zur Verfügung zu stehen
Überlastung, angehäufte Überstunden und keine Chance, sie jemals abzubauen – muss ich mir das wirklich gefallen lassen? Das fragen sich Millionen Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue. Der Karriereberater und Bestsellerautor Martin Wehrle kennt den Wahnsinn in deutschen Firmen. Er zeigt auf, mit welchen Tricks Mitarbeiter ausgebeutet werden. Warum gibt es keinen Feierabend mehr? Warum beschleunigt Multitasking die Burnout-Quote, aber nicht die Arbeit? Martin Wehrle weist Wege aus dem Hamsterrad. Der Arbeitnehmer erfährt unter anderem, wie er Grenzen um sein Privatleben ziehen kann. Nie wieder Depp sein und auf in ein selbstbestimmtes, glückliches Berufsleben!
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Seitenzahl: 451
Buch
Überlastung, angehäufte Überstunden und keine Chance, sie jemals abzubauen – muss ich mir das wirklich gefallen lassen? Das fragen sich Millionen Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue. Der Karriereberater und Bestsellerautor Martin Wehrle kennt den Wahnsinn in deutschen Firmen. Er zeigt auf, mit welchen Tricks Mitarbeiter ausgebeutet werden. Warum gibt es keinen Feierabend mehr? Warum beschleunigt Multitasking die Burnout-Quote, aber nicht die Arbeit? Martin Wehrle weist Wege aus dem Hamsterrad. Der Arbeitnehmer erfährt unter anderem, wie er Grenzen um sein Privatleben ziehen kann. Nie wieder Depp sein und auf in ein selbstbestimmtes, glückliches Berufsleben!
Autor
Martin Wehrle ist Deutschlands bekanntester Karrierecoach. Er schreibt u.a. für »Die Zeit« und »Spiegel Online«. Sein Buch »Ich arbeite in einem Irrenhaus« stand über hundert Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Seine Bücher sind in zwölf Sprachen erschienen und haben rund um den Globus begeisterte Leser gefunden. An seiner Karriereberater-Akademie in Hamburg bildet er Karrierecoachs aus.
Kontakt: www.karriereberater-akademie.de
Martin Wehrle
BIN ICH HIER DER
DEPP?
Wie Sie dem Arbeitswahn
nicht länger zur Verfügung stehen
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1. Auflage
© 2013 Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design
Illustrationen: © Dirk Meissner
Redaktion: Birthe Katt
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
BK · Herstellung: IH
ISBN 978-3-641-10903-5V003
www.mosaik-verlag.de
Inhalt
Vorwort – Willkommen im Hamsterrad!
Teil 1 – Ich arbeite in einem Hamsterrad
Vom Tod eines Freundes: Warum der Feierabend starb
Das höllische Arbeitsparadies
Eine Schwalbe macht noch keinen Burn-out
Ein Anruf am Nordkap
Der Propaganda-Minister empfiehlt …
Mit Helmut Kohl im Freizeitpark
Der Chef-Hamster: Wenn Führung durchdreht
Der Oberheld
Momo und die Stundendiebe
Schlaflos im Chefsessel
Das Geheimnis der geplatzten Termine
Die Mär vom Multitasking: Warum nur Drachen drei Köpfe haben
Zeitmanagement: Kirche ohne Papst
Der überfahrene Mitarbeiter
Audienz beim Chef
Der Fluch der Gleichzeitigkeit
Wie man den Kopf verliert
Klima-Katastrophe: Wenn nichts als die Rendite zählt
Das abgeschraubte Namensschild
Wir arbeiten uns zu Tode
Das Gespenst der Kündigung
Rambo als Rausschmeißer
Marmor, Stein und Eisen bricht – aber unsere Firma nicht!
Fesselnde Arbeit: Die fiesesten Tricks, um Mitarbeiter auszubeuten
Haltet den Dieb – mein Urlaub ist weg!
Schiffe versenken: So gehen Mitarbeiter unter
Der Versprechungs-Bigamist
Psychotricks: Wie saure Arbeit süßer schmeckt
Depp im Web: Mein Boss, der Facebook-Freund
Münchhausen lässt grüßenn
Arbeitest du schon – oder mailst du noch?
Nachtwächter vorm Computer
Die Glatze aus dem Internet
Chef-Agent: Der Spion, der aus der Firma kam
Das Netz, dem keiner entrinnt
Ein Detektiv in Harlem
Aufstand bei Aldi
Achtung, versteckte Kamera!
Die Frauen-Falle: Nett, fleißig, ausgenutzt
Oben ohne: Warum Frauen an der Spitze fehlen
Der Zoodirektor und die Zuchtstuten
Der Puppen-Trick
Nur Arbeits-Babys schaukeln!
Ausbildung in der Hölle: »Was Sie hier lernen, ist Lohn genug!«
Die Ausbeutungs-Maschine
Azubi – der Depp vom Dienst
Der Praktikanten-Horror
Mittagspause verboten!
Der Senioren-Hass: Vom Abflug der Alten
Opi, raus mit dir!
Die unerwünschte Geh-Hilfe
Die Abwrack-Prämie
Wenn Bewerber übers Alter stolpern
Schicht im Schacht: Wenn der Burn-out dreimal klingelt
Im Strudel der Arbeit
Das Burn-out-Zeitalter: Warum die Arbeitswelt durchdreht
Vom Absturz eines Projektmanagers
Wandern in der Wüste – so kommt es zum Burn-out
Teil 2 – Ich stehe nicht mehr zur Verfügung!
Der Depp-Faktor-Test: Wie sehr lassen Sie sich ausnutzen?
Depp werden ist nicht schwer …
Der große Depp-Faktor-Test
Die Glücks-Fährte: Auf der Suche nach dem verlorenen Leben
Wenn die Sonne der Arbeit sinkt
Der gefährliche Kindheits-Kompass
Tschüs, Glaubenssatz!
Zapfen Sie Ihre Emotionen an!
Erschöpfung ade: Der Abschied vom Hamsterrad
Von Verträgen und Fallen
Selbst-Vertrag: Reif zur Unterschrift
Der Richter und Schenker
Warum es nicht lohnt, ein Held der Arbeit zu sein
Das Zöllner-Prinzip: Von der Kunst, Grenzen zu bewachen
Sind Sie noch König Ihres Lebens?
Die drei Geheimnisse des Zöllners
Wie Sie sich vor Selbstausbeutung schützen
Zehn Tipps zum Nein-Sagen
Nie wieder Depp: Auf dem Weg zur großen Freiheit
Durchschaute Inserate: »Wir brauchen keine Warmduscher!«
So werden Sie Hamsterrad-Spion
Ein Lob der Langsamkeit
Der Weg zur Erfüllung
Alle Hamsterräder stehen still …
Sechs Richtige – was können Gesellschaft, Politik und Firmen tun?
Service
Weiterführende Literatur
Traumberuf Karrierecoach: So starten Sie durch
Register
Vorwort – Willkommen im Hamsterrad!
»Depp gesucht!« – das wäre mal eine ehrliche Stellenausschreibung. Der ideale Mitarbeiter hat kein Leben mehr, nur noch ein Berufsleben. Abend wird es für ihn, aber nicht Feierabend. Wenn das Firmenhandy klingelt, ist der Sex vorbei, der Urlaub gestorben. Er arbeitet durch, statt durchzuatmen.
Zwölf-Stunden-Tage laufen unter »Einsatzfreude«. Jede Mail schreit nach sofortiger Antwort, auch nach Feierabend. Wer nicht schnell genug protestiert, wird von seinem Chef als Facebook-Freund zwangsadoptiert und bis ins private Fotoalbum verfolgt. Früher gab es Sklavenketten; heute gibt es kabellose Computer.
Muss es uns beunruhigen, dass Arbeitnehmer in Deutschland pro Jahr drei Milliarden Überstunden leisten, die Hälfte davon unbezahlt?[1] Dass jeder dritte Vorgesetzte von seinen Mitarbeitern erwartet, bei Krankheit weiterzuarbeiten?[2] Dass jeder vierte Arbeitnehmer keine Zeit mehr für seine Pausen hat?[3] Ja, es muss!
Abteilungen gleichen Lazaretten, hausgemachtes Mobbing lichtet die Reihen, und der Burn-out, die neue Volkskrankheit, spaziert von Büro zu Büro. Jede dritte Frühverrentung hat psychische Gründe. Im Schnitt sind diese »Rentner« 48 Jahre alt![4]
Aber wenn ein Mensch von der Arbeit zerrieben wird, liegt es nicht an der Arbeit, sondern am Menschen! Die Firmen erklären ihn dreist zur »Burn-out-Persönlichkeit«. Er wird aussortiert und abserviert, Abfall der Produktion.
Millionen Mitarbeiter fühlen sich verschaukelt und fragen sich: »Bin ich hier der Depp?« In diesem Buch räume ich ein, dass die deutschen Firmen das Rad neu erfunden haben, wenn auch nur: das Hamsterrad! Wie es funktioniert, wodurch es sich beschleunigt und warum sein Drehen die Manager durchdrehen und die Mitarbeiter verzweifeln lässt – das bekommen Sie an zahlreichen Beispielen demonstriert.
