Bleib bei mir – bleib in Sydney - Emma Darcy - E-Book

Bleib bei mir – bleib in Sydney E-Book

Emma Darcy

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Beschreibung

Kreativ, klug und sexy - für Richard war Leigh stets die absolute Traumfrau. Als er die Tochter seines Chefs nach sechs Jahren wiedertrifft, will er sie endlich für sich gewinnen. Wie kann er der zögernden Leigh beweisen, dass es ihm nicht um das Erbe ihres Vaters geht?

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Seitenzahl: 196

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IMPRESSUM

Bleib bei mir – bleib in Sydney erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Emma Darcy Originaltitel: „Bride of his Choice“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1340 - 2000 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Irmgard Sander

Umschlagsmotive: GettyImages / Kiuikson, moisseyev

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733753115

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Das Flugzeug setzte sanft auf der Landebahn auf. Leigh Durant entspannte sich und öffnete die Augen. Sie war zurück. Eine sichere Landung … vermutlich das einzig Sichere für sie an dieser Reise.

Von ihrem Fensterplatz aus konnte sie sehen, dass die Wettervorhersage für Sydney richtig gewesen war. Botany Bay war in Regen und Dunkelheit getaucht.

Es war eine dunkle und stürmische Nacht.

Leigh fragte sich, ob sie mit ihrer Rückkehr nach Hause einen neuen Abschnitt ihres Lebens beginnen oder lediglich den Abschnitt beenden würde, der mit ihrer Geburt vor vierundzwanzig Jahren begonnen hatte.

Seit die Medien die Nachricht von Lawrence Durants tödlichem Herzinfarkt verbreitet hatten, hatte sich in ihr die Hoffnung geregt, dass ihr langes, einsames Exil nun endlich vorüber sein würde. Doch sie konnte sich in nichts sicher sein, was ihre Familie betraf. Nur eines stand fest: Der Mann, der ihrer aller Leben so grausam dominiert hatte, war tot. Und Leigh wollte ihn beerdigt sehen – ein für alle Mal. Danach …

Nun ja, sie würde ausloten, ob es möglich war, eine neue Beziehung zu ihrer Mutter und ihren Schwestern aufzubauen. Vielleicht wollten sie ja gar nichts mehr mit ihr zu tun haben. Immerhin war es sechs Jahre her, seit sie, Leigh, davongelaufen war … geflüchtet vor der schmerzlichen Erkenntnis, dass sie nie wirklich zu dieser Familie gehört hatte und nie dazugehören könnte, solange Lawrence Durant lebte. Vielleicht würde niemand sie willkommen heißen und die große Leere in ihrem Leben nie gefüllt werden.

Instinktiv wehrte Leigh sich gegen diese trostlose Aussicht. Lawrence war nicht länger da, um das Verhalten der anderen ihr gegenüber zu beeinflussen … das Verhalten gegenüber der Tochter, die nicht seine Tochter war, dem Kuckuck in seinem Nest, dessen Existenz er gehasst hatte. Ihre Mutter und ihre Schwester waren jetzt von seinem tyrannischen Einfluss befreit, sodass es eine Chance geben musste, sie, Leigh, wieder mit ihrer Familie zu vereinen.

Das Flugzeug war zum Stillstand gekommen. Leigh löste den Sicherheitsgurt und erhob sich mit den anderen Passagieren, um ihr Handgepäck zu holen. Seufzend reckte sie die steifen Glieder. Es war eine lange Reise gewesen – gestern der Flug von Broome nach Perth, wo sie einen Zwischenstopp eingelegt hatte, um sich etwas Passendes zum Anziehen zu kaufen, dann heute Nachmittag der Flug quer über den australischen Kontinent von Perth nach Sydney.

Die Passagiere bewegten sich langsam den Mittelgang hinunter auf den Ausgang zu. Als Leigh in den Bereich der ersten Klasse gelangte, fiel ihr Blick zufällig auf eine Zeitung, die vergessen auf einem der Sitze lag. Das Foto des Mannes auf der Titelseite versetzte ihr einen Stich.

