Bis dein Zorn sich legt - Åsa Larsson - E-Book
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Bis dein Zorn sich legt E-Book

Åsa Larsson

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Beschreibung

»Nicht nur eine der besten Krimischriftstellerinnen Skandinaviens, sondern auch weltweit.« Antje Deistler, WDR

Rebecka Martinsson, Staatanwältin im nordschwedischen Kiruna, wird in einen besonders grausamen Mordfall hineingezogen: Beim winterlichen Tauchen in einem See stirbt ein junges Pärchen, weil ein Fremder eine Holztür über das Loch schiebt, das sie ins Eis gehackt hatten, um nach einem versunkenen Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg zu tauchen. Wofür wurden die beiden mit dem Tod bestraft? Bei ihren Nachforschungen entdeckt Rebecka ein gefährliches Netz aus Angst, Schuld und Verrat. Und Schritt für Schritt begreift sie, dass auch 60 Jahre nach dem Ende des Krieges in Kiruna unversöhnliche Konflikte weiterschwelen. Konflikte, die auch sie in tödliche Gefahr zu bringen drohen ...

»Knorrige Figuren, präzise Milieus, packender Plot – Åsa Larsson schreibt derzeit die besten Skandinavien-Krimis.« Hörzu

Entdecken Sie die weiteren Bände der Rebecka-Martinsson-Reihe:

1. Sonnensturm

2. Weiße Nacht

3. Der schwarze Steg

4. Bis dein Zorn sich legt

5. Denn die Gier wird euch verderben

6. Wer ohne Sünde ist

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ÅSA LARSSON

BIS DEIN ZORN SICH LEGT

ROMAN

Aus dem Schwedischenvon Gabriele Haefs

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Till dess din vrede upphör« bei Albert Bonniers Förlag, Stockholm.

1. Auflage

Copyright © 2008 Åsa Larsson

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009

beim C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12644-5www.cbertelsmann.de

Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir ein Ziel setzen und dann an mich denken wolltest!

Meinst du, ein toter Mensch wird wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt.

Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände.

Dann würdest du meine Schritte zählen, aber hättest doch nicht Acht auf meine Sünden.

Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

Ein Berg kann zerfallen und vergehen und ein Fels von seiner Stätte weichen,

Wasser wäscht Steine weg, und seine Fluten schwemmen die Erde weg: so machst du die Hoffnung des Menschen zunichte.

Du überwältigst ihn für immer, dass er davonmuss, entstellst sein Antlitz und lässt ihn dahinfahren.

Sind seine Kinder in Ehren, das weiß er nicht, oder ob sie verachtet sind, das wird er nicht gewahr.

Nur sein eigenes Fleisch macht ihm Schmerzen, und nur um ihn selbst trauert seine Seele.

Hiob, Kapitel 14, Vers 13–22

ICH ERINNERE MICH, wie wir gestorben sind. Ich erinnere mich, und ich weiß es. So ist das jetzt. Manche Dinge weiß ich, obwohl ich selbst nicht mit dabei war. Aber ich weiß nicht alles. Das nun wirklich nicht. Es gibt keine Regeln. Wie bei Menschen, zum Beispiel. Manchmal sind sie offene Räume, in die ich hineingehen kann. Manchmal sind sie verschlossen. Zeit gibt es nicht. Die scheint in viele Stücke zerbrochen zu sein.

Der Winter kam ohne Schnee. Schon im September bildete sich das Eis, der Schnee aber zögerte.

Es war der neunte Oktober. Die Luft war kalt. Der Himmel sehr blau. So ein Tag, den man gern in ein Glas gießen und trinken würde.

Ich war siebzehn Jahre alt. Wenn ich noch lebte, wäre ich jetzt achtzehn. Simon war fast neunzehn. Er ließ mich fahren, obwohl ich keinen Führerschein hatte. Der Waldweg war voller Löcher. Ich fuhr gern Auto. Lachte jedesmal, wenn es ruckelte. Kies und kleine Steine schlugen gegen den Wagenboden.

»Verzeihung, Bettan«, sagte Simon zum Auto und streichelte die Klappe des Handschuhfachs.

Wir hatten keine Ahnung davon, dass wir sterben würden. Dass ich mit dem Mund voller Wasser schreien würde. Dass uns nur noch fünf Stunden blieben.

Der Waldweg endete beim Sevujärvi. Wir luden das Auto aus. Immer wieder musste ich kleine Pausen einlegen und mich umsehen. Es war so überirdisch schön. Ich hob meine Hände zum Himmel, schaute aus zusammengekniffenen Augen in die Sonne, diesen weiß glühenden Ball, sah einem Wolkenfetzen nach, der hoch oben vorübertrieb. Die Berge waren Urzeitriesen, unveränderlich.

»Was machst du?«, fragte Simon.

Den Blick und die Arme noch zum Himmel gerichtet, antwortete ich: »Das hier gibt es in fast allen Religionen. Dass man nach oben schauen und die Hände nach oben strecken soll. Und das kann ich verstehen. Es tut einfach gut. Versuch es mal!«

Ich holte tief Luft und ließ sie dann als große weiße Wolke aus mir entweichen.

