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**Wenn Flammen dein Herz zum Schmelzen bringen** Schon ihr ganzes Leben lang hat Ami nur ein Ziel vor Augen: In der mächtigsten Magiergilde des ganzen Landes aufgenommen zu werden. Wild entschlossen verlässt die junge Eismagierin ihr Dorf, um sich der Aufnahmeprüfung zu stellen. Doch schon die Reise selbst ist eine Herausforderung: Ihr Reisegefährte, ein mysteriöser Fremder mit flammend grünen Augen, könnte nicht unausstehlicher sein und raubt ihr den letzten Nerv. Zu ihrem Entsetzen muss sie jedoch feststellen, dass dieser niemand Geringeres als der Sohn des Gildenmeisters ist und damit derjenige, der ihr Schicksal in den Händen hält... Kate Jans belegte mit ihrem Debütroman den zweiten Platz bei der Schreibchallenge »Schreib mit Dark Diamonds« auf Sweek. Nicht nur die temperamentvolle Liebesgeschichte begeisterte die Jury vom ersten Moment an: »Die Autorin liebt und lebt den Zauber magischer Welten und das ist auf jeder Seite ihres Romans zu spüren.« //Dies ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Seitenzahl: 586
Dark Diamonds
Jeder Roman ein Juwel.
Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.
Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.
Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.
Kate Jans
Blizzard. Die weiße Gabe
**Wenn Flammen dein Herz zum Schmelzen bringen**Schon ihr ganzes Leben lang hat Ami nur ein Ziel vor Augen: In der mächtigsten Magiergilde des ganzen Landes aufgenommen zu werden. Wild entschlossen verlässt die junge Eismagierin ihr Dorf, um sich der Aufnahmeprüfung zu stellen. Doch schon die Reise selbst ist eine Herausforderung: Ihr Reisegefährte, ein mysteriöser Fremder mit flammend grünen Augen, könnte nicht unausstehlicher sein und raubt ihr den letzten Nerv. Zu ihrem Entsetzen muss sie jedoch feststellen, dass dieser niemand Geringeres als der Sohn des Gildenmeisters ist und damit derjenige, der ihr Schicksal in den Händen hält …
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Vita
Danksagung
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© privat
Kate Jans wurde 1993 in Hamburg geboren. Inspiriert von ihren liebsten Büchern begann sie 2008 mit dem Schreiben ihrer eigenen Geschichten. Notizbücher und Caramel Macchiatos sind seitdem ihre treuen Wegbegleiter. In ihrer Freizeit zeichnet die Autorin digitale Bilder, ist als Make-up Artistin tätig, schaut Serien (am liebsten Animes) und führt auf Instagram einen Account rund um Bücher, das Schreiben und den alltäglichen Wahnsinn.
Für Papa, meinen Helden.
Die Magie war schon immer ein Teil von mir. Als Kind spielte ich anstelle von Puppen mit Eisskulpturen und der Boden unter meinen Füßen glich stets einer Schlittschuhbahn.
All das und anderen Unfug hatte mich mein Vater gelehrt. Er selbst war einer der begnadetsten Magier in ganz Glossoria, half Menschen mit seiner Gabe und bewirkte Gutes in dieser Welt.
Ich lächelte bei der Erinnerung an ihn und an meine Kindheit.
Manchmal war er wochenlang unterwegs, aber jedes Mal, wenn er heimkehrte, erzählte er mir Geschichten von den Abenteuern, die er erlebt hatte. Von den fremden, weit entfernten Städten, von Magiern mit den unterschiedlichsten Kräften, von Monstern und Dämonen, die so groß waren wie eine Kleinstadt.
Und er erzählte mir von Blizzard, der Gilde, in die nur die stärksten Magier beitreten durften. In der er Mitglied war.
Eine warme, von Wildblumen geschwängerte Brise fuhr mir durchs offene Haar und brachte die Blätter im Wald zum Rascheln. Mein Lächeln verblasste und ich nahm einen tiefen zittrigen Atemzug, während ich wie gebannt auf meine Hände starrte.
Wenn mein Vater mich jetzt sehen könnte, wenn er wüsste, dass ich seit geschlagenen zwanzig Minuten versuchte, meine Magie zu entfesseln und es mir einfach nicht gelang. Er wäre enttäuscht.
Aber in letzter Zeit fiel es mir immer schwerer, in den kurzen heimlichen Momenten, die mir blieben, Magie anzuwenden. Früher fiel es mir so leicht wie das Atmen und nun brachte ich nicht einmal mehr den kleinsten Eiskristall zustande.
Mein Bauch kribbelte vor Scham, doch ich schob die trüben Gedanken beiseite. Wenn ich in die Fußstapfen meines Vaters treten wollte, wenn ich bei Blizzard aufgenommen werden wollte, musste ich mich zusammenreißen und trainieren. Musste Momente wie diese nutzen, wenn meine Mutter für einige Stunden auf dem Wochenmarkt verweilte und mich allein ließ. Andere Möglichkeiten blieben mir nicht.
Ich faltete meine Hände ineinander und konzentrierte mich wieder ganz auf mein Training. Ich hatte mich an meiner Lieblingsstelle niedergelassen; eine kleine Lichtung mitten im Wald, umringt von dicht bewachsenen Sträuchern, meterhohen Bäumen und festem Gestrüpp. Der perfekte Ort, um ungestört zu trainieren. Wenn es denn klappte.
Ein- und ausatmen, ein und aus. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung, spürte wie meine Körpertemperatur sank, bis auch die letzte Zelle in mir mit Kälte erfüllt war.
Ein Hauch machtvoller Magie pulsierte unter meiner Haut, lockte mich und brachte meine Muskeln vor Anspannung zum Beben.
Ich war bereit. Es konnte losgehen.
Ich ließ mich in das weiche Gras fallen und umfasste eine Baumwurzel, die aus dem Boden ragte. Mit ausgebreiteten Handflächen fuhr ich über das raue Holz und ließ die Kälte durch meine Adern fließen, bis meine Fingerspitzen anfingen zu kribbeln.
Und dann erstarrte die Baumwurzel zu Eis.
Zufrieden tätschelte ich die glatte Oberfläche und lächelte, als sich mit jeder neuen Berührung das Eis ausbreitete, bis die Hälfte des Baumes mit der spiegelnden Oberfläche bedeckt war. Ich sprang auf die Beine und wirbelte zu dem gegenüberliegenden Baum. Auch dieses Mal klappte es.
Mein Lächeln wurde breiter, als ich drei weitere Bäume, einen Strauch und den Boden erstarren ließ.
»War doch gar nicht so schwer«, murmelte ich und blickte in den strahlend blauen Sommerhimmel. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass mein Vater mir von oben zugesehen hatte.
***
In unserer Hütte bemerkte ich zu spät, dass meine Mutter bereits vom Wochenmarkt zurück war. Sie saß auf ihrem Lieblingsplatz vor dem Kamin und strickte. Als sie mich bemerkte, ließ sie die Wolle fallen und sprang von ihrem Sessel auf.
»Ami! Ich wäre beinahe gestorben vor Sorge. Du wolltest doch hier auf mich warten. Wo warst … « Ihre Stimme versagte, als sie vor mir stehen blieb und mich mit offenem Mund anstarrte.
Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte, es zu leugnen. Meine Mutter kannte die Anzeichen von Magie, wenn sie eingesetzt wurde. Sie kannte sie von meinem Vater, wusste wie Brandlöcher durch Eis an der Kleidung aussahen und wie meine Hände erst einige Minuten später wieder einen normalen Hautton annahmen.
»Mutter, ich –«
Die Wucht ihres Schlages und die Wärme ihrer Hand ließen meine Wange brennen. Tränen schossen mir in die Augen und ich presste wütend die Zähne aufeinander.
Es war das zweite Mal, dass meine Mutter Hand an mich legte. Das erste Mal war kurz nach dem Tod meines Vaters gewesen und im gleichen Atemzug hatte sie mir erklärt, dass wir fortziehen würden. Seitdem lebten wir in diesem mickrigen, abgelegenen Dorf, welches voller Menschen war, die Magie hassten. Die mich hassten.
»Wie konntest du nur?« Ihre Unterlippe bebte und ihr Atem kam stoßweise. »Wie konntest du nur deine Magie benutzen? Du weißt, dass ich dir das nicht erlaube!«
Ich rieb mir die Wange. »Vater hätte nicht gewollt, dass ich die Magie seinetwegen sein lasse. Er hätte gewollt, dass ich Gutes in der Welt vollbringe. Dass ich Blizzard beitrete und –«
»Sprich nie wieder in diesem Haus von Blizzard! Die Gilde hat deinen Vater das Leben gekostet.« Ihre Stimme war nur noch ein Schluchzen. »Hast du das etwa vergessen?«
»Es tut mir leid«, flüsterte ich und senkte den Blick. Ich wollte nicht, dass die Erinnerungen an den Verlust meines Vaters wieder aufkeimten. Es war bereits zehn Jahre her, seit er nicht mehr heimgekehrt war, aber die Wunde klaffte noch immer in ihr. Und in mir.