Richard. Richard Seymour.

Ohne zu überlegen, griff sie nach der Zeitung und betrachtete das Abbild des Mannes, der ihr Leben als Teenager so quälend mitbestimmt hatte.

„Gehen Sie weiter“, rief jemand ungeduldig.

„Sie halten alles auf, Miss“, sagte der Mann hinter ihr etwas freundlicher.

„Entschuldigung …“ Errötend eilte sie weiter und betrat den Bordtunnel immer noch mit der Zeitung in der Hand. Insgeheim schwor sie sich, die Zeitung im Flughafengebäude in den nächsten Abfallkorb zu werfen.

Richard Seymour. Er war in verschiedenen Artikeln über Lawrence Durants unerwarteten Tod erwähnt worden … der Mann, der jetzt dem gewaltigen Finanzimperium vorstand und die Wogen an der Börse glättete, der Mann, den sich der große Magnat zu seinem Kronprinzen herangezogen hatte, Lawrence Durants Protegé und rechte Hand. Aber keiner dieser Artikel hatte ein Foto von ihm enthalten.

Der Anblick seines Gesichts nach so langer Zeit war Leigh unter die Haut gegangen und hatte – wie früher – eine Flut von widersprüchlichen Gefühlen in ihr ausgelöst. Kindisch! tadelte sie sich ärgerlich. Denn eines war gewiss: Sollte dies wirklich der Beginn eines neuen Lebensabschnitts für sie werden, dann hatte er keinen Platz darin. Es gab für Richard Seymour keinen Grund, sich noch weiterhin mit der Familie Durant abzugeben. Er hatte jetzt erreicht, was er wollte, stand ganz oben an der Spitze und war nur noch den Aktionären Rechenschaft schuldig.

Entschlossen betrat Leigh das Flughafengebäude und warf die Zeitung mitsamt dem Foto des Mannes, an den sie keinen Gedanken mehr verschwenden wollte, in den nächstbesten Abfallkorb. Natürlich würde sie ihm morgen bei der Beerdigung begegnen. Sein Erscheinen dort war wohl unausweichlich. Aber keiner konnte sie mehr zwingen, einen engeren Kontakt mit ihm zu pflegen. Lawrence Durant war tot.

Es regnete immer noch, als sie die Ankunftshalle verließ. Glücklicherweise musste sie nicht lange nach einem Taxi suchen. Sie nannte dem Fahrer die Adresse ihres Hotels und versuchte, sich etwas zu entspannen. Unmöglich. Nachdenklich blickte Leigh auf die Straße hinaus, wo die Lichter der Stadt im strömenden Regen flirrten. Eine dunkle und stürmische Nacht … war das ein Vorzeichen? Hätte sie vielleicht besser in Broome bleiben und die Vergangenheit ruhen lassen sollen? War ihr Vorhaben völlig aussichtslos?

Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Jetzt war sie hier. Morgen würde sie zu Lawrence Durants Beerdigung gehen, ihre Mutter und ihre Geschwister wieder sehen, und die Art, wie sie ihr begegnen würden, würde entscheiden, ob sie, Leigh, hier einen Platz hatte oder nicht. Ein Tag würde vermutlich ausreichen, um den künftigen Kurs ihres Leben zu bestimmen. Und zumindest würde sie dann endlich Gewissheit haben.

2. KAPITEL

Es hatte sich nichts verändert.

Leigh stand im großen Empfangssaal der Durant-Villa und wurde von dem gleichen bedrückenden Gefühl beschlichen, wie es ihr aus ihrer Teenagerzeit und Kindheit vertraut war. Sie fühlte sich in die Vergangenheit zurückversetzt, und all das, wovor sie geflüchtet war, überfiel sie erneut: die Unsicherheiten, die Zurückweisungen, die Angst – und die Verzweiflung –, nicht dazuzugehören.

