Bis auf die Knochen - Aaron Rathweg - E-Book
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Bis auf die Knochen E-Book

Aaron Rathweg

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Beschreibung

Als Mark Thiel sich für eine Routineoperation einschrieb, ahnte er nicht, dass sich sein Leben zu einem ununterbrochenen Albtraum entwickeln würde. Jetzt ist er in den Fängen der wahnsinnigen Ärztin Dr. Linda Schramm und klammert sich an das Leben und die ferne Hoffnung, dass jemand – irgendjemand – ihn vor ihren grausamen Experimenten retten wird. Wird Mark die Machenschaften der Ärztin überleben? Und wenn er es tut … was wird von ihm übrig sein?

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Texte: © Copyright by Aaron Rathweg

Umschlaggestaltung: © Copyright by Aaron Rathweg

Verlag:Aaron RathwegLindhorststraße 19946242 [email protected]

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 BerlinKontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Sie werden dich lieben, David. Du wirst so gut werden. Ich muss dich nur … verändern. Nur ein kleines Stück. Und jetzt halt still.

*

Träume

David erwacht mitten in der Nacht aus seinem Traum. Jesus. Im Dunklen greift er nach dem Glas Wasser auf dem Nachttisch. Etwas zu hastig verfehlt sein Griff knapp das Glas, wodurch dieses mit einem Stoß seiner Finger vom Rand des Nachttisches gekippt wird. Ein Schock durchfährt seinen Körper, als das Glas auf dem Boden zerspringt. Scheiße … Scheiße.

Er nimmt seine Brille, die unversehrt auf dem Nachttisch liegt und richtet sich auf. Beim Versuch aufzustehen, übersieht er eine aufgerichtete Scherbe im Teppichboden und tritt hinein. Ein kurzer Schmerzensschrei verlässt seine Lippen, als er aus Reflex zu Boden fällt. Toll.

Langsam humpelt er den vollgestellten Flur entlang, während eine Spur von Blut ihn verfolgt. Als er sein Büro passiert, blickt er kurz auf sein kontrolliertes Chaos. Etliche Berge von Papier stapeln sich in den unterschiedlichsten Höhen – auf dem Schreibtisch, auf dem Stuhl, auf dem Boden. Selten war seine Motivation so gering, seinen Arbeitsplatz ordentlich zu halten, wie in den letzten Wochen. Wie im Delirium analysiert sein noch im Halbschlaf steckendes Bewusstsein zum dutzendsten Mal alle wichtigen Punkte für den morgen anstehenden Deal. Nein, meldet sich seine innere Stimme. Du hast alles in deiner Macht liegende getan. Der Rest ist Sache von Mark. Fokussiere dich auf deine Wunde.

Im Bad angekommen, setzt sich David auf den Rand der Badewanne. Das Durcheinander seiner Wohnung setzt sich hier ebenfalls fort. Aus einer Schublade unter seinem Waschbecken zieht David eine Schachtel mit etlichen Gegenständen hervor. Auf der Suche nach einem geeigneten Werkzeug, um den Splitter zu entfernen, durchwühlt er das Sammelsurium von Mani- und Pediküreartikeln. David findet eine teils rostige und unsterile Pinzette, die er an sich nimmt und flüchtig unter kaltem Wasser abgespült – für mehr bleibt keine Zeit. Mit der Pinzette zieht er den Splitter aus seinem Fuß. Ein schneller Stich schießt durch seine Haut, als sich das Glas aus seinem Fleisch entfernt. Die Wunde ist geschwollen, trotzdem fließt das Blut ununterbrochen. Ich sollte mich schnellstmöglich um einen Verband kümmern.

Auf der Suche nach Verbandszeug fällt ihm etwas ins Auge. Etwas auf der anderen Seite des Flurs. Etwas in seiner Werkstatt. Sein Körper bleibt wie erstarrt stehen. Dieser Raum ist nicht mehr wirklich eine Werkstatt. Sie wurde von Marks viel wichtigeren Geschäftsvorhaben verdrängt, dennoch waren es nicht die Finanzabrechnungen und Patentanmeldungen, die Davids Neugierde geweckt haben. Ein bereits vergessener, immer noch in Plastik eingepackter Block aus Lehm steht auf der Arbeitsbank. Seine sonst wachen Augen haben den Block seit Monaten, vielleicht auch Jahren, ignoriert. Jetzt, in seinem traumwandelnden Zustand jedoch, scheint der Lehmblock mit Potenzial zu leuchten.