Ich erkläre, warum Unternehmen, die schnell sein wollen, jeden Termin vergeigen (der Flughafen Berlin-Brandenburg ist nur ein Beispiel von vielen); warum die modernen Medien nicht nur das Tempo der Kommunikation, sondern vor allem deren Scheitern beschleunigen; und warum Mitarbeiter zu Gegenarbeitern werden, wenn Chefs sie mit der Terminpeitsche drangsalieren und mit Motivationsphrasen vollpumpen.
Zahlreiche Mitarbeiter erzählen ihre »Deppen-Erlebnisse«. Da sind die Mitarbeiter eines Mittelständlers, deren Überstunden sich über Nacht in Luft auflösen. Da ist die Beraterin, die von ihrem Chef abends wie von einem Geiselnehmer im Büro festgehalten wird. Oder die Filialleiterin, die nach mehreren Einbrüchen angewiesen wird, im kühlen Lagerraum zu übernachten – als hätte sie zur Firma ein eheähnliches Verhältnis zu pflegen.
Da ich Hunderte von Mitarbeitern aus Hunderten von Firmen berate, aber nahezu alle mit den gleichen Problemen ringen, weiß ich genau: Fehlerhaft sind nicht die einzelnen Menschen, die mit Überforderung, Dauerstress und Burn-out kämpfen – fehlerhaft ist das System, das sie jeden Tag zu diesem Kampf zwingt!
Der erste Teil dieses Buches, »Ich arbeite in einem Hamsterrad«, entlarvt eine Arbeitswelt, die nach dem Frühkapitalismus überwunden schien; eine Welt, in der die Rendite von Firmen über der Gesundheit von Menschen steht; eine Welt, in der Mitarbeiter ausgenutzt, ausgelaugt und aussortiert werden.
Der zweite Teil des Buches, »Ich stehe nicht mehr zur Verfügung!«, weist Wege aus diesem Hamsterrad. Mit einem Test können Sie prüfen, ob Sie ausgenutzt werden und wie hoch Ihre Burn-out-Gefahr ist. Zugleich bekommen Sie Anregungen, wie Sie effektiver »Nein« sagen, Ihr Privatleben abgrenzen und vom Dauerstress-Highway in ein gesundes und erfülltes Berufsleben abbiegen.
Nie wieder Depp sein, auch dafür bietet die moderne Arbeitswelt viele Chancen. Packen Sie’s an! Damit Firmen, die Deppen suchen, keine mehr finden.
Herzlichst
Ihr
Martin Wehrle
PS. Schreiben Sie mir gerne, ob Ihre Firma ein Hamsterrad ist und was Sie dort erleben. Sie erreichen mich über meine Homepage www.karriereberater-akademie.de
[1]IWH, Wirtschaft im Wandel, Unbezahlte Überstunden in Deutschland, Jg. 18 (10), 2012
[2]FAZ, 12.12.2012
[3] berliner-zeitung.de, Stress im Job nimmt für viele zu, 29.01.2013
[4] ebenda
Teil 1 – Ich arbeite in einem Hamsterrad
Vom Tod eines Freundes: Warum der Feierabend starb
In diesem Kapitel erfahren Sie unter anderem …
warum immer mehr Firmen sich als Paradies ausgeben, aber die Hölle sind,wie das Märchen der Globalisierung benutzt wird, um Mitarbeiter zu verheizen,wie ein Chef einen Nordkap-Urlauber aufspürte und zurück in die Firma beorderteund wodurch Helmut Kohl zum Vorbild einer irren Arbeitssekte wurde.Das höllische Arbeitsparadies
Eine süße Melodie erklingt aus den deutschen Firmen, eine Melodie wie die des Rattenfängers von Hameln. Die Firmen flöten von einer modernen Arbeitswelt, in der jeder Mitarbeiter sein eigener Herr ist. Die große Freiheit soll an den Arbeitsplätzen ausgebrochen, die Selbstbestimmung eingekehrt, das Zeitalter der Schufterei beendet sein. Stellenausschreibungen, Broschüren und Vorstandsreden verheißen dem Mitarbeiter hinterm Firmentor ein gelobtes Arbeitsland, ein Paradies.
Die Hierarchien? Flach wie das Wattenmeer! Die Stechuhren? Auf dem Weg ins Museum! Der Chef? Dein Freund und Helfer! So manches Firmengebäude verwandelt sich zur Sofa-Landschaft, die Tischtennisplatte im Konferenzraum lädt ein zum Rundlauf, und wer aus der Obstschale auf dem Flur einen Apfel greift, darf das auf Kosten der Firma tun, statt dafür aus dem Paradies vertrieben zu werden; die Firmen-Götter sind gnädig.
Kein Telefonkabel, lieber Mitarbeiter, kettet Sie mehr an Ihren Schreibtisch, Sie sind frei wie der Wind. Ihre Arbeit ist geschrumpft auf Taschenformat, sie lässt sich bequem per Handy tragen. Und, bitte sehr: Picken Sie sich aus dem Arbeitsmodell-Baukasten einen Arbeitsort Ihrer Wahl, ob Heimbüro oder Südseestrand. Teilen Sie Ihren Job (Job-Sharing) oder schlafen Sie morgens bis 10 Uhr aus (flexible Arbeitszeit) – völlig in Ordnung! Kein Chef sitzt Ihnen mehr im Nacken, Sie verantworten Ihre Ergebnisse selbst.
Die Arbeitswelt ein Paradies und der Mitarbeiter ein dankbarer Bewohner: So hätten sie es gern, die Rattenfänger!
Doch wer der süßen Melodie hinters Firmentor folgt, stolpert in eine Arbeitshölle, wie sie die Welt seit dem Frühkapitalismus nicht mehr gesehen hat. Die Firmen flöten: »Du bist selbst für deinen Erfolg verantwortlich«, gemeint ist: »Der Misserfolg kostet dich den Kopf!« Die Firmen flöten: »Du kannst deine Arbeit frei einteilen«, gemeint ist: »Mach bloß nicht Feierabend, bevor alles fertig ist.« Die Firmen flöten: »Du kannst alles bei uns erreichen«, gemeint ist: »Wenn du auf der Strecke bleibst, liegt es nur an dir!«
Hinterm Firmentor wohnt das Elend. Mitarbeiter ächzen unter Arbeitslasten. Sie schuften, bis der Arzt kommt, und der Arzt kommt oft: Die Burn-out-Kliniken quellen über, sie sind zu den Seelen-Kläranlagen einer zum Himmel stinkenden Arbeitswelt geworden. Zwischen 2005 und 2011 haben sich die Krankheitstage wegen Burn-out verelffacht, auf 2,7 Millionen.[5] Berufsleben statt Leben, Überstunden statt Feierabend, Dauerstress statt Entspannung: Millionen Mitarbeiter strampeln in diesem Hamsterrad. Das Hobby ist nur noch Erinnerung, die beste Freundin eine Adresse im Notizbuch und die Ehe womöglich ein Fall für den Scheidungsanwalt.
Frei ist sie tatsächlich, die moderne Arbeitswelt, aber nur frei von Berechenbarkeit: Wer jahrzehntelang beste Arbeit leistet, kann über Nacht für die Rendite rausgekegelt werden; frei von Gerechtigkeit ist sie: Die Reallöhne der Mitarbeiter sind zwischen 2000 und 2012 um 1,8 Prozent gesunken[6], während die Unternehmensgewinne durch die Decke schießen[7]; und frei ist sie von einer Abgrenzung zum Privatleben: Der Feierabend ist kein Schlusspfiff mehr, nur noch Auftakt zur Verlängerung; Mitarbeiter stehen rund um die Uhr zur Verfügung, Freizeit verkommt zur Rufbereitschaft.
Gesunde Menschen gehen rein in die Firmen, und kranke kommen raus. Die Fließbänder der schönen neuen Arbeitswelt produzieren Volksleiden wie Bluthochdruck, ADHS und Burn-out. Allein 2011 musste die AOK für die Behandlung psychischer Erkrankungen 9,5 Milliarden Euro in die Hand nehmen, eine Milliarde mehr als im Vorjahr.[8]
Der Mitarbeiter ist Gehetzter und Verletzter, Sklave und Einpeitscher zugleich. Beschossen mit Mails, bombardiert mit Projekten, behelligt von Anrufen, überfordert von Zielen – so rotiert er um die eigene Achse.
Das Drehbuch der seelischen Überforderung wird von Managern geschrieben: Wie sollen Mitarbeiter die Qualität ihrer Arbeit erhöhen, wenn zugleich immer weniger Zeit dafür bleibt? Wie sollen sie größere Arbeitsmengen bewältigen, wenn zugleich immer mehr Planstellen ausradiert werden? Und wie sollen sie loyale Diener ihrer Firma sein, wenn diese Firma sich ihrer nur bedient, sie als Zeitarbeiter hinhält, als Überstunden-Sklaven ausbeutet, mit Hungerlöhnen abspeist?
Arbeit ist heutzutage das, was niemals fertig wird. Schon gar nicht vor Feierabend. Fertig sind nur die Arbeitnehmer. Mit ihren Nerven.
Hamsterrad-Regel: Die Firma verspricht viel, wenn der Tag lang ist, aber wahr macht sie nur eines: dass der Tag lang ist.
Eine Schwalbe macht noch keinen Burn-out
Firmen funktionieren in etwa so: Einer schafft Geld ran, man nennt ihn Mitarbeiter, und einer sackt Geld ein, man nennt ihn Unternehmer. Entsprechend begehrt sind Arbeitnehmer, sie werden als »Humankapital« gepriesen, als »Mitunternehmer« umschmeichelt, als »High Potentials« umworben. Im Krieg der Moderne wird nicht mehr um Lebensraum, sondern um die besten Mitarbeiter gekämpft (»War for Talents«).