Es sollte jetzt aber anders sein! sagte sie sich trotzig. Lawrence Durant – ihr Vater für die ersten achtzehn Jahre ihres Lebens – war tot. Seine tyrannische Macht musste doch mit ihm gestorben sein, sodass ihre Mutter und ihre Schwestern nun frei waren, ihren eigenen Gefühlen und Neigungen zu folgen. War es vielleicht noch zu früh? Hatte die Beerdigung heute ihnen noch nicht bewusst gemacht, dass er wirklich fort war?

Bei ihrer Ankunft vor der Friedhofskapelle hatte man nur wenige Worte wechseln können. Überdies mochte die Überraschung, sie, Leigh, nach so langer Zeit wieder zu sehen, ihrer Mutter und ihren Schwestern die Sprache verschlagen haben. Aber warum ignorierten sie sie jetzt und ließen sie völlig allein? Wenn sie ihr nur eine Andeutung von Willkommen zeigen würden …

Leigh fühlte sich hoffnungslos fehl am Platz inmitten der illustren Gästeschar, die sich in dem Empfangssaal drängte, um einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, der Zeit seines Lebens ein Regime aus Geld und Macht ausgeübt hatte. Ein Funken Hoffnung regte sich in ihr, als sie sah, wie ihre Mutter sich allein von einer Gruppe Gäste löste. Rasch trat Leigh ihr in den Weg und berührte sie am Arm.

„Mutter?“

Alicia Durant warf ihrer jüngsten Tochter einen gereizten Blick zu. „Nicht jetzt, Leigh. Ich muss wieder zu Richard.“

Diese kalte Abfuhr ließ Leigh innerlich erstarren. Enttäuscht zog sie die Hand zurück und sah hilflos zu, wie ihre Mutter zielstrebig auf den Mann zuging, der sich bereits in der ungeteilten Aufmerksamkeit ihrer vier Schwestern sonnte.

Richard Seymour, der Erbe von Lawrence Durants Finanzimperium, der auch bei der Beerdigung des großen Magnaten und bei diesem pompösen Leichenschmaus auf dem Familienanwesen den Vorsitz führte. Leigh hatte ihn bei der Beerdigung bewusst nicht ein einziges Mal angesehen, und als sie ihn jetzt anblickte, keimten sofort die alten Hassgefühle in ihr auf.

Er war immer noch all das, was sie nicht war und nie sein würde – was Lawrence Durant sich von seinem fünften Kind erhofft hatte: der strahlende Sohn, der in seine Fußstapfen treten würde. Nur leider war sie, Leigh, das fünfte Kind gewesen, das seine Frau ihm geboren hatte – eine weitere Tochter, noch dazu von einem anderen Mann, ein wertloses Kuckucksei, dessen Eigenschaften allenfalls einer missbilligenden Beachtung wert gewesen waren.

Richard Seymour, der Auserwählte, glänzte dagegen auf sämtlichen Gebieten: Aussehen, Verstand, persönliche Ausstrahlung. Er verbreitete ganz selbstverständlich eine Aura von Macht, Erfolg und Zielstrebigkeit. Ganz bewusst drehte Leigh ihm jetzt den Rücken zu, wobei sie sich sagte, das alles sei jetzt nicht mehr wichtig. Sie hatte keinen Grund mehr, Richard Seymour zu hassen. Sie hatte sich weit weg von Lawrence Durants Einflussbereich ihr eigenes Leben aufgebaut und war nur zu seiner Beerdigung gekommen, um mit diesem trostlosen Abschnitt ihres Lebens endgültig abzuschließen … und um herauszufinden, ob sie ihrer Familie, ihrer Mutter und ihren Schwestern, überhaupt etwas bedeutete.

Es war selbstzerstörerisch, sich wieder von diesen alten Gefühlen übermannen zu lassen. Sie hegte nicht länger den Wunsch, etwas zu sein, was sie nicht war. Sie hatte lange gebraucht, um eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln, sechs harte, einsame Jahre, und Richard konnte ihr das jetzt nicht mehr kaputtmachen.

