Herzen kann man reparieren - Lilac Mills - E-Book

Herzen kann man reparieren E-Book

Lilac Mills

4,0

Beschreibung

Lottie und Henry haben ein schönes Leben, auch wenn es von Sparsamkeit geprägt ist. Dank Lotties Fähigkeit aus kaputten Gegenständen brauchbare Dinge herzustellen, kommen die beiden mit ihren drei Kindern gut über die Runden. Doch Henry hütet ein Geheimnis: Er hat seinen Job verloren und tut weiterhin so, als würde er zur Arbeit gehen. Verzweifelt sucht er heimlich nach einer neuen Stelle, bevor Lottie etwas mitbekommt. Er möchte in ihren Augen nicht nutzlos erscheinen. Aber wie soll Lottie ihm seine Lüge verzeihen? Und wird es Henry gelingen, ihr das Leben zu schenken, das er sich für seine Familie wünscht? Da hilft nur noch ein Weihnachtswunder …

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Lottie und Henry haben ein schönes Leben, auch wenn es von Sparsamkeit geprägt ist. Dank Lotties Fähigkeit aus kaputten Gegenständen brauchbare Dinge herzustellen, kommen die beiden mit ihren drei Kindern gut über die Runden. Doch Henry hütet ein Geheimnis: Er hat seinen Job verloren und tut weiterhin so, als würde er zur Arbeit gehen. Verzweifelt sucht er heimlich nach einer neuen Stelle, bevor Lottie etwas mitbekommt. Er möchte in ihren Augen nicht nutzlos erscheinen. Aber wie soll Lottie ihm seine Lüge verzeihen? Und wird es Henry gelingen, ihr das Leben zu schenken, das er sich für seine Familie wünscht? Da hilft nur noch ein Weihnachtswunder …

Über Lilac Mills

Lilac Mills lebt mit ihrem sehr geduldigen Ehemann und ihrem unglaublich süßen Hund auf einem walisischen Berg, wo sie Gemüse anbaut (wenn die Schnecken sie nicht erwischen), backt (schlecht) und es liebt, Dinge aus Glitzer und Kleber zu basteln (meistens eine Sauerei). Sie ist eine begeisterte Leserin, seit sie mit fünf Jahren ein Exemplar von Noddy Goes to Toytown in die Hände bekam, und sie hat einmal versucht, alles in ihrer örtlichen Bibliothek zu lesen, angefangen bei A und sich durch das Alphabet gearbeitet. Sie liebt lange, heiße Sommer- und kalte Wintertage, an denen sie sich vor den Kamin kuschelt. Aber egal wie das Wetter ist, schreibt sie oder denkt über das Schreiben nach, wobei sie immer an herzerwärmende Romantik und Happy Ends denkt.

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Lilac Mills

Herzen kann man reparieren

Aus dem Englischen von Petra Knese

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

1: Henry

2: Lottie

3: Henry

4: Lottie

5: Henry

6: Lottie

7: Henry

8: Lottie

9: Lottie

10: Henry

11: Lottie

12: Henry

13: Lottie

14: Henry

15: Lottie

16: Lottie

17: Henry

18: Lottie

19: Henry

20: Lottie

21: Henry

22: Lottie

23: Henry

24: Lottie

25: Henry

26: Lottie

27: Lottie

28: Henry

29: Lottie

30: Lottie

31: Henry

32: Lottie

33: Henry

34: Lottie

35: Henry

36: Lottie

Epilog

Lottie

Henry

Danksagung

Impressum

1

Henry

Es tut mir wirklich leid. Glauben Sie mir, das gefällt mir ebenso wenig wie Ihnen, aber wir müssen drei Außendienstmitarbeiter entlassen, und wer zuletzt kommt, geht zuerst, das betrifft bedauerlicherweise auch Sie.« Paula von der Personalabteilung stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und schenkte Henry ein mitfühlendes Lächeln, das etwas verkniffen wirkte. Dann legte sie auch noch den Kopf schief, was wohl ebenfalls Anteilnahme ausdrücken und ihn ermuntern sollte, etwas zu sagen.

Henry Hargreaves ging nicht davon aus, dass ihr die Entlassung in irgendeiner Form leidtat. Für sie und die Firma war er bloß eine Nummer. Hoffentlich machte Paula eines Tages nicht einmal selbst die Erfahrung, wie entbehrlich auch sie für die Firma war.

»Haben Sie noch Fragen? Kann ich Ihnen irgendwie weiter behilflich sein?« Ihre Stimme triefte vor falschem Mitleid.

»Wann ist mein letzter Arbeitstag und wie viel Lohn bekomme ich noch?« Ihm war klar, wie schroff er klang, doch nachdem er sich nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres in dieser Lage befand, war er wie vor den Kopf gestoßen. Mit einer Entlassung hatte er so gar nicht gerechnet, als er heute Morgen in die Zentrale berufen worden war. Natürlich hatte er sich schon gedacht, dass etwas im Gange war, denn er hatte alle Termine für den heutigen Tag verschieben müssen, um in die Hauptzentrale von Baldwin Ltd zu fahren, was ihn hin und zurück gute drei Stunden gekostet hatte. Wenn es nicht wichtig gewesen wäre, hätten sie ihn nicht so kurzfristig zu einem Gespräch gebeten, doch er hatte eher damit gerechnet, dass er ein größeres Gebiet bekäme. Andrew Mordant, der für den Südwesten Wales zuständig war, hatte ihm gesteckt, dass er aufhören würde, und da Henry Kunden in Mittel- und Westwales betreute, hatte er angenommen, dass er dessen Bereich hinzubekäme.

