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WASCHEN, SCHNEIDEN – LIEBEN!
Die alleinerziehende Maja hat mehr Sorgen als genug: Ihr Bio-Friseursalon mit seinen betreuungsintensiven Kunden fordert ihren vollen Einsatz, Sohn Willi steckt mitten in der Pubertät, und ihr Freund Robin kommt und geht, wie es gefällt. Dann drückt ihr Tante Ruth Olga aufs Auge, ein superblondes Vollweib, das gleich einen wichtigen Kunden verunstaltet. Als Willi noch das Kiffen für sich entdeckt, muss Maja mit Kamm, Schere und starken Nerven um ihr Glück und ihre Existenz kämpfen ...
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Seitenzahl: 426
Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu.
Ihre Romane »Du mich auch. (K)ein Rache Roman«, »Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman«, »Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman«, »Ich koch dich tot. (K)ein Liebes-Roman«, »Gib’s mir, Schatz! (K)ein Fessel-Roman«, »Zur Hölle mit Seniorentellern! (K)ein Rentner-Roman«, »Ich will es doch auch! (K)ein Beziehungs-Roman«, »Alles Tofu, oder was? (K)ein Koch-Roman« liegen im Aufbau Taschenbuch vor und sind große Erfolge.
WASCHEN, SCHNEIDEN – LIEBEN!
Die alleinerziehende Maja hat mehr Sorgen als genug: Ihr Bio-Friseursalon mit seinen betreuungsintensiven Kunden fordert ihren vollen Einsatz, Sohn Willi steckt mitten in der Pubertät, und ihr Freund Robin kommt und geht, wie es gefällt. Dann drückt ihr Tante Ruth Olga aufs Auge, ein superblondes Vollweib, das gleich einen wichtigen Kunden verunstaltet. Als Willi noch das Kiffen für sich entdeckt, muss Maja mit Kamm, Schere und starken Nerven um ihr Glück und ihre Existenz kämpfen.
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Ellen Berg
Blonder wird’s nicht
(K)ein Friseur-Roman
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Über Ellen Berg
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Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
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Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Impressum
Leseprobe aus: Kristin Hannah – Die Nachtigall
Für alle Frauen, die gerade wachsen lassen.
Für alle Frauen, die trotz eines bad hair day ihren Mann stehen müssen.
Und für alle Frauen, die auf der Suche nach ihrer natürlichen Schönheit sind.
Es war einer dieser magischen Momente. Mit angehaltenem Atem setzte die rundliche Mittfünfzigerin im Hemdblusenkleid ihre Brille auf und sah in den Spiegel. Gespannte Stille. Ungläubiges Staunen.
»Oh – das bin wirklich ich? Was haben Sie mit der grauen Maus gemacht, die hier vor zwei Stunden reingekommen ist?«
»Gesträhnt, geschnitten, weggeföhnt«, sagte Maja lächelnd.
Himmel, wie sie ihren Job liebte! Seit Jahren führte sie ihren eigenen Friseursalon, doch nie hatte sich das Lampenfieber gelegt, wenn sie einer Kundin das neue Ebenbild präsentierte. Und nie war sie seliger als in jenen Augenblicken, wenn sie jemanden beglücken konnte, vom therapeutischen Effekt des Shampoonierens bis zur Extradosis Selbstbewusstsein, die eine gelungene Frisur bescherte. Nicht von ungefähr hieß ihr Salon Haare gut, alles gut. Klar, das klang vielleicht ein wenig übertrieben, und außerdem kam es ja auch auf die inneren Werte an – aber wer beachtete die schon, wenn sie schlecht verpackt waren?
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, hauchte die Frau und stand auf. Sie umarmte Maja überschwänglich. »Heute Abend feiere ich mit meinem Mann unseren dreißigsten Hochzeitstag. Ehrlich gesagt, hatte ich ein bisschen Bammel davor. Der Lack ist ab, falls Sie verstehen, was ich meine. Aber jetzt fühle ich mich wie neu!«
»Oh, da gratuliere ich Ihnen.« Maja seufzte. »Dreißig Jahre, das muss wunderbar sein.«
Wunderbar? Nein, ein einziges Rätsel. Bei ihren eigenen Beziehungen hatte sie es gerade mal auf maximal drei, vier Jahre gebracht. Mit Männern, die viel versprochen, wenig gehalten und definitiv nicht durchgehalten hatten. Tja, es schien so, als habe sie ein Abo auf schwierige Kandidaten. Selbst ihr Ehemann hatte wenig mehr hinterlassen als einige Dellen auf ihrer Seele, einen Haufen Schulden und einen Sohn, der gerade zu einem pubertierenden Monster mutierte.
Umständlich kramte die Kundin ihr Portemonnaie heraus.
»Ganz ehrlich? Es war nicht alles toll in unserer Ehe. Mein Mann …« Sie hielt inne, unschlüssig, ob sie weiterreden sollte.
Maja kannte dieses Zögern. Es bedeutete, dass jetzt ein echter Klopfer kam. Ein Friseursalon war nicht einfach eine Haarverschönerungsanstalt. Es war ein Epizentrum der Emotionen, halb Beichtstuhl, halb Klatschnest, und deshalb gehörten brisante Geständnisse ebenso hierher wie Shampoo und Haarspray.
»Mein Mann hatte eine – Affäre«, fuhr die Frau mit gedämpfter Stimme fort. »Ausgerechnet mit der Kellnerin des Lokals, in dem wir heute Abend essen gehen. Er weiß nicht, dass ich es weiß. Aber sie weiß es, diese … diese …«
»Glauben Sie mir, eine tolle Frisur ist die beste Rache«, befand Jeremy, Majas Mitarbeiter, der sich mit untreuen Männern bestens auskannte. »Und was Maja da hingezaubert hat, ist wirklich phantastisch.«
»Ja, Sie haben recht.« Tapfer lächelnd hielt die Kundin Maja einen Geldschein hin. »Trotzdem, es hat sich gelohnt durchzuhalten. Mein Mann und ich, wir sind nicht gerade eine Verabredung von Geist und Schönheit, aber wir halten es ganz gut zusammen aus. Also, vielen Dank noch mal, Sie Engel auf Erden. Ich komme bestimmt bald wieder.«
Sichtlich beflügelt durch ihre raffiniert gesträhnte, schnittig hingeföhnte Frisur, tänzelte sie davon. Ja, so sahen Frauen aus, die sich Maja anvertrauten. Denn wenn sie mit Kamm, Schere und Föhn loslegte, hatte sie immer den ganzen Menschen im Blick, nicht nur die durchschnittlich hunderteinundzwanzigtausend Haare, die Europäerinnen auf dem Kopf spazieren führten. Es war ein Spiel mit der wahren Natur einer Frau: Ich sehe was, was du nicht siehst. Ich sehe dich so, wie du gemeint bist.
Von der Ausstrahlung und der Statur bis hin zu Gesichtsform, Teint und Augenfarbe bezog Maja alle Faktoren mit ein, wenn sie über eine Frisur nachdachte. Im Grunde war sie eine Künstlerin. Einst hatte sie drei Semester an einer Kunstakademie absolviert, ihr Spezialgebiet war das Porträt gewesen. Daher rührte ihr sicheres Gespür für die stimmige Gesamtwirkung der Erscheinung. Hinzu kam ihr psychologisches Einfühlungsvermögen, eine weitere wichtige Voraussetzung für ihren Beruf. Sie liebte es, mit Menschen zu arbeiten. Deshalb hatte sie erst das Kunststudium, dann eine Tischlerlehre und schließlich auch den Plan verworfen, im Internet Antiquitäten zu verkaufen. Sie wollte Menschen berühren und beglücken. Ihnen etwas geben – das Gefühl, dass Inneres und Äußeres in Balance waren und dass sich wahre Schönheit durch den Mut zur unverwechselbaren eigenen Persönlichkeit entfaltete.
Aber all das war es nicht, was Maja jetzt bewegte. Nachdenklich stand sie an der gläsernen Eingangstür und sah der Kundin hinterher. Wie machten das die anderen Frauen? Wie schafften sie es, jahrzehntelang mit demselben Mann auszuharren, trotz der üblichen Turbulenzen in einer Beziehung, trotz Theater und Trara? Na ja, immerhin hatte Maja es geschafft, ihren Salon sechs Jahre lang über die Runden zu bringen. Da blieb nur zu hoffen, dass das nächste kein verflixtes siebentes Jahr werden würde.