Trotzdem war das Leben, das wir führten, nicht lebenswert. Mir die Magie zu verbieten, kam mir dem Tod gleich. Ich hatte es versucht, ihretwegen, doch ich spürte, wie jeden Tag ein Stückchen mehr von mir starb. Wäre meine Mutter kein gewöhnlicher Mensch, hätte sie Kräfte, so wie ich sie habe, dann wüsste sie, wie sich das anfühlte. Dann wüsste sie, dass sie von mir das Unmögliche verlangte.
Einige Sekunden vergingen, ohne dass einer von uns etwas sagte. Dann kehrte sie mir den Rücken zu und setzte sich wieder in den Ohrensessel. Mit dem Strickzeug in der Hand blickte sie über die Schulter, die Augen so kalt und starr wie meine Eismagie. »In einem Jahr wird sich dein Leben verändern, Ami. Dann bist du endlich neunzehn und bereit, die Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Dann wirst du nie wieder einen Gedanken an deine Magie oder an diese verfluchte Gilde verschwenden.«
Ich sagte kein Wort, widersprach ihr nicht einmal, denn meine Worte würden sowieso nicht zu ihr durchdringen, würden nicht ihr Herz erreichen. Das hatte ich bereits all die Jahre versucht. Vergeblich.
Doch zwischen all dem Unsinn, den sie erzählte, gab es eine Wahrheit. Mein Leben würde sich verändern, wenn ich neunzehn geworden war. Nicht durch eine Heirat oder Kinder, sondern weil ich dann endlich alt genug war, um mich der Gilde vorzustellen.
Blizzard.
Ein Jahr später
Es waren nur zwei Sätze auf das Papier geschrieben worden. Zwei Sätze, die mein Leben verändern konnten. Verändern mussten.
Ich fuhr mit meiner Fingerspitze über die schwarze Tinte, kannte bereits den Schwung der Buchstaben und jeden einzelnen Tintenfleck auswendig.
Das Schriftstück hatte ich heimlich einem fahrenden Händler abgekauft, als Mutter damit beschäftigt war, ein paar Beeren für unser Abendmahl auszusuchen. Das war bereits zwei Wochen her. Seitdem hütete ich es wie ein Drache sein Ei.
Die ersten Sonnenstrahlen fielen in die Kutsche, durchfluteten den dunklen Innenraum mit Licht und tauchten das Papier in meinen Händen in ein Meer aus glitzernden Punkten. Wie Sterne.
Ich lächelte und las den Brief erneut:
Magier von Glossoria! Am 13. Tag im Monat des Löwen ist jeder Magier herzlich willkommen, sich unserer Gilde vorzustellen. Wir erwarten Euch von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, in den großen Hallen von Mistress, Hauptsitz von Blizzard. Hochachtungsvoll Meister Jiji
Bereits als Kind hatte ich diesen Tag herbeigesehnt und konnte es immer noch nicht fassen, dass es heute so weit war. Ich würde mich der Gilde vorstellen. Endlich.
Mein Bauch zog sich vor Aufregung zusammen. Was ist, wenn ich versagte, wenn ich nicht gut genug war? Zurück zu meiner Mutter wollte ich nicht. Sie würde mich sofort mit dem erstbesten Mann vermählen lassen, wie sie es mir schon so oft angedroht hatte. Keine Magie, keine Gilde, kein Eis. Und über meinen Vater würde ich Schande bringen und …
Ich stoppte meine wirren Gedanken und atmete tief durch, während die Bäume und Sträucher an mir vorbeizogen.
Ob Mutter bereits bemerkt hatte, dass ich fort war? Vielleicht hatte sie schon meinen Brief gelesen, den ich ihr auf der Kommode hinterlassen hatte. Und vielleicht würde sie es irgendwann verstehen, warum ich fortgegangen war. Vielleicht, eines Tages.
Der Wind blies mir meine schneeweißen Haare ins feuchte Gesicht und ich trocknete meine Tränen mit dem Ärmel meiner Tunika.
Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen, für mich. Und nun lag alles daran, bei der Gilde aufgenommen zu werden. Meine Magie hatte ich in den letzten Wochen beinahe täglich trainiert. Ich war stärker und fokussierter als je zuvor und ich wusste, dass ich es schaffen konnte.
Mein Blick glitt wieder auf die vorbeiziehende Landschaft, auf die sattgrünen Wiesen und die buttergelben Felder, die sich bis zum schimmernden Horizont erstreckten.
Weit konnte es nicht mehr nach Mistress sein, der Hauptstadt von Glossoria. Ich war bereits seit Mitternacht unterwegs, hatte dem Kutscher einen Haufen Bronzemünzen gezahlt, damit er mich diskret dorthin fuhr. Wir rasteten kaum und seine Pferde galoppierten so schnell, dass ich mir fast sicher war, dass hier Magie im Spiel sein musste. Denn es gab weitaus mehr Magie als nur die Elementare. Magie, mit der man die Zeit beeinflussen konnte, Gefühle, Schnelligkeit und so vieles mehr. Und es gab Magie, die so dunkel war, dass selbst die Geister nicht davon sprachen.
Ich blickte erneut zu dem Schriftstück, las es wieder und wieder, und gab mich ganz meinen Gedanken hin, als ich plötzlich ein seltsames Geräusch vernahm. Ein Räuspern? Ich reagierte nicht, bis es kurz darauf wieder zu hören war, deutlicher und drängender als zuvor.
Ein warmer Schauer glitt über meine Haut. Dann noch einer.
»Du bist anscheinend sehr beschäftigt«, raunte eine männliche Stimme genervt. »Aber es wird kalt hier drin.«
Erschrocken fuhr ich hoch und blickte in zwei grüne Augen, die mich gereizt anstarrten.
Was zum … ? Ich wich zurück und fragte mich einen Herzschlag lang, ob ich mir das einbildete oder ob wirklich ein junger Mann vor mir saß.
Ich tendierte zu Letzterem.
Er sah aus, als sei er nicht viel älter als ich Seine schwarzen Haare waren verwuschelt, als hätte er einen langen Schlaf hinter sich und die gebräunte Haut hob sich wunderbar von seinen Augen ab, die so aussahen, als würden sich grüne Flammen in ihnen winden. Wie ungewöhnlich und … wie schön.
»Ich steh nicht besonders auf Eis«, fing er erneut an und entfernte sich einen unsichtbaren Fussel von der nachtschwarzen Tunika, die so viel feiner aussah als meine. Die warme Sommersonne brachte die goldenen Nähte an seinem Kragen zum Schimmern.
Himmel, seit wann war er in dieser Kutsche? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass wir vor Kurzem angehalten hatten und er zugestiegen war. Wie unheimlich.
Mein Blick fiel auf das prunkvolle Schwert, das neben ihm am Polster lehnte. Die Spitze war vollkommen verbogen, doch auf dem Griff funkelten Edelsteine in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Es musste eine Menge Wert sein. Vielleicht gehörte er einer Adelsfamilie an?
Er beugte sich vor und der Duft von frischem Regen, Erde und tosenden Blättern stieg mir in die Nase. Er roch wie ein Herbststurm im Wald. Das Grün in seinen Augen flackerte auf. »Ich mag es nicht, wenn man mich anstarrt.«
Langsam sickerten seine Worte zu mir durch, während ich mir seine markanten Gesichtszüge einprägte. Ich wich so schnell zurück, dass ich mir den Hinterkopf an dem Holz der Kutsche anstieß. Ich errötete bis in den Haaransatz und strich mir über die pulsierende Stelle. Konnte es noch peinlicher werden? »Ich habe nicht … also ich wollte nicht … starren«, stammelte ich vor mich hin und wusste gar nicht, wohin ich sehen sollte. »Ich habe mich nur gewundert, dass noch jemand hier ist.«
Er seufzte schwer und lehnte sich wieder zurück. Es schien, als habe er so eine Reaktion schon hunderte Male erlebt. Und als würde sie ihm gehörig auf die Nerven gehen. »Du warst die letzte Stunde auch ziemlich beschäftigt.« Die letzte Stunde?! Solange saß er schon hier?! »Ich hatte sogar schon Mitleid mit dir und wollte dir den Brief einfach vorlesen.«
Er wollte mir den Brief vorlesen? Ich brauchte einige Wimpernschläge, bis ich begriff, was er meinte. Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, also, ich kann lesen. Ich war nur etwas vertieft, das ist alles.«
»Wie du meinst.« Er verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und sah mich erwartungsvoll an. Unter seinem eindringlichen Blick geriet mein Herz ins Stolpern. Noch nie war ich so einem gut aussehenden Mann begegnet – weder im Dorf noch auf dem Markt – und bei keinem anderen hatten meine Alarmglocken dermaßen laut angeschlagen wie bei ihm.
Er könnte dir dein Herz brechen, wenn du es zulässt. Die Stimme kam tief aus meinem Inneren und obwohl ich noch nie verliebt war, glaubte ich meiner Eingebung aufs Wort.
Sein Blick – diese smaragdgrünen Augen – fixierte mich noch immer, als würde er auf etwas warten. »Also … ?«
»Also was?«, fragte ich heiser und versuchte zu lächeln. Es musste so verkrampft aussehen, wie es sich anfühlte, denn er hob eine dunkle Augenbraue.