Für ihn hätte das deutlich mehr Fahrerei bedeutet, worauf er jetzt nicht so erpicht gewesen wäre, aber solange er abends wieder bei seiner Familie wäre, hätte er die längeren Arbeitszeiten in Kauf genommen.

»Sie haben eine einmonatige Kündigungsfrist, aber … für eine Abfindung waren Sie leider nicht lange genug bei uns.« Als Paula sich ein weiteres mitfühlendes Lächeln abrang, wären ihm fast die Tränen gekommen. Sie überreichte ihm ein Schreiben. »Das ist die offizielle Kündigung. Tut mir leid.«

Henry nahm es stoisch entgegen. Er las es nicht einmal, wozu auch?

Was sollte er bloß Lottie sagen?

Wie benommen stand er auf, nickte zum Abschied und taumelte nach draußen.

Zweimal in sechs Monaten! Einmal konnte jeder Pech haben, aber zweimal? Hatte er seinen Job nicht gut gemacht? Henry hatte ein eingeführtes Vertriebsgebiet von einem Kollegen übernommen, der in den Ruhestand gegangen war, also hatte er sich den Kundenstamm nicht neu aufbauen müssen. Zugegebenermaßen waren die Umsätze nicht so gut gewesen wie erhofft, aber die Landwirtschaft war auch auf dem Rückzug, vor allem die Viehzucht.

Es war schon Mitte November. In weniger als einem Monat würde er ohne Einkommen dastehen. Wenigstens hatte er noch ein wenig von der Abfindungssumme seines vorherigen Arbeitgebers, für den er fast dreizehn Jahre lang gearbeitet hatte. Und weil er im Anschluss schnell einen neuen Job gefunden hatte, lag das Geld noch auf dem Sparkonto. Aber ewig würde das auch nicht reichen. Und was war jetzt mit dem geplanten Anbau? Und Weihnachten? Grausam, jemanden um diese Jahreszeit zu entlassen.

Henry musste nach Hause und sich sofort nach einem neuen Job umschauen. Von seiner letzten Suche wusste er, dass es durchaus Stellen gab, vielleicht wäre es klüger, seiner Frau vorerst nichts von der Kündigung zu erzählen. Würde doch viel besser klingen, wenn er sagte: Tut mir leid, Lottie, mir wurde zwar gekündigt, aber ich habe schon einen neuen Job. Nächste Woche geht’s los.« Außerdem wollte er ihr und den Kindern das Weihnachtsfest nicht verderben, sonst würde sie sich bloß sorgen, dass sie sich keine Geschenke leisten konnten.

Er stieg ins Auto, zum Glück war es sein eigenes und kein Firmenwagen, und warf die Aktentasche auf die Rückbank, bevor ihm einfiel, dass er das Schreiben noch in der Hand hielt. Weil Lottie es ja nicht sehen sollte, angelte er nach dem Griff der Aktentasche und zog sie zu sich heran. Nachdem er den Brief hineingestopft hatte, ließ er den Motor an und machte sich langsam auf den Rückweg.

Als die vertraute Umgebung Applewells in Sicht kam, wurde er auf einmal furchtbar nervös. Applewell war ein kleines Dorf im Westen von Wales, drei Kilometer von der Küste entfernt und von sanften Hügeln und Ackerland umgeben. Wenn der Wind günstig stand, und das stand er meistens, konnte man die salzige Meeresluft riechen. Es war wunderschön, doch Applewell bedeutete Zuhause, und das bedeutete wiederum Lottie, die er nun belügen würde, indem er ihr die Wahrheit verschwieg.

Und dann gab es noch einen weiteren Grund, warum er sich heute Abend nicht auf zu Hause freute, und das waren die Kinder. Er liebte sie über alles und würde sie um keinen Preis missen wollen, aber sie waren anstrengend und laut. Henry war erschöpft, müde und niedergeschlagen und nicht in Stimmung, als Klettergerüst missbraucht und angebrüllt zu werden.

In einer halben Stunde gab es Abendessen, und er sah die Szene geradezu bildlich vor sich: Lottie stand in der Küche und kochte, versuchte gleichzeitig, den zweieinhalbjährigen Morgan, ihren Jüngsten, im Auge zu behalten, während die zehnjährige Sabrina und der sechsjährige Robin oben Chaos anrichteten. Die beiden stritten andauernd, was ihm nach einem vollen Arbeitstag manchmal den letzten Nerv raubte.

Anderthalb Kilometer vor dem Ortsschild hielt er in einer kleinen Parkbucht und kurbelte das Seitenfenster herunter. Draußen blies ein kalter Wind, und es wurde allmählich dunkel, am Himmel hingen schwere Wolken. Als er neben sich auf der Weide die Kühe muhen hörte, drehte er sich um. Hinter einem Metallgatter stand eine Herde Waliser Schwarzvieh, robust und mit zottligem Fell, in der einbrechenden Dunkelheit schwer auszumachen. Die Kuh, die ihm am nächsten stand, war mit dem Heu beschäftig, das der Bauer zusätzlich gefüttert hatte, da das Gras noch sehr spärlich wuchs. Es war so still, dass Henry glaubte, die Kuh kauen zu hören.

Ein Rotkehlchen landete auf dem Gatter und machte seinem Unbehagen über den menschlichen Eindringling lauthals Luft, bevor es davonflog, und sich wieder Stille über das Land senkte. Es begann zu regnen. Henry sog die nach Winter und Kühen duftende Luft tief ein, und als er den Kopf zurücklehnte und die Augen schloss, kämpfte er mit den Tränen. Am liebsten würde er hierbleiben, auch wenn es immer kälter wurde. Ein altes Gedicht kam ihm in den Sinn, in dem es darum ging, Zeit zu haben und die Kühe zu betrachten.

