Bittersweet-Reader Romance: 13 herzerwärmende Leseproben - Becky Albertalli - kostenlos E-Book

Bittersweet-Reader Romance: 13 herzerwärmende Leseproben E-Book

Becky Albertalli

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Beschreibung

Zaubere dir gefühlvolle Zeilen auf deinen Reader!  Küsse diese 13 romantischen Leseproben wach und bekomme ein Gefühl für die schönen Bücher, die nur darauf warten, von dir entdeckt zu werden!  Enthält folgende Leseproben:  Becky Albertalli: Love, Simon (Nur drei Worte – Love, Simon)  Becky Albertalli: Ein Happy End ist erst der Anfang  Jenn Bennett: Unter dem Zelt der Sterne  Cath Crowley: Das tiefe Blau der Worte  Melissa Keil: Zusammen sind wir unendlich  Nina LaCour: Eine Woche für die Ewigkeit  Eric Lindstrom: Wie ich dich sehe  Jenny McLachlan: Unglaublich wild und wunderbar  Justin A. Reynolds: Immer wieder für immer  A.J. Steiger: Jeder von uns ist ein Rätsel  Nica Stevens: Midnightsong. Es begann in New York  Nica Stevens: Morgen wirst du bleiben  Kasie West: PS: Ich mag dich 

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Seitenzahl: 528

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Alle deutschen Rechte bei Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2020 Originalcopyright Texte © 2017 by Cath Crowley (Words In Deep Blue) / 2016 by Nina LaCour and David Levithan (You Know Me Well) / 2018 by Becky Albertalli (Leah on the Offbeat) / 2019 by Justin A. Reynolds (Opposite of Always) / 2016 by Kasie West (P.S. I Like You) / 2018 by Jenny McLachlan (Truly, Wildly, Deeply) / 2018 by Jenn Bennett (Starry Eyes) / 2018 by Melissa Keil (The Secret Science of Magic) / 2015 by Becky Albertalli (Simon vs. the Homo Sapiens Agenda) / 2018 by A.J. Steiger (When My Heart Joins the Thousand) / 2020 by Nica Stevens (Midnightsong. Es began in New York) / 2015 by Eric Lindstrom (Not If I See You First) / 2018 by Nica Stevens (Morgen wirst du bleiben) Covergestaltung: Klickkomplizen E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-10219-2www.carlsen.de

 

Für Brian, Owen und Henry.

Sie sind der Grund, warum ich Liebesgeschichten schreibe.

Eins

Es ist ein seltsam subtiles Gespräch – fast merke ich gar nicht, dass ich erpresst werde.

Wir sitzen auf Metallklappstühlen hinter der Bühne und Martin Addison sagt: »Ich habe deine Mail gelesen.«

»Was?« Ich schaue hoch.

»Vorhin. In der Bibliothek. Natürlich nicht mit Absicht.«

»Du hast meine Mail gelesen?«

»Na ja, ich habe mich direkt nach dir an den Computer gesetzt«, sagt er. »Und als ich Gmail eingegeben habe, hat sich dein Account geöffnet. Du hättest dich vielleicht ausloggen sollen.«

Ich starre ihn entgeistert an. Er tappt mit dem Fuß gegen sein Stuhlbein.

»Also, was soll das mit dem falschen Namen?«, fragt er.

Tja. Ich würde sagen, der Sinn eines falschen Namens ist es, meine geheime Identität vor Leuten wie Martin Addison geheim zu halten. Das hat also hervorragend funktioniert.

Er hat mich wohl am Computer sitzen sehen.

Und ich bin wohl ein Riesentrottel.

Er lächelt tatsächlich. »Jedenfalls dachte ich, es interessiert dich vielleicht, dass mein Bruder schwul ist.«

»Ähm. Eigentlich nicht.«

Er sieht mich an.

»Was willst du mir sagen?«, frage ich.

»Nichts. Hör mal, Spier, ich habe kein Problem damit. Ist wirklich kein großes Thema.«

Bloß dass es in Wirklichkeit eine kleine Katastrophe ist. Oder vielleicht auch eine Scheiß-Megakatastrophe, je nachdem, ob Martin dichthalten kann oder nicht.

»Das ist irgendwie peinlich jetzt«, sagt Martin.

Ich habe keine Ahnung, was ich darauf antworten soll.

»Es ist jedenfalls ziemlich offensichtlich«, sagt er, »dass es keiner wissen soll.«

Kann schon sein. Weiß auch nicht. Die Sache mit dem Coming-out macht mir allerdings keine Angst.

Glaube ich zumindest.

Es ist alles eine unangenehme Riesenpeinlichkeit und ich will gar nicht so tun, als ob ich mich drauf freue. Aber das Ende der Welt wäre es wahrscheinlich auch nicht. Nicht für mich.

Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, was es für Blue bedeuten würde. Wenn Martin es irgendwem erzählte. Blue legt nämlich Wert auf seine Privatsphäre. Er würde nicht vergessen, sich aus seinem Mail-Account auszuloggen. Und er würde mir vielleicht auch nie verzeihen, dass ich so absolut achtlos war.

Was ich also eigentlich sagen will, ist Folgendes: Ich weiß nicht, was es für uns heißen würde. Für Blue und mich.

Aber ich fasse es ehrlich nicht, dass ich gerade so ein Gespräch mit Martin Addison führe. Ausgerechnet der muss sich nach mir bei Gmail einloggen. Ihr müsst wissen, ich würde die Computer in der Schulbücherei eigentlich gar nicht benutzen, aber WLAN wird hier drin blockiert. Und an manchen Tagen kann ich eben nicht warten, bis ich zu Hause an meinem Laptop sitze. Ich wollte nicht mal warten, bis ich auf dem Parkplatz meine Mails abrufen konnte.

Ich hatte Blue nämlich heute Morgen von meinem geheimen Account geschrieben. Und es war eine irgendwie ziemlich wichtige Mail.

Ich wollte nur nachsehen, ob er geantwortet hatte.

»Ich glaube, die Leute fänden es voll okay«, sagt Martin. »Du solltest so sein, wie du bist.«

Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll. Irgendein Heterotyp will mir Ratschläge zu meinem Coming-out geben. Da muss ich dann doch die Augen verdrehen.

»Okay, schon gut, auch egal. Ich werde es ja niemandem zeigen«, sagt er.

Einen Augenblick bin ich dämlicherweise total erleichtert. Aber dann dämmert es mir.

»Zeigen?«, hake ich nach.

Er wird rot und fummelt an seinem Ärmelsaum herum. Er hat so einen Gesichtsausdruck, dass sich mein Magen zusammenzieht.

»Hast du – hast du einen Screenshot gemacht oder was?«

»Also«, sagt er, »darüber wollte ich gerade mit dir reden.«

»Moment – du hast einen gottverdammten Screenshot gemacht?«

Er kräuselt die Lippen und starrt an meiner Schulter vorbei. »Jedenfalls weiß ich«, sagt er, »dass du mit Abby Suso befreundet bist, und da wollte ich fragen –«

»Jetzt im Ernst? Oder können wir noch mal zurück zu der Frage, wieso du einen Screenshot von meinen Mails gemacht hast?«

Er zögert. »Ich meine, ich dachte bloß, du könntest mir helfen, mit Abby ins Gespräch zu kommen.«

Fast muss ich lachen. »Was – soll ich ein gutes Wort für dich einlegen oder wie?«

»Äh, ja«, sagt er.

»Und warum soll ich das bitte tun?«

Er sieht mich an und plötzlich macht es klick. Die Sache mit Abby. Das will er von mir. Als Gegenleistung, dass er meine verdammt noch mal privaten Mails nicht veröffentlicht.

Und Blues Mails.

Oh Mann. Ich schätze, ich habe Martin für harmlos gehalten. Ein etwas tapsiger Nerd, um ehrlich zu sein, aber das ist ja an sich nicht schlimm. Ich fand ihn immer irgendwie witzig.

Aber jetzt lache ich nicht mehr.

»Du willst mich tatsächlich dazu zwingen«, sage ich.

»Zwingen? Ach komm. So ist es doch nicht.«

»Wie ist es denn?«

»Wie gar nichts. Ich meine, ich mag sie einfach. Ich dachte bloß, du könntest mir ein bisschen helfen. Mich zu Sachen einladen, wo sie dabei ist. Keine Ahnung.«

»Und wenn nicht? Dann postest du die Mails auf Facebook? Oder, Scheiße, gleich auf Tumblr?«

Oh Gott. Der Tumblr-Account creeksecrets: Ground Zero für jeglichen Klatsch und Tratsch an der Creekwood High School.

Wir sind beide still.

»Ich glaube einfach, dass wir uns gegenseitig helfen können«, sagt Martin irgendwann.

Ich schlucke schwer.

»Aufruf für Marty«, ruft Ms Albright von der Bühne. »Zweiter Akt, dritte Szene.«

»Also, denk drüber nach.« Er steht von seinem Stuhl auf.

»Na sicher. Das ist wirklich ganz großartig«, sage ich.

Er sieht mich an. Dann herrscht wieder Schweigen.

»Ich weiß echt nicht, was du von mir hören willst«, hänge ich schließlich dran.

»Was auch immer.« Er zuckt die Achseln. Ich glaube, ich war noch nie so froh, jemanden gehen zu sehen. Aber mit der Hand am Vorhang dreht er sich noch mal um.

