Chellston Bay: Lifeline - Vanessa Fuhrmann - E-Book

Chellston Bay: Lifeline E-Book

Vanessa Fuhrmann

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Beschreibung

„Ich sitze in einem Gefängnis, unfähig, meine Träume zu leben. Warum nur fühlt es sich so an, als könntest du mir beim Ausbruch helfen?“ Die Ehe ist ein sicherer Hafen – das hat Miley immer geglaubt. Zusammen mit Steve ist sie glücklich. Sie hat sich ein Leben und eine Familie aufgebaut – das, was sie schon immer wollte, oder etwa nicht? Doch Miley verspürt immer wieder eine klaffende Leere in sich. Erinnerungen an Träume, die sie schon längst aufgegeben hat, damit die Partnerschaft mit Steve und ihr gemeinsames Leben funktioniert. Als der Rummel in der Kleinstadt am Meer stattfindet, läuft Miley dort Ashton über den Weg. Ashton ist Lebenskünstler und Abenteurer – ihn hält nichts an ein und derselben Stelle fest. Miley ist von ihm fasziniert, ahnt jedoch, dass Ashton böse Dämonen mit sich herumschleppt. Sie sollte sich besser von ihm fernhalten, doch warum gelingt ihr das nur nicht? Liegt es an Ashtons Charme oder daran, dass er ihr immer wieder sagt, sie könne ausbrechen und auch ihre Träume leben?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Epilog I
Epilog II
Danksagung

Vanessa Fuhrmann

 

Chellston Bay

Lifelines

 

 

 

 

Chellston Bay – Lifelines

 

 

 

© 2025 VAJONA Verlag GmbH

Originalausgabe bei VAJONA Verlag

 

 

Lektorat und Korrektorat: Désirée Kläschen

Umschlaggestaltung: VAJONA Verlag GmbH unter

Verwendung von Motiven von rawpixel

Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz unter Verwendung von Motiven von Canva

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für alle, die sich in ihrem Leben gefangen fühlen.

 

Und für Nadine. Du bist stark. Bleib dir immer selbst treu.

 

 

 

 

 

 

Wenn du einmal ein Träumer bist, bist du für immer einer.

Nur manchmal braucht es eben etwas Zeit, aus deinem Käfig auszubrechen und zu fliegen.

Prolog

Miley

 

 

Lebe deine Träume.

Kämpfe für deine Träume.

Höre nie auf zu träumen.

Alles pure Lügen.

Nur hat mir das nie jemand erzählt, sodass ich direkt in das Messer hineingelaufen bin. Die Wunde blutet nun, doch niemand sieht die roten Tropfen, die hinunter auf den Boden fallen. Sie verändern das Bild des perfekten grünen Rasens. Dieser hat jetzt einen roten Fleck der Schande, was nicht ins Bild der perfekten Welt passt, in der ich lebe.

Eigentlich habe ich alles, was ich mir wünsche. Und doch bin ich eine Gefangene. Wenn mich niemand hört, dann schreie ich laut, doch meine Träume antworten nie. Sie ziehen immer weiter von mir fort und irgendwann werde ich sie bestimmt nicht mehr erreichen können.

Deswegen sind es alles nur Lügen. Kein Mensch ist in der Lage, all seine Träume zu leben. Wir alle müssen eines Tages erwachsen werden und uns der Realität stellen. Dass wir in goldenen Käfigen leben, in denen wir uns zwar bewegen, die wir aber nicht verlassen können.

Ich habe mich damit abgefunden:

keine Träume, dafür Gefangenschaft.

Und es ist okay.

Nur an manchen Tagen blinzle ich in das helle Sonnenlicht und frage mich, ob da draußen nicht mehr für mich ist, ob mich die Wellen des Meeres zu sich rufen werden, damit ich endlich stark genug sein werde, doch noch die Kraft zu finden, meinen Träumen zu folgen.

Kapitel 1

Miley

 

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch Wurzeln der Native Americans in meinen Genen trage. Denn ich schaffe es jeden Tag, mich so leise wie nur möglich aus dem Bett und dem Schlafzimmer zu schleichen. Auf Zehenspitzen tappe ich durch den Flur, vorbei an den zwei angelehnten Holztüren, wo meine beiden Wunder noch selig schlummern.

Die große Podest-Treppe knarzt, als ich die Stufen nach unten steige. Ich halte kurz die Luft an, doch von oben vernehme ich keinen Mucks. Erleichtert atme ich auf. Zum Glück. Denn diese wenigen Minuten am Morgen, die gehören nur mir ganz allein.

In der großen Küche schalte ich sofort die Kaffeemaschine an und lasse mir einen Flat White in meine geblümte Lieblingstasse ein. Anschließend schnappe ich mir die Tasse und gehe barfüßig, wie ich bin, hinaus auf die Terrasse, die direkt an unseren Wohn-und-Essbereich anschließt und durch eine große Glastür zu begehen ist.

Tief atme ich die frische Luft des Morgengrauens ein. Sie lässt mich Kraft schöpfen für den heutigen Tag, der vor mir liegt. In der Ferne höre ich ein paar Vögel zwitschern. Langsam schlendere ich über unseren feuchten Rasen. Die Rosen, die sich vor der Hecke in die Höhe ranken, muss ich dringend mal wieder schneiden. Ich lächle, während ich eine Blüte in einer rosa Farbe vorsichtig anhebe. Sie sind so zerbrechlich. Wenn ich sie falsch anfasse, dann fallen die Blütenblätter sofort zu Boden. Wunderschön, allerdings dem Schicksal ausgeliefert, langsam zu verwelken.

Schluck für Schluck trinke ich meinen Flat White, ehe ich wieder hinein ins Haus gehe, wo ich in Windeseile den Tisch decke. Ein Blick auf die Uhr beweist mir, dass es bald höchste Zeit ist, die zwei Wirbelwinde zu wecken.

Sobald alles vorbereitet ist, gehe ich wieder nach oben, wo ich zunächst im Schlafzimmer meinen Pyjama gegen Jeans und Top tausche. Mein Mann Steve ist bereits wach, ich höre ihn drüben in unserem Bad. Da ich ihn nicht stören will, gehe ich, ohne mich erst zu waschen, hinüber zu den Kinderzimmern.

Als Erstes wecke ich Simon. Er ist ein Morgenmensch, zumindest ist er nicht schlecht gelaunt, wenn ich ihn zeitig wecken muss, es würde ihn auch nicht stören, müsste er noch eher aufstehen.

»Guten Morgen«, summe ich leise, als ich in sein Zimmer gehe und ihm einen Kuss auf seine Stirn gebe.

Simon öffnet verschlafen die Augen und begrüßt mich dann mit einem Lächeln. »Morgen, Mom.«

»Ich habe dir deine Kleidung für den Kindergarten auf deinen Sessel gelegt. Schaffst du es, dich allein anzuziehen?«

Wie gewöhnlich verdreht er die Augen. »Natürlich. Schließlich bin ich schon groß und gehe bald in die Schule.«

Mein Lächeln wird breiter. »Das bist du allerdings.«

Schnell wuschle ich ihm durch das blonde Haar und verlasse dann das Zimmer, um nach Samuel zu sehen.

Simons Zwillingsbruder ist das genaue Gegenteil. Ihn weckt kein Kuss auf die Stirn. Stattdessen muss ich erst die Rollläden hochfahren, bis das Sonnenlicht ihm den Schlaf raubt.

»Kann ich noch kurz liegen bleiben?«, bettelt Samuel.

Streng stemme ich die Hände in meine Hüften. »Nein, denn sonst kommen wir zu spät, so wie vorgestern. Hast du das etwa vergessen?«

Samuel schüttelt den Kopf und windet sich widerwillig aus seiner Bettdecke. Er ist das Ebenbild seines Bruders. Einzig und allein die Augenfarbe macht es einem leicht, die beiden voneinander zu unterscheiden. Tiefes Braun trifft auf einen Braunton mit einem grünen Schimmer darin.

Ich lächle und Samuel schüttelt den Kopf. »Lass mich aber in Ruhe meine Sachen anziehen.«

»Kommst du danach auch gleich zum Frühstück? Es gab Tage, da hast du dich heimlich wieder im Bett verkrochen und ...«

Hastig unterbricht er mich. »Klar, ich komme zum Frühstück.«

Er drängt mich geradezu aus seinem Kinderzimmer und mir wird mal wieder bewusst, wie vergänglich alles ist. Meine beiden Söhne werden zu schnell groß. Es fühlt sich so an, als wäre es gestern gewesen, als ich sie nach über zwanzig Stunden Wehen endlich in den Armen gehalten habe. Müde, aber glücklich. Jetzt merke ich, wie die zwei Tag für Tag immer selbstständiger werden. Beide freuen sich gleichermaßen darauf, bald in die Schule gehen zu dürfen.