Bald würde er alle Zeit der Welt haben, sich Kühe anzusehen. Ihm wurde mulmig zumute.

Kaum hatte er sich an den neuen Job gewöhnt, musste er sich schon wieder nach einem neuen umschauen. Beim Gedanken an Vorstellungsgespräche, in denen er sich anpreisen und Fremde in Anzügen überreden musste, ihn einzustellen, drehte sich ihm der Magen um. Verkaufen war nicht das Problem, schließlich war er Verkäufer und ein guter obendrein, aber es war ein Unterschied, ob man ein Produkt verkaufen oder andere von seinen Vorzügen überzeugen musste.

Und darin war Henry nicht ganz so gut. Ganz gleich, in welcher Branche man aktiv war, als Verkäufer konnte man eigentlich nie auf ein sicheres Einkommen bauen. Er sagte jetzt Verkäufer, aber es konnte genauso gut eine Verkäuferin sein, und oft waren Frauen genauso gut, wenn nicht sogar besser. Doch jetzt begab er sich auf Nebengleise. In seiner Branche war es üblich, neben dem Grundgehalt eine Provision zu bekommen, deshalb spiegelte sich der Erfolg im Verdienst wider. Henry kannte sich auf dem Markt gut aus, aber es gab nicht besonders viele Firmen, die auf Tierfutter spezialisiert waren. Bis sich da eine geeignete Stelle auftat, konnte er lange warten. Allerdings war er auch nicht gerade erpicht, sich in ein komplett neues Produkt einzuarbeiten. Fotokopierpapier oder Sanitätsartikel zu verkaufen, konnte er sich zum Beispiel gar nicht vorstellen.

Wie lange er schon in der Parkbucht gestanden hatte, wusste er nicht, aber es wurde langsam dunkel, und der Regen war in Schnee übergegangen. Auch wenn es nicht so aussah, als würde der Schnee liegen bleiben, schlug das Wetter hier schnell um, und er hatte keine Lust, noch irgendwo festzusitzen.

Intuitiv sah er aufs Handy. Drei Nachrichten von Lottie, alle nach dem Motto Wann kommst du? und Soll ich dir das Essen warmhalten?

Henry hatte ein schlechtes Gewissen und warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war schon nach sechs, aber in zehn Minuten wäre er zu Hause, deshalb machte er sich nicht die Mühe, Lottie zu antworten.

Als er durch den Ort fuhr, hatten die meisten Geschäfte schon geschlossen, obwohl in den Schaufenstern Festtagsbeleuchtung brannte, sicher hatte Sids Zeitungsladen noch eine Weile geöffnet. Und der Pub schloss natürlich auch erst viel später. Kurz überlegte er, ob er auf ein Pint einkehren sollte, aber dann dachte er ans Geld und ließ es bleiben. Einmal, um Geld zu sparen, aber auch, weil Lottie sicher misstrauisch werden würde, wenn er mit einer Alkoholfahne nach Hause käme. Manchmal ging er Freitagsabend ein Bier trinken oder auch mal am Samstag, wenn ein Rugby-Spiel übertragen wurde, aber unter der Woche nie, außer im Urlaub. Da wollte er bei Lottie lieber keinen Verdacht aufkommen lassen, sonst musste er sich nachher noch unangenehmen Fragen stellen.

Ihr Haus befand sich am Ortsrand von Applewell, zu Fuß waren die Geschäfte gut erreichbar, aber sie wohnten dennoch weit genug vom Zentrum entfernt, so dass man im Hochsommer keine Parkprobleme bekam. Auch wenn Applewell nicht direkt am Wasser lag, kamen viele Touristen her, um sich mit Vorräten einzudecken, im Pub zu essen oder einen Happen in Eleris Café zu sich zu nehmen.

Henrys und Lotties Haus stand auf einem kleinen Hügel mit Blick nach Westen. Das Meer konnte man von hier aus leider nicht sehen, dafür war es zu weit weg, aber nur einen Katzensprung entfernt befand sich ein kleines Tal mit einem Bächlein, durch das man zu einer abgelegenen Bucht gelangte. Bislang war die Bucht von den Touristen unentdeckt geblieben, so dass die Dorfbewohner ihren eigenen Privatstrand hatten.

Eines der vielen Dinge, die ihm an Applewell gefielen. Aber vor allem gefiel ihm, dass die Leute füreinander da waren. Es sprach einiges fürs Dorfleben, und wenn man ein wenig Action wollte, konnte man nach Aberystwyth fahren, das nur eine halbe Autostunde entfernt lag. Großstadt konnte man Aberystwyth nicht gerade nennen, aber es war die nächstgrößere Stadt, und man bekam dort das meiste. Mit sehr viel Glück könnte er da sogar einen Job finden, aber darauf wollte er jetzt nicht wetten.

