Ich will es doch auch! - Ellen Berg - E-Book
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Ich will es doch auch! E-Book

Ellen Berg

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Beschreibung

Charlotte ist Ärztin, hat einen tollen Job, eine tolle Wohnung, tolle Freunde – nur leider keinen Mann. Und das mit 39! Langsam wird es eng. Da taucht plötzlich Uwe auf, der attraktive, aber ziemlich ungehobelte Klempner. Geht gar nicht? Tja, geht doch! Denn Hals über Kopf verliebt sich Charlotte in sein umwerfendes Lächeln und seine unkonventionelle Art: Buletten zum Frühstück, Tanzen im Regen, Poolbillard in düsteren Kneipen. Charlotte ist selig, ihr Umfeld entsetzt. Downdating? Das kann doch nichts werden! Was willst du denn mit dem?

»Herrlich fieser Humor.« cosmopolitan.

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Seitenzahl: 434

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Ellen Berg

Ich will es doch auch!

(K)ein Beziehungs-Roman

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Informationen zum Buch

Über Ellen Berg

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Leseprobe

1

Traumhochzeit, dachte Charlotte. Das wird die absolute Traumhochzeit!

Strahlend blau wölbte sich der Himmel über einem kleinen Park voller Zypressen und Olivenbäume, dahinter glitzerte das Meer in einem satten Türkiston. Eine leichte Brise wehte vom Strand herüber und mischte sich mit Blütendüften und edlen Parfums.

Es war später Nachmittag. Lachend und schwatzend stapften die Hochzeitsgäste über den Rasen zu einem Pavillon, der über und über mit weißen Blumen geschmückt war. Davor standen mehrere Reihen Stühle mit weißen Stoffbezügen. Ein Streichquartett, natürlich in weißen Fräcken, stimmte seine Instrumente.

Das Ganze hatte was von Hollywood. Mindestens.

Einer nach dem anderen nahmen die Gäste Platz und reckten erwartungsvoll die Hälse. Was für ein Tag! Was für eine wundervolle Kulisse! Das Tuscheln verstummte, als das Streichquartett den Hochzeitsmarsch intonierte und der Bräutigam erschien.

Charlotte schluckte. Wie hinreißend Tom aussah in seinem grauen Cut. Verführerisch lächelnd durchschritt er Spaliere mit weißen Rosen, die den Weg zum Pavillon säumten.

Alle hielten den Atem an. Auch Charlotte. Herzflimmeralarm!

Plötzlich war alles wieder da. Der frostige Dezembertag, an dem Tom in ihr Leben geschneit war wie ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk. Die erste Verabredung in einem kleinen Restaurant. Der erste Kuss. Die erste Nacht. Ihr Herzflimmern wurde stärker.

Inzwischen hatte Tom den Pavillon erreicht. Ein Sonnenstrahl fiel durch die Zweige der Bäume auf sein jungenhaftes Gesicht. Charlottes Herz klopfte zum Zerspringen. Es war alles so– perfekt.

Das Ganze hatte nur einen Fehler: Dies war nicht ihr Tag. Dies war auch nicht ihre Hochzeit.

Denn nun durchschritt ihre Freundin Antonia die Rosenspaliere.

Ein Raunen ging durch die Hochzeitsgesellschaft. Antonia, die am Arm ihres Vaters mehr schwebte als ging, sah wirklich atemberaubend aus. Das maßgeschneiderte Kleid aus weißer Spitze ließ ihre zartgebräunten Schultern frei. Ihr blondes Haar war zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur aufgetürmt, über der sich ein hauchdünner Schleier bauschte. Darunter strahlte und schimmerte ihre Haut wie mit Goldpuder bestäubt.

Einige Gäste applaudierten, als der Brautvater seine Tochter dem Bräutigam übergab. Galant ergriff Tom Antonias Hand, dann stiegen sie gemeinsam die drei Stufen zum Pavillon hoch. Ein schönes Paar. So schön und so perfekt, dass einem schlecht werden konnte. Mist, verdammt!

Charlotte gab sich einen Ruck. Los, freu dich gefälligst. Deine beste Freundin heiratet! Und doch sank ihre Laune mit jeder Sekunde weiter ins Bodenlose. Warum Antonia? Warum nicht ich? Sie knetete ihre schweißnassen Hände. O Gott. Da vorn hätte ich stehen können.

Nicht, dass sie Tom zurückwollte. Den hatte sie längst abgehakt– eine Enttäuschung mehr in ihrem trostlosen Liebesleben. Aber die Sache mit der Hochzeit hatte sie unterschätzt. In ihrem Herzen tobte mittlerweile ein Orkan.

Oder war es nur Torschlusspanik? Nun ja, auch Charlotte wollte endlich einen Ehering. Ohne Wenn, aber mit Amen. Auf die große Liebe wartete sie schon lange nicht mehr, nur auf einen Mann, der einigermaßen zu ihr passte und mehr sein wollte als ein Gelegenheitslover. War das denn zu viel verlangt?

Beklommen betrachtete sie das Hochzeitspaar. Antonia war achtunddreißig, ein Jahr jünger als Charlotte. Schon seit dem Medizinstudium waren die beiden Ärztinnen ein unzertrennliches Gespann. Zwei Singles, die alles geteilt hatten: Lust und Frust, Patientengeschichten und Diättipps. Bis Tom gekommen war.

Wie im Schnelldurchlauf zog das miese Filmchen dieser Dreiecksbeziehung vor Charlottes innerem Auge vorbei.

Von Anfang an war Antonia von Tom begeistert gewesen, und niemand hatte sich mehr darüber gefreut als Charlotte. Hieß es nicht, dass Frauenfreundschaften zerbrachen, wenn Beziehungen ernster wurden? Umso größer war ihre Erleichterung gewesen, dass sich Antonia und Tom so gut verstanden. Immer öfter hatten sie etwas zu dritt unternommen, gemeinsame Konzertbesuche, Ausflüge, Fondueabende.

Es war eine wunderbare Zeit gewesen: seliger Dreiklang, geschmeidige Harmonie.

Viel zu spät hatte Charlotte begriffen, dass Antonia und Tom mehr als freundschaftliche Gefühle füreinander hegten. Und nun? Segelte Antonia in den Hafen der Ehe, während Charlotte wie Treibgut am Strand von Mallorca rumdümpelte.

Eine rauschende Hochzeit unter spanischer Sonne, das war immer Antonias Wunsch gewesen. Heute ging er in Erfüllung. Sechzig Gäste waren eingeflogen und hatten sich in einem Luxushotel an der Südküste Mallorcas einquartiert, selbstverständlich auf Einladung der wohlbetuchten Brauteltern.

Nein, Charlotte war nicht neidisch. Charlotte war am Boden zerstört. Kein Wunder, wenn man neununddreißig war und die beste Freundin ihren Hochzeitstraum verwirklichte, während man selbst ins männerlose Nirwana abstürzte.

In diesem Moment warf Tom ihr vom Podium aus einen triumphierenden Blick zu. Als wollte er sagen: Na, bin ich nicht der absolute Traummann?

Keine Frage, wo andere den Schalter fürs Taktgefühl hatten, war bei ihm der Ich-find-mich-super-Knopf. So war er immer gewesen, wenn sie es recht bedachte. Selbstbewusst, aber ein bisschen zu selbstverliebt: toll, toller, ich. Warum war sie auf ihn reingefallen? Und warum hatte sie immer noch dieses dumme Herzklopfen?

Eine flammende Hitze durchlief ihren Körper. Toms Blick hatte genügt, um Charlotte in 80Kilo hochentzündliches Östrogen zu verwandeln. Leider. Ihre Gefühle für ihn waren so hartnäckig wie eine Erkältung und so lästig wie Fußpilz. Sie machte sich keine Illusionen über Tom. Trotzdem zog er sie unwiderstehlich an. Und wenn sie ganz ehrlich war, trauerte sie ihm immer noch hinterher.

Beschämt sah Charlotte an sich herab. Es war ihr sowieso ein Rätsel, warum einer wie Tom sich für sie interessiert hatte. Sie fand sich bei weitem nicht so hübsch, so witzig und charmant wie Antonia. Außerdem schleppte sie seit Jahren ein paar Pfunde zu viel mit sich rum. Einen BMI von 30 plus, um genau zu sein. Niemand hätte Charlotte dick genannt, aber ein bisschen rundlich war sie schon.

Wie peinlich. Da hielt sie ihren Patienten stundenlange Vorträge über gesunde Ernährung und verdrückte heimlich Gummibärchen. Unwillkürlich zog sie den Bauch ein.

Die Zeremonie begann. Erste Schluchzer der Rührung waren zu hören, als der Geistliche eine kurze Ansprache über den heiligen Stand der Ehe hielt.

Auch Charlotte hatte Tränen in den Augen, heiße Tränen der Enttäuschung. Sie gönnte Antonia alles Glück der Welt. Aber diese grandios inszenierte Hochzeit mit dem Mann, der ihr einst den Himmel auf Erden versprochen hatte, war mehr, als sie verkraften konnte. Beim Jawort flossen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen, und als der Bräutigam die Braut küsste, heulte Charlotte los, als sei dies keine Hochzeit, sondern eine Beerdigung.

Ein unsanfter Stoß mit dem Ellenbogen ließ sie zusammenzucken.

»Freudentränen sind die schönsten Tränen, aber man kann’s auch übertreiben.«

Antonias Mutter, die neben ihr saß, reichte ihr ein Stofftaschentuch.

»Wurde aber auch Zeit, dass Antonia unter die Haube kommt«, wisperte sie. »Na ja, mein verwöhntes kleines Mädchen wollte eben nicht den Erstbesten. Sie war immer schon sehr wählerisch.«

Das konnte man wohl laut sagen. So wählerisch, dass sich Antonia unter Millionen von Männern ausgerechnet den Freund ihrer besten Freundin aussuchen musste.

Charlotte schnäuzte sich geräuschvoll. Antonias Mutter hatte nicht die leiseste Ahnung, dass ihr Fräulein Tochter Charlotte den Mann ausgespannt hatte. Für die Brautmutter war diese Hochzeit so wolkenlos wie der Himmel über der Baleareninsel, und Charlotte hatte nicht vor, die Bilderbuchidylle durch Eifersuchtsattacken zu zerstören.

Warum auch? Sie fühlte sich jämmerlich genug. Zurückgewiesen. Abgehängt. Überflüssig wie die Zeitung von gestern, sexy wie Altpapier.

Antonias Mutter hingegen platzte fast vor Stolz. Dem Anlass und ihrem Geldbeutel entsprechend, trug sie ein hochelegantes sonnengelbes Designerkleid und einen gleichfarbigen riesigen Hut, mit dem sie sogar bei einem Tuntenball aufgefallen wäre.

»Ist sie nicht entzückend, meine Kleine?«

Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Charlotte nickte matt. Ja doch, sie hatte großmütig verzichtet. Aber was war ihr denn anderes übriggeblieben?

Anfangs hatte sie noch um Tom gekämpft. Doch als Antonia ihr vor zwei Monaten eröffnet hatte, sie sei schwanger, hatte Charlotte die Waffen gestreckt. Und gute Miene zum reichlich unfairen Spiel gemacht, weil sie außer Tom nicht auch noch ihre beste Freundin verlieren wollte.

Ihre einzige Freundin, genauer gesagt. Charlotte war nämlich etwas anders als die anderen. Schüchtern, sagten ihre Eltern. Ein Freak, sagte Antonia. Defizitäres Sozialverhalten, sagte ihre Therapeutin. Ganz egal, wie man es nannte– sie hatte hammermäßige Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen.

Das Streichquartett wechselte zu einem Walzer. Formvollendet legte Tom seiner frisch angetrauten Frau einen Arm um die Schulter, und sie schwebten mit entrückten Gesichtern über das Podest. Einen gemeinen kleinen Augenblick lang hoffte Charlotte, dass die beiden stolpern würden.

»Sie passen perfekt zusammen«, raunte Antonias Mutter. »Der Staranwalt und die erfolgreiche Kinderärztin, das nenne ich eine standesgemäße Heirat. Was ist eigentlich mit Ihnen los? Warum gibt es denn immer noch keinen Hochzeitskandidaten?«

So eine fiese Ziege.

Charlotte hatte heute schon jede Menge derartiger Bemerkungen über sich ergehen lassen müssen. Ob sie denn auch endlich mal »was am Start« hätte. Nee, hatte sie nicht. Kein Mann in Sicht.

Zunehmend beschlich sie das Gefühl, so etwas wie ein Outcast zu sein. Ein spätes Mädchen, hätte man früher gesagt. Jetzt drückte man es etwas feiner aus– ewiger Single, zum Beispiel. Doch die Botschaft war immer dieselbe: Hey, du Rohrkrepierer, was stimmt nicht mit dir? Mittlerweile stellte sich auch Charlotte diese Frage im Minutentakt.

»Sie wissen ja, ab vierzig ist die Wahrscheinlichkeit zu heiraten in etwa so groß, wie mit dem Flugzeug abzustürzen«, legte Antonias Mutter nach. »Da sollte man die Augen offen halten.« Sie verzog missbilligend den Mund. »Und vielleicht mal eine Diät anfangen.«

Charlotte reichte es. Unvermittelt sprang sie auf und lief über den akkurat geschorenen Rasen zur Terrasse, wo sich ein paar schaulustige Hotelgäste versammelt hatten. Tränenblind hastete sie weiter, durch das Restaurant und über den weißen Marmorboden der Hotelhalle bis zu ihrem Zimmer im ersten Stock. Dort ließ sie sich aufs Bett fallen.

Essen hilft immer, dachte Charlotte und riss eine Tüte Gummibärchen auf.

***

Es gibt nichts Schlimmeres, als einsam rumzuhocken, während die anderen feiern. Für Charlotte gab es nichts Schöneres. Es bedeutete Sicherheitsabstand. Das Stimmengewirr, das durch ihr Fenster drang, war beruhigend weit weg.

Menschenansammlungen und ungewohnte Umgebungen machten ihr Angst. Ach ja, und fremde Toiletten. Die ganz besonders. Sie hatte das Hotelbadezimmer eine halbe Stunde lang desinfiziert, bevor sie es benutzen konnte.

Ihre Tränen waren inzwischen versiegt. Nur ein bohrender Schmerz in der Herzgegend wollte einfach nicht aufhören.

Wütend strich sie über den violetten Taft ihres Kleides. Die Farbe passte zu ihrem feinen, hellen Teint und ihrem kastanienbraunen Haar. Dennoch war es eine absurde Verkleidung. Diese Rüschen! Dieser ausgestellte Plisseerock! Diese Stoffblumen am Dekolleté! Das Taftkleid im Tanzstundenlook war Antonias Idee gewesen. Es sah aus wie ein Aschenputtelkostüm für die Statistin einer Märchenhochzeit.

Typisch, dachte Charlotte, wieso dämmert mir das erst jetzt? Mir fehlt eben jede emotionale Kompetenz. Abteilung Peilnix und Söhne.

Leider war diese Hochzeit mindestens so niederschmetternd wie die Tatsache, dass sie, Charlotte Meininger, Kardiologin am Vitalis-Klinikum, einfach keinen Mann fand. Weil sie tatsächlich jede Menge Kummerspeck auf den Rippen hatte? Oder weil sie nicht das anschmiegsame Weibchen war, das sich die Kerle offenbar wünschten?

Immer wenn Charlotte nicht weiterwusste, strukturierte sie ihre Gedanken in erstens, zweitens, drittens. Sie setzte sich gerade hin und überlegte.

Erstens hatten alle Singles über dreißig ihre speziellen Macken. Zweitens lagen die Dinge bei ihr komplizierter, weil sie nicht nur ein Problem mit zwischenmenschlichen Beziehungen hatte, sondern dazu noch extrem kopfgesteuert war. Drittens musste alles in ihrem Leben planbar sein. Ihr Leitspruch lautete: Spontanität will gut überlegt sein! Was die Sache mit den Männern nicht gerade leichter machte.

So weit die Diagnose. Und was hieß das? Waren Männer kontraindiziert? Eignete sie sich vielleicht gar nicht für Beziehungen? Würde sie für immer allein bleiben?

Sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Entspann dich, ermahnte sie sich. Atme. Denk an deine Yoga-Übung. Ein. Aus. Ein. Aus. Am besten, du machst den Ruhenden Hund.

Nachdem sie ein Papiertuch aus dem Badezimmer geholt und auf dem Boden ausgebreitet hatte– Keime! Bakterien! Fremde Gerüche! –, ließ sie sich auf die Knie fallen. Dann legte sie die linke Wange auf das Papiertuch. Linken Arm nach rechts strecken, rechten Arm nach rechts strecken. Atmen.

Sie sah aus wie eine Marionette mit verhedderten Fäden, aber ihre Therapeutin hatte geschworen, das sei Anti-Stress-Yoga de luxe. Und wieder atmen. Ein. Aus. Ein. Aus.

Als es klopfte, schrak sie zusammen. Ächzend rappelte sie sich auf, ging zur Tür und öffnete sie einen winzigen Spaltbreit. Im nächsten Moment stand Antonia im Zimmer.

»Charlie! Wieso bist du nicht unten?«

»Ich…« Charlotte hatte einen Kloß im Hals. »Ich fühle mich nicht ganz wohl. Zu viel Champagner beim Mittagessen, schätze ich.«

Antonia betrachtete ihre rechte Hand mit dem Ehering, auf dem ein dicker Brillant funkelte. Dann musterte sie das verweinte Gesicht ihrer Freundin.

»Das ist doch nicht alles, oder? Ist es wegen Tom? Hängst du etwa immer noch an ihm?«

Trotz allem, was passiert war, bedeutete Charlotte die Freundschaft mit Antonia alles. Sollte der Hochzeitstag nicht der schönste Tag im Leben sein? Völlig losgelöst und schwerelos?

»Quatsch«, widersprach sie schnell. »Das haben wir doch hundertmal besprochen. Ihr passt viel besser zusammen, ehrlich.«

Nervös drehte Antonia an ihrem Ehering herum. »Ich sag dir was: Der Richtige kommt auch noch für dich. Ganz bestimmt.«

»Hm.« Charlotte starrte auf ihre Schuhspitzen. Sie hatte ein Vermögen für diese blöden lila Satinpumps ausgegeben. »Wenn du es sagst…«

»Aber sicher. Du bist eine, na ja, außergewöhnliche Frau. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht bald ein außergewöhnlicher Mann in dein Leben rasselt. Und jetzt komm. Wir wollen doch kein Gerede, oder?«

Ach, darum ging es also. Antonia fürchtete einen Skandal. Noch hatte sich nicht herumgesprochen, dass Tom sozusagen im Galopp das Pferd gewechselt hatte. Wenn Charlotte sich aus dem Staub machte, würde das natürlich für unliebsamen Gesprächsstoff sorgen. Aber es gab Grenzen, sogar für Charlotte, die normalerweise die Queen der freiwilligen Selbstkontrolle war.

»Toni, diese Hochzeit… Ich glaube, ich bin hier das fünfte Rad am Wagen.«

Antonia legte einen Arm um Charlotte. »Unsinn. Du bist meine beste Freundin. Du gehörst dazu, kapiert? Alle fragen schon nach dir, und ich steh da wie Dummbax Dösig. Komm schon, um der alten Zeiten willen. Und für die Zukunft.«

Sie öffnete ihr Handtäschchen aus cremefarbenem Perlmutt und holte ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Andächtig strich sie es glatt und hielt es Charlotte hin.

»Guck mal!«

Es war eine Ultraschallaufnahme. Das winzige Wesen darauf rührte Charlotte zu Tränen.

»Gott, wie süß«, schluchzte sie.

Antonia lächelte unergründlich. »Willst du Patentante werden?«

»Ja«, flüsterte Charlotte mit tränenerstickter Stimme.

Nie hätte sie es zugegeben, aber sie weinte vor allem deshalb, weil sie sich plötzlich sicher war, dass dieses noch schemenhafte Wesen das einzige Baby in ihrem Leben bleiben würde. Kein Mann, kein Kind, so einfach war das.

Antonia tätschelte ihren Rücken. »Ich gehe sogar schon zur Schwangerschaftsgymnastik. Wenn du willst, kannst du gern mal mitkommen.«

Nachdem Charlotte dankend abgelehnt hatte, steckte Antonia das Foto wieder ein und zeigte auf Charlottes zerstörtes Make-up.

»Jetzt restaurierst du die Ruinen, und dann erscheinst du beim Dinner, okay?«

Bloß nicht. Ich schaff das nicht. Okay. Einmal noch den Ruhenden Hund machen, und dann würde es vielleicht gehen.

»Chicks forever!«, rief Antonia. »Chickie, Chickie, Chicks!«

Es war ihr gemeinsames Motto seit zwanzig Jahren.

Charlotte nickte.

»Chicks forever.«

»Du bist ein Schatz!« Antonia hauchte ihr einen Kuss auf die blasse Wange. »Wer weiß– vielleicht lernst du sogar heute jemanden kennen. Es sind zwei Junggesellen unter den Gästen. Hol sie dir, Tiger!«

Damit huschte sie hinaus.

Charlotte stöhnte auf. Alles, was sie sich hier holen würde, war der Frust ihres Lebens.

***

Die Brauteltern hatten an nichts gespart. Der Festsaal, ein golden stuckatierter, weitläufiger Raum, ertrank förmlich in weißen Rosen und Lilien. Eine mannshohe Eisskulptur in Form zweier Schwäne prangte an der Stirnseite. Kellner mit Tabletts voller Kaviarhäppchen flitzten herum, der Champagner floss in Strömen.

Mit weichen Knien stand Charlotte an den geöffneten Terrassentüren, um frische Luft zu schöpfen. Draußen hatte sich das Streichquartett postiert, das mittlerweile zu beschwingtem Bossa nova übergegangen war.

Die Musik und das Stimmengewirr der Hochzeitsgäste dröhnten in Charlottes Ohren. Neben ihr standen zwei Bekannte von Tom, Rechtsanwälte wie er und selbstverständlich längst verheiratet. Charlotte kannte sie flüchtig, doch die beiden beachteten sie gar nicht. Kam öfter vor, so was. Ungeniert unterhielten sie sich über den Bräutigam.

»Tom hat ja immer alles weggenagelt, was sich bewegt«, sagte der eine.

Der andere feixte. »Mal sehen, wie er sich als Ehemann macht. Ich sag dir: Da geht noch was.«

Charlotte hatte genug gehört. Sie wandte sich ab und schlich durch den festlich geschmückten Saal. Zehn weißgedeckte Tische mit jeweils sechs Stühlen zählte sie. Dazwischen flanierten die Gäste mit Champagnergläsern herum, auf der Suche nach ihren Plätzen für das Hochzeitsdinner.

Auch Charlotte ging nun von Tisch zu Tisch. Neugierig überflog sie die handgeschriebenen Namen auf den Tischkarten.

Als Erstes stellte sie fest, dass sie nicht am Tisch des Brautpaars saß. Schock. Außer Antonia und Tom kannte sie hier niemanden! Wenig später wusste sie, dass sie auch nicht an einem der Nachbartische saß. Es dauerte eine Weile, bis sie schließlich ihr Namensschild gefunden hatte: auf einem Tisch, der etwas versteckt hinter Palmenkübeln stand, direkt neben dem Eingang zur Toilette.

»Himmel, die Sitzordnung hat mich einige schlaflose Nächte gekostet!«, hörte sie die schrille Stimme von Antonias Mutter. »Zu viele alleinstehende Frauen! Doch dann hatte ich die Lösung: Ich habe sie einfach alle zusammengesetzt. Ist das nicht genial?«

Wie schrecklich genial das war, wurde Charlotte im nächsten Augenblick klar. Antonias ehemaliges Kindermädchen, eine verbitterte Greisin, schlurfte heran, begleitet von einer säuerlichen alten Dame, die sich als Großtante der Braut vorstellte. Daneben standen die beiden übellaunigen Arzthelferinnen aus Antonias Praxis.

Komplettiert wurde die Runde des Grauens von einem hochblonden, spargeldürren Wesen, dessen Alter schwer zu schätzen war. Irgendwas zwischen vierzig und hundert vielleicht.

»Holly«, stellte sie sich knapp vor. »Wenn ich es richtig sehe, haben wir den Katzentisch erwischt. Den Tisch der verlorenen Seelen.«

Charlotte rang um Fassung. Erstens, weil sie mit lauter fremden Frauen essen musste. Zweitens, weil ein Tisch, der quasi in der Toilette stand, deutlich zeigte, was man von ihr hielt: weniger als nichts. Drittens, weil sich das Thema beste Freundin langsam erledigte.

Während Holly eine goldene Puderdose aus ihrem Handtäschchen kramte, musterte sie Charlotte von oben bis unten.

»Grässliches Kleid.«

»War Antonias Idee«, erwiderte Charlotte ärgerlich.

»Aha. Die denkt wohl, Stil ist das Ende vom Besen. Oder hatte sie Angst, dass Sie ihr die Show stehlen?«

Charlotte presste die Lippen aufeinander. Jeder durchschaute sofort die Aschenputtelnummer, nur sie war als Letzte draufgekommen.

Gerade wollte sie die Flucht ergreifen, und dieses Mal endgültig, als Antonia heranrauschte. Das schlechte Gewissen stand ihr auf der hübschen Stirn geschrieben.

»Sorry, ist nicht der schönste Platz«, flüsterte sie. »Aber Tom meinte…«

»… dass mein Anblick eine Zumutung ist auf eurer Hochzeit. Dass ich mich am besten unsichtbar machen sollte. Gern geschehen, bin schon weg.«

Erschrocken wich Antonia einen Schritt zurück. »Charlie, bitte, lass es gut sein. Ich habe mich echt für dich ins Zeug gelegt. Also setz dich hin und mach bloß keine Szene. Wenn es nach Tom gegangen wäre, hätten wir dich gar nicht erst eingeladen.«

Wie war das? Charlotte schnappte nach Luft. Das war der Dank für den übermenschlichen Edelmut, mit dem sie Tom ihre Freundin überlassen hatte?

Das Streichquartett spielte einen Tusch.

»Verehrte Gäste, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!«, rief der Brautvater, ein etwas feister Herr in den Sechzigern, der wie der Bräutigam einen grauen Cut trug.

Er war nicht nur Toms Schwiegervater. Als Geschäftsführer eines großen Computerunternehmens war er auch Toms wichtigster Klient und hatte seinen Schwiegersohn soeben zum alleinigen Rechtsvertreter der Firma ernannt. Eine Heirat inklusive Karrieresprung, das nannte man wohl, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

Es wurde ruhig im Saal.

»Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein!«, sagte Antonias Vater. »Im Namen meiner Frau Gemahlin wünsche ich Ihnen viel Vergnügen!«

»Es geht los!«, frohlockte Antonia. »Übrigens: Da drüben sitzen die Junggesellen!«

Sie zeigte auf zwei ergraute, unfassbar korpulente Herren, bevor sie ihre Spitzenschleppe raffte und davontänzelte.

»Ich glaube, Sie sollten mal den Stecker ziehen«, raunte Holly. »Wer so eine Freundin hat, braucht keine Feindin mehr.«

Über diesen Satz musste Charlotte immer noch nachdenken, als sie wenig später im Crevettensalat mit Avocadospalten und Ingwerblättchen herumstocherte. Der Appetit war ihr gründlich vergangen. Auch die Seezunge an Limettenschaum, das getrüffelte Kalbsfilet und das Champagnersorbet mit Feigenmousse ließ sie auf dem Teller liegen. Schweigend hörte sie den Tischgesprächen zu, die sich abwechselnd um Arthritis, Stützstrümpfe und Fettabsaugung drehten.

Ähnlich erbaulich waren die Reden. Antonias Vater erging sich ausführlich über die Vorzüge seiner Tochter; Toms Vater, ein wohlhabender Börsenmakler, lobte seinen Sohn über den grünen Klee. Beide erweckten den Eindruck, dass sich Spitzenfrequenzen von Intelligenz, Attraktivität und Erfolg vermählt hatten. Auch der dezente Hinweis, von diesem unglaublichen Wunderpaar seien lauter unglaubliche Wunderkinder zu erwarten, fehlte nicht.

An Charlottes Tisch war man sich einig, dass vor allem Antonia das große Los gezogen hatte. Charlotte war nicht ganz so sicher, ob das stimmte. Seitdem Tom aufgetaucht war, hatte sich Antonia nämlich dramatisch verändert. Ihm zuliebe hatte sie zehn Kilo abgenommen, ihre Haare blond gefärbt, mit dem Golfspielen angefangen und kaum noch Zeit für Charlotte.

Ja, die Veränderung war dramatisch. Antonia lachte jetzt über jeden noch so dämlichen Witz, den Tom vom Stapel ließ. Gab ihm recht, auch wenn er den größten Schwachsinn verkündete. War die rundum angepasste, vorzeigbare, meinungsfreie Gattin. Ein hoher Preis, fand Charlotte.

Als die Hochzeitstorte hereingerollt wurde, ein turmhohes, pastellfarbenes Gebilde aus Marzipan und Macarons, hielt Tom eine Rede. Oder besser: Er erzählte ein Märchen, in dem er das Blaue vom Himmel herunterflunkerte. Darin hatte der Prinz die Prinzessin beim Golfspielen kennen- und lieben gelernt. Charlotte wurde mit keinem Wort erwähnt. Sie existierte einfach nicht.

Jetzt war es endgültig mit ihrer Contenance vorbei. Sie stand auf und überließ den Tisch der verlorenen Seelen seinem Schicksal.

Unglückseligerweise führte ihr Weg zum Zimmer durch die Hotelbar, eine elegante Lounge mit Couchen und Sesseln in unterkühltem Dunkelgrau. Charlotte trank so gut wie nie Alkohol. Doch leider hatte sie ihre Schlaftabletten auf dem Hinflug verloren und das dringende Bedürfnis, ihre wunde Seele zu betäuben.

Wie ein geprügelter Hund ließ sie sich am Tresen nieder und bestellte einen Wodka auf Eis, den sie in einem Zug hinunterstürzte. War ja Medizin, und die schluckte man besser, bevor man wusste, wie sie schmeckte. Dann bestellte sie gleich den nächsten.

Natürlich wäre es klüger gewesen, den Koffer zu packen und zum Flughafen zu fahren, um den letzten Flieger nach Hause zu erreichen. Doch dafür fehlte Charlotte schlicht das Improvisationstalent. Bei ihr musste immer alles nach Plan laufen. Gebucht war gebucht, basta. Deshalb hing sie nun leicht beschwipst auf einem Barhocker und versuchte, sich ihr Unglück schönzutrinken.

Die Sache mit dem Wodka funktionierte gar nicht mal so schlecht. Schon nach dem zweiten Glas schwebte sie auf Wattewolken und überlegte, ob sich diese phänomenale Wirkung vielleicht durch einen dritten Wodka steigern ließe.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Es war Holly, die vor Charlotte stand.

»Besser nicht.« Charlotte zeigte auf ihr Glas. »Ich experimentiere gerade mit Wodka. Ist bestimmt kein schöner Anblick, und unterhaltsam bin ich leider auch nicht.«

Holly zupfte an ihrem schlichten, eleganten Abendkleid aus jadegrüner Seide. Jetzt erst sah Charlotte, dass sie deutlich älter als sie selbst war. Doch ihre Augen blitzten wie die eines jungen Mädchens.

»Was ist los mit Ihnen? Wieso betrinken Sie sich auf der Hochzeit Ihrer angeblich besten Freundin?«

Ein krächzendes Lachen war die Antwort, mehr brachte Charlotte nicht zustande.

»Da stimmt doch was nicht«, hakte Holly nach.

Charlotte räusperte sich. Sie war keine harten Drinks gewohnt und in ihrem angeschickerten Zustand definitiv nicht mehr gesellschaftsfähig. Jedenfalls nicht auf einer Hochzeit, die Antonia schon seit Wochen als ultimativen Society-Event angekündigt hatte. Ach, was soll’s, dachte sie. Ist jetzt auch egal.

»Ich war mal so gut wie mit dem Bräutigam verlobt«, flüsterte sie fast unhörbar.

Ihre Gesprächspartnerin fing leise an zu kichern.

»Was ist so komisch daran?«, fragte Charlotte.

»Ich hatte verstanden, Sie wären mal fast mit dem Bräutigam verlobt gewesen!«

»War ich ja auch.«

Hollys Gekicher verstummte. Ihr Gesicht verriet nicht die geringste Gefühlsregung.

»Immerhin nehmen Sie es gelassen hin«, brummte Charlotte.

Heftig schüttelte Holly den Kopf. »Nee, das liegt am Botox. In Wirklichkeit bin ich ernsthaft erschüttert.« Sie winkte dem Barkeeper. »Ein stilles Wasser mit einer Zitronenscheibe für mich und einen doppelten Espresso für die Dame.«

»Ich will aber keinen Espresso, und ich bin auch keine Dame«, protestierte Charlotte.

»Ach nee. Was dann?«

»Ein spätes Mädchen! Eine alte Jungfer!«, brach es aus Charlotte heraus. »Und wie es aussieht, wird das auch so bleiben. Ich werde als einsame alte Schachtel enden.«

»O nein, Señorita«, mischte sich der Barkeeper ein, während er das Wasser und eine Espressotasse auf den Tresen stellte. Er zwinkerte Charlotte zu. »Sie sind was ganz Besonderes!«

Nachdem er sich entfernt hatte, legte Holly eine Hand auf Charlottes Arm. »Sehen Sie, noch ist nichts verloren. Der Typ hinter der Bar zum Beispiel steht auf Sie.«

Charlotte verzog den Mund. »Ich sag Ihnen was: Bevor ich mit einem Kellner ins Bett steige, um mein zerknittertes Ego aufzubügeln, gehe ich lieber ins Kloster.«

»Verstehe.« Holly seufzte tief. »So war ich früher auch drauf. Zuerst dachte ich, der Richtige müsste mindestens ein Nobelpreisträger mit Villa und Rolls-Royce sein. Dann fand ich, ein einigermaßen kultivierter und nicht ganz unvermögender Mann könnte reichen. Danach legte ich nur noch Wert darauf, dass meine Lover regelmäßig duschten und nicht zu viel Unsinn redeten. Jetzt bin ich gerade dabei, meine persönliche Definition von duschen und Unsinn reden zu überdenken.«

Mit offenem Mund saß Charlotte da. »Das heißt– Sie angeln sich Männer völlig wahllos?«

»Definieren Sie wahllos«, lächelte Holly.

»Bitte sehr, für die schöne Dame.«

Der Barkeeper stellte den nächsten Wodka auf den Tresen. Ein glutvoller Blick traf Charlotte.

»Für die geheimnisvolle Dame in Lila.«

Sie runzelte die Stirn.

»Ich bin nicht geheimnisvoll, ich bin nur depressiv.«

»Oh, Señorita… Ich könnte Sie auf andere Gedanken bringen!«

Der Barkeeper sah ihr tief in die Augen, bevor er mit einem Tablett voller Gläser im Festsaal nebenan verschwand.

Holly kicherte. »Depressiv! Die Nummer muss ich mir merken, Schätzchen. Merken Sie denn gar nicht, wie genial Sie flirten?«

»Ich?« Entrüstet schob Charlotte die Stoffblumen ihres trutschigen Kleids gerade. »Ich flirte nie! Erstens kann ich das nicht, zweitens will ich das auch gar nicht, drittens möchte ich einen Mann, der mich respektiert. Keinen Kellner, der mir klebrige Komplimente macht.«

Eine kleine Pause entstand.

»Sie sitzen auf einem ganz schön hohen Ross«, sagte Holly schließlich. »Schon mal was von Downdating gehört?«

»Down…– was?«

»Nun ja«, Holly kniff die Augen zusammen und taxierte Charlotte, »Sie kommen aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, machen Yoga, spielen Klavier, haben einen Superjob, eine Superwohnung und ein Opernabonnement.«

Charlotte nickte verblüfft. »Konzertabonnement. Der Rest stimmt.«

»Und jetzt wollen Sie unbedingt einen Mann Ihrer Klasse: einen Arzt, einen Anwalt oder so was Ähnliches.«

Wieder nickte Charlotte. »Ich meine, es muss ja irgendwie passen.«

»Sehen Sie, das ist der Denkfehler.« Holly zeigte in Richtung des Festsaals. »Da drin sitzt kein einziger Mann, der für Sie richtig wäre. Downdating ist eine wundervolle Option– einfach mal mit jemandem ausgehen, der auf den unteren Etagen der Gesellschaft unterwegs ist. Erweitern Sie Ihr Blickfeld. Sonst laufen Sie eines Tages an Ihrem Glück vorbei.«

Untere Etagen der Gesellschaft? Noch nie hatte Charlotte etwas so Idiotisches gehört. Gut, sie war notorisch unbemannt. Aber sie wollte nicht permanent als Problemzone auf zwei Beinen betrachtet werden, und ganz bestimmt brauchte sie keine schrägen Liebestipps.

»Holly, Sie meinen es gut«, erwiderte sie. »Aber Ihr Argument entbehrt jeder Logik. Erstens: Paarforscher betonen, dass Menschen aus dem gleichen Milieu am besten harmonieren, gleicher Hintergrund, gleiche Werte– Gleich und Gleich gesellt sich gern. Zweitens: Dass ich morgen einem Müllmann in die Arme laufe, der sich als mein Traumprinz entpuppt– Entschuldigung, das ist zu krass, um wahr zu sein. Drittens: Ich gehe schlafen. War nett, Sie kennenzulernen.«

Etwas wacklig glitt sie vom Barhocker. Holla! Der Wodka hatte irgendwas mit ihrem Gleichgewichtssinn angestellt. Fast wäre sie der Länge nach hingeschlagen, wenn da nicht zwei starke Arme gewesen wären, die wie aus dem Nichts auftauchten.

»Hier bist du also, Schnecke. Ich hab dich schon überall gesucht!«

Ein Stromstoß durchfuhr Charlotte. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Sprachfähigkeit wiedererlangte.

»Oh, äh, hallo Tom. Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit.«

Er schwankte leicht. Sein ebenmäßiges Gesicht war gerötet, seine Augen hatten einen glasigen Glanz. Offensichtlich war Charlotte nicht die Einzige auf dieser Hochzeit, die sich betrank. Von seinem strahlenden Lächeln war jedenfalls wenig übrig geblieben. Vergeblich versuchte Charlotte, irgendeine Information aus seinem Mienenspiel herauszulesen.

»Warum sitzt du nicht bei uns am Tisch?«, fragte er. »Toni sagte, du hättest rumgezickt und wolltest unbedingt woanders sitzen.«

Holly verschluckte sich an ihrem Mineralwasser, Charlotte fiel die Kinnlade runter.

»Das hat Toni gesagt?«

»Sie liebt dich wie eine Schwester, ehrlich, sie ist todtraurig, dass du dich so bescheuert aufführst«, versicherte Tom.

Er trat ganz dicht an Charlotte heran. So dicht, dass sie den Tom-Duft einatmen musste, eine Mischung aus Rasierwasser, gestärktem Oberhemd und einer unwiderstehlichen Hallodri-Note. Von Anfang an hatte dieser Duft sie schwach gemacht. Erstens hatte sie jede Menge Geruchsrezeptoren in der Nase, zweitens wurden deren Erkenntnisse direkt ins limbische System weitergeleitet, drittens– verdammt noch mal, das war unfair.

Er leckte sich die Lippen. »Außerdem fehlst du mir, du scharfe kleine Schnecke.«

»Soweit ich weiß, heißt sie Charlotte«, warf Holly ein.

Tom legte den Kopf schief. »Wer sind Sie denn?«

»Herlinde Hohenstein, eine Freundin der Familie.«

»Oh, Herlinde Gräfin von Hohenstein!« Ein freches Grinsen malte sich auf Toms Gesicht. »Die wilde Gräfin, die mal was mit meinem Schwiegervater hatte, richtig?«

»Lieber ein stürmischer Lover als ein windiger Ehemann. Apropos: Lassen Sie gefälligst Charlotte in Ruhe.«

»Wie bitte? Charlie und ich sind gute alte Freunde.« Tom umfasste Charlottes Taille und drückte sie demonstrativ an sich. »Sehr, sehr gute Freunde.«

Sofort versuchte Charlotte, sich zu befreien. Was für ein Abgrund von Peinlichkeit. Eine flammende Röte überzog ihr Gesicht.

»Tom, bitte.«

Doch er presste sie nur umso enger an sich, völlig unbekümmert um die Tatsache, dass sie Publikum hatten. Auch andere Hochzeitsgäste kamen jetzt nach dem Dinner in die Bar geströmt.

»Meine kleine Schnecke«, lachte er. »So warst du immer schon: heiß wie ’n Eiswürfel, spontan wie ’n Fahrplan. Aber schön griffig. Nun hab dich mal nicht so. Du willst es doch auch.«

Verlegen wand sich Charlotte in seiner Umklammerung. Sie wollte nur noch weg. Weg von dem Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte, weit weg von dieser Hochzeitsfeier, die ein einziges Fiasko war.

Nun platzte Holly von Hohenstein der Kragen. »Was soll das? Lassen Sie sofort Charlotte los!«

»Was verstehen Sie in Ihrem hohen Alter denn von Sex?« Abschätzig begutachtete Tom die Gräfin. »Sie sehn doch aus, als ob Sie nachts ein Leichenhemd anziehn und im Sarg schlafen.«

»Klar schlafe ich im Sarg, aber denken Sie bloß nicht, dass ich dabei immer ein Hemd anhabe.« Sie funkelte ihn an. »Hände weg von Charlotte! Sie sind seit ein paar Stunden verheiratet, schon vergessen?«

»Boaahhh, erzähln Sie mir mal was Neues.«

Er nahm sich mit der freien Hand Charlottes Wodkaglas vom Tresen und leerte es auf einen Zug. »Ich bin…«, er rülpste dezent, »… mein’n Pflichten nachgekommen, was’n sonst?«

Gern hätte Charlotte länger über diesen merkwürdigen Satz nachgedacht, doch sie war vollauf damit beschäftigt, Toms Hände in Schach zu halten, die plötzlich überall hinwollten, und zwar in Körperregionen, die im Allgemeinen nicht für die Kontaktaufnahme vorgesehen waren.

»Hör auf damit«, grollte sie.

»Man spielt nicht mit dem Herzen einer Frau!«, regte sich Holly auf.

»Stimmt, sie hat nur eins! Deshalb spielt man besser mit ihren Brüsten, davon gibt’s zwei«, prustete Tom.

Er kam jetzt richtig in Fahrt. Seine linke Hand arbeitete sich zu den Stoffblumen an Charlottes Dekolleté hoch, während er versuchte, sie auf den Mund zu küssen. Zu küssen! Sein Speichel enthielt ja nicht nur seine eigenen Keime, sondern auch Antonias. Leise aufschreiend drehte Charlotte den Kopf weg, so dass er nur ihren Hals erwischte.

In diesem Moment kam Antonia in die Bar gelaufen, mit wehendem Schleier und Panik im Blick. Wie angewurzelt blieb sie vor Charlotte und Tom stehen.

»Ich seh ja wohl nicht richtig! Charlie, wie kannst du nur!«

Blitzartig ließ Tom von Charlotte ab. »Liebling, nun reg dich ma’nich auf. Deinnne Freunnnnin…«

»Freundin?«, wiederholte Antonia hasserfüllt. »Dass ich nicht lache! Schmeißt sich auf meiner eigenen Hochzeit an meinen Mann ran!«

»Nein, nein, es war… ganz anders«, verteidigte sich Charlotte. Es klang furchtbar lahm.

Inzwischen hatte sich eine kleine Menschentraube am Tresen gebildet und verfolgte gespannt den Schlagabtausch. Zu allem Überfluss schoss nun auch noch Antonias Mutter heran, mit hochrotem Gesicht und einer tiefen Zornesfalte zwischen den Augenbrauen.

»Was ist hier los?«, kreischte sie.

»Testosteron«, sagte Holly ungerührt. »Dieser Lappen von Bräutigam hat seine Hormone nicht im Griff.«

In dem Tumult, der daraufhin entstand, bemerkte niemand, wie Charlotte sich wegduckte, zwischen wild gestikulierenden Armen hindurchschlüpfte und in den ersten Stock rannte. Ohne sich umzuziehen, warf sie ihre Sachen in den Koffer und hastete zum Empfangstresen.

»Bitte ein Taxi, schnell!«

Ja, auch Charlotte Meininger konnte spontan sein.

Vor dem Hotel wurde sie von Holly abgefangen, die einen Nerz über ihr Abendkleid geworfen hatte und ebenfalls einen Koffer in der Hand trug.

»Ich verziehe mich«, sagte sie. »Diese Hochzeitsparty ist der absolute Reinfall. Im Norden der Insel haben Freunde von mir ein Ferienhaus, mit einem sensationellen Pool und einem nicht minder sensationellen Poolboy– wollen Sie nicht mitkommen?«

Charlottes Bedarf an Entgleisungen war vollauf gedeckt.

Eine Stunde später saß sie auf dem menschenleeren Flughafen von Palma de Mallorca. In ihrem Aschenputtelkleid und den saublöden lila Pumps. Der nächste Flieger ging erst am anderen Morgen, wie man ihr erklärt hatte.

Jetzt hatte sie viel Zeit zum Nachdenken. Dummerweise kam nicht sonderlich viel dabei heraus, außer der Erkenntnis, dass sie erstens nicht nur Tom, sondern zweitens auch Antonia für immer verloren hatte. Über das Drittens wollte sie lieber gar nicht so viel wissen.

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