»Nur so aus Neugier«, sagt er. »Wer ist Blue?«

»Niemand. Er wohnt in Kalifornien.«

Wenn Martin glaubt, dass ich Blue verrate, hat er echt einen Schatten.

Blue wohnt nicht in Kalifornien. Sondern in Shady Creek, und er geht auf unsere Schule. Blue ist nicht sein richtiger Name.

Er ist jemand. Vielleicht sogar jemand, den ich kenne. Aber ich weiß nicht, wer. Und ich weiß auch nicht, ob ich es wissen will.

Und ganz bestimmt habe ich jetzt keine Lust auf meine Familie. Ich habe wahrscheinlich noch eine Stunde bis zum Abendessen, also eine Stunde, um aus meinem Schultag eine Reihe unterhaltsamer und witziger Anekdoten zu basteln. So sind meine Eltern. Man kann ihnen nicht einfach vom sichtbar hochgerutschten Slip der Französischlehrerin erzählen, oder wie Garrett in der Mensa das Tablett hat fallen lassen. Man muss es vorspielen. Mit ihnen zu reden ist anstrengender, als einen Blog zu schreiben.

Aber es ist auch lustig. Früher fand ich das Geschnatter und Durcheinander vor dem Abendessen toll. Doch jetzt kann ich gar nicht schnell genug wieder wegkommen. Vor allem heute. Ich bleibe gerade lang genug im Haus, um die Leine an Biebers Halsband zu schnallen und ihn aus der Tür zu bugsieren.

Ich versuche mich mit Tegan and Sara auf dem iPod abzulenken. Aber ich muss die ganze Zeit an Blue und Martin Addison und die ganze Grässlichkeit der heutigen Probe denken.

Martin steht also auf Abby, so wie alle anderen männlichen Hetero-Nerds in der Leistungsstufe. Und eigentlich will er gar nicht mehr von mir, als dass ich ihn mitkommen lasse, wenn ich mit ihr abhänge. Klingt gar nicht so heftig, wenn ich es mir recht überlege.

Außer natürlich, dass er mich erpresst. Und damit erpresst er indirekt auch Blue. Das macht mich so wütend, dass ich irgendwas treten will. Aber Tegan and Sara helfen. Der Weg zu Nick hilft auch. Die Luft ist so klar und frisch wie nur im Frühherbst, und die Leute fangen schon an Kürbisse auf ihre Verandastufen zu legen. Das liebe ich. Fand ich schon als Kind großartig.

Bieber und ich gehen gleich nach hinten in Nicks Garten und durch den Keller rein. Direkt gegenüber der Tür hängt ein riesiger Flachbildschirm, auf dem gerade Templer verstümmelt werden. Nick und Leah haben es sich in zwei Gaming-Sesseln gemütlich gemacht. Sie sehen aus, als hätten sie sich den ganzen Nachmittag nicht vom Fleck gerührt.

Nick schaltet das Spiel auf Pause, als ich reinkomme. So ist das bei Nick. Er würde deinetwegen nicht die Gitarre zur Seite legen, aber immerhin ein Computerspiel unterbrechen.

»Bieber!«, sagt Leah. Innerhalb von Sekunden hat er seinen Hintern unbeholfen auf ihren Schoß gehievt, lässt die Zunge raushängen und sein Hinterbein zuckt vor Wonne. Bei Leah benimmt er sich immer so unfassbar schamlos.

»Hey, ist schon okay. Begrüß bloß den Hund. Tu so, als wäre ich gar nicht da.«

»Oooch, soll ich dir auch die Ohren kraulen?«

Ich lächle. So ist es gut; alles normal. »Hast du den Verräter aufgespürt?«, frage ich.

»Hab ihn erledigt.« Nick klopft auf seinen Controller.

»Schön.«

Eigentlich interessiert mich das Wohlergehen von Assassinen oder Templern oder überhaupt irgendwelchen Spielfiguren nicht im Geringsten. Aber ich glaube, ich brauche das. Ich brauche die Gewalt der Computerspiele und die Vertrautheit von Nick und Leah. Den Rhythmus unserer Gespräche und Pausen. Die Ziellosigkeit herbstlicher Nachmittage.

»Simon, Nick hat noch nichts von le Schlüpfer gehört.«

»Ohhh. Le Schlüpfer. C’est une histoire touchante.«

»Auf Englisch, bitte«, sagt Nick.

»Oder pantomimisch«, sagt Leah.

Wie sich zeigt, bin ich ziemlich groß darin, unglaubliche Unterwäscheunfälle nachzuspielen.

Vielleicht schauspielere ich also doch gern. Ein bisschen.

Ich glaube, mich überkommt wieder dieses Nick-und-Leah-Wandertag-in-der-sechsten-Klasse-Gefühl. Ich weiß auch nicht, wie ich das erklären soll: Wenn wir nur zu dritt sind, gibt es immer so alberne, vollkommene Momente zwischen uns. In solchen Momenten existiert Martin Addison nicht. Geheimnisse auch nicht.

Albern. Vollkommen.

Leah reißt die Papierhülle eines Strohhalms auf; beide haben Riesenbecher süßen Tee von Chick-fil-A in der Hand. Ich war echt lange nicht mehr bei Chick-fil-A. Meine Schwester hat erfahren, dass die Imbisskette Geld an homophobe Organisationen spendet, und irgendwie kam es mir dann komisch vor, da zu essen. Auch wenn ihre Oreo-Milchshakes riesige schaumige Schleckereien sind. Nick und Leah gegenüber könnte ich das Thema aber nicht ansprechen. Ich rede eigentlich mit niemandem über Schwulenkram. Außer mit Blue.

Nick nimmt einen Schluck Tee und gähnt, und Leah versucht sofort, ihm eine Papierkugel in den Mund zu werfen. Aber Nick klappt den Mund schnell wieder zu und blockt den Wurf.

Sie zuckt die Achseln. »Gähn einfach weiter, Schlafmütze.«

»Wieso bist du so müde?«

»Weil ich so heftig Party mache. Die ganze Nacht. Jede Nacht«, sagt Nick.

»Wenn du mit ›Party‹ deine Mathehausaufgaben meinst.«

»WHATEVER, LEAH.« Er lehnt sich zurück und gähnt wieder. Diesmal streift Leahs Papierball seinen Mundwinkel.

Er schnippt ihn zu ihr zurück.

»Ich habe nämlich ständig so komische Träume«, fügt er hinzu.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Igitt. Will ich das wissen?«

»Äh, doch nicht solche Träume.«

Leah wird im ganzen Gesicht rot.

»Nein«, sagt Nick, »einfach so richtig komische Träume. Zum Beispiel habe ich geträumt, ich bin im Bad und setze meine Kontaktlinsen ein, und ich kriege einfach nicht klar, welche Linse in welches Auge kommt.«

»Okay. Und dann?« Leah hat ihr Gesicht in Biebers Nackenfell vergraben, weshalb ihre Stimme dumpf klingt.

»Nichts. Ich bin aufgewacht, habe ganz normal meine Kontaktlinsen eingesetzt, und alles war bestens.«

»Das ist der langweiligste Traum aller Zeiten«, sagt sie. Und eine Sekunde später: »Sind nicht genau darum die beiden Fächer des Behälters markiert?«

»Oder sollten Menschen darum nicht lieber Brillen tragen und sich nicht ständig an die Augäpfel fassen?« Ich lasse mich im Schneidersitz auf den Teppich sinken. Bieber rutscht von Leahs Schoß und schlendert zu mir.

»Aber auch, weil du mit deiner Brille aussiehst wie Harry Potter, stimmt’s, Simon?«

Ein Mal. Das habe ich genau ein Mal gesagt.

»Also, ich glaube, mein Unterbewusstsein versucht mir was mitzuteilen.« Nick kann ziemlich hartnäckig sein, wenn er sich intellektuell vorkommt. »Das Thema des Traums ist offenbar das Sehen. Was ist es, was ich nicht sehe? Wo sind meine blinden Flecken?«

»Dein Musikgeschmack«, schlage ich vor.

Nick lehnt sich im Sessel zurück und nimmt noch einen Schluck Tee. »Wusstet ihr, dass Freud seine eigenen Träume gedeutet hat, als er seine Theorie entwickelte? Und dass er glaubte, alle Träume seien eine Art unbewusster Wunscherfüllung?«

Leah und ich schauen uns an, und ich merke, wir denken das Gleiche. Macht gar nichts, dass er möglicherweise absoluten Quatsch erzählt, denn Nick in Philosophierlaune ist ein kleines bisschen unwiderstehlich.

Ich habe natürlich den strikten Grundsatz, mich nie in Heteros zu verknallen. Zumindest nicht in erwiesene Heteros. Jedenfalls habe ich den strikten Grundsatz, mich nicht in Nick zu verknallen. Aber Leah hat sich verknallt, und das macht jede Menge Probleme, vor allem, seitdem Abby aufgetaucht ist.

Zuerst habe ich nicht verstanden, wieso Leah Abby hasst, und eine direkte Nachfrage hat mich auch nicht weitergebracht.

»Ach, sie ist so toll. Ich meine, sie ist ein Cheerleader. Und so süß, und so dünn. Macht sie das nicht einfach wunderbar?«

Ihr müsst wissen, dass niemand solche Sätze trockener rüberbringt als Leah.