Henry lenkte den Wagen den Hügel hoch, was bei der vereisten Fahrbahn ein wenig heikel war, und parkte vor dem Haus. Bei dem Anblick verließ ihn wieder ein klein wenig der Mut. Er hing an dem Haus, aber die Hypothekenraten waren heftig. Es war weiß verputzt, hatte vier Schlafzimmer – eines davon winzig –, und durch die Fenster zog es wie Hechtsuppe. Lottie und er hatten es kurz vor ihrer Hochzeit gekauft und lebten seither hier. Anfangs war es für zwei zu groß gewesen, doch nach der Ankunft des ersten, dann des zweiten und zu ihrer riesigen Überraschung eines dritten Kindes, wurde es zunehmend beengt. Ihr Plan war es, die Küche zum Garten hin zu erweitern, um eine große, offene Wohnküche zu schaffen, was nicht billig werden würde, aber immer noch billiger, als umzuziehen. Und Morgan könnte irgendwann auch mal ein größeres Zimmer vertragen, deshalb wollten sie auch noch den ersten Stock ausbauen und in dem Zuge für sich ein größeres Schlafzimmer mit einem eigenen Bad schaffen. Der Gedanke, nicht mehr mit den anderen im Familienbad um die Dusche konkurrieren zu müssen, hob für gewöhnlich Henrys Stimmung. Heute Abend allerdings nicht, denn er dachte bloß daran, wie sie das alles bezahlen sollten.

Erneut überlegte er, ob er Lottie von seiner Entlassung erzählen sollte, verwarf den Gedanken aber wieder. Er atmete einmal tief durch. Bald würde er einen neuen Job finden.

Henry schälte sich aus dem Wagen und nahm auch die Aktentasche mit. Sie war alt und ramponiert, doch seine Kunden legten keinen gesteigerten Wert auf glänzend schöne Dinge, es sei denn, es handelte sich um Trecker oder Gerätschaften, die sich an einen Trecker anhängen ließen. Und so hatte sich Henry auch optisch seiner Klientel angepasst, indem er sich wie ein Landwirt kleidete: gewachste Baumwolljacke, alte Jeans und Gummistiefel, die er immer im Kofferraum parat hatte, falls er auf den Höfen durch Schlamm und Dung laufen musste. Beim Fahren trug er ein altes Paar Turnschuhe und wechselte vor Ort in die Gummistiefel. Auf der Hutablage hatte er sogar eine Schiebermütze für kalte und regnerische Tage und eine Pudelmütze für Wintertage wie heute. Außerdem fuhr er einen alten Geländewagen, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Er war rostig und dreckig, und genauso gefiel es Henry.

»Daddy, Daddy, Daddy!«, quiekte Morgan, sein Jüngster, kaum dass er in die Küche kam. Der Kleine kletterte wieselflink vom Stuhl, schoss durch die Küche und schlang die Arme um sein Bein, dabei hüpfte er auf und ab und hätte ihm beinahe den Kopf in die Lenden gerammt.

Henry verzog das Gesicht und versuchte Morgan festzuhalten, bevor seine Männlichkeit noch ernsthaft Schaden nahm.

Robin, sein Sechsjähriger, winkte ihm mit dem Löffel zu, dabei landete ein Klecks roter Soße an der Wand. Sabrina, mit zehn die Älteste, verdrehte bloß die Augen. Bildete sich Henry das bloß ein oder waren die Kinder heutzutage früher reif? Er hätte nicht gedacht, dass die Pubertät schon mit zehn einsetzte, aber bei seiner Tochter offenbar schon. Im Moment war es bei ihr noch eine interessante Mischung aus Kind und Teenager, in einem Moment genoss sie es, mit ihm Pferdchen zu spielen und auf seinem Rücken zu reiten, im nächsten verdrehte sie gekonnt provokant die Augen.

Mit Morgan, der immer noch wie eine Klette an seinem Bein hing, humpelte Henry durch die Küche und gab Lottie einen Kuss auf die Wange. »Es hat angefangen zu schneien«, sagte er, »aber ich glaube nicht, dass es liegen bleibt.« Hoffentlich nicht, denn ansonsten könnte er seine Kundentermine morgen nicht wahrnehmen.

Alle drei Kinder hatten schon gegessen, saßen um den kleinen Küchentisch, während Lottie die Kochtöpfe abwusch. Offenbar hatte es Spagetti Bolognese gegeben.

Henry hatte ein schlechtes Gewissen, denn wenn er rechtzeitig zu Hause gewesen wäre oder wenigstens Lotties Nachrichten beantwortet hätte, hätten sie gemeinsam essen können.

»Hast du schon gegessen?«, fragte er. Lottie schüttelte den Kopf, dabei löste sich eine Strähne aus ihrem Haarknoten, und der Stift, mit dem sie sich das Haar nur lose festgesteckt hatte, wackelte.

Lottie wirkte abgehetzt, ihre Wangen waren von der Hitze am Herd gerötet, und sie hatte einen Farbspritzer im Gesicht. Was sie heute wohl gemacht hatte? Hoffentlich hatten sie einen besseren Tag gehabt als er.

»Ich habe mit dem Essen gewartet, damit wir zusammen essen können«, sagte sie, doch beide wussten, dass sie während der Mahlzeit ständig aufspringen und nach den Kindern sehen musste. Sabrina wäre nicht das Problem, die verzog sich sicher gleich hoch auf ihr Zimmer, und Robin würde sich wahrscheinlich im Wohnzimmer beschäftigen, ohne seine Mutter ständig zu brauchen, aber Morgan bedurfte ihrer andauernden Aufmerksamkeit, bis er schlafen ging. Selbst nachdem er schon im Bett unter der Decke lag, rief er immer noch, er sei durstig, müsse aufs Klo oder jemand solle sein Nachtlicht aus- oder anknipsen. Die Liste mit Dingen, die seine Mutter für ihn tun sollte, war unendlich.

Henry befreite sich aus Morgans Umklammerung und setzte ihn zurück auf seinen Stuhl. »Iss mal deine Spagetti auf«, sagte er. Morgan nahm gehorsam den Löffel in die Hand, machte aber keine Anstalten, ihn ins Essen zu tauchen.

