7,99 €
Von Trauer gezeichnet, floh Fay nach dem Tod ihrer Mutter von Dublin nach London. Doch der ersehnte Neuanfang bleibt aus. Stattdessen versinkt sie tiefer in die Prostitution. Timber, ihr Exfreund, versucht vergeblich, ihr zu helfen. In Dublin kämpfen die Zwillinge Garret und Grover erbittert gegeneinander, gefangen im brüderlichen Hass. Als sie erfahren, dass Fay in Gefahr ist, müssen sie ihre Feindschaft überwinden. Doch wird dieser Kampf sie vereinen oder endgültig entzweien? Grover hütet ein dunkles Geheimnis, und der Mörder von Fays Mutter ist noch immer auf freiem Fuß, unerkannt und ungestraft.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Vanessa Fuhrmann
Black Swanlake Princes
Black Swanlake Princes
© 2024 VAJONA Verlag GmbH
Lektorat und Korrektorat: Désirée Kläschen
Umschlaggestaltung: VAJONA Verlag GmbH unter Verwendung von
Motiven von 123rf
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Für alle dunklen Engel –
in jedem von euch leuchtet ein helles Licht.
Und wenn ihr glaubt, die Swanlake Princess war nicht dark genug für euch, dann macht euch für die Princes bereit. Sie werden euch beide verführen – ob ihr wollt oder nicht.
Garret
Meine Hände zittern und Schweiß rinnt mir über die Stirn. Dennoch kann ich nicht aufhören. Niemals. Mein heutiger Gegner ist doppelt so groß wie ich. Und er hat Hände, groß wie Prügel. Eigentlich müsste ich eingeschüchtert sein. Jeder normale Mensch wäre das. Ich habe in den letzten beiden Monaten gelernt, was es heißt, Wut und Trauer zu verspüren. Ich brauche das. Ich muss vergessen, was gewesen ist.
Doch das kann ich nicht. Niemals. Sie ist wie eine Sucht gewesen. Etwas, das mich tief im Inneren berührt hat. Nie habe ich Gefühle zugelassen, bis sie in mein Leben getreten ist. Und jetzt? Jetzt ist alles zerstört. Meine Welt hat schon Risse gehabt, Fay hat sie zusammengefügt.
Ganz im Gegensatz zu meinem Bruder. Bei ihm ist es nun das zweite Mal, dass seine Welt zerbricht. Und diesmal verbindet uns etwas: Es ist ein und derselbe Grund. Es ist sie. Fay.
Unsere Schwester. Unsere Sünde. Unsere Liebe.
»FUCK!«, fluche ich. Ein Grollen entweicht meiner Kehle, ehe ich zum Schlag aushole. Ich treffe seinen Kiefer, der Schmerz pocht in meiner Hand. Tja, wahrscheinlich schmerzt mein Schlag mich selbst mehr als ihn. Aber das ist auch gut so. Ich grinse übermütig.
»Du hast wohl immer noch nicht genug, was?«, fragt der andere Kerl. Seinen Namen habe ich vergessen. Was würde eine Vorstellung auch bringen? Wichtig ist nur, dass uns die anderen anfeuern, die um die Kampffläche herumstehen. Rufe, die natürlich auch mir gelten.
»Ich werde nie genug haben«, spucke ich aus, »und irgendwann werde ich gut genug sein, um sogar einen riesigen Kerl wie dich fertigzumachen.«
Während ich die Sätze ausspreche, steigen Bilder in meinem Kopf hoch. Fays Mutter. Tot. Aufgefunden durch andere Prostituierte im Little Angel. Der Polizei ist sofort klar gewesen, dass sie ermordet worden ist. Und tja, den Mörder hat niemand zu fassen bekommen. Nun, wenn er mir gegenüberstehen würde, dann wäre ich vorbereitet, dann könnte ich zuschlagen.
»Kämpfe lieber gegen jemanden in deiner Größe.« Grovers Grinsen taucht auf. Er steht da, auf der anderen Seite des Rings, die Hände in seiner schicken Anzughose vergraben. Auch er kommt hierher. Oft. Es ist auch sein Ventil. Noch eine Gemeinsamkeit, die uns jetzt verbindet. Ich kann sehen, wie er seine Hände zu Fäusten ballt. Er zittert, sein ganzer Körper ist angespannt und er umkreist mich wie ein hungriger Löwe.
»Du schon wieder! Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass das mein Fight Club ist?«
»Spar dir das«, knurrt Grover. »Du bist der Säufer, der Ficker und der Drogenboss. All diese Stationen habe ich nicht durchlaufen.«
»Ja, du hast schon immer gern zugeschlagen.«
»Und du tust das jetzt auch, du bist nicht besser als ich. Nein, du bist schlechter.«
Seine Augen funkeln gefährlich. Ich selbst bringe mich ebenfalls in Position, verfolge jede seiner Bewegungen.
Die Menge grölt. Sie lieben es, wenn sich die zwei Nashvilles prügeln. Da wird am meisten gewettet. Und ich würde lügen, wenn ich es nicht auch lieben würde.
Grover umzingelt mich und dann schlägt er zu, trifft mich hart auf meinen Kiefer. Doch hier lande auch ich einen Treffer und bald darauf suhlen wir uns in unserem eigenen Blut.
Kapitel 1
Fay
Zuhause. Das Wort hört sich immer noch fremd an und ich verabscheue es.
Ich hätte niemals gedacht, dass nur ein einziger Abend, eine einzige Nacht mich so aus der Bahn werfen könnte. Wie kann nur so etwas Winziges wie eine kleine Kugel ein Leben für immer zerstören?
Ich begreife es nicht. Es hätte nicht Brooke treffen dürfen. Sie ist zu gut gewesen. Sie hat mich ohne mein Scheusal von Vater großgezogen. Sie hat dafür gesorgt, dass ich immer etwas zu essen hatte. Und jetzt ist sie weg.
»Angie!«
Sie ist bei mir eingezogen, nachdem ich in Moms leere Wohnung in London zurückgekehrt bin.
London. Vor etwa einem halben Jahr bin ich nach Dublin geflüchtet, um dort ein neues Leben anzufangen. Jetzt bin ich doch wieder hier. Ich habe es in Irland einfach nicht mehr ausgehalten. Als müsse ich wieder dort sein, wo Brooke gelebt hat. Weil ich keinen Sinn mehr darin gesehen habe, mein Studium am Trinity fortzuführen. Schließlich habe ich es für meine Mutter getan, um sie irgendwann aus der Hölle der Prostitution befreien zu können.
»Du musst jetzt bitte aufstehen. Es ist schon Nachmittag. Was hältst du davon, wenn wir zusammen einkaufen gehen?« Sie lässt einfach nicht locker. Eigentlich ist es lieb von ihr. Ohne sie wäre ich jetzt wahrscheinlich nur noch ein Wrack. Ich bin froh, dass Mom so eine gute Freundin wie Angie hatte. Auch wenn es mich nervt, dass sie mich so fröhlich und beschwingt aus meiner Trauerhöhle ziehen möchte.
»Haben wir überhaupt genug Cash im Haus, um einkaufen zu gehen?« Ich hebe prüfend eine Braue.
Angie verdreht die Augen. Sie ist etwas jünger als meine Mutter und hat seidig blondes Haar. Sie ist hübsch. Sehr hübsch, und das weiß sie auch einzusetzen.
»Ich hatte gestern wieder einen meiner Stammkunden da. Er hat das Übliche gezahlt.« Sie stemmt die Hände in die Hüften und grinst bis über beide Ohren. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter kann Angie ihrem Job etwas abgewinnen. Wahrscheinlich liebt sie einfach den Sex und die verbotenen, wilden Nächte.
»Du willst mich nur ködern«, erwidere ich.
»Ja, ich will dich nur aus deiner Reserve locken, damit du endlich wieder am normalen Leben teilnimmst. Und jetzt, komm! Wir kaufen dir etwas Hübsches zum Anziehen.«
Ihr Lächeln ist so gewinnend, dass ich einknicke. Ich schäle mich seufzend aus meiner Decke und schlüpfe in eine weite Jeans und ein zerknittertes, kurzes schwarzes Shirt. Dazu eine Sonnenbrille. Keiner soll meine Augen sehen, dazu bin ich viel zu fertig. Ich habe das Gefühl, seit zwei Monaten dauerhaft Augenringe zu tragen, und meine Tränensäcke werden nie leer.
Angie hat sich bei mir untergehakt, als wären wir alte Freundinnen. Wie kann Angie nur ein Lächeln auf den Lippen tragen? Es ist nur für mich, ich weiß es. Erst am Anfang der Woche habe ich sie nachts weinen hören. Sie vermisst meine Mutter ebenfalls, auch wenn sie nur Freundinnen waren. Dennoch, sie konnten sich immer aufeinander verlassen.
Als wir den ersten Laden betreten, flammen sofort Erinnerungen in meinem Kopf auf. Natürlich war ich mit Brooke schon oft hier.
›Tinkerbell, ich blamiere mich noch, wenn ich so aus der Kabine komme.‹
›Ach komm schon, Mom! Ich will wissen, wie dir Leo-Print steht.‹
Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen treten.
