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Dieses E-Book entspricht 208 Taschenbuchseiten ... Die biedere, zurückhaltende und grüblerische Audrey lernt durch ihre sexuell äußerst aufgeschlossene Freundin Vicky den Künstler Damon kennen. Sie ist sowohl von ihm als auch von seinen BDSM-Gemälden fasziniert und fühlt sich auf düstere Weise zu ihm hingezogen. Als Kopfmensch ist Audrey jedoch hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich auf den mysteriösen Mann einzulassen, und der Angst davor. Auf subtile Weise führt Damon Audrey immer tiefer in die Welt der lustvollen, bittersüßen Qualen ein. Je mehr sich Audrey dagegen sträubt, desto deutlicher erkennt sie, dass sie sich insgeheim danach sehnt, sich ihm vollkommen zu unterwerfen. Wenn nur ihre ewigen Grübeleien nicht wären! Diese werden jedoch durch Damons dunkle und rätselhafte Vergangenheit noch mehr angestachelt ... Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 289
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Impressum:
Bittersüße Qualen | Erotischer SM-Roman
von Emily Bale
Emily Bale wurde 1967 in der englischen Grafschaft Somerset geboren und studierte in London, wo sie erstmals mit BDSM in Kontakt kam und sich ihr Studium zeitweise als Domina finanzierte. Beeinflusst von dieser Tätigkeit sowie von der Lektüre diverser Bücher, die sich der dunklen Seite der Lust widmen, begann sie während dieser Zeit, selbst zu schreiben, und veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen mehrere SM-Romane, von denen zwei Frühwerke heute als Sammlerstücke gehandelt werden. Die promovierte Psychologin und Forensikerin lebt heute im Westen von Irland, ist verheiratet und Mutter zweier inzwischen erwachsener Töchter. Entsprechend Nietzsches Zitat, dass der Abgrund, in den man blickt, irgendwann in einen zurückblickt, verabschiedete sich Emily Bale 2014 endgültig aus der Psychologie und der Forensik. Seitdem arbeitet sie ausschließlich als Autorin und blickt dabei gern in andere, sehr viel lustvollere Abgründe.
Lektorat: Jasmin Ferber
Originalausgabe
© 2020 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: Guryanov Andrey @ shutterstock.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783964778444
www.blue-panther-books.de
EINS
Vicky lässt nicht locker. Sie als beharrlich zu bezeichnen, wäre die Untertreibung par excellence. Nein, Vicky ist die Erfinderin der Sturheit … und ich kann ihr absolut nichts entgegensetzen.
»Na komm schon, Audrey, du musst mal wieder unter Menschen und auf andere Gedanken kommen«, redet sie auf mich ein.
»Ein andermal, Vicky.« Ich stöhne und verdrehe dabei entnervt die Augen, was meine Freundin jedoch zum Lachen bringt. Sie sagt immer, sie findet es süß, wenn ich das mache. Süß? Manchmal sagt sie das so, als würde eine ganze Menge mehr hinter diesem Wort stecken. Ich kenne Vicky schon so lange und bin trotzdem nicht ganz sicher, ob sie nicht vielleicht doch ausschließlich auf Frauen steht. Aus der Tatsache, dass sie bisexuell ist, macht sie zumindest keinen Hehl.
»Was hast du denn so Wichtiges vor?«, will sie wissen.
»Ich muss, also, du weißt schon …« Auf die Schnelle fällt mir keine hieb- und stichfeste Ausrede ein. Ich muss Zeit gewinnen, um mir etwas auszudenken. »Nein, ich weiß es nicht.«
Sie lächelt mich frech an. »Sag‘s mir!«
»Also, ich habe diese Deadline und muss das Manuskript zu Ende lektorieren«, seufze ich. »Das ist ein sehr komplexer Text, der mir enorme Schwierigkeiten macht.«
Vicky schaut mich an, lächelt und nickt, während sie ihr Mineralwasser durch einen Strohhalm saugt. Sie glaubt mir ganz eindeutig kein Wort.
»Worum geht’s denn in dem Buch?«, fragt sie. Sie weiß genau, dass sie mich damit noch weiter in die Enge treibt – und es gefällt ihr. Ich habe allerdings aus dem Stegreif keine Inhaltsangabe für ein extrem schwer zu lektorierendes Manuskript parat.
»Na ja, das ist schwer zu erklären und eine lange Geschichte.«
»Ich habe Zeit.« Wieder nuckelt sie an ihrem Strohhalm, und ich verstehe durchaus, dass sie mit dieser Masche einige Männer verrückt machen kann, die dabei natürlich sofort an etwas anderes denken. »Schieß los!«
Vicky macht sich einen Spaß daraus, ihr Spielchen mit mir zu treiben. Sie weiß genau, dass sie früher oder später gewinnen wird – entweder weil sie mich überzeugt oder weil ich entnervt aufgebe. Die Tendenz geht zu Letzterem.
»Wir können das Ganze auch abkürzen«, sagt sie schließlich und zuckt die Schultern. »Du kommst einfach mit.«
»Was soll ich denn auf einer Vernissage, Vicky? Da kenne ich doch niemanden.«
»Bin ich niemand?«, erwidert sie kichernd. »Und außerdem wirst du dort Leute kennenlernen. Darum geht’s doch!«
»Aber ich habe keine Ahnung von Malerei, und wenn mich jemand fragt, wie ich die Bilder aus künstlerischer Perspektive betrachte …«
Ich wage nicht weiterzusprechen. Vor meinem geistigen Augen tauchen feine, elegante Leute auf, die teuren Champagner schlürfen und über die ausgestellten Bilder dieses neuen Sterns am Himmel der modernen Malerei diskutieren, während ich nur nicken und »Äh, ja« sagen kann. Nein, dort wäre ich völlig fehl am Platz!