Als ich wieder unten in der Küche bin, steht Steve an der Küchentheke und schlürft im Stehen seinen Kaffee.

»Guten Morgen«, begrüße ich meinen Mann und mache ein paar Schritte auf ihn zu, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, doch dieser weicht zurück.

»Sind die Kinder schon wach?«

»Natürlich«, antworte ich. »Sie werden gleich runterkommen.«

Eilig erhitze ich etwas Milch auf dem Herd, um beiden ihren Kakao eingießen zu können. Dabei brennt Steves Blick auf meinem Rücken. Er ist sehr pflichtbewusst und mag es, wenn hier im Haus alles in geordneten Bahnen vor sich geht. Routinen. Das ist das A und O für ihn. Nichts darf durcheinandergeraten.

Sobald die beiden dampfenden Tassen auf dem Küchentisch neben den Müslischalen platziert sind, stürmen auch schon Simon und Samuel in den Raum. »Guten Morgen, Dad«, rufen sie im Chor.

Steve schenkt ihnen ein Lächeln, stellt seine Kaffeetasse ab und erwidert die Begrüßung. Als beide an ihm vorbei zum Tisch schlüpfen, wuschelt er ihnen gleichzeitig durch die Haare, was die Jungs zum Lachen bringt.

Auch meine Mundwinkel heben sich automatisch. Das sind die Momente, die ich so sehr genieße und schätze. Leider ist die Zeit jeden Morgen begrenzt. Während die Zwillinge ihre Müslischalen füllen, schnappt sich Steve seine Arbeitstasche, die er neben der Küchentheke platziert hat.

»Ich muss los«, sagt er.

»Viel Spaß auf der Arbeit«, kräht Simon, während Samuel etwas Unverständliches nuschelt.

»Bis heute Abend. Komm nicht so spät nach Hause«, sage ich meinem Mann und wende mich ihm zu. Schnell beugt sich Steve zu mir und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. Als er sich von mir löst, brennen sie schmerzlich. Sehnen sich nach mehr. Es fühlt sich mehr nach einem Pflichtbewusstsein seinerseits an, so als würde der Kuss nicht von Herzen kommen.

»Du weißt doch, Miley, dass ich viele Überstunden schieben muss. Ich kann nicht versprechen, dass ich heute Abend pünktlich bin.«

Etwas in mir zerspringt. Steve versucht ein unbeholfenes Lächeln, doch es heilt nicht das, was in mir vor sich geht. Denn erneut bin ich den ganzen Tag allein. Wieder ist Steve fort und kommt am Ende erst, wenn ich schon längst auf dem Sofa bei einer Serie und einem Glas Wein eingeschlafen bin. Nichts davon fühlt sich richtig nach Familie an, obwohl wir nach außen hin immer perfekt wirken.

»Hoffentlich hat das mit den Überstunden bald mal wieder ein Ende«, seufze ich.

Steve nickt ermutigend. »Alle Projekte sind irgendwann beendet. Ich hoffe auch auf eine Zeit ohne diesen ganzen Stress. Irgendwann brauche ich auch mal eine Pause.«

Mir liegt es auf der Zunge, ihn darum zu bitten, einfach mal Urlaub zu nehmen, damit wir als Familie zusammen sein können. Nur sage ich es nicht, weil ich die Antwort kenne. Dass es nicht möglich ist. Dass die Firma ihn braucht. Solche Dinge eben. Steve winkt kurz in die Runde, dann dreht er sich um und geht zur Haustür. Ich atme erst auf, als ich den Knall höre, mit dem er sie ins Schloss zieht. Anschließend setze ich mich zu meinen Kindern an den Tisch. Nur bringe ich keinen Bissen herunter. Mir fehlt jeglicher Appetit.

 

 

Nachdem ich die Kinder im Kindergarten abgeliefert habe, bin ich vollständig allein. Im Auto ist es ruhig. Kein Gekreische meiner Söhne, die sich auf der Rücksitzbank darum streiten, wer mehr Arten von Dinosauriern aufzählen kann.

Mein nächster Stopp ist der Supermarkt, um den Wocheneinkauf zu erledigen. Danach geht es noch in die Drogerie. Dabei begegne ich anderen Frauen, die sicher ebenfalls mein Alter haben oder knapp älter sind. Ich frage mich, ob sie auch Mütter sind. Sind sie glücklich in ihrem Leben? Oder spüren sie manchmal ebenfalls eine schwere Leere in sich?

Eilig schiebe ich den Einkaufswagen in Richtung Kasse, danach lade ich alles in meinen Wagen und fahre zurück nach Hause.

Die Richview Allee beginnt dort, wo der Main Chellston Park liegt. Es ist eine wunderschöne, familienfreundliche Gegend. Überall ist das Tempolimit beschränkt und es wird auf spielende Kinder hingewiesen. Einen kleinen Spielplatz gibt es ebenfalls, ganz in der Nähe des Parks. Immer, wenn ich in die Straße einbiege, bin ich unglaublich dankbar, hier wohnen zu können. Das ist nicht selbstverständlich, da es nicht die günstigste Gegend in Chellston Bay ist. Doch Steve war es schon immer wichtig, dass unsere Söhne behütet aufwachsen, also hat er der Familie dieses schöne Südstaatenhaus mit dem großen Garten ermöglicht.

Wenn du einmal ein Träumer bist, dann bist du immer einer.

Samuel Haber von ›Sunrise Avenue‹ bringt mich mit dem Songtext von ›Dreamer‹ zum Nachdenken. Eigentlich war ich das immer. Eine Träumerin. In der High School habe ich mir mein Leben genaustens ausgemalt. Doch dann lernte ich Steve kennen und alles wurde anders. Die Träume veränderten sich, verformten sich zu einer Familie. Nur jetzt, wo die Zwillinge immer älter und selbstständiger werden, keimen meine alten Teenie-Gedanken wieder in mir auf und sorgen für ein Kribbeln in meinem Körper. Ob ich sie wohl jemals leben werde? Wahrscheinlich nicht. Sie werden aber immer Teil meines Selbst sein.

Inzwischen bin ich zu Hause und steige aus dem Wagen. Die nächsten Stunden verlaufen wie immer gleich. Schnell sind die Einkäufe verräumt und als Nächstes kümmere ich mich um den Haushalt. Staubsaugen. Aufräumen der Kinderzimmer. Bettenmachen. Wäsche anschmeißen.

Es sind immer dieselben Tätigkeiten, die mich Tag für Tag begleiten. All das mache ich gern, es ist immerhin für meine Familie, aber ich will dennoch mehr. Immer zu Hause zu sein, engt mich ein. Aus diesem Grund stürme ich nach der Hausarbeit hinaus in den Garten. Mit einer Gartenschere bewaffnet mache ich mich daran, die Rosen zu schneiden. Dabei lasse ich mit einer kleinen Bluetooth-Box Musik laufen.

Gerade singen Lady Gaga und Bradley Cooper ›Shallow‹. Gänsehaut bildet sich auf meinen nackten Armen und ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Das Lied hat Steve und mich begleitet, als ich mit Wehen von ihm ins Krankenhaus gefahren wurde. Und dann – dann waren unsere Wunder plötzlich da und das Leben zu zweit nicht mehr so, wie es einmal gewesen ist. Aber um nichts in der Welt würde ich es jemals wieder eintauschen wollen.

Leise fange ich an, das Lied mitzusummen, während ich weiter an den Rosensträuchern arbeite. Die angenehme, warme Sonne des Junis brennt auf meiner Haut. Ich liebe dieses Gefühl. Kurz schließe ich die Augen, bewege meine Lippen, singe langsam Lady Gagas Textzeilen mit, die ich alle auswendig kenne. Es tut so gut.

Und wieder einmal wird mir klar, wie dankbar ich dafür bin, eine wundervolle, gesunde Familie zu haben. Ich bin glücklich. Nur hoffe ich, dass diese immer gleich ablaufenden Tage irgendwann ein Ende haben werden. Ich möchte wieder Abenteuer erleben. Etwas Verrücktes tun. Frei sein. Einfach ich. Nicht nur zu Hause sitzen und Staubwischen.

Der Gedanke sorgt für ein Kribbeln in meinem Körper. Es muss eine Möglichkeit geben, das schon jetzt in meinem Leben wieder umzusetzen. Doch nur wie? Ich überlege, während ich die abgeschnittenen Teile der Rosensträucher im Garten zusammenlese und in einen Korb lege. Mein Mann und ich haben schon länger nichts mehr zu zweit unternommen. Und um ehrlich zu sein, glaube ich, könnte das unserer Ehe guttun. Steve sicher auch. Er braucht dringend etwas, um von seinem stressigen Job zu entspannen.