Ihr Blick schweifte über die hellrot gestrichenen Wände, die goldgerahmten Spiegel, die Original-fünfziger-Jahre-Friseurstühle, den alten, leicht erblindeten Kronleuchter vom Flohmarkt. Aus der überfüllten Warteecke mit den durchgesessenen Couchen und den Regalen voller alter Kristallvasen hörte sie Stimmengewirr und Gelächter. Wie jeden Nachmittag hatte sich der Salon in eine Partyzone verwandelt.
Neben den wartenden Kunden saßen auch Bekannte aus der Nachbarschaft, die regelmäßig auf ein Schwätzchen vorbeikamen: Bernd, der in die Jahre gekommene Kioskbesitzer von nebenan, Helena, die notorisch überarbeitete Zahnärztin von gegenüber, Viktor, der verklemmte junge Jurastudent aus dem Souterrain. Sie waren ein weiterer Beweis dafür, dass Haare Geschichten erzählten. Bernds fast kahler Schädel, auf dem drei, vier flusige Strähnen miteinander um Aufmerksamkeit rangen – er lehnte jede fachgerechte Optimierung vehement ab –, verriet den verschrobenen Junggesellen. Helena tröstete sich nach jeder gescheiterten Beziehung mit einem neuen Styling, das eine bessere Phase mit einem viel besseren Mann einläuten sollte. So weit der Plan. Nach langen roten Locken und einem schulterlangen dunkelblonden Zwischenspiel trug sie das Haar jetzt schwarz und kinnkurz, ein Look, den Maja nur zähneknirschend umgesetzt hatte, weil die dunkelblonde Variante die einzig typgerechte gewesen war. Viktor hingegen trug das blonde Haar seit seinem sechsten Lebensjahr kurz und streng gescheitelt und hatte nicht die Absicht, jemals etwas daran zu ändern. Maja gewährte ihm stets einen großzügigen Rabatt, weil sie wusste, dass Studenten normalerweise kein Geld für Friseurbesuche übrig hatten.
Sie schloss die Augen. Dies war ihre kleine Welt. Hier war sie zu Hause, hier fühlte sich das Leben richtig an. Aber sonst …
»Läuft«, lächelte Jeremy, der zu ihr getreten war. »Du bist die ungekrönte Queen der haarigen Zunft.«
Sein aufrichtiges Lob freute sie. Von Anfang an hatte Jeremy ihr zur Seite gestanden, mit seiner unerschütterlich guten Laune und seinem Faible für extravagante Schnitte. Wie sie war er Ende dreißig, ein drahtiger, fast magerer Typ, der eine rote Lederjeans zu einem blauen Tanktop kombinierte. Eine gewagte Wahl zu seinen gelben Sneakers und dem asymmetrischen Haarschopf in der Trendfarbe Wilde Aubergine.
»Ach, Maja, ich hätte gern dasselbe wie du«, seufzte er.
Mit dem Handrücken wischte sie einen Spritzer Blondierungscreme von ihrer Stirn.
»Dasselbe wie ich? Das heißt, du willst bindungsschwache Männer an deiner Seite, einen pubertär verpeilten Sohn und einen Salon, der den ersten Preis für betreutes Wohnen verdient hätte?«
»Bin ich jetzt endlich auch mal dran? Mir ist langweilig!«, rief Frau Kampeter dazwischen, eine Kundin, die Maja noch von ihrer Vorgängerin geerbt hatte. Nach wie vor bestand die rüstige Rentnerin auf einer zartlila Seniorenheimdauerwelle. Maja respektierte das. Ältere Frauen wollten oft am Altbewährten festhalten, weil es ihnen Sicherheit verlieh und weil sie auf diese Weise eine goldene Vergangenheit in die Gegenwart retteten. Auch Kompromisse gehörten manchmal zu Majas Beruf.
»Geht sofort los«, versicherte sie. Da die hochbetagte Bewohnerin des nahen Altenheims weniger ihrer Haare als ihrer Einsamkeit wegen herkam, übte sie sich in geduldiger Freundlichkeit. »Noch ein Glas Sekt vielleicht?«
Frau Kampeter war bereits beim dritten. Und gelangweilt hatte sie sich ganz bestimmt nicht, denn wie die meisten Kunden und Nachbarn betrachtete sie den Salon als persönlichen Spaßbereich. Voller Wonne hatte sie ihre Zuhörer mit den unappetitlichsten Symptomen unaussprechlicher Krankheiten unterhalten. Jetzt erhob sie sich von der roten Wartecouch, strich ihren Pullover glatt und nahm wie eine Fürstin auf einem der beiden Friseurstühle Platz.
»Gern noch ein Gläschen, schmeckt köstlich, Ihr Prossetscho. Hach, war das nicht schön, die Dame gerade mit ihrem dreißigsten Hochzeitstag? Mein eigener Mann, Gott hab ihn selig, hat es sogar neunundvierzig Jahre mit mir ausgehalten, stellen Sie sich das mal vor. Wenn sein Schlaganfall nicht gewesen wäre, hätten wir goldene Hochzeit gefeiert. Warum sind Sie eigentlich nicht verheiratet, Fräulein?«
Wie stets überhörte Maja das »Fräulein« und band den Frisierumhang fest.
»Wozu heiraten? Für ein paar Gramm Wurst muss man doch nicht gleich das ganze Schwein kaufen.«
Frau Kampeter dachte einige Sekunden über diesen Satz nach, bevor sie säuerlich den Mund verzog.
»Würde Ihnen aber guttun, in festen Händen zu sein. Oder vergraulen Sie die Männer absichtlich?«
Ruhig Blut, ermahnte Maja sich. Lass dich nicht provozieren. Die ältere Generation hat nun mal andere Vorstellungen davon, wie gelungene Zweisamkeit aussieht. Wobei Maja es durchaus begrüßt hätte, wenn endlich eine gewisse Stetigkeit in ihr hakeliges Beziehungsleben gekommen wäre, ganz gleich, ob mit oder ohne Ehering. Leider war ihr aktueller Lover in dieser Hinsicht nicht gerade vielversprechend. Seit zwei Jahren teilte sie Tisch und Bett mit Robin, einem umwerfend charmanten und leicht chaotischen Web-Designer. Er brauchte viel Freiraum. Eigentlich zu viel Freiraum für Majas Erwartungen an eine Beziehung. Doch das hätte sie niemals offen zugegeben, und schon gar nicht hier im Salon, wo alle die Ohren spitzten, wenn es um ihre Männer ging.
»Privatangelegenheiten heißen Privatangelegenheiten, weil sie privat sind«, erklärte sie zum gefühlt tausendsten Mal.
Frau Kampeter zog einen beleidigten Flunsch. Natürlich hätte sie nur zu gern mehr über Majas Liebesleben erfahren und sicherlich jede Menge ungebetene Ratschläge in petto gehabt.
»Soso. Na ja, Schwamm drüber. Dann bitte waschen und legen, so wie immer. Bloß keinen neumodischen Kram. Was ist das überhaupt für eine Farbe, die Sie da tragen, Fräulein?«
»Haselnuss, Frau Kampeter.«
Über die schütteren lila Löckchen der Seniorin hinweg betrachtete Maja ihr Spiegelbild. Ihr gefiel der fransige Bobschnitt in sanften Brünett- und Goldabstufungen. Die Farbe passte zu ihrer hellen, zarten Haut und den dunkelblauen, fast veilchenfarbenen Augen. Zudem bildete sie einen reizvollen Kontrast zu den weißen T-Shirts, die sie bei der Arbeit trug. Vor einem Jahr hatte Maja die ersten grauen Haare entdeckt und sich zunächst erschrocken. Dann hatte sie die Frage aller Fragen – Färben oder Nichtfärben? – nach einigen Experimenten mit einem warmen Goldbraun beantwortet. Den aparten Bobschnitt trug sie schon länger, weil er zu ihrem herzförmigen Gesicht passte.
