Blaise Pascal - Gedanken über die Religion (Band 1&2) - Blaise Pascal - E-Book

Blaise Pascal - Gedanken über die Religion (Band 1&2) E-Book

Blaise Pascal

0,0

Beschreibung

In 'Gedanken über die Religion' präsentiert Blaise Pascal seine tiefgründigen Überlegungen zu Glaube, Zweifel, und Gott. Der Autor nutzt eine kraftvolle und provokante Sprache, um komplexe theologische Konzepte zu erforschen und kritisch zu hinterfragen. Diese einzigartige literarische Arbeit steht im Kontext der religiösen Diskussionen des 17. Jahrhunderts und hebt sich durch Pascals scharfsinnigen Verstand und seine poetische Schreibweise deutlich hervor. Blaise Pascal, ein französischer Mathematiker, Physiker und christlicher Denker, war aufgrund seiner vielseitigen intellektuellen Interessen prädestiniert, ein Werk wie 'Gedanken über die Religion' zu verfassen. Als überzeugter Christ und zugleich zutiefst skeptisch gegenüber dogmatischen Ansätzen in der Theologie, schafft er eine spannende Dynamik in seinen Schriften. Pascals persönliche Glaubenskrise und sein Ringen um eine authentische Beziehung zu Gott prägen sein Werk nachhaltig. 'Die Gedanken über die Religion' von Blaise Pascal sind ein bedeutendes Werk der religiösen Literatur, das sowohl Gläubige als auch Skeptiker fesseln wird. Mit seiner philosophischen Tiefe und poetischen Sprache regt das Buch zum Nachdenken über den eigenen Glauben an. Jeder Leser, der an den Schnittstellen von Wissenschaft und Spiritualität interessiert ist, wird von Pascals Gedanken inspiriert und herausgefordert werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 464

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Blaise Pascal

Blaise Pascal - Gedanken über die Religion

(Band 1&2)
Philosophie, Moral, Religion und schöne Wissenschaften
            Books

Inhaltsverzeichnis

Erster Theil
1. Von der Autorität in Betreff der Philosophie
2. Betrachtungen über die Mathematik im Allgemeinen
3. Von der Kunst zu überzeugen
4. Allgemeine Kenntniss des Menschen
5. Eitelkeit des Menschen. Wirkungen der Eigenliebe
6. Schwäche des Menschen. Ungewissheit keiner natürlichen Erkenntniss
7. Elend des Menschen
8. Gründe einiger Volksmeinungen
9. Zerstreute Gedanken über Moral
10. Verschiedene Gedanken über Philosophie und Literatur
11. Ueber Epiktet und Montaigne
12. Ueber den Stand der Großen
Zweiter Theil
1. Auffallende Widersprüche, die sich in der Natur des Menschen finden, in Betreff der Wahrheit, des Glücks und mehrer anderer Dinge
2. Nothwendigkeit die Religion zu studiren
3. Daß es schwer ist das Dasein Gottes durch die natürlichen Geisteskräfte zu beweisen; aber daß das Sicherste ist es zu glauben
4. Kennzeichen der wahren Religion
5. Die wahre Religion bewiesen durch die Widersprüche im Menschen und durch die Erbsünde
6. Unterwerfung und Gebrauch der Vernunft
7. Bild eines Menschen, der müde geworden ist Gott zu suchen durch die bloße Vernunft und der anfängt die Schrift zu lesen
8. Die Juden, mit Bezug auf unsre Religion betrachtet
9. Von den Vorbildern; daß das alte Gesetz vorbildlich war
10. Von Jesu Christo
11. Beweise für Jesum Christum aus den Weissagungen
12. Verschiedene Beweise für Jesum Christum
13. Von dem Rathschluß Gottes sich dem einen zu verbergen und dem andern zu offenbaren
14. Daß die wahren Christen und die wahren Juden nur eine Religion haben
15. Man erkennt Gott nicht anders heilsam als durch Jesum Christum
16. Gedanken über die Wunder
17. Verschiedene Gedanken über die Religion
18. Gedanken über den Tod
19. Gebet zu Gott um den rechten Gebrauch der Krankheiten
20. Vergleichung der alten Christen mit den heutigen
21. Bruchstück einer Schrift über die Bekehrung des Sünders

Erster Theil.

Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn.

Inhaltsverzeichnis

Erster Abschnitt. Von der Autorität in Betreff der Philosophie.

Inhaltsverzeichnis

Die Achtung vor dem Alterthum ist heut zu Tage, in den Gegenständen, bei welchen sie am Wenigsten gelten sollte, auf dem Punkt, daß man aus allen seinen Gedanken Orakel macht und selbst aus seinen Dunkelheiten Geheimnisse, daß man nicht mehr ohne Gefahr etwas Neues vorbringen kann und daß die Worte eines (alten) Autors hinreichen die stärksten Gründe zu zerstören.

Meine Absicht ist nicht einen Fehler durch den andern zu bessern und den Alten gar keine Achtung zu beweisen, weil man ihnen zu viel beweist und ich will nicht ihre Autorität verbannen um ganz allein das Selbstdenken zu erheben, obgleich man ihre Autorität allein zum Nachtheil des eignen Vernunftgebrauchs aufrichten will. Aber man muß erwägen, daß unter den Dingen, die wir zu kennen streben, einige allein vom Gedächtniß abhängen und rein historisch sind, indem dann nur unser Zweck ist wissen zu wollen was die Autoren geschrieben haben; die andern aber hängen allein von dem Forschen der Vernunft ab und sind gänzlich dogmatisch, indem wir dann zum Zweck haben die verborgnen Wahrheiten zu entdecken. Nach dieser Unterscheidung muß man abmessen, wie weit die Achtung vor den Alten gehen darf.

In den Gegenständen, wo man allein erforschen will was die Autoren geschrieben haben, wie z.B. in der Geschichte, Geographie, Sprachen, Theologie, endlich in alle denen, die entweder die einfache Thatsache oder eine göttliche oder menschliche Anordnung zur Grundlage haben, muß man nothwendiger Weise auf ihre Bücher zurückgehen, weil alles, was man darüber wissen kann, in diesen enthalten ist, und es leuchtet ein, daß man nur da die vollkommne Erkenntniß von diesen Dingen finden kann und daß es nicht möglich ist noch etwas hinzu zu setzen. Also wenn die Frage ist, wer der erste König der Franzosen war, auf welchen Ort die Geographen dem ersten Meridian verlegen, welche Worte in einer todten Sprache vorkommen u. d. m. welche andre Mittel giebt es das zu erfahren als die Bücher? Und wer könnte irgend etwas Neues zu dem, was sie uns darüber lehren, hinzufügen, da man ja eben nur wissen will, was sie enthalten? Die Autorität allein kann uns darüber aufklären.

Wo aber diese Autorität die größte Stärke hat, das ist in der Theologie, weil sie da unzertrennlich von der Wahrheit ist und wir diese nur durch jene kennen, so daß es, um den Dingen, die für die Vernunft die unbegreiflichsten sind, die volle Gewißheit zu geben, hinreicht in der heiligen Schrift nach zu weisen, wie man auch, um die Ungewißheit der wahrscheinlichen Dinge zu zeigen, nur nach zu weisen braucht, daß sie nicht darin enthalten sind. Denn die Prinzipien der Theologie sind über der Natur und Vernunft und der Geist des Menschen, zu schwach und dazu durch eigne Anstrengung zu gelangen, kann diese hohen Einsichten nicht erreichen, wenn er nicht zu ihnen erhoben wird durch eine allmächtige und übernatürliche Kraft.

Anders ist es mit den Gegenständen der Sinne oder der Vernunft. Die Autorität ist hier unnütz, die Vernunft hat allein das Recht sie zu erkennen; beide haben ihre getrennten Rechte. Jene war so lange ganz im Vortheil, hier nun kommt diese an die Reihe zum Herrschen. Und da die Gegenstände dieser Art der Fassungskraft des Geistes angemessen sind, hat er vollkommne Freiheit sich hier aus zu breiten; seine unerschöpfliche Fruchtbarkeit bringt unaufhörlich hervor und seine Erfindungen können zugleich ohne Ende und ohne Unterbrechung sein.