»Unsinn, das wird lustig!« Vicky lässt wirklich keines meiner Argumente gelten. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu dieser Vernissage mitzunehmen, und sie wird um nichts auf der Welt klein beigeben. »Außerdem können wir uns dort herrlich betrinken, und vielleicht schleppst du einen süßen Künstler ab.«
»Vicky, ich …«
»Was denn? Es wird Zeit, dass du mal wieder einen Kerl in dein Bett und zwischen die Beine bekommst, sonst vertrocknest du noch.«
Ich schüttle energisch den Kopf. Zwar bin ich es gewohnt, dass Vicky sehr direkt ist und kein Blatt vor den Mund nimmt, aber gerade geht sie für meinen Geschmack ein bisschen zu weit.
»Ich will weder einen Mann noch Sex«, widerspreche ich ihr mit einem sehr gereizten Unterton in der Stimme. Vicky verdreht wieder auf ihre unnachahmliche Weise die Augen.
»Meine Güte, alles nur wegen Roger!« Jetzt ist sie an der Reihe, den Kopf zu schütteln. »Vergiss ihn! Er hat dich nach Strich und Faden betrogen und dir dann auch noch den Laufpass gegeben, und das wegen Göre Gina, die ihr Hirn in ihren Silikontitten aufbewahrt.«
Ich muss lachen; ich kann nicht anders. Manchmal schießt Vicky mit ihren Monologen einfach den Vogel ab. Dann kann ich ihr partout nicht böse sein. Schon gar nicht, wenn sie so wie jetzt ihren Arm um mich legt und mich an sich drückt.
»Du hast Roger lange genug nachgetrauert und dich verkrochen«, sagt sie tröstend und mitfühlend. Sie ist meine beste Freundin, und sie weiß genau, wie ich mich fühle. »Das ist dieser Kerl nicht wert. Es ist längst Zeit, dass du wieder mal lebst.« Wieder saugt sie an ihrem Strohhalm und knabbert daran herum. »Und heute Abend fängst du damit an, okay?«
»Nun, ich denke …«, beginne ich, doch Vicky lässt mich nicht ausreden.
»Genau das ist dein Problem!«, unterbricht sie mich. »Du denkst zu viel, du grübelst, du analysierst, du wägst ab … statt einfach mal etwas zu tun und dich gehen zu lassen!«
Sie hat ja recht. Ich kann ihr nicht einmal widersprechen. Schließlich stimme ich zu. Die Klügere gibt bekanntlich nach. Okay, dann gehe ich eben mit ihr zu dieser Vernissage. Vielleicht wird es ja wirklich ganz lustig.
»Und ich habe so ein Gefühl, als würde sich dein ganzes Leben heute Abend komplett ändern, Audrey«, murmelt Vicky verheißungsvoll. Aber das halte ich für arg dick aufgetragen.
ZWEI
»Zieh dir etwas an, das potenzielle Lover nicht gleich an innere Werte denken lässt«, hat Vicky gesagt. Ich habe nicht sofort verstanden, was sie damit meinte. Daraufhin hat sie mir grinsend erklärt: »Mit inneren Werten kann niemand ficken!«
Das allerdings habe ich verstanden, und sie hat recht. Ich neige dazu, mich eher dezent zu kleiden – fast so, als wollte ich mich unsichtbar machen. Bloß nicht auffallen! Lektorinnen gelten ja ohnehin nicht als besonders sexy, und ich schaffe es immer, mit meinen Outfits den Beweis für diese These zu liefern. Heute soll ich mich ein bisschen in Schale werfen und mich in einen Hingucker verwandeln, wie Vicky gesagt hat. Wenn ich sie beim Wort nähme, würde ich mich wie eine Bordsteinschwalbe aufbrezeln und mich den ganzen Abend über sehr unwohl fühlen.
Ich entscheide mich also für eine sehr elegante schwarze Bundfaltenhose, eine todschicke weiße Bluse, die ich bisher erst zweimal getragen habe, und für einen schwarzen Blazer, der meine schlanke Figur wunderbar betont. Mit schwarzen Pumps runde ich die Optik ab und bin durchaus zufrieden mit dem, was ich im Spiegel sehe. Schwarz ist doch ohnehin die Standardfarbe im Dresscode der Künstler und ihrer Bewunderer. Ich bin sicher, eine gute Wahl getroffen zu haben, und um auch Vicky zufriedenzustellen, öffne ich auch noch den dritten Knopf meiner Bluse und fühle mich dabei sogar ein kleines bisschen verrucht.
Vicky ist allerdings ganz anderer Ansicht. Als ich sie abholen will, schüttelt sie schon den Kopf, während ich noch in ihrer Wohnungstür stehe.
»Das geht ja mal überhaupt nicht«, sagt sie, fasst mich am Handgelenk und zieht mich in ihre Wohnung hinein. »Ich habe doch gesagt, du sollst dich sexy herausputzen.«
»Aber das ist doch sexy!«, widerspreche ich ihr und bin davon überzeugt, dass ich recht habe. Vicky schüttelt allerdings schon wieder den Kopf; diesmal um einiges energischer.
