Sweet Poison. Tödliche Magie - Kate Jans - E-Book
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Kate Jans

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Beschreibung

**Die Gabe des Gifts**  Wie alle Mitglieder des Clans »Grüner Efeu« besitzt Anastasia die magische Gabe, Gift zu erzeugen. Und obwohl sie dadurch eine unglaubliche Macht in ihren Händen hält, weigert sie sich seit einem tragischen Unfall vor sechs Jahren, ihre Kräfte erneut einzusetzen. Als aber ein Serienkiller die Magierwelt in Aufruhr versetzt, ist ausgerechnet Ana eine der Auserwählten, die ihn fassen soll. Sie ist nicht nur gezwungen, in das gefährliche Manhattan zu reisen, sondern auch mit Elias zusammenzuarbeiten, der sie abgrundtief zu hassen scheint. Doch ausgerechnet er löst ein Prickeln bei ihr aus, dem sie sich einfach nicht entziehen kann …  Textauszug:  Der Kerl war ein wandelndes Bad-Boy-Klischee. Tattoos? Check. Arrogante Art? Check. Raue Stimme? Check. Fehlte nur noch ein Motorrad. Obwohl … Sein Geländewagen hatte getönte Scheiben, also passte auch der ins Schema.  Magische Clans, dunkle Verschwörungen und eine Liebe, die Hass und Vorurteile überwindet. Lass dich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln!  //»Sweet Poison« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Kate Jans

Sweet Poison. Tödliche Magie

**Die Gabe des Gifts**

Wie alle Mitglieder des Clans »Grüner Efeu« besitzt Anastasia die magische Gabe, Gift zu erzeugen. Und obwohl sie dadurch eine unglaubliche Macht in ihren Händen hält, weigert sie sich seit einem tragischen Unfall vor sechs Jahren, ihre Kräfte erneut einzusetzen. Als aber ein Serienkiller die Magierwelt in Aufruhr versetzt, ist ausgerechnet Ana eine der Auserwählten, die ihn fassen soll. Sie ist nicht nur gezwungen, in das gefährliche Manhattan zu reisen, sondern auch mit Elias zusammenzuarbeiten, der sie abgrundtief zu hassen scheint. Doch ausgerechnet er löst ein Prickeln bei ihr aus, dem sie sich einfach nicht entziehen kann …

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Vita

Danksagung

© privat

Kate Jans wurde 1993 in Hamburg geboren. Inspiriert von ihren liebsten Büchern begann sie 2008 mit dem Schreiben ihrer eigenen Geschichten. Notizbücher und Caramel Macchiatos sind seitdem ihre treuen Wegbegleiter. In ihrer Freizeit zeichnet die Autorin digitale Bilder, ist als Make-up Artistin tätig, schaut Serien (am liebsten Animes) und führt auf Instagram einen Account rund um Bücher, das Schreiben und den alltäglichen Wahnsinn.

Für LeoniGlaub an dich. Du bist wundervoll.

PROLOG

»Geh mir aus dem Weg, Giftnatter!«

Madison hatte die Worte kaum ausgesprochen, da spürte ich auch schon ihren spitzen Ellenbogen zwischen meinen Rippen. Ich sog scharf die Luft ein, stolperte zur Seite und knallte mit der Hüfte gegen einen der Tische. Sofort stöhnten die Mitglieder des Weißen Achats auf, so als wäre ich absichtlich gegen ihren dämlichen Tisch gelaufen.

Ich wurde geschubst, hätte ich am liebsten geschrien, schluckte die Worte aber herunter. Es brachte sowieso nichts.

Mein Gesicht glühte vor Wut und Scham, während ich zusah, wie Madison ihr schwarzes, geflochtenes Haar nach hinten warf und meinen Platz in der Schlange einnahm.

Im Raum wurde es still. Unzählige Blicke klebten an mir. Jeder hatte es mitbekommen, aber keiner der anderen Schüler sagte etwas. Natürlich nicht. Das taten sie nie, wenn Madison Woods mich schikanierte. Sie war die Königin der St. Argentum School, wurde vergöttert, geliebt und vor allem gefürchtet. Diese Mischung machte sie nahezu unantastbar. Sogar die Jungs aus den höheren Klassen gingen ihr aus dem Weg, aus Angst, sie könnte es ihrem älteren Bruder erzählen. Keiner wollte selbst als Opfer dastehen, vielleicht weil sie alle im Wohnkomplex der Schule übernachten mussten. Sie reisten aus allen Teilen der Welt an, um auf die renommierteste Schule für Magier zu gehen. Ich jedoch hatte das Privileg, dass meine Eltern hier in der Nähe arbeiteten und ich nach dem Unterricht einfach nach Hause konnte. Verständlich also, dass man keine Lust hatte, seine Zahnbürste im Klo wiederzufinden oder mit abrasierten Haaren aufzuwachen. Trotzdem wünschte ich mir manchmal etwas Hilfsbereitschaft. Und wenn es nur ein Wort war. Irgendwas. Aber auch heute waren die anderen still.

Mit geballten Fäusten stampfte ich auf Madison zu. Sie verfolgte meine Schritte wie eine Löwin. Ihre roten Lippen verformten sich zu einer fiesen Grimasse.

»Möchtest du mir etwas sagen, Natter?«, fragte sie mit honigsüßer Stimme.

Natter. Diesen Spitznamen hatte sie mir wegen meiner Gabe verpasst. Als könnte ich etwas dafür, dass ich in den Grünen Clan hineingeboren worden war. Gäbe es die Möglichkeit, meine Magie gegen eine andere zu tauschen, hätte ich sie schon längst ergriffen, aber das war unmöglich. Man konnte seine Kräfte nicht umtauschen wie ein zu enges Paar Schuhe.

»Das ist mein Platz, Spinne.« Meine Stimme vibrierte. »Stell dich hinten an, wie jeder andere auch.« Ich deutete ans Ende der Schlange.

Ihre beste Freundin Amber ließ neben meinem Ohr ihre Kaugummiblase platzen. »Wie redest du mit Madison? Hast du vergessen, woher sie stammt? Wer sie ist?«

Ein leises Schnauben entfuhr mir. Nein, wie sollte ich? Jeden Tag wurde es mir aufs Neue unter die Nase gerieben, wenn ich den Klassenraum betrat. Sie gehörte der Schwarzen Witwe an, einem gefährlichen Clan, dessen Aufgabe allein darin bestand, Verbrecher zu jagen, die gegen das Magische Gesetz verstießen.

Hunter. So nannte man sie. Sie waren skrupellos. Eiskalt. Und es wäre wohl das Beste, ich hätte genauso viel Respekt vor Madison wie die anderen. Aber aus irgendeinem Grund ging mir ihre Herkunft ziemlich am Arsch vorbei. Hunter hin oder her, ich würde nicht klein beigeben, während sie mich fertigmachte. Das konnte sie vergessen!

Ich lachte bitter und bewegte meine Hände in Ambers Richtung. Sie wich sofort zurück. Auch die Schüler um uns herum rückten von uns ab. Sie mieden mich, aus Angst, ich könnte sie mit meinen Fingernägeln vergiften.

Nur Madison stand wie angewurzelt da. »Wovor fürchtet ihr euch?« Sie griff nach meinem Handgelenk und hielt meinen Arm in die Höhe, als wäre er ein Siegerpokal. »Sie trägt Handschuhe, Leute. Kein Grund zur Panik. Sie ist so gefährlich wie ein Hund mit Maulkorb.«

Ich erstarrte, während alles in mir brannte. Aus Scham, aber auch aus Wut, weil Madison recht hatte. Keiner der anderen Schüler musste seine Magie verstecken. Ich bildete mal wieder die Ausnahme.

Ich hasste Madison Woods! Ich hasste diese Schule! Und ich hasste meine Gabe!

Madison beugte sich vor. Ihre grauen Augen waren kalt wie Beton. »Weißt du, was dein Problem ist? Du atmest! Tu uns allen einen Gefallen und hör auf damit.«

Ihre Worte waren wie ein Weckruf. Im nächsten Moment gewann ich meine Fassung zurück und entriss mich ihrem Griff. Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt, weil ich mich so von ihr provozieren ließ.

Ich beugte mich ebenfalls ein Stückchen vor und setzte ein bittersüßes Lächeln auf. »Du kannst mir auch einen Gefallen tun.« Ich deutete auf ihre Zähne. »Du hast da Lippenstift. Nicht sehr prinzessinnenhaft.«

Sie knurrte und hielt sich ihre Hand vor den Mund. Das war mein Stichwort. Ich griff nach meinem Rucksack, der bei dem Stoß auf den Boden gefallen war, und verließ die Cafeteria. Obwohl ich wirklich schrecklichen Hunger hatte, wollte ich keine Sekunde länger in der Cafeteria bleiben. Madison war jetzt erst recht in Fahrt gekommen und wie ich sie kannte, würde sie gleich vollkommen ausrasten. Meine Eltern waren dieses Jahr schon mehrmals in die Schule berufen worden, weil Madison und ich uns so lautstark gestritten hatten, dass sich Lehrer einschalten mussten. Der enttäuschte Gesichtsausdruck meiner Mutter war jedes Mal kaum zu ertragen. Von meinem legendären Vorschlag, mich privat unterrichten zu lassen, wollte sie nichts hören. Dabei war meine Idee genial. Keine Madison mehr, die mir ständig auf den Keks ging. Etwas Schöneres konnte ich mir kaum vorstellen!