Auf diese Weise müssen die Geometrie, Arithmetik, Musik, Naturlehre, Arzneikunde, Baukunst und alle die Wissenschaften, welche von Erfahrung und Nachdenken abhängig sind, erweitert werden um vollkommen zu werden. Die Alten fanden sie bloß aus dem Groben gearbeitet von denen, die ihnen vorangingen und wir werden sie denen, die nach uns kommen, in einem vollendetern Zustande nachlassen, als wir sie empfangen haben. Da ihre Vervollkommnung von Zeit und Arbeit abhängt, so ist klar, daß, wenn auch unsre Arbeit und Zeit uns weniger erworben hätte als ihre Bestrebungen von den unsren getrennt, doch alle beide mit einander verbunden mehr Wirkung haben müssen als jede für sich besonders.

Die Aufhellung dieses Unterschiedes muß uns lehren die Blindheit derer beklagen, die in Sachen der Naturlehre die einzige Autorität zum Beweise aufführen statt der Vernunft und der Erfahrung und muß uns Abscheu einflößen vor der Schlechtigkeit derer, die in der Theologie allein die Vernunft anwenden statt der Autorität der Schrift und der und der Kirchenväter. Man muß aufrichten den Muth jener furchtsamen Seelen, die in der Naturkunde nichts Neues zu erfinden wagen und niederwerfen den Uebermuth der Vermessenen, die in der Theologie Neues aufbringen.

Aber das ist das Unglück des Jahrhunderts, man sieht in der Theologie viele neue Meinungen, die dem ganzen Alterthum unbekannt waren und die mit Hartnäckigkeit behauptet, mit Beifall angenommen werden; dagegen die Meinungen, die man in der Physik, wenn auch nur in kleiner Anzahl neu aufstellt, scheinen der Falschheit bezüchtigt werden zu müssen, sobald sie auch nur ein wenig gegen die angenommenen Meinungen anstoßen; gleich als wenn die Achtung, die man für die alten Philosophen hat, Pflicht wäre und als wenn die Achtung, welche man vor den ältesten Vätern hegt, bloß Höflichkeit wäre.

Ich überlasse es den Verständigen die Wichtigkeit dieses Mißbrauchs zu beachten, welcher die Ordnung der Wissenschaften auf so ungerechte Art umkehrt und ich glaube, daß wenige unter ihnen sein werden, die nicht wünschen, daß unsre Forschungen einen andern Gang nehmen möchten, da die neuen Erfindungen unfehlbar Irrthümer sind in theologischen Gegenständen, die man ungestraft entweihet, und dagegen unbedingt nothwendig sind zur Vervollkommnung so vieler anderer Gegenstände einer untergeordneten Gattung, die man jedoch nicht an zu rühren wagt.

Wir müssen unser Glauben und unser Mißtrauen gerechter vertheilen und unsre Achtung vor den Alten einschränken. Wie die Vernunft sie erzeugt, so muß sie ihr auch Maß und Ziel setzen. Wir müssen bedenken: wenn sie die Zurückhaltung geübt hätten nichts zu den empfangenen Kenntnissen hinzu zu fügen oder wenn die Leute zu ihrer Zeit eben solche Schwierigkeit gemacht hätten das Neue, was sie ihnen boten, an zu nehmen, so würden sie sich und ihre Nachkommen der Früchte ihrer Entdeckungen beraubt haben.

Wie sie sich der Entdeckung, die ihnen hinterlassen waren, nur als Mittel bedient haben um neue zu machen, und wie diese glückliche Kühnheit ihnen den Weg zu großen Dingen geöffnet hat, so müssen wir die, welche sie uns erworben haben, auf dieselbe Weise nehmen und daraus nach ihrem Beispiel die Mittel und nicht den Zweck unsers Studiums machen und so streben sie zu übertreffen, indem wir sie nachahmen. Denn was wäre unbilliger, als wenn wir unsre Vorfahren mit mehr Zurückhaltung behandelten, als sie gegen ihre Vorfahren gehabt haben und vor ihnen den unglaublichen Respect hegten, den sie sich von uns nur darum verdient, weil sie nicht einen gleichen vor denen hegten, die denselben Vorzug vor ihnen besaßen?

Die Geheimnisse der Natur sind verborgen. Obgleich sie immer handelt, entdeckt man nicht immer ihre Wirkungen. Die Zeit offenbart sie von Geschlecht zu Geschlecht und wenn auch immer gleich an sich, ist sie doch nicht immer gleich gekannt. Die Erfahrungen, die uns die Kenntniß davon geben, vervielfältigen sich unaufhörlich und wie sie die einzigen Grundlagen der Naturlehre sind, so vervielfältigen sich die Folgerungen im Verhältniß.

In dieser Weise darf man heut zu Tage andre Meinungen und neue Ansichten ergreifen, ohne die Alten zu verachten und ohne Undankbarkeit gegen sie. Die ersten Kenntnisse, die sie uns gegeben, sind zu Stufen geworden für die unsrigen und wenn wir so im Vortheil sind, verdanken wir ihnen den Vorsprung, den wir vor ihnen haben; denn sie haben sich bis zu einer gewissen Stufe erhoben und uns bis dahin gebracht und so bringt die geringste Anstrengung uns höher und mit weniger Mühe und weniger Ehre befinden wir uns über ihnen. Von da aus können wir Dinge entdecken, die sie unmöglich gewahr werden konnten. Unser Blick ist ausgedehnter und obgleich sie alles, was sie von der Natur zu bemerken vermochten, eben so gut kannten als wir, so kannten sie doch nicht so viel und wir sehen mehr als sie.

Es ist merkwürdig, wie man ihre Meinungen verehrt. Es wird zum Verbrechen gemacht ihnen zu widersprechen und zum Frevel etwas hinzu zu fügen, als hätten sie nicht Wahrheiten hinterlassen zu erkennen.

Heißt das nicht die Vernunft des Menschen unwürdig behandeln und sie mit dem Instinct der Thiere in eine Reihe stellen? Man nimmt den Hauptunterschied weg, der darin besteht, daß die Leistungen der Vernunft ohne Aufhören zunehmen, wogegen der Instinct immer in gleichem Zustande bleibt. Die Stöcke der Bienen waren vor tausend Jahren eben so wohl abgemessen als heute und jede bildet jenes Sechseck eben so genau das erste Mal wie das letzte. Eben so ist es mit allem, was die Thiere durch diesen verborgnen Trieb hervorbringen. Die Natur unterrichtet sie, je nachdem die Nothwendigkeit sie drängt; aber diese schwache Kunst verliert sich, sobald sie sie nicht mehr brauchen. Sie empfangen sie ohne Studium und sind nicht so glücklich sie erhalten zu können und jedes Mal, wenn sie ihnen gegeben wird, ist sie ihnen neu. Die Natur, welche nur den Zweck hat die Thiere in einer beschränkten Vollkommenheit zu erhalten, flößt sie ihnen jene einfach nothwendige und immer gleiche Kunst ein, damit sie nicht verkommen und gestattet nicht, daß sie etwas hinzuthun, damit sie nicht die Gränzen überschreiten, welche sie ihnen vorgeschrieben hat.

Anders ist es mit dem Menschen, der nur für die Unendlichkeit geschaffen ist. In der ersten Zeit seines Lebens ist er in Unwissenheit, aber wie er fortschreitet, unterrichtet er sich ohne Aufhören, denn er zieht nicht bloß von seiner eignen Erfahrung Nutzen, sondern auch von den Erfahrungen seiner Vorgänger, weil er die Kenntnisse, die er sich einmal erworben, immer im Gedächtniß bewahrt und weil die Kenntnisse der Alten immer in den Büchern, die sie darüber nachgelassen haben, vorhanden sind. Und wie er seine Kenntnisse bewahrt, so kann er sie auch leicht vermehren, so daß die Menschen heute in gewisser Art auf demselben Standpunkt sind, worauf jene alten Philosophen sich befinden würden, wenn es möglich gewesen wäre, daß sie bis jetzt fortgelebt und zu den Kenntnissen, die sie hatten, noch die hinzugefügt hätten, welche ihre Studien in so vielen Jahrhunderten ihnen würden erworben haben. So kommt es denn durch ein besonderes Vorrecht der Menschen, daß nicht allein jeder von ihnen Tag für Tag in den Wissenschaften fortschreitet, sondern daß alle zusammen darin einen ununterbrochenen Fortschritt machen, je älter die Welt wird; denn ein Gleiches geschieht in der Folge aller Menschen wie in den verschiedenen Alterstufen des einzelnen. Die ganze Reihefolge der Menschen im Lauf so vieler Jahrhunderte, muß angesehen werden als ein und derselbe Mensch, der immer besteht und fortwährend lernt. Daraus sieht man, wie unbillig es ist, wenn wir das Alterthum in seinen Philosophen respectiren. Das Alter ist die Zeit, die am Weitesten von der Kindheit abliegt, und wer sieht nicht, daß also das Alter jenes Universalmenschen nicht in den Zeiten, die seiner Geburt am Nächsten stehn, sondern in denen, die am Meisten von ihr entfernt sind, gesucht werden muß?