»Zum Glück haben wir die gleiche Größe!« Sie klingt, als würde sie mit diesen Worten ein Dankgebet zum Himmel schicken. »Wir finden schon etwas für dich.«
Im Nu stehe ich in ihrem Schlafzimmer und bin bereits halb entkleidet, bevor ich auch nur ansatzweise widersprechen kann. Ich mag mich täuschen, aber ich habe das Gefühl, es gefällt Vicky, mich auszuziehen. Wir sind schon seit Jahren beste Freundinnen und Kolleginnen, aber ich bin mir im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung nie ganz sicher. Vielleicht liege ich mit meinem Verdacht, dass sie ausschließlich auf Frauen steht, doch nicht ganz falsch.
»Hier, probier das mal an, und das … und das hier passt auch dazu.« Sie reicht mir Kleidungsstücke, die ich mir niemals kaufen würde – aber ihr Schrank ist voll davon.
»Was ist denn falsch an meinem Outfit?«, versuche ich einen letzten, wenn auch aussichtslosen, Protest.
»Na, du hättest genauso gut ein Schild mit der Aufschrift Ich bin Lektorin und rede sehr gern mit Männern über Bücher tragen können.« Mit einem Kichern reicht sie mir ein Top, das wohl kaum irgendetwas verbergen kann. »Vertrau mir, Audrey. Ich bin im Marketing, und ich weiß, wie ich dich an den Mann bringen kann.«
»Aber …«
»Die Verpackung macht’s … hier, probier das mal!«
Vicky vollführt an mir geradezu eine kunstvolle Runderneuerung, bei der ich allerdings nicht so recht weiß, was ich davon halten soll. Aber als ich sehe, was mir nun aus dem Spiegel entgegenblickt, verschlägt es mir schier den Atem. Noch nie zuvor in meinem ganzen Leben habe ich so sexy ausgesehen – und noch nie zuvor habe ich mich so unwiderstehlich gefühlt.
Meine beste Freundin hat mich in ein schwarzes Top gesteckt, das mich wie eine zweite Haut einhüllt. Dazu ein schwarzer Ledermini, der zwar etwas Retro wirkt, aber meinen Po und meine Beine, die nun von halterlosen schwarzen Nahtstrümpfen verziert werden, voll zur Geltung bringt. Die glänzenden schwarzen Overknee-Stiefel mit den hohen, dünnen Absätzen lassen mich ein wenig wie eine Domina aussehen.
»Na, wie findest du es?«, will Vicky wissen, die ihrerseits recht ähnlich gekleidet ist. »Sieht geil aus, oder?«
»Ja, schon, aber …«
»Was aber?«
»Ich fürchte, wir können da draußen keine zehn Meter weit gehen, ohne dass uns einer fragt, was die Stunde mit uns kostet.«
Vicky bricht in schallendes Gelächter aus, nennt mich wieder einmal süß und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
»Wäre das so schlecht?«, meint sie und grinst mich schelmisch an. »Wir könnten ein Vermögen verdienen, so ganz nebenbei und steuerfrei.« Sie klimpert mit ihren Wimpern und zeigt mir einen Augenaufschlag, der sicherlich jeden Mann den Verstand verlieren lässt. »Blasen kostet fünfzig. Na, wie wär’s?« Sie lacht schallend. »Witzig, oder?«
»Ich weiß nicht«, murmle ich und betrachte mich noch einmal im großen Spiegel. Ich sehe so toll aus, zugegeben. Aber genau das macht mir ein mulmiges Gefühl …
»Du hast Angst vor der eigenen Courage, meine Süße«, sagt Vicky und gibt mir einen weiteren Kuss. »Los, verdrehen wir ein paar Köpfe! Das macht Spaß!«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufze ich unsicher.
DREI
Meine Befürchtung, bei der Vernissage von allen Gästen angestarrt zu werden, bewahrheitet sich nicht. Ich falle kaum auf, eher im Gegenteil: Im Vergleich zu einigen anderen weiblichen Gästen bin ich geradezu bieder und harmlos gekleidet.
»Hier, trink ein bisschen Champagner«, sagt Vicky und drückt mir ein Glas in die Hand. »Das macht dich locker. Außerdem kostet es uns nichts.« Sie kichert sehr albern. Mir scheint, als hätte sie schon an einigen Gläsern genippt.
Ich nehme auch ein paar Schlucke. Immerhin sehe ich dadurch irgendwie beschäftigt aus und wirke nicht völlig fehl am Platz. Vicky kennt offenbar viele der Besucherinnen und Besucher. Ständig gibt sie Küsschen links, Küsschen rechts und quietscht geradezu vor Freude, diesen Mann oder jene Frau zu treffen.
Nun, wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir auch die Bilder ansehen, denke ich mir und schlendere langsam an den Wänden entlang und betrachte die Werke. Es sind sehr seltsame Gemälde, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Manche der Bilder, die eigentlich eher wie Fotos aussehen, machen mir ein wenig Angst; andere verursachen mir zumindest ein merkwürdiges Kribbeln und eine innere Unruhe.
Der Maler, der in Künstlerkreisen wohl hoch angesehen ist, hat sich auf Bilder von Frauen spezialisiert, die gequält werden und leiden – und die beides auf sonderbare Art und Weise genießen.