»Füttere mich, Daddy!«, rief er, doch Henry schob ihm den Teller bloß dichter heran.

»Du bist schon ein großer Junge, da kannst du schon alleine essen.«

»Aber du sollst. Ich bin nicht groß.« Morgen schob schmollend die Unterlippe vor.

»Du musst schon selbst essen. Mummy ist beschäftigt, und Daddy geht jetzt duschen.«

»Liest du mir noch was vor?«

Henry packte die Gelegenheit beim Schopf. »Nur wenn du jetzt selbstständig den Teller leer isst.«

»Ich will Die Raupe Nimmersatt.«

»Ich wette, die Raupe Nimmersatt hätte ihre Spagetti schon längst aufgegessen«, meinte Henry. »Iss auf, dann macht dir Mummy vielleicht den Fernseher an. Und du darfst einen Zeichentrickfilm sehen, während wir essen.«

»Ja, fernsehen!«

Als Henry nach dem Duschen wieder in die Küche kam, stellte er fest, dass die Aussicht auf einen Zeichentrickfilm und das Versprechen, ihm zum Einschlafen vorzulesen, Morgan umgestimmt hatten, und er in der Tat schon ein großer Junge war, der nicht mehr gefüttert werden musste.

Henry duschte sich vor dem Essen immer den Dreck von der Arbeit ab, und obwohl er heute ja nicht einmal in die Nähe eines Bauernhofs gekommen war, wollte er nicht riskieren, dass Lottie Fragen stellte. Wenn es darum ging, seine Frau hinters Licht zu führen, war er nie besonders geschickt gewesen, da brauchte er bloß an die Überraschungsparty zu ihrem dreißigsten Geburtstag zu denken, die überhaupt keine Überraschung gewesen war, deshalb musste er aufpassen, sich so normal wie möglich zu verhalten. Verdammt, das war ja schlimmer als beim Geheimdienst. Dabei war heute erst der erste Tag der Sondermission.

Nachdem Sabrina aufgegessen hatte, sprang sie auf. »Ich muss noch Hausaufgaben machen. Rechtschreibung.« Sie sah nicht gerade begeistert aus, was Henry ihr nicht verdenken konnte. Rechtschreibung war auch nicht seine Stärke. »Und Distribution«, fügte sie hinzu.

Henry warf Lottie einen fragenden Blick zu und formte mit den Lippen »Was ist Distribution?«

Lottie seufzte. »Mathe. Hallo, junges Fräulein, du kennst die Regeln. Stell deinen Teller in die Spülmaschine, bevor du nach oben gehst.«

»Mu–u–um.« Wieder verdrehte Sabrina die Augen. »Ich hab noch Hausaufgaben.«

»Ja, das haben wir schon beim ersten Mal verstanden, aber das mit dem Teller dauert bloß ein paar Sekunden.«

»Muss ich denn hier alles machen?«, murrte Sabrina.

Kurz darauf beendete auch Robin sein Essen und trug seinen Teller unaufgefordert zur Spüle. »Wenn Morgan Fernsehen gucken darf, darf ich dann auch?«

Henry hörte sehr wohl den unterschwelligen Vorwurf heraus: Wenn er nach dem Abendbrot noch fernsehen darf, wäre es ja super unfair, wenn ich es nicht dürfte. Die Kinder hatten einen siebten Sinn für jegliche Form der Ungleichbehandlung und sei sie noch so unbeabsichtigt.

»Aber bloß, wenn du Morgan gucken lässt, was er will«, meinte Lottie. »Hast du denn keine Hausaufgaben?«

Robin schüttelte so energisch den Kopf, dass Henry das Gefühl hatte, er flunkerte.

Er setzte sich auf Robins Platz, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und ließ den Kopf in die Hände sinken.

»Ich bin fertig, Mummy«, verkündete Morgan, obwohl sein Teller noch halb voll war.

»Gut gemacht.« Lottie hob ihn vom Stuhl und schickte ihn mit einem kleinen Klaps ins Wohnzimmer.

»Ich hatte aber gesagt, er soll aufessen.« Henry hob den Kopf und sah seine Frau vorwurfsvoll an.

»Weiß ich, aber er hat genug gegessen. Er hat einfach keinen großen Appetit, und ich lade ihm immer eine viel zu große Portion auf den Teller, damit er mehr isst. Hast du Hunger?«

Henry hatte überhaupt keinen Hunger, aber da würde Lottie sich wundern, deshalb nickte er, woraufhin Lottie die Pasta mit der Soße aufwärmte und ein ziemlich vertrocknetes Knoblauchbrot aus dem Ofen zog.

Nachdem sie die Teller auf den Tisch gestellt hatte, nahm sie gegenüber von Henry Platz und schnappte sich die Gabel. »Willst du einen Schluck Wein dazu trinken?«

»Trinkst du denn auch welchen?« Eigentlich trank Lottie unter der Woche nie Alkohol.

»Heute kann ich ein Gläschen vertragen«, meinte Lottie.

»Was war denn los?«

Bevor sie antworten konnte, gab es einen lauten Knall oben. Lottie hatte die Gabel halb zum Mund geführt und hielt inne. Es folgte eine unheimliche Stille.

Lottie holte tief Luft und atmete langsam aus. »Ich geh mal lieber nachsehen.«

Nachdem sie aufgesprungen und aus der Küche geeilt war, nutzte Henry die Gelegenheit und kippte die Hälfte seines Tellers in den Müll, den Rest würde er wohl runterbringen.