Diejenigen, welche wir Alte nennen, waren in Wirklichkeit jung in allen Dingen und bildeten eigentlich die Kindheit der Menschen und da wir mit ihren Kenntnissen die Erfahrung der Jahrhunderte, die auf sie gefolgt sind, verbunden haben, so kann man eigentlich in uns jenes Alterthum finden, was wir an den andern verehren. Sie müssen bewundert werden in den Schlüssen, welche sie vortrefflich aus den wenigen Grundgesetzen, die sie hatten, gezogen haben und sie müssen entschuldigt werden in denen, bei welcher ihnen mehr das Glück der Erfahrung als die Stärke des Denkens fehlte.

Waren sie zum Beispiel nicht zu entschuldigen in der Vorstellung, die sie von der Milchstraße hatten, wenn die Schwäche ihrer Augen noch nicht die Hilfe der Kunst empfing und sie diese Farbe einer größern Dichtigkeit in dem Theil des Himmels, der das Licht stärker zurückstrahlt, zuschrieben? Würden wir aber zu entschuldigen sein, wenn wir in derselben Vorstellung bleiben, jetzt da wir unterstützt von den Vortheilen, welche uns das Fernglas giebt, in der Milchstraße eine Unzahl von kleinen Sternen entdeckt haben, deren stärkeres Licht uns erkennen läßt, was die wahre Ursache jener weißen Farbe ist?

Hatten sie nicht auch Grund zu sagen, daß alle Körper, die dem Verderben unterworfen sind, in den Kreis des Mondes am Himmel eingeschlossen wären, weil sie während so vieler Jahrhunderte weder ein Untergehn noch ein Enstehn außer diesem Raume bemerkt hatten? Müssen wir aber nicht das Gegentheil versichern, weil die ganze Erde deutlich Kometen hat sich entzünden und weit außerhalb jener Sphäre verschwinden sehn?

Eben so ist es mit der Lehre vom leeren Raum. Sie hatten Recht zu sagen, die Natur leide keinen leeren Raum, weil alle ihre Erfahrungen ihnen immer gezeigt hatten, daß sie ihn fliehe und nicht leiden könne. Aber wenn die neuen Versuche ihnen bekannt gewesen wären, so würden sie vielleicht Veranlassung gefunden haben, das zu bejahen, was sie Veranlassung hatten zu verneinen aus dem Grunde, weil das Leere noch nicht zum Vorschein gekommen war. Auch in dem Schluß, welchen sie machten, daß die Natur nichts Leeres leide, haben sie doch nur von der Natur, in so weit sie sie kannten, zu sprechen gemeint, da es, ganz im Allgemeinen gesagt, nicht genug wäre sie in zehn oder in tausend Fällen oder in irgend einer andern noch so großen Zahl von Fällen beharrlich beobachte zu haben, denn wenn ein einziger Fall übrig bliebe zu erforschen, so würde dieser einzige hinreichen die allgemeine Entscheidung zu verhindern. In der That bei allen den Gegenständen, deren Beweis in Erfahrungen und nicht in Demonstrationen besteht, darf man daraus keine andre allgemeine Behauptung aussprechen als nur durch allgemeine Aufzählung aller Theile und aller verschiednen Fälle.

So, wenn wir sagen, der Diamant ist der härteste von allen Körpern, so meinen wir von allen den Körpern, die wir kennen und wir können und dürfen darunter nicht die mit begreifen, die wir nicht kennen, und wenn wir sagen, das Gold ist der schwerste von allen Körpern, so wäre es vermessen, wenn wir in diesen allgemeinen Satz auch die mitbegriffen, die uns nicht bekannt sind, obgleich es nicht unmöglich ist, daß sie in der Natur seien.

Also ohne den Alten zu widersprechen, können wir das Gegentheil behaupten von dem, was sie sagten und welches Ansehn auch das Alterthum hat, die Wahrheit muß immer den Vorzug haben, wenn sie auch kürzlich erst entdeckt worden ist; denn sie ist immer älter als alle Meinungen, die man je über sie gehabt und es hieße die Natur gar nicht kennen, wenn man sich einbilden wollte, sie hätte angefangen zu sein zu der Zeit, da sie anfing bekannt zu werden.

Zweiter Abschnitt. Betrachtungen über die Mathematik im Allgemeinen.

Inhaltsverzeichnis

Bei Erforschung der Wahrheit kann man drei Hauptzwecke haben, erstens sie zu entdecken, wenn man sie sucht, zweitens sie zu beweisen, wenn man sie besitzt, drittens sie vom Falschen zu unterscheiden, wenn man sie untersucht.

Ich spreche nicht von dem ersten, sondern behandle besonders den zweiten, welcher den dritten einschließt; denn wenn man die Methode kennt die Wahrheit zu beweisen, so hat man zugleich die Methode sie zu unterscheiden, denn indem man untersucht, ob der Beweis, den man giebt, den Regeln, die man kennt, gemäß ist, sieht man auch, ob er genau geführt ist.

Die Mathematik, die in diesen drei Stücken ausgezeichnet ist, hat die Kunst entwickelt die unbekannten Wahrheiten zu entdecken, das nennt man Analyse und es wäre überflüssig darüber zu sprechen nach so vielen vortrefflichen Werken, die geschrieben worden sind.

Die Methode die schon gefundenen Wahrheiten zu beweisen und dieselben so auf zu hellen, daß der Beweis davon unwiderleglich sei, das ist die einzige, die ich angeben will und ich brauche dazu nur den Gang zu entwickeln, welchen die Mathematik dabei beobachtet; denn sie lehrt es vollkommen.

Indessen vorher muß ich einen Begriff von einer noch höhern und vollendetern Methode geben, welche aber die Menschen nie erreichen (denn was über die Mathematik geht, übersteigt uns) und doch ist es nöthig etwas über sie zu sagen, obgleich es unmöglich ist sie auszuüben.

Diese wahre Methode, welche die Beweise in der höchsten Vollkommenheit bilden würde, wenn es möglich wäre sie zu erreichen, würde in zwei Hauptsachen bestehen, erstens sich keines Ausdrucks zu bedienen, ohne zwar genau seinen Sinn zu entwickeln, und zweitens nie einen Satz auf zu stellen ohne ihn durch schon bekannte Wahrheiten zu beweisen, das heißt mit einem Wort, alle Ausdrücke zu definiren und alle Sätze zu beweisen.

Aber um der Ordnung, die ich entwickle, selbst zu folgen, muß ich erklären, was ich unter Definition verstehe. In der Mathematik erkennt man allein die Definitionen, welche die Logiker Namenerklärungen nennen, das heißt, allein die Benennungen, die man den Dingen giebt, nachdem man sie vollkommen durch bekannte Ausdrücke bezeichnet hat, und nur von diesen allein spreche ich.

Ihr Nutzen und ihr Gebrauch ist Aufhellung und Abstürzung der Rede, indem man mit dem bloßen Namen, den man beilegt, das ausdrückt, was sich nur mit mehren Worten sagen ließe; doch so, daß der beigelegte Namen von allem andern Sinn, wenn er einen hat, entkleidet bleibt um keinen andern mehr zu haben als den, wozu man ihn einzig bestimmt. Ein Beispiel ist folgendes. Wenn man benöthigt ist unter den Zahlen diejenigen, die durch zwei in gleiche Theile zu theilen sind, von denen, die das nicht sind, zu unterscheiden, so giebt man, um die öftere Wiederholung dieser Bedingung zu vermeiden, einen Namen in der Art: ich nenne jede durch zwei gleich theilbare Zahl eine gerade Zahl. Das ist eine mathematische Definition, denn erst hat man eine Sache klar bezeichnet, nämlich jede Zahl, die durch zwei gleich theilbar ist, und darauf giebt man ihr einen Namen, den man aller andern Bedeutung, wenn er eine hat, entkleidet um ihm die Bedeutung der bezeichneten Sache zu geben.

