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Felix Dahn (1834-1912) war ein deutscher Professor für Rechtswissenschaften, Schriftsteller und Historiker. Zwischen 1882 und 1901 verfaßte er die 13-bändige Serie »Kleine Romane aus der Völkerwanderung«, alle angesiedelt in den ersten Jahrhunderten nach Christus. „Bissula” ist der zweite Band der historischen Romane aus den Zeiten der Völkerwanderung.
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Felix Dahn
Bissula
A.D. 378
Warschau 2018
Inhalt
ERSTES BUCH
DIE FREIE
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
ZWEITES BUCH
DIE SKLAVIN
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
DRITTES BUCH
DIE FREIGELASSENE
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel
ERSTES BUCH
DIE FREIE
Erstes Kapitel
Wer einmal zu Friedrichshafen am schönen Bodensee an klarem Augustabend die Sonne prachtvoll versinken sah hinter den Buchenwipfeln von Manzell,—wer die Fluten des Sees und die schneeigen Häupter der Alpen vom Säntis bis zu den Allgäuer Bergen erglühen sah in purpurnem Licht, während die Glockentöne des Ave Maria leise hinzittern über Wald, Wiesgrund und Wasser,—der wird seiner Lebtage das friedevolle Bild dankbar tragen in seinen Gedanken. Dorthin führt uns die kleine Geschichte von der kleinen »Bissula«.—
Aber damals, im Jahre 378 unserer Zeitrechnung, sah es noch gar unwirtlich und oft auch unfriedlich aus auf dem ganzen Nordufer des »Venetus lacus« (Bodensee). Urwald und Ursumpf bedeckten die Niederungen: nur selten, spärlich verstreut, erhoben sich Ansiedelungen auf getrocknetem, gerodetem Bauland. Viel tiefer landeinwärts als heute erstreckte sich damals der See: und noch bedeutend weiter als der See ein feuchtes Mittelding von Seegebiet und Uferland, eine Art Grenzstrich zwischen Wasser und Wiese, der, den größten Teil des Jahres über von Sumpf überzogen, dem Wildschwan, dem Reiher und zahllosem kleineren Wassergevögel Zuflucht zugleich und Weide bot.
Dies Land war schon geraume Zeit im Besitz der Alamannen.
Auf dem Südufer des Sees aber behauptete sich noch die römische Macht: vor allem, um die wichtige Legionenstraße zu beherrschen, welche aus Gallien über Augst (Augusta Rauracorum) bei Basel, Windisch (Vindonissa) nach Arbon (Arbor felix), Bregenz (Brigantium) und von da weiter nach Osten führte, den Zusammenhang der westlichen und der östlichen Teile des Reiches aufrecht haltend und zumal die Bewegungen der Truppen erleichternd, die bald vom Rhein an die Donau eilen mußten, die Goten im Osten, bald von der Donau an den Rhein, die Franken am Niederlauf oder die Alamannen am Oberlauf dieses Stromes abzuwehren.
Auch für dieses Jahr schien eine solche Hilfeleistung notwendig zu werden:—diesmal in den Ostprovinzen, wo gotische Völker, zumal Westgoten, flüchtend vor den Hunnen, Aufnahme auf römischem Gebiet gefunden, aber, zur Verzweiflung gebracht durch die Mißhandlungen der römischen Statthalter, drohend die Waffen erhoben hatten. Der Imperator des Ostreichs, Valens, hoffte zwar, allein mit ihnen fertig zu werden: nur ungern hätte er den Ruhm des Sieges geteilt mit seinem jugendlichen Neffen und Mitkaiser Gratianus im Westreich. Gleichwohl hatte er diesen auffordern müssen, sich bereit zu halten, im Fall der Not die gallischen Legionen dem Oheim zu Hilfe in die Donaulande zu führen. Gratianus aber hatte erwogen, daß er Gallien und den Rhein nur dann verlassen könne, wenn er vorher durch einen Rachezug die Alamannen für die jüngsten Grenzverletzungen gestraft und wenigstens für einige Zeit von neuen Einbrüchen abgeschreckt hatte.