In einem der Gemälde windet sich eine fast engelhaft hübsche junge Frau mit blonder Lockenpracht lüstern in Fesseln, die ihr kunstvoll angelegt wurden und die ihr nicht die geringste Bewegungsfreiheit lassen. Schon der Anblick dieser Fesselung lässt mich ahnen, welche Qual es sein muss, derart verschnürt zu sein. Doch die blonde Schönheit scheint große Freude am Leiden zu haben. Sie sieht jedenfalls sehr glücklich aus.
Von einer anderen Frau sieht man nur den nackten Po und die schönen langen Beine, die mittels einer Stange, die mit ledernen Manschetten an ihren Knöcheln befestigt ist, weit auseinandergedrückt werden. Dass die Dame dabei auf High Heels mit sehr hohen und dünnen Absätzen stehen muss, macht das Verharren in dieser Position sicherlich nicht gerade angenehmer. Doch vielleicht wird ihr die Unbequemlichkeit ihrer erzwungenen Haltung ein wenig durch die männliche Hand versüßt, die sich vom Bildrand aus ihrem Geschlecht nähert …
Meine erste Reaktion auf diese Bilder ist eine gewisse Abscheu. Die dargestellten Szenen verursachen mir ein Unwohlsein, doch zugleich sind sie so faszinierend, dass ich den Blick nicht abwenden kann. Etwas in mir findet Gefallen an diesem ganz speziellen Dunklen und Düsteren, das in den Kunstwerken zum Ausdruck kommt … Es ist wie bei der Arbeit, wenn ich ein Manuskript lektoriere, das mich packt und etwas in mir berührt.
Ich halte mich an meinem Champagnerglas fest, nehme hin und wieder einen Schluck und versuche, unsichtbar zu sein. Gleichzeitig bemühe ich mich, verstohlen die anderen Gäste zu beobachten. Wie reagieren sie auf diese sonderbaren Gemälde? Wie wirken die Bilder auf sie? Interessanterweise scheint all das, was hier gezeigt wird, für sie völlig normal und keineswegs beunruhigend zu sein.
Mein Blick fällt auf die Darstellung einer jungen Frau, deren beneidenswert perfekt geformter Körper in all seiner Nacktheit gezeigt wird. Während ihr Gesicht durch eine schwarze Ledermaske verhüllt ist, muss die Schöne auf Zehenspitzen stehen, denn ihre Arme sind über ihrem Kopf in die Höhe gestreckt, und das Seil, mit dem ihre Handgelenke gefesselt sind und nach oben gezogen werden, verschwindet außerhalb des Bildes.
Etwas an diesem Gemälde ist seltsam. Etwas daran macht mich nervös, doch ich kann nicht sagen, was es ist. Das Bild ist in keiner Weise beklemmender als die anderen, die lustvolles Leiden und bittersüße Qualen so gefühlvoll in Szene setzen – und doch ist hier etwas anders …
»Interessant, nicht wahr?«
Ich zucke beim Klang der Stimme hinter mir vor Schreck zusammen und lasse beinahe mein Champagnerglas fallen. Ein leiser Aufschrei dringt aus meiner Kehle.
»Oh, Pardon, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Die Stimme wirkt düster, doch sie klingt so samtig und angenehm, dass sie mir eine Gänsehaut verursacht. Ich drehe mich zum Sprecher um und blicke in die unbeschreiblich schönen, dunklen Augen eines Mannes, der so gut aussieht, dass man es ihm verbieten müsste.
»Oh, ich … äh … nein, alles gut«, stammle ich so unbeholfen wie ein junges Mauerblümchen, das zum ersten Mal von einem Jungen angesprochen wird. Na prima, denke ich mir, da spricht mich einmal ein Mann an, und ich mache gleich einen wunderbar eloquenten Eindruck!
Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Mann mich nun für komplett verrückt hält und sich rasch abwendet, weil er irgendwo da drüben jemanden entdeckt hat, dem er unbedingt rasch Hallo sagen muss. Überraschenderweise tut er das nicht. Stattdessen schenkt er mir ein Lächeln, das mich bis in meine Träume verfolgen wird.
»Mögen Sie Fesseln?«, fragt er mich so direkt, dass es mir den Atem verschlägt. Es wäre theoretisch der richtige Moment, um ihn zu fragen, was er sich denn erlaube, doch er stellt seine Frage mit so viel Charme, dass ich nicht einmal daran denken kann, empört zu sein.
»Nun, also, ich … na ja, ich weiß nicht …«
Wo ist eigentlich Vicky, wenn ich sie wirklich mal brauche? Sie könnte mir jetzt eigentlich mal zur Seite stehen und die Situation retten, bevor ich mich lächerlich machen und alles restlos vermasseln kann.
Mein Gegenüber lächelt milde und verständnisvoll. Wahrscheinlich bin ich weder die Erste noch die Einzige, die in seiner Gegenwart ein wenig die Fassung verliert. Wenn ich es nicht wüsste, dass Zauberei ins Reich der Fantasie gehört, würde ich sagen, von ihm geht eine Art Magie aus, der ich mich nicht entziehen kann.
»Sie sind noch nie gefesselt worden, nicht wahr?«
Er stellt diese Frage mit einem dezenten Lächeln, jedoch ohne den spöttischen Unterton, den man darin vermuten könnte. Ich schüttle so langsam und elegant wie möglich den Kopf, um dem schönen Herrn weiteres Gestammel meinerseits zu ersparen.