Leigh seufzte. Ihre Mutter und ihre Schwestern tanzten vermutlich aus alter Gewohnheit um Richard Seymour herum. Der König ist tot, lang lebe der König! Allerdings gehörte Richard nicht zur Familie, weshalb Leigh eigentlich nicht verstand, warum sie immer noch so auf ihn fixiert waren. Er konnte ihrer aller Leben doch gar nicht so tyrannisieren, wie Lawrence Durant es getan hatte.

Vielleicht würde es, wenn all die Gäste, die es zu beeindrucken galt, erst fort waren, eine günstigere Gelegenheit geben, wieder Anschluss an die Familie zu finden. Sie, Leigh, würde es auf jeden Fall versuchen – eine letzte Anstrengung, die Brücken wieder aufzubauen, die sie abgebrochen hatte, als sie vor dem unerträglichen Leben in diesem Haus geflohen war.

Inzwischen sah Leigh weder Sinn noch Vergnügen darin, sich am Rand dieser Gästeschar herumzudrücken und mit Leuten zu plaudern, die sich aus reiner Neugier für sie interessierten. Deshalb ging sie hinaus auf die hintere Terrasse, wohin sich wegen des böigen Winds, der draußen herrschte, kein anderer Gast verirrte.

Leigh machte der Wind nichts aus. Sie trug weder einen Hut noch eine kunstvolle Frisur, die hätte leiden können. Ihr langes schwarzes Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte, musste später allenfalls gebürstet werden.

Sie ging die Stufen hinunter in den Garten, der bis zum Ufer terrassenförmig angelegt war. Leigh blieb einen Moment stehen, um die unbezahlbare Aussicht auf den Sydney Habour zu betrachten. Zwar regnete es heute nicht mehr, aber es war ein trister, grauer Wintertag. Selbst die Schiffe im Hafen schienen es eilig zu haben, an ihr Ziel zu gelangen.

Leigh dachte an den Seehafen von Broome, weit oben auf der anderen Seite von Australien, wo es immer heiß war, das Wasser türkisblau glitzerte und „Eile“ ein Fremdwort war – ein ganz anderes Leben als hier in Sydney. Fühlte sie sich dort wirklich zu Hause, oder war es immer noch bloß eine Zuflucht für sie?

„Leigh …“

Beim Klang dieser Stimme fuhr sie herum. Ihr Herz klopfte. Richard Seymour war ihr gefolgt, um mit ihr zu reden? In ihrer Vorstellung war er derart eng mit Lawrence Durant verknüpft, dass sie sofort die alte Angst in sich aufsteigen fühlte. Doch dann regte sich heftiger Trotz in ihr.

Sie war kein unmündiger Teenager mehr, sondern eine unabhängige junge Frau von vierundzwanzig Jahren, die sich weit weg von hier ein anderes Leben aufgebaut hatte. Niemand hier konnte sie bedrohen.

Groß und kerzengerade stand sie da und zwang sich, den Mann ruhig und unbewegt anzublicken, dessen Existenz für sie in der Vergangenheit in so vieler Hinsicht Anlass zur Qual gewesen war. Was wollte er von ihr? Welches Interesse konnte er ausgerechnet an dem schwarzen Schaf der Familie Durant hegen? In den vergangenen sechs Jahren hatte sie nicht ein einziges Mal Ansprüche an den Durant-Besitz geltend gemacht. Warum, in aller Welt, sollte Richard Seymour seine Bewunderer verlassen, um ihr zu folgen? Sie musste doch völlig unwichtig für ihn sein.

„Sie wollen doch nicht etwa gehen?“

Sein besorgter Ton verwirrte Leigh nur noch mehr. „Warum sollte Sie das kümmern?“

Er kam auf sie zu und lächelte gewinnend. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit Ihnen zu unterhalten.“

Leigh zuckte unwillkürlich zurück. Er hatte in der Vergangenheit nie seinen Charme an ihr versucht. Warum jetzt? „Mir war nicht bewusst, dass es irgendetwas gibt, worüber wir uns unterhalten sollten“, sagte sie kühl.