Aber irgendwann fiel mir auf, dass Nick beim Mittagessen den Platz mit Bram Greenfeld getauscht hat – eiskalte Berechnung, um seine Chancen zu erhöhen, in Abbys Nähe zu sitzen. Und dann sein Blick. Der berühmte lange, schmachtende Nick-Eisner-Blick. Diese Übelkeit erregende Entwicklung hatte es auch schon am Ende des ersten Highschooljahres mit Amy Everett gegeben. Wobei ich zugeben muss, dass Nicks nervöse Intensität, wenn er auf jemanden steht, in gewisser Weise faszinierend ist.

Wenn Leah bei Nick diesen Gesichtsausdruck bemerkt, macht sie komplett dicht.

Was bedeutet, dass ich tatsächlich einen guten Grund habe, den Kuppler-Knecht für Martin Addison zu geben. Sollten Martin und Abby zusammenkommen, löst sich vielleicht das Nick-Problem. Dann kann Leah sich entspannen, und das Gleichgewicht ist wiederhergestellt.

Es geht also gar nicht bloß um mich und meine Geheimnisse. Es geht fast gar nicht um mich.

Zwei

VON: [email protected]

AN: [email protected]

DATUM: 17. Oktober 00:06

BETREFF: AW: wann wusstest du

Die Story ist ja ganz schön sexy, Blue. Aber ehrlich, die Middle School ist doch eine endlose Horrorsaga. Na ja, vielleicht nicht endlos, sie hat ja aufgehört, aber sie brennt sich echt in die Psyche. Ganz egal, wer du bist: Die Pubertät ist gnadenlos.

Ich bin neugierig – hast du ihn seit der Hochzeit deines Vaters wiedergesehen?

Ich weiß gar nicht genau, wann ich es gemerkt habe. Es waren eher so viele kleine Dinge. Zum Beispiel ein seltsamer Traum über Daniel Radcliffe. Oder dass ich in der Middle School total auf Passion Pit stand und irgendwann dahinterkam, dass es gar nicht wegen der Musik war.

Und dann hatte ich in der Achten eine Freundin. Das war so typisch achte Klasse, wo man zwar zusammen ist, aber außerhalb der Schule nie irgendwas miteinander macht. Und in der Schule auch nicht so schrecklich viel. Ich glaube, wir haben Händchen gehalten. Dann sind wir als Paar zur Achtklässlerparty gegangen, aber meine Freunde und ich haben den ganzen Abend Chips gegessen und Leute durch die Tribünensitze beobachtet. Irgendwann kommt dann irgend so ein Mädchen auf mich zu und sagt, meine Freundin warte vor der Turnhalle auf mich. Ich sollte rausgehen und sie suchen, und dann sollten wir wohl knutschen. Mit Mund zu, wie man das in der Achten so macht.

Und das ist also mein größter Moment: Ich bin weggerannt und habe mich wie ein unfassbarer Vorschüler in der Toilette versteckt. So richtig in einer Kabine mit Tür zu, und ich habe mich auf den Klodeckel gehockt, damit niemand meine Füße sieht. Als würden die Mädchen reinstürmen und mich rausholen. Ich schwöre dir, ich bin den ganzen Abend da dringeblieben. Und dann habe ich nie wieder ein Wort mit meiner Freundin gewechselt.

Noch dazu war Valentinstag. Da kannst du mal sehen, wie viel Stil ich so habe. Also, wenn ich ganz ehrlich bin, wusste ich es zu dem Zeitpunkt schon sicher. Bloß dass ich danach noch zwei Freundinnen hatte.

Weißt du übrigens, dass dies amtlich beglaubigt die längste Mail ist, die ich je geschrieben habe? Ist echt kein Witz. Vielleicht bist du sogar der einzige Mensch, der mehr als 140 Zeichen von mir kriegt. Das ist doch irgendwie Wahnsinn, oder?

Jedenfalls mache ich jetzt mal Schluss. Ungelogen, es war ein irgendwie schräger Tag.

– Jacques

VON: [email protected]

AN: [email protected]

DATUM: 17. Oktober 20:46

BETREFF: AW: wann wusstest du

Ich bin der Einzige? Das ist definitiv irgendwie Wahnsinn. Ich fühle mich sehr geehrt, Jacques. Das Komische ist, dass ich eigentlich auch nicht Mails schreibe. Und ich rede nie mit irgendwem über diese Sachen. Nur mit dir.

Übrigens, wenn du mich fragst, ich fände es unglaublich niederschmetternd, wenn dein größter Moment tatsächlich in der Middle School gewesen wäre. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich diese Zeit gehasst habe. Weißt du noch, wie die Leute dich immer so verständnislos angeguckt und »Ähm, okaaay« gesagt haben? Alle mussten dir unbedingt klarmachen: Egal, was du denkst oder fühlst, du bist vollkommen allein damit. Und das Schlimmste war natürlich, dass ich das Gleiche mit anderen gemacht habe. Es widert mich ziemlich an, wenn ich daran zurückdenke.

Also, eigentlich will ich damit vor allem sagen: Sei nicht so streng mit dir. Wir waren damals alle grauenhaft.

Um deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe ihn seit der Hochzeit ein paar Mal wiedergesehen – so zwei Mal pro Jahr, würde ich sagen. Bei meiner Stiefmutter gibt es anscheinend ständig Familienfeiern und so. Er ist verheiratet und ich glaube, seine Frau ist mittlerweile schwanger. Es ist nicht unbedingt peinlich, weil ja alles nur in meinem Kopf passiert ist. Das ist wirklich erstaunlich, oder? Da kann jemand deine sexuelle Identitätskrise auslösen und keinen blassen Schimmer davon haben. Ganz ehrlich, er erinnert sich wahrscheinlich bloß an den etwas seltsamen zwölfjährigen Stiefsohn seiner Cousine.

Die folgende Frage liegt wahrscheinlich auf der Hand, aber ich stelle sie trotzdem: Wenn du wusstest, dass du schwul bist, wieso hattest du dann noch Freundinnen?

Tut mir leid, dass dein Tag so schräg war.

– Blue

VON: [email protected]

AN: [email protected]

DATUM: 18. Oktober 23:15

BETREFF: AW: wann wusstest du

Blue,

genau, das gefürchtete »okaaay«. Dazu immer die Augenbrauen hochgezogen und der Mund zu so einem herablassenden kleinen Arschloch gespitzt. Und klar, ich habe es auch gesagt. In der Middle School waren wir alle scheiße.

Ich schätze, das mit den Freundinnen ist nicht so leicht zu erklären. Es ist einfach alles irgendwie passiert. Diese Beziehung in der Achten war natürlich ein unfassbares Desaster, das war also was anderes. Was die anderen beiden angeht: Im Grunde waren wir befreundet, und dann habe ich herausgefunden, dass sie auf mich standen, und dann waren wir irgendwie zusammen. Und dann haben wir uns wieder getrennt, sie haben beide mit mir Schluss gemacht, aber alles ganz schmerzlos. Mit dem Mädchen, mit dem ich im ersten Highschooljahr zusammen war, bin ich immer noch befreundet.

Soll ich ganz ehrlich sein? Ich glaube, der wahre Grund für die Freundinnen war folgender: Ich habe nicht hundertprozentig geglaubt, dass ich schwul bin. Oder vielleicht habe ich auch gedacht, es ist nicht von Dauer.

Ich weiß, wahrscheinlich denkst du jetzt: »Okaaaaaaay.«

– Jacques

VON: [email protected]

AN: [email protected]

DATUM: 19. Oktober 08:01

BETREFF: Das obligatorische …

Okaaaaaaaaaaaaaaayyyyyyyy.

(Augenbrauen, Arschlochmund etc.)

– Blue

Drei

Das Beschissenste an der Sache mit Martin ist, dass ich nicht mit Blue darüber reden kann. Ich bin es nicht gewohnt, Geheimnisse vor ihm zu haben.

Klar, es gibt eine Menge Dinge, die wir einander nicht erzählen. Wir reden über die großen Themen, aber vermeiden die verräterischen Kleinigkeiten – die Namen unserer Freunde, Einzelheiten über unseren Schulalltag. Den ganzen Kram, von dem ich immer dachte, dass er mich ausmacht. Aber das sind für mich keine Geheimnisse. Das ist eher eine unausgesprochene Übereinkunft.

Wenn Blue ein echter Junior an der Creekwood High wäre, mit Spind und Notendurchschnitt und Facebook-Profil, dann würde ich ihm bestimmt gar nichts erzählen. Okay, er ist ein echter Junior an der Creekwood High. Das weiß ich. Aber irgendwie existiert er nur in meinem Laptop. Schwer zu erklären.

Ich habe ihn gefunden. Ausgerechnet auf Tumblr. Das war im August, das Schuljahr hatte gerade angefangen. Auf creeksecrets soll man eigentlich anonyme Geständnisse oder irgendwelche geheimen Gedanken posten, und andere können sie dann kommentieren, aber niemand fällt Urteile. Bloß ist daraus leider so ein Sumpf aus Klatsch und schlechten Gedichten und falsch geschriebenen Bibelzitaten geworden. Aber wahrscheinlich macht beides gleich süchtig.

Und da habe ich Blues Post entdeckt. Der hat mich irgendwie gleich angesprochen. Und ich glaube, das lag gar nicht am Schwulenthema. Ich weiß auch nicht. Es waren echt bloß fünf Zeilen, aber die waren grammatikalisch korrekt und seltsam poetisch und völlig anders als alles, was ich je zuvor gelesen hatte.