»Und Sie?«, wandte sich Frau Kampeter an Jeremy. »Was soll das für eine Farbe sein?«
»Wilde Aubergine. Macht einen schlanken Fuß.«
»Auberginen gehören in den Kochtopf«, grummelte Frau Kampeter. Sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Was kommt als Nächstes? Gurkengrün?«
»Spitzenidee!« Jeremy wackelte verzückt mit den Hüften. »Wilde Gurke, mein lieber Herr Gesangverein, das klingt vielversprechend!«
Das elektronische Glöckchengebimmel der Eingangstür beendete das Gespräch, bevor es eine allzu schlüpfrige Wendung zu nehmen drohte. Über die Schulter hinweg registrierte Maja, dass so etwas wie ein Naturereignis den Salon heimsuchte. Ein ziemlich unnatürliches Naturereignis, wie sie jetzt sah. Sie drehte sich um. Vor ihr stand der schrillste Männertraum seit der Erfindung des Pin-up-Girls. Sehr blond. Sehr vollbusig. In einem sehr, sehr kurzen Kleid in schreiendem Pink, von den glitzernden Highheels ganz zu schweigen. Aber am auffälligsten war die platinblonde auftoupierte Mähne, die wie eine Wolke über dem stark geschminkten Gesicht schwebte. Es wurde still in der Warteecke. Alle starrten das seltsame Wesen an.
»Oha, eine Frisur, als hätte sie mit ’nem Föhn gebadet«, raunte Jeremy Maja zu. »Blonder kann’s gar nicht werden.«
»Das hier Salooon?«, fragte die junge Frau in blasiertem Ton. »Sieht aus wie Laden mit Krimskrams. Sagt man so? Krimskrams?«
»N-nein, sagt m-man nicht«, stammelte Maja überrumpelt. »Wie kommen Sie überhaupt dazu …«
Wieder erklang das Glöckchengebimmel, und hinter dem Alptraum in Pink tauchte eine vertraute Gestalt auf. Maja kniff die Lider zusammen. Ja, sie kannte diese Frau in den besten Jahren – gertenschlank, grauer Bubikopf und ein Lächeln, das in tausend kleinen Falten rund um die hellen Augen nistete.
»Tante Ruth!« Wie ein Pfeil flog Maja auf sie zu. »Du bist wieder da? Seit wann? Wie geht’s in Italien? Wie lange bleibst du?«
»Ja. Seit gestern. Gut. Weiß noch nicht«, schmunzelte die ältere Dame, während sie ihre Nichte in die Arme schloss. »Alle Fragen zufriedenstellend beantwortet?« Neugierig spähte sie in die volle Warteecke. »Offenbar ist dein Salon erfolgreich. Wie erfreulich.«
»Kein Salooon, Laden mit Krimskrams«, wiederholte die Blondine.
Wie bitte? Maja löste sich aus der Umarmung. Mit der gusseisernen Contenance, die sie als Chefin eines Kleinstunternehmens brauchte, zwang sie sich, höflich zu bleiben.
»Entschuldigen Sie bitte vielmals, das ist kein Krimskrams, sondern Vintage-Chic, und soweit ich weiß, haben Sie keinen Termin. Also möchte ich Sie in aller Form bitten, meinen Salon zu verlassen.«
»Aber dalli«, bekräftigte Jeremy.
»Genau, jetzt bin ich nämlich dran!«, legte Frau Kampeter nach.
Mit großen Augen schaute Tante Ruth erst die Blondine, dann Maja an und räusperte sich ausgiebig.
»Wie ich sehe, habt ihr euch bereits kennengelernt.«
Maja stemmte die Hände in die Hüften.
»Wie jetzt – kennengelernt?«
»Nun ja«, verlegen nestelte Tante Ruth an ihrem rot-weiß gepunkteten Kleid herum, »du hattest dich doch erboten, eine Auszubildende zu nehmen. Die Enkelin einer Bekannten.«
Maja wurde flau.
»Äh – ja?«
»Das ist sie.«
Fassungslos musterte Maja von neuem die absolut unmögliche Person, die mit hochgerecktem Kinn dastand, ihre dick getuschten Wimpern senkte und den pinkfarben geschminkten Mund zu einem triumphierenden Grinsen verzog.
»Das … ist …?«
»Olga«, erwiderte Tante Ruth lapidar.
»Olga Anuschka Jelisaweta Anastasia Viktoria Orlowa aus Odessa«, ergänzte das hochblondierte Wesen.
In das verspannte Schweigen, das sich anschloss, platzte Jeremys Gelächter.
»Ein Alien aus Odessa! Ich befürchte, Olga muss hierbleiben, damit das Mutterschiff, das sie ausgesetzt hat, sie wiederfindet!«
»Sehr witzig«, zischte Maja, der überhaupt nicht nach Lachen zumute war.
Ja doch, sie erinnerte sich, dass sie Tante Ruth versprochen hatte, die Enkelin einer Bekannten unter ihre Fittiche zu nehmen. Aber da hatte sie an ein nettes junges Mädchen gedacht, nicht an etwas, was man ein wenig salopp, aber überaus treffend als Obertussi bezeichnen musste.
»Willst du den Charakter eines Menschen ergründen, so gib ihm eine Arbeit«, philosophierte Tante Ruth. »Olga ist hochmotiviert. Nicht wahr, Olga? Olga?«
Momentan war von der Motivation wenig zu bemerken. Die junge Frau hatte ihr Handy herausgeholt, ein strassverziertes Riesenteil, tippte mit ihren beängstigend langen feuerroten Nägeln darauf herum und begann, ohne Punkt und Komma auf Russisch loszusprudeln. Die Umstehenden würdigte sie keines Blicks mehr.
»Als Erstes bringen wir sie ins Krankenhaus und lassen ihr das Handy operativ vom Ohr entfernen«, lachte Jeremy, »anschließend könnten wir sie vielleicht zum Kaffeekochen einsetzen.«
Höchste Zeit zu handeln, fand Maja. Sie holte tief Luft.
»Tante Ruth, entschuldige, das sollten wir unter vier Augen besprechen. Jeremy, sei so gut und wasch bitte Frau Kampeter die Haare. Bin gleich wieder da.«
Resolut nahm sie ihre Tante an der Hand und zog sie in die Teeküche, einen winzigen gelb gekachelten Abstellraum, wo außer Geschirr und Gläsern auch Shampoos, Haarkuren und ganze Paletten voller Haarspraydosen lagerten. Nachdem sie geräuschvoll die Tür geschlossen hatte, setzte sich Maja neben ein paar benutzte Kaffeetassen auf die Arbeitsfläche.
»Mal im Ernst – das ist ein Scherz, oder?«
»Ach, Kind.« Tante Ruth legte den Kopf schräg, und Maja fiel auf, dass sie mittlerweile eher belustigt als verlegen wirkte. »Olgas eigenwillige Aufmachung entspricht vielleicht nicht dem mitteleuropäischen Stilempfinden, aber sie ist ein lieber Mensch. Beurteile sie bitte nicht nur nach dem Äußeren. Auch ich war anfangs irritiert, aber wenn man sie erst einmal näher kennt …«
»Besten Dank, darauf verzichte ich gern«, schnaubte Maja.
Anmutig wie ein junges Mädchen schwang sich Tante Ruth neben ihre Nichte auf den Küchentresen. Obwohl sie schon über siebzig war, spürte man die Spannkraft ihres schlanken Körpers. An der gebirgigen italienischen Amalfiküste, wo sie seit einigen Jahren lebte, erklomm sie die steilen, verwinkelten Gassen mühelos wie eine Gazelle, wie Maja bei ihrem letzten Urlaub festgestellt hatte. Sie liebte ihre patente, lebenskluge Tante, doch es war ihr schleierhaft, warum sie sich für eine grässliche Person wie Olga einsetzte.
»Sie hat sogar schon eine Friseurlehre gemacht in ihrer Heimat«, sagte Tante Ruth und legte begütigend eine Hand auf Majas Arm. »Hier in Deutschland wird die Lehre nicht anerkannt, deshalb braucht sie diese Ausbildung. Gib ihr eine Chance, mir zuliebe. Und glaub mir, sie hat mehr Grips, als man ihr ansieht.«
Maja lächelte dünn.
»Mit dem Grips ist es wie mit einer Fahrkarte – er hat nur dann einen Sinn, wenn man ihn benutzt. Falls diese Olga überhaupt einen Funken Verstand besitzt, hat er jedenfalls noch kein Licht in ihrem durchgeknallten Köpfchen entzündet. Deshalb …«
Ein heftiges Klopfen unterbrach sie, und Jeremy steckte den Kopf zur Tür herein.
»Es spricht nicht nur, es – wäscht!«, gluckste er.
Wie vom Donner gerührt, starrte Maja ihn an. Dann glitt sie vom Küchentresen und lief in den Salon. Jeremy hatte nicht geschwindelt. Hingebungsvoll massierte Olga schäumendes Shampoo in die Kopfhaut von Frau Kampeter. Die wiederum verdrehte genüsslich die Augen.