»Dann haben Sie noch nicht gespürt, welche Lust darin liegt, völlig ausgeliefert und wehrlos zu sein?«
Die Ruhe und Gelassenheit in seiner Stimme erinnert mich an die Meditations-CDs, die ich vor einiger Zeit häufig angehört habe, um mein Selbstbewusstsein ein wenig zu stärken. Obwohl er Dinge sagt, die mir eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben müssten, will ich mich doch im sanften Fluss seiner Worte treiben lassen.
»Nein!«
Gut, zumindest ein einziges Wort habe ich ohne Stottern und Stammeln herausgebracht. Ich lächle und schaue mich dabei vorsichtig um, wo denn wohl Vicky ist. Ich entdecke sie in einer anderen Ecke des Raumes, wo sie sich mit einem Pärchen – Mann und Frau – so intensiv unterhält, dass mir klar ist, dass das Gespräch sehr bald in nonverbale Kommunikation und »Körpersprache« übergehen wird. Auf Vicky kann ich jetzt nicht zählen. Ich muss es allein schaffen, diesen geheimnisvollen Mann nicht zu vergraulen oder gar in die Flucht zu schlagen.
»Sie sollten es versuchen«, sagt er. Seine Stimme und seine Worte fühlen sich an wie eine warme Umarmung, in die ich mich fallen lassen kann wie in weiche Kissen. »Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, sehnen Sie sich danach.«
Was passiert hier? Was soll das? Hypnotisiert er mich etwa gerade? Ich bin noch nie hypnotisiert worden, aber ich kann mir vorstellen, dass es sich genau so anfühlt.
»Ich glaube nicht«, sage ich und schüttle den Kopf. Der Bann ist gebrochen. Noch immer hat dieser Mann eine faszinierende und geheimnisvolle Ausstrahlung, doch ich bin nicht mehr in der Versuchung, mich vor ihm niederzuknien. Aber ich bin schließlich wohlerzogen und will nicht unhöflich sein.
»Audrey Wilcore«, stelle ich mich vor, um das Thema zu wechseln, und reiche ihm die Hand. Er lächelt mich an. Obwohl es nur Sekunden sind, kommt es mir vor, als würden Minuten vergehen, ohne dass er etwas anderes tut, als mich lächelnd anzuschauen.
»Sehr erfreut«, sagt er schließlich, nimmt meine Hand und führt sie mit der vollendeten Bewegung eines klassischen Gentleman zum Mund, um sie zu küssen, bevor er sich als Damon Reed vorstellt.
»Damon Reed?« Ich lege die Stirn in Falten. »Ihr Name kommt mir bekannt vor. Sind Sie auch in der Verlagsbranche tätig?«
Er lacht, und es klingt wie Musik. Meine Frage amüsiert ihn offenbar, doch er gibt mir nicht das Gefühl, dass er mich auslacht – obwohl ich das verdiene, wie mir im nächsten Augenblick klar wird.
»Nein«, entgegnet er. »Sie haben meinen Namen vermutlich auf dem Plakat am Eingang gelesen. Ich bin der Schöpfer dieser Bilder.«
Ich will am liebsten im Erdboden versinken.
Glücklicherweise erbarmt sich in diesem Augenblick meine Freundin Vicky, endlich aufzutauchen und mich vor der restlosen Blamage zu bewahren.
»Oh, ich sehe, du hast Damon schon kennengelernt«, flötet sie vergnügt und gibt zunächst mir und dann dem Künstler einen Kuss auf die Wange. »Dann bist du ja in besten Händen.«
Sie zwinkert mir spitzbübisch zu, bevor sie fortfährt: »Ich wollte dir nur sagen, dass ich mal kurz weg bin.«
Mit einer angedeuteten Kopfbewegung weist sie in Richtung des Paares, mit dem sie sich die ganze Zeit sehr intensiv unterhalten hat und das offensichtlich mit wachsender Ungeduld auf ihre Rückkehr wartet. Deutlicher muss Vicky nicht werden. Ich habe bereits verstanden.
»Bis später also«, gurrt sie und schaut zwischen Damon und mir hin und her. »Und viel Spaß, ihr beiden!«
Sie hakt sich mit dem rechten Arm bei der Frau und mit dem linken bei dem Herrn unter und verschwindet mit beiden aus meinem Blickfeld. Ich bin weder überrascht noch schockiert. Schließlich kenne ich Vicky lange genug, um zu wissen, dass sie nichts anbrennen lässt. Und ich muss zugeben, dass ich manchmal gern ein bisschen mehr wie sie wäre. Jetzt gerade zum Beispiel …
»An welchen Spaß Vicky wohl für uns beide gedacht hat?«, fragt mich Damon Reed mit einem charmanten Grinsen, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht küssen würde. Stattdessen zucke ich die Schultern und steuere die Unterhaltung wieder in Richtung Small Talk. Sicher ist sicher!
»Sie kennen Vicky?«
»Oh ja«, antwortet Damon lächelnd. »Sehr gut sogar.«
Schmunzelnd deutet er auf das Bild, an dem mir vorhin etwas merkwürdig vorgekommen ist, ohne dass ich es benennen konnte. Ich schaue mir die Frau mit der Lederhaube und den nach oben gereckten Armen noch einmal genauer an und entdecke über der linken Brust der Frau einen winzigen, kunstvoll gestalteten Schmetterling mit filigranen Flügeln. Ich kenne dieses Tattoo, denn Vicky hat es mir damals, nachdem sie es hat stechen lassen, voller Stolz gezeigt.