In mir keimt eine Idee auf und ich eile nach drinnen, um meine Mutter anzurufen. Diese ist hellauf begeistert, sich diesen Abend um die Jungs zu kümmern. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass Steve nicht allzu spät von der Arbeit kommt, denn ich möchte ein romantisches Dinner für uns vorzubereiten.

Dazu fahre ich sogar erneut in den Supermarkt, bevor ich die Zwillinge vom Kindergarten abhole. Unterwegs wird mir klar: Ich bin wirklich mehr als bereit für ein neues Abenteuer.

 

 

Kapitel 2

Miley

 

»Warum bist du so fröhlich, Mom?«, will Simon wissen, während wir nach Hause fahren.

»Bin ich das denn sonst nicht?«, frage ich nach und werfe einen kurzen, lächelnden Blick hinein in den Rückspiegel.

Simon schüttelt den Kopf. »Nein. Nicht immer.« Mein Sohn ist für sein Alter sehr scharfsinnig. Manchmal glaube ich, dass er die Emotionen aller Menschen lesen kann, als wären sie Romane.

»Hm, ... aber ich bin doch immer fröhlich«, meine ich.

Simon bleibt jedoch bei seiner Meinung. »Das letzte Mal warst du so glücklich, als wir unseren Geburtstag gefeiert haben. Vor einer Woche.«

Stimmt. Daran erinnere ich mich. Ich liebe es, für meine Kinder eine perfekte Party zu organisieren. Es gab Kuchen, Geschenke und eine Hüpfburg in unserem Garten, was selbstverständlich das Highlight der Jungs gewesen ist.

»Hm, ... ich wäre immer noch dafür, einen Terminator für den Geburtstag zu holen«, kräht Samuel, was ich mit einem Kopfschütteln quittiere. Mein anderer Sohn hat eine blühende Fantasie.

»Es gibt keine Terminator, mein Schatz«, erkläre ich.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Samuel die Zunge in meine Richtung ausstreckt. Eigentlich sollte ich ihn dafür rügen – Steve würde es tun –, ich jedoch erkenne die Ironie dahinter.

»Eines Tages werde ich beweisen, dass es sie gibt«, erklärt Samuel. Seine Stimme ist dabei voller Überzeugungskraft. »Wenn ich Astronaut bin, dann finde ich die Terminator.«

»Aber sie kommen aus der Zukunft«, verbessert Simon.

Samuel schnaubt laut. »Ach, das sagen die Filme. Ich glaube, sie leben auf einem weit entfernten Planeten.«

Sogleich fangen die beiden an, heftig über diese Theorie zu diskutieren. Ich bin froh, dass ich mich nicht weiter dem Thema widmen muss. Simons Worte haben mir ehrlicherweise zu denken gegeben. Bin ich denn wirklich selten glücklich? Lache ich zu wenig? Mein Wunsch ist es doch, dass meine Kinder fröhlich aufwachsen können. Dahingehend sollte ich ihnen definitiv ein Vorbild sein.

Als ich in die Garageneinfahrt einbiege, sind sich die Zwillinge immer noch über die Terminator-Sache uneinig. Zum Glück streiten sie nicht, sondern diskutieren nur heftig.

»Wollt ihr mir beim Reintragen der Einkäufe helfen?«, frage ich die beiden.

Simon nickt, während Samuel eine Augenbraue hebt und skeptisch den vollgepackten Kofferraum mustert. »Eigentlich machst du das doch immer, nachdem du uns im Kindergarten abgegeben hast, oder?«

»Ja. Heute kam aber etwas dazwischen und ich musste noch mal in den Supermarkt«, erkläre ich ihm.

»Ach so.«

Er stellt keine weitere Frage mehr, sondern hilft seinem Bruder mit den Einkaufstüten. Ich selbst stemme den Rest.

Drinnen angelangt, beäugen die Zwillinge alle Lebensmittel ganz genau. Sie wollen wissen, was ich damit kochen möchte. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, ausführlich mit ihnen darüber zu reden, doch da sie heute Abend bei meinen Eltern sein werden, kann ich es ihnen ohnehin nicht verheimlichen.

»Dad und Mom machen heute einen Abend zu zweit. Dafür möchte ich Dad etwas Leckeres kochen«, erkläre ich.

Samuels Augen werden größer. »Och wie schön.«

»Und wir?«, fragt Simon dagegen und die Tüte mit den Bananen knallt auf den Boden.

»Ihr mögt es doch so gern bei Granny und Grandpa. Was haltet ihr davon, wenn ich euch später zu ihnen rüberbringe?«

Simon runzelt die Stirn. »Ich will aber auch etwas von eurem leckeren Essen abhaben.«

Ich knie mich neben ihm hin und nehme seine Hände in meine. Simon war nie gern von mir oder Steve getrennt. Obwohl er es im Kindergarten als auch bei seinen Großeltern mag, ist er lieber bei uns.

»Weißt du, Spatz, ich bin mir sicher, dass Granny auch etwas Leckeres kochen wird. Ihr werdet viel Spaß zusammen haben.«

Simons braun-grüne Augen bohren sich tief in meine. Mit großem Blick sieht er mich direkt an und berührt in mir das Mamaherz. »Aber, Mom, kann ich bei Granny auch die Löwendoku im Fernsehen anschauen?«

Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Mein kleiner, tierlieber Junge.

»Natürlich kannst du das«, sage ich sanft.

»Aber ich bin dagegen. Lass uns lieber etwas mit Robotern sehen, die die Menschheit übernehmen«, ruft Samuel dazwischen. Mir entweicht ein tiefer Seufzer, gefolgt von einem schlechten Gewissen, weil Samuel so viel wilder ist und sich gern schon mit Dingen beschäftigt, für die er eigentlich noch viel zu jung ist.

»Samuel, kannst du deinem Bruder zuliebe heute die Dokumentation mit den Löwen schauen? Dafür können wir am Wochenende gemeinsam Transformers sehen, was meinst du?«

Schon bin ich zurück im Spiel, denn Samuel nickt zufrieden und seine Augen fangen an zu leuchten.

»Das ist klasse. Danke, Mom. Du bist die Beste.«

Es sind diese Kleinigkeiten. Kurze Sätze, die meine Welt aus den Fugen heben und mein Herz zum Schmelzen bringen. Gleichzeitig drücken sich Samuel und sein Bruder an mich und schließen mich in ihre kleinen Arme. Es ist schön, ihre Mutter zu sein. Das schönste Gefühl auf dieser Welt.

»Wir möchten dir gerne helfen, dass das Abendessen mit Daddy schön wird«, nuschelt Simon.

Samuel löst sich von mir und nickt heftig. »Au ja. Simon und ich kümmern uns um eine schöne Dekoration.«

»Okay, sehr gerne«, antworte ich und schon flitzen meine beiden Jungs los und holen Bastelzeug aus den Schubladen im Wohnzimmerschrank. Damit bewaffnet blockieren sie schon bald den Esszimmertisch und fangen an zu basteln. Nun kann ich mich in Ruhe den Einkäufen widmen. Immer wieder jedoch linse ich zu ihnen hinüber. Es sind eindeutig Herzen, die die beiden voller Eifer ausschneiden. Ich schmunzle. Meine beiden Jungs. Mein ganzer Stolz. Sollte ich mich deshalb nicht schämen, dass ich mich manchmal nach Abenteuern und mehr Abwechslung im Alltag sehne? Mit einem Mal überkommt mich eine Welle des schlechten Gewissens. Doch ich rüge mich selbst. Denn, nein, das heute ist kein Abenteuer. Es ist einzig und allein dazu gedacht, meine Ehe endlich wieder mit etwas Pfeffer zu würzen und aufzupeppen. Steve und ich brauchen das. Es ist schon zu lange her, dass das Feuer der Leidenschaft zwischen uns brannte. Jetzt steht etwas zwischen uns, eine unsichtbare Schlucht, die sich unbemerkt zwischen uns aufgetan hat. Diese möchte ich heute endlich wieder überqueren, indem ich eine Brücke über sie hinweg errichte.

Eilig mache ich mich daran, die Rippchen zu würzen, damit sie gut durchziehen zu können. Anschließend geht es an die Vorbereitung des Cole Slaws. Zeitgleich gesellt sich die Vorfreude auf heute Abend dazu. In meinem Kopf machen sich bewegte Bilder breit. Von der Zeit, als Steve und ich uns kennenlernten. Diese Schwerelosigkeit, mit der wir beide durchs Leben gingen. Wie gern würde ich noch einmal dorthin zurückkehren. Damals gab es noch nicht den gut bezahlten Job in der Softwarefirma und Steve war noch Steve Collister, in den ich mich verliebt habe. Ich bin mir sicher, dass ein entspannter Abend diesen Steve wieder aus ihn herauskitzeln kann.