»Hmmm, das machen Sie sehr gut, Kindchen. Danach könnte ich richtig süchtig werden.«
Nein, nein, nein, wollte Maja rufen, Schluss mit dem Spuk! Doch ihr blieben die Worte im Halse stecken. Hinter dem Tresen lümmelte ihr Sohn Willi herum, ganz in gruftiges Schwarz gekleidet und mit diesem missgelaunten Gesichtsausdruck, der ihr schon seit Monaten auf die Nerven ging. Gerade langte er so ungeniert in die Kasse, als handle es sich um einen öffentlichen Geldautomaten. Innerlich kochend baute sich Maja vor ihm auf.
»Was soll das denn bitte schön bedeuten?«
»Brauch ’n bisschen Kohle«, antwortete er mürrisch.
»Mach sofort die Kasse zu! Du bist sechzehn, bekommst genug Taschengeld und kannst jobben, wenn du Extrawürste willst.«
Er zuckte mit den Schultern und schob die Unterlippe vor.
»Fuck, was ist denn schon dabei …«
Maja spürte, wie sich die Blicke sämtlicher Anwesenden in ihren Rücken bohrten. Dies war weder der passende Moment noch die passende Kulisse für eine Mutter-Sohn-Debatte. Doch das war ihr egal. Sie schäumte vor Wut.
»Ich schufte mich ab, um dir ein komfortables Leben zu ermöglichen, und zum Dank bestiehlst du mich und wirst auch noch ausfallend. Nach allem, was ich für dich tue.«
Trotzig vergrub Willi die Hände in den Hosentaschen seiner schwarzen Jeans, der er einige Tage zuvor mit Hilfe eines Brotmessers den angesagten Fetzenlook verpasst hatte.
»Jetzt hör mal auf, die Mutter des Jahres zu spielen, okay?«
»Und du solltest dir mal die Zähne putzen, meine Augen tränen schon«, fauchte Maja, die hinter den Tresen gehuscht war und schwungvoll die Kassenschublade zuwarf. »Auch duschen wäre angebracht. Ist wirklich ein starkes Stück, wie du hier aufschlägst.«
In der Tat war das Thema Hygiene in Willis Universum eine zu vernachlässigende Größe. Ebenso wie pünktlich aufstehen, Hausaufgaben erledigen und sein vermülltes Zimmer aufräumen.
Langsam wurde es unruhig im Salon. Aus der Warteecke drang indigniertes Geräusper und Gemurmel. Frau Kampeter schüttelte unablässig den Kopf, wobei nach allen Seiten Schaumflöckchen durch die Luft flogen. Diese unerfreuliche Szene war ganz nach ihrem Geschmack. Und eine saftige Geschichte, die sie nun wochenlang zum Besten geben würde.
»Die Jugend hat einfach keinen Respekt mehr«, empörte sie sich und zeigte auf Olga, die gerade den Wasserhahn anstellte, um das Shampoo auszuspülen. »Da, Willi, nimm dir mal ein Beispiel an der jungen Dame. Die packt richtig an.«
Feixend streckte Olga ihm die Zunge heraus, woraufhin Willis rechter Mittelfinger hochschoss. Prompt entlud sich die Entrüstung des gesamten Salons auf ihn. Alle redeten nun durcheinander auf ihn ein, nur Maja stand mit hängenden Schultern da und wünschte sich weit, weit weg. Es war so peinlich und ziemlich niederschmetternd, einen Sohn zu haben, der quasi nicht gesellschaftsfähig war. Währenddessen marschierte Tante Ruth, vollkommen unbeeindruckt von der allgemeinen Aufregung, auf Willi zu und drückte ihn an sich, was er ohne Protest über sich ergehen ließ. Sie war schon immer seine Lieblingstante gewesen.
»Willi, mein Goldschatz«, lächelte sie, »lass es gut sein. Komm, wir gehen eine Cola trinken, und dann erzählst du mir, wieso du in Geldnöten bist. Einstweilen kann deine Mutter sich mit ihrer neuen Azubine anfreunden.«
Auch das noch. Maja stand kurz vor einer Explosion. Hatte sie sich denn nicht deutlich genug ausgedrückt? Tante Ruth in allen Ehren, doch bei solchen Entscheidungen hatte schließlich die Inhaberin des Salons Haare gut, alles gut das letzte Wort.
»Sorry, wir brauchen niemanden.«
»Ach, wirklich?« Tante Ruth zwinkerte ihr zu. »Hast du mir nicht neulich erzählt, du müsstest dir dringend mehr Zeit für die Familie nehmen?«
Die Art und Weise, wie sie das Wort »Familie« aussprach und dabei Willi sanft in die Seite knuffte, ließ keinen Zweifel daran, was sie wirklich meinte. Maja schluckte nervös. Es stimmte ja, sie hatte Tante Ruth am Telefon ihr Leid über Willi geklagt. Nicht nur sein Äußeres und seine Umgangsformen ließen zu wünschen übrig. Seine Schulnoten waren in den letzten Wochen ins Bodenlose gerutscht, unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, weil er die halbe Nacht vor dem Computer verbrachte, und wenn sie abends heimkam, drückten sich seltsame neue Freunde im Haus herum, die den Kühlschrank plünderten und Brandflecken auf dem Teppich hinterließen. Besonders einer dieser Freunde war ihr ein Dorn im Auge: Boris, ein paar Jahre älter als Willi, ein halbseidener, irgendwie unheimlicher Typ, der schon Auto fuhr, Markenklamotten und eine dicke Goldkette trug und von Willi glühend bewundert wurde. In ihre Wut mischten sich Schuldgefühle. Hatte sie ihre Mutterpflichten vernachlässigt? Zu viel gearbeitet und zu wenig hingeschaut?
»Bin ich keine Azur-Biene«, trällerte Olga. »Bin ich Azur-Schmetterling!«
Mit flinken Bewegungen, als hätte sie nie etwas anderes getan, drehte sie winzig kleine Lockenwickler in Frau Kampeters schüttere Haare. So etwas beherrschten sonst nur noch pensionierte Friseurinnen, doch in Olgas Heimat gehörte diese altmodische Technik offenbar noch zum Standardrepertoire eines Friseurlehrlings. Und Maja suchte seit Wochen vergeblich eine Aushilfe, um häufiger zu Hause sein und Willi wieder auf Spur bringen zu können.
»Also schön«, lenkte sie ein. »Wir versuchen es. Aber eine Woche Probezeit muss sein, erst danach entscheide ich, ob Olga hier eine Ausbildung machen kann.«
»Du wirst es nicht bereuen.« Tante Ruth hakte Willi unter. »Komm, mein Junge, wir sprechen uns aus. Und heute Abend lade ich dich und deine Mutter zum Essen ein. Um sieben in der Trattoria Sorrentina!«
Sie winkte Maja fröhlich zu, bevor sie mit Willi abzog. Alle sahen nun zu Olga, die eindeutig als Siegerin aus dem Scharmützel hervorgegangen war. Sichtlich zufrieden lächelte sie in die schweigende Runde, wobei sie ein Strasssteinchen im linken oberen Eckzahn entblößte.
»Brauche ich keine Probezeit«, behauptete sie und ließ Frau Kampeters Kopf unter einer Trockenhaube verschwinden, Majas Zugeständnis an die ältere Kundschaft. »Bin ich schon Friseuse.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Maja. »Und übrigens heißt es Friseurin.«
Olga warf den Kopf in den Nacken.
»Bin ich sowieso Stylistin, mache Haare kreativ. Kann helfen, Krimskrams-Saloooon erfolgreich.«
An Selbstbewusstsein mangelte es ihr offenbar nicht. Maja war einfach nur sprachlos über so viel Unverfrorenheit.
»Die hat ’nen Lattenschuss, ist aber voll das lecker Törtchen für die männlichen Kunden«, flüsterte Jeremy. »Schau mal, wie die sie anglühen.«
Er hatte recht. Die Herrenfraktion in der Warteecke starrte gebannt auf Olgas pinkverpackte Kurven. Auch Bernd, dem fast kahlen Kioskbesitzer von nebenan, fielen förmlich die Augen aus dem Kopf. Schwerfällig hievte er seine gut hundert Kilo hoch, die er in eine unförmige braune Cordhose und ein kariertes Hemd gepresst hatte, dann schlurfte er in seinen Adiletten zu Olga. Er reichte ihr gerade mal bis zum offenherzigen Dekolleté.