Ich würde sagen, es ging um Einsamkeit. Komisch eigentlich, ich fühle mich gar nicht einsam, aber es klang so vertraut, wie Blue den Zustand beschrieb. So als hätte er mir die Gedanken aus dem Kopf gezogen.

Wie man manchmal die Gesten eines Menschen auswendig weiß, aber nie seine Gedanken kennt. Und das Gefühl, dass Menschen wie Häuser mit riesengroßen Zimmern und winzigen Fenstern sind.

Und wie man sich manchmal trotzdem so nackt und schutzlos fühlt.

Wie er sich als Schwuler so versteckt und zugleich so nackt und schutzlos fühlt.

Als ich diesen Teil las, packte mich ganz komische Panik und Verlegenheit, aber auch leise pochende Erregung.

Er sprach von dem Meer, das zwischen Menschen liegt. Und dass es nur darum geht, ein Ufer zu finden, zu dem es sich zu schwimmen lohnt.

Ganz klar: Ich musste ihn einfach kennenlernen.

Irgendwann brachte ich dann den Mut auf, den einzigen Kommentar zu posten, der mir einfiel, nämlich: »GENAU DAS.« In Großbuchstaben. Und darunter schrieb ich meine Mailadresse. Meinen geheimen Gmail-Account.

Die ganze nächste Woche grübelte ich nur darüber nach, ob er sich wohl melden würde oder nicht. Und dann schrieb er. Später hat er mir erzählt, dass der Kommentar ihn ein bisschen nervös gemacht hat. Er achtet sehr auf alles Mögliche. Er ist eindeutig achtsamer als ich. Also, wenn Blue rausfinden würde, dass Martin Addison einen Screenshot von unseren Mails hat, würde er ganz bestimmt ausrasten. Oder was bei Blue so ausrasten heißt:

Er würde mir keine Mails mehr schreiben.

Ich weiß noch genau, was das für ein Gefühl war, als ich seine erste Mail in meinem Posteingang sah. Es war ein bisschen surreal. Er wollte Dinge über mich wissen. In den Tagen danach fühlte ich mich in der Schule wie eine Filmfigur. Ich konnte mir beinahe vorstellen, wie mein Gesicht in Großaufnahme auf der Leinwand aussah.

Das ist eigenartig, denn in Wirklichkeit bin ich keine Hauptfigur. Vielleicht eher so der beste Freund.

Ich glaube, ich habe mich einfach nicht für interessant gehalten, bis Blue mich interessant fand. Und darum kann ich ihm nichts davon erzählen. Ich möchte ihn nicht verlieren.

Die ganze Woche bin ich Martin aus dem Weg gegangen. Ich merke, wie er im Unterricht und bei den Proben Blickkontakt sucht. Ich weiß, es ist irgendwie feige. In meiner Lage komme ich mir in jeder Hinsicht wie ein Feigling vor. Das Blöde ist, dass ich eigentlich schon beschlossen habe, ihm zu helfen. Oder seinem Erpressungsversuch nachzugeben. Je nachdem, wie ihr es nennen wollt. Ganz ehrlich, mir wird davon ein bisschen schlecht.

Während des gesamten Abendessens bin ich abwesend. Meine Eltern sind heute Abend besonders aufgedreht, weil Bachelorette-Abend ist. Das meine ich todernst. Diese Realityshow. Wir haben die Sendung gestern alle zusammen angeschaut, aber heute Abend skypen wir mit Alice, die an der Wesleyan studiert, um die Show bis ins kleinste Detail zu diskutieren. Das ist die neue Familientradition bei den Spiers. Mir ist nur allzu bewusst, wie vollkommen lächerlich das ist.

Aber ich weiß auch nicht; meine Familie war schon immer so.

»Und wie geht es Leo und Nicole?«, fragt mein Vater, und seine Mundwinkel zucken, als er sich die Gabel in den Mund steckt. Die Geschlechter meiner Freunde zu vertauschen ist höchster Ausdruck seines Dad-Humors.

»Es geht ihnen fantastisch«, sage ich.

»LOL, Dad«, sagt Nora trocken. Meine kleine Schwester. In letzter Zeit benutzt sie oft SMS-Kürzel, wenn sie etwas sagt, dabei verwendet sie die nie in ihren Textnachrichten. Soll wohl ironisch sein. Sie sieht mich an. »Si, hast du Nick gesehen, wie er vor dem Atrium Gitarre gespielt hat?«

»Klingt, als ob Nick eine Freundin sucht«, sagt meine Mutter.

Das ist echt witzig, Mom, und weißt du wieso? Ich versuche gerade zu verhindern, dass Nick bei dem Mädchen landet, auf das er steht, damit Martin Addison nicht der ganzen Schule verrät, dass ich schwul bin. Hatte ich schon erwähnt, dass ich schwul bin?

Mal ehrlich, wie schneidet man so ein Thema überhaupt an?

Vielleicht wäre alles anders, wenn wir in New York lebten, aber wie man in Georgia schwul ist – keine Ahnung. Wir sind ein Vorort von Atlanta, es könnte also schlimmer sein, ich weiß. Aber Shady Creek ist jedenfalls nicht direkt ein Hort des fortschrittlichen Denkens. In der Schule sind ein oder zwei Typen offen schwul, und die müssen echt eine Menge Scheiß ertragen. Keine Gewalt oder so, aber Worte wie »Schwuchtel« oder »Tunte« sind nicht gerade ungewöhnlich. Ich schätze, es gibt auch ein paar lesbische oder bisexuelle Mädchen, aber ich glaube, für Mädchen ist es anders. Möglicherweise leichter. Eins habe ich auf Tumblr gelernt: Eine Menge Typen finden lesbische Mädchen scharf.

Allerdings gibt es auch den umgekehrten Fall. Es gibt Mädchen wie Leah, die solche Yaoi-Zeichnungen auf irgendwelche Webseiten stellen.

Finde ich aber ganz okay. Leahs Zeichnungen sind ehrlich gesagt der Wahnsinn.

Leah steht außerdem auf Slash Fanfiction, und das hat mich so neugierig gemacht, dass ich im Internet danach gesucht und letzten Sommer auch einiges gefunden habe. Ich konnte nicht fassen, was man sich da alles aussuchen kann: Harry Potter und Draco Malfoy zum Beispiel, die in jeder Besenkammer von Hogwarts auf jede vorstellbare Weise miteinander rummachen. Ich habe mir die mit erträglicher Grammatik rausgesucht und nächtelang gelesen. Das waren sehr schräge zwei Wochen. In dem Sommer habe ich auch gelernt, die Waschmaschine selbst zu benutzen. Manche Socken sollte man einfach nicht von seiner Mutter waschen lassen.

Nach dem Essen stellt Nora auf dem Wohnzimmer-Computer die Skype-Verbindung her. Auf dem Bildschirm sieht Alice ein bisschen zerknittert aus, aber das ist wahrscheinlich nur die Frisur – ihre dunkelblonden und verwuschelten Haare. Wir haben alle drei lachhaftes Haar. Im Hintergrund sieht man Alice’ ungemachtes, mit Kissen übersätes Bett, und jemand hat einen runden Flokati gekauft, um die zwei Quadratmeter Fußboden zu bedecken. Die Vorstellung, dass Alice sich ein Wohnheimzimmer mit irgendeinem Mädchen aus Minneapolis teilt, ist immer noch eigenartig. Wer hätte zum Beispiel geahnt, dass ich in Alice’ Zimmer jemals etwas entdecke, das mit Sport zu tun hat? Die Minnesota Twins, also wirklich.

»Okay, ihr seid ganz verpixelt. Ich werde mal – nein, Moment, jetzt geht’s. Oh mein Gott, Dad, ist das eine Rose?«

Unser Vater hat eine rote Rose in der Hand und kichert in die Webcam. Wenn es um Die Bachelorette geht, dreht meine Familie unfassbar durch.

»Simon, mach doch mal Chris Harrison nach.«

Fakt: Meine Parodie des Show-Moderators ist total und absolut genial. Jedenfalls unter normalen Umständen. Aber heute bin ich nicht in Topform.

Ich habe einfach zu viele andere Sachen im Kopf. Und zwar nicht bloß Martin, der meine Mails abgespeichert hat. Auch die Mails selbst. Seit Blue mich nach meinen Freundinnen gefragt hat, komme ich mir ein bisschen seltsam vor. Ob er mich wohl für einen Poser hält? Bei ihm habe ich den Eindruck, seit ihm klar ist, dass er schwul ist, hat er nichts mehr mit Mädchen angefangen, so einfach war das.

»Also, Michael D. behauptet, in der Fantasy Suite bloß geredet zu haben«, sagt Alice. Gegen Ende der Staffel dürfen die letzten Kandidaten mit der Bachelorette eine Nacht im Traumhotel verbringen. »Glauben wir das?«

»Nicht eine Sekunde, Alice«, antwortet Dad.

»Das sagen sie immer«, meint Nora. Sie legt den Kopf schräg und ich merke erst jetzt, dass sie fünf Piercings im Ohr hat, ganz bis nach oben und herum.

»Ja, oder?«, sagt Alice. »Bud, hast du auch eine Meinung?«

»Nora, wann hast du das denn gemacht?« Ich fasse mir ans Ohrläppchen.