Zugleich wollte er für den Fall der Abberufung an die Donau wenigstens einen Teil des langen Weges frühzeitig zurückgelegt haben, um dem Oheim die etwa verlangte Hilfe rascher bringen zu können. So war er denn Ende Juli mit dem größten Teil der Truppen von seiner Residenz Trier aufgebrochen und über Zabern und Straßburg auf dem linken Rheinufer nach Augst bei Basel gezogen. Hier und in Windisch schlug er zwei Lager und behielt die Hauptmacht um sich geschart, mit Neugestaltung der Provinz beschäftigt und der Nachrichten von den Ostlanden gespannt gewärtig, während der Streifzug gegen die Alamannen auf dem nördlichen Ufer des Sees einer kleinen Abteilung übertragen ward, die, rascher beweglich, für die Märsche in Wald und Sumpf besser geeignet und jedenfalls für ihren Zweck völlig ausreichend schien. Denn das Unternehmen galt nur dem Linzgau (so benannt von dem Flüßchen, das heute noch Linz, häufiger »Ach« heißt), den »lentischen« Alamannen, die, auf dem West- und Nordufer des Sees heimisch, zuletzt im Frühling dieses Jahres die römischen Grenzlande beunruhigt hatten.
Erprobten Feldherrn war die Führung des Streifzugs anvertraut. Fußvolk, Reiter wurden ihnen nach eigner Auswahl zugeteilt; ein starker Troß sorgte für Nachführung der Lebensmittel und des übrigen Gepäcks; zusammen waren es wohl über dreitausend Mann. Nach alterprobter, sieghafter Römer-Feldherrnschaft,—die Eroberung fast der ganzen damals bekannten Erde war ihr Ergebnis gewesen—sollten, wie bei großen Kriegen, auch bei diesem kleinen Streifzug die Feinde von mehreren Seiten zugleich »wie mit der Zange gepackt werden«:—ein Lieblingsbild der römischen Kriegslitteratur.
Ein Teil der Truppen—so die gesamte Reiterei, mehrere Geschwader »Cataphraetarii«, »Panzerreiter«, die ganz in Schuppenpanzern staken, Kohorten der zweiundzwanzigsten Legion, ferner ausgezeichnete germanische Söldner, Bataver—sie galten als die vorzüglichsten aller Hilfsvölker—endlich erlesene Scharen der kaiserlichen Leibwachen zu Fuß, meist Illyrier und Thraker, sollten von Windisch aus nördlich ziehen, den Rhein überschreiten, auf der alten Straße nach Norden marschieren, von da sich aber plötzlich und überraschend nach Osten wenden, das Westende des Bodensees umgehen, so dessen Nordufer gewinnen, den ganzen Linzgau von Westen nach Osten durchdringen, hier, im Herzen der Feinde, an vorbestimmter Stelle, Halt machen und der zweiten Abteilung die Hand reichen. Diese zweite Schar sollte inzwischen auf der großen Süduferstraße von Windisch nach Arbon (Arbor felix) marschieren, sich hier einschiffen, den See in gerader Fahrt durchschneiden, auf dem Nordufer landen und nun den Linzgau von Osten nach Westen durchziehen, bis sie die erste Abteilung erreichte.