Dass die Betonung bei »Humankapital« nicht auf »human« liegt, wird spätestens deutlich, wenn ein Mitarbeiter erkrankt. Zwar bekommt man für den Herzinfarkt noch immer einen Tapferkeitsorden, sofern man ihn sich durch eifrigen Arbeitseinsatz verdient hat und den Laptop mit auf die Intensivstation nimmt. Aber Krankheiten, die den Geist betreffen, gelten als Geistererscheinung.
»Burn-out« – dieses Wort hat unter Vorgesetzten eine ähnliche Bedeutung wie »Schwalbe« unter Fußballschiedsrichtern. Das stelle ich immer wieder im Austausch mit Managern fest. Neulich sprach mich nach einem Vortrag der Leiter eines Logistikunternehmens an und fragte, ob Überlastung durch Arbeit nicht doch die große Ausnahme sei.
Ich fragte zurück: »Erzählen Sie mal von Ihrer Firma – gibt es dort Burn-out-Fälle?«
»Wenn es einen gäbe, der unter der Arbeit zusammenbrechen müsste, dann doch ich! Aber Sie sehen ja: Es geht mir gut! Darum kann ich mir nicht vorstellen, dass sich in meiner Firma irgendjemand kaputtarbeitet.«
»Niemand leistet Überstunden bei Ihnen?«
»Ich kann den Leuten doch nicht vorschreiben, wann sie Feierabend machen! Wenn einer länger als acht Stunden arbeiten will, dann steht ihm das frei.«
Ich versuchte es mit Ironie: »Kann es sein, dass auffällig viele Mitarbeiter ›wollen‹?«
»Klar«, antwortete er ernst, »die Motivation ist hoch. Wer bei uns was werden will, der hängt sich rein.«
»Und Ihnen kam wirklich noch kein Burn-out-Fall zu Ohren?«
Er verzog sein Gesicht. »Natürlich gibt es Leute, die sich mit einem Burn-out krankschreiben lassen.«
»Sie halten diese Mitarbeiter für Simulanten?«
Seine Hände machten eine wegwerfende Bewegung. »Kann man nicht jedes psychische Wehwehchen zum Burn-out aufbauschen? Es gibt doch immer ein paar Schlauberger, die sich Urlaub auf Krankenschein gönnen. Der Burn-out ist ja noch nicht mal als Krankheit anerkannt.«
»Die Ärzte nehmen ihn sehr ernst: Er läuft unter Depression. Und die geht manchmal tödlich aus!«
»Na sehen Sie! Für psychische Probleme, die jemand mit sich selber hat, können Sie doch nicht mich als Chef verantwortlich machen.«
Zweierlei ist typisch: Erstens wird die Schuld auf die Mitarbeiter verlagert. Wenn ein Mensch an der Arbeit zerbricht, hat das nicht mit der Arbeit zu tun, nur mit dem Menschen. Und zweitens stilisieren sich gestresste Chefs – gerade solche, die selbst kurz vorm Burn-out stehen – gern zum lebenden Burn-out-Gegenbeweis. Ganz nach dem Motto: Alles halb so schlimm, siehe mich!
Die Führungskräfte halten es mit dem scharfzüngigen Kritiker Karl Kraus: »Eine der verbreitetsten Krankheiten ist die Diagnose.« Das befreit sie von der moralischen Pflicht, den Druck zu mindern und ihre Mitarbeiter zu schützen.
Solche Gespräche führen dazu, dass ich Fakten auf den Tisch lege: Warum leisten die Deutschen so viele Arbeitsstunden wie seit 20 Jahren nicht mehr?[9] Warum antworten acht von zehn Mitarbeitern laut einer Bitkom-Umfrage auf dienstliche Mails sogar im Urlaub und in der Freizeit?[10] Und welche Erklärung gibt es dafür, dass sich die Zahl der psychischen Erkrankungen seit 1994 um 120 Prozent erhöht hat?[11] Wie der Wasserdampf einen Teekessel zum Pfeifen bringt, so treibt der Arbeitsdruck die Mitarbeiter über ihre natürliche Leistungsgrenze hinaus – und hinein in Krankheiten!
Angesichts solcher Argumente zucken Unternehmer mit den Achseln und berufen sich auf eine höhere Macht. Woran liegt es, dass die Billiglöhne Deutschland erobern? An der Globalisierung! Woran liegt es, dass der moderne Mitarbeiter für zwei arbeiten muss, auch wenn ihm nur halbe Sicherheit geboten wird, etwa durch einen befristeten Vertrag, wie ihn bereits jeder dritte Hochschulabsolvent in Kauf nehmen muss?[12] An der Globalisierung! Und woran liegt es tatsächlich, dass Chefs immer eine Ausrede haben, wenn sie Mitarbeiter ausbeuten? An der Globalisierung!
Das Globalisierungs-Gejammer der Firmen ist das größte Märchen seit »Hänsel und Gretel«, nur dass diesmal keine Hexe in den Ofen geschoben wird, sondern Mitarbeiter verheizt werden. Immer länger, immer härter, immer billiger sollen sie arbeiten. Das verlangen nicht die Chefs, die guten – das »verlangt« die Globalisierung, die böse!
Doch während sich die Mitarbeiter im Hamsterrad kaputtstrampeln, mit Niedriglöhnen durchschlagen und um ihre Jobs zittern, steigt in der Chefetage eine rauschende Globalisierungs-Party: Die Firmen machen so viel Geld wie nie zuvor, die Umsätze prasseln von allen Kontinenten in die Kasse. Der Anteil der deutschen Unternehmen an der weltweiten Industrieproduktion ist im letzten Jahrzehnt von 7,6 auf 8,1 Prozent geklettert, der Anteil an den weltweiten Exporten von 12,1 auf 14,3 Prozent.[13]
Den Segen der Globalisierung, die höchsten Gewinne aller Zeiten, schaufeln die Firmen in die eigene Tasche. Den Fluch der Globalisierung, die gestiegene Arbeitslast, überlassen sie großzügig ihren Mitarbeitern – sprich jenen Restbeständen, die den Rotstift überlebt und jetzt für ihre geschassten Kollegen mitzuarbeiten haben.
So süß die Flöte des Rattenfängers auch klingt: Was sie spielt, ist nicht die Wahrheit. Und wer ihr folgt, läuft in sein Verderben – nur dass der Berg, in den er geführt wird, diesmal ein Arbeitsberg ist.
Hamsterrad-Regel: Wenn die Axt einen Baum fällt, ist der Baum nicht hart genug! Wenn die Arbeit einen Mitarbeiter fällt, ist der Mitarbeiter nicht belastbar genug!
Deppen-Erlebnisse
Wie ich nach Feierabend auf den Kopf fiel
Der Unfall passierte, weil ich todmüde war: Statt auf den Stuhl, den ich hinter mir wähnte, setzte ich mich auf den Hosenboden. Das wäre lustig gewesen, doch mein Kopf schlug krachend auf den Boden des Büros. Direkt danach musste ich mich übergeben. Gehirnerschütterung! Eigentlich ein Arbeitsunfall, das Blöde war nur: Jetzt, um 20.30 Uhr, hätte ich schon längst nicht mehr in der Firma sein dürfen. Und ich war auch nicht mehr da, wenigstens nicht offiziell: Da unser Betriebsrat streng darauf achtete, dass niemand länger als zehn Stunden am Tag arbeitete, hatte unser Chef folgende Praxis eingeführt: Wir stempelten uns nach der regulären Arbeitszeit aus – um direkt wieder an unseren Arbeitsplatz zu eilen, als abwesende Anwesende. Diese Praxis war immer dann üblich, wenn der Arbeitsdruck hoch war. Und das traf auf zwei von drei Monaten zu, Tendenz steigend.
Doch wie sollte ich einen Arbeitsunfall geltend machen, obwohl ich laut Stempelkarte gar nicht mehr in der Firma war? Mein Chef redete mit Engelszungen auf mich ein, ich sollte den Unfallort nach Hause verlegen, sonst bekäme er Ärger mit dem Betriebsrat. Ich ließ mich breitschlagen.
Meine Frau war außer sich, dass der Unfall ausgerechnet dorthin verlegt wurde, wo ich mich unter der Woche nie vor den »Tagesthemen« hatte blicken lassen: in unsere Wohnung. Außerdem fragte sie: »Und was ist, wenn deine Krankenkasse herausbekommt, dass es in Wirklichkeit ein Arbeitsunfall war? Dann bleibst du am Ende auf den Behandlungskosten sitzen!«
Wochenlang war ich von der Arbeit nicht pünktlich nach Hause gekommen. Aber nun, da ich mit meiner Gehirnerschütterung zehn Tage krankgeschrieben war, kam die Arbeit pünktlich zu mir ins Haus, per Mail: Mein Chef bat mich, auch während der Krankheit »mal einen Blick« auf diverse Vorgänge zu werden. Dieser »Blick« hat im Durchschnitt über acht Stunden gedauert.
Am Ende wusste ich gar nicht, wovon mein Schädel brummte – ob von der Arbeit oder davon, dass ich auf den Kopf gefallen war. Aber wo lag eigentlich der Unterschied?