Er schüttelte lächelnd den Kopf. Wuchtete seinen schweren Rucksack auf einen Stein, um ihn sich auf die Schultern zu laden. Er sah mich an.

Ach, ich weiß noch, wie er mich ansah. Als könne er sein Glück nicht fassen. Und es stimmt ja auch. Ich war keine x-Beliebige.

Er versuchte immer, mich zu erforschen. Zählte meine Leberflecken. Oder tippte meine Zähne an, wenn ich lächelte, und zählte die Gipfel des Kebnekaisemassivs auf:

»Sydtoppen, Nordtoppen, Drakryggen, Kebnepakte, Kaskasapakte, Kaskasatjåkko, Tuolpagorni.«

»Eins zwei, beginnende Karies, eins eins, eindeutige Karies, zwei eins, distal«, gab ich zurück.

Die Rucksäcke mit unserer Taucherausrüstung waren schwer.

Wir wanderten zum See Vittangijärvi hoch. Dafür brauchten wir dreieinhalb Stunden. Wir sagten ganz schnell zueinander, welch ein Glück es sei, dass der Boden gefroren war, denn das erleichterte das Gehen. Wir schwitzten, blieben ab und zu auf einen Schluck Wasser stehen und einmal, um Butterbrote zu essen und aus einer Thermoskanne Kaffee zu trinken.

Knisternd zerbrachen gefrorene Pfützen und winterkahles Moos unter unseren Schritten.

Links von uns ragte der Berg Alanen Vittangivaara auf.

»Da oben liegt eine alte samische Opferstätte«, sagte Simon und zeigte in diese Richtung. »Uhrilaki.«

Das liebte ich an ihm. Dass er solche Dinge wusste.

Am Ende hatten wir unser Ziel erreicht. Vorsichtig stellten wir unsere Lasten auf dem Boden ab und blieben lange stumm stehen, um auf den See hinauszuschauen. Das Eis lag wie eine dicke schwarze Glasscheibe auf dem Wasser. Eingefrorene Luftblasen durchzogen es wie zerrissene Perlenketten. Die Risse sahen aus wie gefaltetes Seidenpapier.

Der Frost hatte in jeden Grashalm und jeden dünnen Zweig gekniffen, bis sie brüchig und knisternd weiß geworden waren. Preiselbeerkraut und Wacholdersträucher waren blutrot und violett geküsst worden. Und auf allem lag die weiße dünne Haut des Frosts. Eine Aura aus Eis.

Es war unwirklich still.

Simon wurde so nachdenklich und in sich gekehrt, wie er das oft wird. Er ist einer, der sagt, jetzt könne die Zeit anhalten. Oder das war er. Er war so einer.

Aber ich habe es nie besonders lange in einem wortlosen Zustand aushalten können. Ich musste einfach rufen. Das viele Schöne dort, man hätte doch platzen können.

Ich rannte hinaus aufs Eis. So schnell ich konnte, ohne auszurutschen, und danach pflanzte ich mich breitbeinig auf und glitt weit, weit.

»Versuch das mal«, rief ich Simon zu.

Wieder schüttelte er lächelnd den Kopf.

Das war wirklich etwas, das er in seinem Heimatdorf gelernt hatte. Den Kopf schütteln. Das können sie in Piilijärvi.

»Nix da«, rief er. »Irgendwer muss doch deine Beine schienen, wenn du sie gebrochen hast.«

»Feigling«, johlte ich, lief los und glitt weiter.

Danach legte ich mich eine Weile hin und schaute zum Himmel hoch. Tätschelte das Eis liebevoll.

Dort unten lag ein Flugzeug. Und niemand wusste davon, außer uns. Das glaubten wir zumindest.

Ich stand auf und begegnete seinem Blick.

Du und ich, sagten seine Augen.

Du und ich, blickte ich zurück.

Er sammelte ein wenig trockenes Wacholderreisig und Birkenrinde. Sagte, wir könnten doch auch gleich ein Feuer machen und essen, ehe wir tauchten. Um danach durchzuhalten, ohne in schlechte Laune zu geraten.

Wir grillten Würste an spitzen Stöckchen. Ich hatte nicht genug Geduld, um das richtig zu machen, meine war außen verkohlt und innen roh. Auf den Bäumen in unserer Nähe sammelten sich hungrige Unglückshäher.

»Früher hat man die gegessen«, sagte ich und nickte zu den Vögeln hinüber. »Das hat Anni erzählt. Sie und ihre Kusinen haben zwischen den Bäumen ein dünnes Seil gespannt und Weißbrotstückchen daraufgezogen. Die Vögel landeten auf dem Seil, um zu fressen, konnten sich aber nicht aufrechthalten, sondern kippten um und blieben mit dem Kopf nach unten hängen. Und dann brauchten sie sie nur noch abzupflücken. Wie Obst. Man sollte das mal probieren, haben wir Bindfaden bei uns?«

»Du willst nicht lieber ein Stück Wurst?«

Typischer blöder wunderbarer Simon-Kommentar. Und nicht ein Lächeln, um anzudeuten, dass er Witze machte.