»Da du ja jetzt fertig bist mit dem nicht Starren und dem Lesen. Wärst du dann so freundlich, deine Eismagie nicht in dem Innenraum einer Kutsche zu entfesseln, in der noch andere Personen sitzen?« Er deutete mit einem knappen Nicken auf meine Sitzbank.
Ich blickte ihn fragend an und folgte dann der Richtung seiner Kopfbewegung. Und tatsächlich, ich hatte nicht nur meinen Platz, sondern auch den Boden unter unseren Füßen und die Decke zu Eis erstarren lassen.
Meine Wangen brannten und ich wedelte entschuldigend mit meinen Händen herum. Warum musste mir das ausgerechnet jetzt passieren, wenn ich auf dem Weg nach Mistress war und sich jemand in der Kutsche befand? Für Ärger hatte ich nun wirklich keine Zeit.
»Das tut mir leid«, krächzte ich und erschreckte mich selbst über die schrille Tonlage meiner Stimme. »Manchmal passiert mir das, wenn ich aufgeregt bin und so viel anderes im Kopf habe.«
»Das Eis beruhigt mich irgendwie«, fügte ich noch schnell hinzu, als würde das alles erklären. Aber es war die Wahrheit. Das Eis war immer für mich da. Es war meine Zuflucht, in die ich mich einhüllen konnte, die mich beschützte, egal wie dunkel und grau die Welt um mich herum auch sein mochte.
Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Schließlich fragte er eine Spur sanfter als zuvor: »Und kannst du es auch wieder entfernen?«
»A… aber natürlich.« Ich schnipste mit den Fingern und die dünne Eisschicht zerbrach in feine glitzernde Einzelteile. Von der Decke fiel es herab, als würde es schneien. Es war bezaubernd.
Feine Eiskristalle klebten an seinen Haaren, in seinen dichten Wimpern und auf seiner edlen Tunika.
Ich musste beinahe lachen, als ich begriff, dass ich die Situation noch schlimmer gemacht hatte, als sie ohnehin schon war. Magie ohne jeglichen Grund in der Öffentlichkeit anzuwenden und dabei Menschen zu belästigen, konnte ein schweres Vergehen sein. Aber allmählich war ich genervt. Dieser Kerl machte eine Miene, als hätte ich ihm gerade die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens versaut. Dabei war es doch nur ein bisschen Eis.
Er wuschelte sich durchs schwarze Haar und klopfte sich die Tunika ab. Seine dunklen Brauen waren zornig zusammengeschoben.
»Tut mir leid«, murmelte ich und konnte mir nur schwer das Lachen verkneifen. Es war so absurd.
»Ach, das findest du witzig?« Er starrte auf das Schriftstück, das auf meinen Oberschenkeln lag. Seine grünen Augen flammten belustigt. »Ich finde es viel amüsanter, dass jemand wie du versucht, bei Blizzard aufgenommen zu werden.«
Das Lächeln auf meinen Lippen erstarb und ich schob das Papier zurück in meine Umhängetasche. Was bildete der Kerl sich ein?
»Ich wüsste nicht, was es dich angeht«, zischte ich und funkelte ihn wütend an. »Du kennst mich doch überhaupt nicht!«
Seine Mundwinkel zuckten. »Die eine Stunde mit dir war schon ziemlich aufschlussreich. Und für eine Magierin, die weder ihre Kräfte beherrschen noch lesen kann, hast du ziemlich hohe Erwartungen.«
»Ich. Kann. Lesen.« Meine Stimme zitterte vor Wut. »Und das hier«, ich fuchtelte mit meinen Händen vor dem Eis herum, »war nur ein Versehen. Und ich habe mich dafür entschuldigt.«
»Wie auch immer«, raunte er. Ein halbes Lächeln glitt über seine sinnlichen Lippen. Es machte mich wahnsinnig. »Es ist wirklich niedlich, wie wütend du werden kannst.«
Er fand es niedlich? Niedlich?!
Ich fauchte und wollte ihm etwas an den Kopf werfen, das überhaupt nicht niedlich war, da klopfte er mit dem Knauf des Schwertes gegen die Decke. Einmal. Zweimal. Ich hörte Pferdehufen, ein Wiehern, und dann blieb die Kutsche so abrupt stehen, dass ich einen Satz nach vorne machte.
Als ich mich aufgerappelt hatte, stand er bereits mit einem Fuß aus der Tür. Auf seinem Gesicht lag nun ein breites Grinsen. »Ein gut gemeinter Rat, kleine Eisprinzessin. Vergiss Blizzard und suche dir eine Gilde auf deinem Niveau. Andernfalls hoffe ich, dass du auf Enttäuschungen stehst.«
Wie bitte?! Ich ballte die Hände zu Fäusten und hätte am liebsten noch eine Portion Eis auf ihn fallen lassen. Oder gleich einen ganzen Berg.
»Du blöder Mistkerl«, rief ich ihm entgegen, doch als die Worte meine Lippen verließen, war er bereits verschwunden.
Die letzten Minuten der Kutschfahrt bekam ich kaum noch mit. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, den Kerl in meinen Gedanken erstarren, erfrieren oder vereisen zu lassen. Und selbst das beruhigte meine aufgewühlten Gedanken kaum.
Suche dir eine Gilde auf deinem Niveau. Seine Worte hallten in mir auf wie ein wütendes Unwetter. Dieser Idiot hatte kein Recht, so etwas zu behaupten, nicht das geringste! Er kannte weder mich noch meine Kräfte. Und überhaupt, was wusste er schon von Blizzard?!
Meine schlechte Laune löste sich erst auf, als ich die Tür der Kutsche öffnete und das prächtige Mistress erblickte.
Die Stadt war gigantisch. Überall tummelten sich Menschen und Magier, die eilig durch die Straßen liefen oder an den unzähligen Verkaufsständen stehenblieben. Tulpen, Lilien und Zauberglöckchen blühten farbenfroh am Wegesrand und die heiße Sommerluft trug eine heitere Melodie zu mir herüber.
Zögerlich kletterte ich aus der Kutsche, hievte meinen Koffer vom Träger und bedankte mich bei dem Kutscher für die Fahrt. Er lachte, wünschte mir viel Erfolg bei meiner Unternehmung und fuhr davon.
Ich blickte der Kutsche nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Mein Bauch kribbelte vor Aufregung und meine Beine wurden weich. Ich hatte es getan. Ich war wirklich hier. Freudentränen sammelten sich in meinen Augen und entschlossen ballte ich die Hände zu Fäusten. Nun lag es an mir, mein Können zu beweisen und zu zeigen, wie sehr diese Gilde meinem Niveau entsprach.
Vorsichtig bahnte ich mir den Weg durch die Menge und ließ es mir nicht nehmen, hier und dort stehenzubleiben, um Glaskugeln, Zaubertränke und andere magische Gegenstände zu bewundern.
Solch eine riesige Auswahl war mir fremd. In meinem Dorf lebten nicht mehr als hundert Einwohner. Nahrung, Kleidung und andere Dinge, die wir benötigten, tauschten wir untereinander oder erwarben es auf dem Wochenmarkt, der jeden Sonntag stattfand. Aber diese Vielfalt, die es hier in Mistress gab, hatte ich noch nie zuvor gesehen und egal, in welche Richtung ich schaute, konnte ich mir das Staunen nicht verkneifen.
Die Häuser waren aus Stein erbaut und schimmerten in den unterschiedlichsten Farben. Über den Eingangstüren hingen Schilder aus Birkenholz, auf denen verschiedenste Symbole eingraviert waren. Ich versuchte, das Zeichen für Blizzard ausfindig zu machen, konnte es aber nirgends entdecken.
So ein Mist. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde, die Gilde zu finden. Schließlich war sie die Berühmteste des Landes!
»Entschuldigt, Sir«, sprach ich einen vorbeilaufenden Mann an. Er wurde langsamer, blieb jedoch nicht stehen. »Könnt Ihr mir sagen, wo ich die Gilde Blizzard finde?«
Er sagte nichts, hob lediglich einen Finger und deutete über meinen Kopf hinweg in den Himmel.
Er wollte mich wohl auf den Arm nehmen. Blizzard lag im Himmel? Ich hob fragend eine Augenbraue, doch ehe ich nachhaken konnte, war der Mann in der Menge verschwunden.
»Danke«, murmelte ich ihm hinterher. Die Menschen in Mistress waren anscheinend nicht sehr freundlich gesinnt. Aber als ich mich umdrehte und in die Richtung blickte, in die er gezeigt hatte, war ich sprachlos.
Der Hauptsitz von Blizzard befand sich am Ende der Straße. Er war so riesig, dass ich sogar aus dieser Entfernung meinen Kopf in den Nacken legen musste, um ihn vollständig sehen zu können. Die weißen Marmorsteine schimmerten in der Mittagssonne, große einladende Fenster, wohin man auch sah und dieser runde, verschnörkelte Balkon …
Er glich einem Palast. Wahrlich, einem riesigen glanzvollen Palast. Wie hatte ich ihn nur übersehen können?