So sollte den Barbaren, unter Verwüstung ihres gesamten Baulandes, das Ausweichen nach Westen wie nach Osten gesperrt werden. Die etwa auf ihren Kähnen versuchte Flucht nach Süden, über den See, sollte ihnen die römische »Bodenseeflotte« abschneiden. Jahr für Jahr, zuletzt noch in diesem März, waren über deren Stärkebestand und Tüchtigkeit die glänzendsten Berichte nach Gallien gesendet worden. Und was nach solchem Treibjagen von zwei oder drei Seiten noch übrig war, sollte von den nun vereinigten Scharen, so weit möglich, in den unwirtlichen Nordwald getrieben und in die Donau geworfen werden. Als Ort des Zusammentreffens war beiden Scharen der hochragende Hügel bezeichnet, auf welchem, eine halbe Stunde nördlich von Friedrichshafen, heute die Kirche von Berg weithin die Niederung überschaut. Damals hieß er der »Idisenhang«, d. h. der Hügel der Waldgöttinnen. Die römischen Schiffe mußten, bei gerader Überfahrt von Arbon aus, ohnehin in der Bucht des heutigen Friedrichshafen landen. Für das Landheer hoffte man leidlichen Weg zu finden auf den Überresten einer alten Straße, die sich früher—in besseren Tagen Roms—auch auf dem Nordufer des Sees hingezogen hatte.
Zweites Kapitel.
Rasch, geschickt und glücklich hatten die kriegskundigen Führer die Ausführung ihrer Aufgaben eingeleitet. Arbor felix (Arbon), die wohlbefestigte Uferstation der großen Heerstraße, war zwar wiederholt von den Alamannen vom See her auf raschen Booten überfallen, geplündert und in Brand gesteckt, aber nie dauernd behauptet worden; sie liebten es nicht, sich in Städte zu setzen. Und vor wenigen Jahren hatte Valentinian, Gratians kriegsgewaltiger Vater und Vorgänger, das alte Mauerwerk wieder geflickt und verstärkt, die Besatzung vermehrt, Vorräte, zumal Getreide, in den Magazinen aufgehäuft, auch in dem bequemen Hafen eine Anzahl von Fahrzeugen bereit gestellt; zwar nicht so viele und so stattliche, als dereinst in stolzeren Zeiten die »venetische Flotte« gezählt hatte, aber doch hinreichend, den Barbaren den Angriff von der Seeseite her zu verleiden, ja sie ständig mit einer Landung auf dem Nordufer zu bedrohen. Der Führer der für diese Flotte jetzt bestimmten Abteilung, der Comes von Britannien, Nannienus, ein segelkundiger Bretone und vortrefflicher Offizier, hatte alsbald mit seiner Schar auf der guten Straße von Windisch her die Hafenfestung erreicht.
Viel länger brauchte die andere Abteilung, bis sie auf ihrem müheschweren Marsch, zuletzt nach Osten einschwenkend, das Seeufer wieder erreichte. Vorsicht war das wichtigste Gebot bei diesem Zug durch unwegsames Barbarenland: und an keiner Vorsichtsmaßregel ließen es die kriegsgeübten, besonnenen Führer fehlen. Eingeborne, ortvertraute Landeskinder dienten als Wegweiser; obwohl man nur römische Provinzialen des Südufers hierzu wählte, sicherte man sich doch sorgfältig gegen Verrat von ihrer Seite. Reiter, leichte keltische Bogenschützen, die »Keltae« und »Petulantes«, sowie die waldvertrauten, im Waldgefecht geübten Germanen,—die Bataver—bildeten die Vorhut wie den Nachtrab. In der Mitte marschirte das schwergerüstete Fußvolk der kaiserlichen Leibwachen, in »nach allen Seiten geschlossenem Zug«, Händler und Marketender, Gepäck, Lagerzeug und Vorräte umschützend. Man zog auf den Resten der alten Straße dahin, dem Ufer so nahe, als es der Sumpfboden irgend verstatten wollte, um sich den Ausblick auf den See stets frei zu halten, dorther von den Barbaren auf ihren Kähnen etwa versuchte Angriffe rechtzeitig zu entdecken und das jenseitige, das römische Ufer nicht aus dem Auge zu verlieren.