Doch er ließ sich nicht beirren, was sie nur noch nervöser machte. Sie wollte nicht, dass er blieb. Er weckte zu viele Erinnerungen … schmerzliche Erinnerungen an zerstörte Hoffnungen und Träume.

„Sie sind sehr lange fort gewesen“, sagte er beiläufig, während er näherkam und ihr einmal mehr bewusst machte, wie groß und unwiderstehlich männlich er war.

Der maßgeschneiderte dunkle Traueranzug verlieh ihm auf den ersten Blick ein sehr kultiviertes und elegantes Äußeres, doch Leigh ließ sich nicht täuschen. Richard Seymour war ein Jäger vom gleichen Schlag wie Lawrence Durant. Und aus irgendeinem geheimnisvollen Grund war sie im Moment seine Beute, was sie innerlich zittern ließ. Sie rang sich ein spöttisches Lächeln ab. „Wollten Sie mich etwa zu Hause willkommen heißen?“

So aus der Nähe war er geradezu atemberaubend attraktiv. Das Foto in der Zeitung hatte seiner bezwingenden Ausstrahlung überhaupt nicht gerecht werden können. Er musste jetzt vierunddreißig sein und stand zweifellos in der Blüte seiner Jahre. Groß und breitschultrig, wirkte er unglaublich vital. Sein markantes Gesicht mit der geraden Nase und dem schönen Mund war sonnengebräunt, das dichte Haar, nicht ganz so tiefschwarz wie ihres, war modisch schick frisiert. Doch es waren vor allem seine Augen, die jeden Betrachter in Bann zogen: klare blaue Augen, gesäumt von dichten schwarzen Wimpern. Augen, die Leigh jetzt für ihren Geschmack viel zu forschend ansahen.

„Sind Sie denn nach Hause gekommen?“, fragte er, und sein sanfter Ton jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Sofort wappnete sie sich insgeheim gegen diese Reaktion. Sie durfte nicht zulassen, dass er ihr unter die Haut ging! Deshalb erwiderte sie bewusst gleichgültig: „Nur, um das Terrain noch einmal zu testen. Augenblicklich erschien es mir ziemlich frostig, weshalb ich mich zu einem Spaziergang im Garten entschieden habe, während man sich drinnen um die VIPs kümmert.“ Mit einem kleinen Lächeln fügte sie hinzu: „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen …“, und ging weiter die Stufen hinab.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleite?“

Richards Worte weckten in Leigh Gefühle, die sie sofort energisch unterdrückte, denn es wäre fatal gewesen, irgendwelche Hoffnungen in Bezug auf Richard Seymour zu hegen. Die Zeiten waren endgültig vorbei! Mochte er auch wie ein Märchenprinz aussehen, so hatte er sich nicht wie ein solcher verhalten, als es für sie wichtig gewesen war … als sie sich sehnlichst gewünscht hatte, er würde als edler Ritter auf weißem Ross herbeistürmen, ihren Vater niederschlagen und sie retten. Kindische Teenagerträume!

Betont gleichmütig blickte sie sich um. „Man wird Sie drinnen vermissen“, sagte sie spöttisch.

„Ich möchte mit Ihnen zusammen sein“, sagte er mit einer Freimütigkeit, die ihr einen Stich versetzte.

„Eine schlechte Wahl“, entgegnete sie rasch.

„Es ist meine. Ich lasse mich nie von anderen Leuten bestimmen.“

Sein entschlossener Blick verriet Leigh, dass Richard sich nicht abweisen lassen würde. Glaubte er vielleicht, dass sie zurückgekommen war, um ihm Ärger zu machen? Meinte er, sie ausschalten zu müssen, um sicherzustellen, dass sein Wechsel an die Spitze des Durant-Imperiums auch wirklich glatt verlief? Ein schwarzes Schaf war unberechenbar. Welchen Grund sollte sie schließlich haben, bei der Beerdigung aufzutauchen, nachdem sie sich sechs Jahre lang überhaupt nicht gemeldet hatte?