Peer Anderson[14], Analyst
Wie ich im Lager meiner Firma übernachten musste
Die Einbrecher kamen in der Nacht zum Freitag und räumten das Warenlager unseres Fachgeschäftes aus. Es war schon der zweite Einbruch in den letzten sechs Monaten. Der Bereichschef nahm mich zur Seite: »Frau Nester, es macht sich nicht gut, dass Ihre Filiale immer wieder durch Einbrüche auffällt!«
»Das klingt ja wie ein Vorwurf! Aber was kann ich dafür? Wir beachten alle Sicherheitsvorschriften.«
»Sie müssen sich etwas einfallen lassen, um die Einbrecher besser abzuschrecken.«
»Ich hatte Ihnen ja schon vorgeschlagen, einen Wachdienst anzuheuern.«
»Zu teuer.«
»Und eine bessere Alarmanlage?«
»Das bringt nichts. Die waren ja immer schon weg, wenn die Polizei kam.«
Dann rückte er mit der Sprache raus, womit er die Einbrecher abschrecken wollte: mit mir! Er bat mich, »gelegentlich« im Lager zu übernachten, vor allem von Freitag auf Samstag; er würde mir dort auch ein Bett und einen Fernseher aufstellen lassen.
Mich überkam Panik. »Ich bin eine schmächtige Frau! Was soll ich allein gegen Einbrecher ausrichten?«
»Die laufen davon, wenn sie jemanden im Lager brüllen hören. Und außerdem haben Sie ja eine Waffe bei sich.«
»Ich soll eine Pistole …?«
Er schüttelte den Kopf. »Ihr Handy!«
Aber hatte er nicht gerade noch gesagt, die Polizei komme immer zu spät?
Mein Mann und ich hatten gerade gebaut, ich war auf mein Gehalt angewiesen. Der Chef bequatschte mich so lange, bis ich nachgab. An Freitagen bedeutete das: Statt um 21 Uhr nach Hause zu fahren, wie sonst, blieb ich in der Firma. Und am nächsten Morgen um 7 Uhr, wenn die Arbeit wieder losging, war ich schon da.
Mein Mann war so besorgt um mich, dass er die meisten Nächte mit mir in der Filiale verbrachte. Das Lager war ein gruseliger Schlafplatz. Dauernd knisterte und knackte es. Wir schreckten hoch aus dem Schlaf wie Kinder aus Alpträumen, denn wir rechneten ja jede Sekunde mit einem Einbruch.
Die Einbrecher sind nie mehr gekommen. Eingebrochen ist dafür meine Gesundheit. Nach acht Monaten war ich psychisch am Ende, weil mir jeder Abstand zur Arbeit abhandengekommen war. Auch unter der Woche hatte ich immer öfter in der Firma übernachtet, weil ich zu müde für den Heimweg gewesen war.
Mein Arzt zog mich aus dem Verkehr und verschrieb mir eine Kur. Die Firma hat mir nicht mal einen Blumenstrauß geschickt.
Sylvia Nester, Filialleiterin
Ein Anruf am Nordkap
Wenn in der Antike ein Sklave bestraft wurde, ließ man ihn auspeitschen, bis das Blut floss. Heute foltern Chefs ihre Mitarbeiter mit einem feineren Instrument: dem Vorwurf. Der schlimmste aller Vorwürfe lautet: »Sie machen Dienst nach Vorschrift!« Zwar könnte man meinen, Handeln »nach Vorschrift« sei etwas Korrektes, gar die Erfüllung eines Vertrages, aber so ist das nicht. Solche Mitarbeiter werden von Chefs gern als »Beamte« bezeichnet – womit nicht »treuer Diener des Firmenstaates«, sondern »elender Faulpelz« gemeint ist.
Vielleicht heißen »Arbeitnehmer« so, weil sie Nehmer-Qualität brauchen: So wie gute Boxer viele Schläge einstecken und abfedern müssen, so soll der heutige Mitarbeiter immer neue Arbeitshiebe verkraften, ohne dabei k.o. zu gehen. Auf die Uhr darf er nur morgens schauen, um pünktlich im Büro zu sein – doch keinesfalls abends, um pünktlich zu gehen.
»Pünktlich« kommt von »Punkt«. Der Punkt hinter der Arbeit, der sie beendet bis zum nächsten Morgen, bis nach dem Wochenende, bis nach dem Urlaub: Die Firmen wollen ihn ausradieren. 24 Stunden am Tag brodelt ihr Arbeits-Vulkan, er sprüht Aufträge, Nachfragen, Projekte. Und seine Lava wälzt sich gnadenlos ins Privatleben der Mitarbeiter, sie dringt durch alle Ritzen, verbrennt ihre Freizeit, verschmort ihre Hobbys, drängt ihre Familien ins Hinterland zurück.
Selbst ein ruhender Arbeits-Vulkan ist kein beruhigender Anblick: Jederzeit kann er ausbrechen! Das kündigen die Seismographen der Mitarbeiter an, die stets mitzuführen sind: Laptop, Handy, Blackberry. Diese Statussymbole von einst zeugen nur noch vom Status der ständigen Verfügbarkeit: Stand-by. Jeder Arbeitnehmer ein Detektiv Rockford – Anruf genügt!
Dass die Aschewolke des Arbeits-Vulkans sogar die Urlaubssonne verfinstern kann, musste Jan Becker erfahren, Produktmanager eines Unternehmens in Schleswig-Holstein. Er war mit seiner Frau und seiner fünfjährigen Tochter im Wohnmobil ans Nordkap gefahren, um Abstand zu gewinnen; in den letzten Monaten hatte er oft zwölf Stunden am Tag geschuftet. Sein Diensthandy hatte er zu Hause gelassen, den Laptop auch. Die Arbeit sollte ihn nicht einholen. Nicht hier, wo das Summen der Mücken wie eine süße Melodie der Ewigkeit durch die Mittsommernacht vibrierte. Nicht hier, wo die sprudelnden Flüsse seine Sorgen davonschwemmten, wenn er lange genug in ihr klares Wasser schaute, und ihre Lebendigkeit auf ihn übertrugen.
Doch dann zog die Vulkanwolke auf: Seine Frau nahm ein Handygespräch an, schaute wie bei einer Todesnachricht – und reichte den Anruf an ihn weiter. Es war sein Chef:
»Entschuldigen Sie, Herr Becker – wir haben hier einen Notfall in der Firma.«
Jan Becker holte tief Luft: »Woher, bitte schön, haben Sie die Nummer meiner Frau?«
»Ich habe die letzten sechs Nummern in Ihrem Telefon-Display angewählt. Mit der letzten hatte ich Erfolg.«
»Sie haben wahllos die Nummern durchgewählt?«
»Ich wusste, dass Sie Ihr Handy nicht dabeihaben. Die Nummer Ihrer Frau kannte ich nicht. Was hätte ich tun sollen?«
Jan Becker dachte: Zum Beispiel, meinen Urlaub respektieren! Doch er biss sich auf die Zunge und fragte, um welchen »Notfall« es sich handele.
»Ein Kollege ist erkrankt. Sie müssen seine Präsentation übernehmen.«
»Aber Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich erst eine Woche ans Nordkap fahre – und dann eine Woche wieder zurück, ohne am Urlaubsziel zu bleiben!«
»Nein, das sollen Sie nicht«, sagte der Chef.
Jan Becker wollte schon durchatmen, da fügte sein Vorgesetzter hinzu: »Die Präsentation ist übermorgen – Sie müssen nach Hause fliegen. Natürlich auf Kosten der Firma.«
Was juckt es die Firma, ob ein Mitarbeiter im Urlaub ist! Was juckt es sie, ob er seine Frau und seine Tochter alleine in einem Wohnmobil Tausende von Kilometern nach Hause fahren lassen muss! Völlig egal, ob die Freizeit des Mitarbeiters zerschlagen und seine Ehe gefährdet wird – Hauptsache, er steht Gewehr bei Fuß, sobald die Arbeit ruft.
Am meisten ärgerte es Jan Becker, dass man die Präsentation locker um zehn Tage hätte verschieben können. »Aber das kann ich dem Kunden nicht zumuten«, erklärte der Chef. Nach außen, gegenüber dem Kunden, war er höchst feinfühlig. Aber wie sprang er mit seinem Mitarbeiter um? Wer auf der Gehaltsliste steht, ist der Depp.
Eine Umfrage der Technischen Universität München ergab: Neun von zehn Führungskräften fühlen sich in ihrer Freizeit gestresst, weil sie ständig über ihr Smartphone erreichbar sind. 84 Prozent schalten das Gerät nicht einmal im Urlaub ab.[15] Unter Mitarbeitern dürfte die Quote ähnlich hoch sein.
Dass der moderne Mensch sein Leben um die Arbeit baut, wie man einst die Dörfer um den Schlossberg baute, ist für Firmen selbstverständlich geworden. Ob ein Paar Kinder bekommt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Firma einen sicheren Arbeitsplatz bietet – oder nur wacklige Zeitarbeit. Ob ein Mensch am Ort seiner Wahl lebt, hängt davon ab, ob ihn sein Arbeitgeber dort leben lässt – oder ans andere Ende der Welt kommandiert. Und ob einer um 22 Uhr das Bett mit seiner Liebsten teilt oder das Büro mit den nervenden Kollegen, ob er zärtliche Küsse tauscht oder hässliche Mails, hängt davon ab, ob »Feierabend« in seiner Firma noch bekannt oder schon ein Fremdwort ist.