Wie durch einen fremden Willen geführt, begibt sich David in seine Werkstatt. Mit einer großflächigen Armbewegung und ohne Rücksicht auf jegliche Unordnung werden alle unnötigen Gegenstände von der Bank gestoßen. David nimmt den Block Lehm in seine teils noch blutverschmierten Hände. Der Block spricht zu ihm, sagt ihm, wie dieser geformt werden soll. David reißt wie besessen die Folie ab und gräbt sich mit seinen Fingern tief in den Lehm. Blut sammelt sich um seinen verletzten Fuß auf dem Boden. Unwichtig. David weiß, dass die Pflege seiner Wunde Priorität hat. Ihm ist bewusst, dass er sich ausruhen sollte. Morgen ist der große Tag. Der Höhepunkt von jahrelanger, harter Arbeit. Aber dieses Leben scheint weit entfernt und irrelevant, im Vergleich zu dem Lehm in seinen blutigen Händen. Du wirst mir so gut gelingen, da bin ich mir sicher. Du wirst so gut …

Der nächste Morgen

Nervös trommelt David mit seinen Fingern auf dem Lenkrad seines geparkten Wagens. Eine Politesse steht provokant vor der Windschutzscheibe seines Autos und notiert sich sein Nummernschild. Dass er im Halteverbot steht, interessiert ihn nicht. Das Handeln um ihn herum nimmt sein Unterbewusstsein auch nur peripher wahr. Seine Augen sind auf den Ausgang des nahegelegenen Bürokomplexes fokussiert, der mit seinen deckenhohen Fenstern eine helle und einladende Atmosphäre schafft. Wieder und wieder liest er die in Gold eingelassenen Worte ›Jensen & Lehmann KG‹, die zentral über dem imposanten Eingang ragen. Das ist der Name der Firma, die ihn reich machen würde. Vorausgesetzt, Mark kann den Deal abschließen. Sein Blick wandert wieder und wieder nervös auf die Uhr in seinem Auto. Mark verspätet sich. Plaudern sie noch?

Das Summen seines Smartphones reißt David aus seinem Fokus. Sofia schreibt.

»Gibt’s was Neues?«

»Mark ist immer noch drin.«

»Ist denn alles gut?«

»Er schafft das schon.«

»Alles klar. :-) Sieh zu, dass du ihn bis spätestens 19 Uhr zu Hause absetzt.«»Hast du eine Begleitung für heute Abend gefunden?«

»In der Tat, das habe ich. Du wirst sie mögen. Sie ist eine Künstlerin.«

»Gut genug für meine Galerie?«Du brauchst darauf nicht zu antworten. ;-) Wir sehen uns später.«

»Bis dann.«

Das Smartphone verschwindet in seiner Jackentasche und seine Aufmerksamkeit fokussiert sich wieder auf den Eingang der Lobby. Ein leichtes Gefühl von Zweifel macht sich in ihm breit. Was dauert denn da so lange?

Mark schwingt lässig seinen Aktenkoffer, als er aus dem Empfang von Jensen & Lehmann schlendert. Der maßgeschneiderte, italienische Anzug, die teuren Wildlederschuhe aus Peru, sowie sein insgesamt makelloses Auftreten versprühen eine Form von Souveränität, wie es nur von einem erfahrenen und erfolgreichen Geschäftsmann möglich ist. Die positive Energie, die er ausstrahlt, zieht die Blicke der Angestellten auf sich.

Gut gelaunt steigt er in den Aufzug zum Erdgeschoss und lehnt sich zufrieden gegen den Handlauf. Mit einem kurzen, hellen Ton schließen sich die Türen. Mark stellt seinen Aktenkoffer ab.