Da Leigh wusste, dass Richard mit ihr nur seine Zeit verschwendete, entschied sie, dass nichts dabei sei, ihm einige Fragen zu beantworten. „Schön“, willigte sie betont sorglos ein. „Ich bewundere Menschen, die die Charakterstärke besitzen, ihre Entscheidungen selbst zu treffen.“

Richard lächelte. „Genau das tue ich auch.“

Sein verschwörerisches Lächeln schien anzudeuten, dass sie beide aus demselben Holz geschnitzt seien. Olivia sträubte sich sofort gegen diese Vorstellung, war aber dennoch beunruhigt. Richard Seymour war nicht der edle Ritter, den sie sich gewünscht hatte, und sie würde sich durch nichts von etwas anderem überzeugen lassen!

Während Richard die Stufen hinunter auf sie zukam, ließ er den Blick anerkennend über sie schweifen. „Sie sehen sehr gut aus, Leigh.“

„Danke.“ Um seinem Charme nicht zu erliegen, rief sie sich ins Gedächtnis, wie er sich zuletzt vor über sechs Jahren über ihr Aussehen geäußert hatte, und fügte ironisch hinzu: „Im Gegensatz zu magersüchtig, nehme ich an.“ Er hatte ihr diesen Vorwurf bei einem von Lawrence’ rituellen Sonntagsessen gemacht, als sie wieder einmal keinen Bissen heruntergebracht hatte.

Richard schien genau zu wissen, worauf sie anspielte. Er zuckte die Schultern. „Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe mir damals Sorgen um Sie gemacht. Sie waren viel zu dünn.“

„Und Sie haben es so einfühlsam ausgedrückt: ‚Magersucht verleiht einem vielleicht eine gewisse Kontrolle über den Körper, aber über nichts anderes sonst‘“, zitierte sie.

Er war am Fuß der Treppe neben ihr angekommen und blickte sie ruhig an. „Ich dachte, jemand müsste Sie aufrütteln.“

Was sie in diesem Moment wirklich aufrüttelte, war sein plötzliches Interesse an ihr. Damals, mit siebzehn, hatte sie alles versucht, um so knabenhaft schlank und zierlich wie ihre Schwestern zu werden. Ein unmögliches Vorhaben, wie sich herausstellte. Egal, wie sehr sie auch hungerte, ihre Figur war einfach von Natur aus weiblich gerundet. Befreit vom tyrannischen Einfluss ihrer Familie, hatte Leigh sich nun entsprechend ihrer Anlagen zu einer jungen Frau mit üppigen weiblichen Rundungen entwickelt, die jedoch in harmonischem Einklang mit ihrer überdurchschnittlichen Körpergröße standen.

Allerdings überragte Richard sie trotz ihrer hohen Absätze immer noch um einen halben Kopf, was Leigh plötzlich sehr ärgerte. „Nun gut, Richard“, sagte sie spöttisch, wobei sie in den Pfad zu dem Zierteich einbog, „zu Ihrer Information: Ich brauche Ihre Anerkennung nicht. Tatsächlich ist es mir egal, was Sie von mir halten.“

Lachend ging er neben ihr her. Leigh warf ihm einen vernichtenden Blick zu und wünschte sich, er würde sie endlich in Ruhe lassen.

Richard lächelte. „Ich habe den funkelnden Blick dieser unglaublich ausdrucksvollen Augen vermisst.“

Vermisst? Hatte sie ihn damals wirklich so stark beeindruckt? Oder wollte er nur mit ihr flirten, jetzt, da sie „gut aussah“?