»Einmal waschen und schneiden, bitte.«
Maja meinte, sich verhört zu haben. Schließlich hatte Bernd noch nie ihre Dienste in Anspruch genommen. Wie er jedem Anwesenden unzählige Male erklärt hatte, schnitt er sich seine spärlichen Flusen immer daheim vor dem Badezimmerspiegel mit einer Nagelschere.
»Särr, särr gern«, gurrte Olga.
Bernd sank erfreut auf den freien Friseurstuhl und legte seinen fast kahlen Schädel an die Kopfstütze.
»Eine schöne Massage möchte ich auch. Genau so eine wie Frau Kampeter.«
»Mache ich Massage, hören Engelein singen in Himmel«, erwiderte Olga mit einem filmreifen Augenaufschlag.
Es grenzte fast an Beleidigung, was hier passierte. Als hätte Maja nicht jahrelang alles getan, um ihre Kunden zufriedenzustellen. Als sei sie nicht eine engagierte Friseurin, die keine Wünsche offenließ, und eine großzügige Gastgeberin, der es nichts ausmachte, dass ihr Arbeitsplatz einem Nachbarschaftstreff glich. Doch plötzlich stand Olga im Mittelpunkt. So was nannte man wohl feindliche Übernahme.
»Krisengespräch«, grummelte sie und bedeutete Jeremy mit einem Fingerschnippen, er möge ihr folgen.
In der Teeküche ließ Maja ihrem Frust freien Lauf. Es waren keine netten Vokabeln, die ihr zu Olga einfielen. Quatschkartoffel, Dorfhupe und Ballermannbarbie waren noch die freundlicheren. Normalerweise legte sie nicht derart heftig los, doch heute lagen ihre Nerven blank. Wegen Willi und ein bisschen auch wegen Robin, der sich wegen einer Kanutour seit zwei Tagen nicht hatte blicken lassen. Die Zumutungen der letzten Viertelstunde brachten nun das Fass zum Überlaufen. Eine Weile hörte sich Jeremy alles an, dann strich er sich bedächtig durch seinen auberginefarbenen Schopf.
»Du bist eifersüchtig, und ich versteh’s. Aber das ist nur der Reiz des Neuen. Wenn Olga erst mal ein paar Tage hier ist, interessiert sich kein Schwein mehr für sie.«
»Das glaubst auch nur du.« Schwer atmend lehnte Maja an einem Regal voller Schachteln mit Haartönungen. »Die Brave und die Bitch, das geht doch immer gleich aus – die Bitch macht das Rennen.«
Tröstend legte Jeremy einen Arm um sie.
»Lass locker, Maja. Ich weiß, dass dein vorletzter Lover mit genauso einem superblonden Biest durchgebrannt ist, aber das hier ist nicht dein Schlafzimmer, das ist dein Salon. Alle lieben dich. Alle schwärmen von deinen tollen Frisuren. Bisher hat diese Olga nur den Glitzerweibchen-Bonus, aber das Wasser kann sie dir ganz bestimmt nicht reichen. Schon vergessen, dass du bei der letzten Friseurmeisterschaft den zweiten Platz gemacht hast? Für dein Topstyling mit Bio-Produkten?«
Nein, Maja hatte es nicht vergessen. Die gerahmte Urkunde hing vorn im Salon, und es erfüllte sie jedes Mal mit Stolz, wenn ihr Blick darauf fiel. Jawohl, Maja-Marie Müller, die nur eine unspektakuläre kleine Klitsche in einer biederen Gegend führte, hatte fast alle anderen Friseure ausgestochen. Sogar einige superarrogante Promifriseure, die sie zunächst belächelt hatten.
»Danke, Jeremy«, seufzte sie. »Du bist der beste Freund und der genialste Coach unter der Sonne.«
»Na also. Kopf hoch. Tante Ruth meint es gut mit dir. Und wenn du mich fragst – Willi braucht dich wirklich. So lässig, wie der tut, ist er nämlich gar nicht. Ich glaube mittlerweile, er hat ein paar echte Probleme an der Backe.«
Die letzten Worte machten Maja hellhörig.
»Von welchen Problemen redest du? Dass er aufsässig ist? Dass er müffelt wie ein Iltis? Oder dass er schlechte Noten hat?«
Fahrig zupfte Jeremy an dem schwarzen Nietenarmband herum, das seinen rechten Arm schmückte.
»Eigentlich wollte ich es dir ja nicht sagen, aber ich habe Willi mehrmals am helllichten Vormittag auf der Straße rumlungern sehen. Mit, na ja, zwielichtigen Gestalten.«
Maja wurde blass. Schon lange hatte sie ein mulmiges Gefühl wegen Willis schlechter Zensuren, doch bisher hatte sie das Offensichtliche lieber verdrängt als zu Ende gedacht.
»Das heißt, er … er schwänzt die Schule?«
»Sieht ganz so aus. Bestimmt hattest du längst Post von seinem Klassenlehrer, aber weil du erst abends nach Hause kommst, hat Willi vermutlich die Briefe abgefangen. Nun schau nicht so entsetzt, das kommt alles wieder ins Lot. Was allerdings voraussetzt, dass du dich von dieser Olga entlasten lässt. Also entspann dich. Sag ihr, sie soll was Anständiges anziehen, verpass ihr eine akzeptable Frisur, den Rest erledige ich, versprochen. Ich werde sie im Auge behalten. Apropos – ich schaue mal kurz, was sie da vorn macht.«
Als er hinausgegangen war, blieb Maja ziemlich durcheinander zurück. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken umher wie ein Laubhaufen, den eine Windbö erfasst hatte. Mehr Zeit für Willi, das war dringend nötig. Und auch mehr Zeit für Robin war durchaus angebracht. Schon öfter hatte er sich bei Maja beschwert, dass ihr Leben nur noch aus Arbeit bestehe und zu wenig Raum für die kleinen Verrücktheiten bleibe – die er sich daher stets allein genehmigte. Der hatte gut reden. Maja musste ja nicht nur den ganzen Tag lang im Salon stehen, den sie abends selber putzte, oft erledigte sie bis spätnachts auch noch die Buchhaltung oder schrieb Bestelllisten für Shampoos und Haarkuren. Ein wenig Entlastung käme da gerade recht.
»Alles okay«, sagte Jeremy, als er zurückkehrte. »Nur der Proseccoverbrauch ist heute ungewöhnlich hoch. Und? Hast du dich entschieden?«
»Ja, es ist wohl das Beste, wenn wir es doch mit Olga probieren«, gab Maja widerstrebend zu.
»Dann lass uns weitermachen. Ein paar Kunden werden schon unruhig, und Olga hat einen besonders ungeduldigen Kandidaten auf dem Stuhl. Na ja, bisher scheint es glattzugehen. Aber wir müssen ihr das Parfum verbieten. So wie sie riecht, fallen sogar die Schafe in Ostfriesland um, und …«
Ein Aufschrei beendete seinen Satz. Er entstammte einer Männerkehle und war so markerschütternd, als würde jemand auf dem offenen Feuer gegrillt. Ein kurzer Blickwechsel, und beide rannten sie los nach vorn in den Salon. Wild mit den Armen fuchtelnd, stand ein Herr im eleganten dunkelgrauen Zweireiher im Raum, der wüste Verwünschungen ausstieß und immer wieder auf seine Haare deutete. Maja musste nicht lange fragen. Das Bild, das sich ihr bot, sprach für sich. Mit schuldbewusst gesenktem Kopf stand Olga in der Ecke und wischte sich die Wimperntusche von den tränennassen Wangen.
»Orange!«, brüllte der Mann sie an. »Meine Haare sind orange! Gleich habe ich einen sehr, sehr wichtigen Businesstermin mit einem Neukunden! Ich werde Sie verklagen! Auf mindestens zehntausend Euro Schadensersatz! Wenn ich mit Ihnen fertig bin, können Sie diese schräge Bude dichtmachen!«
»Mein Gott, Olga, was hast du getan?«, stöhnte Maja.
Sie hatte einige Stylingunfälle gesehen in ihrem langjährigen Friseurleben, aber dieser hier war besonders gruselig. Unregelmäßig breite knallorangefarbene Streifen zogen sich durch das braune Haar, das an den Seiten millimeterkurz geschoren war und auf dem Kopf in Stacheln abstand. Zu einer Halloweenparty hätte die Frisur wunderbar gepasst. Nicht aber zu einem Mann, der größten Wert auf Seriosität legte, wie seinem klassisch geschnittenen Anzug und der dezenten grauen Seidenkrawatte zu entnehmen war. Was Olga auf seinem Kopf fabriziert hatte, wirkte in etwa so seriös wie ein Totenkopftattoo auf dem Po. Schlimmer hätte es kaum kommen können.