Wie aus dem Nichts verschwindet seine energiegeladene Aura. Seine Hände zittern. Selbst die Versuche, tief durchzuatmen, scheinen ihn nicht zu beruhigen. Eine gewaltbereite Maske zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Wutentbrannt tritt er vor die Tür. Tritt noch einmal. Schlägt zu, bis seine Fäuste Dellen in dem Stahl hinterlassen. Das Haltesignal des Aufzuges erklingt. Mark reißt sich schnell zusammen, richtet seine Krawatte und hebt seinen Aktenkoffer vom Boden auf. Die Tür öffnet sich und er spaziert hinaus.

Mark verlässt die Lobby und Davids Augen leuchten auf. Das Leuchten verschwindet jedoch, sobald er Marks Gesicht sieht. Nach jahrelanger gemeinsamer Arbeit kann David genau sagen, wenn Mark verunsichert ist. Beim Vorbeigehen zerknüllt Mark die Knöllchen an der Windschutzscheibe und öffnet die Tür der Fahrerseite, wo David sitzt.

»Ist der Deal durch?«, fragt David nervös.

»Steig aus, ich fahre«, antwortet Mark reaktionslos und lockert seine Krawatte.

Während der Fahrt überfliegt David ein paar Dokumente aus Marks Aktentasche. »Du solltest hier mit einem Scheck herauslaufen, was ist passiert?«, fragt David.

»Nichts«, antwortet Mark schnippisch. »Sie kaufen immer noch unsere Firma. Das ist nur eine Formalität. Sie wollen sicherstellen, dass wir alles im Griff haben, sodass sie keine Zeit mit unnötigen Rechtsstreitereien verschwenden, bla bla bla. Wir HABEN alles im Griff, oder?«

David wirft ihm auf diese rhetorische Frage einen kritischen Blick zu.

»Siehst du«, sagt Mark. »Alles läuft nach Plan. Wir werden reich sein, nur ein bisschen später als erwartet. Eine Woche, maximal. Vielleicht auch zwei.«

»Ich habe dich gewarnt. Du solltest die Verhandlung heute nicht als einen sicheren Deal ansehen.«

»Ja, und du hast mich ebenfalls gewarnt, diese Firma hier zu gründen. Du hast mich vor allem gewarnt. Wenn ich auf dich gehört hätte, dann wären wir beide arbeitslos.«

»Wir werden sehen«, sagt David mit einem enttäuschten Unterton. Sein Blick wandert aus dem Fenster der Beifahrerseite und er beginnt nachzudenken. Nach einer kurzen Gesprächspause bricht David das Schweigen. »Was wirst du Sofia erzählen?«

Die Frage scheint Mark sehr nahezugehen. Seine aufgesetzte Maske der Zufriedenheit bröckelt leicht. Er antwortet nicht und biegt rechts ab in ein Drive-In-Restaurant.

»Was hast du vor?«, fragt David.

»Chicken-Wings«, antwortet Mark schlicht.

»Deine Operation ist in zwölf Stunden, du solltest eigentlich fasten«, merkt David besorgt an.

»Ich muss jetzt irgendwas mit meinen Händen zerreißen. Entweder bist das du oder die Chicken-Wings, du kannst entscheiden«, erwidert Mark bissig. Mark lässt sich nicht bemuttern. Er macht immer das, was er will.

Sie warten in der Schlange. In der Stille können sie fühlen, wie die Vorfreude auf den Verkauf ihrer Firma langsam aus ihnen verschwindet.

»Mark, was erzählst du Sofia?«, bricht David das Schweigen.

Mark hatte die Frage bereits aus seinen Gedanken verdrängt. Sein Griff ins Lenkrad festigt sich und er nimmt einen tiefen Atemzug. Es ist offensichtlich, dass Sofia sein Geschwätz durchschauen wird. Sie wird direkt die Wahrheit herausfinden, die Mark sich nicht traut auszusprechen – der Deal ist geplatzt und mit ihm jedes Versprechen und Absicherung, die Mark die letzten drei Jahre gemacht hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sie enttäuscht hat oder, dass sie hinter ihm die Scherben aufkehren musste. Sein Bauchgefühl verrät ihm jedoch, dass es das letzte Mal sein wird. Nein, soweit wird Mark das Ausmaß nicht kommen lassen. Wie sonst auch immer wird er eine Lösung finden. Warum sollte man sich wegen sowas den Abend versauen lassen? Mark dreht sich zu David, schaut ihm tief in die Augen. »Wenn sie fragt, dann sagst du ihr genau das – ›Alles wird gut.‹ «, antwortet er mit ernster Miene.