Sie wird ein bisschen rot. »Letztes Wochenende?«

»Lass mal sehen«, fordert Alice. Nora dreht ihr Ohr in Richtung Webcam. »Wow.«

»Eigentlich meine ich, warum?«, frage ich.

»Weil ich wollte.«

»Aber warum so viele?«

»Können wir jetzt wieder über die Fantasy Suite reden?«, sagt sie. Nora wird unbehaglich, wenn sie im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

»Ich meine, sie heißt nun mal ›Fantasy Suite‹«, sage ich. »Auf jeden Fall haben sie es gemacht. Ich bin ziemlich sicher, dass es bei dieser Art Fantasie nicht ums Reden geht.«

»Aber das muss ja nicht gleich Geschlechtsverkehr bedeuten.«

»MOM! Muss das sein?«

Ich glaube, die Beziehungen fielen mir so leicht, weil mir die kleinen Demütigungen egal sein konnten, die damit einhergehen, dass man sich zu jemandem hingezogen fühlt. Also, ich komme einfach gut mit Mädchen aus. Sie zu küssen ist kein Problem. Mit ihnen zusammen zu sein war auszuhalten.

»Und wie findet ihr Daniel F.?«, fragt Nora und steckt sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Also ehrlich, diese Piercings. Ich verstehe sie einfach nicht.

»Okay, Daniel F. ist auf jeden Fall der Schärfste«, sagt Alice. Meine Mutter und Alice benutzen immer den Ausdruck »Sahneschnitte«, wenn sie von diesen Typen reden.

»Macht ihr Witze?«, sagt mein Vater. »Der Schwule?«

»Daniel ist nicht schwul«, widerspricht Nora.

»Mein Kind, der ist ein wandelnder Christopher Street Day. Eine ganz heiße Flamme.«

Mein ganzer Körper verkrampft. Leah hat mal gesagt, es wäre ihr lieber, wenn die Leute ihr ins Gesicht sagen, sie sei dick, als dass sie irgendwelchen Scheiß über das Gewicht anderer Mädchen reden. Ich glaube, da bin ich ihrer Meinung. Nichts ist schlimmer als die heimliche Erniedrigung einer Stellvertreterbeleidigung.

»Hör auf, Dad«, sagt Alice.

Prompt fängt Dad an, den Song »Eternal Flame« von den Bangles zu singen.

Ich weiß nie genau, ob mein Vater solche Sachen tatsächlich meint oder ob er das nur sagt, um Alice in Rage zu bringen. Also, wenn er ehrlich so denkt, dann ist es vielleicht ganz gut, Bescheid zu wissen. Nur dass ich es dann leider auch nicht mehr aus meinem Kopf streichen kann.

Also, das andere Problem ist das Mittagessen. Seit dem Erpressungsgespräch ist noch keine Woche vergangen, trotzdem fängt Martin mich auf dem Weg von der Essensausgabe zum Tisch ab.

»Was willst du, Martin?«

Er schaut zu meinem Tisch hinüber. »Noch Platz für einen mehr?«

»Ähm.« Ich schaue zu Boden. »Eigentlich nicht.«

Eine komische Sekunde Stille.

»Wir sind schon acht Leute.«

»Wusste nicht, dass die Stühle alle reserviert sind.«

Ich habe keinen Schimmer, was ich darauf antworten soll. Die Leute sitzen, wo sie immer sitzen. Ich dachte, das wäre eins der grundlegenden Naturgesetze des Universums.

Man kann doch nicht im Oktober plötzlich die Sitzordnung beim Mittagessen ändern.

Meine Gruppe ist zwar schräg, aber sie funktioniert. Nick, Leah und ich. Leahs Freundinnen Morgan und Anna, die beide Manga lesen und schwarzen Lidstrich tragen und mehr oder weniger austauschbar sind. Anna und ich waren sogar im ersten Jahr an der Highschool zusammen, aber ich finde trotzdem, dass sie und Morgan austauschbar sind.

Und dann noch Nicks absolut willkürliche Fußballfreunde: der verlegen schweigende Bram und der ein bisschen idiotische Garrett. Und Abby Suso. Sie ist kurz vor Schuljahrsbeginn aus Washington hergezogen, und irgendwie sind wir wohl aufeinander zugetrieben. Eine Kombination aus Schicksal und alphabetischer Sortierung.

Das sind also wir acht. Eine ziemlich geschlossene Gruppe. Wir müssen jetzt schon zwei zusätzliche Stühle an einen Sechsertisch quetschen.

»Also.« Martin lehnt sich mit seinem Stuhl zurück und starrt an die Decke. »Ich dachte, wir ziehen in der Sache mit Abby an einem Strang, aber …«

Dann sieht er mich an und zieht die Augenbrauen hoch. Ernsthaft.

Wir haben diese Erpressungsvereinbarung nie so richtig ausformuliert, aber offenbar läuft es ungefähr so: Martin verlangt, was ihm gerade einfällt. Und ich soll es dann tun.

Das ist so unfassbar toll, ich könnte schreien vor Freude.

»Ehrlich, ich will dir ja helfen.«

»Wenn du das sagst, Spier.«

»Hör zu.« Ich senke die Stimme, flüstere fast. »Ich werde mit ihr reden und so. Okay? Aber du musst das mir überlassen.«

Er zuckt die Achseln.

Den ganzen Weg zu meinem Tisch spüre ich seinen bösen Blick im Nacken.

Ich muss mich normal benehmen. Ich kann ja nichts sagen. Also, natürlich muss ich Abby irgendwas über ihn erzählen, aber genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich sagen will.

Wird wahrscheinlich nicht so leicht, Abby diesen Jungen schmackhaft zu machen. Ich kann ihn nämlich nicht ausstehen.

Aber das spielt ja jetzt wohl keine Rolle.

Allerdings verstreichen die Tage und ich habe immer noch nichts unternommen. Ich habe nicht mit Abby gesprochen, ich habe Martin zu rein gar nichts eingeladen, ich habe sie auch nicht zusammen in einem leeren Klassenzimmer eingeschlossen. Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht mal, was er eigentlich will.

Irgendwie hoffe ich, das so lange wie nur irgend möglich nicht herausfinden zu müssen. Ich bin in letzter Zeit ziemlich viel untergetaucht. Oder habe an Nick und Leah geklebt, damit Martin mich nicht anzusprechen versucht. Am Dienstag fahre ich auf den Parkplatz und Nora springt aus dem Auto – aber als ich ihr nicht folge, steckt sie den Kopf wieder durch die Tür.

»Ähm, kommst du?«

»Bald«, sage ich.

»Na gut.« Pause. »Alles in Ordnung?«

»Was? Ja, klar.«

Sie schaut mich an.

»Nora. Es geht mir gut.«

»Okay«, sagt sie und macht einen Schritt zurück. Sie schließt die Tür mit leisem Klicken und geht auf den Schuleingang zu. Ich weiß auch nicht. Nora kriegt manchmal erstaunlich viel mit, aber mit ihr über Sachen zu reden kann ein bisschen unbehaglich sein. Ist mir nie so richtig aufgefallen, bis Alice zum Studieren weggezogen ist.

Ich spiele auf meinem Handy herum, rufe Mails ab und schaue mir Musikvideos auf YouTube an. Dann klopft es an der Beifahrerscheibe und ich zucke zusammen. Inzwischen rechne ich überall mit Martin. Aber es ist bloß Nick. Ich winke ihm durchs Fenster, er soll einsteigen.

Er setzt sich auf den Beifahrersitz. »Was machst du?«

Martin aus dem Weg gehen.

»Videos gucken«, sage ich.

»Oh Mann. Perfekt. Ich habe gerade so einen Song im Kopf.«

»Wenn er von The Who ist«, teil ich ihm mit, »oder von Def Skynyrd oder was auch immer, dann auf gar keinen Fall.«

»Ich tu mal so, als hättest du nicht gerade ›Def Skynyrd‹ gesagt.«

Nick hochzunehmen macht mir immer Spaß.

Schließlich einigen wir uns auf den Kompromiss, eine Folge Adventure Time anzuschauen, was die ideale Ablenkung ist. Ich behalte die Uhr im Auge, weil ich Englisch nicht verpassen will. Ich will bloß die Wartezeit vorher minimieren, in der Martin mich ansprechen könnte.

Eins ist komisch. Ich weiß, Nick merkt, dass irgendwas mit mir los ist, aber er stellt keine Fragen oder versucht mich zum Reden zu bringen. So ist das zwischen uns. Ich kenne seine Stimme und seine Ausdrücke und seine komischen kleinen Angewohnheiten. Seine plötzlichen existenziellen Monologe. Wie er mit den Fingerspitzen über den Daumenballen wandert, wenn er nervös ist. Und ich nehme an, er weiß so ähnliche Sachen von mir. Ich meine, wir kennen einander, seit wir vier sind. Aber was in seinem Kopf vorgeht, davon habe ich eigentlich meistens keinen Schimmer.

Das erinnert mich sehr an den Text, den Blue auf Tumblr gepostet hat.

Nick nimmt sich mein Handy und scrollt die Videos durch. »Wenn wir eins mit Christus-Symbolik finden, können wir definitiv rechtfertigen, Englisch zu schwänzen.«

»Äh, wenn wir eins mit Christus-Symbolik finden, schreibe ich in meinem freien Aufsatz über Adventure Time.«

Er sieht mich an und lacht.

Das Schöne ist, mit Nick bin ich nicht einsam. Es ist einfach leicht. Das ist ja vielleicht doch ganz gut.