Mein Blick verharrte einen Moment auf der Fahne, die über dem Eingang wehte. Ein schwarzer Phönix, umhüllt von lodernden Flammen. Das Wappen der Gilde.
Ich biss mir auf die Unterlippe, damit ich erwachte, falls dies nur ein Fiebertraum sein sollte. In wenigen Augenblicken würde ich dort sein. Wirklich und wahrhaftig.
Ich setzte mich wieder in Bewegung, meinen Blick starr auf Blizzard gerichtet, als eine alte Frau sich mir in den Weg stellte. Ich wäre beinahe in sie hineingelaufen, hätte ich nicht in letzter Sekunde abgebremst.
Das blutrote Gewand klebte an ihrem spindeldürren Leib und dickes, stahlgraues Haar fiel ihr über den gekrümmten Rücken. Ihre Wangen waren eingefallen und hohl, die Haut schrumpelig und matt.
Mein Magen verkrampfte sich. Wüsste ich es nicht besser, dann hätte ich sie für eine Hexe gehalten. Aber das war … unmöglich.
Hexen waren tot. Vor über neunhundert Jahren aus unserer Welt gebannt, nachdem sie den grauenvollsten Krieg aller Zeiten verloren, den sie selbst heraufbeschworen hatten. Und obwohl mir das bewusst war, hielt ich gebührenden Abstand zu der alten Frau.
»Eine Portion Glück, eine Portion Glück«, rief sie mir entgegen und fixierte mich mit ihren trüben, hinterlistigen Augen. In ihren knochigen Fingern hielt sie ein Kristallfläschchen, das mit einer grünen Flüssigkeit gefüllt war. Das Grün erinnerte mich an die Augenfarbe des Vollidioten und ich presste bei der Erinnerung an ihn wütend die Zähne aufeinander.
»Nein, danke«, erwiderte ich so freundlich wie möglich und versuchte um sie herumzugehen, doch sie stellte sich mir erneut in den Weg. »Bist du sicher, Kindchen? So ein Angebot kriegst du nie wieder.«
Als ich nicht antwortete, trat sie noch näher an mich heran. Der beißende Geruch von Weihrauch und Kresse stieg mir in die Nase. Ihre eingerissenen Lippen verzogen sich zu einem tückischen Lächeln und entblößten zersplitterte, gelbe Zahnstümpfe. Ich wollte nicht wissen, an wem oder was sie genagt hatte.
»Für dich gibt es einen Sonderpreis. Fünf Goldmünzen, statt zehn.«
Ich schüttelte unnachgiebig den Kopf. Ich hatte weder das Interesse noch das Geld, um mir derartiges zu leisten. So viele Goldmünzen. Meine Mutter verdiente mit ihrem Schneiderhandwerk eine Goldmünze im Monat. Und die Hexe verlangte fünf?
»Um bei Blizzard aufgenommen zu werden, brauchst du aber eine Portion Glück. Vertrau mir.« Sie hielt mir das Fläschchen entgegen, hätte es beinahe gegen meine Brust gepresst, wäre ich nicht einen Schritt zurückgewichen.
Allmählich ging sie mir auf die Nerven. Diese grüne Flüssigkeit, die in dem Kristallfläschchen hin und her schwappte, konnte unmöglich Glück sein. Es erinnerte mich eher an zähen glitschigen Krötenschleim.
»Das, was ich brauche«, entgegnete ich mit fester Stimme und entschlossenem Blick, »ist kein Glück, sondern Können. Also nein danke, ich verzichte auf Euer Angebot!«
Sie krächzte boshaft, bevor sie mich herablassend von Kopf bis Fuß musterte. »Nenne es wie du willst, Kindchen. Aber du kannst davon eine Menge gebrauchen. Du siehst viel zu schwach und unbedeutend aus, um bei so einer mächtigen Gilde wie Blizzard aufgenommen zu werden.«
Schwach und unbedeutend? Ich biss mir auf die Zunge, um die Worte zurückzuhalten, die ich ihr entgegenwerfen wollte. Was wusste diese alte Hexe schon?!
Wütend stapfte ich an ihr vorbei und war froh, dass sie mich dieses Mal ungehindert durchließ. Doch ehe ich einen weiteren Schritt gegangen war, spürte ich ein kurzes Ziehen am Hinterkopf. Es war, als hätte man mir ein Haar entrissen.
Ich wirbelte herum und wollte sie zur Rede stellen, doch hinter mir war niemand mehr. Die Hexe stand etliche Meter entfernt und drängte einem anderen Magier ihre verlogene Ware auf.
Hatte ich mir das nur eingebildet? Sie konnte unmöglich so schnell von der einen zur anderen Stelle gekommen sein, dafür war sie viel zu alt. Und was sollte sie auch schon mit einem einzelnen Haar anfangen?
Ich rieb mir den Hinterkopf, verfluchte die Hexe mit ihrem Krötenschleim und setzte mich wieder in Bewegung.
Nach einigen Minuten erreichte ich endlich das Anwesen von Blizzard und seufzte bei dem Anblick, der sich mir darbot. Aus der Nähe wirkte es noch faszinierender.
Mein Blick fiel auf die breite, weiße Steintreppe, die ich emporsteigen musste, um in das Gebäude zu gelangen. Beinahe hätte ich gestöhnt. Vor mir lagen mindestens tausend Stufen. Wie sollte ich die überwinden, ohne völlig erschöpft oben anzukommen?
Einige Magier, die um mich herumstanden, stellten sich anscheinend dieselbe Frage. Vielleicht konnte ich mich mit meiner Magie irgendwie hinaufbefördern? Mein Blick fiel auf das Schild neben der Treppe und mein Plan war dahin: ›Diese Stufen werden auf die altmodische Art gemeistert. Jegliche Magie ist auf der Treppe unwirksam.‹
Eine verzauberte Treppe? Wer kam denn auf diese schwachsinnige Idee? Aber von mir aus, dann eben aus eigener Kraft. Ich wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, da entdeckte ich einen kleinen Hund neben mir. Er jaulte und kratzte mit seiner Pfote gegen die unterste Stufe. Wieder und wieder hörte ich seine Krallen auf dem Stein.
Es gab sicherlich einen Grund, weshalb er so unbedingt hinaufwollte und sicher auch einen, wieso er hier unten zurückgelassen wurde. Vielleicht war sein Herrchen dort oben? Er trug kein Halsband, aber sein pechschwarzes Fell glänzte sauber in der Mittagssonne.
Niemand beachtete ihn. Die Magier stiegen einfach über ihn hinweg, als wäre er ein Hindernis und streiften dabei seinen kleinen Körper mit ihren Schuhen. Und wahrscheinlich hätte es mich auch nicht kümmern sollen, doch ich gehörte nie zu denjenigen, die so etwas kalt ließ. Und dieser hilflose Blick von dem kleinen schwachen Hund zu meinen Füßen …
»In Ordnung«, flüsterte ich und ging in die Hocke. »Ich trage dich.«
Als ob der Hund nur darauf gewartet hätte, sprang er mir direkt in die Arme und schleckte an meinem Hals. Sein wuscheliger Schwanz wedelte und schlug mir wie sanfte Hiebe gegen die Rippen.
»Hör auf, dich zu freuen«, ermahnte ich ihn lachend und bekam als Antwort noch einen Schlecker. Grinsend schüttelte ich den Kopf und sah hinauf zu den Stufen. Na dann los!
Der Anstieg war alles andere als ein Kinderspiel. Mit dem Hund in meinem linken Arm, meinem Koffer in der rechten Hand und meiner Umhängetasche auf dem Rücken, glich ich dem Abbild eines Packesels. Meine Kondition hatte ich in den letzten Jahren vernachlässigt und das bekam ich jetzt mit aller Kraft zu spüren.
Mich überholten etliche Magier, die nun alle vor mir in der Schlange stehen würden und auch vor mir die Gelegenheit bekamen, ihre Künste unter Beweis zu stellen. Einige von ihnen kicherten, als sie an mir vorbeigingen, aber niemand bot mir seine Hilfe an. Wahrscheinlich wollten sie so wenig Energie wie möglich verschwenden oder aber es interessierte sie schlichtweg nicht, wenn jemand Hilfe brauchte.
Die Treppe kam mir endlos vor. Stufe für Stufe schleppte ich mich nach oben. Der kleine Hund wedelte noch immer mit dem Schwanz und seine Zunge hing zufrieden herunter. Er sah verdammt niedlich aus, aber mittlerweile hatte ich Mühe, ihn mit einem Arm zu tragen. Bildete ich mir das ein oder wurde der Hund mit jeder Stufe schwerer? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er so schwer gewesen war, als ich ihn hochgehoben hatte. Aber wahrscheinlich verließen mich auch nur allmählich meine Kräfte.
Als ich endlich die letzte Stufe überwunden hatte, ließ ich mein Gepäck fallen und ging erschöpft in die Hocke, um den kleinen Hund abzusetzen, der mir nun nicht mehr so klein vorkam. Er sah mich mit intelligenten Augen an, leckte mir ein letztes Mal über den Hals und sprang dann von meinem Arm.