Einige Zeit später in Mark und Davids Wohnkomplex

Mark läuft zu der Tür seiner Wohnung, während er die Post durchblättert. Ihm sticht ein gelber Brief mit der Aufschrift ›LETZTE VERWARNUNG‹ ins Auge, den er sich in seine Jackentasche steckt. Bevor er die Tür öffnet, verweilt seine Hand eine kurze Zeit auf der Klinke seiner Wohnungstür. Ein Bild schießt ihm durch den Kopf. Ein Zettel ist mit einem Klebestreifen an einer Tür befestigt. Auf dem Zettel steht:

Liebe SofiaRuf David anKomm nicht reinIch liebe dich

Schlussendlich reißt er sich zusammen und betritt die Wohnung.

Sofia kocht Nudeln auf dem Herd. Ihre zierliche Figur wird von einer hellgrünen Kochschürze ummantelt, während ihre blonden Haare stilvoll zu einem eleganten Dutt hochgesteckt sind. Voller Energie tanzt sie zur Musik und freut sich sichtlich auf den bevorstehenden Abend. Mark nähert sich ihr von hinten und küsst sie dominant auf den Nacken.

»Wie war’s?«, fragt Sofia.

»Sei leise«, antwortet Mark.

Er beginnt sie auszuziehen und drückt sie in Richtung Schlafzimmer. Sie lacht. »Sind wir reich?«, fragt sie lustvoll.

»Sei leise«, weicht Mark der Frage erneut aus.

»Was ist passiert?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass du leise sein sollst.«

»Ha!«

Mit einem Knall schließt sich die Schlafzimmertür. Die Nudeln kochen über.

Währenddessen ein paar Häuser weiter

Jemand beobachtet, wie Mark und Sofia ins Bett steigen. Das Vibrieren eines Smartphones erklingt. Die Person nimmt nur widerwillig den Blick vom Teleskop, um auf die Nachricht zu antworten. Ein Absender, der als ›00A5JK817‹ eingespeichert ist, schreibt:

»Das Paket ist fertig. Soll ich es zu dir nach Hause bringen?«

»Zur Klinik. Hintereingang. 1 Uhr.«

»Ekelhaft öffentlich. Was hältst du stattdessen von deiner Adresse?«

»Klinik. Ich deaktiviere die Kameras.«

»Du bist der Boss, Prinzessin, aber eines Tages musst du mir deine Einrichtung zeigen.«

»Ich zerstöre dieses Telefon. Hab ein neues bereit, wenn wir uns treffen.«

»Tschau, Prinzessin.«

Als sich die Abendsonne legt

Außer Atem und leicht verschwitzt rollt sich Mark auf seine Seite des Bettes. In seinen Gedanken verloren starrt er an die Decke. Das Küchenradio spielt immer noch die Hits der Achtziger. Cheri Cheri Lady von Modern Talking. Er hasst dieses Lied.

Sofia streicht ihm über die Brust. »Es ist einige Zeit her, dass wir miteinander geschlafen haben. Wie geht’s deinem Knie?«

»Ich werde schon überleben«, antwortet Mark.

Sie massiert sein Bein. »Gott sei Dank ist das Leiden vorbei«, sagt Sofia. »Die letzten Jahre waren wirklich hart, Mark. Der Verlust all unserer Ersparnisse … die Galerie …« Sie stoppt, als sie das Tattoo mit dem Schriftzug ›Live Laugh Love‹ an seinem Fußgelenk erreicht, wobei der Punkt über ›Live‹ mit einem kleinen Herz kalligraphiert ist. »Manchmal vergesse ich diese Abscheulichkeit. Ich werde Linda bestechen, dass sie dir das Ding aus dem Bein schneidet.«

»Wehe, du wagst dich, oder ich lasse mir ein Neues auf die Brust tätowieren. David hat die Wette ehrlich gewonnen«, antwortet Mark.