»Ich kann das nicht«, schluchze ich. Sofort zieht Angie mich in ihre Arme.
»Scchhh! Ich weiß, dass es weh tut. Glaub mir, ich weiß es.«
»Alle anderen werden sich fragen, warum ich hier stehe und heule«, schniefe ich.
»Du brauchst nicht auf die anderen zu achten, die sind jetzt egal.«
Sie wiegt mich. Als wäre sie meine Mutter. Es tut weh. So, so weh! Es fühlt sich an, als würden tausende Nadeln einfach in mein Herz piksen. Und dabei ist das noch nicht einmal der ganze Schmerz.
Ich denke zurück an jenen Abend, als ich mich von Grover als meinem Freund verabschieden musste. Unser Sex. Bruder und Schwester. Ich schlucke und noch mehr Tränen überrollen mich. Ich wünschte, Grover würde mich jetzt im Arm halten. Nicht Angie.
Mein ganzer Körper fängt an, zu zittern.
»Grover!« Sein Name ist ein ersticktes Flüstern.
Angie drückt mich fest an sich. »Komm mit. Ich glaube, wir sind besser in einem Café aufgehoben als hier.«
Ich schaffe es nicht, zu nicken, sondern folge Angie einfach mit gesenktem Blick.
Keine Ahnung, in welches Café wir gehen. Es ist mir auch egal. Schäbig ist es nicht gerade, aber auch nicht luxuriös. Wir sind beinahe die einzigen Gäste, bis auf ein paar Mädchen, die am Tresen sitzen.
Angie sucht uns einen Tisch in einer Ecke aus.
Die Kellnerin kommt. Angie ist so frei und bestellt für sich einen Tee und für mich eine heiße Schokolade.
»Das wärmt das Herz«, sagt sie mit einem Lächeln. Dennoch, ich kann an ihren Augen ablesen, dass sie sich um mich sorgt.
»Ich hab dich definitiv nicht verdient, Angie. Ohne dich … Ich wüsste nicht, wo ich dann wäre. Vielleicht hätte mich jemand irgendwo in einer dunklen Gasse aufgelesen.«
»Übertreib mal nicht. Deine Mutter hätte es so gewollt. Sie hat dich mehr als über alles geliebt. Du warst für sie das Wichtigste, ihr Lebensantrieb«, erklärt sie.
Ich senke meinen Blick. »Tja, sie war auch meiner.«
»Sag so etwas nicht! Du hast auch noch andere Dinge, für die es sich zu leben lohnt. Es sind nun zwei Monate vergangen; sie hätte gewollt, dass du nach vorne blickst und dir ein Leben nach deinen Träumen und Vorstellungen aufbaust.«
»Es ist nur nicht so einfach. Alles erinnert mich an sie«, sage ich wahrheitsgemäß.
Angie legt den Kopf schief. »Warum bist du deswegen nicht in Dublin geblieben? Dort wäre es mit den Erinnerungen einfacher gewesen. Hier kannst du ja kaum das Haus verlassen, ohne dass dich die Trauer einholt.«
In dem Moment kommt die Kellnerin mit unserer Bestellung. Warum ich in Dublin nicht bleiben konnte, liegt auf der Hand.
Angie seufzt und stellt ihre dampfende Teetasse ab. »Ich weiß. Grover. Oder halt, nein, waren es nicht zwei? Zwillinge?«
Ich nicke.
Grover. Mein sanftmütiger Grover. Der mich akzeptiert hat, obwohl ich nicht aus seinen Kreisen stamme.
Und Garret, der undurchschaubare Bad Boy, der mir am Katastrophenabend vor meiner Mom und seiner Familie eine Liebeserklärung gemacht hat. Der Mann, der mich so zum Orgasmus gebracht hat wie keiner zuvor.
Ich bekomme Gänsehaut, als ich daran denke. Schluss! Ich beiße mir auf die Lippen. Ich habe mich für Grover entschieden.
»Ja, ich vermisse sie. Aber aus dem Grund musste ich auch gehen. Ich hätte den beiden niemals als Halbschwester gegenüberstehen können. Und auch sie hätten wahrscheinlich immer mehr in mir gesehen«, erkläre ich und meine Hände umfassen meine Tasse mit Schokolade. Ich nippe daran und tatsächlich wird mein Körper von innen heraus erwärmt. Und sie ist lecker, da kann ich nicht widersprechen.
»Also, was dann? Willst du für den Rest deines Lebens Trübsal blasen?« Angie lässt einfach nicht locker, doch sie hat recht. Auf ewig kann es nicht so weitergehen.
»Du hast dein ganzes Leben noch vor dir und dir stehen alle Möglichkeiten offen«, fährt sie fort.
Ich unterbreche sie. »Ja, du hast gewonnen. Ich werde versuchen, mich zu bessern, mich langsam aufzurappeln. Aber es wird sicher nicht leicht werden und nicht immer gute Tage geben.«
Angie grinst zufrieden. »Das verlangt auch niemand. Wichtig ist nur, dass du es versuchst und kämpfst, anstatt einfach aufzugeben.«
»Ja. Und zuallererst fange ich damit an, mir einen Job zu suchen. Ans Studieren kann ich momentan definitiv nicht denken.«
Angie nickt. »Darauf stoßen wir an.«
Unsere Tassen klirren albern aneinander und zum ersten Mal kann ich wieder etwas lächeln. Vielleicht kann ich es ja tatsächlich schaffen und aus diesem trostlosen Loch wieder ins Leben klettern.
Grover
»Wo hast du dich denn schon wieder herumgetrieben?« Natürlich stellt mein Vater Fragen. Er sieht mich über den Rand seiner Morgenzeitung tadelnd an. Wir sitzen zu zweit am Frühstückstisch, was ich verabscheue. Alice versucht, meinem Vater, so gut es geht, aus dem Weg zu gehen. Sie ist in das Gästezimmer gezogen, ich kann sie vollkommen verstehen. Dennoch frage ich mich auch, warum sie noch nicht ausgezogen ist. Meinetwegen. Und um Garrets Willen.
»Das geht dich gar nichts an«, antworte ich meinem Vater. Ja, ich sehe schlimm aus. Gar nicht mehr wie ein Nashville. Ich komme mir ja selbst wie ein Fremder vor, wenn ich in den Spiegel blicke. Es ist wie nach der Trennung von Aideen, nur noch viel schlimmer.
Fay ist einfach über Nacht verschwunden. Am nächsten Tag habe ich in den Nachrichten gesehen, dass im Bordell Little Angel jemand erschossen wurde. Die Bilder haben nur gezeigt, wie eine Leiche abtransportiert wurde. Natürlich habe ich im ersten Moment an Fay gedacht, doch sie ist den ganzen Abend bei mir gewesen. Und schließlich haben sie den Namen der Frau genannt: eine Engländerin, Brooke Harris.
Sofort bin ich panisch geworden und zu Fay in die WG gefahren. Rhona hat geöffnet und mir mitgeteilt, dass Fay auf dem Polizeirevier wäre, um Fragen zu beantworten. Auch dahin bin ich gefahren, doch ich habe sie verpasst. Auf keinen meiner Handyanrufe hat sie reagiert. Ich habe sie gesucht und konnte sie dennoch nicht finden. Als ich am nächsten Morgen wieder vor Rhonas Tür stand, hat mir diese erklärt, Fay sei über Nacht einfach verschwunden. Hätte nur einen Zettel dagelassen.
Ich bin nach Hause zurück. Ich musste. Tut mir leid.
Mehr hat darauf nicht gestanden und am meisten schmerzt mich, dass der Zettel für Rhona gedacht war. Fay hat ihn ihr auf dem Wohnzimmertisch hinterlassen. Nicht mir. Sie hat mir nicht einmal eine Nachricht übers Handy geschrieben.
»Hast du dich wieder geprügelt?«, will Cormac wissen.
Mein Anzug ist ramponiert. Am Knie klafft ein Loch und er ist total zerknittert. Außerdem ist das Blut rund um meine Nase schwer zu übersehen. Es sieht eindeutig aus.
Ich zucke betont lässig mit den Schultern. Früher habe ich mich meinem Vater nicht widersetzt, doch jetzt bin ich immer noch leicht sauer auf ihn. Weil er Fays Vater ist. Zwar konnte er das nicht ahnen, dennoch schiebe ich ihm die Schuld in die Schuhe.
»Ja, habe ich. Mit meinem Bruder, wenn du es genau wissen willst. Und er sieht nicht weniger schlimm aus als ich.«
Garret ist immer die perfekte Ausrede. »Na wenigstens lässt du deine Wut nicht an irgendeinem Fremden aus«, schnaubt Cormac und überfliegt weiter die Zeilen in der Zeitung.
Wenigstens nicht an dir, ergänze ich in Gedanken. Schon scheint das Thema wieder gegessen zu sein, bis sich Cormac wieder meldet.
»Am Wochenende möchte ich, dass du wieder bei einem Geschäftsessen dabei bist.« Sein Blick ist ernst.