Daraus ist ersichtlich, daß die Definitionen sehr frei sind und nie dem Widerspruch unterworfen, denn es ist nichts mehr erlaubt als einer Sache, die man klar bezeichnet hat, einen Namen zu geben, wie man will. Man muß sich bloß in Acht nehmen, daß man die Freiheit, die man hat, Namen bei zu legen, nicht mißbraucht, indem man denselben an zwei verschiedene Sachen giebt. Nicht daß das nicht erlaubt wäre, wenn man nur die Folgerungen daraus nicht vermengt und nicht eine auf die andre ausdehnt. Verfällt man aber in diesen Fehler, so kann man ihm ein sehr sichres und unfehlbares Mittel entgegen setzen, nämlich daß man die Definition in Gedanken an die Stelle des Definirten setzt und die Definition immer so gegenwärtig hat, daß man jedes Mal, wenn man z.B. von der geraden Zahl spricht, genau bedenkt, das sei das, was in zwei gleiche Theile zu theilen ist, und daß diese beiden Dinge in der Vorstellung unzertrennlich verbunden seien und daß sobald die Rede das eine ausspricht, der Geist unmittelbar damit das andre verknüpfe. Denn die Mathematiker und alle, die methodisch zu Werke gehn, legen den Dingen nur Namen bei um die Rede ab zu kürzen und nicht um den Begriff der Dinge, von denen sie reden, zu verkleinern oder zu verändern und sie verlangen, daß der Geist immer die ganze Definition bei dem kurzen Ausdruck ergänze, den sie nur gebrauchen um die Verwirrung zu meiden, welche die Menge von Worten hervorbringt.

Nichts entfernt schneller und mächtiger die verfängliche List der Sophisten als diese Methode, die man immer gegenwärtig haben muß und die allein hinreicht alle Arten von Schwierigkeiten und Zweideutigkeiten zu verbannen.

Ist dies zu gut verstanden, so komme ich wieder auf die Erklärung der wahren Ordnung zurück, die, wie gesagt, darin besteht, daß man alles definirt und alles beweist.

Gewiß wäre diese Methode schön, aber sie ist absolut unmöglich, denn es ist einleuchtend, daß die ersten Ausdrücke, die man definiren möchte, andre vorhergehende voraussetzen würden, die zu ihrer Erklärung dienen müßten und daß eben so auch die ersten Sätze, die man beweisen möchte, andre voraussetzen würden, die ihnen vorangingen und auf die Art ist klar, daß man nie zu den ersten gelangen würde.

Treibt man auch die Nachforschungen weiter und weiter, so kommt man nothwendig auf primitive Wörter, die man nicht mehr definiren kann und auf Grundsätze, die so klar sind, daß man keine andern findet, die es mehr wären um ihnen zu Beweise dienen.

Hieraus geht hervor, daß die Menschen ein natürliches und unveränderliches Unvermögen haben irgend eine Wissenschaft in einer absolut vollendeten Methode zu behandeln; aber es folgt nicht daraus, daß man deshalb jede Art von Methode aufgeben soll.

Denn es giebt eine, nämlich die der Mathematik, die allerdings niedriger steht darin, daß sie weniger überzeugend, nicht aber darin, daß sie weniger gewiß ist. Sie definirt nicht alles und beweist nicht alles und darin steht sie niedriger; aber sie setzt nur Dinge voraus, die durch den natürlichen Verstand klar und aus gemacht sind und daher ist sie vollkommen wahr, denn die Natur unterstützt sie, wo die Rede es nicht thut.

Diese Methode, die vollkommenste bei den Menschen, besteht nicht darin alles zu definiren und alles zu beweisen auch nicht darin nichts zu definiren und nichts zu beweisen, sondern darin sich in der Mitte zu halten, nicht zu definiren die klaren und von allen Menschen verstandene Dinge und alle übrigen zu definiren, nicht zu beweisen die bekannten Dinge und alle übrigen zu beweisen. Gegen diese Methode sündigen eben so gut diejenigen, die alles zu definiren und alles zu beweisen versuchen als auch die, welche das versäumen in den Dingen, die nicht von selbst einleuchten.

Dies lehrt die Mathematik vollkommen. Sie erklärt nichts von solchen Dingen als Raum, Zeit, Bewegung, Zahl, Gleichheit und dergleichen weiter, deren es sehr viele giebt; weil diese Ausdrücke die Dinge, die sie bedeuten, für die, welche die Sprache verstehen, so natürlich bezeichnen, daß die Erklärung, die man davon machen wollte, mehr Dunkelheit als Belehrung schaffen würde.

Nichts ist schwächer als das Gerede derer, die solche primitive Wörter definiren wollen. Welche Nothwendigkeit giebt es z.B. zu erklären, was man unter dem Wort Mensch versteht? Weiß man nicht zur Genüge, was für ein Ding das ist, welches man mit diesem Ausdruck bezeichnen will? und welchen Vortheil meinte Plato uns zu verschaffen, da er sagte: der Mensch wäre ein Thier auf zwei Beinen ohne Federn? Als wenn der Begriff, den ich natürlich davon habe und den ich nicht ausdrücken kann, nicht viel schärfer und sichrer wäre als der, welchen er mir durch seine Erklärung giebt, die unnütz und sogar lächerlich ist, da ein Mensch nicht die Menschheit verliert, wenn er die beiden Beine verliert und ein Kapaun sie nicht erlangt, wenn er seine Federn los wird.

Es giebt Leute, die treiben es bis zu der Absurdität ein Wort durch das Wort selbst zu erklären. Ich weiß Menschen, die das Licht in folgender Art definirt haben: »das Licht ist eine leuchtende Bewegung der leuchtenden Körper;« als wenn man das Wort leuchtend verstehen könnte ohne das Wort Licht.

Eben so kann man auch das Sein nicht definiren ohne in denselben Fehler zu verfallen; denn man kann kein Wort erklären ohne zu sagen »es ist,« man möge das nun ausdrücklich sagen oder es doch dabei sagen, um also das Sein zu definiren müßte man sagen »es ist« und also in der Definition das zu definirende Wort gebrauchen.

Daraus sieht man hinlänglich, daß es Worte giebt, die nicht definirt werden können und wenn die Natur diesen Mangel nicht durch einen gleichen Begriff, den sie allen Menschen gegeben hat, ersetzt hätte, so würden alle unsre Ausdrücke verworren sein, statt daß man sie jetzt mit derselben Sicherheit und Gewißheit gebraucht, als wenn sie auf eine vollkommen unzweideutige Weise erklärt wären. Die Natur hat uns von selbst ohne Worte einen Begriff davon gegeben, der genauer ist als der, welchen die Kunst uns durch unsre Erklärungen verschafft.

Nicht alle Menschen haben denselben Begriff von dem Wesen der Dinge, welche zu definiren, wie ich behaupte, unmöglich und unnöthig ist. Z.B. die Zeit ist von der Art. Wer kann sie definiren? Und warum soll man es versuchen, da alle Menschen verstehen, was man sagen will, wenn man von der Zeit spricht, ohne daß man sie weiter bezeichnet? Und doch giebt es viel verschiedene Meinungen über das Wesen der Zeit. Einer behauptet: sie sei die Bewegung eines geschaffenen Dinges, der andre: sie sei das Maß der Bewegung u.s.w. Auch behaupte ich nicht, daß die Natur dieser Dinge allen bekannt ist, sondern nur die Beziehung des Namens und des Dinges, so daß bei diesem Ausdruck Zeit alle die Gedanken auf denselben Gegenstand richten. Das reicht hin es unnöthig zu machen, daß dieses Wort definirt werde, obgleich man nachher, wenn man untersucht, was die Zeit ist, zur Verschiedenheit der Meinung kommt, sobald man angefangen hat weiter darüber nach zu denken, denn die Definitionen sind dazu da die Dinge, die man nennt, zu bezeichnen und nicht ihre Natur zu zeigen.