Immer mehr Mitarbeiter begreifen: Anstelle der Arbeitskraft, die sie verkaufen wollten, haben die Firmen ihr ganzes Leben genommen. Ihnen geht auf, dass die Stechuhr nicht ihr Feind war, weil sie ein Unterschreiten der Arbeitszeit verhinderte, sondern auch ihr Freund, weil sie einem Überschreiten vorbeugte. Und sie durchschauen die modernen Medien als modernen Fluch: Der digitale Arm des Chefs kann sie überall greifen, ob im Schlafzimmer, auf dem Tennisplatz oder am Nordkap.
Der Arbeits-Vulkan brodelt, zischt, stößt Asche aus. Das Privatleben wird immer unsichtbarer. Wir leben in Zeiten des abnehmenden Lichts.
Hamsterrad-Regel: Im Urlaub darf der Mitarbeiter tun, was ihm wirklich am Herzen liegt: Seine Arbeit fortsetzen!
Der Propaganda-Minister empfiehlt …
Die Fernsehzuschauer wussten nicht, wer heimlich Regie führte, als ihnen die ARD-Vorabendserie »Marienhof« folgende Szene präsentierte: ein Disput zwischen dem Drogerie-Besitzer Thorsten Fechner und seiner Verkäuferin Jenny Deile. Der Chef fordert seine Mitarbeiterin auf, sie solle »heute Abend ein, zwei Stündchen dranhängen«, aus aktuellem Anlass: »Durch einen Konkurs ist mir ein sehr günstiger Posten Damenwäsche zugegangen, der sofort gelistet werden muss.«
Die Verkäuferin wehrt ab: »Ein, zwei Stündchen! Herr Fechner, ich habe Kinder zu Hause!«
Der Chef empfiehlt, Frau Deiles Freund solle früher nach Hause kommen und sich um die Kinder kümmern. Die Mitarbeiterin weist das zurück. Herr Fechner holt tief Luft und redet ihr ins Gewissen: »Schade, Frau Deile! Wenn Sie immer nur Dienst nach Vorschrift schieben, dann werden Sie es nie weit bringen! Und das ausgerechnet jetzt, wo ich mir überlege, Sie von der Zeitarbeitsfirma in eine Festanstellung zu übernehmen!«
Diese Worte bringen die Erleuchtung: Das Gesicht von Frau Deile hellt sich auf. Im Ton einer Bekehrten trällert sie: »Das freut mich ja auch, Herr Fechner, aber ob es heute Abend schon geht? Ich werde es versuchen!«
Mindestens vier Botschaften blieben beim Fernsehzuschauer hängen:
Der Wille einer Mitarbeiterin gilt nur so lange, bis der Chef etwas anderes will.Das Listen von Damenwäsche ist wichtiger als die Erziehung von Kindern.Überstunden sind die normalste Sache der Welt – wer sie verweigert, kann seine Karriere knicken.Zeitarbeiterinnen müssen ihrem Chef die Füße küssen, wenn er nur das Wort »Festanstellung« in den Mund nimmt (und es womöglich am nächsten Morgen wieder vergessen hat).Erst wenn der Rubel der Firma rollt, die letzte Unterhose gelistet, der Mond aufgegangen und der Chef zufrieden ist – erst dann darf die Mutter nach Hause gehen. Und sich um Nebensächlichkeiten, sprich ihre Kinder, kümmern.
Aber wie gelang diesem Raubtier-Kapitalismus, dieser billigen Überstunden-Propaganda der Sprung ins Fernsehprogramm? Die Initiative Soziale Marktwirtschaft hatte nachgeholfen – mit 58670 Euro.[16] So viel Geld ließ es sich die Arbeitgeber-Initiative kosten, ihre ideologische Schleichwerbung in die Drehbücher zu schmuggeln, darunter auch Loblieder auf die Zeitarbeit. Das Ziel dieser Vorabend-Propaganda liegt auf der Hand: Die gesellschaftlichen Maßstäbe sollen verschoben und die Rechte der Arbeitnehmer ausgehöhlt werden.
»Es gibt große Worte, die so leer sind, dass man ganze Völker darin gefangen halten kann«, schrieb der polnische Autor Stanislaw Jerzy Lec – das gilt auch für Völker zweibeiniger Arbeitsbienen! Hier kamen diese Worte nach dem Prinzip des Werbespots zum Einsatz. Am Anfang steht das Problem: Frau Deile ist trotzig und will die Überstunden verweigern – ein Berg schmutziger Wäsche, der gereinigt werden will. Und dann wird die Lösung präsentiert – hier kein Waschmittel, sondern eine Gehirnwäsche durch den Chef. Er manipuliert seine Mitarbeiterin, indem er ihr erst Angst einjagt und dann Hoffnung macht. Und diese Gehirnwäsche reinigt die Bedenken – typisch Werbung! – »weißer als weiß«; die Mitarbeiterin lehnt Überstunden nicht mehr ab, sondern verspricht: »Ich werde es versuchen!«
Als die Schleichwerbung aufgeflogen war, gab sich die Arbeitgeber-Initiative nicht sonderlich zerknirscht: Die Themenauswahl sei »selbst bei kritischer Betrachtung ideologiefrei« gewesen und habe außerdem »auch dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« entsprochen.[17] Wenn das stimmt, muss das Listen von Damenwäsche demnächst neben Goethes »Faust« in den Lehrplänen stehen – oder besser anstelle, damit niemand mehr nach des Pudels (oder der Schleichwerbung) Kern fragt!
Nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Alltag senden Chefdarsteller mit Vorliebe die Botschaft: Wer noch Arbeit hat, soll so froh darüber sein, dass er nicht auf die Uhr und erst recht nicht auf seine vertraglichen Rechte schaut. Als wäre es unanständig, Überstunden abzulehnen, und nicht, sie ohne Grundlage zu fordern.
Pünktlich Feierabend machen heißt heutzutage: sich verdächtig machen! Im Mitarbeitergespräch sagt der Chef mit drohendem Unterton: »Mir fällt auf, dass Sie immer pünktlich Feierabend machen – warum eigentlich?« Eine vernünftige Antwort wäre: »Weil wir es exakt so im Vertrag vereinbart haben! Wenn die Firma will, dass ich jeden Tag zehn Stunden arbeite, und nicht acht, dann muss sie mit mir auch einen Vertrag über zehn Stunden abschließen. Und dann muss sie mir auch zehn Stunden bezahlen.«
Warum hat Frau Deile eigentlich nicht so geantwortet? Weil die Mitarbeiter mal wieder die Deppen sind – und keine 58670 Euro für Schleichwerbung in der Tasche haben!
Hamsterrad-Regel: Im Laufe eines Arbeitstages werden Firmen immer großzügiger: Jene Pünktlichkeit, die sie beim Arbeitsstart noch fordern, wird Mitarbeitern zum Feierabend erlassen.
Mit Helmut Kohl im Freizeitpark
Helmut Kohl, der ewige Kanzler, hatte von der Arbeitsmoral seines Volkes keine hohe Meinung: Er bezeichnete Deutschland 1993 als kollektiven »Freizeitpark«.[18] Das klang, als machten die Mitarbeiter pausenlos Urlaub, in der Firma und außerhalb.
Die visionäre Kraft dieses Kanzlerwortes wurde von Managern erst später erkannt. Mit dem Internet-Boom zur Jahrtausendwende hat eine neue Ära der Arbeit begonnen: Immer mehr Firmen machen tatsächlich auf Freizeitpark, inspiriert von US-Arbeitgebern wie dem Suchmaschinen-Giganten Google. Sie schleppen Tischtennisplatten herbei, richten Fitnessstudios ein, verteilen Kicker über die Flure. So viele Gemälde hängen an den Wänden, dass kein Mensch mehr ins Museum muss. Der Nachwuchs wird im firmeneigenen Kindergarten versorgt, das reparaturbedürftige Auto direkt vom Firmengelände abgeholt, der Lebensmittel-Einkauf auf Wunsch erledigt. Und wenn es irgendwo zwickt oder drückt, springt sofort der Betriebsarzt herbei.
Das Firmengebäude gleicht einem Verwöhn-Tempel: Ein Masseur knetet Verspannungen weg. Sanfte Musik flutet die Aufenthaltsräume. Sessel laden zum Dösen ein, Flipperautomaten zum Spielen, exotische Leinwände zum Träumen. Überall stehen Schalen mit Obst und Karaffen mit frisch gepressten Säften. Das Gebäude riecht nach Kaffee, nach Plätzchen, nach Freizeit – aber nicht nach Arbeit.
Die Firma als persönlicher Diener ihrer Mitarbeiter: als Kuschelecke, als Gratisrestaurant, als Freizeitpark.
Mit dieser Tarnung verfolgen Unternehmen einen knallharten Zweck: So bequem soll es sein in ihren heiligen Hallen, so heimelig und so luxuriös, dass der Mitarbeiter gar nicht mehr nach Hause will! Denn was hat ihm im Vergleich dazu seine Zwei-Zimmer-Wohnung zu bieten, mal abgesehen von einer unausgeräumten Spülmaschine, einem überquellenden Briefkasten und einer schon mehrfach angemahnten Einkommenssteuererklärung?