»Ich weiß nicht, ob ich das schon wieder kann. Du bist schließlich mit schuld, dass Fay die Stadt verlassen hat«, erkläre ich sachlich, ganz ohne die Stimme zu erheben.
»Bin ich denn schuld? Jemand hat Brooke Harris grausam ermordet«, erwidert mein Vater. »Deswegen hat sie Dublin verlassen. Sie musste nach Hause zurück, um dort ihre Mutter zu begraben.«
Ich runzle die Stirn. Skeptisch. Und wissend. »Sie hat die Stadt auch verlassen, weil sie jetzt meine Halbschwester ist. Wir können einfach nicht mehr zusammen sein«, murmle ich.
»Tja, die Liebe ist grausam, mein Sohn. Ich wusste von alldem auch nichts. Ich habe es erst von Brooke erfahren«, gibt er zurück, womit er auch vollkommen recht hat. Dennoch, ich bin wütend auf ihn.
»Hättest du Mom nicht betrogen …«
»… dann gäbe es deine Fay gar nicht«, schlussfolgert mein Dad und schiebt sich einen Bissen von seinem Toast in den Mund, den Blick weiterhin auf die Zeitung gerichtet.
»Ein Nashville steckt den Kopf nicht in den Sand. Um Aideen hast du getrauert, dann kam Fay, und jetzt soll alles wieder von vorn losgehen? Du musst dich auf das Wesentliche konzentrieren. Und das ist unser Imperium. Mit ihm steht und fällt unsere Existenz. Und die ist lebensnotwendig. Sonst kannst du keiner Frau ein anständiges Leben bieten.« Mein Vater ist hart. Knallhart. Mir ist klar, was geschieht, wenn man einmal Cormacs Zorn entfacht hat. Zu gut kann ich mich an die vielen Male erinnern, in denen ich miterlebt habe, wie er Garret zusammengeschlagen hat. Diese Aggression will ich niemals auf mich ziehen, ich will ihn immer noch stolz machen.
Aus diesem Grund nicke ich.
»Okay. Ich komme mit zu dem Geschäftsessen. Aber wann wird Mom wieder mit dabei sein?«
»Wenn sie sich beruhigt hat. Frauen sind einfach sture Geschöpfe!«
Nach diesen Worten wendet er sich wieder entspannt der Zeitung und seinem Frühstück zu. Und ich frage mich, ob ich nicht ein verdammter Arschkriecher bin.
Jedenfalls, ins College gehe ich definitiv nicht aus Arschkriecherei. Das tue ich, um nicht ständig an Fay denken zu müssen. Auch wenn mich auch dort vieles an sie erinnert: Ihr alter Spind, das Laufen durch die Gänge. Dennoch, die Vorlesungen lenken mich ab, weswegen ich mich auch heute wieder auf den Weg mache. Es ist zum Glück der letzte Tag der Woche.
Meine Kumpels sollen nichts davon mitbekommen, dass es sich bei meinem nächtlichen Hobby um einen Fight Club des Dubliner Untergrunds handelt. Ich habe mir zu Hause mein Gesicht mit etwas Make-up modelliert, sodass ihnen die Blessuren nicht auffallen sollten. Trotzdem halte ich den Blick gesenkt, als ich durch die Flure des Trinity gehe. Alle anderen Studenten um mich herum scheinen in dem Augenblick, in dem ich an ihnen vorbeilaufe, zu verstummen. Sie weichen mir aus und ich weiß, sie tuscheln später hinter meinem Rücken:
Warum Grover Nashville so kalt geworden ist.
Warum Fay Harris Grover Nashville verlassen hat.
Keiner kennt die Wahrheit
»Hey Grover!« Henry winkt, er steht zusammen mit den anderen Jungs bei den Spinden, die Bücher für seine Kurse unter den Arm geklemmt. Immerhin ist er fröhlicher, seit Fay weg ist. Er ist krankhaft eifersüchtig gewesen, dass ich im Liebesglück schwebe und er nicht. Jetzt sind wir alle vier Single. Alles nur dem Schicksal geschuldet. Ich balle meine Hände zu Fäusten, als könne ich dem Schicksal so eine Lektion erteilen.
»Hey, alle miteinander«, begrüße ich sie flach.
Kian seufzt. »Du siehst nicht gerade happy aus. Es wird Zeit, dass du über Fay hinwegkommst. Du vögelst ja nicht einmal andere Mädels. Nicht wie nach Aideen. So langsam habe ich die große Befürchtung, dass du nie darüber hinwegkommen wirst.«
Ich verdrehe die Augen. »Kümmere dich um deinen eigenen Kram. Mich stört nur, dass das ganze Trinity mich anstarrt, weil Fay und ich nicht mehr zusammen sind.«
»Ach, das legt sich wieder. Die Weiber wollen nur checken, wann du in der Lage bist, dich in etwas Neues zu stürzen. Wann sie um dich werben können.« Quinn grinst und zeigt dabei seine weißen Zähne.
Ich verdrehe die Augen. »Schau lieber, dass mal eine um dich wirbt. Du bist doch seit den zwei Monaten, die der Little Angel zu hat, dauergeil.«
Quinn funkelt mich genervt an. »Ich war nur dieses eine Mal wieder da! Als ich Fays Geheimnis aufgedeckt habe, ich schwöre!« Er hebt die Hände und ich lasse es gut sein, denn ich habe Wichtigeres zu tun.
Rhona steht gegenüber den Spinden an der Wand und sieht mich starr an. Ich schnappe mir meine Bücher und entschuldige mich bei den Jungs. »Bin gleich wieder da.«
Mit schnellen Schritten bin ich bei Rhona.
Fays beste Freundin lächelt leicht, als ich ihr entgegentrete. Auch sie ist nicht glücklich, dass Fay einfach abgehauen ist. Und das nicht nur, weil sie jetzt die Miete ihrer gemeinsamen Wohnung allein tragen muss. Nein, sie vermisst Fay, weswegen sie die einzige Person ist, die mit mir mitfühlen kann – abgesehen von Garret natürlich, aber mit ihm spreche ich eben nicht.
»Hey, hat sie sich bei dir gemeldet?«, frage ich Rhona.
Sie schüttelt den Kopf, ihr braunes volles Haar hat sie wie gewöhnlich zu einem Dutt gebunden.
»Nein. Ich hatte die Hoffnung, sie hätte sich endlich mal bei dir gemeldet. Ich hoffe, es geht ihr gut.« Sie schlägt die Augenlider nieder.
Ich berühre sie sanft an der Schulter. »Ich bin mir sicher, dass es ihr gut geht.«
Rhona sieht mir wieder direkt in die Augen. »Ich glaube, die Jungs denken, du baggerst nun mich an.« Sie weist zu den Spinden hinüber, wo Henry mich mit seinem Blick töten will und Quinn und Kian anzügliche Grimassen und Gesten machen.
Ich verdrehe die Augen. »Sie denken immer noch, es würde wie nach der Trennung mit Aideen werden. Dass ich Sex als Ablenkung nutze. «
»Also wissen sie es immer noch nicht?«, will Rhona wissen.
Ich schüttle den Kopf. »Wie soll ich es ihnen auch erklären? Einfach: Hey, wisst ihr was? Fay ist übrigens meine Halbschwester, ich finde sie aber immer noch sexy und bekomme einen Harten, wenn ich an sie denke.«
Rhona boxt mich in die Seite. »Hey! Du solltest das nicht mehr denken.«
»Und genau da liegt das Problem, ich liebe sie immer noch. Mehr als eine Schwester. Ich kann und will es nicht begreifen, dass sie nun nicht mehr da und für mich tabu ist.«
»Glaub mir, Grover, ich kann dich verstehen. Ich weiß, dass Fay um ihre Mutter trauert, aber dass sie uns einfach zurücklässt, als wären wir ihr nicht wichtig … Das will einfach nicht in meinen Kopf.«
»Same here! Ich brauche sie einfach so sehr …«
»Rhona, du bist die einzige Person, mit der ich über alles reden kann«, flüstere ich. Inzwischen weiß sie wirklich mehr als all meine Kumpels. Ich habe ihr auch von Garrets Verführung erzählt, mit der er Fay ins Bett bekommen hat. Bei der sie dachte, er wäre ich.
»Ich glaube aber, du solltest es irgendwann auch deinen Freunden erzählen. Es würde vieles einfacher machen. Hier denkt schon jeder, dass ihr euch einfach getrennt habt. Und genauso behandeln dich deine Freunde. Als wäre es dasselbe wie bei Aideen. Du musst ihnen klarmachen, dass es von beiden Seiten keine gewollte Trennung gewesen ist. Ihr dürft nicht mehr zusammen sein. Das ist etwas ganz anderes.«
»Dem ganzen Trinity kann ich es aber nicht erzählen. Cormac würde mich definitiv umbringen. Er will Fay unter keinen Umständen als seine Tochter öffentlich anerkennen. Was eigentlich auch für meine Mutter gut ist. Sie leidet unter alldem wahrscheinlich noch mehr als ich oder Garret.«
Rhona nickt. »Wohl wahr … Sie wurde einfach betrogen. Wobei du von Fay theoretisch gesehen auch betrogen wurdest …«
»Nur dass sie nichts davon wusste«, entgegne ich hart.