Ich sah ihm hinterher, wie er zwischen den Beinen der Magier hindurchlief und im Inneren des Gebäudes verschwand. Ich musste lächeln, auch wenn mir die gute Tat viel Kraft abverlangt hatte.
»Ich hoffe, du findest deinen Besitzer«, flüsterte ich ihm hinterher. Dann rappelte ich mich auf, sammelte mein Gepäck zusammen und betrat das Gebäude.
***
Die Eingangshalle war beeindruckend. Alles war in Weiß und Gold gehalten und der Teppich unter meinen Füßen war so weich, dass meine Schuhe bei jedem Schritt einsackten. Unzählige Ölgemälde, Wandteppiche, Schwerter und Wappen hingen an den Wänden.
Kostbar. Alles sah so kostbar und edel aus, als würden hier Könige residieren.
Ich folgte den anderen Magiern in den üppigen, einladenden Speisesaal, der zum Warteraum umfunktioniert wurde. Die rustikalen Bänke und Stühle waren zur Seite geschoben worden und eine lange Schlange hatte sich durch den Saal hinweg gebildet.
Ich stellte mich hinten an und seufzte. Es konnte sich nur um Stunden handeln, dabei war ich extra früh aufgebrochen, um eine der Ersten zu sein. Blizzard hatte seine Tore bis Mitternacht geöffnet und wie viele Magier noch kommen würden, wollte ich mir erst gar nicht vorstellen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte, einen Blick auf die Jury zu erhaschen, doch ich war zu weit entfernt, um auch nur das Geringste erkennen zu können.
Ich gab es auf und beobachtete stattdessen die Magier, die lachend, schwatzend oder in sich gekehrt um mich herumstanden. Noch nie zuvor hatte ich so viele Magier auf einen Schlag gesehen.
Die Elementarmagier konnte ich schnell unter ihnen ausmachen. Wassermagier bemalten ihre Haut mit Kreisen und Wellen in den unterschiedlichsten Farben. Pflanzenmagier hatten die Angewohnheit, in Grün gekleidet zu sein und Blumen wie Schmuckstücke an ihren Körpern zu tragen. Das Mädchen vor mir war eindeutig eine, denn bei ihr ragten kleine Blüten aus der Hosentasche. Feuermagier strahlten eine Hitze aus, bei der ich am liebsten das Weite gesucht hätte. Und Luftmagier waren am schnellsten von allen auszumachen, denn sie trugen Glatzen und ihre Körper waren von Kopf bis Fuß mit Piercings übersät.
Hinter mir stand einer von ihnen, jung und schlaksig, mit Piercings an beiden Armen, an seiner Lippe und über seinen buschigen Augenbrauen. Seine karamellfarbene Haut brachte das Gold seiner Piercings nur noch mehr zum Strahlen. Er lächelte, als er meinen Blick bemerkte.
»Schöne Piercings«, flüsterte ich und erwiderte sein Lächeln, wenn auch verkrampft.
Er rieb sich verlegen die Glatze. »Ach, das ist nichts. Du müsstest meinen Großvater sehen, der ist voll davon. Aber deine Haare sind spitze!«
Ich schob mir eine Strähne hinters Ohr und spürte Wärme in meine Wangen steigen. Meine Haare waren weiß. Das Eis in mir hatte sie verfärbt, seit die Gabe in mir erwacht war. Und ich hasste meine Haare, weil ich mit ihnen aufgefallen war wie ein weißer Wolf. Großmutter, Eishexe und Schneeoma waren nur eine kleine Auswahl an Namen, mit denen mich die Kinder im Dorf beschimpften. Aber hier, inmitten der ganzen Magier, die genauso auffallend waren wie ich, fühlte ich mich wohl.
»Bist du sehr aufgeregt?«, fragte mich der Luftmagier leise und zupfte sein dunkelblaues Gewand zurecht, das viel zu groß für seinen schlaksigen Körper war.
»Schon irgendwie«, antwortete ich zögerlich. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts, aber zu viel Aufregung würde mich schwach erscheinen lassen. Immerhin waren wir Konkurrenten.
Er spielte mit seinem Augenbrauenpiercing herum. »Geht mir genauso. Seit meiner Kindheit lausche ich den Geschichten, die mir mein Großvater über die Gilde erzählt. Und jetzt, da ich endlich neunzehn bin, versuche ich mein Glück.«
»Klingt fast genauso wie bei mir. Irgendwie ist es komisch, dass wir heute hier sind.«
Er sah mich einen Moment lang an. Das Braun in seinen Augen hatte eine Wärme, die mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
»Ich bin übrigens Ted.« Er reichte mir die Hand. »Ami«, erwiderte ich und ergriff die seine.
Ich war froh, mit jemandem Bekanntschaft geschlossen zu haben. Ted war die erste nette Person, der ich heute begegnet war. Ich verdrängte die Gedanken an den Idioten aus der Kutsche und die unheimliche Hexe.
Wir unterhielten uns die nächsten Stunden miteinander. Er erzählte mir von der Stadt, in der er aufgewachsen war, von seinem Großvater und seiner Magie. Ich war froh, dass er das Wort ergriff und ich die meiste Zeit nur zuhören musste. Und wenn ich doch sprach, dann erzählte ich ihm das Nötigste von mir, erwähnte aber weder meinen Vater noch meine Mutter. Und schon gar nicht, dass ich von zu Hause weggelaufen war. Das würde ich für mich behalten.
»Was glaubst du, wie viele werden heute der Gilde beitreten?«, fragte ich nach einer Weile.
Er blickte sich um und biss sich auf sein Lippenpiercing. »In den letzten Jahren haben es immer nur ein bis zwei Magier geschafft, in der Gilde aufgenommen zu werden. Ich denke nicht, dass das heute anders ablaufen wird.«
Nur ein bis zwei Magier. Ich hatte mir so etwas schon gedacht, aber trotzdem löste diese Information ein Ziehen in meinem Bauch aus. Hier waren so viele Magier mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und nur zwei wurden genommen. Wenn Ted oder ich es schaffen würden, wäre das kein Glück, sondern Schicksal, so viel stand fest.
Vor uns war eine Lücke in der Schlange entstanden und wir schlossen auf. Dabei konnte ich einen Blick auf die Jury erhaschen. Ein wunderschönes Mädchen mit feuerroten Haaren saß allein an einem langen Tisch. Auf ihrem linken Handrücken war das Zeichen von Blizzard tätowiert – ein schwarzer Phönix umringt von lodernden Flammen.
Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust. Sie war diejenige, die entschied, wer aufgenommen wurde und wer nicht. Sie musste ich überzeugen, von mir, meinen Fähigkeiten und meinem Talent.
»Das ist Minako«, flüsterte Ted über meine Schulter hinweg. »Sie ist die rechte Hand des Meisters und eine der besten Schwertkämpferinnen im ganzen Land. Ihre Magie ist die Vorhersehung. Sie kann die Attacken ihres Gegenübers vorausahnen und so Schlägen und sogar Magieangriffen ausweichen. Eine ziemlich seltene Begabung.«
Ich nickte beeindruckt und speicherte die Informationen in meinem Gedächtnis ab. Minako war also die rechte Hand des Meisters, aber ich hatte weder von ihr noch von ihrer Gabe gehört. Kein Wunder, dass sie zu einer der Stärksten zählte, wenn sie allem ausweichen konnte.
Gerade, als ich Ted fragen wollte, ob er auch über die anderen Magier von Blizzard Bescheid wusste, erregte etwas meine Aufmerksamkeit.
Vor Minako stand ein bulliger Mann, die Ärmel seiner verschmutzten Tunika waren bis zu den dicken Oberarmen hochgekrempelt. Eine Stahlkette lag wie eine giftige Schlange um seinen Hals. Mit verschränkten Armen blieb er vor ihr stehen, während sie ihn entschuldigend anlächelte. Mehrmals deutete sie in die Richtung des Ausganges, doch so wie es aussah, hatte der Mann nicht vor zu gehen. Er rührte sich nicht von der Stelle und fing an herumzupöbeln.
»Das soll wohl ein Witz sein. Ich bin der Stärkste von allen und ausgerechnet ich darf eurer bescheuerten Gilde nicht beitreten?«
»Es tut mir leid«, sagte Minako. Ihre samtweiche Stimme klang mitfühlend. »Aber wir haben schon einen Stahlmagier unter uns, der dieselben Fähigkeiten besitzt wie du. Es gibt noch genügend andere Gilden, die deine Fähigkeiten gut gebrauchen könnten.«
Der bullige Magier schlug auf den Tisch und ein verblüfftes Raunen ging durch die Reihen. Nun sah jeder zu den beiden.