Sogar Familienväter und -mütter ziehen es oft vor, die Arbeitsbesprechung mit den Kollegen um 20.00 Uhr im Fitnessraum fortzusetzen, statt sich zu Hause nerven zu lassen vom Kindergeschrei, vom Rasenmäher des Nachbarn und von den ewig selben Vorwürfen des Partners: »Warum kommst du erst jetzt heim? Ist dir die Arbeit wichtiger als ich?«
Der moderne Arbeitsplatz ist ein Fliegenfänger: Mit seinem süßen Duft lockt er die Mitarbeiter an – und dann bleiben sie kleben. Gerne 60, 70 Stunden pro Woche. Die Angestellten lassen sich auf einen psychologischen Vertrag mit der Firma ein, aber sie lesen nur die Vorderseite: »Arbeit ist bei uns wie Freizeit.« Auf der Rückseite übersehen sie den Umkehrschluss: »Freizeit ist bei uns wie Arbeit«!
Wenn die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit, zwischen Kollegen und Familie verwischt, dann ist der Mitarbeiter seiner Arbeit so schutzlos ausgeliefert wie ein Soldat dem Friendly Fire: Vor Angriffen des Gegners geht man in Deckung. Doch mit Attacken aus den eigenen Reihen rechnet man nicht und wird voll getroffen.
Die Rechnung der Firmen ist einfach: Wenn der Mitarbeiter jeden Tag zwei Gläser Saft trinkt und zwei Äpfel isst, kostet das schlappe zwei Euro. Wenn er jedoch zwei unentgeltliche Arbeitsstunden im Gegenzug spendiert, kann das locker 120 Euro bringen – ein gutes Geschäft! Und auch das Fitnessstudio rechnet sich schnell, wenn der Mitarbeiter am Samstag oder während seines Urlaubs nicht nur dort vorbeischaut (45 Minuten), sondern gleichzeitig im Büro (mindestens 90 Minuten).
Die Firma gaukelt eine Ersatzfamilie vor, unter anderem durch Chefs, die sich von jedem duzen lassen, auch von der Putzkolonne. Doch merkwürdigerweise driften alle Gespräche, ob im Massagesessel oder im Fitnessstudio, immer zum selben Thema: zur Arbeit. Wie ist der Stand des Projektes? Wer kennt einen Kontaktmann bei diesem Zulieferer? Wie ließe sich diese Präsentation noch aufhübschen?
Schnell beugen sich die Köpfe wieder über einen Laptop, schnell werden neue Mails abgefeuert, Lieferanten angerufen, Strategien entwickelt, Tagungen gebucht, Meetings für 19.30 Uhr anberaumt. Die vermeintliche Freizeit ist nur ein Anlauf für den nächsten Sprung in die Arbeit.
Und der Chef spielt lediglich so lange Kumpel, bis die erste Abmahnung wieder an die wahren Machtverhältnisse erinnert. Und wie verträgt es sich eigentlich, dass die Bosse im Freizeitpark den Teamgeist beschwören und die Gleichheit predigen, während sie selbst in den schönsten Büros residieren, die dicksten Dienstwagen fahren und sich über die größte Zahl auf dem Gehaltszettel freuen?
Wen solche Zweifel beschleichen, der bekommt Probleme. Denn im Freizeitpark entstehen oft Arbeits-Sekten, mit dem Chef als Guru. Wer Mitglied sein will, muss ums goldene Firmen-Kalb tanzen. Wehe dem, der seine Freunde außerhalb der Firma sucht, pünktlich Feierabend macht oder einsam durch Wälder joggt, statt sich von Laufband zu Ergometer über den Stand des Projektes auszutauschen!
Ein solcher Judas wird mit der Höchststrafe belegt: Er fliegt aus der Sekte. Und spätestens im Kündigungsschreiben hat er seinen Chef als Duzfreund verloren: »Leider müssen wir uns von Ihnen trennen!«
Am Ende wird der Ausgestoßene mit dem Philosophen Karl Popper erkennen: »Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle.« Das gilt erst recht für vorgetäuschte Himmel!
Hamsterrad-Regel: Wer seine Freizeit in der Firma verbringt, bringt es im Leben zu mehr. Zum Beispiel zu: Herzinfarkt, Hörsturz, Burn-out.
Deppen-Erlebnisse
Wie mein Chef ein Überstunden-Rennen veranstaltete
Mein Chef war mit seiner Versicherungsfiliale verheiratet. Egal wie früh man kam, er war schon da. Egal wie spät man ging, er blieb länger. Wer sich von ihm verabschieden wollte, wurde meist noch für einen »kurzen Gefallen« eingespannt. »Kurz« hieß: nicht unter einer Stunde. Überstunden sah er gerne, denn sie wurden nicht bezahlt.
Bei einer Teamrunde verblüffte er uns mit einem Vorschlag: Er wollte eine »Ü-Prämie« einführen, eine Prämie für Überstunden. Der fleißigste Mitarbeiter sollte am Jahresende belohnt werden. Alle waren aufgefordert, ihre Überstunden zu erfassen und sie ihm am Monatsende mitzuteilen. »Damit Sie Ihre Chance auf die Prämie wahren«, sagte er. Als hätte es sich bei den Überstunden-Zetteln um Lottoscheine gehandelt – und nicht um ein raffiniertes Instrument der Kontrolle!
Natürlich erzeugte das Druck: Wer bislang keine Überstunden gemacht hatte, kniete sich rein, nur um am Monatsende keine »Nullnummer« abliefern zu müssen. Und die ohnehin Überstunden-Geilen spielten bei Feierabend das Spiel: Wer sich zuerst (nach Hause) bewegt, hat verloren!
Am Ende des ersten Monats hing im Gemeinschaftraum ein Zettel aus, auf dem alle 35 Mitarbeiter unserer Filiale gelistet waren. Ganz oben, an der Tabellenspitze, standen die Kandidaten mit den meisten Überstunden. Und ganz unten, im Tabellenkeller, fanden sich alle, die ihre reguläre Arbeitszeit nicht mindestens um eine zweistellige Stundenzahl übertroffen hatten.
Die einen schämten sich. Die anderen waren stolz. Ein regelrechter Wettkampf begann: Jeder wollte ein paar Tabellenplätze gutmachen! Am Ende des Jahres hatte der strebsamste Kollege 700 Überstunden gesammelt. Dafür bekam er bei einer feierlichen Zeremonie die »Ü-Prämie« ausgehändigt: 1500 Euro. Der Chef tat großzügig. Dabei entsprach die Prämie nur einem (Über-)Stundenlohn von gut zwei Euro – etwa ein Sechzehntel dessen, was der Mitarbeiter regulär hätte verdienen müssen!
Und alle anderen, auch ich, hatten ihre Überstunden der Firma spendiert! Anstelle von zusätzlichem Geld bekamen wir nur den Hinweis: »Im kommenden Jahr können Sie die Ü-Prämie bekommen – strengen Sie sich einfach an!«
Wahrscheinlich stand das »Ü« doch eher für: übertölpelt!
Jörg Eilts, Versicherungskaufmann
Wie die Firma meinen Heiligabend verdarb
Als Assistentin in einem Baukonzern teilte ich nicht das Millionengehalt meines Chefs, wohl aber seine Arbeitszeiten. Er betonte immer, wie gut ich es hätte, morgens erst ab 9.30 Uhr zu arbeiten, weil auch er dann erst anfing – aber er verlor kein Wort darüber, dass ich oft bis 22 Uhr bleiben musste, weil er dann erst aufhörte. Für ihn war es ganz selbstverständlich, dass ich sprang, wann immer er rief.
Umso mehr freute ich mich, als der Weihnachtsurlaub nahte. Zu Hause hatte ich viel nachzuholen, für das Weihnachtsfest mit der Familie war vor lauter Arbeitsstress nichts vorbereitet. Aber zum 23. Dezember bestand die Hoffnung, dass ich schon am frühen Nachmittag abschwirren konnte.
Doch ich hatte die Rechnung ohne meinen Chef gemacht: »Am 23. Dezember werden meine Kollegen und ich eine Feier für unsere Assistentinnen veranstalten – als Dankeschön für Ihren großen Einsatz!« Ich wollte mich schon freuen, da fügte er hinzu: »Wir starten um 21 Uhr, dann sind wir mit der Jahresabschlussbesprechung durch.« Und weil es so schön praktisch war, sollte die Feier nicht in einem Lokal, sondern im Gästesaal der Firma stattfinden: »Sorgen Sie für weihnachtlichen Glanz!«
Statt mein eigenes Weihnachtsfest zu Hause vorzubereiten, turnte ich also an der Decke des Gästesaals herum, um ihn zu schmücken. Auch das Essen, die Getränke, die Dekoration der Tische und das Rahmenprogramm mussten ich und meine Kolleginnen organisieren – dabei fand das Fest doch angeblich für uns statt!
Die Feier begann erst um 22.15 Uhr, die Jahresabschlussbesprechung hatte sich nach hinten verschoben. Jeder Manager sprach ein paar Lobessätze auf seine Assistentin, meist Plattheiten von der »rechten Hand«. Jede von uns bekam einen Blumenstrauß überreicht.
Danach wurden wir – angeblich die Gefeierten! – nur noch angesprochen, wenn eine neue Flasche Champagner erwünscht, ein Teller mit Delikatessen leer war oder mal eben eine Zahl aus dem Computer benötigt wurde.