Es ist ganz erlaubt mit dem Namen Zeit die Bewegung eines geschaffenen Dinges zu benennen, denn wie gesagt, nichts ist freier als die Definitionen. Aber wenn man diese Definition aufstellt, so giebt es dann zwei Dinge, die man Zeit nennen muß, eins ist das, was alle Welt natürlich unter diesem Wort versteht und was alle die, welche unsre Sprache sprechen, mit diesem Ausdruck nennen, und das andre ist dann die Bewegung eines geschaffenen Dinges, denn die muß man nun mit diesem Namen nennen in Folge jener neuen Definition. Man muß dann aber auch die Zweideutigkeiten meiden und nicht die Folgerungen vermengen, denn es folgt nicht daraus, daß die Sache, die man natürlicher Weise unter dem Wort Zeit versteht, auch wirklich die Bewegung eines geschaffenen Dunges ist. Es stand frei diese beiden Sachen gleich zu nennen, aber es steht nicht frei sie eben so wie im Namen auch in dem Wesen gleich zu setzen.

Wenn man also das Wort ausspricht: die Zeit ist die Bewegung eines geschaffnen Dinges, so muß gefragt werden, was man unter dem Worte Zeit versteht, das heißt, ob man dem Wort den gewöhnlichen und von allen angenommenen Sinn läßt oder ob man demselben den nimmt um ihm für diesen Fall den Sinn: Bewegung eines geschaffnen Dinges zu geben. Wenn man das Wort alles andern Sinnes entkleidet, so ist nichts dagegen zu sagen, es wird eine freie Definition, in Folge deren, wie gesagt, zwei Dinge diesen Namen führen werden. Aber läßt man dem Wort seine gewöhnliche Bedeutung und behauptet dennoch, daß das, was man unter diesem Wort versteht, die Bewegung eines geschaffenen Dinges sei, dann kann widersprochen werden. Das ist dann nicht mehr eine freie Definition, es ist eine Behauptung, die beweisen werden muß, wenn sie nicht von selbst sehr einleuchtet, und dann ist sie auch ein Grundsatz und ein Axiom, aber niemals eine Definition, denn wenn man sich so ausdrückt, meint man nicht, daß das Wort Zeit eben so viel bedeutet als die Bewegung eines geschaffnen Dinges, sondern man meint, daß das, was man unter dem Worte Zeit sich denkt, die angenommene Bewegung sei.

Wenn ich nicht wüßte, wie nöthig es ist dieses vollkommen zu verstehen und wie alle Augenblicke in den vertraulichen Gesprächen und in den Verhandlungen der Wissenschaft Fälle vorkommen, die dem gegebenen Beispiel gleich sind, so würde ich mich nicht hierbei aufhalten. Aber nach der Erfahrung, die ich von der Verwirrung beim Streiten habe, scheint es mir, daß man nicht tief genug eindringen kann in diesen Sinn für Genauigkeit, um deßwillen ich diese ganze Abhandlung schreibe mehr als um des Gegenstandes willen, den ich hier abhandle.

Denn wie viele Menschen glauben die Zeit definirt zu haben, wenn sie sagen: sie sei das Maaß der Bewegung, und doch dem Wort seinen gewöhnlichen Sinn lassen? Und doch haben sie einen Lehrsatz gemacht, nicht eine Definition. Wie viele glauben eben so die Bewegung definirt zu haben, wenn sie sagen: Motus nec simpliciter motus non mera potentia est; sed actus entis in potentia (die Bewegung ist weder einfach Bewegung noch reine Kraft, sondern die That eines Wesens in Kraft)? Und doch wenn sie dem Worte Bewegung seinen gewöhnlichen Sinn lassen, wie sie thun, so ist es nicht eine Definition, sondern ein Lehrsatz. Sie vermengen so die Definitionen, die sie Namenerklärungen nennen, die die wirklichen freien, erlaubten und mathematischen Definitionen sind, mit denen, die sie Sacherklärungen nennen, die eigentlich Sätze und als solche keineswegs frei, sondern dem Widerspruch unterworfen sind. Sie nehmen sich die Freiheit eben so gut als die andern welche zu bilden und indem jeder dieselben Dinge auf seine Weise definirt mit einer Ungebundenheit, die in dieser letzten Art von Definitionen eben so verboten ist wie in der ersten Art erlaubt, so verwirren sie alles; sie verlieren alle Ordnung und alle Einsicht und verlieren sich selbst und verwickeln sich in unauflöslichen Schwierigkeiten.

Dahin wird man nie gerathen, wenn man die Methode der Mathematik befolgt. Diese verständige Wissenschaft ist weit davon entfernt jene primitiven Ausdrücke Raum, Zeit, Bewegung, Gleichheit, Wahrheit, Verminderung, Alles und die übrigen, welche jedermann von selbst versteht, zu definiren. Aber außer diesen sind alle übrigen Ausdrücke, deren sie sich bedient, in ihr so erklärt und definirt, daß man kein Wörterbuch braucht um einen zu verstehen, mit einem Wort, alle ihre Ausdrücke sind vollkommen verständlich entweder durch das natürliche Licht oder durch die Definitionen, die sie davon giebt.

Auf diese Weise vermeidet sie alle Fehler, die gegen die erste Regel, daß man allein die Sachen, welche es bedürfen, definiren soll, können begangen werden. Eben so thut sie in Betreff der andern Regel die nicht einleuchtenden Sätze zu beweisen. Denn sobald sie bis zu den ersten bekannten Wahrheiten gelangt ist, bleibt sie stehen und verlangt, daß man sie zugebe, weil sie nichts Klareres hat sie zu beweisen, so daß denn alles, was die Mathematik als Lehrsatz aufstellt, vollkommen demonstrirt wird entweder durch die natürliche Einsicht oder durch die Beweise.

Daher kommt es, daß, wenn diese Wissenschaft nicht alle Dinge definirt und demonstrirt, das allein aus dem Grunde geschieht, weil uns das unmöglich ist.

Vielleicht wird es befremden, daß die Mathematik keins von den Dingen, die ihre Hauptgegenstände sind, definiren kann; denn sie kann weder die Bewegung, noch die Zahlen, noch den Raum definiren und doch sind es diese drei, was sie ins Besondere betrachtet, und von deren Erforschung hat sie ihre drei verschiednen Namen Mechanik, Arithmetik und Geometrie, indem dieser letzte Name die ganze Wissenschaft wie den besondern Theil bezeichnet. Aber man wird sich nicht darüber wundern, sobald man bemerkt, daß diese herrliche Wissenschaft sich nur an die einfachsten Dinge anschließt und daß eben diese Eigenschaft, welche sie würdig macht ihr Gegenstand zu sein, sie auch undefinirbar macht. Der Mangel an Definition ist also mehr eine Vollkommenheit von ihnen als ein Fehler, denn er entsteht nicht aus ihrer Dunkelheit, sondern vielmehr aus ihrer ausnehmenden Klarheit, die so groß ist, daß sie, wenn ihr auch die Ueberführung der Beweise fehlt, doch alle Gewißheit derselben hat. Die Mathematik setzt also voraus, daß man weiß, was man unter den Wörtern Bewegung, Zahl, Raum versteht und ohne sich mit der unnützen Erklärung derselben aufzuhalten durchdringt sie ihre Natur und entdeckt ihre wunderbaren Eigenschaften.

Diese drei, welche das All begreifen nach dem Wort »Gott hat alles in Gewicht, Zahl und Maß gemacht,« haben eine Verbindung, die gegenseitig und nothwendig ist. Denn man kann sich keine Bewegung denken ohne etwas, was sich bewegt, dieses Ding ist eins und diese Einheit ist der Ursprung aller Zahlen. Endlich da die Bewegung nicht ohne Raum sein kann, so sieht man diese drei Stücke in dem ersten eingeschlossen.

Die Zeit selbst ist auch darin begriffen, denn die Bewegung und die Zeit stehn in Beziehung zu einander, da die Schnelligkeit und die Langsamkeit, welche die Unterschiede der Bewegung sind, eine nothwendige Beziehung auf die Zeit haben.

So giebt es denn Eigenschaften, die allen diesen Dingen gemein sind und deren Erkenntniß öffnet den Geist den größten Wundern der Natur. Die Haupteigenschaft begreift die beiden Unendlichkeiten, die in allen Dingen vorkommen, die der Größe und die der Kleinheit.