»Welche Wette meinst du?«

»Hatte ich dir das nicht schon mal erzählt? Als wir den Finanzplan unserer ersten Firma bei der Bank vorgestellt haben, wurde uns eine sehr attraktive, junge Frau zugeteilt. Wir hatten gewettet, wer als Erstes ihre Nummer bekommt. Der Verlierer … nun, du siehst es ja, was der Einsatz war.«

»Ach, echt?«, fragt Sofia erstaunt nach. »Unser David? Das hätte ich von ihm gar nicht erwartet.«

»Ja, früher hatte er noch mehr ›Biss‹ in sowas.«

Ein nerviges Piepen löst die beiden aus ihrer Konversation.

»Oh Mist, tut mir leid«, ruft Sofia hektisch, während sie sich provisorisch etwas überwirft und aus dem Schlafzimmer rennt. Eine Pfanne wird in die Spüle geschmissen, während parallel die Haustür klingelt.

»Verdammt, das sind bestimmt Ben und Nora. Gib mir eine Minute!« Nachdem sie keine Reaktion von Mark wahrgenommen hat, wird ihr Ton befehlender. »Was tust du? Steh endlich auf!«

»Ich mache ja schon«, antwortet Mark lustlos und richtet sich auf. Sofia schließt die Tür des Schlafzimmers. Durch die Wände hört Mark, wie sie ihre Gäste begrüßt.

Einige Minuten später

Der Wein ist eingeschenkt, aber die Teller sind leer. Aus den Überresten versucht Sofia noch ein anständiges Essen zu zaubern, während Mark für die Unterhaltung von Ben und Nora sorgt.

»Ich wollte nur sagen, dass ich zu dir aufsehe«, sagt Ben. »Ich bin erstaunt, was du so erreicht hast und von wo du gestartet bist. Dein Erfolg gibt mir Hoffnung für meine Bootsfirma.«

»Danke …«, antwortet Mark, unsicher, ob er Bens Aussage als Kompliment werten soll.

»Ich meine nur, dass du einen langen Weg hinter dir hast«, legt Ben nach.

»Sofia, das riecht fantastisch!«, unterbricht Nora das Gespräch.

Ein Klirren aus der Küche.

»Mist!«, flucht Sofia. »Alles bestens …«

»Sollen wir dir helfen?«, fragt Ben vorsichtig.

»Würdest du? Ich glaube, mein kleines Projekt ist mir aus den Händen geglitten …«

David folgt Vanessa aus dem Aufzug. Während David für den entspannten Abend angemessen gekleidet ist, ist seine weitaus jüngere Begleitung in einem sündhaft teuren, eng anliegenden, Designerkleid auf dem Weg zu Marks und Sofias Wohnung.

David hat Probleme, das klobige Paket zu transportieren, welches mit Zeitungspapier und Schnur eingepackt ist.

»Im gleichen Haus wie dein Boss zu wohnen, klingt für mich nach Folter«, merkt Vanessa an, während sie auf dem Weg zu Marks Wohnung sind.

»Wir hatten eine WG für mehrere Jahre. Getrennte Räume sind da schon eine enorme Verbesserung, glaub mir«, scherzt David.

»Meiner Meinung nach seid ihr beide einfach nur voneinander abhängig.«

»Hm, mag sein. Hör mal, das Ding mit dem geplatzten Deal – das bleibt nur zwischen uns, ok?«

Vanessa dreht sich zu ihm um. »Und Mark – richtig?«

»Ja, schon klar, aber … erwähne es bitte einfach nicht.« Vanessa rollt mit ihren Augen und drückt die Klingel an der Wohnungstür.

»Das müsste David sein«, ruft Sofia aus der Küche. »Mark, machst du ihm bitte auf?«

Mark steht vom Essenstisch auf und öffnet die Tür. »Kommt herein!« Mark dreht sich während der Begrüßung zu den Gästen am Essenstisch. »Ohne dieses Genie hier wäre ich nicht mal halb so weit gekommen.«

David begrüßt die Runde im Kollektiv.