Die härteste Aufgabe fiel dabei dem linken Flügel zu, welcher, nördlich von der Mittelmacht und der alten Straße, auf einem erst durch Wald und Moor zu brechenden Pfade, entlang der Hauptschar marschieren und letztere decken sollte wider einen Flankenangriff der Feinde; denn, wenn diese aus den undurchdringlichen Waldverstecken plötzlich auf die im Marsch begriffene Kolonne vorstießen, konnte der ganze überraschte Heereszug durchbrochen und in Sumpf und See geworfen werden. Der Widerstand, den Wald und Moor dem Vormarsch leisteten, schien aber der einzige zu bleiben, auf welchen die Römer stoßen sollten. Denn nicht auf einen einzigen Menschen trafen diese, seit sie das Südufer des Sees und die Stationen der dortigen Straße verlassen hatten. Alamannische Dörfer gab es nicht in dieser Gegend: Hofsiedelung war herrschend in der Landschaft; stunden-, ja meilenweit lagen die Gehöfte, »die Schwaigen«, verstreut. Die wenigen Einödhöfe, die man auf dem mehrtägigen Marsch antraf, waren—verlassen. Eine unheimliche, drohendes Verderben brütende Stille schien über den leeren Holzbauten zu lagern.
Abgemäht waren überall—kurz vor der Vollreife—Hafer, Gerste und Spelt, zum Teil abgebrannt: das ging rascher, und dem Landfeind sollte das alamannische Getreide nicht einmal zum Pferdefutter dienen. Das Vieh war fortgetrieben; leer stand auch die Hütte des treuen »Hofwart«, des Haushundes, die selten fehlte neben dem Hofeingang; ausgeräumt waren die Vorräte von Heu und Stroh in den »Schupfen«, den Scheunen, die, meist mit dem Wohnhaus verbunden, manchmal aber auch neben demselben ausgezimmert waren.
In langsamem, häufig stockendem Zug, nur schwer vorwärts kommend, für die Verpflegung lediglich auf die von den Truppen oder die von den Händlern und deren Weibern mitgetragenen Vorräte angewiesen, jede Nacht vorsichtig ein wohl befestigt Lager schlagend, mühten sich die Römer mehrere Tage lang, vom Westende des Sees, wo er in dichtes, stundenbreites Röhricht und weithin im Winde wogende Schilfwiesen verlief, allmählich gegen Osten vor.
So war man an den Fuß der steil aufsteigenden Höhe gelangt, die heute das stattliche, weithin glänzende Schloß von Meersburg krönt. Es ging gegen den Abend des langen Augusttages, der vielfach regnicht, doch nicht ganz trüb gewesen war. Noch einmal brach die Sonne hell aus dem Westgewölk, die ganze Kette der Berghäupter von den Berner Alpen bis zu den Allgäuer Höhen vergoldend: der Säntis glühte in weinrotem Glanz, feierlich, wie ein König der Bergriesen, der seinen Purpurmantel um die stolzen Schultern gezogen hat.
Vorsichtig machte der Zug der Römer Halt an dem Fuß des sehr steilen Hügels, dessen Felsen gegen die Seeseite und gegen Westen schroff abfallen, während die Kuppe, damals dicht von Wald und Busch bestanden, dem Blick undurchdringbar, finster herniederdräute. Das Laub der Eichen und die Nadeln der Tannen waren naß geregnet und, wo die Sonne nicht darauf fiel, sah es dunkelgrün, fast schwärzlich aus.