Über Fay darf nichts Negatives kommen. Nie. Auch wenn ich mich von ihr trotzdem verlassen fühle. Sie hätte Dublin nicht verlassen dürfen. In gewisser Weise hat sie sich wahrscheinlich doch einfach von mir getrennt.
Kapitel 2
Garret
Der Fight Club ist nicht die einzige Möglichkeit, zu trauern. Nein, ich kenne verschiedenste Wege, um Fay aus meinem Gedächtnis zu streichen. Und ich brauche das, sonst würde ich in meinem Elend ertrinken. Ich meine: Hallo? Ich, Garret Nashville, habe ihr eine Liebeserklärung gemacht! Im Beisein meines Bruders und meiner Eltern. Und jetzt würde ich es am liebsten wieder rückgängig machen. Es ist einfach nur dämlich gewesen, sie hatte sich klar für Grover entschieden. Doch dieser letzte Kuss - ich fühle ihn immer noch schmerzhaft quälend auf meinen Lippen. Sie hat sich dazu entschieden. Grover hat ihr die Erlaubnis für diesen letzten Kuss erteilt, doch Fay hätte auch Nein sagen können. Hat sie nur nicht gemacht. Und genau diese winzig kleine Geste macht mir Hoffnung. Es ist wie ein Fluch. Mit ihm bin ich jetzt belegt und genau aus diesem Grund muss ich wieder zum alten Garret zurückfinden. Ich muss mich aus dieser Enge des Fluchs befreien. Dieses schwere Drücken in meiner Brust und diese Traurigkeit … Ich hasse sie! Und dennoch werde ich sie nicht los.
Außer …
Jameson Whiskey rinnt durch meine Kehle. Ich genieße das Brennen, das er verursacht. Er lindert auch die Schmerzen, die ich im Kampf mit meinem Bruder erlitten habe. Ich habe immer eine Flasche dabei. Sie ist jetzt mein ganzes Lebenselixier.
Müde stapfe ich durch die dunklen Straßen Dublins. Ein kalter Wind weht, der an meiner nackten Haut nagt. Ich trage nichts weiter als ein schwarzes Shirt, auf dem Blut klebt. Dazu noch meine zerfetzte Jeans, die auch schon bessere Tage gesehen hat. Und ich will nicht nach Hause. Nichts treibt mich mehr ins Nashville Manor zurück – außer meiner Mutter. Sie ist die Einzige, die es verdient hat, sich nicht auch noch Sorgen um mich machen zu müssen. Wobei sich Cormac und Grover sicher einen Dreck um mich scheren werden. Mein Vater wird wahrscheinlich mit ihm gemeinsam darauf anstoßen, wenn ich mal wieder nicht aufkreuze, und hoffen, dass ich irgendwelche Pillen geschluckt habe, die mich einschlafen lassen.
Ich lasse meine Hand in meine Hosentasche gleiten, doch ich kann mein Handy nicht ertasten. Mist, wahrscheinlich habe ich es wieder zu Hause vergessen. Aber wer sagt, dass sie nicht noch wach ist? Immerhin hat der Little Angel seit dem Mord an Brooke die Tore nicht wieder geöffnet.
Zum Glück kann ich noch erahnen, wo sich Rose’ Wohnung befindet. Beim letzten Mal bin ich auch betrunken gewesen. Heute zum Glück bisher nur beschwipst. Zwar habe ich vor den Kämpfen schon getrunken, doch das Adrenalin und der Schweiß scheinen dafür gesorgt zu haben, dass ich wieder einen kühleren Kopf bekommen habe.
Meine Finger finden die Klingel. Rose’ Name steht auf dem Klingelschild der heruntergekommenen Altbauwohnung.
Rose’ rotes Haar glänzt im fahlen Licht der Flurbeleuchtung. Sie hat eine Zigarette im Mund und zieht keck daran. Dazu trägt sie einen schwarzen Body und High Heels, so als hätte sie nur auf mich gewartet. Anerkennend mustere ich sie.
»Was treibt dich so spät zu mir?«, fragt sie. Sie klingt auch nicht mehr ganz nüchtern, aber das ist mir egal. Ich bin schon oft nachts bei ihr aufgekreuzt. In den letzten zwei Monaten habe ich öfter bei ihr geschlafen als in meinem eigenen Bett.
Ich lehne mich an den Türrahmen. »Du siehst gut aus.«
Mein Kompliment geht runter wie Butter, ich kann es an ihren Schenkeln erkennen, die sie zusammenpresst. Mit einer flinken Handbewegung stehle ich ihr den Zigarettenstummel aus dem Mund und ziehe daran, puste ihr den Rauch ins Gesicht.
Auf ihren Lippen breitet sich ein Lächeln aus. »Komm doch rein«, schnurrt sie und schlägt die Haustür hinter mir zu.
Oben angekommen, mustert sie mich. »Warst du wieder bei einem der Kämpfe?«
»Was dagegen?«
»Nein«, schnurrt sie, »ich finde es nur nicht fair, dass du mich nie dorthin mitnimmst. Du siehst dabei sicher unglaublich sexy aus! Kämpfst du ohne dein Shirt?« Sie umtänzelt mich.
»Heute hatte ich es an, aber du kannst es mir ja jetzt ausziehen«, knurre ich.
Das lässt sie sich nicht zweimal sagen und zieht mir das Shirt über den Kopf, nur um wenig später mit ihrer Zunge meinen Oberkörper hinunterzufahren. Ich stöhne und widerwillig erscheinen Bilder von Fay vor meinem inneren Auge. Wie ich sie gevögelt habe. An das Bett meines Bruders gefesselt, mir hilflos ausgeliefert und dabei so willig wie keine Frau, die ich bisher gefickt habe. Allein diese Gedanken lassen meinen Schwanz sofort hart werden. Rose gefällt das, sie seufzt und macht sich am Knopf meiner Jeans zu schaffen. Doch ich mache ihr mit einer Handbewegung klar, dass ich das nicht will. Wenn mir Bilder von Fay jetzt schon in den Kopf schießen, dann kann ich sie so nicht verdrängen. Ich gehe mit stolzen Schritten in die Küche, bediene mich selbst am Wodka, als wäre ich hier zu Hause.
Rose beobachtet das alles, versucht, mich mit ihrem schönen Körper für sich zu gewinnen. Doch ich ignoriere sie.
»Du reichst mir nicht«, schnaube ich herrisch. Rose’ Augen werden groß.
»Weshalb hat nur der Little Angel nicht mehr offen? Dann könnte ich mir so viele Frauen aufs Zimmer bestellen, wie ich möchte.« Ich knurre erregt.
»Wir können den Little Angel auch zu mir nach Hause holen«, erklärt Rose.
Dieser Vorschlag gefällt mir. Oh ja, und wie. Ich reibe an meinem schmerzhaft harten Schwanz, während ich gleichzeitig an meinem Wodka nippe.
»Dein Vorschlag gefällt mir, Rose. Dafür wirst du später auch belohnt werden.«
Es dauert nicht lange, schon hat Rose die Mädchen zusammengetrommelt. Ich kann keine beim Namen nennen, die durch die Haustür kommt. Doch sie gefallen mir.
Die eine ist blond, eine andere hat nussbraunes Haar und die Letzte wiederum einen exotisch braunen Hautton.
Ich habe Musik angemacht, um für die richtige Stimmung zu sorgen.
Bald schon fließt der Alkohol in Strömen.
Ms. Exotik und Ms. Nussbraun fangen schon nach kurzer Zeit an, auf der Couch im Wohnzimmer rumzumachen. Und ich? Ich sitze auf dem Sessel und komme mir vor wie der verdammte König. Hier trage ich das Zepter in der Hand. Sie sind alle nur meinetwegen hier, hören auf meinen Befehl.
Meine blonde Aurora führt mit Rose einen Striptease auf, bei dem es nicht mehr viel zu enthüllen gibt. Ich ziehe genüsslich an einer neuen Zigarette, vermische den Geschmack des Rauchs mit meinem Wodka, kurz bevor die Blondine ihre Lippen auf meine legt und ich ihre nackten Schenkel auf meiner Jeans spüre. Tief bohrt sich meine Zunge in ihren Mund. Ich stöhne auf, beiße sie keck in die Unterlippe. Und ich genieße, dass sie der Schmerz keineswegs zu stören scheint.
»Ins Schlafzimmer«, befehle ich den Mädels.
Ms. Exotik hört auf, an Ms. Nussbrauns Brustwarzen zu lecken, und ich stolziere, umgeben von vier nackten Frauen, in das Schlafzimmer, wo ich die Blondine von Rose ans Bett fesseln lasse. Komplett nackt. Ihre Schenkel werden gespreizt, sodass sie wie ein X vor uns liegt. Willenlos ausgeliefert. Ich umkreise das Bett, dann befehle ich den Mädchen, es der Blondine gehörig zu besorgen. Rose überlasse ich den Flogger, während die anderen ihre händischen Künste zeigen oder die blonde Aurora mit ihrer Zunge verwöhnen. Ich grinse. Keine von ihnen widersetzt sich mir. Sie sind mein Spielzeug. Alle vier.