Vicky!
Meine Freundin hat also für Damon Reed Modell gestanden und hat offensichtlich eine gewisse Leidenschaft für Fesselspiele. Ich brauche dringend noch ein Glas Champagner! Am besten zwei!
So sehr ich es bedaure, so froh bin ich gleichzeitig, dass der Gastgeber mich nun tatsächlich stehen lassen muss, um andere Gäste seiner Vernissage zu begrüßen. Er verabschiedet sich auf höfliche Weise genau rechtzeitig, bevor ich mich restlos blamieren kann.
VIER
Der Glanz in Vickys Augen auf dem Heimweg sagt alles. Ich muss sie gar nicht fragen, was sie während ihrer Abwesenheit mit diesem Pärchen getrieben hat. Die Vermutung liegt nahe, dass sie dabei nicht besonders viel Stoff auf dem Körper getragen hat. Ich habe ohnehin keine Gelegenheit, ihr irgendeine Frage zu stellen, denn sie löchert mich und will alles wissen.
»Wie war’s denn? Wie findest du Damon? Ist er nicht ein Traum von einem Mann?«
Das sind sehr viele Fragen auf einmal, und ich antworte etwas resigniert mit »Ich habe mich lächerlich gemacht und kein Fettnäpfchen ausgelassen.«
»Wieso?«, will Vicky wissen. »Was meinst du denn?«
Und ich erzähle ihr, wie ich Damon mit Small Talk gelangweilt habe, um nicht irgendetwas von mir preisgeben zu müssen und um nicht Gefahr zu laufen, ihm zu sagen, dass ich ihn unglaublich anziehend finde.
»Ja, so eine Wirkung hat er auf Frauen«, meint Vicky lachend. »Und das ist er gewohnt. Damit schockierst du ihn nicht.«
Damit sinkt das Hochgefühl, das ich bis gerade eben in mir getragen habe, rapide ab. Aus Vickys Worten kann ich erahnen, dass Damon wohl einen ganzen Harem an Verehrerinnen hat. Was ich als Interesse an mir betrachtet habe, war wohl doch nichts anderes als reine Höflichkeit.
»Egal«, sage ich, obwohl es mir, wenn ich ehrlich bin, alles andere als egal ist. »Ich sehe ihn sowieso nicht wieder, und er hat mich eh schon längst wieder vergessen … bei all den tollen Frauen, die bei dieser Vernissage waren.«
»Wart’s nur ab!« Vicky zwinkert mir zu und grinst. In diesem Augenblick erinnere ich mich an das Foto, auf dem ich sie durch ihr Tattoo erkannt habe. Dass meine Freundin so etwas mit sich machen lässt … Ich habe immer gedacht, ich kenne sie – und nun offenbaren sich ganz andere Seiten an ihr.
Sehr dunkle Seiten …
»Die Bilder sehen so echt aus«, sage ich, um rasch das Thema zu wechseln. »Wie Fotografien!«
Vicky nickt. »Das nennt man Fotorealismus«, erklärt sie mir. »Das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und sehr viel Zeit.«
»Du musst es ja wissen!« Hoppla! Ich beiße mir kurz auf die Unterlippe. Meine Bemerkung klang gerade schnippischer, als ich sie gemeint habe. Trotzdem kann ich mir nicht verkneifen, noch eine Spitze nachzulegen. »Du hast ja schon mit ihm gearbeitet.«
»Oh ja, das habe ich!« Meine Freundin strahlt über das ganze Gesicht und scheint in der Erinnerung an diese Zusammenarbeit regelrecht zu schwelgen. »Und es war wundervoll.«
Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken, obwohl ich es selbst furchtbar albern finde. »Und sicher auch sehr unbequem, so lange gefesselt herumstehen zu müssen.« Ich räuspere mich, bevor ich fortfahre. »Tut das nicht weh?«
»Es ist herrlich, Süße!« Sie senkt die Stimme zu einem Flüstern, als wären Leute um uns herum, die das Geheimnis, das sie mir anvertrauen will, unter gar keinen Umständen hören dürfen. »Es sind bittersüße Qualen, bei denen man ganz wundervoll die eigenen Grenzen spürt.«
»Wie bitte?« Ich spüre, wie sich meine Stirn in so tiefe Falten legt, dass ich einen Moment lang sicher mindestens dreißig Jahre älter aussehe. »Was sind denn bittersüße Qualen?«
Vicky verdreht wieder auf ihre unnachahmliche und irgendwie bezaubernde Art die Augen und lacht. »Oh Süße, du kleines Unschuldslämmchen.« Und wieder küsst sie mich, diesmal jedoch auf den Mund. »Es gibt Schmerzen und Leiden, die wunderschön sind.«
Noch bevor ich weitere dumme Fragen stellen kann, fügt sie in geflüstertem Verschwörerton hinzu: »Und sie sind sehr geil.«
FÜNF
Warum um alles in der Welt bekomme ich Damon Reed nicht aus dem Kopf? Der Mann war mir auf der Vernissage doch so unheimlich, dass ich eigentlich froh sein sollte, ihm nicht noch einmal über den Weg laufen zu müssen. Außerdem habe ich mich ihm gegenüber so sehr nach allen Regeln der Kunst lächerlich gemacht, dass ich bei einer weiteren Begegnung mit ihm vor Scham im Erdboden versinken müsste. Trotzdem muss ich ständig an ihn denken …
Dass Vicky für eines seiner merkwürdigen Bilder Modell gestanden hat, hätte ich nicht gedacht. Andererseits: Wenn es jemanden gibt, dem ich so etwas zutraue, dann ist es auf jeden Falls Vicky. Sie mag alles Anrüchige, und sie geht mit solchen Dingen sehr viel offener um als ich, und ich beneide sie oft darum.