Zwei Heerführer, deren hell im Abendschein leuchtende Rüstungen durch reichen Gold- und Silberschmuck hohen Rang bekundeten, ritten langsam gegen die Höhe an. Vor ihnen her schritt, rechts und links mit den Armen an die Steigbügel von je einem Panzerreiter gebunden, ein Wegweiser. Einige Pioniere mit Beil und Schaufel umgaben die beiden Führer, ein Häuflein batavischer Speerschützen folgte. Der eine der Offiziere, ein stattlicher Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, hielt nun den schweren, spanischen Rapphengst an und beugte das wohlgebildete, wettergebräunte Antlitz scharf auslugend vor. »Wenn ich je Germanen gekannt und bekämpft habe,« sprach er mit stark illyrischem Accent, »stecken sie dort oben, in jenem Buschwald, auf der Felskuppe, die sich selbst verteidigt.—Halt an, ich bitte sehr, Präfectus Prätorio von Gallien! Nicht weiter vor ohne Auskundschaftung!—Vorwärts, ihr wackern Bataver: Rignomer, nimm sechs Mann, und hinauf in das Gestrüpp! Aber Vorsicht! Und du, Brinno, Hornbläser, giebst sofort das Warnzeichen, trefft ihr auf den Feind.«
Während sein Befehl vollzogen ward, lächelte der andere, ältere Heerführer: »Allzu ängstlich, mein Saturninus! Immer zu behutsam.« »Man kann nicht zu behutsam sein gegenüber diesem Feind, mein hoher Freund. Hätten die Barbaren diesen von den Göttern ihres Landes selbst aufgebauten Schutzwall nicht besetzt, dann müßte sie jeder Mut des Widerstands verlassen haben.« »Und gewiß, er hat sie verlassen! Die Kriegslust ist ihnen gründlich ausgetrieben durch Valentinian, den großen Verewigten, und durch unsern jungen Heldenkaiser, seinen Sohn:—meinen Zögling!« fügte er selbstgefällig bei. »Ich bin überzeugt, die ganze Germanengefahr ist für das Reich vorüber.«
Schweigend schüttelte der andere das Haupt. Da sprengte von der Mitte des Römerzuges ein Befehlshaber der Panzerreiter, ein Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, heran. Aus dem Helm starrte struppiges Haar hervor und häßlich waren die unedeln Züge. »Müssen wir über diesen götterverhaßten Felsen, Tribunus?« rief er, das Pferd kurz parierend. »Wir müssen,« erwiderte ruhig der Illyrier. »Soeben ward mir gemeldet, unsere linke Flankenschar hat wieder einmal den Wald grundlos versumpft gefunden und sich auf diese—unsere einzige—Straße heranziehen müssen. Und zur Rechten rauscht der See!« Der Häßliche warf einen bedenklichen Blick auf die Felshöhe. »Hm,« meinte er, »wird viele Leute kosten. Ist aber kein Unglück.« fuhr er fort, »wir haben Barbaren übergenug in Sold, fallen sie gegen andere Barbaren—immer sind’s soviel Bestien weniger.« »Wie abscheulich, Neffe Herculanus,« verwies der Präfectus Prätorio. »Wird der Aufstieg verteidigt,« fiel der Tribunus ein, »kostet er viele Zeit. Und Zeit haben wir gar nicht zu verlieren. Wir sollten schon längst am Ister stehen, die Goten abzuwehren. Mir bangt um Kaiser Valens. Übles ahn’ ich!« »Immer ahnst du Übles,« lächelte der Ältere, der Präfectus Prätorio, »und nie trifft das Üble ein: immer siegt das Glück der ewigen Roma! Horch, auch diesmal. Der Hornbläser giebt das Zeichen: »»Alles sicher! Vorrücken!«« Und der Centurio der Bataver, der zuerst die Höhe erklommen,—wie heißt er doch?—Rignomer: er winkt uns, ihm zu folgen. Hinauf, ihr Freunde! Hatte ich nun nicht Recht, mein tapferer Tribun? Die Barbaren geben den Widerstand auf.«—»Recht hast du, wie immer, Oheim!« meinte der junge Offizier mit einem Lächeln, das freundlich sein sollte, aber häßlich ausfiel. »Wenn du nur Recht behältst, Ausonius!« sprach der Illyrier zögernd. »Aber für den Augenblick scheint es wirklich so. Auf, Tubabläser, gebt die Zeichen: »»Der ganze Zug: vorwärts!«« Wir schlagen das Nachtlager auf jener Höhe und wehrlos vor uns liegt das Land der Alamannen.«
Drittes Kapitel.