Wie rasch auch eine Bewegung sei, so kann man sich doch eine denken, die noch rascher wäre und auch diese letzte noch beschleunigen und so immer ins Unendliche ohne je zu einer Bewegung zu kommen, die so rasch wäre, daß man nichts mehr hinzufügen könnte. Und so umgekehrt, wie langsam eine Bewegung sei, so kann man sie noch langsamer machen und diese wieder langsamer und so ins Unendliche ohne je zu einem solchen Grade von Langsamkeit zu gelangen, daß man nicht noch von da zu einer unendlichen Menge andrer Grade herabsteigen könnte ohne zur Ruhe zu kommen. Eben so, wie groß eine Zahl auch sei, kann man sich eine noch größere denken und noch eine, welche diese letzte übersteigt und so ins Unendliche ohne je zu einer zu gelangen, die nicht mehr vergrößert werden kann, und umgekehrt, wie klein auch eine Zahl sei, als der hundertste oder zehn tausendste Theil, kann man sich doch noch eine geringere denken und immer ins Unendliche ohne zur Null oder zum Nichts zu gelangen. Wie groß ein Raum sei, so kann man sich einen größern vorstellen und wieder einen, der noch größer ist und so ins Unendliche, ohne je einen zu erlangen, der nicht vergrößert werden könnte, und umgekehrt, wie klein auch ein Raum sei, man kann noch einen kleinern sich denken und immer ins Unendliche, ohne je einen untheilbaren zu erreichen, der gar keine Ausdehnung mehr hätte.

Eben so ist es mit der Zeit. Man kann sich immer eine längere vorstellen ohne letzte und wieder eine kürzere, ohne zu einem Augenblick und zu einem Nichts von Dauer zu kommen.

Das heißt also mit einem Wort: was für Bewegung, Zahl, Raum, Zeit man sich denke, immer giebt es ein Größeres und Geringeres, so daß alle diese Dinge sich zwischen dem Nichts und dem Unendlichen halten, immer unendlich entfernt von diesen Extremen. Alle diese Wahrheiten lassen sich nicht beweisen und doch sind sie die Grundlagen und ersten Anfänge der Mathematik. Da aber die Ursache ihrer Unbeweisbarkeit gar nicht in ihrer Dunkelheit liegt, sondern vielmehr in ihrer außerordentlichen Evidenz, so ist dieser Mangel an Beweis nicht ein Fehler, sondern vielmehr eine Vollkommenheit.

Daraus ersieht man, daß die Mathematik weder die Gegenstände erklären noch die Grundgesetze beweisen kann, aber allein aus dem für sie günstigen Grunde, weil die einen wie die andern eine natürliche Klarheit haben, welche die Vernunft mächtiger überzeugt, als Worte thun würden.

Denn was kann einleuchtender sein als die Wahrheit, daß eine Zahl, sie sei welche sie wolle, kann vergrößert werden? Man kann sie verdoppeln, kann die Schnelligkeit einer Bewegung verdoppeln und einen Raum desgleichen. Und wer ist im Stande daran zu zweifeln, daß eine Zahl, sie sei welche sie wolle, in die Hälfte und ihre Hälfte wieder in die Hälfte getheilt werden kann? Denn, würde nun diese Hälfte ein Nichts sein? Wie sollten denn diese beiden Hälften, die zwei Nullen wären, eine Zahl ausmachen?

Eben so eine Bewegung, wie langsam sie auch sei, kann sie nicht noch um die Hälfte langsamer gemacht werden, so daß sie denselben Raum in der doppelten Zeit durchläuft, und diese letzte Bewegung läßt sie nicht noch verlängern? Würde das aber eine reine Ruhe sein? Und wie sollte es zugehn, daß diese beiden Hälften der Bewegung, die zwei Ruhen wären, die erste Bewegung ausmachten?

Endlich ein Raum, wie klein er sei, kann er nicht in zwei Hälften getheilt werden und diese wieder? Und wie sollte es möglich sein, daß diese Hälften untheilbar wären, ohne alle Ausdehnung, da sie doch mit einander verbunden die erste Ausdehnung machten?

Es giebt keine natürliche Erkenntniß im Menschen, welche diesen an Klarheit voranginge und sie überträfe. Indessen, damit es doch Beispiele gäbe von allen, finden man Köpfe, die in allen andern Dingen ausgezeichnet sind und die doch an diesen Unendlichkeiten Anstoß nehmen und auf keine Weise dem bei zu stimmen vermögen. Ich habe nie jemand gesehn, der gemein: ein Raum könnte nicht vergrößert werden; aber ich habe einige, sonst sehr kluge Menschen gesehn, die versicherten, ein Raum könnte in zwei untheilbare Stücke getheilt werden, so abgeschmackt das auch ist. Ich habe recht nachforscht in ihnen, was doch die Ursache dieser Dunkelheit sein könnte und habe gefunden, daß es nur eine Hauptursache gab, das war, daß sie nicht im Stande waren ein unendlich theilbares Continuum sich vor zu stellen, woraus sie denn schließen, daß es nicht so theilbar sei.

Das ist eine natürliche Krankheit des Menschen zu glauben, daß er die Wahrheit gerade zu besitzt und daher kommt es, daß er immer geneigt ist alles zu leugnen, was er nicht begreift, da er doch in der Wirklichkeit auf natürliche Weise nur den Irrthum kennt und für wahr nur das nehmen darf, wovon das Gegentheil ihm falsch scheint. Daher, so oft ein Satz unbegreiflich ist, muß man das Urtheil darüber zurück halten und ihn um dieses Merkmals willen leugnen, sondern das Gegentheil prüfen und wenn man dieses offenbar falsch findet, kann man dreist den ersten Satz behauptet, wie unbegreiflich er auch sei. Diese Regel wollen wir auf unsern Gegenstand anwenden.

Es giebt keinen Mathematiker, der nicht glaube, daß der Raum ins Unendliche theilbar ist. Ohne diesen Grundsatz kann man eben so wenig ein Mathematiker sein als ohne Seele ein Mensch. Und doch giebt es keinen Mathematiker, der eine unendliche Theilung faßt und man versichert sich dieser Wahrheit nur durch den einzigen Grund, der freilich auch gewiß genügend ist, daß man vollkommen faßt, wie falsch es ist, wenn man meint einen Raum theilen und auf ein Untheilbares d.h. auf etwas, das keine Ausdehnung hat, kommen zu können. Was kann absurder sein als zu meinen, wenn man einen Raum immer theile, komme man endlich zu einem Stück, was so wäre, daß, wenn man es wieder in zwei theilt, jede der Hälften untheilbar und ohne Ausdehnung bleibt? Wer diese Meinung hat, den möchte ich fragen, ob er genau faßt wie zwei untheilbare Dinge sich berühren; ists überall, so sind sie nur ein und dasselbe Ding und folglich sind die beiden zusammen untheilbar, ists aber nicht überall, so ist es nur an einem Theil, also haben sie Theile und sind also nicht untheilbar.

Wenn sie denn nun bekennen (wie sie es wirklich gestehn, wenn man sie drängt) daß ihr Satz eben so unbegreiflich ist als der andre, so mögen sie denn anerkennen, daß wir nicht nach unsrer Fähigkeit diese Dinge zu begreifen über ihre Wahrheit urtheilen dürfen, denn diese zwei entgegengesetzten Sätze sind alle beide unbegreiflich und demnach ist nothwendig einer von beiden wahre.

Können sie aber nicht begreifen, wie Theile, die so klein sind, daß wir sie nicht bemerken, so viel getheilt werden können als das Firmament, so giebt es kein besseres Mittel als ihnen dieselben durch Vergrößerungsgläser zu zeigen, die den seinen Punkt zu einer ungeheuren Masse vergrößern. Dadurch werden sie leicht begreifen, daß man mit Hilfe eines andern, noch künstlicher geschliffenen Glases sie vergrößern könnte, bis sie dem Firmament gleichen, dessen Ausdehnung sie bewundern. Dann werden ihnen diese Gegenstände sehr leicht als theilbar erscheinen, wenn sie bedenken, daß die Natur unendlich mehr kann als die Kunst. Denn wer hat sie dessen gewiß gemacht, daß diese Gläser die natürliche Größe jener Dinge verändert haben oder, wenn sie umgekehrt die wahre Größe wieder hergestellt, daß das Bild unsres Auges sie geändert und verkürzt hat wie die Verkleinerungsgläser?