»Wollte er coole Look«, schluchzte Olga.
»Das ist Körperverletzung!«, brüllte der Mann. »Und Geschäftsschädigung!«
Inzwischen waren die wartenden Kunden sowie die hereingeschneiten Nachbarn aufgestanden und umringten den aufgebrachten Mann. Es war ein veritabler Skandal, der sich hier ankündigte.
»Jetzt mal halblang«, schaltete sich Jeremy ein. »Okay, das Ding ist voll in die Hose gegangen, aber ich kann Ihnen eine dunkle Tönung auf die Schnelle drübergeben, und nach Ihrem Termin kommen Sie noch mal vorbei, damit ich Sie fachgerecht umfärben kann.«
»Auf die Schnelle …«, grollte der Mann. Vorwurfsvoll zeigte er auf sein teures Chronometer am Handgelenk. »Ich habe mein Meeting in zehn Minuten!« Er fingerte eine Visitenkarte aus seinem Jackett und warf sie Jeremy vor die Füße. »Hier, Sie Chefkomiker, Sie hören von meinen Anwälten.«
»Stopp, ich bin hier die Chefin!«, rief Maja. »Selbstverständlich haben Sie das Recht, eine misslungene Frisur zu reklamieren, aber wir müssen doch nicht gleich vor den Kadi ziehen.«
Verblüfft starrte der Mann sie an. Begutachtete ihren braungoldenen Fransenschnitt, das weiße T-Shirt, die verwaschene Jeans darunter und die weißen Sneakers, die nicht gerade taufrisch wirkten, wie Maja in diesem Moment bewusst wurde.
»Sie sind also die Chefin? Dann verraten Sie mir doch mal, wie Sie dazu kommen, so eine stümperhafte Idiotin auf die Menschheit loszulassen.«
»Sie ist keine Idiotin«, murmelte Bernd.
»Bin ich Stylistin«, schmollte Olga.
Maja fuhr herum.
»Du bist still. Wir reden später. Herr im Himmel, ich fasse es nicht, dass du dir einfach einen Kunden schnappst und ihn …«
»… verstümmeln ist wohl das richtige Wort«, giftete der Mann.
Mit einer schnellen Bewegung hob Maja seine Visitenkarte vom Boden auf. Dr. Alexander von Maybach stand darauf, AvM International Consulting and Project Managing Incorporated. Beeindruckend. Nur, dass Maja von volltönenden Namen und hochtrabenden englischen Ausdrücken so was von gar nicht zu beeindrucken war.
»Werter Herr von Maybach«, sie rang sich ein schwaches Lächeln ab, »wir werden eine Lösung finden, da bin ich ganz sicher. Ich drücke Ihnen jetzt die Daumen für Ihren Termin, und danach besprechen wir ganz in Ruhe bei einem Glas Prosecco, wie es weitergeht.«
Er trat so dicht an sie heran, dass sie sein unglaublich gutduftendes Rasierwasser riechen konnte, bevor ihr Lächeln am stahlharten Blick seiner blauen Augen abbrach.
»Sie träumen wohl.«
Damit rauschte er ab. Klirrend fiel die Glastür hinter ihm zu.
»Eitler Fatzke«, murrte Bernd. »Dabei hat sich unsere Olga so viel Mühe gegeben.«
»Der denkt wohl, ihm gehört die Welt«, schloss sich Frau Kampeter an.
Auch die anderen schlugen sich nach und nach auf Olgas Seite. Dass sie einen groben Fehler begangen hatte, darüber war man sich einig, dennoch überwog die Empörung über das arrogante Auftreten ihres Opfers. Währenddessen starrte Maja auf die Visitenkarte, die schon ganz verknittert war, so krampfhaft hielt sie das Stückchen elfenbeinfarbene Pappe umklammert. Zehntausend Euro Schadensersatz. Ob das ernst gemeint war? Wenn ja, musste sie ihren Laden tatsächlich dichtmachen. Und dieser Typ wirkte nicht so, als ob er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde.
»Wie ist das eigentlich passiert, Olga?«, fragte sie mit bebender Stimme.
»Sie hat keine Schuld, das alles kam nur, weil der blöde Lackaffe das so wollte!«, nahm Bernd sie ritterlich in Schutz.
»Ja, und Bienen summen, weil sie den Text vergessen haben«, ätzte Jeremy.
Mittlerweile glich Olgas Gesicht einem missglückten Aquarell. Wimperntusche und Rouge bildeten fleckige Schlieren auf ihrer Haut, der Lippenstift war verschmiert. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Kommt feine Herr rein, will coole Frisur, ich sag, machen schöne Schnitt und Strähnchen, gibt gaaanze frische Look wie Urlaub an Meer, und er sagt, ja, ich sollen machen.«
»Genauso war’s!«, bestätigte Frau Kampeter.
»Weiter«, befahl Maja.
»Muss lange einwirken, Creme, damit hell«, fuhr Olga schniefend fort. »Aber Herr sagen, müssen gehen, haben Termin, ich sagen, nein, noch nicht fertig, aber er wollen sofort runter mit Creme. Deshalb orange.«
Aus den Umstehenden löste sich Viktor, der Jurastudent, der bislang noch keinen Ton gesagt hatte. Wie immer trug er einen dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt, eine dicke Hornbrille und das blonde Haar akkurat gescheitelt.
»Wenn der Schwachmat dich verklagt, wird es eng«, orakelte Viktor düster. »Zwar trägt er selbst eine Mitschuld an dem Desaster, weil er die Einwirkzeit der Blondierung eigenmächtig unterbrochen hat. Andererseits war es natürlich nicht korrekt, dass eine ungelernte Kraft ihn in die Mangel nimmt. Das nennt man Verletzung der Aufsichtspflicht.«
»Ich würde Olga ja auch nicht mit einem Bohrer in der Hand auf meine Patienten loslassen«, bekräftigte Helena, die Zahnärztin von gegenüber.
»Die kommen sonst alle ohne Zähne wieder raus«, bemerkte Frau Kampeter überflüssigerweise.
Maja hörte gar nicht mehr richtig hin. Erschöpft ließ sie sich auf einen der beiden Friseurstühle fallen. Innerhalb einer Stunde war so viel geschehen, dass sie erst einmal ihre Gedanken sortieren musste. Was tun? Am dringlichsten war die Sache mit diesem vermaledeiten Maybach. Gleich danach stand Willi auf ihrer Prioritätenliste, und dann war da noch Olga, die Problemtussi, wie Maja sie innerlich nannte.
»Schluss für heute«, sagte sie und stand auf. »Alle Kunden, die noch nicht dran waren, bitte ich, morgen oder an einem anderen Tag wiederzukommen – als Ausgleich für die Unannehmlichkeiten werde ich kein Geld nehmen. Einverstanden?«
Niemand widersprach. Einer nach dem anderen verabschiedete sich von Maja, bis der Salon leer war. Nur Jeremy und Olga blieben übrig. Olga, verflixt! Maja hätte dieses pinkfarbene Grauen in Menschengestalt am liebsten im hohen Bogen rausgeworfen, nur die Erinnerung an Tante Ruths Worte und die Tatsache, dass sie dringend jemanden für den Salon brauchte, hielten sie davon ab, es nicht sofort zu tun. Noch immer stand Olga wie ein Häuflein Elend in der Ecke. Mit einem Kleenex rieb sie sich die verlaufene Schminke vom Gesicht und traute sich nicht, Maja oder Jeremy anzusehen.
»Ich entschuldigen«, flüsterte sie. »Ich werden arbeiten umsonst. Ich alles tun für hierbleiben.«
Von ihrer blasierten Attitüde war absolut nichts übrig geblieben. Ohne das dicke Make-up sah sie auf einmal wie ein kleines Mädchen aus, das bei einem dummen Streich erwischt worden war. Vermutlich war sie nur wenig älter als Willi. Irgendwie rührend, fand Maja jetzt.
»Wie alt bist du eigentlich?«
»Siebzehn«, schluchzte Olga.
»Also zu jung, um hier große Töne spucken zu dürfen, aber alt genug, um Verantwortung zu übernehmen«, merkte Jeremy an.
Maja gab sich einen Ruck.