Unter den Römern war, wie wir sahen, nicht bekannt geworden, ob die Barbaren Witterung hatten von den Vernichtung drohenden Streichen, die von mehreren Seiten zugleich gegen das Waldvolk geführt werden sollten. Die Vorbereitungen waren so geheim betrieben worden, daß den Feldherren völlige Überraschung der Feinde erreichbar schien. Seit Wochen schon durfte kein Germane mehr die äußerste Postenlinie überschreiten des »limes«, des—jetzigen—römischen Grenzhags: er war freilich sehr weit zurückverlegt worden im Lauf der letzten drei, vier Menschenalter.—Das Recht des Marktverkehrs in den Stationen auf dem südlichen Ufer war ihnen schon länger entzogen wegen angeblicher Verletzungen der Bedingungen solchen Verkehrs. Die römischen Händler aber wagten sich seitdem auch nicht mehr in das Gebiet der über solche Strenge erbitterten Nachbarn. Die Grenzwachen meldeten, daß man von den Warttürmen aus irgend Auffälliges bei den Barbaren wahrzunehmen nicht vermöge. In gewohnter Weise gingen die Leute da drüben ihrer Arbeit in Feld und Wald, dem Weiden ihrer zahlreichen Herden, manche der Jagd oder dem Fischfang im See nach; sie schienen weder an Gegenwehr noch an Flucht zu denken.
Einmal zwar ward von einer der »speculae« aus berichtet, tief in der Nacht sei auf einem fernen, wohl mehrere Stunden weit vom See entfernten Berg plötzlich ein Feuer aufgeflammt und nach kurzer Frist ebenso plötzlich wieder erloschen. Der »Weihberg«, das heißt: »der heilige Berg«, auch »Wodansberg«, hieß den Alamannen jene hochragende, weithin sichtbare Kuppe, und der Name hat zähe gehaftet. Später freilich galt die »Weihe« einem christlichen Weihtum: aber heute noch führt den Namen »Heiligenberg« ein stattlich Schloß auf jener herrlichen Höhe. An der Stelle, wo damals Wodans Eschen gerauscht, säuselt jetzt der Wind über die Blumenbeete eines wunderschönen Gartens.—
Die Meldung war nicht aufgefallen. Waldbrand, auch zur Nacht, war nicht selten bei dem Rodungswerk der Alamannen, die oft statt der Axt die raschere Flamme zur Arbeit riefen. Auch war in den nächsten Tagen alles ruhig geblieben am Grenzhag.———
An dem Morgen nach jener Nacht—es war wenige Tage vor dem eben geschilderten Einmarsch der Römer über die Höhe von Meersburg—schritt von dem dichten, meilenweiten Gehölz, das sich vom See nordwestlich gegen den »Weihberg« zog, in die Lichtung heraus ein Jüngling: hochragend, schlank, wie eine Edeltanne aufgeschossen. Die zurückgeworfene Kapuze des Luchsfelles, das als ein kurzer Mantel von seinen Schultern flatterte, hinderte nicht das lange, dunkelblonde Haar, das in breiter Woge auf die Schultern wallte; der Morgenwind spielte kosend darin, wie der Wanderer Halt machte auf einem niedern Rasenhügel, der den Blick über den Seespiegel gewährte. Den schwungkräftigen Schritt hemmend, den rechten Arm um den Eichenschaft des Speeres geschlungen, neigte er sich leise vornüber: mit der linken Hand die blendende Spiegelung der Sonne auf der glatten Fläche ausschließend, spähte er angestrengt über die Flut hin nach dem Südufer. Der Blick war adlerhaft: denn er war stolz und kühn und scharf, und die Farbe des Auges war ein helles Goldbraun.—