»Du verdammtes Weib, ich will mit deinem Meister sprechen. Er wird mein Potenzial erkennen. Er wird sehen, wie viel ich wert bin.«
Minako blieb immer noch ruhig und verschränkte lediglich die dünnen Arme vor der Brust. »Das ist nicht möglich.«
»Bist du schwerhörig? Bring ihn mir endlich. Ansonsten mache ich dich hier vor den ganzen Leuten einen Kopf kleiner. Dann wird jeder sehen, wie schwach die Magier von Blizzard wirklich sind. Willst du das etwa?«
Sie schloss die Augen und seufzte nur. Wie konnte sie so entspannt bleiben, während ein Mann, der mindestens zwei Köpfe größer war als sie, solche Dinge sagte und sie bedrohte? Ich ließ die Kälte durch meine Adern fließen, nur für den Fall, doch Ted umfasste mein Handgelenk. »Nicht eingreifen, damit würdest du sie nur bloßstellen. Sie ist stärker als wir alle zusammen. Du weißt doch noch, was ich dir über ihre Fähigkeiten erzählt habe?«
Ich nickte, doch es fiel mir schwer, tatenlos herumzustehen, während so ein aggressiver Mann eine Frau bedrohte. Hoffentlich behielt Ted recht. Hoffentlich.
Einige endlose Sekunden vergingen und eine tödliche Stille lag in der Luft. Niemand wagte es, sich zu bewegen und auch ich war wie erstarrt.
Bitte tue ihr nichts. Bitte.
Ein lauter wutverzerrter Schrei hallte durch den Saal und zerriss die Stille. Und dann, im selben Moment, holte der Stahlmagier aus. Voller Wucht schlug er zu. Seine Faust war so groß wie ihr hübsches, freundliches Gesicht.
Er verfehlte sie um Längen. Auch der nächste Schlag ging ins Leere. Spielerisch wich sie allen weiteren Attacken aus, indem sie lediglich ihren Kopf nach links und rechts neigte. Ihre rote Mähne flog in Sekunden von der einen zur anderen Seite. Wie … wie war das möglich?
Minako kicherte, während der Mann nach Luft schnappte. Er umklammerte wütend seine Stahlkette. »Du Miststück, hör auf zu lachen. Ich werde dich mit meiner Magie zu Kleinholz –«
»Genug.« Eine männliche Stimme hallte durch den Saal. »Es reicht jetzt.«
Ich wusste nicht, woher die Stimme kam, aber einige Mädchen fingen an zu kreischen. Und aus jeder Ecke des Saals hörte man, wie ein Name gerufen wurde. Immer wieder ertönte derselbe Name. Als stünde er für Hoffnung, Gerechtigkeit und Frieden. Für all das Gute in dieser Welt.
Jake.
Der bullige Mann erstarrte. Und Grund dafür war der dunkelhaarige Magier, der nun direkt vor ihm stand. Sein Gesicht war von der Menge abgewandt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass das dieser Jake sein musste, von dem alle sprachen. Eine seiner Hände steckte lässig in der Hosentasche, aber in der anderen hielt er eine Flamme. Eine grüne Flamme, die wie Wasser um seine Finger glitt. Solch ein Feuer hatte ich noch nie zuvor gesehen. Unglaublich.
»Es gehört sich nicht, so mit einer Dame zu sprechen.« Jakes Stimme war kalt, rau und kam mir verdammt bekannt vor. »Entschuldige dich bei ihr.«
Der Stahlmagier trat einige Schritte nach hinten, stolperte fast über seine eigenen Beine und murmelte eine Entschuldigung. Der Blick war starr auf die grüne Flamme gerichtet, als wüsste er, was ihn erwartete, wenn er nicht gehorchte.
Jake ballte seine Hand zur Faust und die Flamme wurde größer. »Eigentlich müsste ich dir eine Lektion erteilen, weil du versucht hast, Minako zu schlagen. Und weil du unsere Gilde mit deinen Worten beschmutzt hast.«
»Bitte nicht, bitte nicht«, stammelte der Mann und schlug flehend die Hände vor sein rot angelaufenes Gesicht. »Ich war nicht ich selbst, ich –«
»Ach wirklich? Dann solltest du lieber dein Hirn einschalten, bevor du so große Töne spuckst und wild um dich schlägst. Hat dir denn niemand Manieren beigebracht?« Jake seufzte schwer. »Und jetzt verschwinde endlich.« Er machte eine abfällige Handbewegung in Richtung des Ausganges. Die grüne Flamme um seine Finger war verschwunden. »Aber sei dir gesagt, solltest du noch einmal ›nicht du selbst sein‹, werde ich dich finden. Und dann gibt es einen Kampf, an den du dich lange zurückerinnern wirst. Verstanden?«
Der Bullige nickte hektisch, murmelte etwas Unverständliches und stolperte dann aus dem Saal.
»Jake«, kreischte das Mädchen vor mir erneut. Und als er sein Gesicht in die Menge drehte, setzte mein Herz einen Schlag aus.
Es war der Kerl aus der Kutsche.
Nein. Nein. Nein. Nein.
Fassungslos starrte ich Jake an, der seinen Blick durch die Menge gleiten ließ. Sogar aus dieser Entfernung konnte ich das Grün in seinen Augen flackern sehen. In meinem Kopf sprangen die Gedanken von einem zum anderen und alle waren sie gleich wirr. Was tat er hier? Warum konnte er grüne Flammen beschwören? Wieso kannte jeder seinen verdammten Namen? Was hatte das alles bloß zu bedeuten?!
Als sein Kopf in meine Richtung glitt, versteckte ich mich panisch hinter der Pflanzenmagierin, die vor mir stand.
Nach etlichen Sekunden lugte ich an ihrer Schulter vorbei und sah Jake dabei zu, wie er lässig um den langen Tisch herumging und sich neben Minako auf die Bank fallen ließ.
Das gab mir den Rest. Ich stand kurz vor einem nervlichen Zusammenbruch.
»Atme«, befahl mir Ted lachend und schob mich weiter nach vorne. Weiter zu ihm.
Mein Magen verkrampfte sich. »Wer … wer ist das?«, stotterte ich und umklammerte meine Arme, um das Zittern zu unterdrücken. Es gelang mir nicht.
Ted grinste verschwörerisch. »Ach, du hast keine Ahnung, nicht wahr? Kein Wunder, dass du so auf ihn reagierst. Tun wahrscheinlich alle beim ersten Mal.«
»Ich verstehe nicht …«
Er strich sich mit einer Hand über die Glatze, mit der anderen deutete er in die Menge. »Dann schau dir die Magier hier mal genauer an.«
Verwirrt sah ich mich um und blickte in unzählige verträumte Gesichter. Frauen und Männer schmachteten Jake gleichermaßen an und zogen ihn regelrecht mit ihren Blicken aus.
Und dann fiel es mir wie Scheuklappen von den Augen. Dachte Ted allen Ernstes, ich würde wegen Jakes unwiderstehlichem Aussehen so neben mir stehen? Gut, er sah wirklich verdammt heiß aus. Und ja, der Auftritt von eben war auch nicht schlecht. Aber das alles hatte rein gar nichts mit meinem jetzigen Verhalten zu tun. Überhaupt nicht.
Meine Miene verfinsterte sich, als ich mich wieder Ted zuwandte. »Also«, fing ich erneut an und ignorierte seine Anspielung von eben. Diesmal klang meine Stimme etwas gefasster als zuvor. »Sagst du mir nun, wer der Kerl ist, oder muss ich dich erst mit meiner Eismagie foltern?« Demonstrativ bewegte ich meine Finger in seine Richtung.
»Schon gut, schon gut. Ich verrate es dir ja«, sagte er lachend und hob beide Hände. »Als Eis am Stiel möchte ich nun wirklich nicht enden.«
Ich kicherte und bewegte meine Hände wieder auf ihn zu, als er nicht mit der Sprache herausrückte. Er holte tief Luft, ehe er antwortete. »Das, meine liebe Ami, ist Jake.«
»Aber das weiß ich doch schon. Verrate mir lieber, was er in der Jury zu suchen hat.«
Er schwieg einen Moment und sah in Jakes Richtung. In seinem Blick lag ein Ausdruck von Ehrfurcht und Bewunderung. Na toll. Ted war also auch dem Jake-Charme verfallen. »Du musst wissen, Jake hat das größte Recht von allen dort zu sitzen«, sagte er schließlich. »Er ist der Sohn des Meisters.«
»Er ist was?!« Ich verschluckte mich an der Luft, die ich atmete. Das konnte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein! Denn wenn das stimmte, dann hatte ich ein Problem – ein ernsthaftes Problem. Ich erinnerte mich an unsere Begegnung in der Kutsche und errötete bis in den Haaransatz.
Ted zuckte mit den Schultern. »Jake ist nicht so übel. Jedenfalls sind die meisten Magier heute wegen ihm gekommen.«
Nicht so übel. Beinahe hätte ich hysterisch angefangen zu lachen. Der Jake, der sich in meiner Kutsche befunden hatte, war nicht nett, ganz und gar nicht. Und wenn er nicht einen freundlichen Zwillingsbruder besaß, der heute die Entscheidungen traf, dann sahen meine Chancen ziemlich schlecht aus.
Die letzten Minuten bekam ich kaum noch mit. Ted erzählte mir etwas und ich nickte nur, ohne hinzuhören. Vielleicht hatte Jake mich vergessen? Er hatte ja schließlich heute in unzählige Gesichter geblickt und ebenso viele Magier kennengelernt. Warum sollte er sich also ausgerechnet an mich erinnern können?