»Dussel! Ich meine doch nicht, dass ich sie essen will. Ich will nur wissen, ob das klappt.«

»Nein. Jetzt ist es so weit. Ehe es dunkel wird.«

Sofort wurde ich wieder ernst.

Simon sammelte mehr Reisig und Rinde. Er fand auch einen hohlen Birkenstamm. So was brennt gut. Er schob Asche über die Glut. Sagte, mit etwas Glück könnten wir das Feuer nach dem Tauchen einfach wieder anpusten und dass es schön sein würde, das Feuer rasch zum Lodern zu bringen, wenn wir durchgefroren wieder ans Ufer kämen.

Wir trugen Druckluftflaschen, Atemregler, Tauchermasken, Schnorchel, Flossen und die schwarzen betagten Militärtaucheranzüge aufs Eis hinaus.

Simon ging mit seinem GPS voraus.

Im August hatten wir den Kajak getragen, hatten ihn dort, wo es möglich war, durchs Wasser gezogen, über den Vittangiälv zum Tahkojärvi, und von dort waren wir zum Vittangijärvi hochgepaddelt. Wir hatten im See gelotet. Als wir die Stelle gefunden hatten, gab Simon sie unter »Wilma« ins GPS ein.

Aber im Sommer war der alte Hof auf dem Westufer von Feriengästen bewohnt.

»Jetzt stehen sie mit ihren Ferngläsern da drin«, hatte ich gesagt und ans andere Ufer hinübergespäht. »Und fragen sich, was wir für komische Käuze sind. Wenn wir jetzt tauchen, wird die ganze Gegend das in null Komma nix erfahren.«

Als wir fertig waren, waren wir also ans Westufer gepaddelt, hatten den Kajak an Land gezogen und waren zum Hof hochgewandert. Dort hatten wir uns zum Kaffee einladen lassen. Und ich hatte ihnen vorgeflunkert, wir bekämen einen Hungerlohn vom SMHI, um die Wassertiefe im See auszuloten. Das habe irgendetwas mit dem Klimawandel zu tun.

»Sowie sie für den Winter dichtmachen«, sagte ich zu Simon, als wir uns mit dem Kajak nach Hause kämpften. »Dann können wir auch ihr Boot benutzen.«

Aber dann kam das Eis, und wir mussten warten, bis es dick genug war, dass es trug. Wir konnten unser Glück kaum fassen, als es nicht schneite, jetzt würde auch die Sicht nicht ganz schlecht sein. Einige Meter wenigstens. Aber wir würden ja sehr viel tiefer tauchen.

Simon sägte das Eis auf. Er schlug mit der Axt ein Loch hinein, das Eis war dafür noch dünn genug. Dann griff er zum Fuchsschwanz. Eine Motorsäge hätten wir nicht mitschleppen können, außerdem hätte die einen Höllenlärm gemacht, und Aufmerksamkeit erregen war wirklich das Letzte, was wir wollten. Es war wie ein Buchtitel: »Wilma, Simon und das Geheimnis des Flugzeugs«.

Während Simon das Loch sägte, nagelte ich zwei Latten zu einem Kreuz zusammen, das wir über das Loch legen wollten, um die Sicherungsleine daran zu befestigen.

Wir zogen alles aus, bis auf unsere Thermounterwäsche aus Wollfrottee, und stiegen in die Taucheranzüge.

Dann setzten wir uns an den Rand des Eislochs.

»Geh direkt auf vier Meter Tiefe«, sagte Simon. »Das Schlimmste, was passieren kann, ist Luftverlust, wenn der Atemregler vereist. Die Gefahr ist gleich unter der Oberfläche am größten.«

»Okay.«

»Aber es kann auch da unten passieren. Bei solchen Bergseen weiß man nie. Es kann irgendwo eine Bachmündung geben, die Strömung erzeugt. Und dann kann die Temperatur unter null liegen. Aber die Gefahr ist direkt unter der Oberfläche doch am größten. Also: direkt runter.«

»Okay.«

Ich wollte ihm nicht zuhören. Ich wollte tauchen. Jetzt gleich.

Er war kein Tauchprofi. Aber er hatte viel gelesen. In Zeitschriften und im Netz. Er setzte seine Belehrungen fort, ohne sich von mir stressen zu lassen.

»Zweimal an der Leine ziehen bedeutet: aufsteigen.«

»Okay.«

»Vielleicht finden wir das Wrack sofort, vermutlich aber nicht. Wir gehen runter und nehmen es dann, wie es kommt.«

»Okay, okay.«

Und dann tauchen wir.

Simon zuletzt. Das kalte Wasser ist wie ein Huftritt ins Gesicht. Er legt das Holzkreuz mit der Sicherungsleine über das Loch im Eis. Beim Abstieg überprüft er den Computer. Zwei Meter. Taghell. Das Eis über uns ist wie ein Fenster für das Sonnenlicht. Als wir oben standen, war es schwarz. Von unten ist es hellblau. Zwölf Meter. Dunkel. Alle Farben verschwinden. Fünfzehn Meter. Finsternis. Simon fragt sich sicher, wie mir zumute ist. Aber er weiß, dass ich mutig bin. Siebzehn Meter.