»Okay, klare Ansage: Morgen früh erscheinst du pünktlich um neun im Salon, in gepflegter, unauffälliger Kleidung. Keine Eigenmächtigkeiten mehr. Ich sage dir, was du zu tun hast. Jeremy und ich werden genau darauf achten, wie du deine Aufgaben erledigst. In einer Woche entscheide ich dann, ob du bleiben kannst. In Ordnung?«
Durch einen Tränenschleier hindurch schaute Olga auf und nickte. Dann griff sie zu einem rosa Hello-Kitty-Handtäschchen und stöckelte auf ihren Glitzer-Highheels davon. Sobald sie verschwunden war, brach Jeremy in Lachen aus.
»Was ist denn bitte schön so komisch?«, fragte Maja.
»Ich bewundere dich«, kicherte er. »Im nächsten Leben solltest du Bewährungshelferin werden. Jedenfalls kenne ich niemanden, der so großzügig reagiert hätte wie du. Oder steckt mehr dahinter? So was wie – Olga, die Tochter, die du nie hattest?«
Damit traf er einen wunden Punkt. Es stimmte ja, Maja hatte sich lange eine Tochter gewünscht. Doch nachdem sich Willis Erzeuger aus dem Staub gemacht hatte, war ihr nie wieder ein Mann begegnet, mit dem sie sich Kinder vorstellen konnte. Wie über vieles andere, was in ihrem Leben unrund gelaufen war, sprach sie allerdings nicht gern über diese Dinge.
»Schnickschnack«, wehrte sie ab. »Ich folge nur deinem Rat. Auszubildende sind heute schwer zu bekommen. Olga verfügt bereits über Grundkenntnisse des Friseurhandwerks, und wenn sie sich wider Erwarten gut macht, hält sie mir den Rücken frei, damit ich mich besser um Willi kümmern kann.«
Jeremy hob eine Augenbraue.
»Also eine vollkommen unsentimentale Entscheidung.«
»Du sagst es.«
Der versonnene, ein wenig besorgte Blick, mit dem er sie bedachte, behagte Maja überhaupt nicht. Jeremy kannte sie besser als jeder andere. Kein Wunder, er hatte ja auch mehr Zeit mit ihr verbracht als jeder Lover.
»Was hast du auf dem Herzen?«, fragte sie.
»Mit Ende dreißig zieht man Bilanz, beruflich wie privat, das geht mir übrigens genauso«, bekannte Jeremy. »Ich frage mich: Was habe ich eigentlich erreicht? Wo stehe ich? Wo will ich hin? Du bist ein bisschen durch den Wind, Schatz. Könnte das auch daran liegen, dass du endlich ankommen willst, eine richtige Familie haben und so weiter?«
»Ich habe bereits eine richtige Familie«, antwortete Maja heftiger als gewollt. »Einen Mann und ein Kind. Schon vergessen?«
Jeremys Augenbrauen rutschten hoch.
»Verspielte Männer wie Robin werden maximal elf, danach wachsen sie nur noch körperlich. Du hast einen Kerl, der sich nicht zu hundert Prozent für dich entscheidet, weil er nicht erwachsen werden will, und einen Sohn, der nicht auf dich hört, weil er sich für irre erwachsen hält. Sorry, ich sehe da mehr Baustellen als ein trautes Heim.«
Mit verschlossener Miene begann Maja herumliegende Bürsten, Kämme und diverse Lockenwickler in ein Rollschränkchen einzuräumen. Sie mochte solche Gespräche nicht. Natürlich wusste sie, dass nicht alles im Lot war. Aber was half es schon, darüber zu lamentieren?
»Ach Jeremy, du hast recht, aber wie soll ich das ändern? Ich wurschtele mich schon irgendwie durch.«
»Na, dann – einen schönen Abend«, sagte Jeremy achselzuckend. »Grüß Tante Ruth von mir.«
»Mach ich. Und vergiss bitte nicht, dass ich morgen Vormittag einen Termin für Hochzeitsfrisuren außer Haus habe. Pass um Gottes willen auf Olga auf.«
»Kennst mich doch – zu nichts zu gebrauchen und zu allem fähig.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Und du passt auf dich auf, meine Kleine. Ciao, ich gehe.«
Eine Minute später fand sich Maja allein im Salon wieder und machte sich daran, aufzuräumen. Als sie einige herumstehende Shampooflaschen in den Rollwagen einsortierte, fiel ihr Blick in den Spiegel. Sie hielt in der Bewegung inne. Gedankenverloren betrachtete sie ihr Gesicht. Es war immer noch hübsch, trotz einiger Linien, die sich in ihre Haut eingegraben hatten. Täglich sah sie Kundinnen, die mit starkem Geschütz die Spuren des Alters bekämpften, mit chemischen Peelings, Unterspritzungen, Botox. Bewusst hatte Maja darauf verzichtet. Sie wollte keinen Wettlauf mit dem Alter um den Preis, dass man seine individuelle, gereifte Schönheit gegen ein geklontes Lächeln eintauschte, mit einer künstlich geglätteten, unpersönlichen Maske. Sie wollte auch den entwürdigenden Contest nicht mehr, ob sie dem Vergleich mit jüngeren Frauen standhielt, sondern setzte darauf, dass Ausstrahlung wichtiger war als ein paar Falten. Sicher, ein junges, glattes Gesicht wie das von Olga hatte seinen Reiz. Doch es war ein austauschbarer, noch nicht durch Erfahrung geformter Reiz.
Maja betastete die zarten Linien rund um ihre Augen. Warum nicht das gelebte Leben akzeptieren, das ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben stand? Die wilden Jugendjahre, das abgebrochene Kunststudium, die Friseurlehre, der lange Weg zum eigenen Salon, das Kind, das sie zur Welt gebracht hatte? Und die Beziehungen, die ihr, abgesehen von anstrengenden Trennungsphasen, auch so viele glückliche Momente, so viel Lebendigkeit und Intensität beschert hatten? Nein, sie stand dazu. Am Glanz ihrer Augen und an den Lachgrübchen in den Wangen hatte sich ja nichts geändert, genauso wenig wie an ihrem stets ein wenig spitzbübischen Gesichtsausdruck.
Im Grunde habe ich meinen Beruf ergriffen, weil ich Frauen auf dem Weg zu ihrer natürlichen, authentischen Schönheit begleiten möchte, dachte sie. Typgerechte Frisuren sind so viel hilfreicher als brutale Beauty Treatments. Und so viel individueller.
Noch einmal betrachtete sie ihr Spiegelbild. Die tiefe Sorgenfalte zwischen ihren Augenbrauen war neu. Leider gab es nur Spritzen gegen Falten, nicht gegen Sorgen.
Nachdem sie feucht durchgewischt und das benutzte Geschirr abgewaschen hatte, schaltete sie überall das Licht aus und schloss die Eingangstür ab. Anschließend schwang sie sich auf ihr Fahrrad, das sie an einen Laternenmast vor dem Salon gekettet hatte. Während sie losradelte, kreisten ihre Überlegungen um Punkt eins auf ihrer Prioritätenliste. Die Visitenkarte des klagewütigen Herrn hatte sie in die hintere Tasche ihrer Jeans gesteckt. Alexander von Maybach. Wie war er überhaupt in ihren kleinen Laden geraten? Einer wie der ließ sich doch normalerweise in den angesagten Friseursalons verwöhnen. Jetzt hatte sie ihn an der Backe, und das konnte ihren Ruin bedeuten. Ob sie ihm und seinen Anwälten zuvorkommen sollte? Ihn anrufen, die Wogen glätten?
Vor einem Blumenladen, der noch geöffnet hatte, bremste sie ab. Es war eine spontane Idee. Fünf Minuten später verließ sie den Laden mit einem Arm voller leuchtend gelber Sonnenblumen und einer handgeschriebenen Entschuldigungskarte nebst ihrer Handynummer. Zehn Minuten später stand sie vor einem imposanten Bürogebäude, auf dem ein Messingschild mit dem Schriftzug AvM International Consulting and Project Managing Incorporated prangte. Ihre Uhr zeigte halb sieben. Nicht dass sie erwartete, Dr. Alexander von Maybach jetzt noch im Büro anzutreffen, aber bestimmt konnte sie die Sonnenblumen für ihn abgeben. Er würde sie dann gleich am nächsten Morgen vorfinden, und zwar bevor er seine Anwälte in Bewegung setzte. Vielleicht ließ er sich damit besänftigen. Einen Versuch war es wert.