Lottie kam mit Sabrina und Robin im Gefolge zurück.

»Er hat’s mit Absicht getan, Dad.« Sabrina wirkte zufrieden mit sich.

»Stimmt nicht!« Robin war rot im Gesicht und den Tränen nahe.

»Was ist denn passiert?« Henry war sich nicht sicher, ob er es wirklich wissen wollte.

»Robin hat sein Bett kaputt gemacht«, meinte Lottie. »Offenbar ist er darin herumgesprungen.«

»Bin ich nicht.« Robin setzte eine mürrische Miene auf, blähte die Backen und schob die Unterlippe vor. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust.

»Betten brechen nicht von allein zusammen. Irgendjemand muss was gemacht haben.« Lottie setzte sich, nahm die Gabel in die Hand und verzog das Gesicht, nachdem sie sich einen Bissen halb kalter Pasta in den Mund geschoben hatte. Sie kaute, schluckte und schob den Teller beiseite. Henry hätte gerne das Gleiche getan, er hatte zwar kaum etwas davon gegessen, aber es schmeckte wie Stroh.

»Weil Robin ein neues Bett will«, sagte Sabrina.

Statt es abzustreiten, blieb Robin seltsam stumm, offenbar hatte Sabrina den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Kannst du es reparieren?«, fragte er Lottie, in der Hoffnung, dass sie ja sagen würde. Er wollte nicht für ein neues blechen.

»Da sind ein paar Latten gebrochen, aber im Schuppen habe ich noch Holz, das kriege ich schon wieder hin«, antwortete sie.

Henry grinste in sich hinein, als sich Robins Gesicht weiter verdunkelte. »Hast du’s mit Absicht kaputt gemacht?«

Robin schüttelte den Kopf, vermied es aber, ihn anzusehen.

»Betten wachsen nicht auf Bäumen«, sagte Henry, dem klar war, dass Robin schwindelte. »Sie kosten Geld, und wenn Mummy es nicht reparieren kann, hast du eben keines.«

»Ich krieg’s schon wieder hin.« Lottie seufzte. »Hoffentlich hört der Weihnachtsmann nichts davon.«

Robin funkelte seine Mutter böse an, machte auf dem Absatz kehrt und stampfte aus der Küche. Sabrina rannte hinterher.

Henry hörte, wie sie ihren Bruder verspottete, während sie die Treppe raufrannten.

»Habe ich da was verpasst?«, fragte Henry.

»Deshalb brauche ich jetzt erst einmal ein Glas Wein«, sagte Lottie und nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank. Sie stellte zwei Gläser auf den Tisch und schenkte ein. »Callum, ein Schulfreund von Robin, hat ein neues Bett bekommen, das aussieht wie ein Feuerwehrauto.«

»Und jetzt will Robin auch so eines?« Henry versuchte, den Wein nicht zu hastig herunterzustürzen.

»Anscheinend, und wahrscheinlich könnte er wirklich ein neues brauchen, aber wenn ich das alte repariert bekomme, können wir uns das Geld sparen.«

Henry stimmte ihr zu, nicht, weil er ein Anhänger ihres Credos war, nur etwas zu kaufen, wenn es absolut nötig war, sondern weil er kein Geld ausgeben wollte. Wie viel kostete ein neues Bett? Und dann auch noch eines in Form eines Feuerwehrautos?

Selbst wenn Geld keine Rolle spielte und er Lottie vorschlagen würde, Robins Zimmer neu einzurichten, wäre Lottie dagegen, einfach weil sie es nicht für nötig hielt. Seine Frau war schon immer sparsam gewesen und hatte immer alles repariert oder umfunktioniert, statt es wegzuschmeißen. Doch Henry schämte sich so, dass er es nicht einmal zustande brachte, das Zimmer seines kleinen Sohnes in einen magischen Ort zu verwandeln, dass ihm heute schon zum zweiten Mal am Tag zum Weinen war.

Irgendwie müsste Lottie es ihm angesehen haben, denn sie sagte: »Robins Bett ist noch völlig in Ordnung. Mit ein paar Leisten und Schrauben ist es so gut wie neu. Im Moment sparen wir doch für den Anbau, und dann steht Weihnachten vor der Tür, aber mir fällt bestimmt etwas ein, wie ich Robins Zimmer ein wenig verschönern kann. Vielleicht male ich ihm ein Bild an die Wand, und ich habe auch noch irgendwo Sperrholz, das könnte ich in Form sägen. Für ein Feuerwehrauto reicht es vielleicht nicht mehr, aber irgendwas kann ich bestimmt draus machen. Vielleicht ist sein Zimmer ein wenig zu babyhaft.«

Henry biss sich auf die Lippe, als Lottie den Anbau ansprach. Wenn er nicht nahtlos von einem Job zum nächsten wechseln konnte, müsste der Anbau noch warten, dabei freute Lottie sich doch so darauf, etwas mehr Platz zu haben. Es schien ein schlechter Witz, dass ein so großes Haus mit vier Schlafzimmer zu klein war, aber so war es. Die Zimmer an sich waren kuschlig, aber zu fünft fühlte es sich an, als würden sie ständig aufeinander hocken, und alles war so dermaßen hellhörig. Henry witzelte immer, dass wenn eine Spinne im Wohnzimmer einen fahren ließ, man es im ganzen Haus hörte.