»Hallo?« Ted schüttelte mich sanft und riss mich aus meinen Gedanken. »Ami, träumst du?«
»Wie bitte?«
»Du bist dran«, flüsterte er und pikste mir ins Schulterblatt. »Du musst nach vorne.«
Erst da fiel mir auf, dass wir bereits ganz vorne standen. Minako strahlte mich an und legte ihren Kopf schräg. Die Farbe ihrer Lockenmähne sah aus dieser Entfernung noch beeindruckender aus. Wie ein Himmel bei Sonnenaufgang.
Mein Blick fiel auf Jake, der glücklicherweise nicht in meine Richtung schaute. Er war in ein Schriftstück vertieft, das vor seiner geraden, lächerlich perfekten Nase lag. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er aufsehen würde.
Mein Magen verkrampfte sich und ich wirbelte zu Ted. Panik schnürte mir die Kehle zu und ich brachte nur ein Gehauchtes Ich lass dir den Vortritt über die Lippen.
»Auf gar keinen Fall.« Ted schüttelte unnachgiebig den Kopf. Hinter uns hörte ich einige Magier genervt aufstöhnen, weil es nicht weiterging. Das schürte meine Angst nur noch mehr. Wenn ich jetzt einfach hinauslaufen würde, dann …
»Ami, kommt nicht in Frage, dass du jetzt einen Rückzieher machst. Das ist dein Traum, seit du klein bist. Gib jetzt nicht so kurz vor dem Ziel auf. Du schaffst das.«
Einige Herzschläge vergingen, bis seine Worte zu mir durchdrangen. Und … er hatte recht. Ich hatte nicht mein ganzes Leben damit verbracht, für Blizzard zu trainieren, um im letzten Moment wegen diesem dämlichen Vollidioten zu kneifen.
Ich hob das Kinn und straffte die Schultern. Mit meinen Lippen formte ich das Wort »Danke«, ehe ich langsam nach vorne ging.
»Viel Glück«, hörte ich Ted hinter mir flüstern. Mein Bauch zog sich vor Aufregung zusammen und meine Knie waren so weich wie Pulverschnee. Trotzdem ging ich unaufhaltsam auf Minako und Jake zu.
Bitte hab mich vergessen. Noch fünf Schritte.
Bitte erkenn mich nicht. Noch zwei.
Nun stand ich direkt vor dem Tisch und blickte zwischen den beiden hin und her. Er sah noch immer nicht auf und ich betete zu allen heiligen Magiern gleichzeitig, dass das auch so bleiben würde.
Das Klimpern von Metall zog meine Aufmerksamkeit wieder zu Minako. An ihren dünnen Handgelenken baumelten etliche Armreifen aus geflochtenem Silber und auch an ihren schlanken Fingern steckte jeweils ein mit Perlmutt und Jade besetzter Ring.
Mir kam das Bild des bulligen Stahlmagiers in den Sinn. Wie hatte er nur so eine zierliche Frau angreifen können?
Minako schenkte mir ein Lächeln und fuhr sich spielerisch durch die rote Lockenmähne. »Wie heißt du?«
»A… Ami«, stotterte ich. Nicht einmal meinen Namen brachte ich flüssig zustande.
»Freut mich. Ich bin Minako und das hier«, sie pikste Jake mit ihrem Bleistift in den Arm, »ist Jake.«
Er sah auf und rieb sich die Stelle. »Minako, wofür sollte–« Er verstummte, als seine grünen Augen auf mich trafen.
Habe mich vergessen. Habe mich vergessen.
Auf seinen Lippen breitete sich ein schiefes Lächeln aus, das mir einen Moment die Sprache verschlug. Vielleicht sah er jedes Mädchen so an, das sich vorstellte, redete ich mir ein. Es hat rein gar nichts mit mir …
»Eisprinzessin!«
Oh nein. Meine Hoffnungen waren mit einem Mal zerschlagen. Er hatte mich tatsächlich erkannt. Aber die Art, wie er mich ansprach, vertrieb die Aufregung in mir.
Eisprinzessin. So hatte er mich bereits in der Kutsche genannt und das gefiel mir überhaupt nicht.
»Hallo«, sagte ich kühl und ohne jede Erschütterung in meiner Stimme.
Minakos Augen strahlten, während sie zwischen Jake und mir hin und her sah. »Kennt ihr euch etwa?«
»Nein«, sagte ich, während Jake gleichzeitig mit »Ja« antwortete. Seine Mundwinkel zuckten belustigt und ich verschränkte die Arme vor der Brust. Das waren ja tolle Aussichten auf das Gespräch. Er ging mir bereits jetzt schon auf die Nerven.
»Okay, ist auch nicht so wichtig«, murmelte Minako sichtlich verwirrt und strich sich über ihr trägerloses, honiggelbes Sommerkleid. »Ami, damit ich mir ein Bild von dir machen kann, würde ich dir gern ein paar Fragen stellen. Bist du bereit?«
Ich nickte und versuchte, Jakes Blick zu ignorieren, der eindeutig noch auf mir lag.
»Also Ami, wie alt bist du?«
Das war eine einfache Frage. »Ich bin letzte Woche neunzehn geworden.«
»Sehr gut, das entspricht schon einmal den Anforderungen.« Sie notierte sich etwas auf ihrem Notizblock. »Und woher kommst du?«
»Aus einem kleinen Dorf nahe der Stadt.« Das war eine Lüge. Mein Dorf lag etliche Stunden von Mistress entfernt, aber ich hatte nicht vor, jemandem meine wahre Herkunft zu verraten. Zu groß war die Angst, meine Mutter könnte in irgendeiner Weise kontaktiert werden. Fahrende Händler reden viel, wenn sie auf dem Wochenmarkt sind. Aber wahrscheinlich konnte sie sich denken, wo ich war, auch wenn ich es nicht in meinem Brief erwähnt hatte.
»Und wo genau liegt das Dorf?« Jake stützte das Kinn auf die Handfläche und sah mich neugierig an. In seiner harmlosen Frage schwang eine gute Portion Schärfe mit, die mich misstrauisch machte.
»Es liegt in Denwill«, log ich und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. Kampflos würde ich mich nicht geschlagen geben.
Sein Blick war so intensiv, dass ich Mühe hatte, ihm standzuhalten. Die Flammen loderten gefährlich in seinen Augen. »Interessant. Dort war ich auch schon etliche Male. Welches der schnuckeligen Häuser gehört denn dir?«
So genau hatte ich mir die Lüge nicht zurechtgelegt. Jake musste mir förmlich ansehen, wie mein Gehirn arbeitete, denn sein Lächeln wurde breiter. So ein Idiot. Anscheinend hatte er mich durchschaut. Aber so leicht ließ ich mich nicht beirren.
»Es ist das kleine Häuschen inmitten des Dorfes.«
Minako wollte etwas sagen, doch Jake kam ihr zuvor. Sein Lächeln verriet nichts Gutes.
»Die Häuser in deinem Dorf sind so schön bunt. Mich würde interessieren, welche Farbe wohl dein Haus hat.«
Bitte was?! Welche Farbe mein Haus hat? Das konnte nicht sein Ernst sein. Allmählich ging er mir mit seinen dämlichen Fragen gehörig auf die Nerven. Gereizt funkelte ich ihn an.
»Blau. Kaltes, starres Blau.« Meine Stimme zitterte bereits vor Wut. Ich fühlte mich bloßgestellt und ließ ihn das auch spüren. »Soll ich dir noch erzählen, welche Blumen in unserem Garten wachsen?«
Das Grün in seinen Augen flammte verführerisch auf. »Wenn du möchtest, Eisprinzessin.«
»Ok, ich denke, das genügt uns als Antwort«, schaltete sich Minako endlich ein und warf Jake einen mahnenden Blick zu, bevor sie mit samtweicher Stimme fortfuhr. »Ami, welche Art von Magie besitzt du?«
»Ich kann das Eis bändigen«, presste ich hervor und versuchte, das Verlangen zu ignorieren, Jake auf der Stelle einzufrieren.
Ihre Armreifen klimperten, als sie fröhlich in die Hände klatschte. »Das hatte ich mir schon fast gedacht.« Sie deutete auf meine weißen Haare. »Du bist die erste Eismagierin, die sich seit einer langen Zeit hier bewirbt.«
Die Erste seit einer langen Zeit? Hatten wirklich so wenig Eismagier Interesse daran, bei Blizzard aufgenommen zu werden? Gut, wenn man Jake mit seinen seltsamen Flammen betrachtete, konnte ich es irgendwie nachvollziehen.
Jake verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Der Stoff seiner Ärmel spannte um seinen Bizeps. »Dann erteile uns doch eine kleine Kostprobe deiner mächtigen Kräfte, Eisprinzessin.«
Ich schluckte den Zorn, den ich über meinen Kosenamen verspürte, herunter. Ebenso die Tatsache, dass in seiner Aufforderung mehr Sarkasmus mitschwang, als mir lieb war. Ich würde es ihm schon beweisen, wozu eine Eismagierin fähig war. Er würde schon sehen.