Wir stoßen direkt auf das Flugzeugwrack. Landen darauf.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber nicht das. Dass es so einfach sein würde. In mir perlt ein Lachen, das ich jetzt nicht hinauslassen kann. Ich sehne mich danach, Simons Kommentare zu hören, wenn wir uns später am Feuer wärmen. Er ist immer so ruhig, aber dann werden die Wörter nur so aus seinem Mund sprudeln.

Das Flugzeug scheint einfach dagelegen und auf uns gewartet zu haben. Aber natürlich. Wir haben gelotet. Wir haben schon gesucht. Wir wussten, dass es hier sein müsste.

Aber jetzt, da ich es in der grünschwarzen Dunkelheit auf dem Boden liegen sehe, kommt mir doch alles ganz unwirklich vor. Es ist viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Simon leuchtet mich mit der Taschenlampe an. Bestimmt will er meine Reaktion sehen. Meine frohe Miene. Aber natürlich kann er hinter der Maske mein Gesicht nicht sehen.

Er macht eine Auf-und-Abbewegung mit der ausgestreckten Hand. Ganz ruhig, soll das heißen. Ich merke, wie heftig ich atme. Muss mich beruhigen, wenn die Luft reichen soll.

Sie reicht vielleicht für zwanzig Minuten. Danach werden wir außerdem ausgekühlt sein. Wir richten die Taschenlampen auf den Flugzeugrumpf. Die Lichtkegel fahren über das verschlammte Metall. Ich versuche, das Modell zu erkennen. Vielleicht eine Dornier? Ich schwimme über den Flugzeugrumpf, fege Algen und Schlamm mit der Hand beiseite. Nein, das Metall ist Wellblech. Es ist eine Junkers.

Wir folgen der Tragfläche und stoßen auf die Motoren. Das kommt mir auf irgendeine Weise verkehrt vor. Etwas hier stimmt nicht, etwas wirkt … wir schwimmen zurück. Ich bin dicht hinter Simon, halte die Sicherungsleine. Jetzt findet er das Fahrgestell. Oben auf der Tragfläche.

Simon sieht sich nach mir um und dreht seine ausgestreckte Hand um hundertachtzig Grad. Ich verstehe, was er meint. Das Flugzeug liegt auf dem Dach. Deshalb kommt uns alles falsch vor. Beim Aufprall auf das Wasser muss es sich um die eigene Achse gedreht haben. Ein Purzelbaum und dann mit der schweren Nase voran hinab ins Wasser. Nur eben auf dem Rücken.

Wenn es so eine Landung war, waren sie vermutlich allesamt sofort tot.

Aber wie gelangt man nun hinein?

Nachdem wir eine Weile gesucht haben, finden wir gleich hinter der Tragfläche die Seitentür. Aber die lässt sich nicht öffnen. Das Seitenfenster ist zu klein, um sich hindurchzuzwängen.

Wir schwimmen zur Nase. Dort hat ein Motor gesessen, aber der ist verschwunden. Sicher ist es so gewesen, wie ich mir das vorgestellt habe. Die Nase ist zuerst aufs Wasser aufgeschlagen. Dabei ist der Motor abgebrochen. Danach sank der Rumpf auf den Grund. Die Fenster des Cockpits sind zerbrochen. Es ist nicht ganz leicht hindurchzusteigen, da das Flugzeug kopfunter daliegt. Aber es geht. Simon leuchtet mit der Taschenlampe. Irgendwo dort drinnen schwimmen die Überreste der Besatzung herum.

Ich wappne mich gegen den Anblick dessen, was vom Piloten vielleicht noch übrig ist. Aber im Cockpit ist nichts zu sehen.

Jetzt bereut er sicher, dass er keine Seilrolle gekauft hat, wie ich vorgeschlagen hatte. Es muss trotzdem gehen. Es gibt nichts, woran wir die Sicherungsleine befestigen könnten. Aber ich halte sie fest, und wir vergewissern uns beide, dass sie richtig an seinem Bleigürtel befestigt ist.

Er leuchtet mit der Taschenlampe seine Hand an. Zeigt auf mich. Zeigt gerade nach unten. Bleib hier, bedeutet das. Dann hebt er alle Finger dieser Hand zweimal. Zehn Minuten.

Ich leuchte meine Hand an und hebe den Daumen. Dann werfe ich Simon vom Atemregler aus eine Kusshand zu.

Er schiebt die Arme durch das Fensterloch, packt mit den Händen die Rückenlehne des einen Pilotensitzes und zieht sich geschmeidig in das Flugzeug hinein.

Jetzt muss er sich vorsichtig bewegen.

Um so wenig Schlamm wie möglich aufzuwühlen.

Ich sehe Simon im Flugzeug verschwinden. Dann schaue ich auf die Uhr. Zehn Minuten, hat er angezeigt.