 

 

Die Kinder bringe ich erst am späten Nachmittag zu meinen Eltern. Zuvor habe ich die Dekoration der beiden bestaunt. Bei den roten Herzen haben sie sich wirklich große Mühe gegeben und auch das Falten der Servietten haben sie mit Freude übernommen. Zum Glück fällt Simon der Abschied dann doch nicht zu schwer, als mein Vater ihm einen kleinen Plüsch-Affen in die Hand drückt, den er ab sofort sein Eigen nennen kann.

Es ist praktisch, dass meine Eltern direkt in unserer Straße wohnen. So kann ich bequem zu Fuß nach Hause laufen.

Als ich wieder zurück in der Küche bin, schiebe ich die Rippchen in den Ofen und gehe dann nach oben, um mich in aller Ruhe fertig zu machen. Dazu gönne ich mir eine ausgiebige Dusche und ziehe mir ein enges, schwarzes Kleid an. In meine Ohren stecke ich silberne Stecker und mein Haar bringe ich mit meinem Glätteisen in eine leicht wellige Form. Meine Augen schminke ich dunkel, das betont die dunkle Farbe meiner Iriden. Als Letztes sprühe ich mich mit meinem liebsten Parfum ein. Steve mag es an mir, seitdem wir uns kennengelernt haben. Daher habe ich nie in Erwägung gezogen, einen anderen Duft zu kaufen.

Im Badspiegel lächelt mir eine glückliche Frau entgegen. Es fühlt sich gut an, sich schick zu machen. Das erinnert mich an unsere ersten Dates, bei denen ich stundenlang vor dem Kleiderschrank im Kinderzimmer bei meinen Eltern stand und nicht wusste, was Steve gefallen könnte. Außerdem tue ich damit auch etwas für mich selbst.

Nachdem ich mit meinem Äußeren zufrieden bin und wieder nach unten in die Küche gehe, stelle ich fest, dass die Rippchen bereits fertig sind, und schalte den Ofen aus.

Mein Blick wandert erwartungsvoll zur Uhr, die über dem Kühlschrank hängt. Es ist bereits sechs. Normalerweise sollte Steve jeden Augenblick kommen. Vorausgesetzt, dass er keine Überstunden schiebt.

Ich hätte mir denken können, dass mein Mann auf sich warten lässt. Auch eine Viertelstunde später ist er noch nicht da. Zum Glück kann ich die Rippchen im Ofen warmhalten. Allerdings knurrt mein Magen mit jeder Sekunde mehr und ich werde nervöser. War das Dinner etwa doch keine so gute Idee? Vielleicht hätte ich ihm im Büro Bescheid sagen sollen. So hätte er es einplanen können. Nur ist es jetzt zu spät.

Ungeduldig laufe ich im Haus hin und her, räume hier und da noch ein bisschen Spielzeug von den Kindern weg. Doch als er um halb sieben immer noch nicht da ist, setze ich mich aufs Sofa und vergrabe meine Nase in einem Roman von Nicholas Sparks. Je mehr Seiten ich lese, desto mehr versumpfe ich in der rosaroten Welt, die der Autor so perfekt erschaffen hat. Alles um mich herum verschwimmt und ich vergesse, dass die Uhr im Hintergrund verheißungsvoll tickt und mir der Geruch der fertigen Spare Ribs in die Nase steigt. Die Geschichte zieht mich so in ihren Bann und ich sauge jedes Wort gierig in mir auf, inhaliere jede Seite geradezu, ehe ich auf die nächste umschlage.

Bis ich die Tür ins Schloss fallen höre.

Sofort halte ich den Atem an und klappe gleichzeitig das Buch zu, ohne ein Lesezeichen zwischen die Seiten zu stecken. Doch das ist nicht wichtig. Es zählt nur, dass Steve endlich da ist. Prüfend wandert mein Blick zur Uhr. Es ist sieben. Er ist eine Stunde zu spät. Fest beiße ich mir auf die Unterlippe und ich frage mich erneut, wann diese Überstunden denn endlich ein Ende haben werden. Doch dann besinne ich mich wieder. Heute soll ein schöner Abend werden.

Schnell rapple ich mich auf und streiche mir mein Kleid glatt. Als Steve in den Raum kommt, stehe ich bereits an der Kücheninsel und habe gerade die Rippchen herausgeholt.

»Hallo, Schatz«, begrüße ich meinen Mann und lächle breit.

Steves Augen wandern zu mir. Sein Gesicht wirkt angespannt. Es ist fast schon beängstigend. Ich kann seinen Stress von hier aus förmlich riechen.

»Alles okay?«, will ich wissen. Noch hat mein Mann kein Wort gesagt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er das leckere Essen realisiert hat, geschweige denn den gedeckten Tisch mit den vielen Herzen aus Papier, in unterschiedlichen Farben bemalt.

Langsam nickt Steve. »Ja, alles gut.«

Ich sehe darüber hinweg, dass er nicht einmal Hallo zu mir sagt. »Sicher?«, hake ich nach und fange an, die beiden Teller mit Rippchen, dann mit Cole Slaw und Ofenkartoffeln zu füllen. Währenddessen gibt Steve zu: »Nein, eigentlich nicht. Die Arbeit schafft mich. Immer wenn ich denke, dass ich alles erledigt habe, kommt die nächste Mail.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er sich sein Haar rauft.

»Aber morgen ist doch auch noch ein Tag«, meine ich ermutigend.

»Nein«, gibt Steve schroff zurück. Fast so, als wären die vielen E-Mails meine Schuld. »Ich brauche jetzt noch etwas Zeit, um alles abzuarbeiten.«

Ein tiefes Seufzen entweicht seinem Mund, während ich seinen Teller beinahe fallen lasse.

»Nach dem Essen meinst du, oder?«, frage ich.

Steve schüttelt den Kopf. »Ich habe keinen Hunger. Ich werde mich jetzt gleich an die Arbeit setzen.«

Seine Worte sind eindeutig und zerreißen mir das Herz.

»Steve, ich dachte, wir könnten den Abend heute zusammen genießen. Ein Date, sozusagen. Ich habe gekocht. Spare-Ribs. Dein Lieblingsessen«, erkläre ich vorsichtig. »Die Zwillinge sind heute bei meinen Eltern. Wir haben das Haus also ganz für uns. Das könnte dir guttun. Du musst endlich abschalten, um wieder etwas Luft zum Atmen zu bekommen.«

Steve schnaubt. Etwa verächtlich?

Fest presse ich meine Lippen aufeinander.

»Was mir guttut, ist, meine Arbeit zur Zufriedenheit des Chefs zu erledigen. Es sind wichtige Aufgaben. Die Firma braucht mich«, kontert mein Mann. Seine Stimme ist fest. Fast schon hart. Es trifft mich, wie er mit mir spricht.

»Wir hatten schon so lange keinen Abend mehr für uns«, murmle ich. »Nur deswegen dachte ich, ist es eine gute Idee.«

»Dates sind doch Kinderkram«, japst Steve. Ja. Tatsächlich lacht er über mich. »Wir sind schon Jahre verheiratet, da gibt es so etwas wie Dates nicht mehr.«

Seine Worte erschüttern mich bis ins Mark. Der rosarote Nicholas-Sparks-Roman fällt mir wieder ein. Ein Paar, das sich immer wieder miteinander trifft, selbst im Alter noch die Liebe zueinander zelebriert. Wie sehr ich mir das für mich selbst wünsche.

»Dann iss wenigstens etwas, ich habe mir solche Mühe gegeben«, versuche ich mit leiser Stimme das zu retten, was noch zu retten ist.

Eigentlich ist klar, was als Nächstes kommt. Und dennoch bin ich wieder enttäuscht, als ich sein Kopfschütteln wahrnehme.

»Räum bitte die Küche auf, Miley. Das Essen kannst du für morgen aufheben. Samuel und Simon werden sich freuen.«

Seine Miene ist dabei todernst. Da ist nichts, was mich an unsere anfängliche Liebe erinnert. Denn in seinen Augen existiert sie nicht. Da sind nur dieser starre Ausdruck und ein Funke darin, der mich verachtend ansieht. Dass er mich damit verletzt und mir das Herz aus der Brust reißt, scheint Steve nicht bewusst zu sein. Ehe ich noch etwas erwidern kann, dreht er sich um und rauscht mit seiner Arbeitstasche aus dem Zimmer, um sich in sein Büro zurückzuziehen.

Erst als ich ebendiese Tür knallen höre, atme ich weiter. Sinke zu Boden. Steves Teller rutscht mir dabei aus den Fingern. Er zerbricht zwar nicht, aber das Essen verteilt sich auf den Fliesen, während ich mein Gesicht in meinen Händen vergrabe und laut schluchze. Alles war umsonst. Die ganzen Mühen des Nachmittags. Was kann nur in dieser Software-Firma so wichtig sein, dass Steve keine Zeit mehr für mich hat? Das geht seit Monaten schon so. Obwohl ... Ich überlege, und je mehr ich nachdenke, umso mehr Tränen sammeln sich in meinen Augen. Eigentlich sind es Jahre. Nach der Geburt der Zwillinge hat sich Steve immer stärker verändert. Der Job ist ihm immer wichtiger geworden, nachdem die beiden Jungen ein Jahr alt waren. Warum nur? Bin ich etwa daran schuld?