Seit Morgans Geburt waren die romantischen Stunden mit Lottie rar geworden. Sein Kinderzimmer lag direkt neben ihrem Schlafzimmer, wahrscheinlich hatten sie einst zusammengehört. Wer auch immer zwei Räume daraus gemacht hatte, hätte sich Gedanken über Schallisolierung machen sollen. Dazu kam noch, dass Morgan einen leichten Schlaf hatte und beim kleinsten Geräusch aufwachte und nach seiner Mutter rief.

Henry konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er und Lottie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten. Sie brauchten wirklich ganz dringend Raum und Zeit für sich als Paar. Da kam das neue Schlafzimmer im Anbau ins Spiel, wenn er denn je gebaut werden würde!

2

Lottie

Pins to Elephants gehörte zu Lotties Lieblingsorten. In dem Laden gab es eine Mixtur aus Haushaltsgegenständen, von Staubsaugerbeuteln bis zu Salz- und Pfefferstreuern zu kaufen, Dinge für den Garten, Elektroartikel und – Lotties Schwachpunkt – Heimwerkerartikeln. Wenn andere Frauen sehnsüchtige Blicke auf Schuhe und Handtaschen warfen, brannte Lottie für Heißklebepistolen und Keramikkacheln.

Natürlich war ihr klar, dass es für eine Frau in den Dreißigern eher ungewöhnlich war, aber das störte sie nicht. Mit einer fetten Hypothek, drei Kindern und einem Mann, dessen Gehalt so unbeständig war wie das walisische Wetter, blieb ihr im Grunde nichts anderes übrig. Sie war es gewohnt, mit wenig über die Runden zu kommen, und wenn sie dafür zum Reparaturprofi werden musste, dann war es eben so.

Heute war sie auf der Jagd nach Winkeln in L-Form, um Robins Bett zu reparieren. Lottie zweifelte keine Sekunde, dass ihr mittleres Kind auf dem Bett herumgesprungen war, in der Hoffnung, es würde kaputtgehen, und sie müsste ihm ein neues kaufen. Ein Teil des Wunsches war in Erfüllung gegangen, der andere nicht.

Nachdem sie vor zehn Jahren fast ihre Seele verkauft hatten, um sich das Haus in Applewell leisten zu können, waren Henry und sie immer knapp bei Kasse gewesen. Da hatte sich Lottie schnell ein paar Fähigkeiten angeeignet, dazu gehörte auch das Reparieren von Möbeln.

In den ersten Jahren hatte Henry sie noch auf Flohmärkte begleitet, und es hatte ihnen Spaß gebracht, gemeinsam auf Schnäppchenjagd zu gehen, besonders nachdem sie mit Sabrina schwanger gewesen war und die Kosten für ein und später für ein zweites Kind keinen Gedanken mehr daran zugelassen hatten, sich ihr Heim mit teuren, exklusiven Möbeln einzurichten. Doch Henrys Interesse an Dingen, die andere nicht mehr wollten, war abgeebbt.

Manchmal gewann sie den Eindruck, Henry nahm es ihr übel, dass sie alles reparieren konnte. Auch wenn sie dadurch eine Menge Geld sparten, kam es ihr vor, als würde ihm die Tatsache an sich gegen den Strich gegen.

Lottie reichte Tony einen Zehn-Pfund-Schein über den Tresen, steckte die Winkel ein und wechselte noch ein paar Worte mit ihm. Vielleicht war sie Tonys Lieblingskundin, sie verbrachte mehr Zeit in Pins to Elephants als in jedem anderen Laden, außer vielleicht im Charity-Shop. Da fiel ihr ein, dass Sabrina bald neue Schuhe für die Schule brauchte.

Die kaufte sie allerdings immer neu. Sobald eines der Kinder Ersatz brauchte, wurden die Füße gewissenhaft gemessen und passendes Schuhwerk gekauft, aber im Charity-Shop würde sie trotzdem noch mal reinschauen. Das tat sie häufig, immer auf gut Glück. Um diese Jahreszeit war sie auf der Suche nach Spielzeug oder anderen Weihnachtsgeschenken, wobei es immer schwieriger wurde, etwas für Sabrina zu finden. Für Robin und Morgan war es leichter. Letztes Jahr hatte sie ein Fahrrad für Robin gekauft, das noch so gut wie neu gewesen war, und vor ein paar Jahren hatte sie ein gebrauchtes Puppenhaus für Sabrina gefunden, das sie dann immer abends, wenn die Kinder schon im Bett gewesen waren, im Schuppen hergerichtet hatte. Nach wie vor hatte es einen Ehrenplatz auf Sabrinas Kommode, doch gespielt hatte sie wohl damit schon lange nicht mehr.

»Guten Morgen«, trällerte Catrin fröhlich. Sie leitete den Laden in Applewell, der zu UnderCover gehörte, einer Wohlfahrtsorganisation für Obdachlose, die Läden in ganz Wales betrieben. Catrin führte den Laden mit ein paar Ehrenamtlichen und unerschöpflich guter Laune. Lottie hatte Catrin noch nie missmutig erlebt. »Wir haben gerade einen alten Plattenspieler reinbekommen. Wäre das was für dich?«

»Klingt toll, aber danke«, entgegnete Lottie und warf einen Blick auf das Gerät, neben dem auch Schallplatten standen. Sie nahm eine in die Hand. Vinyl war ja angeblich wieder im Kommen, aber auch wenn sie ein Faible für Vintage hatte, ihre Kinder wären nicht erbaut. Die Ausgabe wäre nicht zu rechtfertigen.

»Wie geht’s euch so?« Catrin faltete eine walisische Wolldecke und legte sie auf einen Stapel mit anderen.