Die Blumen eng an den Körper gepresst, schob Maja mit der Hüfte einen Flügel der großen gläsernen Schwingtür auf, die in das Gebäude führte. Ihre Sneakers quietschten bei jedem Schritt auf dem polierten grauen Marmor des Empfangsbereichs, der so schick und edel wirkte wie die Lobby eines Luxushotels. Ein paar beigefarbene Ledercouchen standen in dem weitläufigen Raum, neben mannshohen Bodenvasen aus Perlmutt, in denen verschwenderisch dekorierte weiße Lilien ihren feinen Duft verbreiteten. Hinter dem Empfangstresen entdeckte sie einen dunkelblau uniformierten Sicherheitsmann und hielt auf ihn zu.
»Hallo, ich möchte etwas für Herrn Maybach abgeben.«
Misstrauisch betrachtete der Mann erst die Blumen, dann ihr vom Radeln gerötetes Gesicht.
»Für Herrn Doktor von Maybach«, korrigierte sie sich.
»Das müssen Sie schon selbst übernehmen, ich bin kein Laufbursche, sondern von der Security. Oben müsste noch jemand sein«, blaffte der Uniformierte. »Ausweis?«
Maja holte ihr Portemonnaie heraus und zeigte ihm ihren Personalausweis, den er mit seinem Handy abfotografierte.
»Dritter Stock.«
»Herzlichen Dank, sehr freundlich«, flötete sie.
Als sie in dem voll verspiegelten Aufzug auf die Taste mit der 3 drückte, bereute sie ihren Entschluss schon wieder. Einer wie dieser Maybach hielt sicherlich nichts von netten Gesten. Der war eiskalt, ein aggressiver Macher, der alles wegnietete, was ihm in die Quere kam. Sobald der Lift mit einem überirdisch sanften Pling anhielt, drückte sie deshalb die Taste fürs Erdgeschoss, doch die Türen glitten zur Seite, und ein Herr kam zum Vorschein. Ein Herr im dunkelgrauen, eleganten Zweireiher mit knallorangefarbenen Strähnen im Haar. Unwillig runzelte er die Stirn.
»Sie?«
»Ja, äh, ich.«
Mehr fiel Maja gerade nicht ein. Irgendetwas nahm ihr den Atem. Die Aura von Macht? Der Duft des rasend gutriechenden Rasierwassers? Der stahlharte Blick aus unwirklich blauen Augen? Nackte Angst? Schwer zu sagen. Hinter Alexander von Maybach tauchten zwei weitere Männer in dunklen Anzügen auf, die sie neugierig musterten. Er wandte sich zu ihnen um.
»Das ist diese unsägliche Friseuse, deren Mitarbeiterin mich verunstaltet hat.«
»Friseurin«, warf Maja ein, obwohl sie ahnte, dass ihm solche Feinheiten herzlich egal waren.
»Was bedeutet, meine Herren, dass Sie ihr das Schreiben mit der Schadensersatzforderung persönlich überreichen können«, sagte Alexander von Maybach denn auch, ohne auf Maja zu achten.
Ihr fiel auf, wie beflissen die beiden Männer hinter ihm wirkten. Als ob sie die persönlichen Sklaven dieses dominanten Primaten seien. Leicht vorgebeugt standen sie da, fast unterwürfig. Ekelhaft. Es musste die Hölle sein, für solch einen Chef zu arbeiten.
»Wie viel ist mir noch mal entgangen, weil der Kunde abgesprungen ist?«, erkundigte er sich. »Zehntausend?«
»Zwanzig«, antwortete einer der beiden knapp.
Ihr sank das Herz in die Hose. Auf einmal fühlte sie sich nur noch lächerlich mit ihren Sonnenblumen. Was hatte sie denn erwartet? Dass dieses brettharte Alphamale sich vom Anblick eines Blumenstraußes erweichen ließ? Im selben Augenblick flammte brennender Zorn in ihr auf. So nicht! Entschlossen straffte sie ihre Schultern.
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie arroganter Schnösel!« Drei Augenpaare richteten sich wie geladene Pistolen auf Maja. »Tag für Tag muss ich mich durchschnippeln, schlechte Laune wegföhnen, verschattete Gemüter erblonden lassen. Viel kommt nicht dabei rum. Vermutlich verdienen Sie in einer schlappen Stunde so viel wie ich in einem ganzen Monat. Trotzdem wollen Sie mir mehr Geld aus der Tasche ziehen, als ich jemals besitzen werde. Wie krank ist das eigentlich? Sie sollten sich schämen, Sie … Sie Pfeife!«
Alexander von Maybach blieb der Mund offen stehen. Schwungvoll warf Maja ihrem Peiniger die Sonnenblumen zu, die er reflexhaft auffing, und zwar mit einem derart verdatterten Gesichtsausdruck, dass sich die Aktion wenigstens für diesen Anblick gelohnt hatte. Jetzt nichts wie weg. Als führe eine höhere Macht Regie, schlossen sich die Lifttüren für den perfekten Abgang, und Maja sauste abwärts, den zitternden Körper an eine der Spiegelflächen gelehnt. Super in die Grütze gesemmelt, zeterte ihre innere Stimme, jetzt hast du ihn so richtig verärgert, herzlichen Glückwunsch, Dramaqueen.
Im Erdgeschoss angekommen, durchquerte sie die Eingangshalle im Laufschritt. Dies war nicht ihre Welt, dieser geschniegelte Bürokasten mit dem gewienerten Marmor, wo nur Geld zählte, keine Menschen, keine Schicksale. Zwanzigtausend Euro, hallte es in ihrem Kopf. Das überlebst du nicht. Keuchend bestieg sie draußen ihr Fahrrad. Mit aller Kraft trat sie in die Pedale, überfuhr eine rote Ampel und bog wie von allen sieben Teufeln getrieben in eine Nebenstraße ab.
Ihr Herz hämmerte immer noch hart gegen die Rippen, als sie verschwitzt und mit fünfzehn Minuten Verspätung die Trattoria Sorrentina betrat. Es war ihr Stammitaliener, ein kleines, gemütliches Lokal mit alten Reklameschildern aus Blech an den Wänden und einer bodenständigen, aber vorzüglichen toskanischen Küche. Doch so sehr sie sich auch auf Tante Ruth gefreut hatte, nach feiern war ihr definitiv nicht zumute. Und irgendwie hatte sie es ja auch ihrer Tante zu verdanken, dass sie in diesen Riesenschlamassel geschlittert war.
»Maja, hierher!«, hörte sie eine vergnügte Stimme.
Tante Ruth saß am Fenster. Neben ihr stand der Wirt und erläuterte mit großen Gesten diverse Tagesgerichte, die mit Kreide auf eine große Schiefertafel geschrieben waren. Seinen runden Wangen und dem Bäuchlein unter der weißen Schürze sah man an, dass ihm die Kreationen der Trattoria auch selbst bestens schmeckten.
»Ciao, Cara, schön, dass du da bist«, begrüßte er Maja. »Die Seezunge ist sehr zu empfehlen, nach Art des Hauses in Butter und Weißwein gedünstet, mit einer Spur Knoblauch und gegrilltem Gemüse. Dazu ein gutgekühlter Pinot Grigio, und die Welt ist in Ordnung.«
»Ist sie nicht«, ächzte Maja und nahm am Tisch Platz. »Hallo, Tante Ruth, hallo, Antonio. Wo ist Willi?«
»Zu Willi kommen wir später«, erwiderte ihre Tante. »Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht. Wie unser wunderbarer Küchenchef gerade verlautbart hat, ist bereits eine große Platte mit gemischten Vorspeisen in Arbeit.«
»Passt zu meinen gemischten Gefühlen«, stöhnte Maja.
»Oh, la bella Signorina braucht eine kleine Stärkung? Einen Aperol Sprizz vielleicht?« Antonio lächelte verschmitzt. »Oder etwas Hochprozentiges?«
»So viel Schnaps, um meine Probleme darin zu ertränken, hast du garantiert nicht. Gern einen Sprizz, bitte.«
Nachdem er sich entfernt hatte, griff Tante Ruth über den Tisch hinweg nach Majas Hand. Seltsam, schon die einfache Berührung gab ihr ein wenig von der Energie zurück, die sie an diesem Tag verloren hatte.
»Herzchen, was ist los?«, erkundigte sich Tante Ruth. »Was Willi betrifft …«
»Wenn es doch nur Willi wäre«, fiel Maja ihr ins Wort.
»Oh. Wer denn noch?«
»Eine gewisse Olga Hoffentlich-haben-Sie-heute-keinen-wichtigen-Termin Romantschowa.«