Wahrscheinlich. So wie an allem heute. Niemals hätte ich ein Dinner ohne Steves Zustimmung organisieren dürfen. Die Überraschung war eine dumme Idee. Plötzlich ärgere ich mich über mich selbst. Steve kann schließlich nichts für den Druck im Büro. Ich bringe ihn durch meine Date-Sache nur noch stärker durcheinander. Klar, dass er da nicht entspannen kann. Je mehr mir alles durch den Kopf geht, desto mehr verstehe ich meinen Ehemann. Schließlich wische ich mir die Tränen vom Gesicht und räume zerknirscht die Sachen vom Boden. Anschließend mache ich in der Küche klar Schiff. Das Essen duftet noch immer herrlich, doch mir ist nicht danach, auch nur einen Bissen zu nehmen. Auch wenn mein Bauch noch so sehr knurrt, der Appetit ist mir vergangen.

Da die Zwillinge über Nacht bei meinen Eltern sein werden, bin ich nach dem Aufräumen mit all meinen Verpflichtungen fertig. Mit meinem Buch unter dem Arm schleiche ich mich an Steves Büro vorbei. Hinter der Tür höre ich das Tippen auf seiner Tastatur, gefolgt von einem kurzen Fluchen, was mich automatisch zusammenzucken lässt. Er hat wirklich Stress. Ich hätte das Dinner einfach lassen sollen.

Seufzend gehe ich die Treppe nach oben. Stufe für Stufe. Kuschle mich anschließend allein in das große Ehebett. Versuche, zu lesen, in der Hoffnung, dass Steve doch noch irgendwann mit seiner Arbeit fertig wird und sich neben mich legt. Doch der Platz neben mir im Bett bleibt leer. Und irgendwann überkommt mich die Schwere der Müdigkeit und ich schlafe ein. Sinke hinab in eine Traumwelt, in der es keinen stressigen Job gibt. In der mein Ehemann und ich Zeit füreinander haben und noch Feuer in unserer Ehe lodert.

Ich hoffe so sehr, dass dieser Traum eines Tages wieder Realität wird ...

Kapitel 3

Miley

 

Wie gewöhnlich bin ich früher wach als Steve. Im fahlen Licht der Sonne, die sich langsam ihren Weg durch die Jalousien bahnt, betrachte ich meinen schlafenden Ehemann.

Seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Eine verlorene Haarsträhne steht wirr in die Luft. Er wirkt so friedlich und so entspannt. Von seinem gestrigen Stress ist nichts mehr zu erkennen. Ob er am Abend seine Arbeit beenden konnte?

Gänsehaut macht sich auf meinen nackten Armen breit, weil ich am liebsten die Hände nach ihm ausstrecken möchte. Ihm zeigen möchte, wie viel er mir bedeutet, dass er immer auf mich bauen kann und ich für ihn da sein werde. Doch die Distanz zwischen uns ist enorm. Wann wir das letzte Mal intim geworden sind, weiß ich nicht. Alles ist irgendwann verschwommen und jetzt sind da nur noch zwei Menschen, die beide eigentlich ein gemeinsames Leben führen wollten, jedoch immer stärker auseinanderdriften. Wie Eisschollen in der Nähe der Arktis. Ein Kloß ist in meinem Hals zu spüren. Meine Hand zittert, als ich sie ausstrecke, sie langsam über Steves Bettdecke wandern lasse. Ich halte den Atem an. Es ist so vertraut und zeitgleich fremd. Noch nie haben Steve und ich in zwei gänzlich gegensätzlichen Universen gelebt. So nah und doch so fern. Mutig lasse ich meine Hand über seinen nackten Arm gleiten. Steve atmet gleichmäßig und beruhigt, was mich noch eine Spur selbstsicherer werden lässt. Ich beuge mich zu ihm hinunter und hauche ihm einen Kuss direkt hinter sein rechtes Ohr.

In diesem Augenblick öffnet er seine Augen. Der Zauber bricht.

In meiner Fantasie hätte Steve mich jetzt fest an sich gezogen. Meinen Kuss erwidert, diesmal aber auf die Lippen. Er hätte mir seine Liebe damit gezeigt, dass er mich überall berührt, und wir hätten den Morgen ohne Kinder genossen. Auf unsere Art. Wie früher.

Jetzt jedoch rollt mein Mann genervt mit den Augen.

»Warum weckst du mich?«, will er wissen. »Ist das Frühstück etwa schon fertig?«

Eilig schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich dachte nur ... du sahst so schön aus im Schlaf.«

»Deswegen brauchst du mich aber nicht stören. Ich bin gestern spät ins Bett gekommen, ich kann jede Minute Schlaf dringend gebrauchen«, erwidert er und zieht sich die Decke entschlossen bis unter die Nase.

Die Enttäuschung breitet sich in meinem Körper aus, ich lasse mir aber nichts anmerken und stehe auf. Leise ziehe ich mich an und verlasse das Schlafzimmer. Dabei muss ich mich anstrengen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen.

Steve wechselt während des Frühstücks fast kein Wort mit mir. Grummelig verabschiedet er sich ins Büro, während ich sofort aufbreche, um Simon und Samuel bei meinen Eltern abzuholen. Dabei versuche ich, zu lächeln. Sie erzählen mir von ihren gestrigen Erlebnissen, dass sie mit Grandpa Höhlen gebaut und verstecken gespielt haben. Die beiden hatten Spaß und ich bin dankbar, dass sie von mir nicht wissen wollen, wie ihr Dad die selbst gebastelten Herzen fand. Weil ich sie daraufhin hätte anlügen müssen, und das will ich vermeiden.

Deshalb bin ich auch froh, als sie beide im Kindergarten sind. Sobald ich sie abgesetzt habe, tippe ich eine Nachricht in mein Handy und atme glücklich aus, als ich die Antwort lese. Auf meine beste Freundin Amber ist eben immer Verlass. Sie hat zum Glück Zeit, sich auf einen Kaffee mit mir zu treffen, was mich ungemein freut. Irgendwie bin ich nicht in der Stimmung, den heutigen Vormittag allein zu verbringen.

Mein Fahrtweg führt also zu einem Parkplatz in der Nähe der Innenstadt. Hier findet das blühende Leben von Chellston Bay statt. Ein Laden reiht sich an den nächsten, dazwischen tummeln sich Marktstände mit frischem Obst und Menschen, die durch die Straßen streifen. Schon länger bin ich nicht mehr shoppen gewesen und mit einem Mal überkommt mich der Wunsch, es demnächst wieder zu tun. Immerhin sitze ich sowieso die meiste Zeit nur zu Hause und die Jungs brauchen noch ein schickes Outfit für ihren ersten Schultag.

Ich laufe am La Belleza vorbei. Die kleine Boutique mag ich besonders, weil jedes Kleidungsstück dort ein ganz spezielles Flair hat. Nur schade, dass sie keine Mode für Kinder vertreiben, denn dann hätte ich mit den Zwillingen sicher hier einmal wieder vorbeigeschaut.

Langsam schlendere ich weiter, bis das kleine Café in Sicht kommt, welches mein Ziel ist: das Fairywood. Der Name steht in großen, verschlungenen Lettern über dem Eingang. All die Buchstaben laden dazu ein, eine Welt voller Fantasie zu betreten. Und genau das habe ich jetzt auch vor.

Die Glocke an der weiß gestrichenen Eingangstür ertönt fröhlich, als ich diese öffne. Sofort dringt der Geruch von Kaffee und Kakao in meine Nase, gepaart mit dem verschiedenster Kuchensorten.

Hier fühle ich mich rundum wohl. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich sehe Amber, die in einem ruhigen Eck sitzt und mir grinsend zuwinkt. Ihre wilden, schwarzen Locken stechen zwischen den anderen Gästen definitiv heraus. Amber hatte schon immer einen frechen Look, den sie über all die Jahre seit der Middle School nicht geändert hat – nicht, seitdem wir uns eben kennen.

›Das Fairywood ist ein Laden für Tratschweiber. Das und nicht mehr. Noch dazu bieten sie nicht einmal anständige Sandwiches zu Mittag an. Immer dieser vegane Schund. Igitt.‹

Warum nur kommt mir ausgerechnet Steves Aussage zum Café in den Sinn? Will er mir auch noch heute den Tag verderben, auch wenn er physisch gar nicht anwesend ist?

Egal. Ich übergehe den Gedanken in meinem Kopf und schlängle mich an den anderen Tischen vorbei bis zu Ambers.

Meine beste Freundin steht auf und schließt mich sofort in ihre Arme.