Zwei Nichts an Ausdehnung können nicht eine Ausdehnung machen. Wenn es aber doch Leute giebt, die dieser Einsicht entgegen zu können meinen durch die wundervolle Antwort, daß zwei Nichts an Ausdehnung eben so gut eine Ausdehnung machen können, als zwei Einheiten, deren doch keine eine Zahl ist, durch ihr Zusammenkommen eine Zahl machen, so muß man ihnen antworten, daß sie auf dieselbe Art entgegen setzen können, zwanzig tausend Mann machen ein Heer, obgleich keiner von ihnen Heer ist, tausend Häuser machen eine Stadt, obgleich keines Stadt ist oder die Theile machen das Ganze, obgleich keiner das Ganze ist. Will man von den Zahlen eine Vergleichung hernehmen, die richtig darstellen, was wir an der Ausdehnung beobachten, so muß das die Beziehung der Null zu den Zahlen sein. Das ist ein wahrhaft Untheilbares der Zahl, wie das Untheilbare die wahre Null der Ausdehnung ist. Ein gleiches Verhältniß wird man zwischen der Ruhe und der Bewegung und zwischen einem Moment und der Zeit finden. Alle diese Größen sind theilbar ins Unendliche ohne ins Untheilbare zu gerathen, so daß sie alle die Mitte halten zwischen dem Unendlichen und dem Nichts.

Das ist das bewundernswürdige Verhältniß, in welches die Natur die Dinge zu einander gesetzt hat und das sind die wunderbaren Unendlichkeiten, die sie den Menschen vorgelegt hat nicht zu begreifen, sondern zu bewundern.

Wer mit diesen Gründen nicht zufrieden ist und in dem Glauben bleibt, daß der Raum nichts ins Unendliche theilbar sei, der kann nicht auf mathematische Beweise Anspruch machen und wie aufgeklärt er auch in andern Dingen sein mag, in jenen ist er es sehr wenig; denn man kann ganz gut ein sehr kluger Mann sein und ein schlechter Mathematiker.

Diejenigen aber, die diese Wahrheiten klar erkennen, werden die Größe und die Macht klar erkennen, werden die Größe und die Macht der Natur in dieser doppelten Unendlichkeit, die uns von allen Seiten umgiebt, bewundern können und aus dieser merkwürdigen Betrachtung sich selbst kennen lernen, indem sie sich gestellt sehen zwischen einem Unendlichen und einem Nichts der Ausdehnung, der Zahl, Bewegung und Zeit. Da kann man wohl lernen seinen wahren Werth schätzen und sehr wichtige Betrachtungen anstellen, die mehr werth sind als die ganze übrige Mathematik selbst.

Ich hielt mich verpflichtet dies so lang und weitläuftig aus einander zu setzten zum Besten derer, die nicht auf den ersten Blick sogleich diese doppelte Unendliche begreifen und doch fähig sind davon überzeugen zu lassen. Und ob schon viele Einsicht genug haben um diese Abhandlung entbehren zu können, so mag es doch wohl der Fall sein, daß sie einigen nöthig und andern ganz unnütz sein wird.

Dritter Abschnitt. Von der Kunst zu überzeugen.

Inhaltsverzeichnis

Die Kunst zu überzeugen steht in nothwendiger Beziehung zu der Weise, wie die Menschen in das, was man ihnen vorstellt, einstimmen und zu Bedingungen dessen, was man glauben machen will.

Jedermann weiß, daß es zwei Eingänge giebt, wodurch die Meinungen sich in die Seele schleichen, das sind diese beiden Hauptvermögen: der Verstand und der Willen. Der natürlichste Eingang ist der des Verstandes, denn man sollte beistimmen nur den bewiesenen Wahrheiten; aber der gewöhnlichste, wenn auch widernatürliche, ist der des Willens, denn alle Menschen, die es nur giebt, werden beinahe immer zum Glauben hingerissen nicht durch den Beweis, sondern durch das Wohlgefallen.

Dieser Weg ist niedrig, unwürdig und seltsam, auch leugnet jedermann ihn ab. Jeder stellt sich, als glaube er und liebe sogar nur, was er dessen würdig erkannt hat.

Ich rede hier nicht von den göttlichen Wahrheiten, die ich nicht unter die Kunst zu überzeugen stellen darf; denn sie sind unendlich erhaben über der Natur, Gott allein kann sie in die Seelen einpflanzen und zwar auf die Weise, die ihm beliebt. Ich weiß, er hat gewollt, daß sie aus dem Herzen in den Geist übergehen und nicht aus dem Geist ins Herz, um dieses hochmüthige Vermögen der Vernunft zu demüthigen, das sich anmaßt Richter zu sein über die Dinge, welche der Wille wählt, und um diesen kranken Willen zu heilen, der sich durch seine unwürdigen Anhänglichkeiten ganz verderbt hat. Und daher kommt es, wenn man von den menschlichen Dingen sagt, man müsse sie kennen, ehe man sie liebe (was zum Sprichwort geworden ist) so sagen die Heiligen im Gegentheil, wenn sie von göttlichen Dingen reden, man müsse sie lieben und sie zu kennen und man dringe in die Wahrheit nicht anders als durch die Liebe, woraus sie einen ihrer heilsamsten Sprüche gemacht haben.

Hierin zeigt sich, daß Gott diese Ordnung gegründet hat, die übernatürlich und ganz der Ordnung entgegen ist, welche den Menschen in den natürlichen Dingen natürlich sein sollte. Sie haben aber diese Ordnung verkehrt, indem sie mit den weltlichen Dingen thun, was sie mit den heiligen Dingen thun sollten, weil wir in der That fast nichts glauben als was uns gefällt. Daher kommt es, daß wir so weit entfernt sind den Wahrheiten der christischen Religion bei zu stimmen, da sie unsern Freunden ganz entgegen gesetzt ist. »Ganz uns angenehme Sachen und wir werden dir gehorchen,« sagten die Juden zu Mose, als wenn das Wohlgefallen die Regel für den Glauben geben soll. Und eben um diese Unordnung zu strafen nach einer Ordnung, die ihm gemäß ist, gießt Gott nicht eher sein Licht in die Seele, als bis er die Empörung des Willens gedämpft hat mit einer ganz himmlischen Sanftmuth, die ihn entzückt und mitreißt.

Ich spreche also nur von den Wahrheiten, die wir fassen, und von diesen behaupte ich, daß der Verstand und das Herz gleichsam die Thüren sind, durch welche sie in die Seele hinein gelangen, daß aber sehr wenige durch den Verstand eingehen, wogegen sie in Menge durch die kecken Einfälle des Willens eingeführt werden ohne den Rath der Vernunft.

Diese Vermögen haben jedes ihre Prinzipien und erste Urheber ihrer Handlungen.

Die des Geistes sind natürliche und aller Welt bekannte Wahrheiten, wie z.B., daß das Ganze größer ist als sein Theil und außerdem mehre besondere Axiome, die einige annehmen und andre nicht, die aber, sobald sie zugegeben werden, wenn gleich falsch, doch eben so mächtig sind den Glauben zu erlangen als die wahrsten.

Die des Willens sind gewisse natürliche und allen Menschen gemeine Wünsche, wie z.B., der Wunsch glücklich zu sein, welchen kein Mensch nicht haben kann, und außerdem mehre besondere Gegenstände, denen jeder nachgeht um sie zu erlangen und die in der Kraft uns zu gefallen, wenn gleich in Wahrheit verderblich, doch eben so stark sind unsern Willen zum Handeln zu bewegen, als wenn sie sein wahres Glück machten.

Das ists, was über die Vermögen, die uns zur Zustimmung bewegen, gesagt werden mußte. Was aber die Eigenschaften der dinge, von denen wir überzeugen wollen, anbetrifft, so sind sie sehr verschieden.

Einige entnimmt man durch eine nothwendige Folgerung aus den allgemeinen Grundsätzen und zugestandenen Wahrheiten. Von diesen kann man unfehlbar überzeugen, denn wenn man die Beziehung, die sie zu den zugestandenen Wahrheiten haben, nachweist, so ist es eine unvermeidliche Nothwendigkeit, sie müssen überzeugen und es ist unmöglich, daß die Seele sie nicht annimmt, sobald man sie unter jene zugelassene Wahrheiten hat einreihen können.

Einige haben eine enge Verbindung mit den Gegenständen unsers Vergnügen und diese werden auch mit Gewißheit angekommen; denn sobald man der Seele bemerklich machen kann, so ist es unvermeidlich, sie ergreift es mit Freuden.

Diejenigen gar, welche diese Verbindung zusammen mit den zugestandenen Wahrheiten und mit den Wünschen des Herzens haben, sind ihrer Wirkung so gewiß, daß nichts in der Welt gewisser ist, wie im Gegentheil was weder zu unsern schon vorhandenen Ueberzeugungen noch zu unsern Wünschen eine Beziehung hat, uns ungelegen, falsch und gänzlich fremd ist.