Apropos Madison. In diesem Moment konnte ich ihren stechenden Blick förmlich zwischen meinen Schulterblättern spüren. Hätte sie die Fähigkeit, Pfeile mit ihren Blicken zu verschießen, wäre ich bereits bei unserer Einschulung elendig gestorben. Aber dazu war sie glücklicherweise nicht in der Lage. Pech gehabt, Prinzessin!

Als ich den leeren Schulhof betrat, wurde der Druck auf meiner Brust schwächer. Zum ersten Mal, seit der Unterricht heute Morgen angefangen hatte, konnte ich durchatmen. Leider gab es solche Tage viel zu häufig. Ich konnte es kaum erwarten, meinen Abschluss in der Tasche zu haben und diesen Ort nie wieder betreten zu müssen.

Ich lief über den Sportplatz, an der Tribüne vorbei bis zu dem angrenzenden Wäldchen. Erschöpft ließ ich mich ins Gras fallen, streifte meine Handschuhe von den Fingern und lehnte meinen Kopf gegen den Stamm meines Lieblingsbaumes. Der Ahorn war das Wahrzeichen unseres Staates Vermont. In Montpelier gab es kaum eine andere Baumart und googelte man unser Städtchen, so bekam man die Ahorne in den schönsten Farben zu sehen. Natürlich färbten sich die Blätter nur im Herbst für wenige Wochen so bunt, trotzdem lockte es viele Touristen in unser Land.

Ich lehnte den Rucksack gegen eine herausragende Wurzel und öffnete den Reißverschluss, um das Schachbrett herauszuholen. Vorsichtig untersuchte ich es und atmete erleichtert auf, als ich keine Schäden feststellen konnte. Ein Glück, es war nicht kaputtgegangen. Ich breitete das Brett vor mir aus und platzierte die Figuren auf den richtigen Feldern.

Für viele war Schach etwas für Nerds. Für mich war es eine Flucht aus meinem Leben. Ein Rückzugsort. Man verlor sich in dem Spiel wie Alice in ihrem Wunderland.

Als ich sieben war, hatte mein Großvater mir das Schachspielen beigebracht. An dem Tag war ich das reinste Nervenbündel gewesen, weil meine Eltern wieder keine Zeit für mich hatten. Sie waren begnadete Wissenschaftler, die die meiste Zeit in ihrem Labor verbrachten, um Gegenmittel für giftige Schlangenbisse herzustellen.

Damals machte mir mein Großvater eine heiße Schokolade, holte das Schachbrett heraus und erklärte mir die Regeln. Von da an spielten wir beinahe täglich gegeneinander. Er gewann fast jede Partie. Wir hatten ein wunderbares Verhältnis und er war immer für mich da, wenn ich jemanden zum Reden brauchte. Letztes Jahr im Frühling starb er an Herzversagen. Verkalkte Blutgefäße, hatte meine Mutter gesagt, als sie mich weinend in die Arme nahm. Es war der schlimmste Tag in meinem Leben gewesen, aber ich war froh, dass ich mich überwunden hatte auf seine Beerdigung zu gehen. Statt einer Rose hatte ich den König in sein Grab geworfen.

Ich lächelte traurig bei der Erinnerung an ihn und stellte die letzte Figur auf das schwarze Feld.

Ein Schatten breitete sich über mir aus und im nächsten Moment tauchten abgetragene dunkelblaue Converse in meinem Blickfeld auf. Ein Stern war mit einem schwarzen Edding ausgemalt worden und vorne auf der weißen Stelle prangte ein rosafarbener Kussmund. Das Mädchen, das diese dreckigen Schuhe geküsst hatte, musste verrückt gewesen sein. Verrückt, verliebt oder betrunken. Vielleicht sogar alles zusammen.

»Ist hier noch frei?« Die Stimme klang weich und männlich. Anders als die Jungen aus meiner Klasse, die mitten im Stimmbruch waren und sich anhörten wie quietschende Gummienten. Der Kerl trug eine verwaschene Hose und seine Hände steckten in der Tasche seines schwarzen Hoodies, auf dem das Wort »Hangry« in übergroßen Buchstaben geschrieben stand. Irgendwie witzig, dachte ich, ließ mir aber nichts anmerken. Er sollte bloß nicht denken, dass ich die Nächste war, die ihm die Schuhe küsste.

Als ich mein Kinn reckte, um sein Gesicht zu betrachten, blendete mir die Sonne entgegen. Enttäuscht wandte ich mich ab. Mir konnte es im Grunde egal sein, wie der Kerl aussah – es spielte sowieso keine Rolle. Trotzdem kribbelte es in meiner Magengegend. Ich betete, dass es nur Bauchschmerzen waren, weil ich nichts gegessen hatte. Alles, bloß keine Schmetterlinge!

Die Sekunden verstrichen, aber der Typ machte keine Anstalten zu gehen. Seltsam. Eigentlich kam nie jemand hierher. Ich hatte das kleine Wäldchen immer für mich allein. Es fühlte sich an, als wäre der Typ mitten in mein Zimmer geplatzt, ohne vorher an die Tür zu klopfen.

»Hast du schon mal was von Privatsphäre gehört?«, fragte ich genervt. Meine Laune war offiziell am Tiefpunkt angelangt. Es war mir egal, dass ich mich wie ein pubertierender Teenager anhörte, denn genau das war ich! Ein hungriges, gereiztes dreizehnjähriges Mädchen!

»Ich wusste nicht, dass der Wald dir gehört«, sagte er. »Tut mir leid, dich gestört zu haben.«

In dem Moment, als er sich umdrehte und zurück zum Schulgebäude ging, bereute ich meine pampige Art. »Warte«, rief ich und wunderte mich selbst über meinen plötzlichen Sinneswandel. »Du kannst dich setzen, wohin du willst.«

Er blieb stehen. Ganz langsam kam er auf mich zu, so als würde er darauf warten, dass ich mein Angebot doch noch zurückzog. Aber als ich nichts weiter erwiderte, ließ er sich direkt mir gegenüber ins Gras fallen. Dann schlug er seine Kapuze zurück und wuschelte sich durch sein wirres Haar, das die Farbe von salzigen Lakritzbonbons hatte.

Als sich unsere Blicke begegneten, stockte mein Atem. Ich kannte den Jungen. Er war drei Jahrgänge über mir und der mit Abstand begehrteste Junge unserer Schule. Seine magische Kraft übertraf die der anderen Schüler bei Weitem.

Ich betrachtete sein Gesicht. Seine Haut war gebräunt, die Nase gerade und schön. Mit seinen kantigen Gesichtszügen raubte er vielen Mädchen den letzten Nerv. Jedenfalls las ich jede Woche neue Geschichten über ihn an den Wänden der Mädchentoilette, weil er wieder eine hatte abblitzen lassen.

Trotzdem sah man ihn nie mit Freunden. Er war ein Außenseiter. Jemand, der das Alleinsein mochte und es nicht für nötig hielt, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Nur mit seiner Schwester verbrachte er manchmal Zeit. Die Schwester, die mir rein zufällig das Leben zur Hölle machte. Fuck.

»Ich bin Jaden Woods. Mitglied der Schwarzen Witwe«, stellte er sich unnötigerweise vor, so als wüsste nicht die gesamte Schule, wer er war und zu welchem gefährlichen Clan er gehörte. Im Mittelalter war die Schwarze Witwe für ihre vielen Attentate bekannt gewesen. Und auch wenn sie heutzutage für die Goldene Krone arbeiteten und Verbrecher jagten, genossen sie kein gutes Ansehen. Erst letzte Woche hatten wir den Magischen Krieg durchgenommen, der vor mehr als fünfhundert Jahren stattgefunden hatte. Während sich alle anderen Clans der Goldenen Krone unterworfen hatten, hatte die Schwarze Witwe bis zum Schluss Widerstand geleistet. Am Ende brachte es ihnen nichts außer Tod und Verderben. Seither galten für sie besondere Auflagen. Eine davon war, als Hunter zu arbeiten. Dafür genossen sie von klein auf eine spezielle Ausbildung, die irgendwo in Litauen stattfand. Es war also eine Sensation gewesen, als er und seine Schwester auf unsere Schule kamen.

»Ich heiße Anastasia Emily Corwell. Grüner Efeu.« Ich wusste nicht, warum ich meinen vollen Namen nannte. Aber diese Situation war so absurd. Was wollte er von mir?

Er musterte mich interessiert. Dann hielt er mir seine Hand entgegen. »Freut mich sehr, Ana.«

Einige Sekunden schwebte seine Hand über dem Schachbrett, das sich zwischen uns befand. Ich starrte sie wortlos an, ohne sie zu ergreifen. Hatte er mir nicht zugehört?

»Grüner Efeu«, wiederholte ich meine Worte mit Nachdruck und hob meine Augenbrauen so hoch, dass sie bereits in meinem karamellbraunen Haaransatz verschwinden mussten.

»Das erwähntest du schon, aber da, wo ich herkomme, gibt man sich zur Begrüßung die Hand.«

»Und da, wo ich herkomme, meidet man mich.« Ich wackelte mit den nackten Fingern. »Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest. Ich bin giftig.«

Und das war nicht gelogen. Jeder Magier meines Clans hatte die Gabe, Gift zu erzeugen. Einige durch ihren Speichel, andere durch ihre Zähne oder – wie in meinem Fall – durch die Fingernägel. Zwar waren wir nur giftig, wenn wir unsere Magie entfachten, aber gefährlich war es trotzdem. Jedenfalls bei mir. Als Tochter des Clanoberhaupts war meine Magie am mächtigsten. Kein anderer Mitschüler des Grünen Efeus musste diese dämlichen Handschuhe tragen.