Wie es sich wohl anfühlt, gefesselt zu werden? Ich stelle es mir beängstigend vor, derart wehrlos und ausgeliefert zu sein. Und wenn man mir dann noch – wie auf dem Gemälde, für das Vicky posierte – eine Haube überstülpt, die mich blind und taub macht, würde ich in Panik geraten. Aber ich bin eine erwachsene Frau, und es ist mir natürlich nicht fremd, dass es Menschen gibt, die dabei Lust empfinden.
Trotzdem …
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sage ich zu Vicky. Wie so oft verbringen wir unsere Mittagspause in dem hübschen kleinen Bistro unweit des Verlagsgebäudes. Ich gönne mir einen Cappuccino und einen Salat, während Vicky es vorzieht, ein riesiges Stück Schokoladenkuchen zu verzehren. Sie ist darum zu beneiden, dass sie kein Gramm zunimmt, egal was sie isst. Es gibt Momente, in denen ich sie dafür fast schon ein bisschen hasse und gern ihren Körper hätte … und ihr Leben, in dem sie sich keinen Deut um das schert, was andere über sie denken könnten.
»Das lässt dir keine Ruhe, was?«, meint sie grinsend und wischt sich mit der Fingerspitze einen Schokokrümel aus dem Mundwinkel, um ihn dann abzulecken. Eine Geste, die ich auf unwiderstehliche Weise erotisch finde. Nein, ich stehe nicht auf Frauen, aber meine Fantasie ist seit dieser Ausstellung erheblich überreizt, und vielleicht hat meine beste Freundin ja recht: Ich brauche endlich wieder einmal einen Mann.
»Ich versuche einfach nur zu verstehen, was Menschen daran finden, sich so behandeln zu lassen«, sage ich in einem Ton, der beinahe schon wie eine Entschuldigung, zumindest aber wie eine Rechtfertigung klingt. »Das ist doch eher unangenehm.«
»Süße, darüber zu reden ist, als würde man über viktorianische Architektur singen.«
»Ich verstehe nicht, Vicky.«
Sie schiebt sich ein weiteres Stück Kuchen in den Mund, kaut es genüsslich, schluckt und spannt mich mit alledem auf die Folter, bevor sie antwortet. »Audrey, das kann man nicht mit Worten erklären! Du wirst es nur verstehen können, wenn du es ausprobierst.«
Ich schaue sie ernst an. Sie nimmt mich wohl auf den Arm. Gerade Vicky muss doch wissen, dass ich so etwas niemals tun würde.
»Schau nicht so, Süße. Du musst dich darauf einlassen, es fühlen, dich fallen lassen … und du wirst sehen, dass du es genießen wirst.«
Ich schüttle energisch den Kopf. »Du machst wohl Witze! Niemals!«
Vicky lächelt und leckt mit geradezu kindhaftem Vergnügen die letzten Schokoladenreste von ihrem Löffel ab. Es sieht aus, als würde sie mit ihrer Zunge einen Schwanz verwöhnen. Zwei oder drei männliche Gäste des Bistros, die diese kleine Geste beobachten, werden bei diesem Anblick sehr unruhig. Mir ist das schon richtig peinlich, obwohl ich doch gar nichts mache. Aber so ist das eben mit Vicky. Man kann nie wissen, was als Nächstes passiert.
»Also, was sagst du?«, drängt sie.
Ich zucke die Schultern. »Ich weiß nicht.«
Das ist genau mein Problem: Ich bin neugierig geworden und würde diese mysteriöse, dunkle Spielart der Lust gern kennenlernen. Andererseits jedoch merke ich, wie verklemmt und gehemmt ich bin. Ich habe wie üblich Angst vor dem Neuen, Unbekannten.
»Vielleicht …«, murmle ich leise und beuge mich ein wenig zu Vicky vor, damit nur ja niemand im Bistro hören kann, was ich sage. Meine Freundin und Kollegin neigt mir ihren Kopf entgegen, und vermutlich halten uns die Männer, die uns beobachten, nun für ein lesbisches Liebespaar, das sich zärtliche Geheimnisse zuflüstert.
»Vielleicht was?«, ermutigt mich Vicky, als ich herumdruckse.
»Vielleicht kann ich ja erst einmal zuschauen!«
Sie lächelt mich an, und ihr Lächeln wird immer strahlender, bis es einen kleinen Hauch von Verruchtheit bekommt. »Du stehst also auf Zuschauen, du kleine Voyeurin?« Sie zwinkert mir spitzbübisch zu und kichert. »Sieh mal einer an!«
»Nein, ich meine nur …« Ich spreche den Satz nicht zu Ende. Nun muss ich selbst leise lachen. Wie dumm von mir, alles wörtlich zu nehmen. Geradezu lächerlich. Ich müsste Vicky doch besser kennen!
»Kein Grund, nervös zu werden, Süße!« Sie schenkt mir einen Augenaufschlag, mit dem sie mühelos jeden Mann in Erregung versetzen und ihm eine gewaltige Erektion in die Hose zaubern kann. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen ich mir wünsche, ich könnte meine Hemmungen überwinden und ein bisschen mehr wie Vicky sein.