Leigh dachte darüber nach, während sie schweigend neben ihm her ging. Das schwarze Kostüm, das sie sich für die Beerdigung gekauft hatte, war figurbetont. Offenbar gefiel Richard ihre gegenwärtige Figur. Was ihre dunklen Augen betraf … Leigh hatte sie inzwischen längst als Teil ihres Aussehens akzeptiert genauso wie ihr tiefschwarzes Haar und ihren gebräunten Teint. Und waren ihr als Teenager ihre schmale Nase zu lang und ihre vollen Lippen stets zu groß erschienen, so waren ihre Züge inzwischen zu einem harmonischen Gesamtbild gereift.

Nein, sie fühlte sich bestimmt nicht mehr als das „hässliche Entlein“, als das sie sich in der Familie Durant immer vorgekommen war, obwohl sie natürlich dem Vergleich mit der zarten blonden Schönheit ihrer älteren Schwestern nie würde standhalten können. Noch zu gut erinnerte sie sich daran, wie sie einmal sogar versucht hatte, sich ihr schwarzes Haar blond zu färben – einer von unzähligen missglückten Versuchen, Anerkennung zu finden. Damals hatte sie noch nicht gewusst, dass sie ein Kuckucksei im Nest der Durants war und dass ein Kuckuck sich nie in etwas anderes verwandeln konnte.

„Ich bezweifle nicht, dass Sie meiner Zustimmung nicht bedürfen“, kam Richard in neckendem Ton auf Leighs letzte Bemerkung zurück. Als sie ihn skeptisch ansah, fügte er hinzu: „Kein echter Mann würde Sie nicht bewundern.“

Sex! Leigh wich seinem Blick aus und beschleunigte ärgerlich ihre Schritte. Sie hasste diese oberflächliche Betrachtungsweise, die sie nur nach ihrem Körper beurteilte. Aber Männer wie Richard suchten bei einer Frau vermutlich weder Geist noch Herz.

Im Zusammenhang mit der umfangreichen Berichterstattung nach Lawrence Durants Tod hatten sich die Medien natürlich auch ausgiebig auf die Tatsache gestürzt, dass Richard Seymour noch unverheiratet war – einer der begehrtesten Junggesellen Australiens. Leigh fragte sich, ob er wohl genauso ein Weiberheld war, wie es Lawrence hinter der respektablen Fassade seiner Ehe immer gewesen war. Bei seinem Aussehen würde es Richard sicher nicht an Angeboten fehlen.

Wenn er jetzt genauso über sie dachte, irrte er sich. Bislang hatte sie sich jedes Mal insgeheim gesperrt, sobald ein Mann auch nur versuchte, ihr näherzukommen. Vermutlich war es eine Frage des Vertrauens. Vielleicht würde sie ja irgendwann einem Mann begegnen, dem sie wirklich vertrauen konnte, dass er sie so lieben würde, wie sie es sich wünschte.

„Sind Sie glücklich mit dem Leben, das Sie sich aufgebaut haben?“

Die scheinbar arglose Frage riss Leigh aus ihren Überlegungen. Ihre Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Teenagerzeit warnten sie, keine persönlichen Informationen über sich preiszugeben. Ohne Richard anzusehen, antwortete sie deshalb gleichmütig: „Einigermaßen. Und Sie? Sind Sie glücklich mit dem, was Sie aus sich gemacht haben?“

Sein Lachen klang eine Spur ironisch. „Wissen Sie, das hat mich noch keiner gefragt.“

Natürlich. Sein glänzender Erfolg lud nicht zu Zweifeln ein. „Nun, vielleicht sollten Sie es sich selber fragen“, sagte Leigh trocken.

„Ja, vielleicht“, stimmte er zu. „Wobei ich zugeben muss, dass diese Frage für mich nicht gerade an erster Stelle kommt. Glück ist mir immer wie eine überaus flüchtige Sache vorgekommen – nur schwer einzufangen und noch schwerer festzuhalten.“

Anders als Reichtum und Macht. „Warum fragen Sie dann mich danach?“

„Ach, was ich wohl wirklich wissen wollte, war, ob Sie eine Beziehung gefunden haben, die Sie als befriedigend empfinden.“