Mir kommen Gedanken, die ich energisch verdränge, als sie versuchen, in meinem Bewusstsein Gestalt anzunehmen. Zum Beispiel der Gedanke daran, was in einem alten Wrack, das seit über sechzig Jahren auf dem Seegrund liegt, passieren kann, wenn man hineinschwimmt und plötzlich Bewegung im Wasser erzeugt. Allein die ausgeatmete Luft kann reichen, um Gegenstände loszulösen. Etwas kann auf ihn fallen. Er kann sich einklemmen. Unter einem schweren Gewicht. Was, wenn das passiert und ich ihn nicht herausholen kann? Wenn die Luft zu Ende geht, soll ich mich dann selbst retten und nach oben schwimmen? Oder hier in der Finsternis mit ihm zusammen sterben?

Nein, nein. So darf ich nicht denken. Es wird supergut gehen. Verdammt gut. Und nächstes Mal bin verdammt noch mal ich diejenige, die ins Flugzeug schwimmen darf.

Ich, leuchte ein wenig mit der Taschenlampe hin und her. Aber die reicht in der Dunkelheit nicht sehr weit. Außerdem haben wir jede Menge Schlamm aufgewühlt, und die Sicht ist jetzt richtig schlecht. Schwer, sich vorzustellen, dass dort oben, eigentlich gar nicht weit entfernt, nur einige Meter, die Sonne über dem funkelnden Eis leuchtet.

Dann merke ich, dass die Sicherungsleine, die zwischen mir und dem Holzkreuz oben über dem Loch verläuft, schlaff in meiner Hand liegt.

Ich ziehe daran, um sie wieder anzuspannen. Aber sie spannt sich nicht an. Ich hole die Leine ein. Einen Meter, zwei Meter.

Drei.

Hat sie sich vom Holzkreuz gelöst? Wir hatten sie doch sorgfältig angebunden.

Ich ziehe immer schneller. Jetzt habe ich das andere Ende in der Hand. Ich sehe es an. Starre es an.

Herrgott, ich muss nach oben und sie befestigen. Wenn Simon aus dem Flugzeug kommt, haben wir keine Zeit, unter dem Eis umherzuschwimmen und das Loch zu suchen.

Ich lasse etwas Luft in den Trockenanzug, sodass ich langsam nach oben steige. Aus der Finsternis, durch das Dunkle, es wird heller. Das Seil halte ich in der Hand.

Ich halte Ausschau nach dem Loch, dort müsste Licht durch das Eis fallen, aber ich sehe es nicht.

Stattdessen sehe ich einen Schatten. Ein schwarzes Rechteck.

Etwas liegt über dem Loch. Ich schwimme hinüber. Das Holzkreuz ist verschwunden. Statt seiner liegt eine Tür über dem Loch. Sie ist grün. Aus schlichten Brettern gezimmert, mit einem Querholz darüber. Eine Tür aus einem Schuppen oder einer Scheune.

Eine Sekunde lang denke ich, dass diese Tür irgendwo herumgelegen hat und vom Wind hierhergeweht worden ist. Aber kaum habe ich das gedacht, da weiß ich auch schon, wie falsch dieser Gedanke ist. Da oben ist es ein windstiller, sonniger Tag. Wenn eine Tür über dem Loch liegt, dann, weil jemand sie dorthin gelegt hat. Und was kann das für ein Witzbold sein?

Ich versuche mit beiden Händen, die Tür zur Seite zu schieben. Leine und Taschenlampe habe ich losgelassen, sie sinken langsam zum Grund hinab. Die Tür lässt sich nicht bewegen. Mein heftiger Atem dröhnt in meinen Ohren, als ich mich vergeblich mit der Tür abmühe. Ich begreife, dass der Witzbold darauf steht. Jemand steht auf der Tür.

Ich schwimme von der Tür weg und ziehe mein Tauchermesser. Fange an, ein Loch ins Eis zu hacken. Das ist schwer. Das Wasser macht meine Bewegungen langsam. Meine Stöße haben keine Kraft. Ich bohre mit dem Messer, hacke. Am Ende stoße ich durch. Dann geht es leichter, ich lasse das Messer im Loch rotieren, kratze mit der Klinge an den Seiten. Das Loch wird größer.

Simon schwimmt im Wrack so vorsichtig er kann. Er hat den Platz des Funkers hinter dem Cockpit passiert und befindet sich jetzt in der Kabine. Er glaubt, ein leises Rucken am Seil zu spüren. Er überlegt, ob das Wilma gewesen sein kann. Zweimal ziehen bedeutet Aufstieg, hat er doch gesagt. Aber was, wenn ihr die Luft ausgegangen ist? Jetzt wird er unruhig und beschließt hinauszuschwimmen. Er kann hier ja doch nichts sehen. Die Luft und seine eigenen Bewegungen haben so viel Schlamm aufgewühlt, dass er seine Hand nicht erkennen kann, wenn er den Arm ausstreckt und sie mit der Taschenlampe anleuchtet. Es ist, wie durch grüne Suppe zu schwimmen. Da können sie auch gleich aufsteigen.