In allen diesen Fällen giebt es nichts zu zweifeln. Allein es giebt Fälle, wo das, was man glauben machen will, sehr wohl auf anerkannten Wahrheiten beruht, aber auf solchen, die zu gleicher Zeit unsern liebten Freuden entgegen sind. Und dieses ist dann nach einer nur zu gewöhnlichen Erfahrung in großer Gefahr das, was ich am Anfange gesagt, an den Tag zu bringen, daß diese hochmüthige Seele, die sich rühmte nur nach Vernunft zu handeln, mit einer schimpflichen und vermessenen Wahl dem nachgeht, was ein verderbter Willen begehrt, welchen Widerstand auch der zu aufgeklärte Geist entgegen setzten möge.

Dann beginnt ein zweifelhaftes Schwanken zwischen der Wahrheit und der Lust und die Erkenntniß der ersten und das Gefühl der andern erheben einen Kampf, dessen Erfolg sehr ungewiß, was in dem Innersten des Menschen vorgeht und was der Mensch selbst beinahe niemals weiß.

Daraus geht dies hervor: man muß, wovon man auch überzeugen wolle, Rücksicht nehmen auf den Menschen, auf den man es abgesehen hat; man muß dessen Geist und Herz kennen, muß wissen, welchen Grundsätzen er beistimmt, welche Dinge er liebt, und ferner bei er Sache, um die es sich handelt, acht geben, welche Beziehung sie hat zu den zugestandenen Grundsätzen oder zu den Gegenständen, die wegen der Reize, die man ihnen beilegt, als köstlich angesehen werden. So besteht denn die Kunst zu überzeugen eben so wohl in der Kunst zu überzeugen eben so wohl in der Kunst annehmlich zu machen als in der Kunst zu überführen, so sehr lassen sich die Menschen mehr von Einfällen sich die Menschen mehr von Einfällen als von der Vernunft regieren!

Vierter Abschnitt. Allgemeine Kenntniss des Menschen.

Inhaltsverzeichnis

1.

Das Erste, was sich dem Menschen darbietet, wenn er sich betrachtet, ist sein Leib, d.h. ein gewisser Theil der Materie, der ihm eigen zugehört. Aber um zu verstehn, was derselbe ist, muß er ihn mit allem vergleichen, was über ihm und was ihm steht, damit er seine rechten Grenzen erkenne.

Er bleibe also nicht dabei stehn einfach die Gegenstände, die ihn umgeben, zu betrachten, er beobachte, die ganze Natur in ihrer hohen und vollen Majestät, er beschaue jenes stralende Licht, das wie eine ewige Lampe hingestellt ist das Universum zu erleuchten, die Erde erscheine ihm wie ein Punkt im Vergleich mit der ungeheuern Bahn, welche dies Gestirn umschreibt, und er erstaune, daß diese ungeheure Bahn selbst nur ein sehr seiner Punkt ist von der Bahn, auf welcher die Gestirne am Firmament rollen. Aber wenn unser Blick hier anhält, so gehe die Einbildungskraft darüber hinaus. Sie wird eher müde werden zu fassen als die Natur zu geben. Alles, was wir von der Welt sehen, ist nur ein unbemerkbarer Punkt im weiten Reich der Natur. Kein Gedanke kommt der Ausdehnung ihrer Räume nach. Vergebens dehnen wir unsre Gedanken aus, wir bringen nichts hervor als Atome im Vergleich mit der Wirklichkeit der Dinge. Das ist eine unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall, deren Umkreis nirgend ist. Genug, es ist einer der größten merklichen Züge der Allmacht Gottes, daß unsre Einbildungskraft sich in diesem Gedanken verliert.

Möge der Mensch in sich selbst zurück kehren und betrachten was er ist im Vergleich mit dem, was ist: er sehe sich an als verirrt in diesem abgelegenen Bezirk der Natur und wie ihm dieser kleine Kerker, in welchem er sitzt, nämlich diese sichtbare Welt erscheint, lerne er daraus die Erde, Die Reiche, die Städte, sich selbst und seinen wahren Werth schätzen.

Was ist der Mensch im Unendlichen? Wer kann ihn begreifen? Aber um ihm ein anders eben so staunenswerthes Wunder zu zeigen, suche er in dem, was er kennt, die geringfügigen Dinge auf. Eine Milde z.B. mag ihm in der Kleinheit ihres Körpers noch unvergleichlich kleinere Theile darbieten, Beine mit Gelenken, Adern in diesen Beinen, Blut in diesen Adern, Feuchtigkeit in diesem Blut, Tropfen in diesem Feuchtigkeiten, Dünste in diesen Tropfen, nun theile er noch er noch diese letzten Dinge und erschöpfe seine Kräfte und Gedanken und der letzte Gegenstand, wohin er gelangen kann, sei nun das, wovon wir reden wollen. Vielleicht wird er meinen, das sei die äußerste Kleinheit der Natur. Ich will ihm darin einen neuen Abgrund zeigen. Ich will ihm ausmalen nicht nur das fühlbare Universum, sondern auch alles, was er im Stande ist zu fassen von der Unermeßlichkeit der Natur im Umfang dieses unbemerkten Atoms. Er sehe darin eine Unzahl von Welten, von denen jede ihr Firmament, ihre Planeten, ihre Erde hat in gleichem Verhältniß wie die fühlbare Welt, auf dieser Erde Thiere und wieder Milben, in denen er wieder findet, was er in den ersten fand und auch in den andern findet er eben dasselbe ohne Ende und ohne Aufhören.

Er verliere sich in diesen Wundern, eben so erstaunenswerth durch ihre Kleinheit als die andern durch ihre Ausdehnung. Denn wer bewundert nicht, daß unser Leib, der eben erst nicht bemerkbar war in dem Universum, das selbst unbemerkbar ist im Schloß des Alls, jetzt ein Koloß ist, eine Welt oder vielmehr ein All im Betracht der letzten Kleinheit, wohin man nicht gelangen kann?

Wer sich auf diese Art betrachtet, wird erschrecken, sich in der Masse, die ihm die Natur gegeben hat, gleichsam schweben zu sehen zwischen den beiden Abgründen des Unendlichen und des Nichts, von denen er gleich weit entfernt ist. Er wird zittern beim Anblick dieser Wunder und ich glaube: seine Neugier wird sich in Bewunderung verwandeln und mehr sein sie still zu beschauen als sie hochmüthig zu untersuchen.

Denn genug, was ist der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Vergleich mit dem Unendlichen, ein All im Vergleich mit dem Nichts, ein Mittelding zwischen Beiden. Er ist unendlich fern von den beiden Extremen und sein Wesen ist nicht weniger entfernt vom Nichts, woraus er gezogen ist, als vom Unendlichen, worin er sich verliert.

Seine Vernunft steht in der Reihe der erkennbaren Dinge auf derselben Stufe als sein Körper in der weiten Natur und alles, was sie vermag, ist, daß sie einigen Schein von der Mitte der Dinge bemerkt, in ewiger Verzweiflung weder ihren Anfang noch ihr Ende zu kennen. Alle Dinge sind hervor gegangen aus dem Nichts, und streben nach dem Unendlichen. Wer kann diese erstaunlichen Schritte verfolgen? Der Urheber dieser Wunder faßt sie, kein andrer kann das.

Dieser Zustand, der die Mitte hält zwischen den Extremen, findet sich in allen unsern Kräften. Unsre Sinne fassen, findet sich in allen unsern Kräften. Unsre Sinne fassen nichts Extremes. Zu viel Lärm macht uns taub, zu viel licht blendet uns, zu viel Entfernung und zu viel Nähe verhindern das Sehen, zu viel Länge und zu viel Kürze verdunkeln eine Rede, zu viel Freude wird lästig, zu viel Consonanzen mißfallen. Wir fühlen weder äußerste Hitze noch äußerste Kälte. Die übermäßigen Eigenschaften sind uns feindlich und nicht fühlbar; wir fühlen sie nicht mehr, wir leiden sie. Zu viel Jugend und zu viel Alter hindern den Geist, und zu viel und zu wenig Nahrung stören seine Verrichtungen, zu viel und zu wenig Unterrichtet macht ihn dumm. Die extremen Dinge sind für uns als wären sie nicht und wir sind nicht in Bezug auf sie. Sie entgehn uns oder wir ihnen.