Jaden sah mich so intensiv an, dass ich Mühe hatte, seinem Blick standzuhalten. Das Grau seiner Augen wirkte dunkel, wie ein Stein, der nass geworden war. »Verstehe«, murmelte er und ließ die Hand endlich sinken. Beinahe hätte ich vor Erleichterung aufgeatmet. Der Kerl war wirklich hartnäckig.

Ich wartete darauf, dass er aufstand und verschwand, aber das tat er nicht. Stattdessen kramte er einen Apfel aus seinem Rucksack und rollte ihn zu mir herüber. Als wäre ich ein wildes Tier, das gezähmt werden musste.

Ich rollte den Apfel wieder zurück. Er tat dasselbe. »Du kannst ihn haben, wenn du möchtest. Ich bin satt.«

»Dann iss ihn doch einfach, wenn du wieder hungrig bist.«

»Aber dann habe ich keine Lust mehr darauf. Ich bin ziemlich wählerisch.«

Ich runzelte die Stirn und hob den Apfel vorsichtig auf. Nachdenklich drehte ich ihn hin und her. Etwas von Madisons Bruder anzunehmen war, als würde ich dem Feind meine Seele verkaufen. Andererseits knurrte mir der Magen, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Vielleicht hatte er gesehen, dass seine Schwester mich aus der Schlange geschubst hatte und ich ohne Mittagessen hinausgestürmt war? War er mir deshalb hierher gefolgt, weil er Mitleid hatte?

Mein Stolz schrie mich förmlich an, den Apfel gegen seinen hübschen Kopf zu werfen. Aber ich hatte Hunger und war tatsächlich dankbar irgendwas Essbares zu haben. Also polierte ich den Apfel mit dem Ärmel meiner Jeansjacke und biss hinein. Ich spürte Jadens Blick auf mir, aber als ich aufsah, betrachtete er lächelnd das Schachbrett.

Eine schwarze Strähne fiel ihm dabei in die Stirn. »Ich habe noch nie ein Mädchen gesehen, das gegen sich selbst Schach spielt. Das ist irgendwie …«

»Erbärmlich? Traurig? Lächerlich?«

»Faszinierend«, korrigierte er mich.

Ich hörte einen Moment auf zu kauen, weil mich seine Antwort so überraschte.

»Kann ich mitspielen?«

Ich sah mich um, konnte Madison aber nirgends entdecken. »Deine Schwester wird nicht begeistert sein, dass wir miteinander reden.« Und das war noch untertrieben. Madison hasste mich abgrundtief. Ich zählte eins und eins zusammen. »Möchtest du ihr eins auswischen, weil du dich mit mir unterhältst?«

Er betrachtete weiterhin das Schachbrett, aber seine Mundwinkel zuckten belustigt. »Vielleicht. Vielleicht macht es mir aber auch einfach nur Spaß, dich im Schach plattzumachen.«

Ich hob eine Augenbraue. Er spielte mit mir und damit meinte ich nicht Schach. Ich hätte ihm den Apfel wirklich gegen seinen Kopf werfen sollen. Madison würde mich umbringen, wenn sie uns zusammen sah. Ich war sowieso schon ihr liebstes Opfer. Warum sollte ich sie dann noch zusätzlich provozieren?

»Das Leben ist voller Entscheidungen«, hatte meine Mutter vorgestern zu mir gesagt, als ich mich zwischen einem Himbeer- und einem Schokoladeneis nicht entscheiden konnte. Nur dass das hier keine Eissorte war. Das war mehr.

Ich biss ein weiteres Mal von dem Apfel ab. Die süße Flüssigkeit breitete sich wie Gift in meinem Mund aus. Schließlich sah ich meinem Verderben tief in die Augen und setzte den ersten Zug. »Weiß beginnt.«

***

Die Zeit verflog schneller, wenn man glücklich war. Jedenfalls kam es mir so vor, seit ich vor einigen Wochen Jaden begegnet war. Es fühlte sich an, als würde er eine Fernbedienung in den Händen halten, die mein Leben steuerte. Außerhalb der Schule verlangsamte sich die Zeit ins Unerträgliche, während sie bei unseren Treffen nur so dahinraste. Ich wünschte, es wäre genau umgekehrt.

Ich starrte auf das Schachbrett, das sich zwischen uns im Gras befand. Als könnte ich mithilfe meiner Gedanken seinen nächsten Zug beeinflussen. Setz das Pferd oder einen der Bauern. Aber nicht den schwarzen Läufer, bloß nicht den schwarzen –

»Schachmatt«, sagte er triumphierend, während er mit seinem Läufer meinen König vom Spielfeld beförderte.

Ich verschränkte beleidigt die Arme und warf ihm einen Wer’s-glaubt-wird-selig-Blick zu. »Du hast geschummelt. So schnell wurde ich noch nie besiegt.«

»Schummeln? Ich? Das würde ich nie wagen.« Jaden lachte und zwinkerte mir zu. »Es gibt immer ein erstes Mal, Babe. Vielleicht hast du einfach deinen Meister gefunden.«

»Als ob.« Die Worte kamen zu schnell über meine Lippen. Babe. So nannte er mich manchmal, als wären wir nicht bloß Freunde. Hoffentlich sah er mir nicht an, wie sehr er mich mit diesem kleinen Wort durcheinanderbrachte.

»Das war pures Glück«, fügte ich kleinlaut hinzu. »Früher wäre mir so ein Fehler nie unterlaufen.«

»Und warum passiert er dir jetzt?«, fragte er neugierig und krempelte sich die Ärmel seines Hoodies über die gebräunten Unterarme.

»Ich war abgelenkt«, murmelte ich und versuchte dabei so gleichgültig wie möglich zu klingen. »Mein Magen knurrt schon seit einer halben Stunde.«

»Sag das doch gleich.« Jaden zog zwei eingepackte Brote aus seiner Tasche. »Käse oder Nussnougat?«

Am liebsten hätte ich vor Erleichterung geseufzt. Wie es aussah, glaubte er mir tatsächlich. Obwohl, ganz gelogen war es nicht, ich hatte wirklich Hunger. Schließlich aß ich nur noch selten in der Cafeteria zu Mittag, um noch mehr Zeit mit Jaden zu verbringen zu können. So weit, so gut, wenn ich nicht mindestens zweimal die Woche mein Essen zu Hause vergessen würde.

Ich sah hin und her und zeigte schließlich auf das Nussnougatbrot. Jaden nickte zustimmend. »Gute Wahl.«

Ich stellte mich darauf ein, dass er es mir rüberwarf, aber er hielt es mir entgegen. Das tat er jedes Mal, wenn er mir etwas mitbrachte. Langsam müsste ich mich doch daran gewöhnen, dass es auch jemanden gab, der keine Angst vor meiner Nähe hatte. Vor meinen Berührungen.

Während ich das Brot verschlang, sah ich zum Schulgebäude. Es war Mittagspause und in einiger Entfernung gingen andere Schüler über das Gelände, eingehakt, lachend. Und eins hatten sie alle gemein – sie blickten zu uns herüber.

Sie waren neugierig. Niemandem auf der Schule war entgangen, dass wir uns in jeder Mittagspause trafen. Zwei Einzelgänger, die sich gefunden hatten. Ich, die sich Freunde wünschte, aber keine bekam. Und Jaden, der jeden als Freund haben könnte, aber niemanden wollte. Niemanden außer mir. Die Tatsache bescherte mir Bauchkribbeln.

»Die Leute werden immer einen Grund haben, über uns zu reden«, sagte er und knüllte das Papier seines Brotes zusammen, um es in seine Tasche zu stopfen. »Ob wir nun Freunde sind oder nicht.«

Ich nickte lächelnd. Früher hatte ich immer gedacht, allein zu sein wäre okay, würde mir nichts ausmachen. Aber jetzt, wo ich Jaden hatte, sah ich erst, wie falsch ich gelegen hatte. Es war schön, mit jemandem zu reden. Es war schön, einen Freund zu haben.

»Wie läuft es mit meiner Schwester?«, fragte er plötzlich.

Das Lächeln auf meinen Lippen verschwand. Ich ließ das Brot sinken. »Wie meinst du das?« Doch als ich die Worte ausgesprochen hatte, fiel der Groschen. Madison ärgerte mich seit Wochen nicht mehr. Seit Jaden und ich uns täglich in der Mittagspause oder nach der Schule zum Schachspielen verabredeten.

»Ich habe ihr gesagt, dass sie netter zu dir sein soll«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage.

»Du hast was getan?!« Mir klappte der Mund auf. Jetzt würde mich Madison erst recht auf dem Kieker haben. Ich konnte in ihren Augen sehen, wie wütend sie war, wenn sich unsere Blicke kreuzten. Angestaute Wut, die nur darauf wartete, entfesselt zu werden.

»Ich möchte deine Hilfe nicht! Du brauchst dich nicht einmischen.« So nett er es auch meinte, er würde alles nur noch schlimmer machen. Dafür kannte ich Madison gut genug. Mein Gesicht klebte hundertprozentig bereits auf einer Dartscheibe, auf die sie täglich wutentbrannte Pfeile abfeuerte.