»Habe ich mich aber über deine Nachricht gefreut«, ruft sie aus. »Es ist schön, sich mal wieder zu treffen, nur zu zweit.«

Sie zwinkert mir zu. Und recht hat sie. Die letzten Male waren bei unseren Treffen auch immer Samuel und Simon anwesend.

»Und mir tut es auch gut. Die Vormittage sind oft sehr eintönig, wenn die Kinder in der Vorschule sind«, erkläre ich und lasse mich auf dem rosa bezogenen Stuhl neben ihrem nieder.

Amber lächelt und rührt ihren Latte macchiato um. »Verstehe ich. Hoffentlich macht es dir nichts aus, dass ich bereits bestellt habe. Nur ein Getränk, natürlich. Was ich als zweites Frühstück essen möchte, weiß ich noch nicht.«

»Was haben sie denn heute zur Auswahl?«, frage ich und beuge mich zeitgleich über die Karte. Der normalen Speisekarte liegt auch eine Wochenkarte bei. Im selben Moment rumort mein Bauch. Anscheinend habe ich heute Morgen unbewusst zu wenig gegessen.

»Lecker, sie haben den Vanille-Heidelbeerkuchen«, freue ich mich.

»Guten Morgen, Miley«, begrüßt mich plötzlich Millie. Ich erkenne die Inhaberin des Cafés sofort an ihrer melodischen Stimme. Es klingt beinahe immer so, als würde sie jedes Wort singen.

Ich drehe mich zu ihr um. »Ich hätte gerne einen Kaffee. Schwarz. Habt ihr auch selbst gemachte Limonade da?«

Millie nickt. »Himbeer-Minze.«

»Perfekt«, stoße ich aus. »Und dazu einen Pecan Pie.«

Amber hebt eine Augenbraue, was so viel heißt wie: ›Etwa doch nicht den Vanille-Heidelbeerkuchen?‹ Immerhin sind danach die meisten Einwohner Chellston Bays verrückt. Er ist der Beste von allen.

Ich zucke nur mit den Schultern.

»Und für dich?«, fragt Millie an Amber gewandt.

Diese verzieht kurz grübelnd das Gesicht und legt dann die Speisekarte vor sich auf dem Tisch ab. »Pancakes mit Ahornsirup. Ein gutes zweites Frühstück.«

Millie lächelt. »Gute Wahl. Also, bis gleich.«

Sie huscht davon und lässt uns am Tisch zurück. Amber beugt sich über die Tischplatte.

»Weißt du, was gut ist?«, fragt sie.

Ich schüttle ahnungslos den Kopf. »Was meinst du denn?«

Amber lacht. »Dass du mich heute angeschrieben hast. Denn meistens haben Mike und ich irgendwelche Pläne. Er hat gerade Urlaub und den nutzen wir in vollen Zügen aus und unternehmen viel. Klar, wir hätten uns auch einen Flug nach Hawaii buchen können, aber du kennst mich ja – ich und reisen, das passt einfach nicht zusammen. Aber genau heute hatten wir noch nichts vor. Daher hattest du Glück, dass ich Zeit habe.«

Ihre Worte sorgen dafür, dass meine Brust anfängt, merkwürdig zu schmerzen. Dabei hat sie nichts Falsches gesagt. Sie erzählt mir doch nur von ihrem Leben, dass sie die Zeit mit ihrem Mann in vollen Zügen genießt. Warum nur tut das so unglaublich weh? Eilig setze ich mich aufrecht hin und hoffe, dass Amber mir nicht anmerkt, dass sie mich mit ihrer Erzählung etwas aus der Bahn geworfen hat.

»Klingt nach einer schönen Zeit«, sage ich lahm.

Amber bemerkt meine umgeschwenkte Stimmung nicht. Sie lächelt verträumt. So als würde sie auf einer rosaroten Wolke schweben. Als wäre sie gerade frisch verliebt und nicht schon seit drei Jahren glücklich mit Mike liiert.

»Wie geht es eigentlich Steve? Wie läuft es bei euch?«

Die Fragen gehen mir durch Mark und Bein. Plötzlich fühlt sich mein Hals ganz trocken an, ich öffne den Mund und will etwas sagen, doch keinerlei Worte kommen heraus. Schlaff lasse ich meine Schultern sinken. Schüttle stumm den Kopf und drehe gedankenverloren den silbernen Ehering an meinem Finger im Kreis.

»Etwa eine blöde Frage?«, will Amber zerknirscht wissen. »Ich meine, du musst nichts sagen, wenn du nicht willst. Aber andererseits ... ich bin für dich da. Mit Sicherheit hast du mich deshalb heute spontan angeschrieben. Dir geht es nicht gut.«

Fest presse ich die Lippen aufeinander und nicke stumm. Amber hat so recht. Mir geht es wirklich nicht gut. Die Gegenwart prasselt auf mich ein wie ein starker Regenschauer. Schwere Tropfen, die sich beinahe anfühlen wie Hagelkörner.

»Hier dein Kaffee«, schreckt uns Millies Stimme auf.

Ich zwinge mir ein Lächeln auf, als sie die Tasse abstellt.

»Danke«, sage ich und beobachte, wie Millie dann meinen Kuchen und Ambers Pancakes auf dem Tisch vor uns platziert. Nachdem sie wieder davongegangen ist und ich das Stück Pecan Pie vor mir auf dem Teller betrachte, spüre ich, dass ich keinen Hunger mehr habe. Der Appetit ist mir durch Ambers Frage offenbar, mal wieder, vergangen. Ich schiebe den Teller ein Stückchen von mir weg und ziehe stattdessen die dampfende Tasse Kaffee zu mir. Nippe daran. Langsam. Um nicht sprechen zu müssen. Hoffend, dass Amber das Thema wechselt, was sie natürlich nicht tut. Dazu ist sie einfach eine zu gute Freundin.

»Miley, habt ihr euch etwa gestritten?«, will Amber wissen.

Heftig schüttle ich den Kopf. »Nein.«

Das gestern mit dem verpatzten Dinner war doch kein Streit, oder? Steve hatte mir schließlich nur seine Meinung dazu gesagt.

»Du warst schon immer sehr schweigsam, wenn es um dein eigenes Leben geht. Wohin ist die Miley, die in der High School pausenlos von ihren Träumen gesprochen hat?«

Ambers dunkle, grau-braune Augen bohren sich gefährlich tief in meine. Ich kenne sie schon so lange. Viel länger als ich Steve kenne. Daher weiß ich, dass sie bis auf den Grund meiner Seele blicken kann. Zu schweigen hat keinen Sinn. Amber würde mich heute nicht nach Hause gehen lassen, solange meine Stimmung am Tiefpunkt ist.

»Ich bin irgendwie etwas neidisch auf dich«, hauche ich.

Meine beste Freundin reißt überrascht die Augen auf. Öffnet den Mund, schließt ihn dann wieder und schüttelt stumm den Kopf. »Warum? Was ist los bei euch?«

»Du und Mike unternehmt so viel. Seid euch nahe. Das fehlt mir momentan. Steve ist mit seiner Arbeit beschäftigt, sodass unsere Ehe viel zu kurz kommt. Dazwischen gibt es auch noch die Zwillinge – die Zeit zu zweit existiert so gut wie gar nicht«, gebe ich zu.

»Ach, Süße.« Amber legt mitfühlend den Kopf schief. »Du musst doch nicht auf mich eifersüchtig zu sein. Weißt du, keine Ehe ist perfekt. Auch wenn unser Urlaub gerade so himmlisch ist, ist nicht alles Gold, was glänzt.«

»Aber bei euch brennt ein Feuer. Bei uns habe ich das Gefühl, es ist schon längst erloschen. Und weder Steve noch ich haben bemerkt, als es ausgegangen ist«, erkläre ich, während sich Amber ein Stück ihres Pancakes in den Mund schiebt.

»Ihr kriegt das wieder hin. Du und Steve. Wenn seine Arbeit ihn weniger fordert, dann kommt ihr euch wieder nahe. Ganz sicher. Schließlich seid ihr schon so lange zusammen.«

Ihre Worte sorgen dafür, dass sich ein Lächeln auf meinen Lippen bildet. Weil sie recht hat. Steve und ich haben uns in der High School verliebt und danach direkt geheiratet. Ebenfalls war ich bereit, schon früh Mutter zu werden. Wenn man das so betrachtet, ist meine Welt rosarot. Nur fühlt es sich für mich nicht mehr so an.

»Meinst du wirklich? Ich habe das Gefühl, wir entfernen uns immer weiter voneinander. So als hätte sich Steve irgendwie verändert. Er ist so verbissen in dem, was er im Büro gerade macht. Allerdings spricht er davon auch wenig. Lieber verkriecht er sich abends noch ins Büro, um wichtige Mails abzuarbeiten.« Ich stoße ein Seufzen aus. »Er fehlt mir einfach.«

»Das ist sicher nur eine Phase«, haucht Amber. »Ich fühle es. Ihr seid das süßeste Pärchen, das ich kenne.«

Das Kompliment sorgt dafür, dass ich lächle. Diesmal ist es echt.