Er zieht an der Leine, die an seinem Bleigürtel befestigt ist, um sie zu straffen, damit er ihr hinausfolgen kann. Aber sie strafft sich nicht. Er holt mehr und mehr Leine ein, Meter um Meter. Schließlich hat er ein Ende in der Hand. Wilma sollte die Leine doch halten. Und das Ende sollte an dem Holzkreuz über dem Loch befestigt sein.

Die Angst beißt wie eine Schlange in sein Zwerchfell. Keine Leine, der er folgen könnte. Wie soll er zum Cockpitfenster zurückfinden? Er sieht doch rein gar nichts. Wie soll er hinausgelangen?

Er schwimmt, bis er gegen eine Wand stößt. Er zögert. Er schwimmt in die andere Richtung, jetzt weiß er nicht mehr, was vorn ist, was hinten und was auf der Seite.

Er stößt mit etwas zusammen, das nicht festhängt. Das sich seitwärts bewegt. Er leuchtet es an. Sieht nichts. Bildet sich ein, es sei ein Leichnam. Zappelt. Schwimmt weg. Schnell, schnell. Bald schwimmt er zwischen Gliedern, die umhertreiben. Armen und Beinen, die sich von ihren Körpern gelöst haben. Er muss versuchen, ganz ruhig zu bleiben, aber wo ist er? Wie lange ist er schon hier unten? Wie lange reicht die Luft noch?

Er weiß nicht mehr, was oben und unten ist, aber das ist ihm nicht klar. Tastet nach einem Flugzeugsitz, wenn er einen findet, kann er sich im Flugzeug orientieren und nach vorn finden, aber er tastet über die Decke des Flugzeugs, deshalb findet er keinen Sitz.

Voller Panik schwimmt er hin und her. Auf und ab. Er sieht nichts. Rein gar nichts. Das Seil, das an seinem Bleigürtel befestigt ist, steckt hier und dort kurz fest, hängt fest in den Haken am Boden, an denen Ladung festgezurrt werden konnte, an einem weggerissenen Sitz, an einem losen Sicherheitsgurt. Überall. Dann fängt er an, gegen das Seil zu schwimmen. Stößt damit zusammen. Bleibt daran hängen. Es zieht sich wie ein Spinnennetz durch das Flugzeug. Und er findet nicht hinaus. Er stirbt dort drinnen.

Ich habe mit dem Tauchermesser ein Loch ins Eis hacken können. Ich gebe mir alle Mühe, es zu vergrößern. Hacke mit dem Messer. Lasse es im Loch rotieren. Als es so groß ist wie meine Hand, schaue ich auf den Druckmesser. Noch zwanzig Bar.

Ich darf nicht so viel atmen. Ich muss mich beruhigen. Aber ich komme nicht hoch. Ich stecke unter dem Eis fest.

Ich schiebe die Hand durch das Loch. Ohne einen bestimmten Gedanken. Die Hand streckt sich aus eigenem Willen nach Hilfe aus.

Jemand da oben packt meine Hand. Zuerst durchfährt mich das Gefühl, dass mir geholfen wird. Dass jemand mich aus dem Wasser ziehen, mich retten wird.

Dann zieht diese Person wirklich an meiner Hand, schiebt sie vor und zurück. Und nun begreife ich, dass ich feststecke. Ich komme hier nicht weg. Ich will mich losreißen, aber als ich versuche, die Hand zurückzuziehen, passiert nichts weiter, als dass ich mit dem Gesicht gegen das Eis knalle. Ein rosa Schleier vor dem Hellblau.

Ein träger Gedanke durch meinen Kopf: Ich blute.

Die Person da oben ändert ihren Griff. Schüttelt meine Hand wie zur Begrüßung.

Da stemme ich die Knie gegen das Eis. Meine gefangene Hand zwischen den Beinen. Und dann stoße ich mich ab. Jetzt komme ich los. Die Hand gleitet aus dem Taucherhandschuh. Kaltes Wasser. Kalte Hand. Au!

Ich schwimme unter dem Eis weiter. Weg. Weg von dieser Person. Jetzt bin ich wieder unter der grünen Tür. Ich schlage dagegen. Hämmere. Kratze.

Es muss einen anderen Ausweg geben. Eine Stelle, wo das Eis dünner ist. Wo ich es zerschlagen kann. Ich schwimme wieder los.

Aber er rennt hinter mir her. Ist das überhaupt ein Er? Ich sehe die Person durch das Eis. Verschwommen. Und nur von unten. Die ganze Zeit über mir. Zwischen meinen Atemzügen, wenn die Luft, die ich ausatme, meine Ohren dröhnen und rauschen lässt, höre ich die Schritte auf dem Eis.

Und ich sehe die Person dort oben nur für kurze Augenblicke. Die ausgeatmete Luft kann nirgendwo hin. Sie legt sich wie eine große platte Spiegelblase unter das Eis. Ich sehe mich selbst darin. Verzerrt. Wie in einem Zerrspiegel in einem Vergnügungspark. Das Bild verändert sich. Wenn ich einatme, sehe ich die Person dort oben, wenn ich ausatme, sehe ich mich selbst.