Ich werde es nie vergessen: Es war 3.27 Uhr, als ich und meine Kolleginnen die Firma endlich verließen. Vorher hatten wir den ganzen Schweinestall noch aufgeräumt. Unsere Chefs lagen derweil schon im Bett. Erst um 7 Uhr morgens bin ich eingeschlafen.
Es wurde 16 Uhr, bis ich wieder aufstand, so geschafft war ich. Und das am Heiligabend! Es war zu spät, um noch ein schönes Weihnachtsessen auf die Beine zu stellen.
Am Abend kam der Pizzaservice.
Tania Niedermann, Assistentin
[5] focus.de, Immer mehr Arbeitnehmer haben psychische Probleme, 16.08.2012
[6] Süddeutsche Zeitung, 13.02.2013
[7] handelsblatt.de, Diese deutschen Firmen machen die größten Gewinne, 16.07.2012
[8] s. focus.de, 16.08.2012
[9] welt.de, Deutsche arbeiten so viel wie seit 20 Jahren nicht, 13.06.2012
[10] focus.de, Permanente Erreichbarkeit: E-Mail, Anrufe, SMS – so weit darf Ihr Chef gehen, 20.12.2012
[11] s. focus.de, 16.08.2012
[12] Spiegel Online, Hochschulabsolventen: Jeder Dritte hat befristete Stelle, 24.01.2013, 15:46
[13] handelsblatt.de, Deutschland behauptet sich auf dem Weltmarkt, 25.03.2012
[14] Alle Namen sind zum Schutz der Betroffenen verändert, bis auf Fälle mit ausdrücklicher Quellenangabe.
[15] Süddeutsche Zeitung, 2./3.3.2013
[16] lobbycontrol.de, INSM und Marienhof – Eine kritische Bewertung, September 2005
[17] ebenda
[18] wdr.de, Helmut Kohl in Zitaten, 26.09.2012
Der Chef-Hamster: Wenn Führung durchdreht
In diesem Kapitel erfahren Sie unter anderem …
warum Chefs ihre Arbeitszeit, nicht aber ihr Gehalt mit Ihnen teilen wollen,mit welchen Tricks (Über-)Stundendiebe ihre Mitarbeiter bestehlen,warum von zehn Terminzusagen des Managements mindestens elf platzenund wie ein Chef im Großraumbüro zum Geiselnehmer wurde.Der Oberheld
»Oberheld« – so nannten die Mitarbeiter eines Halbleiter-Herstellers ihren Chef. Egal welche Zumutung er ihnen aufs Auge drückte, sein Leitspruch lautete: »Ich verlange nichts von Ihnen, was ich nicht auch von mir selbst verlange!« Er, der Oberheld, saß jeden Tag so lang am Schreibtisch, dass das Licht aus seinem Büro noch um Mitternacht wie ein Fixstern leuchtete. Er, der Oberheld, retournierte nächtliche Mails aus Übersee so schnell wie Aufschläge beim Tischtennis. Er, der Oberheld, verschob seinen Sommerurlaub so lang, bis der erste Schnee ihm Anlass gab, auch den Winterurlaub zu verschieben.
Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass er doch mal ein paar Urlaubstage nahm, hatte er selbst Störungen bestellt: Seine Assistentin war angewiesen, Alarm zu schlagen, sobald »etwas hakt«. Sogar für Probleme, die nur Problemchen waren, sauste er mit Blaulicht zur Arbeit zurück. Sein Leben bestand nur aus fünf Buchstaben: FIRMA.
Von seinen Mitarbeitern erwartete er dasselbe. Als ein Außendienstler sich weigerte, seinen Urlaub zu verschieben, meinte er: »Meine Reiserücktritts-Versicherung ist mittlerweile fast so teuer wie die Reisen, so oft habe ich meinen Urlaub schon verschoben.« Als ein kranker Assistent zögerte, von zu Hause zu arbeiten: »Als ich nach meiner Blinddarm-OP aus der Narkose aufwachte, habe ich sofort im Sekretariat angerufen. Die ersten Akten kamen vor dem ersten Blumenstrauß.« Und wenn einer in seiner Freizeit keine Mails abrufen wollte: »Wissen Sie eigentlich, dass mich mein Blackberry sogar schon mal aus der Hochzeitsfeier eines engen Freundes gerissen hat?«
Wie ein Bodybuilder seinen Bizeps, so trug er seine Arbeitsheldentaten vor sich her. Als wäre es keine Dummheit, sondern eine grandiose Leistung, sich als Arbeitsesel vor den Karren einer Firma zu spannen. Und weil er ein Esel war, mussten es seine Leute auch sein.
Dass Mitarbeiter herdenweise dem Burn-out entgegenlaufen, hat nicht in erster Linie mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu tun, wie immer wieder behauptet wird, sondern mit der Persönlichkeit ihrer Chefs – mit dem, was ihnen vorgelebt und als Unternehmenskultur gepflegt wird. Es gilt beim Führen das IA-Prinzip – der Chef lebt ein Verhalten vor, und seine Mitarbeiter, die Arbeitsesel, sollen sagen: »Ich auch!«
Das Arbeitsgebaren eines Chefs ist wie eine ansteckende Krankheit. Wenn der Boss bis 23 Uhr am Schreibtisch sitzt, ist er ein lebendes Mahnmal, das sich jeder Mitarbeiter vor Augen führen sollte, ehe er sich um 17 Uhr gegen den pünktlichen Feierabend entscheidet. Ein Chef, der nachts noch Mails verschickt, sendet die wichtigste Botschaft durch die Sendezeit: »Nimm dir ein Vorbild, Mitarbeiter! Während du dich im Bett wälzt, wälze ich Arbeit!«
Der Chef wirkt wie ein Kontrastmittel: Jeder, der als Mitarbeiter von seinem Verhalten abweicht, fällt unangenehm auf. Die karrieregeilen Streber erkennen dieses Signal. Sie lauern die ganze Nacht vor ihren Smartphones, immer in der Hoffnung, eine 23.45-Uhr-Mail des Chefs in maximal 90 Sekunden zu erwidern.
Gleichzeitig übernehmen sie das Verhalten des Vorgesetzten. Ihre nächtlichen Mails lassen sie wie Streubomben über die Firma regnen, mit großem Verteiler und sofortigem Antwortbedarf. Und natürlich arrangieren sie es, dass sie ihrem Chef um 20.30 Uhr noch im Raucherraum begegnen, Nachtarbeiter unter sich. Dabei beklagen sie die Arbeitsmoral der Kollegen. Der Chef nickt. Zwei Rauchkringel vereinigen sich.
Die hausgemachte Evolution besorgt den Rest: Die Streber werden für ihren Einsatz befördert. Diese positive Verstärkung erhöht ihren Eifer. Und wenn sie nicht gestorben sind, natürlich an Überarbeitung, dürfen sie eines Tages selbst befördern – und ziehen Mitarbeiter ihrer eigenen Bauart vor: Helden der Arbeit.
Dieser Arbeitswahn übt eine Sogwirkung aus: Wer es sich noch erlaubt, im heimischen Bett statt am Schreibtisch zu übernachten, nimmt ein schlechtes Gewissen mit in den Schlaf. Was die Arbeitshelden vorleben, geht mit dem stillschweigenden Appell einher: »Häng dich endlich rein wie wir, du Flasche! Sonst kannst du hier nichts werden, höchstens Entlassungskandidat!«
Eigentlich könnten sich solche Chefs durch Goethe moralisch reinwaschen: »Mit einem Herren steht es gut / der, was er befohlen, selber tut.« Allerdings wollen sie mit den Mitarbeitern nur ihre Pflichten teilen! Ununterbrochen schuften wie ein Chef? Klar doch! Erreichbar sein wie ein Chef? Selbstverständlich! Den Kopf hinhalten, wenn etwas schiefgeht? Aber sicher! Als Letzter aus dem Büro gehen? Sehr erwünscht! In Chefqualität arbeiten? Mindestens!
Anders die süßen Seiten der Führungsposition: Chefgehalt kassieren? Vergiss es! Im Chefbüro residieren? Nicht drin! Chefsekretärin bekommen? Träum weiter! Erster Klasse reisen? Zu teuer! Fünfstelliger Bonus am Jahresende? Ach was! Dienstwagen? Niemals! Parkplatz am Gebäude? Von wegen! Coachings umsonst? Keine Chance!
Es ist ein Spiel mit gezinkten Karten: Die Mitarbeiter sollen die Pflichten ihrer Chefs teilen, aber auf deren Privilegien verzichten. Dass sie nicht angemessen für ihren Einsatz belohnt werden, ist einer der Gründe, warum so viele Mitarbeiter als Motivationsleichen enden. Schlecht belohnte Arbeit steigert sogar das Risiko auf einen Herzinfarkt, wie der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist nachweist.[19]
Chefs sind gleicher als gleich, auch nach Feierabend. Der Vorgesetzte streicht ein saftiges Gehalt ein, er kann es sich leisten, seinen Haushalt von einer Hilfskraft organisieren und seine Kinder von einer Nanny betreuen zu lassen. Derweil müssen seine Mitarbeiter stets an zwei Fronten kämpfen: dem Berufs- und Privatleben.
Die Führungskraft kann es sich erlauben, ihre bessere Hälfte ein ausgeglichenes Dasein zu Hause führen zu lassen. Dagegen rasseln im Haushalt des Mitarbeiters oft zwei Vollzeit-Arbeiter mit solchem Volldampf zusammen, dass der Eheberater nur noch einen Totalschaden attestieren kann. Und wie sich der Arbeitsstress ins Privatleben überträgt, überträgt sich der Privatstress ins Arbeitsleben. Ein Teufelskreis, der krankmachen kann.