»Danke. Es ist wohl einfach dumm von mir, traurig oder eifersüchtig zu sein.«

»Tja, in manchen Situationen bin ich auch eifersüchtig auf dich«, gesteht Amber auf einmal.

Ich verschlucke mich an meinem Kaffee. »Hä? Das ergibt doch keinen Sinn.«

»Doch. Du und Steve habt zwei wunderbare Söhne. Mike und ich versuchen nun schon seit einem Jahr, schwanger zu werden. Es will bisher nur nicht klappen. Langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen. Was, wenn es gar nicht funktioniert? Wenn entweder Mike oder ich – aus irgendwelchen Gründen – keine Kinder bekommen können?«

Mein Mund steht offen. »Warum ... warum hast du mir nie gesagt, dass du dir ein Baby wünschst? Du bist doch immer so ...«

»Glücklich? Unbeschwert? Natürlich bin ich das«, unterbricht mich Amber. »Aber innerlich sieht es ganz anders aus. Ein unerfüllter Kinderwunsch ist immer noch ein tabuisiertes Thema. Es wird nicht viel darüber gesprochen. Deshalb habe ich es wohl auch nicht getan.«

»Dabei ist es so wichtig«, stoße ich aus. »Und ich bin deine beste Freundin. Mit mir kannst du über alles reden.«

Jetzt wird mir klar, wie abstrus die Situation ist. Amber möchte, dass ich mich ihr öffne, sie selbst hat aber auch Angst, mir ihr Herz auszuschütten.

Empört schnappe ich nach Luft. »Amber! In Zukunft sollten wir wieder mehr miteinander reden. Sonst habe ich das Gefühl, dass auch uns das Leben immer mehr auseinanderreißt.«

»Hm ... ja. Tatsächlich, da hast du recht. Was hältst du davon.« Sie beugt sich zu mir über den Tisch und flüstert verschwörerisch: »Ab sofort keine Geheimnisse mehr.«

Sie hält mir ihren kleinen Finger hin und ich hake meinen unter. Entschlossen nicke ich.

»Keine Geheimnisse mehr. Kleinfingerschwur.«

Amber kichert glücklich, als wären wir noch in der Middle School. Und mit einem Mal fühlt sich alles tatsächlich wieder so leicht an wie damals. Schwerelos. Die ganze Welt ist in rote Watte gepackt. Ich selbst bin ein Teil davon. Keine Probleme mehr. Alles ist gut.

»Ich glaube, ich rede heute Abend einfach mit Steve«, sage ich entschlossen. Die Schwerelosigkeit gibt mir Mut.

»Über alles. Nicht nur die fehlenden Unternehmungen. Sondern auch darüber, dass ich mich tagsüber oft einsam fühle. Die Zwillinge werden immer älter und ich möchte nicht mehr den ganzen Tag zu Hause verbringen und mich nur um den Haushalt kümmern, sondern auch wieder etwas zu den Familieneinkünften beitragen. Hoffentlich kommt er heute Abend nicht allzu gestresst von der Arbeit. Dann muss ich nur noch den richten Moment finden und ihm alles offen erklären. Einen Moment, bevor er mich abwimmelt und in seinem Büro verschwindet.«

»Gute Idee«, freut sich Amber. »Und ich gebe meinen Kinderwunsch nicht auf. Nächste Woche habe ich einen Termin bei meiner Frauenärztin. Hoffentlich wissen wir dann mehr.«

»Es wird alles gut werden«, sage ich zu meiner besten Freundin und lege alle Zuversicht in meine Stimme. Danach lassen wir unsere Probleme beiseite. Es wird nicht mehr über Steve geredet und auch nicht über Babys. Wir sind einfach Amber und Miley. Beste Freundinnen für immer.

 

 

Kapitel 4

Miley

 

Der gesamte Tag liegt im Nebel einer schwerelosen Energie.

Der Besuch im Fairywood hat mir Kraft gegeben. Aber nicht nur das.

Amber hat Tausende von Ideen in mir hervorgerufen, die ich am liebsten alle in die Tat umsetzen würde. Um mir noch mehr positive Unterstützung zu holen, fahre ich mit den Zwillingen nach dem Kindergarten nicht direkt nach Hause, sondern halte stattdessen bei meinen Eltern.

»Hallo«, begrüße ich meinen Vater fröhlich, der die Tür öffnet.

Dieser hebt eine Augenbraue und betrachtet erst die Zwillinge und dann mich.

»Lass mich raten: Du brauchst wieder einen Aufpasser für deine kleinen Racker?«

»Nein. Tatsächlich wollte ich mich selbst zu einem späten Mittagessen einladen.« Verlegen beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe Dad schief an.

Auf dessen Lippen breitet sich ein Lächeln aus. »Das ist sehr schön. Ich freue mich. Endlich habe ich nicht nur die Kinder meiner Tochter, sondern auch mal meine Tochter selbst wieder hier.«

Damit hat er recht. Obwohl meine Eltern so nah bei mir wohnen, halte ich mich meist nur kurz bei ihnen auf.

»Gibt es auch einen Nachtisch?«, fragt in diesem Moment Simon.

Mein Dad grinst breit. »Für dich immer, mein Großer.«

Er beugt sich ein Stück nach unten und wuschelt über seinen blonden Schopf. Sein Bruder verschränkt gekränkt die Armen vor der Brust.

»Und für mich etwa nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Du hast nichts falsch gemacht, du bekommst natürlich auch ein leckeres Eis, Samuel«, erwidert mein Dad.

Dieser jubelt und stürmt gemeinsam mit Simon direkt ins Haus und in die Arme meiner Mutter.

Laurel Birmingham, meine Mom, freut sich ebenfalls, dass ich zum Essen gekommen bin. Zwar haben sie und Dad bereits gegessen, aber es sind noch Reste übrig, die sicher für eine gesamte Fußballmannschaft gereicht hätten.

Gemeinsam setzen wir uns an den großen, langen Esstisch direkt neben der kleinen Küche und löffeln den Gumbo, den meine Mom gekocht hat. Anschließend kümmert sich mein Dad um das Eis für die Zwillinge. Diese sind völlig aus dem Häuschen, als ihr Opa sie mit nach unten in den Keller nimmt, wo sie sich ihre Eissorte aussuchen dürfen.

Ich selbst helfe meiner Mutter so lange damit, die benutzten Teller in die Küche zu räumen.

»Miley, was beschäftigt dich?«, will sie wissen.

»Mom«, rufe ich aus. »Woher ... Ich meine, kann ich nicht einfach so – ohne Grund – euch besuchen kommen?« »Ich kenne dich zu gut, Kind«, meint meine Mom leichthin und räumt die Teller in die Spülmaschine. »Denn du kommst viel zu selten einfach so vorbei. Meist nur an Familienfesten. Deine Besuche sind selten und nur von kurzer Dauer. Also, warum bist du heute hergekommen?«

»Heute Vormittag habe ich mich mit Amber getroffen. Weißt du, die Zwillinge gehen bald in die Schule. Dann habe ich noch mehr freie Zeit zu Hause. Darüber will ich mich zwar nicht beklagen, aber ich brauche mehr zu tun. Etwas, wofür es einen Sinn macht, früh aufzustehen und aus dem Haus zu gehen.«

»Aber als Ehefrau und Mutter hast du doch sowieso schon genug um die Ohren«, unterbricht mich Laurel. »Steve verdient doch sehr gut oder geht es euch finanziell etwa schlecht?«

Ich schüttle den Kopf und stelle den noch halb vollen Topf mit Gumbo auf den Herd, sehe mich dann suchend nach dem Deckel um.

»Mit Geld hat das nichts zu tun. Nur fühle ich mich oft einsam und möchte deshalb produktiv sein. Ich sitze seit meinem High-School-Abschluss nur zu Hause. Langsam vermisse ich das Berufsleben.«

»Du kannst nichts vermissen, was du nicht kennst«, meint meine Mutter fachmännisch.

Damit hat sie so recht. Außerdem habe ich mir mein Leben selbst ausgesucht. Nach der High School habe ich Steve direkt geheiratet, und während er aufs College ging, habe ich den Hausbau gemanagt und mich dann auf unsere beiden Kinder konzentriert.

»Es heißt ja nicht, dass ich es nicht mag, Hausfrau und Mutter zu sein. Nur wünsche ich mir noch ein bisschen mehr. Wenigstens Teilzeit könnte ich arbeiten.«

Ich finde den Topfdeckel im aufgeklappten Ofen und frage mich unwillkürlich, wie er dorthin gelangt ist. Schnell bedecke ich damit den Topf auf dem Herd und lehne mich dann mit dem Rücken gegen die Küchenzeile.