Sofia kommt aus der Küche, während sie sich die Hände mit einem Küchentuch abtrocknet. »Willkommen – Oh! Ist das ein neues Werk? Gib schon her.« Gierig nimmt sie das Paket entgegen, hin- und hergerissen, ob sie das Paket öffnen oder sich doch lieber um das Chaos in der Küche kümmern soll.

»Übrigens, das ist Vanessa«, sagt David, als Sofia gerade wieder in der Küche verschwinden will.

Sofia hält inne. »Natürlich! Entschuldigung. Sofia.«

»Hi, ich bin Vanessa«, antwortet sie.

»Hallo, ich bin Linda«, ertönt hinter Vanessa eine weitere Stimme, wodurch sie sich erschrocken umdreht.

»Was zum Teufel! Wo kommst du denn her?«

Linda lächelt. »Entschuldigung. Ich habe mich hinter dir durch die Tür gequetscht.«

Alle nehmen Platz und Sofia bringt einen dampfenden Kochtopf voller Nudeln mit Meeresfrüchten an den Tisch.

»Tut mir leid, dass das Essen erst so spät fertig geworden ist. Mark ist schuld.«

»Also so wie immer«, scherzt Mark.

Ein beißender Geruch steigt in Sofias Nase, der von Vanessas langer, pinken Zigarette ausgeht.

»Entschuldigung, aber könntest du bitte die Zigarette ausmachen?«, merkt Sofia höflich an.

Genervt reibt Vanessa die Zigarette auf ihrem Teller aus und lässt sie in ihr Weinglas fallen. Sofia ärgert sich, lässt sich aber nichts anmerken. Ben versucht, die angespannte Situation zu entschärfen.

»Linda, wie kommt es eigentlich, dass du dich mit Mark so gut verstehst? Verstehe mich bitte nicht falsch, du wirkst sehr nett, jedoch würde ich meine Ärztin nicht zum Abendessen einladen. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.« Linda lacht verlegen.

»Ja, ich verstehe dich. Wir haben uns bei einer Routineuntersuchung bei mir in der Praxis kennengelernt. Mark wurde von einem anderen Arzt wegen seines Knies an mich überwiesen. Anscheinend kommt nicht jeder mit ihm klar.« Mit einem Lächeln nimmt Mark etwas zu essen auf seinen Teller.

»Genau, seitdem war ich mit der Leistung mehr als zufrieden – kein Grund, die Ärztin zu wechseln«, unterbricht Mark sie. »Wir verstehen uns einfach sehr gut. Ich wollte mich für ihre guten Leistungen auch mal erkenntlich zeigen.«

Linda berührt leicht seinen Arm. »Halt. Kein Essen«, sagt sie ernst. »Ich will nicht, dass du mich später noch für Behandlungsfehler verklagst.«

Mark erwidert ihren fokussierten Blick für eine kurze Weile, lässt dann aber die Serviergabel wieder im Kochtopf verschwinden. »Ja, ok«, antwortet er unzufrieden.

»Wow, Linda, du hast dich gegen Marks Dickkopf bewiesen. Was ist dein Geheimnis?« fragt Sofia überrascht.

»Sie sieht besser aus als du«, antwortet Mark vorlaut und zwinkert Linda zu.

Nach dem Essen

Davids Paket steht ausgepackt auf dem Wohnzimmertisch. Sofia setzt sich hin, um die Skulptur zu betrachten. Sofia ist beeindruckt. Das Kunstwerk ist nicht seine beste Arbeit, jedoch sehr fesselnd. Morbid.

Wie jede von Davids Skulpturen stellt seine Arbeit eine gesprungene Geode dar. Aus den meisten Blickwinkeln scheint die Statue nur ein unvollendeter Klumpen aus Lehm zu sein. Wenn man jedoch den richtigen Winkel trifft, offenbaren sich im Inneren die komplexen Details.