Mir wird dabei schmerzlich bewusst, dass Quinn es hier mögen würde. Vielleicht würde ich es schaffen, ihn von der Seite meines Bruders wegzuziehen, ihn mit einer meiner Sexpartys verführen. Das Grinsen auf meinem Gesicht wird breiter und ich hole mein erigiertes Glied aus meiner Jeans, fange an, meine Hand auf und ab zu bewegen, während ich mir das Spektakel der Mädchen vor mir ansehe und gleichzeitig daran denke, dass ich meinem Bruder auch jetzt noch Schmerz zufügen kann. Und als kleines Extra: eine weitere Methode, um mich abzulenken. Wenn Grover schon während der Kämpfe die Oberhand gewinnt, kann ich ihm so zeigen, dass ich die Krone auf dem Kopf trage. Ich werde Quinn wieder für mich gewinnen, wenn ich schon Fay nicht mehr haben kann.
Shit! Ich spüre, wie ich mich meinem Höhepunkt nähere, rücke näher ans Bett und ejakuliere auf Blondies goldene Mitte. Und danach? Danach bin ich dran. Ich löse ihre Fesseln und lasse mich von allen vieren verwöhnen, ficke sie eine nach der anderen, bis keine von ihnen mehr sitzen kann.
Grover
Rhonas Worte haben sich fest in meinen Kopf gebrannt: Ich muss meinen Kumpels die Wahrheit erzählen. Ihnen sagen, dass Fay geflohen ist, um ihren Vater zu vergessen, der sie verleugnet, und ihre Halbbrüder: Um dort zu sein, wo sie sich an den Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter festklammern kann. Doch auch nach dem Unterricht habe ich es nicht über die Lippen gebracht. Dafür habe ich sie morgen Abend zu mir eingeladen. Quinn hat mich gefragt, ob ich eine Party schmeiße, aber dazu bin ich noch nicht bereit.
»Wir zocken«, ist meine Antwort gewesen, auch wenn ich etwas ganz anderes vorhabe.
Rhona hat recht. Sie sind meine besten Freunde und ich rede aktuell mehr mit ihr als mit den Jungs. Verstecke und vergrabe mich in meinem eigenen Trauergefühl.
Schon fast habe ich überlegt, wieder beim Fight Club vorbeizuschauen, doch am Nachmittag ist dort meist noch nichts los. Erst am Abend. Also stapfe ich nach Hause.
Es ist still im Haus. Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer. Alice sitzt vor dem Kamin, auf dem Schoß ein Buch, das von ihren Tränen befleckt ist. Ich höre ihr Schluchzen. Wahrscheinlich liest sie einen dieser Liebesromane mit Happy End, die sie noch trauriger machen, als sie sowieso schon ist. Aber ich störe sie nicht. Ich glaube, sie muss allein sein. So wie ich. Ich trauere ebenso wie sie. Ich habe nur ein Regal in meinem Zimmer zerlegt, meinen Chauffeur so blöd angemacht, dass er gekündigt hat, sowie mich einem illegalen Fight Club angeschlossen und mich schon diverse Male mit Garret geprügelt.
Leise gehe ich hinauf in mein Zimmer, will mich entspannt aufs Bett fallen lassen, als ich sehe, dass es bereits belegt ist.
Garret. Mein Bruder trägt kein Shirt. Sein Oberkörper ist mit Lippenstiftflecken beschmiert. Auf seinen Lippen ruht ein seliges Lächeln und ich sehe, dass er ein Bild in der Hand hält.
Wütend komme ich auf ihn zu, reiße es ihm aus der Hand. Es ist eines von Fay. Natürlich!
»Wie kannst du nur?«, spucke ich aus. Dabei bin ich ihm so nah, dass ich die Fahne riechen kann. Er hat eindeutig getrunken - schon wieder. Ich glaube, ich habe ihn die letzten zwei Monate nur nüchtern erlebt, wenn er ausnahmsweise hier geschlafen hat und nicht auswärts.
Garret kichert. »Weil ich es eben kann. Ich brauche manchmal ein Bild von ihr, und wenn ich mich hier in das Bett lege, wo ich Fay mehr als nur einmal gevögelt habe … Hach!«
Er seufzt, es klingt beinahe wie ein wohliges Stöhnen. Das macht mich wütend und meine Faust beginnt bereits zu zittern.
»Willst du deine Wut nicht lieber im Fight Club unter Kontrolle kriegen? Oder willst du Alice das Herz brechen, wenn sie sieht, dass sich jetzt auch noch ihre Söhne bekriegen?«, fragt Garret, der meine Wut natürlich bemerkt hat. Er setzt sich auf und streckt sich genüsslich. Das Bild verschwindet in seiner Hosentasche, noch ehe ich danach greifen kann. Es ist einfach nur unfair. Weil er recht hat. Alice würde das definitiv nicht verkraften und wer weiß, ob sie uns nicht hören würde, wenn ich mich mit erhobenen Fäusten auf Garret stürze.
Selbstgefällig grinst er mich an. »So, ich lasse dich dann mal allein … Vielleicht hast du ja Lust, diesmal deinen Schreibtisch in alle Einzelteile zu zerlegen, oder was hältst du vom Spiegel in deinem Bad? Das würde viele schöne Scherben geben …«
Ich koche. Die Flammen glühen in mir, am liebsten würde ich ihn erwürgen.
»Hör auf«, zische ich. »Sag mir lieber, weswegen du schon wieder stinkst, als würdest du direkt aus einer Schnapsbrennerei kommen.«
»Oh, glaub mir, Brüderchen, nicht nur Schnaps, sondern auch Whiskey.« Er schnalzt mit der Zunge.
»Aber das ist sicher nicht der Grund, weswegen du halbnackt bist.« Ich will es aus ihm herausquetschen. Es aus seinem Mund hören. Natürlich habe ich schon vor vielen Wochen erkannt, dass er sich seinen Kummer nicht nur schön säuft oder seine Fäuste sprechen lässt. Nein, da sind ganz klar auch Frauen im Spiel. Und das bedeutet, dass ich wie immer der Vernünftige bin, ihm einen Schritt voraus. Denn ich betrüge Fay nicht. Nicht diesmal. Nach Aideen bin ich ein Stück weit zu Garret geworden, habe jeder meinen Schwanz zwischen die Schenkel geschoben, die sie bereitwillig für mich geöffnet hat. Aber nicht jetzt.
»Tja, ich zeige eben gern, was ich habe.« Er leckt sich die Lippen und fährt gespielt albern mit den Händen über seinen Oberkörper, als würden ihn Frauenhände berühren.
»Das erklärt nicht den Lippenstift«, bemerke ich nüchtern.
Er rollt mit den Augen. »Du lässt aber auch nicht locker! Tja, kann sein, dass ich bei Rose zu Hause eine Orgie gefeiert habe, dass sich vier Muschis ganz um mich allein gekümmert haben.«
Da haben wir es! Jetzt kann ich dagegen feuern. »Stell dir vor, wenn Fay das wüsste. Sie würde dich nicht mal mehr mit dem kleinen Finger anschauen. Das ist Betrug! Wenn du was für sie empfindest, dann würdest du keine andere Frau anfassen, geschweige denn vier.«
Zufrieden verschränke ich die Hände vor meiner Brust.
»Ich kann sie dadurch kurz vergessen. Oder mir aber vorstellen, sie würde all die wunderbaren Dinge mit mir tun. Bei Aideen hast du auch deinen Frust an Frauen ausgelassen. Warum nicht jetzt?«
»Weil ich Fay treu bin«, spucke ich aus.
»Ihr brauchst du nicht mehr treu zu sein. Du darfst nie wieder mit ihr vögeln. Sie ist deine Schwester.«
»Komischerweise habe ich das getan, nachdem du deinen letzten Kuss von ihr abgestaubt hast«, knalle ich ihm ins Gesicht.
Doch zu meinem Bedauern wird er nicht wütend oder geht auf mich los wie ein eifersüchtiger Gockel, sondern grinst nur breit. »Mensch, Brüderchen! Ich hätte nicht gedacht, dass in dir auch eine verruchte, dunkle Seite steckt. Du hast mit deiner Halbschwester geschlafen, ist das dann nicht so etwas wie Inzest?«
Mein Gesicht läuft puterrot an vor Wut. »Du brauchst gar nichts sagen. Du holst dir sicher später einen auf ihr gestohlenes Foto runter.«
»Ja, aber ich verleugne es nicht. Du schon. Du tust so, als würdest du vernünftig versuchen, Fay zu vergessen. Aber ich weiß, du wirst das niemals tun. Wirst es niemals können. Fay ist deine persönliche Hölle. Sie bedeutet dir mehr als Aideen damals.«
»Damit liegst du richtig«, gebe ich zu. »Dennoch, du betrügst sie. Auch wenn sie uns einfach den Rücken gekehrt hat.«
Garret schüttelt den Kopf. »Du kannst mir das nicht ausreden. Weder den Alkohol noch die Frauen. Du selbst bist auch im Fight Club. Cormac würde dich ebenfalls aus der Familie verstoßen, wenn er es wüsste.«
»Sicher? Er hat mich gestern beim Frühstück darauf angesprochen, und als ich ihm von unserem Kampf erzählt habe, hat ihm das gar nichts mehr ausgemacht. Stell dir vor …«
»Willst du damit sagen, dass unser Vater es gutheißt? Das kann ich mir wirklich vorstellen. Er ist schließlich ein Arsch, und wenn du weiter so ein Kriecher bist, bist du im Begriff, auch so ein Arsch zu werden.«
Ich verschränke selbstgefällig die Arme vor der Brust. »Ich sehe das aus einer anderen Perspektive: Du bist der Arsch. Das bist du schon immer gewesen, und nur weil Fay jetzt auf einmal unsere Halbschwester ist, heißt das nicht, dass ich dich weniger hasse. Ganz im Gegenteil. Ich hasse dich so abgrundtief - dafür lassen sich nicht mal Worte finden.«
Jetzt steht Garret von meinem Bett auf. Er schüttelt nur verständnislos den Kopf.