Er stellte die Figuren wieder auf das karierte Brett. Die Dame behielt er in der Hand, drehte und wendete sie. »Madison kann echt anstrengend sein. Das weiß ich am besten, schließlich ist sie meine Schwester. Aber sie hat auch ihre guten Seiten.«

»Und die wären?« Ich hob eine Augenbraue, weil ich mir Madison in keiner Hinsicht gut vorstellen konnte. Lieber würde sie kleine Welpen treten, als anderen zu helfen oder auch nur im Ansatz nett zu sein.

Jaden schmunzelte. »Niemand hat nur schlechte Seiten. Wir sollten mal zu dritt abhängen. Vielleicht lernt ihr euch dann besser kennen und –«

»Auf gar keinen Fall!«, fiel ich ihm ins Wort. Als ob ich freiwillig mit diesem Miststück meine Zeit verbringen würde. Vorher würde Hekate auferstehen – und zur Info – das würde niemals passieren.

Jaden setzte die Dame auf das Schachbrett. Dabei schüttelte er grinsend den Kopf. »Ihr habt euch echt nicht gern, was? Aber glaub mir, vor dem Tod unserer Eltern war Madison wirklich netter. Du hättest sie gemocht.«

Ich erstarrte. »Eure Eltern sind … tot?« Das war mir tatsächlich neu. All die Wochen, in denen wir unsere Zeit zusammen verbracht hatten, hatte ich ihn nie nach seiner Vergangenheit gefragt. Ich war einfach davon ausgegangen, dass seine Eltern wie die der anderen Schüler am anderen Ende der Welt lebten und ihm täglich eine Nachricht schrieben oder anriefen.

Als er nicht antwortete, plapperte ich drauf los. »Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten …«

Er lächelte schwach. »Ach, schon gut. Es ist lange her. Manchmal vergesse ich sogar ihre Gesichter.« Er lehnte sich nach hinten und starrte die Ahornbäume an, die sich um uns herum befanden. »Sie sind bei einem ihrer Einsätze gestorben. Als Hunter hat man immer das Risiko, bei der nächsten Festnahme abzukratzen. Nicht jeder Magier hat Lust, wehrlos vor den Magischen Gerichtshof zu treten.«

Ich öffnete leicht den Mund, fand aber nicht die passenden Worte, also schloss ich ihn wieder. Jaden tat mir leid. Und auch wenn ich Madison aus tiefstem Herzen verabscheute, empfand ich auch für sie Mitleid. Vielleicht war sie deshalb so, wie sie war. Weil sie ohne Eltern aufwuchs, die ihr sagten, was sie zu tun und zu lassen hatte. Weil sie innerlich kaputt war wie eine Vase mit Sprung und die Wut der Sekundenkleber war, um alles zusammenzuhalten.

Und wenn ich mir vorstellte, dass Jaden ebenfalls als Hunter arbeiten musste, sobald er achtzehn wurde … In meinem Hals schnürte sich alles zu. Trotzdem hatte ich Hoffnung.

»Sag mir, dass du nicht als Hunter arbeiten musst.« Meine Stimme überschlug sich beinahe. »Ihr seid etwas Besonderes. Niemand anderes von der Schwarzen Witwe geht auf unsere Schule. Das muss doch etwas bedeuten!«

Sein Blick verriet mir, dass seine nächsten Worte nicht das waren, was ich mir wünschte. »Du weißt, dass jeder aus meinem Clan ein Hunter wird, egal ob Junge oder Mädchen. Wir können uns das nicht aussuchen.«

Ich vergrub meine Hand im Gras und zog wütend daran. »Wieso seid ihr dann hier? Ihr habt doch gar nicht das Training, das die anderen der Schwarzen Witwe erhalten.«

»Wir sind hier, weil es so beschlossen worden ist. Meine Tante hat wohl mit der Goldenen Königin persönlich gesprochen und darum gebeten. Vielleicht damit Madison nicht mehr in der Umgebung aufwachsen muss, in der sie alles an unsere Eltern erinnert. Aber abgesehen davon erhalten wir Extraunterricht und halten uns fit.« Im nächsten Moment hob er sein T-Shirt hoch und präsentierte mir seine Bauchmuskeln. Für einen Moment starrte ich auf einen verfluchten Sixpack. Und ja, es waren tatsächlich sechs Muskeln, die sich deutlich unter seiner Haut abzeichneten.

»Beeindruckt?«, fragte Jaden lachend und ließ sein T-Shirt wieder fallen.

Ich schluckte schwer. Ich war mehr als nur beeindruckt.

Jadens Lachen verstummte. Plötzlich wirkte er ernst. »Glaub mir, ich werde mich nicht umbringen lassen.«

»Dann versprich es.« Ich hielt ihm den kleinen Finger entgegen. »Schwöre, dass du nicht stirbst.«

Er zögerte keine Sekunde. Sofort verschränkte er seinen Finger mit meinem. Dabei sah er mir so tief in die Augen, dass ich darin ertrank. Dieser Schwur war heilig. Er bedeutete alles. »Ich schwöre es. Ich werde mich nicht ermorden lassen.«

Als ich zufrieden meine Hand zurückziehen wollte, sprach er weiter. »Und ich schwöre, dass ich dich beschützen werde.« Mit diesen Worten ließ er meinen Finger los.

Einen Augenblick sah ich ihn verwirrt an. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«

»Gar nichts. Ich wollte es trotzdem schwören.«

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Und vor wem willst du mich beschützen?«

»Vor allen Arschlöchern da draußen.«

Ich schüttelte grinsend den Kopf, bevor ich meinen ersten Zug mit einem Bauern setzte. Zwei Felder nach vorn. »Klingt nach einem ziemlich großem Versprechen.«

»Das ist mir bewusst.« Er setzte sich aufrecht hin. Seine Augen funkelten entschlossen. »Aber für dieses Versprechen werde ich noch härter trainieren.«

Spinner …

Eine Weile beobachtete ich, wie er über seinen ersten Zug nachdachte. Der Zeigefinger ruhte auf seiner weichen Unterlippe. Der andere schwebte über dem Brett. Manchmal verharrte er einige Minuten in dieser Position. Und manchmal, nur manchmal, konnte ich dann nicht aufhören ihn anzustarren. Als wäre er ein Rätsel, das ich lösen wollte. Und ich sprach nicht von Sudoku-Rätseln, die man wöchentlich in der Zeitung fand. Ich sprach von Steinkreisen und Pyramiden. Von Nazca-Linien und dem Bermudadreieck.

Als er erneut an der Reihe war, ließ ich mich rückwärts in das weiche Gras fallen und beobachtete die Umgebung. Es war ein wunderschöner Sommertag, alles blühte und am Himmel hing keine einzige Wolke. Und doch gab es etwas, das mich störte.

Mein Mund verzog sich zu einer harten Linie. Jaden entging das nicht. »Gefällt es dir hier nicht?«, fragte er und folgte meinem Blick.

»Doch, ich mag Montpelier. Es ist nur die Jahreszeit, die mich stört. Alles ist so … grün.« Ich verzog das Gesicht und setzte mich wieder in den Schneidersitz.

Jaden erwiderte nichts. Stattdessen streckte er eine Hand nach mir aus und berührte mich sanft an der Schulter. »Schließ deine Augen.«

»Warum?« Meine Stimme klang zu hoch, zu schrill.

»Mach es einfach.« Er beugte sich zu mir herüber. Sein Gesicht war meinem so nah. Ich starrte direkt in seine betongrauen Augen, die eine Tiefe verbargen, die ich nicht benennen konnte. Mein Herz schlug so schnell, dass ich glaubte, es würde zerspringen.

»Vertrau mir, Ana.« Er streifte mit seiner Nasenspitze meine Wange und erhöhte den Druck seiner Finger, die auf meinem Schulterblatt ruhten.

Ein warmer Schauer glitt über meine Haut. Dann noch einer. Langsam schloss ich die Augen, während meine Gedanken Karussell fuhren. Wollte er mich … küssen? Ich hatte viel über den ersten Kuss in Zeitschriften gelesen. Aber ich konnte mich an keinen einzigen Tipp mehr erinnern. Lippen schließen? Leicht öffnen? Spitzen? Und was war mit der Zunge? Gott, was tat ich mit der verfluchten Zunge?!

»Alles in Ordnung bei dir?« Jaden klang besorgt. Er musste meine Unsicherheit bemerkt haben. Wie peinlich. Jetzt glaubte er, ich sei ein unerfahrenes Kind – was ich rein theoretisch auch war, nur musste ich es ihm ja nicht gleich auf die Nase binden. Ich biss mir auf die innere Wange. »Wieso zögerst du es so lange hinaus?! Ich warte und warte und –«

»Du darfst sie wieder öffnen.«

»Was?«

»Deine Augen. Du kannst sie wieder öffnen.« Er nahm seine Hand von meiner Schulter. Kälte breitete sich an der Stelle aus, die er gerade noch berührt hatte. »Und hör auf so angestrengt zu gucken.« Seine Stimme klang leicht amüsiert. »Sonst bekommst du noch Falten.«

»Ich habe gar nicht angestrengt geguckt«, protestierte ich und schlug die Augen auf. Jaden lehnte gegen den Stamm des Ahorns und musterte mich neugierig und … belustigt.