Ich komme ein bisschen zu früh zur Donnerstagsprobe, darum schleiche ich mich aus der Seitentür der Aula und gehe außen herum zur Rückseite der Schule. Es ist ziemlich kalt für Georgia und sieht aus, als hätte es nach dem Mittagessen geregnet. Aber eigentlich gibt es hier nur zwei Sorten Wetter: Hoodie-Wetter und Wetter, bei dem man trotzdem einen Hoodie trägt.

Ich muss meine Ohrstöpsel im Rucksack in der Aula gelassen haben. Ich hasse es, Musik über meine Handylautsprecher zu hören, aber Musik ist immer besser als keine Musik. Ich lehne mich gegen die Backsteinwand hinter der Mensa und suche in meiner Musiksammlung nach einer EP von Leda. Ich habe sie noch gar nicht gehört, aber da Leah und Anna ganz verrückt danach sind, bin ich gespannt.

Plötzlich bin ich nicht mehr allein.

»Okay, Spier. Was ist los mit dir?«, fragt Martin und stellt sich neben mich an die Wand.

»Los mit mir?«

»Ich glaube, du weichst mir aus.«

Wir tragen beide Chucks und ich kann mich nicht entscheiden, ob meine Füße klein aussehen oder seine riesig. Martin ist schätzungsweise fünfzehn Zentimeter größer als ich. Unsere Schatten sehen nebeneinander lachhaft aus.

»Tue ich gar nicht«, sage ich. Ich löse mich von der Wand und gehe zurück Richtung Aula. Ich will schließlich Ms Albright nicht verärgern.

Martin holt mich ein. »Mal im Ernst«, sagt er. »Ich werde niemandem deine Mails zeigen, okay? Du musst deswegen nicht austicken.«

Ich glaube, diese Aussage werde ich mit allergrößter Vorsicht genießen. Denn er hat eindeutig nicht gesagt, dass er sie löschen wird.

Er sieht mich an und ich kann seine Miene nicht recht deuten. Es ist echt komisch. So viele Jahre sitze ich mit diesem Jungen schon in einer Klasse, lache mit allen anderen über den unerwarteten Quatsch, den er redet. Die ganze Zeit habe ich ihn auf der Bühne gesehen. Wir haben sogar mal ein Jahr im Chor nebeneinandergesessen. Aber eigentlich kenne ich ihn kaum. Ich glaube sogar, ich kenne ihn überhaupt nicht.

Noch nie im Leben habe ich jemanden so schwer unterschätzt.

»Ich habe gesagt, ich rede mit ihr«, sage ich schließlich. »Okay?«

Ich habe die Hand schon an der Tür der Aula.

»Moment«, sagt er. Ich schaue zu ihm hoch und er hat sein Telefon in der Hand. »Wäre es nicht einfacher, wenn wir Nummern austauschen?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Na ja …« Er zuckt die Achseln.

»Meine Fresse, Martin.« Ich schnappe mir sein Handy und meine Hände vibrieren geradezu vor Wut, als ich meine Nummer in seine Kontakte eintippe.

»Super! Und ich rufe dich einfach an, dann hast du meine.«

»Von mir aus.«

Martin Addison, dieser Wichser. Den werde ich in meiner Kontaktliste definitiv unter »Monster Arschloch« eintragen.

Ich schiebe mich durch die Tür und Ms Albright treibt uns auf die Bühne. »Okay. Ich brauche Fagin, Dodger, Oliver und die Jungs. Erster Akt, sechste Szene. Los geht’s.«

»Simon!« Abby schlingt die Arme um mich und pikst mich dann in die Wangen. »Verlass mich nie wieder.«

»Was habe ich verpasst?« Ich zwinge mich zu lächeln.

»Nichts«, flüstert sie, »aber ich leide hier echte Taylor-Folter.«

»Der blondeste Kreis der Hölle.«

Taylor Metternich. Sie ist auf übelste Weise vollkommen. Also, wenn Vollkommenheit eine dunkle Seite hätte. Ich weiß nicht, wie ich das sonst erklären soll. Ich stelle mir immer vor, dass sie abends vor einem Spiegel sitzt und die Bürstenstriche zählt, mit denen sie ihr Haar pflegt. Und sie gehört zu den Leuten, die dich auf Facebook fragen, wie der Geschichtstest gelaufen ist. Aber nicht, um dich aufzubauen. Sondern weil sie deine Note wissen will.

»Okay, Jungs«, sagt Ms Albright. Zum Totlachen, weil Martin, Cal Price und ich die Einzigen auf der Bühne sind, die sich davon eigentlich angesprochen fühlen dürften. »Noch ein wenig Geduld, wir müssen noch kurz die Regieanweisungen durchgehen.« Sie streicht sich den Pony aus den Augen und hinters Ohr. Ms Albright ist sehr jung für eine Lehrerin und hat knallrote Haare. Also feuerwehrrot.

»Erster Akt, sechste Szene, das ist doch die Taschendiebszene, oder?«, fragt Taylor, sie gehört nämlich auch zu den Leuten, die so tun, als würden sie etwas fragen, um damit anzugeben, was sie schon wissen.

»Richtig«, sagt Ms Albright. »Bitte sehr, Cal.«

Cal ist Stage Manager. Er ist Junior, genau wie ich, und sein Ausdruck des Textes mit doppeltem Zeilenabstand ist in einen riesigen blauen Ordner geheftet und quillt von Bleistiftnotizen über. Wirklich komisch, dass seine Aufgabe vor allem darin besteht, uns herumzukommandieren und gestresst zu sein, weil ich eigentlich keinen weniger autoritären Menschen kenne. Er spricht meist sehr leise und hat tatsächlich einen Südstaatenakzent. Den hört man in Atlanta normalerweise nie.

Außerdem hat er so einen zauseligen braunen Pony, wie ich ihn mag, und dunkle, meerblaue Augen. Ich habe noch nichts davon gehört, dass er schwul ist, aber irgendwie strahlt er so was aus, vielleicht.

»So«, sagt Ms Albright.

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Becky Albertalli: Ein Happy End ist erst der Anfang

Aus dem Englischen von Ingo Herzke

Wenn Leah Schlagzeug spielt, kommt sie nicht so leicht aus dem Takt. Wäre das im echten Leben doch auch so! Aber manchmal fühlt Leah sich, als ob sie von außen auf ihr Leben schaut. Was wird wohl nach der Schulzeit kommen? Wird sie ihre Freunde überhaupt noch sehen? Dieser Gedanke jagt ihr Angst ein – vor allem, weil sie für eine ganz bestimmte Person weitaus mehr empfindet, als sie sich eingestehen will.

Die Fortsetzung des preisgekrönten Fanlieblings »Nur drei Worte«, der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde und auch im Kino als »Love, Simon« zu sehen war. Ob eingefleischter Fan oder Creekwood-Neuling – in Leah werden sich alle sofort verlieben!

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Für die Leserinnen und Leser, die wussten, dass etwas im Busch war,als ich selbst es noch nicht wusste.

1

Ich will nicht dramatisch klingen, aber Gott schütze mich davor, dass Morgan die Setlist bestimmt. Das Mädchen ist eine wandelnde männliche Midlife-Crisis im Körper einer Zehntklässlerin.

Typisches Beispiel: Sie kniet auf dem Fußboden, nimmt den Keyboard-Hocker als Schreibtisch und jeder Song auf ihrer Liste ist ein mittelmäßiger Classic-Rock-Song. Ich bin ja sehr tolerant, aber als Amerikanerin, als Musikerin und als Mensch mit Selbstachtung ist es sowohl meine Pflicht als auch mein Recht, diesen Mist entschieden abzulehnen.

Ich beuge mich vor und schaue ihr über die Schulter. »Kein Bon Jovi. Nichts von Journey.«

»Moment mal – im Ernst?«, fragt Morgan. »Die Leute lieben doch Don’t Stop Believin’.«

»Die Leute lieben auch Crystal Meth. Sollen wir deshalb anfangen, Meth zu nehmen?«

Anna zieht die Augenbrauen hoch. »Leah, hast du gerade …«

»Hab ich grade Don’t Stop Believin’ mit Meth verglichen?« Ich zucke die Achseln. »Ja, hab ich.«

Anna und Morgan tauschen einen bedeutungsvollen Blick. Er sagt: Pass auf, jetzt wird sie total bockig.

»Ich meine ja nur. Der Song ist ein Haufen Schrott. Der Text ist totaler Quatsch.« Ich tippe den Stick kurz auf die Snare, um den letzten Satz zu unterstreichen.

»Mir gefällt der Text«, sagt Anna. »Er ist so voller Hoffnung.«

»Es geht doch nicht um Hoffnung. Es geht um die krasse Unwahrscheinlichkeit, dass man um Mitternacht einen Zug, ich zitiere, nach irgendwohin nimmt.«

Wieder wechseln sie einen Blick, diesmal begleitet von ganz zartem Schulterzucken. Übersetzung: Da ist was dran.

Übersetzung der Übersetzung: Leah Catherine Burke ist ein echtes Genie und wir sollten ihren Musikgeschmack niemals anzweifeln.

»Vielleicht nehmen wir besser nichts Neues dazu, bis Taylor und Nora wieder da sind«, räumt Morgan ein. Und da hat sie recht. Wegen der Proben für das Schulmusical sind Taylor und Nora seit Januar außer Gefecht. Und wir anderen haben uns zwar mehrmals die Woche getroffen, aber Proben ohne Sängerin und Leadgitarristin sind doch scheiße.