»Du bist so ein Idiot. Denk daran, wer dein dunkles Geheimnis kennt.«
Doch damit kann er mich nicht ködern. Keiner würde ihm Glauben schenken.
»Mich kümmert das nicht, Garret. Damit kannst du mich nicht erpressen.« Ich funkle ihn böse an. »Du hast hier auch nichts mehr verloren.« Ich scheuche ihn aus meinem Zimmer und male mir aus, was Fay sagen würde, wenn sie wüsste, dass Garret wieder mit unzähligen Frauen schläft. Sicher wäre sie weiterhin auf meiner Seite und mein Bruder hätte verloren.
Hier bin ich mutig gewesen. Doch jetzt fühle ich mich so seltsam. Ich werde den Jungs nicht in die Augen schauen können. Und wie soll ich ihnen verständlich machen, dass sie das Geheimnis meiner Familie nicht im ganzen Trinity verbreiten? Kann ich ihnen überhaupt vertrauen? Ist es ein Verbrechen, wenn ich Rhona mehr vertraue als ihnen?
Ich sitze am Pool, obwohl es viel zu kalt zum Schwimmen ist. Meine Füße sind nackt und ich lasse sie ins Wasser baumeln, während ich eine dicke Designerjacke trage. Es passt alles nicht zusammen. Genauso wenig, dass meine Kumpels jeden Moment aufkreuzen könnten. Ich habe ein paar Cocktails bereitstellen lassen, denn die werden wir alle brauchen. Diesmal schon. Natürlich stehen die Cocktails nicht hier, sondern oben in meinem Zimmer.
Ich seufze, als im Inneren des Hauses Licht eingeschaltet wird. Zu meiner Überraschung tritt Alice zu mir nach draußen.
»Deine Freunde sind da«, antwortet sie.
Ich nicke steif.
»Ist etwas?«, will meine Mutter wissen. Natürlich spürt sie es. Schließlich ist sie meine Mutter, das muss irgendeine Art von Instinkt sein.
»Naja. Sie müssen die Wahrheit erfahren, sonst fresse ich es immer tiefer in mich hinein.«
Alice weiß sofort, wovon ich spreche, und ihr Blick wandelt sich in tiefste Traurigkeit. Ich weiß nicht, wie lange ich sie schon nicht mehr habe lächeln sehen.
»Tut mir leid«, flüstere ich leise.
Kaum merklich schüttelt sie den Kopf. »Schon gut. Dein Vater ist fremdgegangen, nicht du. Und ich finde es gut, wenn du ihnen von deiner Halbschwester erzählst. Fay kann für all dies nichts und ich bin auch nicht wütend auf sie. Ganz allein auf deinen Vater. Mir wäre es sogar am liebsten, er würde es der ganzen Welt erzählen. Aber nein, er versteckt sich weiterhin hinter den Mauern der Lügen und tut so, als liefe in unserer Familie alles perfekt.«
Ihre Worte lassen mich tiefe Bewunderung für sie empfinden. Obwohl Alice so verletzt ist, versucht sie immer noch, stark zu bleiben.
»In unsrer Familie lief wohl nie alles perfekt.«
Ich sehe, wie Tränen in den Augen meiner Mutter aufblitzen. Mist, das habe ich beim besten Willen nicht gewollt.
Dann wendet sie ihr Gesicht ab. »Du solltest zu deinen Freunden gehen und ihnen alles erzählen. Sei froh, dass du Menschen hast, denen du noch vertrauen kannst. Ich vertraue niemandem mehr.«
Mit diesen Worten verlässt sie die Terrasse. Schlechtes Gewissen und tiefes Mitgefühl keimen in mir auf. Ich hoffe so sehr, dass sie den Schmerz irgendwann vergessen kann. Seufzend stehe ich auf und eile hinauf in mein Zimmer, taumle in eine Welt, die so gegensätzlich zu jener auf der Terrasse ist.
Lautes Gelächter. Gute Stimmung. Jemand von den dreien hat schon meine Nintendo Wii angeschaltet.
Quinn hat sich bereits einen der Cocktails geschnappt, während Henry auf der Couch lümmelt, als wäre er hier zu Hause. Ich lasse die Tür ins Schloss fallen und die drei sehen auf.
»Na endlich bequemst du dich auch mal zu uns«, begrüßt mich Kian, der gerade vier Controller bereitlegt.
»Und du bist barfuß?«, stellt Quinn fest. »Etwa noch eine heiße Nummer mit einer Fremden am Pool geschoben?«
Ich verdrehe nur die Augen. Quinn und seine Sexbesessenheit.
»Ich habe nachgedacht. Ziemlich viel.«
Henry verdreht die Augen. »Ach nö! Ich will einen lustigen Abend und keine Beerdigungsstimmung. Davon haben wir die letzten zwei Monate schon viel zu viel zu spüren bekommen.«
»Nun ja, ich habe euch auch nicht zum Zocken eingeladen«, gestehe ich und sofort flucht Henry schimpfend, will sogar aufstehen, doch Quinn drückt ihn hinunter auf seinen Platz.
»Wie oft haben wir dich abgelenkt und dir zugehört, wenn du von Rhona geschwärmt hast.«
Henry gibt sich geschlagen und klopft auf seine Schenkel. »Na, dann schieß mal los, wie sehr hast du heute wieder an Fay gedacht?«
»Mehr, als mir lieb ist. Aber vor allem habe ich am Pool darüber nachgedacht, wie ich am besten mit meinem Geständnis anfange.«
Alle sechs Augenpaare sind gespannt auf mich gerichtet.
»Ich kann verstehen, wenn ihr sauer seid«, fange ich an, »aber trotzdem hoffe ich, dass ihr mich verstehen werdet. Und bitte behaltet es für euch, sonst würde das die Familie Nashville noch mehr zerstören.«
»Langes Gerede … Jetzt spuck es endlich aus! Wir verraten natürlich nichts, so was tun Freunde nicht.« Henry ist ungeduldig, nur ich habe immer noch große Angst, mit der Sprache herauszurücken.
»Nun ja … ich habe euch alle angelogen. Nicht wissentlich. Jeder an der Uni nimmt einfach an, dass Fay mich verlassen hat, dass der große Grover Nashville schon wieder verlassen wurde …«
»Was?! Du hast mit Fay Schluss gemacht?«, fragt Quinn entgeistert und unterbricht mich damit.
»Nein. Sie ist gegangen. Sie hat Dublin einfach verlassen.«
»Das wissen wir doch schon.«
»Aber ich schätze, es ist nur wegen dem Tod ihrer Mutter gewesen. Sie hätte sicher eine starke Schulter zum Ausweinen gebraucht, doch die kann ich ihr nicht mehr bieten.«
Henry saugt scharf die Luft ein und macht die dämlichste Bemerkung an diesem Abend: »Hast du etwa gemerkt, dass du schwul bist?«
Ich töte ihn mit meinem Blick und er schweigt.
»Als Fays Mutter zu Besuch kam, haben wir ein Familienessen bei mir veranstaltet. Und auf einmal eröffnet Brooke, meinen Vater zu kennen, und er hat es bestätigt: Die beiden haben eine Nacht zusammen verbracht, weil Brooke als Prosituierte arbeitete.«
»Was?!« Kian ist bestürzt. »Deine Mom, hat sie deswegen so traurig ausgesehen, als sie die Tür geöffnet hat?«
Ich nicke. »Sie ist fix und fertig. Er hat sie einfach eiskalt betrogen. Doch das ist noch nicht alles. Brooke hat nachgerechnet – Fay ist aus einem dieser One-Night-Stands mit einem Kunden entstanden. Und von der Zeit, als mein Dad in London gewesen ist und mit ihr Sex hatte … Es haut einfach genau hin.«
Quinn blinzelt verwirrt. »Fuck, willst du damit etwa sagen …?«
»Fay ist mit dir verwandt?«, spricht es Henry schließlich aus.
Ich nicke nüchtern, während meine Hände schon wieder unkontrolliert zittern. Ich hasse es, darüber zu reden, daran zu denken. Es ist wie ein Dolchstoß ins Herz, den niemand hätte aufhalten können.