Die Erkenntnis traf mich so unerwartet wie der Ball, der mir letzte Woche beim Sport gegen den Kopf geflogen war. Nur dass das hier schmerzlicher war. Viel schmerzlicher. Jaden hatte nie vorgehabt mich zu küssen. Meine Wangen wurden warm, weil ich davon ausgegangen war, dass er mir meinen ersten Kuss schenken wollte. Aber was sollte das Ganze dann?

»Was wolltest du mir …?« Ich verstummte, als plötzlich etwas sanft zwischen uns zu Boden glitt. Ein Blatt. Es leuchtete in einem kräftigen, intensiven Rotton.

Ich sah fragend zu Jaden, der mit einer Kopfbewegung nach oben deutete. Ganz langsam wanderte mein Blick den Ahorn hinauf, während weitere Blätter hinabsegelten. Bei dem Anblick, der sich vor mir auftat, blieb mir der Mund offen stehen. Die Blätter meines Lieblingsbaumes strahlten leuchtend rot. Auch die der anderen Ahorne waren in die buntesten Farben getaucht. Gelb, Orange … Als hätte jemand einen Pinsel genommen und sie angestrichen; so intensiv, wie man sie von den bearbeiteten Stockbildern aus dem Internet kannte, wenn man unsere Stadt googelte.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sogar die Luft war frisch und klar. Wie ein sonniger, kalter Tag im Herbst. Nur dass wir eigentlich Sommer hatten.

Sprachlos sah ich zu Jaden. Er zuckte mit den Schultern, so als hätte er nicht gerade den schönsten Herbsttag in der Geschichte unseres Landes erschaffen. »Besser?«

»Besser? Das ist … unglaublich! Du bist unglaublich!«, verbesserte ich mich und sah mich immer noch begeistert um. Mein Blick wanderte zum Schulgebäude und ein schlechtes Gewissen überkam mich. »Du musst meinetwegen keine Illusion erschaffen. Du könntest Ärger kriegen.« Und das war noch untertrieben. Es war verboten, Magie außerhalb des Unterrichts auf dem Schulgelände anzuwenden. Seine Schwester hatte diesbezüglich schon zwei Schulverweise bekommen. Ich wollte nicht, dass Jaden wegen mir auch einen bekam.

»Ach, lass das mal meine Sorge sein. Du hast so traurig geguckt.« Er nahm das heruntergefallene Blatt zwischen seine Finger. »Außerdem ist es manchmal besser, in einer Illusion zu leben, als der Wahrheit ins Auge zu blicken.«

»Shakespeare?«

»Nein, das kommt von mir.« Er grinste. Ein Grübchen bildete sich auf seinem Kinn. Das war mir vorher nie aufgefallen. Ich notierte es auf meiner imaginären Liste, die ich über ihn führte. Grübchen am Kinn. Check. Den Punkt »Erster Kuss mit Jaden« entfernte ich schnell wieder.

Gott, wie blöd konnte ich nur sein? Jaden hatte seine Gabe entfacht und ich hatte geglaubt, er wolle mich küssen. Wir waren Freunde. Und Freunde küssten sich nicht. Auch die Tatsache, dass ich verliebt war, änderte nichts an der Freundschaft, die uns beide verband. Sie war wertvoll und schön und mehr wert als ein dämlicher Kuss.

»Kannst du alles mit deiner Gabe erschaffen?«, fragte ich, um mich von meinen bescheuerten Gedanken abzulenken.

Jaden ließ das Blatt zu Boden gleiten. »So gut wie. Ich muss es mir nur vorstellen können. Am besten wird eine Illusion aber, wenn ich sie schon einmal erlebt oder gesehen habe.« Er strich sich nachdenklich durch die dunklen Haare und wirkte plötzlich ernst. »Wieso magst du keine grünen Bäume?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nur so.«

»Nur so?« Er hob eine Braue. »Dein Clan trägt die dieselbe Farbe. Sollte es nicht deshalb deine Lieblingsfarbe sein?«

»Vielleicht liegt es ja genau daran«, sagte ich und bereute meine Worte sofort. Nicht zu seinem Clan zu stehen war ein schweres Vergehen. Früher waren Mitglieder deswegen erhängt oder verbrannt worden, weil man befürchtete, sie könnten dem Clan Schaden zufügen und Geheimnisse an andere Clans weitergeben.

Doch wir befanden uns weder im Mittelalter noch im Krieg. Und Jaden war mein Freund. Ich würde ihm alles sagen. Außer dass du in ihn verliebt bist, meldete sich meine innere Stimme zu Wort. Ich ignorierte sie.

»Ich wäre manchmal gern jemand anderes«, gestand ich. »Mit einer anderen Fähigkeit, wie der des Weißen Achats mit ihren heilenden Kräften. Oder der des Roten Drachens mit der Macht, sich in Tiergestalten zu verwandeln. Deine Fähigkeit ist ebenfalls wunderschön. Meine Gabe hingegen ist nichts Besonderes.« Ich blickte zu meinen Händen, betrachtete meine giftigen Nägel, die ich dunkelrot lackiert hatte. »Ich bringe nur den Tod.«

Blitzartig griff Jaden nach meinem Handgelenk und verschränkte seine Finger mit meinen, als wäre es das Natürlichste der Welt. Das Grau in seinen Augen glitzerte wie schäumende Wellen auf einer stürmischen See. »Meine Gabe kann genauso tödlich sein wie deine«, sagte er mit fester Stimme. »Eine Täuschung kann sogar grausamer sein als der Tod. Vor allem wenn man hinterher daraus aufwacht und erkennt, dass alles eine Lüge war.«

»Das glaube ich nicht«, murmelte ich und löste meine Finger aus seinen. Wie sollte eine so wundervolle Gabe den Tod bescheren? Etwas, das so Schönes erschaffen konnte, würde nie jemanden umbringen.

Wir wandten uns wieder dem Spiel zu. Mein Mund verzog sich wie von selbst zu einem Lächeln, als Jaden die bunten Blätter um uns herum zum Tanzen brachte. Ich wünschte mir, dass unsere Partie Schach ewig andauern würde. Dass ich nie wieder aus dieser wunderschönen Illusion erwachen würde.

Aber wenn ich eins wusste, dann, dass nichts für immer war.

***

»Du bist erbärmlich!« Madison kickte das Schachbrett über den Rasen. Die Spielfiguren verteilten sich überall im Gras.

»Muss das sein?«, murmelte ich genervt und hievte mich auf die Beine, um mit Madison gleichauf zu sein. Sie trug ein schwarzes Maxikleid, das ihre dünne Taille zur Geltung brachte. Neben ihr stand Amber und kaute laut auf einem Kaugummi herum. Meine Güte, gab es die beiden nur im Doppelpack?

»Jaden wird nicht kommen«, trällerte Madison fröhlich. »Euer kleines Was-auch-immer hat jetzt ein Ende.«

Die Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich versuchte gelassen zu wirken, obwohl innerlich ein Sturm tobte. »Und das bestimmst du, weil …?«

»Ich ich bin.« Sie drehte sich unschuldig eine glänzende Locke um den Finger. »Weißt du, ich möchte nur das Beste für meinen Bruder. Und – Überraschung – das bist nicht du.«

»Du bist Abschaum«, ergänzte Amber mit angewidertem Gesichtsausdruck. »Jeder von uns hat eine besondere Gabe. Meine rettet Leben. Und deine nimmt sie!«

Ich ignorierte sie und wandte mich an Madison. Meine Stimme bebte vor Wut. »Was hast du zu ihm gesagt?«

Sie lachte. »Ich musste gar nichts sagen. Er hat eingesehen, dass du seine Zeit nicht wert bist. Schließlich hat er Besseres zu tun, als mit einer Natter Schach zu spielen. Im Ernst, dachtest du wirklich, er könnte jemanden wie dich mögen? Vielleicht sogar lieben?«

Ihre Worte bohrten sich wie tödliche Pfeile in meine Haut. »Das ist eine Lüge! Du lügst!«

Madison seufzte theatralisch. »Glaub mir oder glaub mir nicht. Es kommt auf dasselbe hinaus. Er hat kein Interesse mehr an dir. Und du bist wieder … allein.«

»Sei still!« Ich schloss die Augen, um meine Tränen zu unterdrücken. Jaden und ich waren Freunde. Er würde mich nicht einfach wegwerfen. Er hatte gesagt, er würde für immer mein Freund sein.

»Oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen?« Madison lachte boshaft. »Mal sehen, wie aufgebracht du bist, wenn ich noch mehr Salz in die Wunde streue.« Sie machte eine bedeutungsschwere Pause. »Mein Bruder hat eine Freundin.«

Für einen Moment hörte die Welt auf sich zu drehen. Jaden hatte eine Freundin? Ich schüttelte langsam den Kopf, während etwas in mir zerbrach. Mein Herz.

Das … das konnte nicht sein. Jaden hätte mir davon erzählt, wenn er jemanden kennengelernt hätte. Wir verbrachten so viel Zeit miteinander. Ich hätte etwas merken müssen, wenn es jemanden in seinem Leben gab.

»Ich wusste, dass du mir nicht glauben würdest. Deshalb habe ich ein Foto für dich.« Sie hielt mir ihr Handy entgegen. Darauf zu sehen war Jaden, der seinen Arm um ein anderes Mädchen gelegt hatte. Sie war wunderschön, hatte rosige Wangen und blickte Jaden an, als wäre er das Kostbarste auf der Welt. Und das war er auch – für mich, verdammt!

Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wandte mich wortlos ab und sammelte die Figuren ein.

»Ich habe eh nie verstanden, was er an dir fand. Du bist nichts Besonderes. Weder deine Kräfte noch dein Aussehen. Ich meine, sieh dich doch mal an.« Sie deutete auf mein dunkelblaues Halstuch. »Du läufst rum, als wärst du Mitglied bei den Pfadfindern. Deine blonden Strähnchen sind katastrophal gefärbt. Sie erinnern mich an ein Streifenhörnchen. Und du bist viel zu kurvig für dein Alter. Gib es zu, du stopfst dir die Brüste aus.«

Mein Gesicht wurde heiß. Es stimmte, ich war kurviger als andere Mädchen in meinem Alter. Ich hasste es, mich wieder von den anderen Schülern zu unterscheiden.

Als ich die letzte Spielfigur aufsammeln wollte, war Madison schneller. Sie trat mit ihrer Römersandale auf den Turm. Drehte ihren Fuß, als würde sie eine Zigarette ausmachen.

»Wir sind noch nicht fertig«, zischte sie und griff nach meinem Oberarm. Ich spürte ihren süßlichen Atem an meinem Ohr, war aber zu aufgewühlt, um sie wegzustoßen. »Du magst doch Spielchen, oder? Wie wäre es mit einem Spiel?« Dunkelheit umfasste uns. Sie war aalglatt und kalt.

»Hör auf, Madi«, murmelte Amber neben uns. Ich hatte bereits vergessen, dass sie auch anwesend war. »Wenn uns ein Lehrer sieht, dann …«

»Ach, sei kein Feigling. Niemand sieht uns. Dafür werde ich schon sorgen.« Sie ließ mich los und ging ein paar Schritte zurück. Dann spreizte sie eine Hand und formte die Dunkelheit, die uns umgab. Es wurde so finster, dass ich nichts mehr erkennen konnte. Einige Sekunden vergingen, dann klärte sich die Dunkelheit auf. Die Sonne schien plötzlich so stark, dass ich mehrmals blinzeln musste, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Ich hob eine Hand an die Stirn, um besser sehen zu können.

Schockiert blickte ich mich um. Sand. Überall war Sand. Wo war ich? Ich befand mich nicht mehr auf dem Schulgelände. Verflucht, ich befand mich nicht mal mehr im Staat Vermont!

Weit und breit war nichts zu sehen. Nur Sanddünen. Und … Madison, die mir mit einem riesigen Sonnenhut entgegenlachte, als wäre sie einem Katalog für Sommermode entsprungen.

»Wo bin ich?«

»Afrika. In der Wüste Ägyptens, um genau zu sein. Hier war ich vor Jahren mal im Urlaub. Es war ziemlich öde, aber ich dachte, für dich wäre es perfekt.«

»Du hast mich in eine Illusion gesperrt? Bist du verrückt geworden?!« Ich schnappte nach Luft. »Das ist verboten!«

Sie fächerte sich mit ihrer Hand Luft zu. »Jaja, ich weiß. Aber Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Und die Illusionen von meinem Bruder fandest du doch immer besonders schön.«

Ich brauchte mehrere Sekunden, um ihre Worte zu verarbeiten. Mein Magen zog sich schmerzlich zusammen. Jaden hatte ihr davon erzählt. Von den Illusionen, die er für mich erschaffen hatte. Es waren unsere Momente gewesen! Wieso hatte er es ihr erzählt? Um sich über mich lustig zu machen? Ich hoffte, er hatte seinen Spaß gehabt!

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde es wieder dunkel. Im nächsten Moment befand ich mich auf einem Hochhaus. Meine Haare wehten mir ins Gesicht und der starke Wind brachte meine Augen zum Tränen.

Madison war wenige Meter von mir entfernt. Der Sommerhut flog ihr vom Kopf, aber sie machte keine Anstalten, ihm auch nur hinterherzusehen. Ihr Blick lag stechend auf mir. »Du und dein Clan. Ihr seid erbärmliche Kreaturen. Gift. Es ist nichts Besonderes. Sogar eine Schlange hat deine Fähigkeit. Warum also glaubst du, du seist besser als wir? Warum hat deine Familie bei der Silbernen Waage so ein hohes Ansehen, obwohl mein Clan die Drecksarbeit für sie und das Goldene Pack erledigt?«

Wovon sprach sie, verflucht? Ich hielt mir die Haare aus dem Gesicht. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ach nein?« Wütend verzog sie ihre roten Lippen. »Soweit ich gehört habe, unterstützen sie deine Eltern finanziell bei ihren bescheuerten Forschungen. Kostenlose Gegenmittel für alle – dass ich nicht lache. Als wärt ihr beschissene Heilige.«

»Sie wollen nur helfen«, erklärte ich mit stockendem Atem. Langsam bekam ich wirklich Angst. »Und jetzt hör auf, lass mich aus deiner Illusion! Du bekommst nur wieder einen Schulverweis.« Ich versuchte das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Es gelang mir nicht.

»Der Verweis ist mir egal.« Sie kam auf mich zu und schubste mich nach hinten. »Ich lasse dich erst gehen, wenn ich es will. Ich bestimme die Regeln.« Sie schubste mich ein weiteres Mal.

Ich wusste, dass das hier nicht echt war. Trotzdem schlug mein Herz beängstigend schnell, als ich sah, wie tief es hinunterging. Wir mussten uns auf einem Wolkenkratzer befinden. Mindestens fünfzig Stockwerke hoch.

»Hör auf«, brachte ich atemlos hervor. Mein Blick glitt hinter mich. Nur noch wenige Meter, dann würde ich fallen.

»Ich bin die Prinzessin der Illusionen. Du dagegen bist nur die giftige Natter.« Sie betrachtete ihre pink lackierten Nägel. »Sag mir also, was bitteschön ist so toll an dir, dass sich sogar mein Bruder um dich geschert hat?«

»Madi, du sollest wirklich …«

»Halt dich da raus, Amber. Das geht nur sie und mich etwas an.«

Ich blickte mich um. Ich hörte Ambers Stimme, aber ich konnte nicht zuordnen, woher sie kam. Diese Illusion war nur in meinem Kopf. Ich sah das, was ich sehen sollte. Und Amber war kein Teil dieses Spielchens. Und genau das war es, ein Spiel, eine Illusion. Nicht mehr. Bloß eine Einbildung in meinem Kopf.

Ich schloss die Augen und versuchte nicht völlig in Panik zu geraten. Beruhig dich, Ana. Es ist nur eine Illusion.

Vielleicht konnte ich mich selbst daraus befreien. Nur wie? Ich ärgerte mich, dass ich Jaden nie danach gefragt hatte. Aber aus seinen Illusionen hatte ich auch nie ausbrechen wollen.

Ich öffnete meine Augen und blickte in Madisons grinsendes Gesicht. Anscheinend amüsierte sie sich köstlich über mich. »Versuchst du wirklich gerade dagegen anzukämpfen?« Ihr Grinsen wurde noch breiter. »Dummkopf, das ist zwecklos. Ich lasse dich erst gehen, wenn ich es will. Du bist viel zu schwach, um es allein zu schaffen. Abgesehen davon«, sie ließ ihren Blick hinter mich schweifen, »kannst du dir gern einreden, dass es nur eine Illusion ist. Aber früher oder später glaubst du daran. Du wirst glauben, dass sie echt ist.«

»Niemals«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass sie recht hatte. Ich glaubte bereits daran.

»Niemals?«, wiederholte Madison abfällig und hob die linke Hand. Keine Sekunde später verfinsterte sich der Himmel. Schwarze Wolken verdeckten das sorglose Blau, verschluckten die Sonne in einem Meer aus unendlicher Dunkelheit.

Ein Blitz zuckte über uns hinweg. Ich umklammerte panisch meine Oberarme. Angst breitete sich in mir aus, ließ mich kaum noch denken. Kaum noch atmen. Ich schüttelte unnachgiebig den Kopf. Wach auf. Wach auf. Wach auf.

»Du hast lange durchgehalten, das muss ich dir lassen.« Sie ging einen weiteren Schritt auf mich zu. »Wenn du mich lieb bittest, stoße ich dich nicht.«

»Bitte«, keuchte ich panisch. Mein Stolz war mir mittlerweile völlig egal. Ich wollte nicht sterben! Nicht hier. Nicht so.

»Lauter.«

»Bitte, verdammt!«

Sie lachte und kehrte mir den Rücken zu. Der Himmel klärte sich wieder auf. Sogar der Wind hörte auf zu wehen.

Ich atmete erleichtert aus und stützte meine Hände auf den Oberschenkeln ab, so als wäre ich einen Marathon gelaufen. »Danke«, keuchte ich. »Ich wusste, dass du nicht so bist.«

Madison blieb abrupt stehen. Mit geballten Fäusten drehte sie sich zu mir um. Ihr Gesicht war wutverzerrt. »Ich weiß nicht, was mein Bruder über mich erzählt hat. Aber glaub ja nicht, dass du mich kennst, Natter.«

Sie stand nun direkt vor mir. Ihr Atem ging genauso schnell wie mein eigener. »Du glaubst, dass ich nicht so sein kann? Dass ich tief in meinem Innersten gut bin?« Sie lachte bitter. »Du irrst dich. Das Leben war nie gut zu mir. Und ich werde jetzt nicht anfangen, gut zum Leben zu sein.«

Dann stieß sie zu.