»Okay«, sagt Anna. »Dann sind wir hier wohl fertig?«

»Mit der Probe?«

Ups. Hätte ich nur nichts zu Journey gesagt. Ich verstehe es ja. Ich bin weiß. Ich sollte also auf schmierige Rockklassiker stehen. Aber ich dachte, so eine lebhafte Diskussion über Meth und Musik macht allen Spaß. Vielleicht ist sie doch ein bisschen aus dem Ruder gelaufen, denn Morgan räumt das Keyboard weg und Anna schreibt ihrer Mutter eine Nachricht, dass sie abgeholt werden will. Das heißt dann wohl Game over.

Meine Mutter kommt erst in zwanzig Minuten, also hänge ich noch ein bisschen im Musikraum ab, als sie schon weg sind. Macht mir eigentlich nichts aus. Es ist sogar ganz nett, allein Schlagzeug zu spielen. Ich spiele einfach los, Bass Drum und Snare, noch mal und noch mal. Ein paar Fills auf den Toms. Ein bisschen K-tschh K-tschh K-tschh auf der Hi-Hat, und dann das Crash-Becken.

Crash.

Crash.

Und noch mal.

Ich höre mein Handy gar nicht brummen, erst das Ping, als die Nachricht von der Mailbox kommt. Ganz sicher meine Mutter. Sie ruft immer an, Nachrichten schreibt sie bloß, wenn sie keinen Ausweg sieht. Man könnte meinen, sie sei fünfzig oder eine Million Jahre alt, dabei ist sie erst fünfunddreißig. Ich bin achtzehn. Rechnet es selbst aus. Im Grunde bin ich so eine Art dicke Rory Gilmore aus dem Haus Slytherin.

Ich höre mir nicht an, was sie mir auf die Mailbox gesprochen hat, weil sie danach immer gleich eine Nachricht schreibt – und richtig, einen Augenblick später: Tut mir echt leid, Süße. Ich versinke total in Arbeit – kannst du heute den Bus nehmen?

Klar, antworte ich.

Du bist die Beste. Kuss-Emoji.

Moms Chef ist so ein Workaholic-Anwalt, unaufhaltsam wie ein Roboter, darum passiert so was dauernd. Entweder das, oder sie hat ein Date. Ist echt nicht witzig, dass da bei meiner Mutter mehr abgeht als bei mir. Im Augenblick trifft sie sich mit einem Typen namens Wells. So wie die Mehrzahl von well. Er ist reich und kahl und hat winzig kleine Ohren, und ich glaube, er ist fast fünfzig. Ich habe ihn einmal getroffen, eine halbe Stunde lang, und da hat er sechs Flachwitze gebracht und zwei Mal »Scheibenkleister« gesagt.

Na ja, früher hatte ich selbst ein Auto, darum war das kein Thema – wenn ich vor Mom zu Hause war, bin ich einfach durch die Garage rein. Aber letztes Jahr ist Moms Auto verreckt, also wurde mein Auto ihr Auto und ich darf jetzt mit fünfunddreißig Neuntklässlern nach Hause fahren. Nicht dass ich deshalb verbittert wäre.

Wir sollen den Musikraum bis fünf räumen, also nehme ich das Schlagzeug auseinander und hieve die Teile in die Instrumentenkammer. Ich bin die Einzige, die das Schulschlagzeug benutzt. Alle anderen Schlagzeuger haben ein eigenes Set in den schicken Kellern ihrer Villen. Mein Freund Nick hat ein ausbaufähiges Yamaha DTX450K E-Drumkit, dabei spielt er nicht einmal Schlagzeug. Das könnte ich mir in tausend Jahren nicht leisten. Aber so ist Shady Creek.

Der späte Bus fährt erst in einer halben Stunde – dann spiele ich mal Theatergroupie. Es stört nie irgendwen, wenn ich einfach in die Proben reinspaziere, obwohl am Freitag schon Premiere ist. Echt, ich war schon so oft bei den Proben dabei, ich glaube, fast alle haben vergessen, dass ich gar nicht mitspiele. Die meisten meiner Freunde sind dabei – sogar Nick, der vorher noch nie für irgendwas vorgesprochen hat. Ich glaube, er hat das bloß gemacht, damit er mehr Zeit mit seiner ekelhaft reizenden Freundin verbringen kann. Aber weil er eben so ein Held ist, hat er sich gleich mal die Hauptrolle gesichert.

Ich nehme den Seitengang, der direkt hinter die Bühne führt, und schlüpfe durch die Tür. Natürlich sehe ich zuallererst Schnuffel persönlich, meinen Bro Nummer eins, den Vernichter aller Oreos: Simon Spier.

»Leah!« Er steht am Seitenrand der Bühne hinterm Vorhang, halb im Kostüm, von Typen umgeben. Keine Ahnung, wie Ms Albright so viele Jungen zum Mitmachen überredet hat. Simon setzt sich von ihnen ab. »Du kommst gerade rechtzeitig für mein Lied.«

»So habe ich das geplant.«

»Ehrlich?«

»Nein.«

»Ich hasse dich.« Er stößt mir den Ellbogen in die Seite, dann umarmt er mich. »Nein, ich hab dich lieb.«

»Kann ich gut verstehen.«

»Ich fasse es nicht, dass du mich gleich singen hörst.«

Ich grinse. »Der Hype ist real.«

Jemand flüstert ein Kommando, das ich nicht richtig hören kann, und die Jungs stellen sich rechts und links hinter der Bühne auf, heiß auf den Auftritt. Ich kann sie echt kaum angucken, ohne loszulachen. Sie spielen Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat und Josephs Brüder tragen alle so flauschige falsche Bärte. Keine Ahnung, vielleicht steht das als Kostümanweisung in der Bibel oder so.

»Wünsch mir kein Glück«, sagt Simon. »Sondern Hals- und Beinbruch.«

»Simon, du solltest wohl mal schnell auf deinen Platz.«

»Okay, eins noch: Nimm nicht den Bus nach Hause. Wir gehen gleich alle noch ins Waffle House.«

»Ist notiert.«

Die Jungs trippeln auf die Bühne und ich trete ein bisschen weiter hinter den Vorhang zurück. Da sich das Gedränge aufgelöst hat, sehe ich jetzt auch Cal Price, der hier Stage Manager ist und an einem Schreibtisch zwischen den Vorhängen sitzt. »Hey, Red.«

So nennt er mich, obwohl meine Haare kaum rot sind. Ist schon okay – Cal ist einfach so nett und süß, man kann ihm gar nicht böse sein –, aber jedes Mal, wenn er das sagt, kriege ich so eine Art inneren Schluckauf.

Mein Vater hat mich Red genannt. Früher, als er noch mit mir gesprochen hat.

»Hast du diese Nummer schon gesehen?«, fragt Cal, und ich schüttele den Kopf. Er deutet lächelnd mit dem Kinn Richtung Bühne und ich mache ein paar Schritte nach vorn.

Die Jungs torkeln. Anders kann man das nicht nennen. Der Chorlehrer schlägt ein paar französisch klingende Klavierakkorde an und Simon tritt vor, die Hand auf dem Herzen.

»Denkt ihr noch manchmal an früher in Kanaan …?«

Seine Stimme zittert ein bisschen und sein französischer Akzent ist katastrophal. Doch er ist saukomisch auf der Bühne – sinkt auf die Knie, packt sich an den Kopf, stöhnt – und ich will bestimmt nicht übertreiben, aber seine Version dieses Songs könnte Kultstatus kriegen.

Nora schleicht sich neben mich. »Rate mal, wie oft ich ihn das in seinem Zimmer habe singen hören.«

»Sag bitte, er hat keinen Schimmer, dass du ihn hören kannst.«

»Er hat keinen Schimmer, dass ich ihn hören kann.«

Tut mir leid, Simon, aber du bist einfach zu süß. Wenn du nicht schwul und schon vergeben wärst, würde ich dich auf der Stelle heiraten. Mal ehrlich, Simon zu heiraten wäre der reine Wahnsinn – und das nicht bloß, weil ich in der Achten heimlich (und tragisch) auf ihn stand. Es hat noch andere Gründe. Zum Beispiel fände ich es total super, eine Spier zu sein, weil seine Familie buchstäblich perfekt ist. Ich bekäme Nora als Schwägerin und dazu noch eine fantastische ältere Schwester an der Uni. Und die Spiers wohnen in so einem riesengroßen, tollen Haus, wo nicht jede Oberfläche vollgemüllt ist. Sogar ihren Hund finde ich großartig.

Der Song ist zu Ende und ich schleiche mich aus der Kulisse in den Zuschauerraum, in die letzte Reihe, die unter Theaterschülern – hoffnungsvoll – die Fummelbank genannt wird. Aber ich bin ganz allein hier und nicht so richtig bei der Sache. Ich schaue mir alles aus der Ferne an. Ich habe noch nie beim Theater mitgemacht, obwohl meine Mutter mich ständig zum Vorsprechen zu überreden versucht. Aber die Sache ist die: Man kann jahrelang beschissene Fan-Art auf seinem Skizzenblock zeichnen, ohne dass irgendwer sie zu sehen kriegt. Man kann allein im Musikraum vor sich hin trommeln, bis man gut genug ist für einen Auftritt. Doch beim Theaterspielen kann man eben nicht endlos allein vor sich hin üben. Man hat schon Zuschauer, bevor die richtigen Zuschauer kommen.