Dann vereist der Atemregler. Die Luft spritzt aus dem Mundstück. Ich höre auf zu schwimmen, bin vollauf mit dem Versuch zu atmen beschäftigt. Der Schlauch leert sich in zwei Minuten.

Und dann ist Schluss. Meine Lunge droht zu bersten und saugt Luft. Ich will kein Wasser einatmen. Ich berste.

Ich fuchtele mit den Armen. Schlage vergeblich gegen das Eis. Das Letzte, was ich im Leben tue, ist, Atemregler und Tauchermaske wegzureißen. Dann sterbe ich. Zwischen mir und dem Eis gibt es jetzt keine Luft. Kein Spiegelbild meiner selbst. Meine Augen im Wasser sind offen. Jetzt sehe ich die Person dort oben.

Ein Gesicht, das sich gegen das Eis presst und mich ansieht. Aber ich verstehe nicht, was ich sehe. Mein Bewusstsein zieht sich zurück wie die Tide.

Donnerstag, 16. April

ÖSTEN MARJAVVARA SCHLUG in seiner Hütte in Pirttilahti um Viertel nach drei Uhr nachts die Augen auf. Das Licht hatte ihn geweckt. Jetzt, Ende April, wurde es ja nur wenige Stunden richtig dunkel. Es half auch nicht viel, die Jalousien herunterzulassen. Das Licht drang zwischen den Lamellen hindurch, schob seine dünnen Fäden durch die Löcher, in denen die Schnüre verliefen, strömte durch den Spalt zwischen Jalousie und Fensterrahmen. Selbst wenn er die Fenster mit Brettern verrammelt hätte, ja, selbst wenn er in einem fensterlosen Raum geschlafen hätte, wäre er aufgewacht. Das Licht war dort draußen. Zog und zupfte an ihm. Schwach und rastlos, wie eine einsame Frau. Da konnte er auch gleich aufstehen und Kaffee kochen.

Er stand auf und zog die Jalousien hoch. Der Boden unter seinen nackten Fußsohlen war eiskalt. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte zwei Grad minus. Abends und nachts hatte es geschneit. Die Schneekruste, die sich nach dem milden, mit Schneeregen vermischten Wetter der vorigen Woche in zwei Tagen gebildet hatte, war jetzt noch fester geworden, er würde über den Harsch auf Skiern am Torneälv nach Tervaskoski hochlaufen können. Dort in den Stromschnellen standen sicher Äschen und warteten hinter irgendeinem Stein.

Als das Feuer im Herd ordentlich brannte, nahm er den roten Plastikeimer, der in der Diele stand, und ging zum Fluss hinunter, um Wasser zu holen. Es waren nur wenige Meter zum Ufer, aber er ging vorsichtig, unter dem Neuschnee gab es viele tückische Eisstellen, man konnte da leicht einen üblen Sturz hinlegen.

Die Sonne wartete dicht unter dem Horizont und malte rotgoldene Streifen auf den kalten Winterhimmel. Bald würde sie sich über den Fichtenwald heben und auf die roten, quer liegenden Bretter der Hütte glühen.

Der Schnee lag wie ein Flüstern der Natur über dem Fluss. Pst, sagte er, sei leise. Jetzt gibt es nur noch dich und mich.

Er horchte, blieb mit dem Eimer in der Hand ganz still stehen und schaute auf den Fluss hinaus. Es stimmte. Nie gehört einem die ganze Welt so wie dann, wenn man vor allen anderen aufgewacht ist. An beiden Flussufern lagen einige wenige Hütten, aber nur auf seiner qualmte der Schornstein. Vermutlich waren die Besitzer der anderen gar nicht da. Sie saßen sicher zu Hause in der Stadt, die armen Teufel.

Am Ende des Stegs lag das Wasserloch, das er ins Eis gesägt hatte. Eine Klappe aus Styropor bedeckte es, damit es nicht wieder zufror. Er wischte Schnee von dem Deckel und hob ihn an. Wenn Barbro dabei war, nahmen sie Wasser aus der Stadt mit zur Hütte. Sie weigerte sich, das Wasser aus dem Fluss zu trinken.

»Hu«, machte sie dann immer und zog schaudernd die Schultern bis an die Ohren. »Der ganze Dreck aus sämtlichen Dörfern weiter flussaufwärts.«

Früher hatte sie oft über das Krankenhaus von Vittangi gesprochen, Was für ein Glück es doch immerhin sei, dass sie flussauf davon wohnten. Dass es dort keinerlei Kläranlagen oder so etwas gebe. Sicher wurden da auch herausgenommene Blinddärme und Gott weiß was reingekippt.

»Blödsinn«, sagte er dann, wie schon Hunderte von Malen. »Ammenmärchen.«

Er hatte das Wasser hier bereits als Kind getrunken, und er war gesünder als sie.

Er ging in die Hocke, um den Eimer ins Wasser zu drücken. Am Griff des Eimers war ein Seil befestigt, deshalb konnte er ihn versenken und sich mit Wasser füllen lassen, ehe er ihn wieder hochzog.