Ich verlor das Gleichgewicht. Panisch griff ich um mich und bekam Madisons Unterarm zu fassen. Mit aller Kraft hielt ich mich daran fest.

Sie schrie auf. Schrill. Hysterisch. Ein Schrei, den ich noch nie zuvor von ihr gehört hatte. Dann fielen wir gemeinsam vom Dach. Wind peitschte uns entgegen. Ich schloss die Augen, aber der Aufprall kam früher als erwartet.

Unsanft landete ich im Gras. Ich schlug die Lider auf und starrte direkt gegen die grünen Blätter des Ahornbaums. Madison lag auf mir. Erschöpft schob ich sie von mir herunter und rieb mir über mein Gesicht. Der Nebel um uns herum hatte sich aufgelöst, doch meine Gedanken waren wie in Watte gehüllt. Als wäre ich noch nicht wirklich im Hier und Jetzt angekommen und würde zwischen zwei Welten schweben.

»Was hast du?« Amber versuchte ihrer besten Freundin aufzuhelfen, aber es gelang ihr nicht. Madison rührte sich nicht.

Amber sah mich schockiert an. »Verfluchte Scheiße! Du Monster, was hast du ihr angetan?!«

»Was ich ihr angetan habe? Ich habe ihr nichts …« Ich sah auf die Stelle, die ich berührt hatte. Tiefe Kratzer befanden sich auf ihrem Arm. Panisch fuhr ich über meine Hände, wollte den Sitz meiner Handschuhe überprüfen, doch ich fühlte keinen Stoff.

Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Das … das kann nicht sein. Ich musste sie ausgezogen haben, bevor Madison und Amber gekommen waren.

Ich stolperte nach hinten, konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich hatte Madison gekratzt und meine Magie aus Panik entfesselt. Ich konnte förmlich zusehen, wie sich mein Gift durch ihre Blutbahn schlängelte. Ihr Gesicht war kreidebleich. Weißlicher Schaum trat aus ihren Mundwinkeln.

»Madison! Madison!« Amber berührte mit einer Hand ihren Arm und mit der anderen eine Wurzel, die aus dem Boden ragte. Sofort färbten sich die Blätter meines Lieblingsbaumes braun, als sie ihm die Lebensenergie entzog, um sie zu Madison zu leiten. Vertrocknete Blätter fielen wie ein Regenschauer auf uns herab.

»Ich kann sie nicht heilen! Es funktioniert nicht!« Amber keuchte verzweifelt.

»Ich …« Ich konnte nicht klar denken. Meine Beine wurden weich und ich lehnte mich gegen den Stamm des Ahorns. Ich wusste nicht, wohin ich sehen sollte, alles wirkte verschwommen. Nur eine Tatsache hämmerte gegen meinen Verstand: Ich hatte sie vergiftet.

»Tu doch was!«, schrie Amber mich an. Aber ich konnte nichts tun. Ich konnte es nicht rückgängig machen. Meine Eltern konnten es, aber ich war noch nicht so weit. Ich würde sie nur noch mehr verletzen.

»Hilfe, Hilfe!« Amber schrie um sich und auch in ihr Handy, das sie gezückt hatte. Keine Minute später wimmelte es hier von Magiern, die versuchten Madison das Leben zu retten. Ich sank zu Boden, kraftlos, hilflos. Abgenutzte Converse schoben sich in mein Blickfeld.

»Verfluchte Scheiße, was ist passiert?!« Jaden sank zu Boden und untersuchte die geschwollenen Kratzer an Madisons Haut. Sein Blick glitt zu mir. »Hast du sie vergiftet?«

»Ich … ich wollte nicht …«

»Verflucht, Ana!« Er bekam die Worte kaum heraus. Er wirkte, als hätte ich ihm einen Dolch ins Herz gestoßen. »Ana!«

Einen Moment blieb die Zeit stehen, doch Jadens Stimme brachte mich in die Realität zurück. Ich schüttelte meinen Kopf. Der Nebel in meinen Gedanken war verschwunden. Ob das Auswirkungen der Illusion gewesen waren? Ganz egal! Wir durften keine Zeit mehr verlieren!

»Sie muss in das Labor, in dem meine Eltern arbeiten. Sie können ihr das Gift entziehen! Es ist ganz in der Nähe! Beeil dich!«

Jaden nahm seine Schwester in die Arme. Dann ging er rückwärts. Mit jedem Schritt entfernte er sich weiter von mir. Dabei sah er mir tief in die Augen. Seine Wut verbrannte mich. Sein Hass zerstörte mich. Und seine nächsten Worte vernichteten mich.

»Wenn sie stirbt, wünschst du dir, niemals existiert zu haben.«

1. KAPITEL

Sechs Jahre später.

Mehrmals schaute ich in den Rückspiegel und wusste, dass mich jemand verfolgte. Seit ich vor zehn Minuten mein Zuhause in Southampton verlassen hatte und in meinen BMW gestiegen war, war mir der schwarze Geländewagen nicht mehr von der Seite gewichen. Der grimmig wirkende Fahrer hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, auf Abstand zu gehen, und bog in die Straßen ein, in die auch ich einbog. Ich war sogar absichtlich eine andere Route gefahren, als ich sie sonst nahm – über die Seitenstraßen, in denen die luxuriösen, millionenschweren Villen standen. Aber ich konnte den Verfolger nicht abschütteln. Als ich in einem Blumenladen verschwand, hielt er direkt hinter mir. Ich ließ mir extra viel Zeit, bevor ich mit einem bunten Tulpenstrauß das Geschäft verließ und auf den Bürgersteig trat.

Der Fahrer lehnte lässig an meiner Motorhaube. Ich schätzte ihn auf Ende zwanzig. Er war einen Kopf größer als ich und trug einen maßgeschneiderten Anzug, darunter ein weißes Hemd und dunkelbraune Lackschuhe. Mit verschränkten Armen sah er mir zu, wie ich über den gepflasterten Weg direkt auf ihn zukam. Je mehr ich mich ihm näherte, desto einschüchternder wirkte er. Auf seinem Hals befand sich eine Tätowierung aus Wirbeln und Ranken, die von seinem markanten Kiefer abwärts unter seinem Hemdkragen verschwand. Auch seine Handrücken waren vollständig tätowiert – eine schwarze Rose auf der linken und eine Totenkopfmotte auf der rechten Hand. Kleinere Symbole zierten seine Fingerknöchel und rundeten den Heiß-aber-gefährlich-Look perfekt ab.

Auf der einen Seite wirkte er wie ein Model für verruchte Männermagazine, auf der anderen wie ein bedrohlicher Kerl aus einer Gang, der jederzeit jemanden umlegen konnte, wenn ihm sein Boss den Befehl erteilte. Charmant war anders.

Ich blieb zwei Meter vor ihm stehen. Sicher war sicher. »Gibt es einen Grund, warum Sie sich gegen mein Auto lehnen?«, fragte ich bissiger, als ich es eigentlich vorgehabt hatte. Aber der Typ stand da, als wäre es das Normalste der Welt.

Er grinste frech und entblößte eine Reihe weißer, gerader Zähne. »Kommt drauf an.«

Kommt drauf an? Ich hob eine Augenbraue. Der Kerl war ein wandelndes Bad-Boy-Klischee. Tattoos? Check. Arrogante Art? Check. Raue Stimme? Check. Fehlte nur noch ein Motorrad. Obwohl … Sein Geländewagen hatte getönte Scheiben, also passte auch der ins Schema. Wieso geriet ich an so einen Typen? Und auch, wenn ich es hinterher bereuen würde, fragte ich genervt: »Worauf kommt es an?«

Sein Blick glitt nur kurz über das hellblaue Sommerkleid, das ich heute trug. Es reichte mir bis zu den Knien und war farblich perfekt auf meine Handschuhe abgestimmt. Ohne eine Miene zu verziehen, sah er mir wieder in die Augen. Ich wusste nicht, ob ihm gefiel, was er sah. Und es war mir auch ziemlich egal.

»Bist du Anastasia?«

Ich zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, als ich meinen ersten Vornamen hörte. Ihm entging es nicht, denn in seinen braunen Augen lag ein Fragezeichen. Aber ich dachte gar nicht daran, mich zu erklären.

»Also, bist du es?«, hakte er nach, weil ich noch immer nicht geantwortet hatte.

Ich entspannte meine verkrampften Schultern, die ich beim Klang meines Namens angespannt hatte. »Wenn ich Nein sage, nimmst du deinen Arsch dann von meiner Motorhaube?« Ich duzte ihn ebenfalls, weil ich mir ansonsten blöd vorgekommen wäre. Ein verwunderter Ausdruck trat in sein Gesicht. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm eine freche Antwort entgegenfeuern würde. Tja, da habe ich dich wohl beeindruckt, was?

Seine Lippen teilten sich zu einem spöttischen Lächeln. »Ich sitze nicht drauf, ich lehne mich bloß an.«

»Macht das einen Unterschied?«

»Definitiv.« Sein Lächeln wurde anzüglicher. »Wenn du möchtest, kann ich dir den Unterschied gern zeigen.«

Für einen Moment stellte ich mir vor, wie sich dieser stämmige Kerl halb nackt auf meiner Motorhaube rekelte und seine Muskeln spielen ließ, die sich definitiv unter seinem teuren Anzug verbargen.