»Sie ist meine Halbschwester. Naja, die von Garret und mir. Wir dürfen sie nicht mehr ficken. Sie nicht mehr lieben. Sie ist einfach tabu.«
»Halt, Stopp! Was meinst du mit wir?«, will Henry wissen.
Shit. Noch etwas, das sie nicht wissen. Auch Quinn spitzt die Ohren, als es auf einmal um seinen Ex-besten-Kumpel geht.
»Garret ist schon seit Semesterbeginn wieder in der Stadt. Mein Dad wollte nicht, dass es jemand weiß, zum Schutz des Familienrufs. Er hat immer nur Ärger gemacht und damit hat er nicht aufgehört. Er hat mich tyrannisiert und sich einen Spaß daraus gemacht, hinter meinem Rücken Fay zu verführen. Sie hat natürlich nicht gemerkt, dass es nicht ich gewesen bin. Das ist wohl das Leid von eineiigen Zwillingen.«
Quinn: »Garret ist wieder in der Stadt?«
Kian: »Er hat Fay gevögelt?«
Henry: »Wann hast du das herausgefunden?«
Sie prügeln geradezu mit Fragen auf mich ein.
Ich seufze, bleibe geduldig und erzähle ihnen jede Einzelheit. Wie es für mich gewesen ist, als ich sie zusammen im Bett erwischt habe. Fays überraschtes Gesicht und ihre Angst, ich würde sie verlassen, weil sie mich unwissentlich betrogen hat. Mein Geständnis, dass ich ihr verziehen habe, sogar als Fay zugab, sich auch zu Garret zumindest in sexueller Hinsicht hingezogen zu fühlen. Dann von meinem Sieg, als Fay sich für mich entschied, und von dem katastrophalen Abend, der unsere Beziehung enden lassen musste.
»Ich liebe sie immer noch«, beende ich meine Erzählung. »Aber ich darf es nicht mehr. Ihr wisst nicht, wie oft ich daran denke, wie es war, mit ihr zu schlafen, und wie sehr sie mich immer noch sexuell erregt. Wahrscheinlich ist sie auch aus diesem Grund wieder zurück nach London gegangen. Sie wusste, wir könnten einander nicht widerstehen. Sie hat diesen Abstand nicht geschaffen, weil sie es wollte: Es war ein Muss.«
»Und dein Dad? Wie steht er zu Fay?«
Ich schnaube und lache beinahe. »Er verleugnet sie. Ist erleichtert darüber, dass sie Dublin einfach verlassen hat, ohne Unterhaltszahlungen oder Ähnliches einzufordern. Ihm passt das in den Kram. Und das Schlimmste ist: In gewisser Art und Weise darf ich nicht wütend auf ihn sein. Auch wenn er einen riesigen Fehler begangen hat, er wusste nicht, dass er noch ein Kind hat.«
»Mann! Ich kann dich jetzt auf jeden Fall noch besser verstehen«, sagt Kian. Quinn nickt stumm.
»Wir werden dich auf jeden Fall weitestgehend von Fay ablenken. So was tun Freunde doch, oder?« Ich bin dankbar über Henrys Worte.
»Aber warum hast du geglaubt, du könntest es uns nicht erzählen?«, will er noch wissen.
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mein Vater … Wenn er wüsste, dass ich es weitererzählt habe …« Ich breche ab. »Ich konnte wahrscheinlich bis jetzt noch nicht richtig mit den vollendeten Tatsachen umgehen, dass ich nun eine Halbschwester habe und sie meine Geliebte war. Aber ich muss jetzt endlich lernen, damit umzugehen. Auch, wenn ich es hasse und verabscheue und sie immer lieben werde. Das weiß ich.«
Kian schwenkt einen Controller durch die Luft. »Ich glaube, wir können jetzt alle ein anderes Thema gebrauchen.«
Erleichtert nicke ich und kann mich endlich etwas entspannen. Auch wenn mein Herz immer nur bei Fay ist.
Kapitel 3
Fay
Aufraffen ist schwer. Sehr schwer. Es ist leicht, Angie das Versprechen zu geben, doch es auch umzusetzen?
Wieder zu Hause in unserer kargen Wohnung habe ich ein Bild meiner Mutter angestarrt. Das Glas ist gesprungen, weil wir uns nie einen neuen Rahmen hatten leisten können. Tränen sind auf das Bild getropft. Meine Tränen. Ich hatte mich in mein Zimmer gesperrt und wieder geweint.
Es gibt hier keinen Ausweg. Es kann keinen geben.
Negative Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Viel zu viele. Es ist ein Fluch, ein ewiger Kreislauf.
Aber ich habe Angie ein Versprechen gegeben, und das muss ich halten. Ihr zuliebe. Schließlich tut sie so viel für mich.
Sie hat mir dabei geholfen, mich von den alten Sachen meiner Mutter zu trennen. Sie übernimmt die Miete und versucht sogar, jeden Abend frisch zu kochen, wenn ihr Job es zulässt. Sie ist zu gut zu mir, und zwar schon über Monate hinweg, seit ich wieder da bin. Vielleicht ist es genau dieser Ansporn, der mich zwei Tage nach meinem Versprechen das Bett verlassen lässt. Ich tappe ins Bad und dusche. Das erste Mal, ohne unter dem Strahl in Tränen auszubrechen oder mir zu wünschen, dass Grover oder Garret da wären, um mich zu trösten oder abzulenken. So fühle ich mich jetzt schon wenigstens wieder mehr als Mensch. Danach tapse ich in die Küche, wo es noch ganz ruhig ist. Ich suche Haferflocken und Milch heraus. Billig und schnell habe ich das Porridge fertig, gerade als Angie müde in die Küche kommt. Sie trägt noch ihre Arbeitskleidung von gestern. Dessous und Strümpfe.
»Morgen!«, gähnt sie und erstarrt. »Du hast Frühstück gemacht?«
Ich zucke mit den Schultern. »Irgendwann muss ich mir eben einen Job suchen.«
Sie prustet los. »Etwa als Frühstücksmädchen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht findet sich ja etwas zum Kellnern. Doch offen gestanden wäre mir eine Stelle lieber, bei der ich auch mein Tanztalent unter Beweis stellen kann.«
Angie kichert. »Etwa im Red Lips? Wir suchen immer neue Tänzerinnen und ganz ungeübt bist du schließlich nicht.«
Ich verdrehe nur die Augen. »Das ist jetzt nicht ganz das, was ich suche«, erkläre ich ihr.
Angie grinst nur über das ganze Gesicht und ich schüttle den Kopf. Offen gestanden, ich habe auch schon darüber nachgedacht. Es wäre so einfach. Ich bin ungebunden. Garret und Grover sind Geschichte und ich habe ganz bestimmt nicht vor, mich in der nächsten Zeit auf die Suche nach einer neuen festen Beziehung zu machen. Außerdem, wäre ich so nicht meiner Mutter etwas näher? In den Räumen zu sein, wo sie war, die Männer kennenzulernen, die sie kannte … Die Verführung ist groß und doch – sie wäre stolzer, wenn ich es als Assistentin an eine Ballettschule schaffen würde. Und genau das ist auch der Grund, weswegen ich nach dem Essen zum ersten Mal seit zwei Monaten meine Spitzenschuhe wieder auspacke.
In meiner Hand fühlen sie sich unglaublich schwer und fremd an. Die Spitze ist an beiden Schuhen bereits abgenutzt und ich habe das Lachen meiner Mutter im Ohr, als wir beide in meiner Dubliner Wohnung zusammen getanzt haben. Wenn ich die Augen schließe, fühlt es sich an, als sei es gestern gewesen. Nur einen Wimpernschlag entfernt. In greifbarer Nähe. Ich atme tief durch, weil die Trauer sich ihren Weg zurück in meinen Körper bahnt. Ich muss stark bleiben. Es wird aus diesem Trauerloch wahrscheinlich nie einen einfachen Weg hinaus geben. Ich rapple mich vom Boden auf und schlüpfe in einen engen Body. Das Tutu lasse ich erst einmal weg, es spielt keine Rolle. Ehrfurchtsvoll binde ich mir meine Spitzenschuhe. Ich habe schon immer Achtung vor dieser Art von Tanz gehabt. Dagegen sind andere Arten leicht. Rockabilly, Tango – sie alle sind nichts dagegen. Ballett kostet einfach alles. Du gibst deinen Körper dafür her, diese Stilrichtung zu tanzen. Wie bei der Prostitution. Nur dass du für Letzteres nicht so viel üben musst. Ich schlucke. Zu viele schlechte Gedanken, Fay.
Ich stehe auf. Mein Zimmer hat nicht viel zu bieten. Es gibt ein kleines Bett mit löchriger Bettwäsche. Der Boden ist aus glattem, alten Holz. Er war schon vorher da, wir haben ihn nicht einmal renovieren müssen. Gegenüber davon ist mein Kleiderschrank, mein ganzer Stolz. Die Türen sind nicht aus Holz, sondern nur aus Spiegelglas. Etwas, das man als Balletttänzerin braucht. Daneben steht eine selbstgebastelte Ballettstange für das Üben der Abläufe. Brooke hat sie mir bauen lassen, trotz ihrer wenigen finanziellen Mittel. Ich will nicht wissen, wie viele Überstunden sie dafür machen musste.