Aber der Eimer ließ sich nicht eintauchen. Etwas lag im Weg, genau unter der Wasseroberfläche. Etwas Großes. Schwarzes.

Ein sumpfiger Baumstamm vielleicht, dachte er.

So etwas trieb heutzutage nicht mehr oft im Wasser herum. In seiner Kindheit, als noch Holz den Fluss hinabgeflößt worden war, war das häufiger vorgekommen.

Er steckte die Hand in das eiskalte Wasser, um den Baumstamm weiterzuschieben. Der schien am Steg festzuhängen. Und es war kein Stamm. Es fühlte sich an wie Gummi oder etwas Ähnliches.

»Also was um alles in …«, sagte er und stellte den Eimer beiseite.

Er griff mit beiden Händen zu, versuchte, den Gegenstand zu fassen zu bekommen, aber seine Hände wurden im kalten Wasser taub. Dann bekam er ihren Arm zu fassen. Zog daran.

Ein Arm, dachte er träge.

Sein Kopf wollte nicht verstehen.

Ein Arm.

Dann tauchte ihr zerschundenes Gesicht im Wasserloch auf.

Er schrie auf und erhob sich eilig.

Im Wald antwortete ihm ein Rabe. Dessen Ruf zerfetzte die Stille. Ein paar andere Krähenvögel fielen ein.

Er rannte auf seine Hütte zu, glitt auf dem Eis aus, konnte sich aber auf den Beinen halten.

Er wählte eins eins zwo. Aber dann fiel ihm ein, dass er zum Abendessen drei Glas Wasser getrunken hatte. Und nach dem Essen hatte er Kaffee getrunken. Das Wasser hatte er aus dem Fluss geholt. Aus dem Loch im Eis. Und dort hatte der Leichnam gelegen. Sicher genau daneben. Dieses weiße zerschundene Gesicht. Die weggeschlissene Nase. Zähne in einem lippenlosen Mund.

Jetzt meldete sich jemand, aber er drückte das Gespräch weg und erbrach sich da und dort. Sein Körper warf alles aus, was er hatte, und machte noch eine ganze Weile weiter, als schon nichts mehr darin war.

Dann wählte er noch einmal eins eins zwo.

Nie wieder sollte er Wasser aus dem Fluss trinken. Und es sollte Jahre dauern, bis er nach der Sauna auch nur einen Schwimmzug machte.

ICH SEHE DEN Mann an, der mich gefunden hat. Er kotzt in den Neuschnee. Er wählt eins eins zwo und denkt, dass er nie wieder Wasser aus dem Fluss trinken wird.

Ich denke an den Tag, an dem ich gestorben bin.

Wir waren tot, Simon und ich. Ich stand auf dem Eis. Es war Abend. Die Sonne stand jetzt tiefer. Die Tür schwamm in Stücke zerschlagen im Eisloch. Ich sah, dass sie auf einer Seite grün, auf der anderen schwarz war.

Hinten am Ufer stand ein Mann und wühlte in unseren Rucksäcken.

Ein Rabe kam angeflogen. Er stieß seinen typischen Schrei aus, der klingt, als ob man mit einem Stock gegen eine leere Öltonne schlägt. Und landete dicht neben mir auf dem Eis. Drehte den Kopf von mir weg und sah mich auf Vogelart an. Von der Seite.

Ich muss nach Hause zu Anni, dachte ich.

Und ehe ich diesen Gedanken fertig gedacht hatte, war ich zu Hause, in Annis Haus.

Von dem Ortswechsel wurde mir schwindlig. Es war, wie von einem Karussell zu steigen.

Jetzt habe ich mich daran gewöhnt.

Anni rührte einen Pfannkuchenteig an. Saß auf dem Stuhl am Küchentisch und rührte mit dem Schneebesen.

Ich liebe Pfannkuchen.

Sie wusste nicht, dass ich tot war. Sie rührte und dachte an mich. Sie freute sich darauf, dass ich am Küchentisch sitzen und mit tüchtigem Appetit essen würde, während sie am Herd saß und die Pfannkuchen buk. Sie bedeckte die Teigschüssel mit einem Teller und stellte ihn zum Gehen auf die Seite. Ich kam nie zurück. Der Teig landete im Kühlschrank. Sie konnte ihn nicht verkommen lassen, buk am Ende doch die Pfannkuchen und fror sie ein. Sie liegen noch immer in der Tiefkühltruhe.

Jetzt bin ich gefunden worden. Jetzt darf sie weinen.

SCHNEE, DACHTE BEZIRKSSTAATSANWÄLTIN Rebecka Martinsson mit einem wohligen Schauer, als sie auf dem Hof in Kurravaara aus dem Auto stieg.

Es war sieben Uhr abends. Die Schneewolken am Himmel hüllten den Ort Kurravaara in ein behagliches Dunkel. Rebecka konnte kaum die Lichter der benachbarten Höfe erkennen. Und der Schnee fiel nicht. Nein, er stürzte herab. Trockene, weiche kalte Flocken kamen aus dem Himmel gerast, als ob sie dort oben jemand beim Putzen hinunterfegte.

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