»Es ist schön, ihn wieder arbeiten zu sehen«, spricht Sofia zu Linda und Vanessa, welche ebenfalls die Skulptur der Geode betrachten. »Ich habe gehört, dass du ebenfalls eine Künstlerin bist, Vanessa?«

»Jup«, entgegnet sie gelangweilt.

»Was ist dein Medium?«, hakt Sofia nach.

»Abseits von digital? Seit kurzem Menstruationsblut.«

»Ah …«, merkt Sofia verwundert an. »Ich weiß nicht, ob David davon erzählt hat, aber ich habe eine Galerie in der Innenstadt. Ich würde gerne mal deine Arbeit sehen. Ich bin an allem interessiert, was … einzigartig ist.«

»Die Galerie d’art Delacroix? Ist mir ein wenig zu traditionell.«

»Leider lassen es die Umstände gerade nicht anders zu. Wir waren in – nun ja – finanziellen Engpässen in den letzten Jahren. Daher musste ich mit der Ausstellung auf Nummer sicher gehen. Da wir jetzt aber wieder Fuß gefasst haben, werde ich ein paar Dinge verändern. Ich suche mir die Künstler selber aus und mache ordentlich Werbung. Ich will Kunst unters Volk bringen, die eine Reaktion auslöst.«

»Hör mal zu, Sofia, ich glaube an radikale Ehrlichkeit.«

»Ja klar …«

»Künstler brauchen heutzutage keine Parasiten mehr, die ihre Arbeit an reiche Arschlöcher, die sich in ihren Villen verkriechen, verscherbeln. Niemand, den du kennst, hängt etwas von Bedeutung an seine Wand. Niemand, der von Bedeutung ist, hängt überhaupt Kunst auf.«

»Ich verstehe.«

»Ich will niemanden beleidigen, ich sage lediglich die Wahrheit.«

»Natürlich Liebes. Du bist nicht die erste junge Künstlerin, die mir einen heißen Tipp gibt, weißt du. Hier ist meine Karte, falls du es dir doch anders überlegst.«

»Heutzutage werden auch keine Visitenkarten mehr verteilt …« Vanessa steht genervt auf, während sie Linda von oben bis unten mustert. »Linda, richtig? Dein Kleid fällt auseinander.« Ohne ihre Reaktion abzuwarten, geht Vanessa in Richtung Esszimmer. Sie hat recht, die Nähte auf Lindas Schulter lösen sich.

»Verflixt«, flucht Linda.

»Komm, ich repariere dir das, folge mir einfach.« Sofia führt Linda in das Schlafzimmer.

»Sie wirkt … ätzend«, merkt Linda an.

»Sie wirkt wie eine Bitch«, setzt Sofia nach. »Ehrlich gesagt, hat sie schon etwas recht. Vielleicht habe ich wirklich das Zeitfenster verpasst, ich bin einfach schon zu lange in der Branche. In der aktuellen Zeit ist es wirklich schwierig, gute Künstler zu finden.«

»Glaubst du, dass David noch eine Ausstellung machen wird?«

»Wenn ich ihn aus seiner Komfortzone bekomme, dann vielleicht. Setz dich bitte dorthin.«

Sofia räumt einen Stuhl vor einem langen Wandspiegel frei, der eher zur Ablage von Kleidung benutzt wird.

Linda setzt sich, während Sofia im Kleiderschrank nach Nähzeug kramt. Sofia fädelt ein Garn in die Nadel. »Alles klar, stillhalten«, befiehlt Sofia. Sie fixiert und verknüpft die losen Fäden mit der eleganten Hand einer Künstlerin. »Das macht mich nostalgisch. Bevor ich Mark getroffen habe, habe ich mir immer selber meine Kleidung genäht. Ich habe das seit Jahren nicht mehr gemacht. Der Riss ist aber nur minimal – gleich schon fertig.«

»Mir geht’s genauso. Aktuell ist in der Klinik die Hölle los. Ich hatte keine Zeit gehabt, shoppen zu gehen. Notgedrungen habe ich versucht, das Teil hier zu flicken. Eigentlich sollte ich es besser wissen. Ich habe echt kein Glück mit lebloser Materie.«