»Miley, mir ist bewusst, dass du früher große Träume hattest. Sogar Sängerin wolltest du werden. Aber seit du Steve kennengelernt hast, hast du nicht mehr darüber gesprochen. Diese Familie hast du dir so sehr gewünscht. Immer nach mehr zu gieren, ist nicht gut fürs Gemüt.«

Meine Mutter schüttelt mit dem Kopf und macht sich an den Abwasch. Ich verstehe sie sehr gut. Natürlich will ich nicht nach mehr gieren. Ich habe so vieles, was sich andere Menschen wünschen. Nachdem mir Amber ihren unerfüllten Kinderwunsch offenbart hat, fühle ich mich plötzlich noch ein wenig schlechter.

Will ich zu viel vom Leben? Familie, Mann, Beruf? Ist denn mein Traum von früher ein Traum zu viel?

»Mom, alles, was ich mir wünsche, ist ein Teilzeitjob. Und das nicht aus den Gründen, die du mir nennst. Ich liebe meine Familie über alles und die Jungs würden davon nicht einmal etwas merken.«

Sie dreht sich zu mir. Ihr skeptischer Blick sagt alles.

»Würden sie schon. Du wärst gestresster als jetzt. Außerdem hast du kein College besucht. Es wird nicht so leicht für dich, einen Job zu finden.«

»Du willst es mir ausreden, richtig?«

Plötzlich werde ich wütend. Ich habe geglaubt, mit meinen Eltern über meine Träume genauso reden zu können wie mit Amber. Dass mir Mom ebenfalls gut zureden würde und ich heute Abend den Mut hätte, Steve von meinem Vorhaben zu berichten. Jetzt fühle ich mich verraten.

»Nein«, haucht Mom. »Aber ich will nicht, dass du dir zu viel zumutest, Schatz.«

Sie kommt ein paar Schritte auf mich zu und reibt mit ihren Händen liebevoll über meine Arme.

»Eine Mutter macht sich eben immer Sorgen. Du leistest mit den Zwillingen schon sehr viel und hältst euer Haus perfekt in Schuss. Am Ende könnte ein Job eine falsche Entscheidung sein, die du bereust.«

»Oder genau die richtige«, erwidere ich. »Wenn es mich glücklich macht.«

»Wenn es dich glücklich macht, dann tu es.«

Zufrieden nicke ich. Jetzt habe ich das Gefühl, verstanden und gehört zu werden.

Schon immer haben mich meine Eltern unterstützt, ohne viele Fragen zu stellen. Sie haben auf mich – auf ihre Tochter – vollkommen vertraut. Andere hätten gesagt, ich soll aufs College gehen, anstatt den Mann meiner Träume zu heiraten. Mom und Dad dagegen haben mit mir gemeinsam sogar das Hochzeitskleid ausgesucht.

Dass Mom mich nun versteht, gibt mir Mut. Ich freue mich beinahe schon auf Steves Feierabend heute, um ihm alles zu erzählen. Diesmal wird er mich verstehen und mir zuhören. Ganz sicher. Weil ich stark bin.

»Schau mal, Mom.«

Wie ein Wirbelwind kommen Simon und Samuel in die Küche gerauscht. Stolz zeigt mir Simon sein Eis, das wie ein Piratenschiff geformt ist. Samuel hat eines in der Form eines Eisbären. Beide sind mehr als zufrieden.

»Die sehen aber klasse aus«, lobe ich. »Kriegt eure Mutter denn auch eines?«

Die beiden wechseln ein paar Blicke miteinander und nicken schließlich.

»Meinetwegen«, sagt Simon. »Aber du musst es dir selbst holen.« Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Ich habe die Zeit bei meinen Eltern ehrlich genossen. Auch mit meinem Dad habe ich noch über mein Vorhaben geredet. Er hat mir direkt zugestimmt, anstatt wie Mom seine Bedenken zu äußern.

Mein Vater hat sich die beiden Jungs außerdem noch zum Kicken im Garten geschnappt. Jetzt sind die beiden so kaputt, dass sie nach einem verfrühten Abendessen direkt in ihr Bett und sofort eingeschlafen sind, während ich wieder im Wohnzimmer zusammen mit Mr. Sparks sitze und auf Steve warte. Dasselbe Szenario wie gestern, nur dass der Tisch nicht hübsch gedeckt ist.

Heute lässt er nicht so lange auf sich warten und zum ersten Mal seit Tagen begrüßt Steve mich mit einem Lächeln.

»Hallo, Liebling«, sagt er, als er zur Haustür hereinkommt.

»Hallo, Schatz, wie war dein Tag?«, frage ich automatisch, doch er hört mich schon nicht mehr. Meine Stimmung kippt. Ist er wieder im Büro verschwunden? Natürlich.

Ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass es wehtut.

»Mein Tag war tatsächlich ganz gut. Es hat sich gestern gelohnt, noch viel aufzuarbeiten«, schreckt mich Steve aus meinen Gedanken. Ich habe nicht bemerkt, dass er zurück ins Wohnzimmer gekommen ist.

»Ich dachte schon, du bist wieder in deinem Büro verschwunden, um zu arbeiten«, japse ich.

»Nein, heute nicht«, erwidert Steve. »Ich war nur meine Arbeitstasche abstellen. Damit ich nicht in Versuchung komme, doch wieder ständig auf mein Geschäftshandy zu starren.«

Er zwinkert mir zu und auf einmal ist alles federleicht. Als wären wir wieder Miley und Steve, das perfekte Paar. Ohne Probleme. Ohne diesen Abgrund zwischen uns. Es fühlt sich herrlich schwerelos an. »Ich habe vom Abendessen noch Reste da«, sage ich lahm. »Wenn du welche möchtest. Von gestern habe ich auch noch etwas.«

Steve winkt ab und kommt zu mir. Langsam lässt er sich neben mich auf die Couch fallen. »Ich habe keinen sonderlich großen Hunger.«

»Gut«, antworte ich und klappe meinen Roman etwas zu fest zu. Es gibt einen leisen Knall, von dem ich selbst zusammenzucke. Oder ist es die Angst, mit Steve über meine Gedanken und Gefühle zu sprechen? Genau schaffe ich es nicht, diese einzuordnen. In Zeitlupe lege ich das Buch neben mir auf dem Sofa ab. Spiele dann mit meinen filigranen Armbändern. Überlege. Wie soll ich das Gespräch nur anfangen? Heute Nachmittag und auch am Morgen mit Amber erschien es mir so einfach. Nun habe ich Sorge, wie Steve reagieren könnte.

»Steve, ich habe nachgedacht«, fange ich schließlich an. Das Zittern in meiner Stimme kann ich dabei nicht unterdrücken. Sicherlich ist mir meine Unsicherheit auf die Stirn geschrieben.

Mein Mann sieht mich an. Direkt in meine Augen. Obwohl wir uns doch nah sein müssten, fühlt es sich falsch an. Eher so, als wolle er mich durchleuchten. Nicht so wie ein Ehemann seine Frau ansehen sollte. Das beunruhigt mich, nur kann ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Ich habe schon angefangen.

»Die Zwillinge werden ab Herbst auf die Elementary School gehen, was bedeutet, dass ich noch mehr freie Zeit als ohnehin haben werde.«

»Das stimmt«, antwortet Steve. »Aber auf was willst du hinaus?«

Ich senke meinen Blick, möchte seinen durchleuchtenden Augen entkommen.

»Na ja, hast du jemals daran gedacht, dass ich mich auch an den Familieneinkünften beteiligen könnte? Klar, der Haushalt ist wichtig, und das werde ich auch nicht vernachlässigen. Aber ich würde gerne für ein paar Stunden in der Woche arbeiten gehen. Es wird mir sicher guttun, wieder mehr unter Leuten zu sein. Zu Hause wird es mit der Zeit ziemlich einsam.«

Jetzt sind die Worte raus. Kurz lasse ich meinen Blick noch gesenkt, weil es mir vor Steves erster Reaktion graut. Er ist leise, sagt kein Wort und ich hebe wieder meinen Kopf, um ihn anzusehen. Beobachte, wie sich mein Mann durch sein blondes Haar fährt und anscheinend nachdenkt.

»Sag schon etwas«, wispere ich. »Irgendetwas.«

»Hm«, überlegt Steve laut. Sein Blick gleitet in die Ferne, schwingt von mir fort. »Spielst du damit etwa auf deinen Traum an, eines Tages Sängerin zu werden? Ich dachte, dem bist du endlich entwachsen. Das ist Kinderkram. Etwas, das niemals Realität werden kann, und das weißt du auch.«

Eigentlich hatte ich nicht mal daran gedacht.

---ENDE DER LESEPROBE---