Hell glänzten von drüben, von Arbon und den anderen Stationen, wie Constantia (Konstanz), die römischen Warttürme und Hafenburgen herüber mit ihrem roten Ziegelbau. Alles lag in tiefster Ruhe. Kein Segel, kein Ruderboot war zu sehen: ungestört zog ein mächtiger Weih, mit seltnem Flügelschlag, seine stolzen Kreise über dem Seicht der Ufergewässer.—Befriedigt wandte der Alamanne nun den Blick auf die vor ihm liegende sanfte Höhe, die heute, nordwestlich von Friedrichshafen, das Dorf Jettenhausen trägt. Schon damals war das Land daselbst gerodet und unter den Pflug genommen. Auf der Krone der Anhöhe ragte eine stattliche Holzhalle, von wehrhaftem brusthohem Pfahlzaunwert umgürtet; ein stolzes Hirschgeweih prangte—als Hauszeichen—an dem Firstbalken. Von der Herrenhalle selbst und von einem der kleinen Nebengebäude stieg kreiselnder Rauch aus den Luken der Balkendächer; die Leute rüsteten wohl das Frühmahl. Es schien, als ob der Jüngling nach Süden, in der Richtung der vornehmen Halle, auf der sein Blick mit Stolz, aber auch mit fast wehmutvollem Ernst geruht hatte, herniedersteigen wollte. Aber plötzlich wandte er sich: »Nein!« sprach er zu sich selbst, »zuerst—zu ihr!« Und nun eilte er geradeaus nach Osten, durch den damals völlig morastigen Tann, der heute noch der »Seewald« heißt. Er durchschnitt ihn in der Richtung nach dem Tettnanger Forst. Gar oft mußte er vorsichtig den Sprung von Stein zu Stein, oder von einem Mooshügel zum andern abmessen, nicht in den gürteltiefen Sumpf einzusinken. Aber der Jüngling schien ihn trefflich zu kennen, den kaum wahrnehmbaren, viel unterbrochenen Gangsteig, der sich bald als Furt, bald als Brücke durch den Moorgrund und das dichte Gestrüpp hinzog.—Über einen ziemlich breiten Bach, der durch Moos und Röhricht dem See zueilte, schwang er sich in hohem Sprung auf seinem Speerschaft—hell gackernd flog das Moorhuhn auf, das er emporgescheucht—und nun sah er bald vor sich liegen die seiner stolzen Halle—denn er war der Herr und Eigner jenes hochragenden Edelhofs—nächste Siedelung; weiter als eine Stunde wohnte damals hier Nachbar von Nachbar entfernt; erst in den folgenden Geschlechtern erwuchsen die Einödhofe am See allmählich zu Dörfern.—
Das Häuslein im Walde—fast mochte man es Hütte nennen—duckte sich bescheiden an den Fuß eines sanften Bühls, der es vor dem Nordostwind barg. Dunkelgrünes Moos hatte das alte Dach überzogen. Der schmale Stallraum für wenige Häupter Vieh war mit dem Wohnhaus zusammengebaut. Doch war alles sauber und wohl gehalten, zumal der kleine Anger, auf dessen umzäuntem Wiesboden ein paar Obstbäume standen. Und gar seltsam berührten in dieser Wildnis das Auge einige römische oder doch südgallische Ziersträucher: Taxus und—sorglich gepflegt—edle Rosen.—Über die Stirn des Firstbalkens ragte, ungefüg aus Tannenholz geschnitzt, aber doch unverkennbar, das Bild eines vierzackigen Sternes. Es war dadurch nicht eben schöner geworden, daß man die weiße Fläche, offenbar erst kürzlich, grellrot angestrichen hatte mit dem Mennig, dessen man sich zur Färbung der eingeritzten Hausmarke zu bedienen pflegte. Der Wanderer warf unwillkürlich, sowie er des Häusleins ansichtig ward, den ersten Blick auf das Dachzeichen; da er den roten Anstrich gewahrte, zog ein Lächeln über seinen feingeschnittenen, vom weichen Flaumbarte nicht ganz bedeckten Mund. Der zweite Blick aber suchte den Scheitel jenes niedrigen Bühls, wo eine uralte Eiche, jetzt vom goldnen Sommersonnenschein hell beleuchtet, die knorrigen Äste leis im Morgenwinde wiegte; lange, von den Zweigen herabhängende Flechten von Waldbart wogten und schwankten daran hin und her.—Um den Stamm der Eiche war eine ihn ganz umgürtende Rundbank gezimmert; auf der Südseite hatte man ein paar Felssteine zu einer Art Tisch zusammengefügt.
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