Schnell ein paar Übungen, um mich aufzuwärmen, dann schnappe ich mir mein Handy, scrolle durch meine Playlist. No Easy Way out. Die Metalband Bullet for My Valentine scheint den Schmerz und den Konflikt in meinem Inneren genau zu kennen. Ich starte das Lied und bringe mich in Position. Sobald die ersten Worte des Sängers ertönen, fange ich an, mich zu bewegen.
Anfangs hat meine Mutter darüber gelacht, dass ich gerne zu Metal, Rock oder Punk tanze. Ballett gehört der Klassik, das ist schon immer so gewesen. Doch ich habe mich gegen diese Regeln und Vorschriften gewehrt, habe meine eigene Musik gefunden, Musik, die ich selbst liebe und mit der ich mich verbunden fühle. Vielleicht kann ich nur deswegen so gut tanzen? Vielleicht habe ich nur deswegen auch das Durchhaltevermögen dafür. Ich weiß es nicht. Fest steht nur, dass ich sofort mit dem Lied und meinen Berührungen verschmelze. Ich bin die Musik. Ich bin der Tanz.Da gibt es keinen Unterschied mehr.
Glaube ich an Magie? Eigentlich nicht. Dennoch, in diesem Moment verspüre ich ein Gefühl von Magie. Ich fange an, zu lächeln. Einfach so. Ich kann nicht sagen, was sich auf einmal geändert hat, was die Trauer in das Tiefste meines Inneren verbannt an. Aber es fühlt sich federleicht an, unbeschwert. Es gibt mir noch einen Schub Motivation und so tanze ich. Tanze mir die Seele aus dem Leib. Ich stelle das Lied auf Repeat, schon geht es weiter. Immer weiter. Ich übe, auch wenn mir der Schweiß schon längst über das Gesicht strömt und mein Haar wild und verklebt ist. Ich tanze immer weiter und weiter, bis ich mit mir zufrieden bin.
›Für das Tanzen braucht man Durchhaltevermögen. Man muss immer weiter und weiter tanzen, nur nie aufgeben. Üben, bis zur Perfektion.‹
Ja, meine Mutter hat es gewusst. Und auch ich übe, bis ich den Tanz zu diesem Lied perfekt kann. Erst dann falle ich mit einem seligen Lächeln ins Bett.
Ich wache auf, als der Nachmittag schon angefangen hat. So gut habe ich seit einer Ewigkeit nicht geschlafen, stelle ich fest. Doch mir fällt gleich darauf mein Vorhaben wieder ein, mein Versprechen. Der Job. Und so trotte ich los, voller Mut und Zuversicht.
Drei Tage. So lange habe ich gebraucht, jede Ballettschule Londons abzuklappern. Ich habe vorgetanzt, ich habe teilweise auch mein Wissen über den Tanz unter Beweis stellen müssen. Dennoch, sie haben mich alle angesehen wie eine Außenseiterin.
›Brooke Harris ist meine Mutter gewesen. Sie wissen schon, die berühmte Solistin. Ich würde ihrem Andenken gerne gerecht werden. Wissen Sie, sie ist im Dezember verstorben.‹
Nicht mal das hat mir die Tore geöffnet, sondern nur mitleidige Blicke eingebracht, oder den Tipp, ich solle an die Schule als Schülerin kommen, um an den Standard einer Solistin heranzukommen. Als ob ich mir so etwas leisten könnte. Es ist einfach aussichtslos. Niemand will die Tochter einer gefallenen Tänzerin haben, so als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Dabei bin ich kerngesund, habe mich noch nie so sehr verletzt, dass es mein Tanzen beeinflussen könnte. Ich fühle mich so vor den Kopf gestoßen, noch mehr als in Dublin, wo ich auch keinen Job finden konnte, nicht mal in einem Restaurant oder Pub. Es ist fast so, als hätte das Schicksal nur eine einzige Möglichkeit für mich vorgesehen – und damit bin ich eigentlich überhaupt nicht einverstanden. Dennoch: Bleibt mir eine Wahl? Hatte ich jemals die Wahl? Nein. Ich habe am Trinity Business studiert, um aus dem Schlamassel von Leben, in dem ich stecke, rauszukommen. Und doch holt mich dieses Leben einfach immer wieder ein, wie ein Fluch. Und so kommt es, dass ich mich schon am nächsten Tag in ein Spitzen-mieder stecke. Dazu spitzenbezogene Handschuhe und einen kurzen Rock, der mehr Bein zeigt, als mir lieb ist. So trete ich am Abend auf die Straßen Sohos.
In der Nacht wimmelt es hier von Menschen. Alles leuchtet und blinkt. Angie habe ich nichts von alldem erzählt, sie befindet sich hinter den schützenden Mauern des Red Lips, wo es wenigstens Regeln und Vorschriften gibt. Dort werden die Frauen noch beschützt und sind nicht wie Freiwild einfach den Männern ausgeliefert. Doch ich wähle genau diesen Weg. Weil ich keine andere Möglichkeit sehe und auch, weil ich Angst habe. Ich will mir noch nicht vor Angie die Blöße geben. Ich will mein Geld selbst verdienen, selbst die Miete und das Essen zahlen können.
Grover kommt mir wieder in den Sinn. Wie entsetzt er darüber gewesen ist, als er von meinem spärlich bekleideten Job im Little Angel gehört hat. Er hat mir verziehen, hätte ein anderer Mann das gemacht? Nein. Bei Timber hat es schon ausgereicht, dass ich die Tochter einer Nutte war. Nuttentochter. Jetzt kann man ›Tochter‹ streichen. Ich bin auf dem besten Weg, eine völlige Nutte zu werden. Das ist mein Schicksal. Ich bin der festen Überzeugung.
Die Liebe zu Grover hat kein Happy End bereitgehalten.
Das Wissen, wer mein Vater ist, hat kein Happy End in meine Familie gebracht.
Das Studium am Trinity hat mir nichts genützt und mir meine Mutter genommen.
Trauer statt Happy End. Was kümmert es mich also noch? Es interessiert niemanden, was ich hier tue.
Rhona ist auch nicht hier, um mich davon abzuhalten. Sie würde von mir sicher auch nichts mehr wissen wollen, nachdem ich sie einfach so verlassen habe und mitten in der Nacht aus dem Land geflohen bin.
Ich seufze und merke, wie meine Knie zittern. Mich plagt die Angst. Es könnte der größte Fehler meines Lebens sein, allerdings ist es auch der einzige Weg, um Geld zu verdienen. In einer Ballettschule will eben keiner ein armes Mäuschen wie mich haben. Ich bin nur hier etwas wert. Wenn auch nur für eklige Männer, die mich mit ihren gierigen Blicken ausziehen.
Mutig fange ich an, auf und ab zu gehen. Meine hohen Schuhe klackern über den Boden. Ich schwinge meine Hüften, ähnlich wie bei manchen Tänzen. Setze meinen Körper in Szene, meine kindliche, dürre Figur, die seit Moms Tod nur noch aus Haut und Knochen besteht. Scheiße! Was, wenn mich jemand haben möchte, der fiese Dinge mit mir anstellt? Dunkle Dinge, verbotene Dinge.
Garret taucht vor meinen Augen aus. Ihn bräuchte ich jetzt. Seine Dominanz, sein Gewicht auf mir und seine Hände, die mich an den Handgelenken festnageln. Kein anderer Mann, nur er oder Grover dürften so mit mir umgehen. Umso misstrauischer bin ich hier allen anderen Männern gegenüber. Nur allzu gut kann ich mich an die vielen Male erinnern, als Brooke mit blauen Flecken nach Hause kam, Tränen in den Augen. In solchen Momenten hat auch das Trinkgeld keine Rolle gespielt. Brooke ist schon oft an Männer geraten, die Schweine sind. Ich will solche Begegnungen tunlichst meiden. Deswegen sehe ich mir die Männer auch genau an, die mich anstarren. Manche haben Kumpels dabei, die miteinander reden und sich schweinische Dinge über mich ins Ohr flüstern, obwohl mich niemand von ihnen kennt. Wieder andere sind viel zu alt für mich und erinnern mich zu sehr an Cormac, der mein Vater sein soll. Geschäftsmänner, die nach der Arbeit noch schnell Vergnügen suchen, bevor sie zu Frau und Kindern zurückkehren. Doch ich werde nicht nur allein von den Männern angesehen. Auch die Frauen und Mädchen sehen mir nach, tuscheln. Sie fragen sich, wer ihre neue Konkurrenz ist. Ich kenne keine von ihnen. Höchstens habe ich sie schon einmal gesehen, weil sie auch direkt hier in Soho wohnen.
Es dauert nicht lange, da werde ich auch schon angesprochen. Es ist zu meiner Freude ein gepflegter Mann, etwas älter als Grover und Garret. Er trägt einen Anzug, doch ich kann keinen Ehering an seinem Finger blitzen sehen. Er berührt meine Schulter.
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: