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Als Leanne, die Besitzerin des Blumenlädchens in Tanglewood, die Ausschreibung für den Floristen-TV-Wettbewerb "Flower Stars" sieht, bewirbt sie sich spontan und wird doch tatsächlich zu der Show eingeladen. Von da an steht ihr Leben Kopf. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie den Vorentscheid schafft. Doch mit jeder weiteren Runde wächst der Druck. Zum Glück steht ihr der charmante Park-Ranger Rex bei, der gerade nach Tanglewood gezogen ist, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Nur zu gerne hilft er Leanne und bringt ihr Herz jeden Tag mehr zum Tanzen.
Dann taucht plötzlich Rex' Ex-Freundin mit Neuigkeiten auf, die alle Träume zu zerstören drohen und Leanne fragt sich, ob es nicht an der Zeit ist, Tanglewood für immer hinter sich zu lassen …
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Seitenzahl: 395
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Als Leanne, die Besitzerin des Blumenlädchens in Tanglewood, die Ausschreibung für den Floristen-TV-Wettbewerb »Flower Stars« sieht, bewirbt sie sich spontan und wird doch tatsächlich zu der Show eingeladen. Von da an steht ihr Leben Kopf. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie den Vorentscheid schafft. Doch mit jeder weiteren Runde wächst der Druck. Zum Glück steht ihr der charmante Park-Ranger Rex bei, der gerade nach Tanglewood gezogen ist, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Nur zu gerne hilft er Leanne und bringt ihr Herz jeden Tag mehr zum Tanzen …
Dann taucht plötzlich Rex' Ex-Freundin mit Neuigkeiten auf, die alle Träume zu zerstören drohen und Leanne fragt sich, ob es nicht an der Zeit ist, Tanglewood für immer hinter sich zu lassen …
Über Lilac Mills
Lilac Mills lebt mit ihrem sehr geduldigen Ehemann und ihrem unglaublich süßen Hund auf einem walisischen Berg, wo sie Gemüse anbaut (wenn die Schnecken sie nicht erwischen), backt (schlecht) und es liebt, Dinge aus Glitzer und Kleber zu basteln (meistens eine Sauerei). Sie ist eine begeisterte Leserin, seit sie mit fünf Jahren ein Exemplar von Noddy Goes to Toytown in die Hände bekam, und sie hat einmal versucht, alles in ihrer örtlichen Bibliothek zu lesen, angefangen bei A und sich durch das Alphabet gearbeitet. Sie liebt lange, heiße Sommer- und kalte Wintertage, an denen sie sich vor den Kamin kuschelt. Aber egal wie das Wetter ist, schreibt sie oder denkt über das Schreiben nach, wobei sie immer an herzerwärmende Romantik und Happy Ends denkt.
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Lilac Mills
Blumenglück in Tanglewood
Aus dem Englischen übersetzt von Julia Brinkkötter
Inhaltsübersicht
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Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
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Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Danksagungen
Impressum
Leanne öffnete die Tür und atmete tief ein. Durch die hereinströmende Luft wehte ihr aus dem Laden ein verführerischer Duft von allerlei Blüten entgegen. Mit dem berauschenden Aroma der Blumen vermischte sich ein kräftigerer, grasiger Geruch des Schnittgrüns. Hier und da lag aus den Blumentöpfen und Hängekörben entwischte Erde herum. Sie liebte diese Gerüche, ja sie lebte für sie.
Wenn sie sich im Blumenladen befand, fühlte sie sich wie in einer Schmuckschatulle, ausgekleidet in verschiedenen Grüntönen: mit einem Bezug in blattgrünem Satin, waldgrünem Samt und salbeigrünem Damast. Der wertvolle Schmuck darin waren die Blumen selbst: feurige Orangetöne wie funkelnder Bernstein, Rottöne, so leuchtend wie feinste Rubine, Blautöne von Saphir bis Lapislazuli, das Lila und Violett der Tansanite und Amethyste, dazu das Weiß der Perlen und das Gelb des Goldes.
Mit einer Prise knalligen Pinks und einigen blasseren Blüten versetzt ergab sich ein farbenfroher Mix im ganzen Laden, der wie in einem Wechsel von Ebbe und Flut den Jahreszeiten folgte. Am beeindruckendsten zeigte sich diese Pracht auf dem Blumenfeld – oder beim Großhändler.
Eigentlich war dies das Einzige, was Leanne an ihrer Arbeit nicht mochte: dieses Aufstehen zu unmöglichen Uhrzeiten, um Blumen einzukaufen. Und das, obwohl man meinen könnte, sie habe sich nach all den Jahren auf dem Hof ihrer Eltern daran gewöhnt, noch vor dem ersten Hahnenschrei aufzustehen. Sie musste nicht einmal jeden Tag so früh aus den Federn, aber ein paarmal pro Woche – und das war ja wohl mehr als genug! Sie bezog ihre Blumen und Pflanzen hauptsächlich von einem nahe gelegenen Blumenhof und manchmal aus dem Garten des Bauernhofs, auf dem sie noch lebte. Für nicht saisonale oder spezielle Blumen wandte sie sich an den Großhändler. Das hasste sie, doch welche Wahl blieb ihr schon? Andererseits bestand sie darauf, nicht online zu bestellen, sondern selbst loszuziehen und ihre Ware auszusuchen.
Kaum hatte sie Field Day Flowers betreten und die Tür hinter sich geschlossen, ging sie auch schon zum Wasserkocher. Sie brauchte dringend eine Tasse Kaffee, bevor sie den Lieferwagen auslud und die heutigen Aufträge in Angriff nahm, entschied sie mürrisch. Der Laderaum war randvoll mit Rosen. Roten Rosen. Einer der lukrativsten Tage des Jahres stand vor der Tür, aber Leanne betrachtete ihn eher als Belastungsprobe. Sie hasste den Valentinstag. Und das nicht, weil ihr jemand zum Lieben fehlte – obwohl von wahrer Romantik in ihrem Leben weit und breit keine Spur war –, sondern weil sie sich einfach in ihrer Kreativität eingeschränkt fühlte. So viele Gestaltungsmöglichkeiten für ein Dutzend roter Rosen gab es nun wirklich nicht.
Leanne verbrachte den Morgen damit, die Blumensträuße für den nächsten Tag zu binden und sie im temperaturgeregelten Lagerraum zu verstauen. Sie wusste diesen praktischen Hinterraum zu schätzen. Zuvor, schon seit der Kindheit ihrer Mutter, war hier eine Metzgerei gewesen. Als diese dann vor drei Jahren begann, Wildbret vom Wildschwein und Hirsch zu verkaufen, florierte das Geschäft und musste sich vergrößern. Zu Leannes Glück – denn der Umzug der Metzgerei in neue Geschäftsräume um die Ecke war ihre Gelegenheit, auf das alte Ladengeschäft zu bieten, welches eine deutliche Verbesserung gegenüber ihrem ersten Lädchen war. Der einstige Lagerraum für das Fleisch war ideal zur Aufbewahrung ihrer Blumen geeignet. Und sogar die Fleischhaken wurden kurzerhand zu Halterungen für Hängekörbe umfunktioniert.
Die alte Metzgerei eignete sich tatsächlich ausgezeichnet als Blumenladen: Die Größe war genau richtig, und die leicht angewinkelte Schaufensterfront ermöglichte ihr, einige ihrer hübschen Arrangements davor zu platzieren, ohne den Bürgersteig zu verstellen oder sie dem Regen auszusetzen. Sie fand Freude daran, die Auslage jede Woche neu zu gestalten.
Anlässlich des Valentinstags hatte sie sich ein uraltes Fahrrad geborgt (auch wenn ihr Vater das anders sehen würde, hätte er es spitzgekriegt), das sie aus den Tiefen eines Schuppens auf dem Hof hervorgeholt hatte. Nachdem sie es rot angesprüht hatte, fanden im kleinen Korb am Lenker eine herzförmige Pralinenschachtel und eine Flasche Wein Platz – beide leer, versteht sich. Hinzu kamen Gestecke mit kunstvoll arrangierten Rosen und Schleierkraut sowie der süßeste Teddybär, den sie finden konnte. Anschließend hatte sie alles mit Blattwerk und roten Bändchen drapiert und neben das Fahrrad einen Lorbeerbaum gestellt, den sie liebevoll in Herzform zugeschnitten und mit Rosen bestückt hatte. Abgerundet wurde das Ganze durch Amors Pfeil und Bogen, die, aus roten, weißen und goldenen Blumen auf einen Rahmen gesteckt, das Schaufenster schmückten. Manchmal wurde sie sich selbst des enormen Vorteils bewusst, auf einem Bauernhof mit vier Brüdern aufgewachsen zu sein. Beim Hantieren mit Hasendraht, Lötkolben und Zange machte ihr keiner etwas vor!
Um zehn Uhr kam ihr Teilzeitfahrer Ken vorbei, um die Lieferungen des Tages abzuholen, und sie nahm sich vor, ihm einen kleinen Rosenstrauß beiseitezulegen, mit dem er seiner Frau eine Freude bereiten könnte. Er war wirklich eine gute Seele. Eigentlich war er schon seit Jahren im Ruhestand, aber seine magere Rente zwang ihn dazu, jede Arbeit anzunehmen, die er bekommen konnte. Daher hatte Leanne ihm sehr gern angeboten, ein paar Stunden am Tag ihren Lieferwagen zu fahren.
Morgen würden es wohl mehr als ein paar Stunden sein, wurde ihr beim Blick ins Auftragsbuch klar. Ausnahmsweise stimmte sie der Gedanke an so viele Aufträge nicht fröhlich.
Doch der Anblick ihres Schaufensters machte alles wieder wett. Die ausgefallene Schaufenstergestaltung war ihre Leidenschaft – je ungewöhnlicher sie war, desto besser. Und sie wusste, dass auch die Menschen im Ort ihre Bemühungen um eine freundliche Ladendeko zu schätzen wussten.
Das ganze Dorf war ein malerisches Idyll, mit seinem plätschernden Fluss und der sich darüber wölbenden Steinbrücke, mit seinen alten Pubs und ebenso alten Ladengeschäften. Bei einigen kleineren Nebenstraßen war noch das Kopfsteinpflaster erhalten; dafür hatten die Bewohner lange und erbittert gekämpft. Auch die Geschäfte spiegelten die Schönheit des Dorfes wider – vom Bäcker mit seinen traditionellen und ungewöhnlichen Brotlaiben, vor Ort und von Hand gebacken, über die schrulligen Handwerksläden bis hin zum Café nahe dem Fluss am Ende der Hauptstraße.
Apropos Café – als Leanne aufschaute, sah sie dessen Besitzerin Stevie, die zur Tür hereingesaust kam.
»Rosen«, keuchte Stevie. »Fünfzehn Stück bitte«, fügte sie hinzu, stützte sich mit den Händen auf der Ladentheke ab und japste nach Luft.
»Wer ist denn hinter dir her?«, fragte Leanne trocken.
»Niemand. Aber heute Morgen ist so viel los, dass ich noch keine ruhige Minute hatte. Und Cassandra ist so schwanger, dass ich sie kaum darum bitten kann, hier herüberzuwatscheln – da wäre sie wahrscheinlich den ganzen Tag lang unterwegs! Sie ist jetzt schon kugelrund und hat noch einiges vor sich. Ich sage ihr immer wieder, dass sie mal einen Gang zurückschalten soll. Aber ich glaube, sie will mit Aiden einige Bienenstöcke aufstellen und dieses Pasteurisierungsdingsbums für Ziegenmilch einrichten und deshalb bis zur letzten Minute durchhalten.«
»Dann hoffen wir mal, sie bekommt das Kind nicht mitten im Café«, scherzte Leanne.
»Hör mir bloß auf«, brummte Stevie. »Ich will das Schicksal nicht herausfordern.«
Obwohl sie so im Stress war, sah Stevie aus wie das blühende Leben, dachte Leanne. Die Liebe stand ihr gut. Auch die frische Stallluft schien ihr gutzutun – wenn man die sonderlichen Gerüche eines Stalls frisch nennen konnte. Sie war kurz nach dem letztjährigen Sommerball auf dem Landgut mit dem Springreiter Nick zusammengezogen und genoss seither jede Minute in vollen Zügen. Das Zusammenleben mit Nick, wohlgemerkt, das Stallleben nicht so sehr. Obwohl sie Leanne anvertraut hatte, dass sie nun reiten lerne – wenn auch nur sehr vorsichtig; und an der Mähne des Pferdes festgekrallt; und unter Kreischen.
Leanne schüttelte gedanklich den Kopf. Vor ihrer Ankunft in Tanglewood war Stevie eine Städterin durch und durch gewesen – und jetzt? Plötzlich lebte sie auf einem Pferdegehöft, umgeben von Stallungen und Feldern. Sie hätte wohl niemals gedacht, dass sich ihr Leben so radikal verändern würde, als sie vor Monaten zum ersten Mal ihr Café betreten hatte.
Auch Leanne war bereit für eine Veränderung, aber …
»Rosen?«, erinnerte Stevie sie.
»Ja, tut mir leid, ich suche dir sofort welche heraus. Wären Knospen in Ordnung? Wenn du sie in die Vasen stellst, sobald du zurückkommst, sollten sie morgen aufblühen. Aber ich warne dich vor, am Montag sind sie schon wieder hinüber.« Das war das Problem mit Gewächshausrosen: Sie hielten kaum ein paar Tage, und schon waren sie verblüht.
»Das ist okay, bis Sonntagabend habe ich mich selbst daran sattgesehen. Ich tausche sie dann am Montag aus.« Stevie kramte in ihrer prall gefüllten Handtasche herum und zog eine Papiertüte hervor. »Ich hab dir ein Eclair mitgebracht«, sagte sie und reichte ihr das süße Gebäck.
»Mmh, lecker!«, schwärmte Leanne und linste in die Tüte. Beim Anblick dieser schokoladig-cremigen Offenbarung lief ihr das Wasser im Munde zusammen. »Trinkst du noch eine Tasse Kaffee mit mir?«
»Leider nein, ich muss zurück. Heute ist Bettys freier Tag, und ich habe Cassandra ganz allein gelassen.«
Leanne sah ihr wehmütig hinterher. Das war ihr großer Nachteil als Alleinstreiterin: der Mangel an Gesellschaft während des Tages. Wenn sie nach Hause kam, hatte sie wiederum zu viel davon – doch das war ein anderes Thema. Abgesehen von Ken und den Kunden, die für ein Pläuschchen blieben, war sie ganz auf sich allein gestellt. Manchmal wünschte sie sich die Gesellschaft eines Partners herbei, mit dem sie zusammenarbeiten könnte. Okay, keinen Partner in dem Sinne, denn sie wäre die Arbeitgeberin und diese Person wäre bei ihr angestellt. Aber noch jemanden im Laden zu haben, den sie mit ihren Ideen behelligen oder bei dem sie einfach nur Dampf ablassen könnte, stellte sie sich schön vor. Vorzugsweise würde sich dieser Jemand noch im Floristikgeschäft auskennen.
Oder – da kam ihr eine Idee – vielleicht sollte sie eine Aushilfe einstellen? Sie würde zwar nicht viel zahlen können, aber es wäre immerhin Arbeit. Nach einer gewissen Einarbeitung könnte er oder sie auch allein im Laden die Stellung halten, wenn Leanne …
Ja, was eigentlich? Wofür brauchte sie bitte mehr Freizeit? Was würde sie überhaupt damit anstellen? Eine Shoppingtour? Unwahrscheinlich. Sie könnte einen Kurs buchen – so etwas wie Yoga oder Spinning, sich eine Kosmetikbehandlung gönnen? Doch da holte sie die Realität ein, und sie wusste genau, dass sie nichts dergleichen tun würde. Der Laden sorgte schon für genug körperliche Betätigung, war sie doch den ganzen Tag auf den Beinen und ständig in Bewegung. Und aus Kosmetikbehandlungen machte sie sich nicht viel. Wenn sie ehrlich war, würde sie sich ohnehin nicht richtig entspannen können, wenn sie nicht hier wäre, um den Laden zu beaufsichtigen. Und es war ja nicht so, als hätte sie einen Ehemann oder Kinder, mit denen sie ihre Freizeit verbringen würde. Beim Gedanken an ihre Freundinnen Stevie und Tia wurde sie schon etwas neidisch. Die waren bis über beide Ohren verliebt und planten ihre Hochzeiten. Leanne würde Stevies Brautjungfer sein, aber eine eigene Hochzeit war in absehbarer Zeit nicht in Sicht.
»Na du?«, hörte sie eine bekannte Stimme rufen. Der Postbote drückte die Tür mit einer Schulter auf und legte eine Handvoll Briefe auf die Ladentheke.
Leanne lächelte, winkte ihm zu, als er ging, und wandte dann ihre Aufmerksamkeit der Post zu. Ein Flyer, ein Katalog, Werbung für irgendeine Versicherung – ab in den Papierkorb damit. Die Zahlungsaufforderung für die Gemeindesteuer legte sie zur Seite und das nette Dankeskärtchen einer sehr glücklichen Kundin ebenfalls (Hochzeitsblumen – ein großer Auftrag). Auch das Floristikmagazin hob sie auf. In der Regel war es gespickt mit tollen Tipps und neuen Gestaltungsideen. Daher konnte sie auch nicht widerstehen, gleich einmal schnell durch die Hochglanzseiten zu blättern.
Dabei fiel ihr ein Artikel auf.
Flower Stars!
Sind Sie der nächste Superflorist? Haben Sie das Talent zur Gestaltung floraler Kunstobjekte, die unsere Jury von den Socken hauen? Verfügen Sie über das Durchhaltevermögen, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen?
Blumengestecke sind Ihr Steckenpferd? Wenn Sie verrückt sind nach allem, was blüht und grünt, haben wir genau die richtige Show für Sie!
Sie überflog die restliche Seite auf der Suche nach dem Kleingedruckten.
TV‑Sender sucht Floristinnen und Floristen für die brandneue Serie Flower Stars, die im Sommer ausgestrahlt wird. Die Sendung wird im Wettbewerbsformat gefilmt. Die Drehzeit beträgt zehn Wochen, während derer ein Teilnehmer pro Woche ausscheidet.
Der Gewinner darf das Blumenarrangement am Haupteingang zur Chelsea Flower Show gestalten.
Die Teilnahme ist ab achtzehn Jahren möglich. Der Wettbewerb steht sowohl Laien als auch jenen Personen offen, die im Floristikgeschäft tätig sind, aber im Floristikbereich bisher noch keine Auszeichnung gewonnen oder Ausbildung abgeschlossen haben.
Wow! Die Chelsea Flower Show war die Gartenschau, der Inbegriff der Blumen- und Gartenkunst. Dort ausstellen zu dürfen, war ein Preis, der sich sehen lassen konnte. Voller Überschwang schaltete Leanne den Computer im Büro ein, rief die im Artikel genannte Website auf und studierte sie aufmerksam. Um sich zu bewerben, musste sie bloß ein Formular ausfüllen.
Zugegeben, das Formular hatte es in sich. Sie war den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, alles auszufüllen, während sie nebenbei Kunden bediente und ihren Aufträgen für morgen den letzten Schliff verlieh. Als sie fertig war, las sie sich die Unmengen an Informationen durch: die Vertraulichkeitsvereinbarung (hä?), die Verfügbarkeit für Dreharbeiten und so weiter. Dann – ihr schlug das Herz bis zum Halse – drückte sie auf Absenden.
Sie wusste, es bestand nur eine winzig kleine Chance, dass sie überhaupt durch die Vorauswahl kam, und nahm sich fest vor, sich nicht zu große Hoffnungen zu machen.
Dennoch konnte sie ihre Aufregung nicht zurückhalten. Vielleicht war das genau die Chance, auf die sie gewartet hatte.
»Rex! Rex!«, schrie jemand hinter ihm. Rex drehte sich um und sah einen Dobermann auf ihn zuspringen. Die Schlappohren und der Schwanz wackelten mit der heraushängenden Zunge um die Wette. Der Hund machte einen letzten Satz und wirbelte in seiner Vollbremsung zig Kieselsteinchen auf.
»Oje, tut mir wirklich leid. Nicht jeder mag Hunde.« Der Hundehalter eilte herbei und schnaufte dabei mit seinem Haustier im Akkord.
Eigentlich mochte Rex Hunde. Brave, gut erzogene Hunde – was dieser eindeutig nicht war. Auch dass ihm soeben klargeworden war, dass er denselben Namen wie ein bekloppter Dobermann hatte, trug nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei.
»Er ist noch ein Welpe, erst neun Monate alt. Bald wird er ruhiger«, sagte der Mann.
Ja, klar, es kann sich nur noch um Jahre handeln, dachte Rex. Der Hund ging in Welpenpose – die Vorderbeine waren auf dem Boden abgelegt und sein wackelndes Hinterteil in die Luft gestreckt. Als sein Herrchen einen Ausfallschritt auf ihn zu machte, sprang er wieder hoch und düste ab.
»Sie haben keinen Hund?«, fragte der Fremde und sah sich um, als verdächtigte er Rex, irgendwo einen Vierbeiner im hohen Gras versteckt zu halten.
»Nein«, sagte Rex und ließ seinen schottischen Akzent durchblitzen. Seine geliebte Hündin Star war erst vor Kurzem verstorben – etwa zur gleichen Zeit, als seine langjährige Freundin ihn von einem Tag auf den anderen verlassen hatte. Und wie man so schön sagt: Aller guten Dinge sind drei. Darum war er nicht sonderlich überrascht gewesen, als das Schicksal kaum eine Woche später zum dritten Mal zugeschlagen hatte. Auch seine Arbeit hatte er geliebt …
Aber egal, seine neue Arbeitsstelle würde er schon noch lieben lernen, und er war auf gutem Wege dorthin. Nur schade, dass er so weit von zu Hause weg war.
Seine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als der Mann seine rechte Hand nach ihm ausstreckte. »Ich bin Arthur, und das ist Rex«, sagte er und nickte dem Hund zu, der wieder an seiner Seite aufgetaucht war.
»Rex«, erwiderte Rex, reichte dem Mann die Hand und schüttelte sie beherzt.
»Ja, Rex«, wiederholte Arthur. »Ein super Name für einen Hund.«
»Nein, ich meinte, mein Name ist Rex.«
»Ach so? Ach so! Haha. Also so was … Darf ich vorstellen? Rex, das ist Rex.«
Rex, der Mann, beugte sich hinunter und gab Rex, dem Hund, einen freundlichen Klaps. Dieser hatte sich inzwischen so beruhigt, dass er sich nah genug an den interessanten neuen Menschen herantraute, um ihn zu beschnüffeln. Das versetzte ihm einen kleinen Stich ins Herz. Stars Tod hatte ein riesiges Loch in sein Leben gerissen und war vielleicht sogar schwerer zu ertragen gewesen als der Liebeskummer, nachdem seine Freundin ihn verlassen hatte. Aber er war noch nicht bereit, einem anderen Hund seine Liebe zu schenken. Dafür war es zu früh, die Wunde noch zu frisch. Außerdem konnte kein Hund Star ersetzen. Sie war etwas ganz Besonderes gewesen. Er hatte sie zu sich geholt, als sie acht Wochen alt war, und sie hatte ihn seitdem überallhin begleitet. Er hatte seinen Beruf aufgrund der Tatsache gewählt, dass er sie zur Arbeit mitnehmen konnte. Sogar zur Uni hatte er sie mitgenommen (an Vorlesungstagen musste sie in seiner Bude bleiben), und es machte sie überglücklich, wenn sie ihn auf Ausflüge begleiten durfte. Dann war sie in ihrem Element. In Wald und Flur, Berg und Tal – sie war glücklich gewesen, solange sie nur bei ihm war.
Er war ohne sie verloren, als würde ein Teil von ihm fehlen.
»Schön hier oben, nicht wahr?«, sagte Arthur. »Ich gehe hier schon seit meiner Kindheit wandern, bei jedem Wetter. Ich hatte immer Hunde, wissen Sie, und die brauchen täglich Auslauf.« Er blickte über das Tal, das sich unter ihnen erstreckte, und Rex tat es ihm nach.
Dieses walisische Gebirge war nicht so beeindruckend wie jene in seiner schottischen Heimat, aber es hatte einen gewissen Charme. Gleichwohl wusste Rex durchaus, dass kleinere Berge nicht unbedingt sicherer waren. Zudem war ihm aufgefallen, dass kleinere Berge mehr unerfahrene Wanderer anzogen. An einem regenfreien Sonntag glich der Aufstieg zum Pen y Fan, der höchsten Erhebung in Südwales, einem Supermarkt an Heiligabend. Am vergangenen Sonntag, an dem es zufällig trocken, sonnig und obendrein noch Ostersonntag gewesen war, hatte die Besucherzahl offenbar einen Rekord erreicht. Einige waren angemessen gekleidet gewesen, mit Wanderschuhen, Fleecepullis und Regenjacken. Andere wiederum hatten T‑Shirts und leichtes Schuhwerk getragen und offenbar keinerlei Vorstellung davon gehabt, wie matschig, holprig und rutschig der Boden selbst an einem guten Tag sein konnte. Am Gipfel schlug das Wetter bisweilen binnen kürzester Zeit von warmem Sonnenwetter auf eine steife Brise mit tief hängenden Wolken um.
Man musste die Berge ernst nehmen. Und da kam Rex ins Spiel: Aufklärungs- und Beratungsarbeit gehörten zu seinen Aufgaben. Noch während er dies dachte, warf er einen prüfenden Blick auf Arthur und war erleichtert, festes, eingelaufenes Schuhwerk und mehrere Schichten Kleidung zu sehen, die durch den halb geöffneten Reißverschluss seiner wasserdichten Jacke zu erkennen waren.
Dann trennten sich ihre Wege, die für Arthur bergauf- und für Rex bergabwärts führten. Er war früh losgewandert – wie an jedem Tag, seit er vor zwei Wochen nach Tanglewood gezogen war –, denn er wollte sich mit der Landschaft vertraut machen. Sein Ziel war es, bis Monatsende jeden Zentimeter seines Einzugsgebiets zu kennen, egal wie erschöpft er wäre. Fußmärsche von dreißig bis fünfzig Kilometern pro Tag waren nicht ohne, aber besser konnte man eine Gegend nicht erkunden.
Nun brauchte er erst einmal Mittagessen. Zum Frühstück mit Schinkenbrötchen und Kaffee aus der Thermosflasche hatte er auf einem spektakulären Felsvorsprung gesessen, der aus einem der kleineren Gipfel hervorragte. Der Stein war ungefähr so lang und breit wie ein Sprungbrett – und genau so nannten ihn die Einheimischen auch! Rex hatte sich vorn an die Kante gesetzt, je ein Bein links und rechts herunterbaumeln lassen und so mehrere Hundert Meter über einem unendlich anmutenden Abgrund gethront. Wenn er jetzt hinabstürzte, hatte er noch gedacht, würden ein Pflaster und ein bisschen Jod nicht ausreichen, um ihn wieder zusammenzuflicken.
Auf seinem Weg zurück ins Dorf wichen Heidekraut und Grasbüschel den von Hecken umzäunten Feldern. Es war fast Lammzeit, und die Felder waren mit trächtigen Mutterschafen bevölkert, die zufrieden am frischen Gras mümmelten. Ermutigt von den zaghaften Sonnenstrahlen am letzten Wochenende (ein Osterwochenende ohne Regen – ein Wunder!) waren frische grüne Triebe gesprossen, und die Blätter an den Bäumen begannen sich aufzurollen.
Er blieb stehen und streckte die Finger nach einem herunterbaumelnden Weidenkätzchen aus. Das unverkennbare Zeichen des Frühlings zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. Am Fuße der Trockensteinmauer wuchsen einige wilde Primeln, und er achtete darauf, nicht auf sie zu treten. Während er weiterging, nahm er sich vor, sich die aktuelle Finanzierung für diesen Weg genauer anzusehen. Der Pfad war offensichtlich sehr frequentiert, und an einigen Stellen sah man ihm das auch an. Er wollte die ersten Zeichen des Verfalls sofort beheben und nicht warten, bis er zu viel um die Ohren hätte.
Hinter einer sanften Kurve tat sich der ihm bereits vertraute Anblick Tanglewoods auf. Diese Strecke war er zwar zuvor noch nicht abgelaufen, er hatte sie aber auf der Karte angeschaut, bevor er heute Morgen aufgebrochen war. Daher wusste er, dass sie einen Schlenker machte und ihn von Nordwesten her zurück ins Dorf führte. Abgesehen davon erkannte er Tanglewood gleich am Fluss, der sich wie ein Band am Dorf entlangzog, an der kleinen Steinbrücke, die er nur ausmachte, wenn er die Augen zusammenkniff, und an den beiden Hauptstraßen, die in einer Kreuzung aufeinandertrafen. Das Dorf lag in einem hufeisenförmigen Tal, umgeben von steilen Berghängen und üppigem Ackerland.
Keine Frage, es war schon sehr malerisch; ein wenig wie die Schweiz in Miniatur, nur mit aneinandergereihten Stein-Cottages anstelle von Chalets. Er ging mit den Augen die Straßen ab und zählte die Häuser, bis er seines fand – von hier oben gesehen nur ein winziger Fleck, aber die mit Efeu bewachsene Haustür glaubte er dennoch zu erkennen. Vorerst wohnte er dort nur zur Miete, doch langfristig, falls alles gut laufen und er sich entscheiden sollte, zu bleiben, würde er einen Kauf in Betracht ziehen. Dann müsste er nur den Erlös aus dem Verkauf des Hauses in Schottland abwarten, das er immer noch gemeinsam mit seiner Ex‑Freundin besaß.
Selbst in seinen Gedanken vermied Rex, Jules’ Namen zu nennen. Er dachte überhaupt nur an sie, weil er mit aller Kraft versuchte, nicht an sie zu denken. Sein Herz war nicht gebrochen, aber es war schwer (was nicht dasselbe war), denn die Trennung hatte ihn wie aus heiterem Himmel getroffen. Die Beziehung war so vor sich hingeplätschert, und eigentlich waren sie ganz glücklich gewesen – hatte er gedacht. Auf einmal hatte sie die Bombe platzen lassen, dass sie keine Zukunft in ihrer Beziehung sehe und ausziehen werde.
Rückblickend wusste er, er hätte es selbst bemerken müssen. Sie waren eher zu einer Wohngemeinschaft als einem Liebespaar geworden. Vielleicht war das nach einer längeren Beziehung auch einfach zu erwarten, und irgendwann erlosch jeder Funke. Das wäre ein trauriger Gedanke, fand er. In den Wochen zwischen der Trennung und seinem Umzug nach Wales hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt und musste schließlich zugeben, dass er genauso viel Schuld daran trug. Vielleicht hätte er sich mehr Mühe geben sollen, sie mehr umwerben und ihr das Gefühl geben sollen, etwas Besonderes zu sein.
Eine weitere Erkenntnis hatte ihn selbst überrascht: Vielleicht hatte er sich diese Mühe nicht gemacht, weil er sie nicht genug geliebt hatte. Nachdem die anfängliche Leidenschaft nachgelassen hatte, wurde immer offensichtlicher, dass sie gar nicht viel gemeinsam hatten. Wie zwei Stücke Treibholz auf demselben Strom waren sie auseinandergedriftet. Selbst die Entscheidung, zusammenzuziehen, war aus finanziellen Gründen gefallen und der gemeinsame Hauskauf nichts anderes als eine Kapitalanlage gewesen – also alles eher eine Vernunft- als Herzensentscheidung. Rückblickend hätte ihm spätestens zu dem Zeitpunkt klarwerden sollen, dass etwas nicht stimmte.
Er stieß ein Knurren aus und kickte einen Kieselstein den Weg hinunter. Wenigstens hatte sich der Wert des Hauses gesteigert, so dass sie beide etwas aus ihrer gescheiterten Beziehung mitnahmen.
Nachdem er über den letzten Mauertritt gestiegen war, beschleunigte er seinen Schritt. Er war am Verhungern, und ein leckerer Teller Suppe mit ein paar Scheiben selbst gebackenem Körnerbrot riefen nach ihm. Wann immer er keine Lust hatte, selbst zu kochen, schaute er in Peggy’s Tea Shoppe vorbei. Mittlerweile war der tägliche Besuch in diesem Café tatsächlich zu einem Ritual für ihn geworden, und wenn er einmal nicht seinen Stammplatz am Fenster ergatterte, schlug sich das schon ein wenig auf seine Laune nieder.
»Sie hat Spinat-Käse-Bratlinge gemacht«, zischte Betty, die ältere Dame, die im Café aushalf, ihn an, während er es sich an seinem üblichen Platz gemütlich machte. »Die sind nichts im Vergleich zu meinen Gemüsetaschen, aber was soll’s.«
»Ist auch etwas von Ihren Gemüsetaschen da?«
»Nein – hätte ich sonst von ihren Bratlingen gesprochen? Sie werden auf Rucola mit hausgemachtem Zwiebelchutney serviert«, fügte sie hinzu.
»Dann nehm ich die«, antwortete er freundlich lächelnd, »und einen Teller Suppe – was Sie gerade dahaben.«
»Tomate mit gerösteter Paprika«, sagte Betty wenig überzeugt. »Und eine Kanne Tee, nehme ich an?«
»Ja bitte.« Die Bestellung war erledigt. Nun konnte er sich zurücklehnen und einen Blick aufs Schwarze Brett werfen. Er sah sich gern an, welche Veranstaltungen und Aktionen gerade stattfanden und was die Leute so zum Verkauf anboten. Stevie, die Besitzerin des Cafés, achtete sehr genau darauf, was dort angeschlagen werden durfte. Die Anzeigen für einen Installateur und einen Handwerker kannte er schon, sie hingen schon eine Weile dort. Auch ein paar neue Anzeigen waren dabei: ein Tanzkurs, ein Tag der offenen Tür an der kleinen Grundschule und eine 20‑Kilometer-Spendenwanderung ins Brecon-Beacons-Gebirge. Über diese Aktion wusste Rex natürlich schon bestens Bescheid. Er hatte sie zwar nicht selbst organisiert, aber sie fand in seinem Einzugsgebiet statt, und er wollte für den Fall der Fälle verfügbar sein.
Zum Verkauf standen unter anderem ein Kinderwagen, ein Gartenhaus (nur an Selbstabholer zum Selbstabbau), eine Kommode und –
»Bitte sehr. Vorsicht, der Teller ist heiß.« Die jüngere Bedienung, die schwanger war und Cressida oder Cassandra hieß (Rex war sich nicht sicher und wollte lieber nicht nachfragen), stellte sein Essen auf den Tisch. »Darf es sonst noch etwas sein?«
»Nein danke, das ist perfekt so.«
Das war wirklich keine Übertreibung, und er machte sich genussvoll ans Werk. Als er – nach einem Stück Kuchen und einer weiteren Kanne Tee – schließlich proppenvoll war, lehnte er sich zurück und klopfte sich auf den Bauch. Wenn er so weitermachte, würde er doppelt so viele Kilometer am Tag gehen müssen, nur um sein Gewicht zu halten. Das Essen hier war einfach zu gut.
Während er es sacken ließ, fiel sein Blick erneut aufs Schwarze Brett. Ihm war vorhin etwas aufgefallen. Doch als ihm das Essen serviert worden war, hatte er sich ablenken lassen und den Text nicht mehr richtig durchgelesen. Er überflog die Anzeigen … und fand sie. Wirklich bereit war er zu diesem Schritt zwar noch nicht, aber ein kurzer Blick würde nicht schaden. Er wollte nur einmal gucken und den großen Zeh ins Wasser halten, sozusagen. Er wäre dann ja nicht gleich dazu verpflichtet, einen bei sich aufzunehmen.
Rex kramte in seinem Rucksack nach Stift und Papier und notierte sorgfältig die Telefonnummer. Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass ihn sein Gedächtnis verließe und er die Nummer später nicht mehr zuordnen könnte, schrieb er Welpe darunter und unterstrich das Wort dreimal.
Leanne war den ganzen Tag im Stress gewesen, dennoch war sie gelangweilt.
Gelangweilt war vielleicht nicht das richtige Wort, doch ein besseres fiel ihr beim besten Willen nicht ein. Und dem Tag hatte es nicht einmal an kreativer Beschäftigung gemangelt. Sie hatte einige Stunden damit verbracht, die Osterdeko aus dem Schaufenster zu nehmen und ein schönes, freundliches Frühlingsarrangement zu gestalten – was ihr immer Freude bereitete. Aber irgendetwas fehlte. Sie war unruhig und nicht ganz auf der Höhe. Vielleicht hatte sie sich auch einen Infekt eingefangen? Bitte bloß nicht das – krank zu sein, konnte sie sich gerade überhaupt nicht leisten. Als sie zuletzt krankheitsbedingt ausgefallen war, hatte sie ein paar Tage lang den Laden schließen müssen.
Sie mummelte sich zu Hause auf ihrem Lieblingssessel ein, den Laptop auf dem Schoß, und dachte sich, dass man als Selbstständige nie wirklich Feierabend hatte. Sie bezahlte ein paar Rechnungen, löschte Spam aus dem Posteingang und las sich ein, zwei Angebote durch, von denen sie sich eines abspeicherte. Dann entdeckte sie etwas, das ihr Herz fast aus der Brust springen ließ – eine E‑Mail von Flower Stars.
Ganz ruhig, Lea!, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Es ist wahrscheinlich eine Standardabsage à la Danke – aber nein danke. Sie rief sich in Erinnerung, wie hibbelig sie die letzte E‑Mail vom selben Absender gemacht hatte, bis sie bemerkt hatte, dass die Aufregung völlig umsonst gewesen war – es hatte sich bloß um eine Empfangsbestätigung für ihre Kandidatur gehandelt. Das Zittern ihrer Hände konnte sie trotzdem nicht verhindern, als sie die Nachricht anklickte.
Leanne las sie einmal durch, dann noch einmal. Sie blickte auf und starrte, mit den Zähnen an der Unterlippe zupfend, eine Minute lang ins Leere. Noch ein drittes Mal las sie die E-Mail, nur zur Sicherheit.
Sie hatte es im Auswahlverfahren in die nächste Runde geschafft! Für ein Gespräch und zur Demonstration ihrer Fähigkeiten sollte sie in die Londoner Filmstudios kommen.
Ihr wurde übel. Sie war aufgeregt. Und schrecklich nervös. Was, wenn sie sich dort komplett zum Trottel machte? Was, wenn sie nicht gut ankäme oder auf dem Bildschirm wie eine scheußliche Hexe aussähe? Sie hatte gehört, dass die Kamera einige Menschen hasste und andere liebte – was, wenn ausgerechnet sie der Kamera verhasst war?
Noch konnte sie einen Rückzieher machen und aussteigen. Es würde nichts geschehen, und keiner würde je davon erfahren.
Von wegen! So eine Chance ließ sie sich nicht entgehen – egal wie viel Angst ihr allein der Gedanke daran bereitete, am Wettbewerb teilzunehmen.
Plötzlich dämmerte es ihr: Sie war in der nächsten Runde! Yippiiie!
Das musste sie jemandem erzählen. Ihre Mutter war bei einem Planungstreffen, um Spenden für das Kirchendach zu sammeln, aber ihr Vater war da. Sie erinnerte sich vage daran, dass er etwas über einen Mann und einen Hund gemurmelt hatte, und vermutete, er musste bei Bess und ihren Welpen sein. Also beschloss sie, ihn zu suchen. Die Welpen waren acht Wochen alt und absolut bezaubernd. Außerdem war das eine willkommene Ausrede für sie, um mit ihnen zu spielen. Heute Abend würde sie ohnehin keine Arbeit mehr erledigen können, denn dafür war sie viel zu aufgeregt.
Bess lebte, wie die anderen Hofhunde, in einem der alten Ställe neben dem Haus, und dorthin machte Leanne sich jetzt auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie dort jemals Pferde gehalten hätten. Die Hunde teilten sich für gewöhnlich einen Schlafplatz, aber als die Geburt ihres Wurfes näher rückte, war Bess in eine eigene Box im Stall verlegt worden, wo sie bleiben würde, bis die Welpen gingen.
Och, wie süß! Die stolze Mama mit ihren sieben Welpen – vier Männchen und drei Weibchen. Leannes Liebling war die kleinste Hündin, der Kümmerling des Wurfes. Die Kleine war scheuer als ihre Geschwisterchen, ruhiger und liebevoller und kuschelte lieber, als zu spielen.
Leanne beugte sich über die Pferdeboxentür und ging noch nicht hinein, sondern beobachtete die Hündchen einen Moment lang. Sie tranken gerade, und Leanne wollte sie nicht stören. Also wartete sie ab, bis sie fertig waren, und lauschte derweil zufrieden lächelnd ihren kleinen Grunz- und Quietschlauten. Sie waren so unbeschreiblich süß, am liebsten würde sie allesamt behalten. Ihr Vater war natürlich strikt dagegen. Wenn sie jeden Welpen aus ihrer Zucht behalten würden, meinte er, wäre der Bauernhof längst mit Hunden überlaufen. Außerdem waren es Arbeitstiere, die als Hütehunde gezüchtet wurden und auf Bauernhöfe gehörten, wo sie genau das tun konnten: Schafe hüten. Er hatte bereits mit dem ersten Hütetraining begonnen, um sie auf ihr neues Zuhause vorzubereiten. Aber zwei der Hundebabys hatten nichts auf dem Kasten, wie er zu sagen pflegte, und eines davon war das leicht schüchterne kleine Etwas, auf das Leanne ein Auge geworfen hatte.
Schließlich hatte Bess genug vom Säugen, und der glückselige Blick auf ihrem Hundegesicht wurde angesichts der spürbar scharfen Milchzähne an ihren Zitzen immer gequälter. Sie rappelte sich auf die Beine, schüttelte ihre Jungen von sich ab und entkam ihnen mit einem gekonnten Sprung auf das Podest. Dort ließ sie sich auf die strohbedeckten Holzbretter plumpsen und klopfte mit ihrem wackelnden Schwanz wie zum Gruß dagegen.
Das war Leannes Stichwort. Schnell entriegelte sie die untere Hälfte der Stalltür und schlüpfte hindurch, bevor einer der kleinen Racker entkommen konnte. Dann ließ sie sich ins Stroh fallen und von der Räuberbande belagern. Es gab nichts Schöneres, als von einem Wurf Welpen umgeben zu sein, mit ihrem milchigen Duft, ihren runden Bäuchlein, ihren weichen Pfötchen und ihrem flauschigen Welpenfell. Und was noch so wunderbar an Babyhündchen war: Sie freuten sich immer riesig, sie zu sehen. Ihre Begrüßung wurde durch wedelnde Stummelschwänzchen und aufgeregtes Fiepen begleitet.
Hach, sie waren einfach sooo süß! Sie könnte den ganzen Tag hier verbringen und sich beklettern und anknabbern lassen. Die Welpen brachten sie herunter. Nachdem sie sich ein paar Minuten flauschig-weicher Welpenliebe abgeholt hatte, ebbte ihre Begeisterung über die gute Nachricht, in der nächsten Runde zu sein, ein wenig ab. Jetzt war sie in der Lage, etwas nüchterner darüber nachzudenken.
Das würde nicht leicht werden, und ein ganzer Haufen Arbeit würde auf sie zukommen. Aber stell dir nur vor, du gewinnst!, dachte sie bei sich und versuchte gleich wieder, sich zu beruhigen. Sie würde sich erst einmal im Auswahlgespräch und nicht zuletzt von Runde zu Runde in den Sendungen bewähren müssen.
»Geh’s langsam an, einen Schritt nach dem anderen«, murmelte sie und deutete es als Zustimmung, dass Bess nun wie verrückt mit dem Schwanz wedelte. Mit ihren fast sieben Jahren war sie eine erfahrene Mutterhündin. Und eine ausgezeichnete Hütehündin obendrein, weshalb Leannes Vater sie als Zuchttier bestimmt hatte. Sie hatte ein ruhiges Gemüt und ließ es zu, wenn sich Menschen zu ihren Jungen in die Box gesellten, schaute jedoch sehr genau hin, als Leanne ihr Kleinstes hochhob und vorsichtig an sich drückte, um seinen kleinen Herzschlag zu spüren. Dieses Hundebaby hatte es ihr wirklich angetan, und sie wünschte so sehr, sie könnte es behalten. Aber sie wusste auch, wie sehr es ihrem Vater missfiel, Haustiere auf dem Hof zu halten. Er fand, jedes Tier müsse sich nützlich machen. Und so liefen Leannes Chancen, den Welpen zu adoptieren, gen null. Ihr Vater hatte bereits eines der Männchen als Sheps Nachfolger ausgewählt und hatte keinerlei Absicht, auch nur einen der anderen Welpen zu behalten. Die meisten von ihnen waren bereits an Landwirte oder Schäfer vergeben. Nur zwei aus dem Wurf waren noch von niemandem reserviert worden, und einer davon war der kleine weibliche Welpe.
Leanne hatte sie Nell getauft. Ein Riesenfehler – nicht der Name selbst, aber ihr überhaupt einen Namen zu geben. Der Abschied würde ihr dadurch noch viel schwerer fallen. Doch sie hatte sich nicht zurückhalten können – sie hatte schon lange keine so enge Beziehung mehr zu einem der Tiere auf dem Hof aufgebaut. Zuletzt war es ein Ferkel gewesen, das als Mastschwein angeschafft worden war. Das zu einer riesigen Sau herangewachsene Tier war irgendwann an Altersschwäche gestorben, weil Leanne sich trotz ihrer ländlichen Erziehung und ihres Wissens, worum es bei Nutztieren ging, die Augen ausgeheult hatte, als Grunzi geschlachtet werden sollte. Ihre Brüder zogen sie noch heute damit auf, wenn ihre Mutter am Sonntagmittag Schweinebraten auftischte.
Zwei Stimmen, darunter die ihres Vaters, holten sie aus ihren Gedanken. Also gab sie dem Winzling einen letzten Kuss auf sein flauschiges Köpfchen und setzte ihn ab. Dann raffte sie sich wieder auf und stellte sich in die Ecke hinter der Tür, um dem Neuankömmling freie Sicht auf die Welpen zu verschaffen. Sie blinzelte durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen, als die beiden Männer ins Blickfeld traten, und erwischte sich selbst dabei, wie sie betete, dass der Typ einen Arbeitshund und kein Haustier wollte.
»Zwei sind noch übrig, ein Rüde und eine Hündin«, sagte ihr Vater. »Ich will ehrlich sein – die Hündin taugt nicht viel. Mit dem Rüden fahren Sie besser. Er ist wie sein Vater, temperamentvoll und ein wenig frech.«
Leanne musste lächeln. Ihr Vater war so eine ehrliche Haut. Er hatte genügend Hütehunde ausgebildet, um Potenzial zu erkennen, wenn er welches sah, selbst in dem jungen Alter. Auf diese Weise würde er jedoch niemals ein Herrchen oder Frauchen für das niedliche Hundeweibchen finden. Und so verflog das Lächeln auf Leannes Gesicht auch dann nicht, als der Fremde sich über die Boxentür beugte, um Bess’ Welpen näher zu betrachten.
»Ach, wie goldig«, sagte er, und aus seinem Akzent schloss sie, dass er von auswärts kam.
Während der Mann die Hunde musterte, musterte Leanne ihn, und was sie sah, ließ ihr Herz schneller schlagen. Er sah verdammt gut aus, so ein richtiger Outdoor-Typ. Er musste mindestens eins achtzig groß sein, eher noch größer, und hatte breite Schultern, die sich sehen lassen konnten (Leanne stand auf breite Schultern). Rotbraunes Haar, blaue Augen und ein richtig männlicher Kiefer (sie stand auch auf markante Kiefer) rundeten das Bild ab, das sie erhaschte.
Sie klopfte ihre Jeans ab, tat ein, zwei Schritte in sein Blickfeld und bemerkte dabei, wie sein neugieriger Blick sich ihr zuwandte.
»Oh, hallo, Schatz«, sagte ihr Vater. »Ich habe dich dort gar nicht bemerkt.«
»Hallo, Papa. Er hat recht, wissen Sie?«, versicherte sie dem Fremden. »Der Rüde ist definitiv der Mutigere und Selbstbewusstere von den beiden, die noch übrig sind.« Sie beugte sich hinunter, um den Welpen aufzuheben, welcher aus Protest knurrte.
Der Mann lachte. Und ein nettes Lächeln hat er, stellte Leanne fest.
»Er ist aber auch ein freches Kerlchen! Und das ist das Weibchen?«, fragte er und deutete auf Nell. Die war auf Leannes Turnschuhe geklettert und beknabberte zufrieden einen Schnürsenkel, während sie ihre Geschwisterchen ausgelassen um sie herumtollen ließ.
Leanne schaute zu ihren Füßen hinunter. »Ja, das ist Nell«, erwiderte sie mit einem Lächeln.
»Du sollst ihnen keine Namen geben«, sagte ihr Vater. »So fällt dir der Abschied nur schwerer.«
»Nell also, ja? Züchten Sie viel, Mr Green?«
»Nur hin und wieder«, antwortete ihr Vater. »Shep, der Vater dieses Wurfs, kommt langsam in die Jahre, und ich muss mit der Abrichtung seines Nachfolgers beginnen. Bess« – dabei zeigte er auf die Hündin, die weiterhin auf ihrem Podest lag – »hat zuvor schon einmal geworfen, also werde ich wahrscheinlich nicht noch einmal mit ihr züchten. Sie hat ihre Pflicht getan.«
Leanne fand es schade, ihn das sagen zu hören. Sie liebte es, wenn Welpen auf dem Bauernhof waren. Nichts ging über die bedingungslos freudige Begrüßung eines Hundes. Genau das, multipliziert mit der Anzahl der Welpen in einem Wurf, ergab die Formel für pures Glück.
»Ich heiße übrigens Leanne, du kannst mich gern duzen«, stellte sie sich endlich vor und streckte ihre rechte Hand aus. Ihre linke drückte weiterhin den zappelnden und sich windenden Welpen an ihre Brust.
»Rex.« Der Mann nahm ihre Hand entgegen und schüttelte sie.
»Willst du ihn so nennen?«, fragte Leanne und hielt ihm den Welpen entgegen, damit er ihn sich besser anschauen konnte. »Ein starker Name für einen Hund.« Hütehunde bekamen meistens einsilbige Namen, die man ihnen schnell auf der Weide zurufen konnte.
Ihr Vater prustete los. Leanne sah zu ihm hinüber und beobachtete verwundert, wie er sich auf die Lippe biss und sein Gesicht lila anlief, so sehr musste er sein Lachen unterdrücken.
»Doch nicht der Hund; ich heiße so«, entgegnete Rex mit einem Lächeln wie zur Entschuldigung und auch ein Stück weit resigniert.
»Tut mir leid. Das hörst du sicher oft«, entschuldigte sie sich leicht beschämt für ihren Fauxpas. Natürlich musste sie wieder ins Fettnäpfchen treten und den einzigen attraktiven Mann beleidigen, dem sie hier seit Ewigkeiten begegnet war.
»Wozu würden Sie mir raten, Mr Green?«, fragte Rex, ihrem Vater zugewandt.
»Duzen wir uns doch auch, ich bin Geoff. Das kommt darauf an, was du mit dem Tier vorhast. Der Rüde wird rebellischer und die Hündin ruhiger sein. Suchst du ein Haustier oder ein Arbeitstier? Denn ich will ganz ehrlich sein: Die da« – er zeigte auf Nell – »wird dir mit den Schafen keine große Hilfe sein. Sie ist zu stark auf Menschen fixiert. Darum würde sie dich mehr als die Schafe beobachten. Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede.«
Leanne beobachtete Rex’ Gesicht, das wie ein offenes Buch vom Wechselbad der Gefühle erzählte, die sich gerade in ihm abspielten.
»Ein bisschen was von beidem?«, fasste er zusammen. »Der Hund soll mich regelmäßig zur Arbeit und auch in Schulen und so was begleiten.«
»Was machst du beruflich?«, fragte Geoff.
»Ich bin Parkranger.«
»Tatsächlich?« Er nickte zustimmend. Leanne und ihr Vater wussten beide, wie unverzichtbar eine kompetente Naturwacht für den Erfolg des Nationalparks war. Ihr Vater hatte Hochachtung vor Rangern.
»Ich brauche einen Hund, der keine Angst vor neuen Leuten hat, aber gleichzeitig nicht überdreht auf sie reagiert«, führte Rex weiter aus.
Leanne beschlich das Gefühl, dass sie Nell verlieren würde. Im Versuch, ihre Trauer zu verbergen, beugte sie sich hinunter, um das Männchen wieder auf dem Heu abzusetzen und stattdessen das Weibchen hochzuheben. Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie es knuddeln durfte. Nell kuschelte sich an ihren Hals, und Leanne atmete tief ein. Sie dachte daran, dass sie niemals des Welpengeruchs überdrüssig werden würde und auch nicht des angenehm weichen Gefühls, dieses kleine Wesen in den Armen zu halten. Nell leckte an ihrer Nase, und Leanne lachte. Dieser zuckersüße Schatz!
»Ich nehme an, du hattest schon einen Hund?«, fragte ihr Vater vorsichtig nach. Er war immer darauf bedacht, alle Hunde, die er züchtete, in vertrauensvolle, erfahrene Hände zu geben.
»Ich habe meine Springer-Spaniel-Hündin vor einigen Monaten verloren«, sagte Rex. »Ich dachte, ich könnte es nicht ertragen, mir einen neuen Hund anzuschaffen. Aber mittlerweile ist mir klargeworden, dass ein Haus ohne Hund einfach zu ruhig ist.«
Spontan entschlossen, machte Leanne einen Schritt auf die Boxentür zu und drückte Nell in Rex’ Hände. Sie wusste, dass der Welpe nicht mehr lang auf dem Hof bleiben würde, ob Rex ihn adoptierte oder nicht. Was sie jedoch zu ihrem Entschluss bewegte, war der Schmerz in seiner Stimme. Wenn sie Nell schon abgeben musste, dann an diesen Mann mit den liebevollen Augen und leiderfüllten Worten. Er würde gut für sie sorgen, da war Leanne sich sicher. So wenig sie über diesen Mann wusste, hatte sie doch das Gefühl, dass er den kleinen Hund genauso vergöttern würde, wie sie es tat.
Sie sah erwartungsvoll in sein Gesicht. Eine Sekunde lang blinzelte er verdutzt, als ihm das Hündchen ohne Vorwarnung in die Arme gedrückt worden war, aber sein Gesichtsausdruck wurde sofort weicher, als er auf sie hinunterblickte.
Einerseits war Leanne traurig, dass der Welpe sie verlassen würde, andererseits war sie zuversichtlich, dass er das allerbeste Zuhause bekäme. Und so entriegelte sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge die Stalltür, quetschte sich durch den Spalt, um zum Haus zurückzueilen. Sie konnte nur mit Mühe die Tränen unterdrücken und brachte kaum einen Ton heraus, als sie mit stockender Stimme diesem kleinen Hundebaby, das ihr das Herz gestohlen hatte, Auf Wiedersehen sagte.
»Hat er sie genommen?«, fragte Leanne ihren Vater beim Abendessen und wusste bereits, was er sagen würde.
»Wen genommen?« Das war Saul, der nervigste ihrer vier Brüder.
»Ich hab mit Papa gesprochen«, protestierte Leanne.
»Na und? Darf ich etwa nicht mitreden?« Ihr Bruder griff über Leanne hinweg nach der Schüssel Kartoffelpüree.
Leanne streckte ihm die Zunge heraus und schlug seine Hand weg.
»Kinder, benehmt euch«, mahnte ihre Mutter. Und die beiden gehorchten. Leanne mochte neunundzwanzig und Saul dreiunddreißig sein, aber wenn Iris in diesem Ton mit ihnen sprach, hörten sie noch immer auf sie.
»Also, Papa, hat er nun oder nicht?«, wiederholte Leanne ihre Frage und reichte Saul unaufgefordert die Schüssel.
»Hat wer was?« Ihr Vater war schwer damit beschäftigt, den Lammauflauf auf seinem Teller zu vertilgen. Oh, er war ein guter Esser! Eigentlich waren sie das alle. Körperliche Arbeit, kombiniert mit frischer Luft und dann noch Iris’ ausgezeichneten Kochkünsten, führte dazu, dass nach einer Mahlzeit in der Regel nicht viel vom Essen übrig blieb.
»Hat Rex Nell genommen?«, wiederholte Leanne ihre Frage hartnäckig.
»Sicher hat er das. Das Junge ist so weit, dass man es von seiner Mutter trennen kann. Also wollte ich es nicht lange hinauszögern. So oder so wird Bess glücklich sein, denn sie hat ab jetzt ein Maul weniger zu stopfen.«
»Wer ist Rex?«, fragte Saul mit vollem Mund.
»Ein Bursche, der für den Brecon-Beacons-Nationalpark arbeitet«, antwortete Geoff, ohne sich durch solche Nebensächlichkeiten wie Tischgespräche allzu sehr von seinem heiß geliebten Essen ablenken zu lassen.
»Er ist Schotte, hat vor ein paar Monaten seinen Hund verloren, ist groß und hat kastanienbraunes Haar«, ergänzte Leanne die Details.
»Du stehst auf ihn!« Murray, ein weiterer von Leannes Brüdern, hatte bisher noch gar nichts gesagt, konnte sich nun aber offensichtlich die Chance nicht entgehen lassen, Leanne aufzuziehen.
»Nein!«, warf sie zurück. »Ich bin nur eine aufmerksame Beobachterin.«
»Neugierig, wolltest du sagen?«, korrigierte Saul sie.
»Ist er verheiratet?«, erkundigte sich Iris.