»Ich mag es, wenn man mir zuschaut, Audrey.« Sie neigt sich so nahe zu mir heran, dass sie beinahe schon an meinem Ohrläppchen knabbern kann und flüstert: »Ganz besonders, wenn du es bist!«
Ich glaube, nicht richtig gehört zu haben. Mein »Wie bitte?« ist kaum mehr als ein heiseres, tonloses Krächzen, und Vickys Antwort macht mich endgültig sprachlos:
»Ich habe mir schon oft vorgestellt, dass du mir dabei zuschaust!«
SECHS
Ich bin nervös.
Nein, das ist nicht der richtige Ausdruck. Korrekt ist eher: Wenn ich nur daran denke, auf was ich mich da eingelassen habe, wird mir abwechselnd heiß und kalt, und ich fröstle, als würde ich eine Grippe ausbrüten. Mein Bauch und mein Unterleib ziehen sich zusammen, und alles in allem habe ich das Gefühl, dass mich etwas Schlimmes erwischt hat und dass ich diese plötzliche Erkrankung als Ausrede benutzen kann, um in letzter Minute abzusagen.
Aber ich weiß, dass ich damit bei Vicky nicht punkten würde. Sie kennt mich zu gut und würde mich sofort durchschauen. Diese »Krankheit« ist der klassische Widerstreit zwischen dem Kopf, der sagt »Mach das nicht, das kann gefährlich sein« und dem Herzen, das verlangt »Ich will mal sehen, wie das ist … tu es!«
Vicky hat gesagt, das einzig Gefährliche daran sei, dass ich eine völlig neue Erfahrung machen würde, die mein Leben bereichert. Platz zwei in der Liste der Risiken und Nebenwirkungen wäre, dass ich süchtig danach werde und nichts anderes mehr will. Außerdem, so Vicky, solle ich endlich mal etwas riskieren, das mein routiniertes, perfekt geordnetes, allzu sauberes Leben mal so richtig durchschüttelt.
»Besonders dein Sexleben«, hat sie noch mit dem für sie typischen Zwinkern hinzugefügt und mir erklärt: »Das hat es nämlich mal bitter nötig.«
Vickys Worte in Gottes Ohr! Ich bin bereit … mehr oder weniger. Eher weniger, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Aber es ist zu spät für Ausflüchte. Sie wird mich in ein paar Minuten abholen, und wir werden Damon Reed in seinem Atelier besuchen.
Damon!
Dieser Mann verfolgt mich seit unserer ersten Begegnung nicht nur in meinen nächtlichen Träumen, sondern auch in den Fantasien, die mir tagsüber durch den Kopf gehen. Die Aussicht, ihn wiederzusehen, verursacht mir ein prickelndes Gefühl … einen Cocktail aus Angst, Ungewissheit, Vorfreude und sogar ein bisschen Geilheit.
Das mulmige Gefühl im Bauch ist etwas schwächer geworden, aber immer noch vorhanden. Ich möchte am liebsten kneifen, aber ich weiß, dass Vicky das nicht zulassen wird. Sie würde mich notfalls mit sanfter Gewalt mitnehmen.
»Nicht wirklich, oder?« Sie mustert mich von oben bis unten und rümpft die Nase angesichts meines Outfits. »Du siehst schon wieder so brav und bieder aus, als würdest du zu einer Dichterlesung mit anschließender Podiumsdiskussion gehen.« Vicky schüttelt mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf und ergänzt: »Oder zu einer Konferenz im Büro!«
Na, sie muss gerade etwas sagen! Ich wundere mich, warum sie trotz des milden und trockenen Wetters einen Trenchcoat trägt, und sie macht sich über meine Bekleidung lustig?
»Ich fühle mich wohl in diesen Sachen, und ich gehe so mit dir mit oder gar nicht.«
Auf diese Bemerkung hin hebt sie staunend beide Augenbrauen und lächelt, während sie anerkennend nickt.
»Oh, là, là, Süße, das sind ja völlig neue Töne! Erlebe ich hier die Geburt einer selbstbewussteren Audrey? Gefällt mir!«
»Lass uns gehen«, sage ich und nehme meine Tasche.
»Plötzlich so in Eile, Süße?«
»Ich will nur los, bevor mich der Mut verlässt.«
SIEBEN
Damon erwartet uns. Vicky hat, wie sie sagt, alles mit ihm klargemacht. Bei dieser Erklärung grinst sie vieldeutig. Was auch immer sie klargemacht hat: Ich werde es herausfinden. Sie scheint die Strecke gut zu kennen, denn sie fährt zügig und ohne überlegen zu müssen, ob sie nun rechts oder links abbiegen muss. Ich kann mir denken, dass sie oft bei ihm ist … und vielleicht nicht nur, um ihm Modell zu stehen.
»Wohin genau fahren wir?«, frage ich unsicher, denn die Route führt uns aus der Stadt hinaus.
»Lass dich überraschen, meine Süße!« Vicky legt eine Hand auf meinen Oberschenkel und streichelt mich beruhigend. Im ersten Moment zucke ich zusammen. Ich bin es nicht gewohnt, mich von einer Frau auf eine solche Weise berühren zu lassen, die durchaus ein wenig intim ist. Auch Vicky macht so etwas normalerweise nicht. Doch nach und nach beruhigt es mich ein wenig, die zärtliche Hand zu spüren.