»Bitte nicht«, antwortete ich und verkniff mir ein Schmunzeln, was ihm nicht entging. Er versuchte in meinem Gesicht zu lesen, was ich dachte. Ich war froh, dass es keine Magie gab, die dazu imstande war. Ansonsten wäre das ziemlich peinlich geworden.

»Bist du nun Anastasia?«

Mein Lächeln verschwand. Schon wieder dieser Vorname …

»Ja, bin ich«, gab ich zu und öffnete die Beifahrertür, um meine Tasche und den Blumenstrauß auf dem Sitz zu verstauen. Dann schloss ich die Tür wieder und lehnte mich neben ihm an mein Auto. Dabei achtete ich darauf, mehrere Zentimeter Platz zwischen uns zu lassen. »Du kannst mich Emily nennen. Anastasia heiße ich schon lange nicht mehr. Hat Matthew dich nicht informiert?«

»Woher weißt du, dass mich Matthew engagiert hat?« Er wirkte überrascht. »Ich könnte auch ein kranker Stalker sein. Schließlich bin ich dir zehn Minuten gefolgt.«

»Ein Stalker, der nicht mal weiß, wie sein Opfer genau heißt oder aussieht?« Ich schüttelte den Kopf. Meine schulterlangen Haare kitzelten dabei meinen Hals. »Du bist weder ein Stalker noch ein Kidnapper«, schlussfolgerte ich und sah einem Fahrradfahrer hinterher, der an uns vorbeiraste. »Ansonsten wärst du ziemlich beschissen in dem, was du tust. Für gewöhnlich lauert man seinem Opfer nicht gegen Mittag vor einer gut besuchten Einkaufsstraße auf.«

Ich deutete auf die Geschäfte, die direkt vor unserer Nase lagen. Einige Passanten gingen an uns vorbei. Die Blumenverkäuferin erstellte gerade einen Strauß für eine Kundin und vor dem Modegeschäft rauchte jemand eine Zigarette. »Hier sind zu viele Zeugen. Würdest du mir etwas antun wollen, würde es mindestens eine Person mitbekommen. Abgesehen davon, dass wir uns in den Hamptons aufhalten. Keiner wäre so dämlich hier ein krummes Ding zu drehen. Jedenfalls kein Magier bei klarem Verstand.«

»Nicht schlecht. Deine Tipps notiere ich mir«, scherzte er und beobachtete kurz die Umgebung, bevor er wieder zu mir sah. »Was bin ich deiner Meinung nach dann?«

»Ziemlich nervig.« Meine Antwort entlockte ihm ein weiteres Lächeln. Ein Grübchen bildete sich an seinem Kinn. Ich starrte einen Moment darauf, bevor ich ihn aufklärte. »Ich schätze, Matthew hat dich geschickt, um mich zu beschatten.« Ich betonte das Wort absichtlich, um ihn zu ärgern, weil er darin ziemlich versagt hatte. Schließlich hatte ich ihn bereits bemerkt, als ich von zu Hause losgefahren war.

Er pfiff anerkennend. »Stimmt. Dein Ziehvater hat mich beauftragt, ein Auge auf dich zu werfen, bis die jährliche Feierlichkeit vorbei ist. Was hat mich verraten?«

»Der Anzug mitten im Hochsommer und die Tatsache, dass du Mitglied der Goldenen Krone bist.« Ich deutete auf sein linkes Handgelenk. Die Clantätowierung blitzte unter seinem Hemdärmel hervor – eine geschwungene Krone, eingeschlossen in einem feinen Kreis. Die Tätowierung war nicht größer als ein Penny. Jeder von uns trug solch ein Erkennungszeichen, an genau derselben Stelle. Und je nachdem, zu welchem Clan man gehörte, war ein anderes Symbol abgebildet. »Außerdem hast du keine Schusswaffe bei dir. Die hätte sich unter deiner Kleidung abgezeichnet. Deine Magie muss also gefährlicher sein als eine gewöhnliche Kugel.«

»Du hast mich ja genau abgecheckt«, sagte er rau und löste sich endlich von meinem Auto. Träum weiter.

Ich erwiderte nichts darauf, weil mir seine Antwort zu zweideutig rüberkam. Das Letzte, was ich wollte, war mit dem Sicherheitspersonal zu flirten.

»Wenigstens bist du nicht auf den Kopf gefallen«, sagte er lobend und entfernte einen imaginären Fussel von seinem Anzug. »Die Letzte, die ich beschattet habe, konnte nicht so gut schlussfolgern.«

Ich rollte mit den Augen. »Du hast jemanden vor mir bewacht? So unprofessionell, wie du dich benimmst, dachte ich, du wärst ein Praktikant.«

»Als ob der zweitmächtigste Magier unserer Zeit einen Praktikanten anheuern würde, um auf sein Pflegekind aufzupassen.« Er blickte kurz hinter mich, dann wieder zu mir. »Doch das Babysitten gehört tatsächlich nicht zu meinen liebsten Aufgaben. Aber was tut man nicht alles fürs Geld? Und darin ertrinkt dein Pflegevater ja geradezu.«

»Babysitten?« Wütend schnaubte ich. »Ich bin kein Kleinkind mehr, sondern neunzehn Jahre alt! Ich kann wunderbar auf mich selbst aufpassen. Deine Dienste sind also überflüssig.« Ich machte eine abfällige Bewegung mit der Hand. Wenn ich eins nicht gebrauchen konnte, dann einen arroganten Arsch, der mir auf die Nerven ging.

»Wirklich?« Sein Blick inspizierte kurz die Umgebung, bevor er sich ohne Vorwarnung zu mir drehte und direkt vor mir stehen blieb. Seine Hände stützte er links und rechts am Kotflügel ab, sorgte so dafür, dass ich meinen Rücken gegen das Auto presste. Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Gott, das war nah. Viel zu nah. Ich war so perplex, dass ich einen Moment nur starr in sein Gesicht blicken konnte. Das Sonnenlicht brachte das Braun seiner Augen zum Strahlen. Es sah aus wie flüssiger Bernstein.

Provozierend funkelte er mir entgegen. »Was tust du jetzt? Ich könnte dir mit meiner Magie wehtun. Sehr wehtun. So wie viele andere Magier, die jetzt auf dem Weg hierher sind.« Er lehnte sich leicht in meine Richtung. Dabei hüllte mich sein Duft ein. Er roch nach etwas Vertrautem. Etwas, das mich an bessere Zeiten erinnerte. Er berührte meine goldene Kette, die ich immer um meinen Hals trug, spielte mit ihr.

»Ich kann das Gold alles machen lassen, was ich möchte. Deine Kette zu einer Schlinge formen. Sie gegen deine Kehle pressen, bis dein Herz aufhört zu schlagen. Alles, ohne überhaupt einen Finger zu rühren. Was tust du also, um dich aus dieser misslichen Lage zu befreien?«

Mein Atem ging flach und ich schluckte hart, ohne zu antworten. Meine Hände hielt ich hinter meinen Körper gepresst. Seine Worte standen im harten Kontrast zu seinem Lächeln, das immer intensiver wurde.

Mehrere Wimpernschläge vergingen. Dann ließ er meine Kette los. Er wirkte enttäuscht. Anscheinend hatte er gehofft, dass ich ihm mit meinem Gift drohen würde. Aber da konnte er lange warten. »Durchgefallen, Kleines. Du würdest keine zehn Minuten überleben, wenn es drauf ankommt.«

Ich gewann meine Fassung zurück und beugte mich unter seinem Arm hindurch, ohne ihn mit meinen Händen zu berühren. »Du hast mich überrumpelt. Mach das nie wieder, wenn dir deine Eier lieb sind!«

Er grinste noch breiter. Idiot.

»Würdest du mich bitte entschuldigen? Ich habe noch etwas zu erledigen. Du hast mir bereits zu viel Zeit geraubt.« Ich stampfte an ihm vorbei, setzte mich in mein Auto und zog die Tür schwungvoll zu.

Er folgte mir und klopfte gegen meine Scheibe, die ich stöhnend runterließ. »Was denn noch?«

»Matthew hat mir erzählt, dass du ungern mit anderen Leuten zusammen im Wagen fährst. Trotzdem solltest du ab morgen bei mir mitfahren. Ich kutschiere dich herum – zu deinen Shoppingtrips und dem ganzen Quatsch.«

Genervt biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange. Hatte der Kerl mir nicht zugehört? »Wie schon gesagt, nicht nötig. Auf deine Hilfe kann ich gut verzichten.« Ich startete den Motor.

»Wie du meinst, aber bereue es später nicht.« In seine Augen trat etwas Düsteres, Unergründliches. »Die Welt der Magier ist gefährlich. Wenn du nicht aufpasst, verschlingt sie dich.«

***

Die gesamte Fahrt krallte ich meine Finger in dem Lenkrad fest. Vor allem weil der Kerl immer noch hinter mir herfuhr. Wäre auch zu schön gewesen, aber so leicht wurde ich ihn anscheinend nicht los. Ich würde Matthew sagen, dass mir sein neuer Aufpasser ziemlich auf die Nerven ging. Dabei hatten wir keine zehn Minuten miteinander gesprochen. Ich kannte noch nicht mal seinen dämlichen Namen.

An einer Ampel blickte ich in den Rückspiegel. Er winkte mir grinsend entgegen. Ich winkte ihm mit meinem Mittelfinger zurück. Er lachte. Argh.