Ich nickte schließlich und konzentrierte mich auf die Aufgabe, die vor mir lag. Das Eis beschwören. Das konnte ich. So oft hatte ich es heimlich im Wald geübt.
Ich atmete tief ein und ließ die Kälte durch meine Adern fließen, bis meine Fingerspitzen anfingen zu kribbeln. In meinen Gedanken stellte ich mir etwas Schönes vor, das ich Minako überreichen wollte. Sie liebte Schmuck, vielleicht würde sie auch Blumen lieben? Ein Versuch war es wert.
Jake würde mit leeren Händen auskommen müssen – oder mit eingefrorenen. Letzteres zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.
Kleine Eiskristalle wirbelten durch die Luft und formten sich zu einer Rose aus purem, schimmernden Eis. Doch ehe ich Minako die Rose überreichen konnte, quietschte Holz über den Marmorboden.
Jake stand auf und ging um den Tisch herum. Langsam wie eine Raubkatze kam er auf mich zu. Seine Hose hing ihm tief auf der Hüfte und das weiße Hemd schmiegte sich um jeden seiner antrainierten Muskeln.
Hitze durchflutete meinen Körper, als ich mich beim Starren erwischte. Was tat ich hier nur? Oder besser, was tat er hier?
Jake war mir so nah, dass ich unbehaglich einen Schritt zurückwich. Er trat einen vor und ich einen zurück. Die grünen Flammen in seinen Augen loderten gefährlich, anziehend, fordernd. Und ich war kurz davor, mich in ihnen zu verlieren.
Auf einmal stieß ich mit meinen Oberschenkeln gegen einen harten Widerstand. Mit der freien Hand ertastete ich meine Blockade, ohne Jake dabei aus den Augen zu lassen.
Der Tisch. Ich hatte mich tatsächlich um meine eigene Achse gedreht. Die Kante drückte sich in meine Haut, als ich mich zurücklehnte. Jake blieb direkt vor mir stehen und beugte sich vor. Uns trennte nur noch eine Handbreite voneinander. Der herbe Geruch eines Herbststurms erfüllte meine Sinne, meine Gedanken, nahm alles von mir ein.
Die Luft zwischen uns fing an zu knistern, wie Eis, das auf Feuer traf. Jake umfasste meine Hand, in der die Rose lag. Meine Haut kribbelte wohlwollend unter seiner Berührung. Und dann löste sich die Rose zischend in Wasser auf und klatschte zu Boden. Dichter Dampf breitete sich zwischen uns aus.
Wie hatte er mein Eis schmelzen können, ohne eine seiner Flammen zu benutzen? Verwirrt starrte ich auf die Pfütze und streichelte mir gedankenverloren über die Stelle, die er eben noch berührt hatte. Meine Haut kribbelte noch immer.
Jake beugte sich vor, sein Gesicht trat durch den Dunst. Er legte seine Lippen an mein Ohr und sein Atem strich zärtlich über meine Haut. »Verschwinde von hier«, hauchte er. »Blizzard ist nichts für dich.«
Mit diesen Worten und einem klopfenden Herzen ließ er mich stehen. Ich blickte ihm nach, bis sich der Dunst zwischen uns aufgelöst hatte.
Mit jedem Schritt, den er sich von mir entfernte, wurde mir die Bedeutung seiner Worte bewusster. Ich starrte zur Pfütze, dann wieder zu ihm. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er konnte doch nur mein Eis zum Schmelzen bringen, weil er mich mit seiner Nähe aus dem Konzept gebracht hatte. Deshalb durfte ich nicht bei Blizzard aufgenommen werden? Deshalb sollte ich verschwinden?!
So ein Idiot. So ein dämlicher, arroganter Vollidiot! Ich wollte ihm hinterher stapfen, ihm noch eine Kostprobe meiner Kräfte demonstrieren, die nichts mehr mit bezaubernden Rosen zu tun hatte, da gab mir Minako ein Zeichen.
»Einen Moment, Ami«, rief sie mir zu, als würde sie die Attacke vorausahnen, die ich mir in meinem Kopf zurechtgelegt hatte. »Ich müsste kurz mit Jake sprechen.« Dann griff sie nach seinem Oberarm und zog ihn einige Meter weg. Sie flüsterten, trotzdem bekam ich ein paar Gesprächsfetzen mit: Idiot. Eis. Weißes Haar. Idiot. Meister. Egoist. Idiot.
Also war ich nicht die Einzige, die ihn für einen Idioten hielt. Diese Erkenntnis zauberte mir zum ersten Mal seit langem ein aufrichtiges, breites Lächeln auf die Lippen. Und so wie es aussah, setzte Minako sich in diesem Moment sogar für mich ein. Das machte sie umso sympathischer. Aber Jakes Miene war unergründlich, kalt und distanziert.
Ich wendete meinen Blick ab und erstarrte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich zu der Menge gewandt stand. Wütende, eifersüchtige und mitfühlende Gesichter musterten mich gleichermaßen. Sogar Ted sah erschüttert aus und sein Mund klappte wie bei einem Fisch auf und zu. Allem Anschein nach war ich zur Hauptattraktion des Tages gekürt worden und hatte den aggressiven Stahlmagier vom Thron gestoßen. Na klasse.
Ich wirbelte herum, als die Stimmen von Jake und Minako wieder lauter wurden.
»Aber Jake«, rief Minako ihm nach, als er sich von ihr abwandte und in meine Richtung schlenderte.
»Das ist mir egal«, sagte er genervt und kam auf mich zu. Anscheinend war das Gespräch unglücklich verlaufen. Sie hatte ihn nicht umstimmen können.
Dieses Mal wich ich nicht zurück. Ich trat einen Schritt nach vorne. Was ich genau sagen wollte, wusste ich nicht. Ihn anflehen, mir noch eine Chance zu geben? Ihm Beleidigungen an den Kopf werfen?
Letzteres hätte mir eindeutig besser gefallen als das, was nun von meinen Lippen kam.
»Bitte«, krächzte ich. »Lass mich beweisen, dass ich doch in diese Gilde –«
»Eisprinzessin.« Seine Augen flammten erneut auf. »Du kannst mich nicht umstimmen. Und sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Ich wünsche dir eine gute Heimreise nach Denwill.« Er betonte dabei Denwill so stark, dass ich wusste, dass er mir nicht geglaubt hatte. Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. Wenn ich seinen Arm berühren würde, könnte ich ihn einfrieren. Verdient hatte er es allemal. Aber ich warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu, drehte mich um und ging, ehe ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
»Du kannst nächstes Jahr wiederkommen«, rief Minako mir hinterher, doch ich erwiderte nichts. Was würde mir das nächste Jahr nützen? Solange Jake in der Gilde war, würde ich niemals aufgenommen werden, ganz gleich, wie viele Jahre vergingen.
Ich lief an der Schlange vorbei und ignorierte die Blicke, die mir die Magier zuwarfen. Meine Aufmerksamkeit war starr auf den Boden gerichtet.
»Ami«, hörte ich Ted hinter mir rufen, doch ich blieb nicht stehen. Ich wollte mit niemandem sprechen, wollte nur weg. Meine Tränen sammelten sich in meinen Augen, verschleierten mir die Sicht.
Plötzlich stieß ich gegen etwas Robustes und taumelte einige Meter zurück. Gerade noch fand ich mein Gleichgewicht wieder, bevor ich auf den glänzenden, harten Marmorboden gefallen wäre.
»Verzeihung«, murmelte eine sanfte Stimme. Ich blinzelte die Tränen davon und starrte in das Gesicht eines Mannes, gegen den ich anscheinend gelaufen war. Seine Haare waren an den Seiten ergraut und neben den Falten prägte eine breite, wulstige Narbe die Hälfte seines Gesichtes. Sie fing an der Stirn an, verlief über sein rechtes Auge, das er geschlossen hielt, und endete an seinem Kieferknochen. Wer hatte ihm bloß so eine schlimme Narbe verpasst?
Als sich unsere Blicke trafen, weitete sich sein gesundes Auge und seine Brauen schossen in die Höhe. Es war, als würde er ein Gespenst in mir sehen. Wie seltsam. Und doch war ich nicht in der Verfassung, mich darüber zu wundern.
»Tut mir leid«, stammelte ich und lief an dem seltsamen Herren vorbei, lief durch den langen Korridor, aus dem Gebäude und die unzähligen Stufen hinunter. Einige Magier kamen mir entgegen, die nur fragend die Stirn runzelten. Ich ignorierte sie und lief einfach weiter.
In der Stadt ließ ich mich in einer schmalen Gasse gegen eine Hausmauer fallen. Und als ich es realisierte, als ich meine Gedanken zuließ, konnte ich meine Tränen nicht mehr unterdrücken.
Mein Traum war zerplatzt.
Mit angewinkelten Beinen hockte ich noch immer auf dem Boden. Die Sonne verschwand bereits hinter den Dächern der Stadt und ein Schatten – kalt und erbarmungslos – legte sich über die Gasse.