Kein Medikament wirkt sich auf die Gesundheit und die Lebenserwartung eines Menschen besser aus als eine leitende Position. Im Schnitt sterben Mitarbeiter 4,4 Jahre früher als ihre Chefs, das belegt der britische Epidemiologe Sir Michael Marmot.[20] Weil sie über ihr Arbeitsleben bestimmen können, statt nur geschubst und damit gestresst zu werden.
Die Führungskraft, die sich kaputtarbeitet und vom frühen Herzinfarkt dahingerafft wird, ist ein lächerlicher Heldenmythos. Tatsächlich scheint oben in der Hierarchie die Sonne – und gestorben wird unten, im Tal der Deppen.
Hamsterrad-Regel: Es ist Mitarbeitern gestattet, dieselbe Verantwortung wie Chefs zu tragen, aber es ist ihnen nicht gestattet, dafür dasselbe Gehalt zu verlangen!
Momo und die Stundendiebe
Angeblich war es ein Computerabsturz, der zu dem Drama führte. Die Mitarbeiter des kleinen Haushaltstechnik-Unternehmens hatten massenweise Überstunden gesammelt, 185 allein mein Klient Peter Heister. Die Auftragsbücher der Firma quollen über, doch die Reihen der Mitarbeiter wurden immer lichter. Offene Stellen ließ die Firma verwaisen, das Sparprogramm aus der letzten Krise lief weiter. Nur mit dem Lasso der Überstunden ließ sich die Tagesarbeit noch einfangen.
Mehrfach hatte der Geschäftsführer versprochen, die Überstunden sollten »bei erster Gelegenheit« ausbezahlt oder mit Freizeit vergolten werden. Peter Heister hatte sich schon ausgerechnet, dass seine Überstunden einem kompletten Jahresurlaub von sechs Wochen entsprachen. Oder eineinhalb Monatsgehältern, plus Überstundenzuschläge.
Doch dann kam die Hiobsbotschaft: Der Computer mit der Zeiterfassung sei abgestürzt. Nach Auskunft der Personalchefin waren die Arbeitszeit-Daten komplett zerstört und nirgendwo gespeichert.
Peter Heister hatte ein »Stundenbuch« geführt und bot diese Aufzeichnung zur Rekonstruktion an. Die Personalchefin wimmelte ihn ab: »Das geht leider nicht. Niemand weiß, ob Ihre Aufzeichnungen richtig sind. Auch würden wir Mitarbeiter benachteiligen, die ihre Stunden nicht selbst erfasst haben.«
Dieselbe Firma, die das Beweismaterial vernichtet hatte, erklärte die Ersatzbeweise für unglaubwürdig. Waren die Daten überhaupt weg? Warum gab es keine Sicherungskopie? Alle anderen Personaldaten waren noch vorhanden.
Der Geschäftsführer ließ die Belegschaft wissen: »Leider können wir nicht rekonstruieren, wer wie viele Überstunden hatte. Deshalb biete ich Ihnen eine Woche unbezahlten Sonderurlaub an. Dieses Angebot gilt auch für alle, die weniger Überstunden hatten.«
Nach Großzügigkeit sollte das klingen – doch es war ein Witz! Die meisten Mitarbeiter hatten 120 oder mehr Überstunden auf dem Konto gehabt. Der »Sonderurlaub« deckte nicht mal ein Drittel dieser Zeit ab! Nur die Führungskräfte, deren Überstunden im Gehalt enthalten waren, konnten sich schadlos aus der Affäre ziehen.
Es kam zu langen Gesprächen zwischen der Geschäftsleitung und zwei ausgewählten Vertretern der Mitarbeiter (da es keinen Betriebsrat gab). Am Ende stand ein Kompromiss: sieben Tage Sonderurlaub für jeden. Die Firma machte ein großes Geschäft, entledigte sich mit einem Schlag ihrer Altlasten.
Was aus dem »Sonderurlaub« wurde, erzählt Peter Heister: »Die viele Arbeit zwang uns weiter zu Überstunden. Ich wäre froh gewesen, wenn ich meinen regulären Urlaub hätte nehmen können. Vom Sonderurlaub ganz zu schweigen!«
Die Zeitdiebe, die grauen Herren aus Michael Endes Roman »Momo«, sind umgezogen: Sie residieren jetzt in der Chefetage. Mit jeder Stunde, die sie einem Mitarbeiter entreißen, erhöhen sie den Profit der Firma. Am meisten Spaß machen ihnen die großen Raubzüge.
Wie ein solcher Coup gelingen kann, hat eine Anwaltskanzlei vorgemacht.[21] Sie hatte einen jungen Juristen eingestellt und ihm die Perspektive auf eine Partnerschaft aufgezeigt. Aber erst müsse er sich bewähren.
Der junge Anwalt hatte verstanden! Er trieb seinen Arbeitsmotor auf Hochtouren, weit über den Feierabend hinaus. Er wälzte Akten, dass es nur so staubte, verfasste einen Schriftsatz nach dem anderen. Und nach Feierabend eilte er zu Fortbildungen, um sich fit für die Partnerschaft zu machen.
Der Arbeitstunnel, durch den er zwei Jahre ging, war lang und finster: 930 Überstunden leistete er, ein Leben fast ohne Freizeit. Diese Dunkelheit schien ihm nur erträglich, weil er am Ende das Licht einer Teilhaberschaft sah.
Doch im Jahr 2008 stellte sich das als optische Täuschung heraus: Die Chefs meinten kühl, eine Partnerschaft sei nicht für ihn drin. Die 930 Überstunden schienen für die Katz.
Der Anwalt fühlte sich mit einem falschen Versprechen gelockt und abgezockt. Er klagte gegen seinen Arbeitgeber. Die Inhaber zogen sich auf eine listige Argumentation zurück: Der Mitarbeiter habe auf eigenes Risiko gehandelt; zu keinem Zeitpunkt sei ihm die Partnerschaft zugesagt worden. Außerdem seien die Überstunden durch eine Klausel im Vertrag abgegolten.
Das Landesarbeitsgericht sah das anders: 30000 Euro sprach es dem Anwalt zu. Doch das Bundesarbeitsgericht pfiff die Vernunft zurück. Zwar erklärten die Richter die Klausel, nach der die Mehrarbeit durch das Gehalt abgegolten sei, für unwirksam. Andererseits sahen sie das Arbeitsverhältnis des Anwalts jedoch als »Dienst höherer Art«. Seine Jahresvergütung von bis zu 88000 Euro beinhalte die Überstunden.
Wie bitte? 465 Überstunden pro Jahr – fast drei reguläre Arbeitsmonate! – sollen akzeptabel sein? Dieses Urteil ist eine Steilvorlage für Ausbeuter, die per Gehaltszettel die grenzenlose Herrschaft über das Leben ihrer Mitarbeiter erkaufen wollen. Zur Strafe sollten die Bundesarbeits-Richter, die ebenfalls »Dienst höherer Art« verrichten, genau diese drei Monate an ihre jährliche Arbeitszeit hängen müssen!
Hamsterrad-Regel: Böse Zungen behaupten, dass sich unbezahlte Überstunden nicht lohnen. Das ist definitiv falsch: Die Firmen sparen viel Geld durch sie!
Deppen-Erlebnisse
Wie mein Chef zum Geiselnehmer wurde
Es war »Liefertag«: Wir mussten ein Konzept an einen Kunden schicken. Aber die Zeit war mal wieder so knapp kalkuliert, dass wir um 17.30 Uhr noch lange nicht fertig waren. Da ich um 18 Uhr zur Massage musste, packte ich meine Tasche. Doch mein Chef, der am Kopfende des Großraumbüros saß, raunzte mich an: »Wir müssen erst das Konzept fertig stellen!«
»Aber ich habe um 18 Uhr einen Termin.«
»Und ich habe eine Abgabe. Das geht vor!«
Eine Kollegin schaltete sich ein: »Können wird das Konzept nicht morgen in Ruhe abschließen? Ich wette, der Kunde schaut heute Abend nicht mehr drauf.«
»Ich habe zugesagt, dass wir heute liefern. Und wir werden heute liefern.«
Als er sah, dass sich unter den Kollegen Unruhe ausbreitete, fügte er hinzu: »Keiner verlässt den Raum, ehe wir fertig sind!«
Er führte sich auf wie ein Geiselnehmer. Aber weshalb standen eigentlich Arbeitszeiten in unseren Verträgen? Wer zahlte mir meine Massagestunde, wenn sie ausfiel? Und warum sollten wir dafür büßen, dass er unrealistische Zusagen machte?
Ich stand auf und ging in Richtung Ausgang. Er sprang auf und stellte sich mir vor der Tür in den Weg: »Hab ich mich undeutlich ausgedrückt? Keiner geht, bevor das Konzept verschickt ist!«
»Aber ich …«
»Kein ›Aber‹! Das Projekt muss heute noch raus.«
»Aber ich möchte …«
»Was Sie möchten, ist mir egal – hier geht es ums Geschäft!«
Ich spürte, wie mein Puls zu trommeln begann. »Lassen Sie mich jetzt gefälligst mal ausreden! Ich möchte zur Toilette. Verstanden?!«