Die Musik schwillt an. Abby Suso tritt mit einem riesigen, perlenbesetzten Kragen und einer Elvis-Perücke an die Rampe. Und sie singt.

Sie ist natürlich der Wahnsinn. Sie hat nicht so eine Riesenstimme wie Nick oder Taylor, aber sie kann die Melodie halten und ist witzig. Das ist es eben. Auf der Bühne macht sie sich total zum Deppen. Einmal schmeißt sogar Ms Albright sich weg vor Lachen. Und das will was heißen – nicht nur, weil es nicht einfach ist, sich wegzuschmeißen, sondern weil Ms Albright das Ganze natürlich schon hundertmal gesehen hat. Abby ist einfach so gut. Nicht mal ich kann den Blick von ihr wenden.

Als das Stück zu Ende ist, ruft Ms Albright das ganze Ensemble zur Besprechung auf der Bühne zusammen. Alle lümmeln sich auf die verschiedenen Plattformen des Bühnenbilds, außer Simon und Nick, die gleich zum Bühnenrand huschen und sich neben Abby setzen. Klar.

Nick legt ihr den Arm um die Schultern und sie kuschelt sich an ihn. Auch klar.

Hier drin gibt es kein WLAN, also muss ich mir Ms Albrights Kritik anhören, gefolgt von einem ungebetenen zehnminütigen Monolog von Taylor Metternich darüber, wie man sich selbst verliert und zu seiner Figur wird. Ich habe den Verdacht, dass Taylor total auf ihre eigene Stimme abgeht. Ich bin ziemlich sicher, dass sie hier vor unseren Augen lauter kleine, geheime Orgasmen hat.

Schließlich macht Ms Albright dem ein Ende und alle strömen aus der Aula und schnappen sich dabei ihre Rucksäcke – nur Simon, Nick und Abby bleiben zusammen am Orchestergraben. Ich stehe auf, strecke mich und gehe durch den Gang zwischen den Reihen nach vorn. Eigentlich möchte ich sie alle mit Lob überschütten, aber irgendwas hält mich zurück. Vielleicht ist es einfach zu schmerzhaft ehrlich, zu sehr die Leah aus der Fünften. Ganz abgesehen davon, dass mir speiübel wird beim Gedanken, vor Abby den Superfan zu geben.

Ich klatsche Simon ab. »Du warst der Hammer.«

»Ich habe gar nicht gewusst, dass du hier bist«, sagt Abby.

Schwer zu sagen, wie sie das meint. Vielleicht ist es eine heimliche Beleidigung. So: Was machst du eigentlich hier, Leah? Oder vielleicht: Ich hab dich gar nicht bemerkt, so unbedeutend bist du. Aber vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken. Das kommt vor, wenn es um Abby geht.

Ich nicke. »Hab gehört, ihr fahrt noch zum Waffle House.«

»Ja, ich glaube, wir warten nur noch auf Nora.«

Martin Addison geht vorbei. »Hey, Simeon«, sagt er.

»Hey, Reuben«, antwortet Simon und schaut von seinem Handy auf. Das sind die Namen ihrer Rollen. Ja, genau, Simon spielt einen Typen namens Simeon, weil Ms Albright wohl nicht widerstehen konnte. Reuben und Simeon sind zwei von Josephs Brüdern und das wäre bestimmt alles total süß, wenn Martin Addison nicht beteiligt wäre.

Martin geht weiter und Abbys Augen blitzen. Es ist echt nicht leicht, Abby sauer zu machen, aber Martin schafft das durch seine bloße Existenz. Und dadurch, dass er extra noch mit Simon redet, als hätte es das letzte Jahr nicht gegeben. Das ist so scheißdreist. Simon redet gar nicht viel mit Martin, aber ich finde es kacke, dass er es überhaupt tut. Nicht dass ich Simon vorschreiben könnte, mit wem er reden soll und mit wem nicht. Aber ich weiß – das merke ich einfach –, dass es Abby genauso aufregt wie mich.

Simon wendet sich wieder seinem Handy zu, ganz offensichtlich schreibt er Bram. Sie sind jetzt seit etwas über einem Jahr zusammen und sind eins dieser ekelhaft glücklichen Paare. Damit meine ich gar nicht öffentliches Knutschen und so. In der Schule fassen sie sich kaum an, wahrscheinlich weil die Leute hier solche Neandertaler sind, wenn es um Schwule und Lesben geht. Aber Simon und Bram texten und blickficken den ganzen Tag lang, als ob sie es keine fünf Minuten ohne Kontakt aushalten. Ganz ehrlich? Es fällt mir schwer, nicht neidisch zu werden. Und das nicht bloß, weil es so eine Wahre-Liebe-Herzchen-Turteltauben-Märchen-Story ist. Sondern weil sie es überhaupt gewagt haben. Sie hatten die Eier, einfach scheiß auf euch zu sagen; scheiß auf Georgia, scheiß auf euch homophobe Arschlöcher.

»Und Bram und Garrett kommen gleich dahin?«, fragt Abby.

»Ja. Sind gerade fertig mit Fußballtraining.« Simon lächelt.

Ich lande auf Simons Beifahrersitz, hinten sitzt Nora und wühlt in ihrem Rucksack herum. Sie trägt hochgekrempelte Jeans voller Farbflecken, ihre Locken sind zu einem unordentlichen Knoten zusammengesteckt. Ein Ohr ist rundum gepierct, bis oben hin, und in der Nase hat sie einen winzigen blauen Stecker, den sie sich letztes Jahr hat machen lassen. Das Mädchen ist fast unerträglich süß. Ich finde es super, dass sie Simon so ähnlich ist und dass sie beide wie ihre große Schwester aussehen. Eine absolute Copy&Paste-Familie.

Endlich zieht Nora die Hand wieder aus dem Rucksack – mit einer ungeöffneten Riesentüte M&Ms. »Ich sterbe vor Hunger.«

»Wir sind buchstäblich auf dem Weg zum Waffle House«, sagt Simon, hält aber trotzdem die Hand auf. Ich nehme auch eine Handvoll und sie sind genau richtig weich – also noch nicht geschmolzen, bloß ein bisschen weich in der Mitte.

»Also, es war nicht komplett scheiße, oder?«, fragt Simon.

»Das Stück?«

Er nickt.

»Überhaupt nicht. Es war super.«

»Okay, aber manche können ihren Text immer noch nicht, und Freitag ist schon Premiere. Und der blöde Potiphar hat heute einen ganzen Song versaut. Oh Gott, ich brauche eine Waffel.«

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und checke Snapchat. Abby hat so eine endlos lange Story von den Proben gepostet, sieht aus wie der Zusammenschnitt einer Liebeskomödie. Ein Schnappschuss von Nick und Taylor, wie sie zusammen auf der Bühne singen. Ein Selfie von Abby und Simon, totale Nahaufnahme. Dann ein noch größeres von Simon, auf dem seine Nasenlöcher so riesig sind, dass Abby in eins davon einen Panda gesetzt hat. Und immer wieder Abby und Nick.

Ich stecke das Handy wieder in die Hosentasche. Simon biegt auf den Mount Vernon Highway ein. Ich fühle mich irgendwie komisch, so kribbelig – als würde mich irgendwas belasten, aber ich kann mich nicht erinnern, was es ist. So wie ein kleiner Nadelstich im Hinterkopf.

»Ich krieg einfach nicht raus, welchen Song du da spielst«, sagt Nora.

Ich brauche einen Moment, bis ich merke, dass sie mit mir redet, und noch einen Augenblick, um zu schnallen, dass ich auf dem Handschuhfach getrommelt habe.

»Hä? Ich hab keine Ahnung.«

»Es ging so«, sagt Nora und haut einen gradlinigen Eins-Zwei-Rhythmus auf meine Sitzlehne. Bumm-tapp-bumm-tapp. Lauter Achtel, schnell und gleichmäßig. Im Kopf ergänze ich sofort den Rest.

Es ist Don’t Stop Believin’. Mein Hirn ist ein Arschloch.

2

Auf dem Parkplatz des Waffle House stehen jede Menge Autos, die ich von der Schule kenne. Simon stellt den Motor ab und schaut auf sein Display.

Nach dem Aussteigen sehe ich als Erstes Taylors leuchtend blonden Schopf. »Leah! Ich wusste gar nicht, dass du auch kommst. Ich dachte echt, es ist bloß die Theatergang, aber cool!« Sie drückt auf ihren Schlüssel und ihr Auto piept zweimal. Irgendwie komisch – kann mich gar nicht erinnern, dass Taylor einen Jeep hat. Schon gar keinen, von dessen Stoßstange Hoden baumeln.

»Dein Wagen hat ja richtig realistische Eier, Taylor.«

»Total peinlich, oder?« Sie reiht sich neben mir ein. »Mein Bruder ist über die Frühjahrsferien nach Hause gekommen und hat mein Auto zugeparkt. Ich musste seins nehmen.«

»Oh, Mann. Was für ein blöder Sack.«

»Ja, er geht mir echt auf die Nüsse«, antwortet sie. Und ich muss schon zugeben: Manchmal finde ich Taylor einfach großartig.

Sie hält die Tür auf und ich folge Simon und Nora hinein. Den Geruch im Waffle House