Lottie betrachtete sie sehnsüchtig, sie liebte diese traditionellen Wolldecken und hatte selbst ein paar, in die sie sich abends gerne einhüllte, wenn es noch nicht kalt genug war, um den Holzofen anzufeuern.

»Robin hat gestern sein Bett zerlegt, da habe ich ein paar Winkel gekauft«, sagte sie. »Ich weiß genau, dass er es mit Absicht getan hat, denn davor hatte er mir von einem Freund erzählt, der ein neues Bett in Form eines Feuerwehrautos bekommen hat.«

Lottie war sich sehr wohl bewusst, dass Robins Bett nichts Besonderes war, aber zumindest hatte er eines. Denk doch bloß mal an all die armen Kinder auf der Welt, die kein Bett haben, hätte sie am liebsten zu ihm gesagt, hatte sich aber zurückgehalten, denn er würde es gar nicht begreifen. Mit sechs Jahren interessierte ihn mehr, was seine Freunde hatten, als das, was irgendwelche Kinder, die er gar nicht kannte, nicht hatten.

»Als ich klein war, wollte ich immer unbedingt ein Himmelbett haben«, sagte Catrin. »Hab’s nie bekommen, und es hat mir auch nicht geschadet, also hör auf, dich deswegen fertigzumachen.«

»Ist das so offensichtlich?«

»Ja. Nicht jeder Wunsch muss immer erfüllt werden.«

»Stimmt. Wobei ich ehrlicherweise sagen muss, dass meine Kinder sehr oft nicht das bekommen, was sie gerne hätten.«

»Sind sie gesund und glücklich?«, fragte Catrin.

»Ich glaub schon.«

»Dann machst du alles richtig. Hast du Lust auf einen Tee? Ich habe auch noch ein paar Kekse …« Catrin wackelte mit den Brauen und Lottie kicherte.

»Dann mal los, aber lange kann ich nicht bleiben. Ich muss noch ein paar Bretter zersägen.«

»Und ich habe noch drei schwarze Säcke mit Spenden durchzusehen. Wir führen schon sehr abenteuerliche Leben!«

Nach einem herrlichen Tee und Keksen mit Vanillecremefüllung machte sich Lottie wieder auf den Heimweg. Im Geist ging sie schon einmal ihren gesamten Schuppen durch.

Ihr Schuppen deshalb, weil Henry schon seit Jahren keinen Fuß mehr hereingesetzt hatte und keinen Schimmer hatte, was wo lag. Lottie wusste es allerdings ganz genau, und in eben diesem Moment dachte sie über die langen Pfosten nach, die sich dort befanden. Weil sie für den Außenbereich gedacht waren, waren sie mit einem kräftigen Lack gestrichen, aber sie könnte die Pfosten ja abschmirgeln und neu streichen oder mit Stoff beziehen … Catrins Geschichte mit dem Himmelbett hatte sie auf die Idee gebracht, dass Sabrina ja vielleicht auch gerne ein peppigeres Bett hätte, natürlich musste sie erst einmal Robins in Ordnung bringen. Für einen kurzen nostalgischen Moment sah sie eine Konstruktion wie im Märchen vor sich, bremste sich aber, denn das wäre Sabrina sicher viel zu babyhaft.

Während sie sich die Idee noch ein wenig durch den Kopf gehen ließ, durchstöberte sie den Schuppen nach etwas, mit dem sie Robins Bett ›verzaubern‹ konnte.

Henry und Lottie hatten immer sehr aufs Geld geachtet, doch seit dem kleinen Schock im letzten Jahr, als Henry ganz plötzlich seinen Job verloren hatte, war sie sich ihrer prekären finanziellen Lage noch stärker bewusst. Zum Glück hatte Henry quasi nahtlos eine neue Anstellung gefunden, so dass sie seine bescheidene Abfindung auf die hohe Kante hatten packen können, bis sie genügend Geld für einen Ausbau zusammen haben würden. Auf das Umbauchaos hatte sie so gar keine Lust, aber sicher war es die Mühe wert, wobei Henry mehr daran zu liegen schien als ihr.

Er hatte sich gestern Abend sehr darüber aufgeregt, dass Robin sein Bett kaputt gemacht hatte, und wahrscheinlich nicht bloß, weil es ersetzt oder repariert werden musste. Ihn wurmte es, dass er nicht das Geld hatte, einfach ein neues zu besorgen, denn wie alle Eltern wollte auch er seinen Kindern schöne Dinge kaufen. Wie auch Lottie. Doch Catrin hatte recht, man musste seinen Kindern nicht jeden Wunsch erfüllen, und Robin brauchte wahrlich kein Feuerwehrauto-Bett.

Aber das Ende war in Sicht. Statt für den Anbau einfach einen Kredit aufzunehmen, waren sie vorsichtig und wollten erst mit dem Umbau beginnen, wenn sie das Geld dafür zusammengespart hatten. Und jetzt war es fast so weit. Henrys Schwager würde das Bauen übernehmen (in seiner Freizeit), also wäre es längst nicht so kostspielig wie normal.

Allerdings graute ihr vor der Zeit, in der das Haus zu einer Baustelle würde, mit all den damit verbundenen Unannehmlichkeiten wie Morgan bei Robin einzuquartieren. Morgan würde seinen Bruder in aller Herrgottsfrühe wecken, was für sie hieß, dass sie sich mit einem unausgeschlafenen, schlecht gelaunten Sechsjährigen würde rumschlagen müssen, und das monatelang.

Für Henry war das kein Problem, er bekam das allmorgendliche Chaos im Heargreave-Haus ja nie mit. Drei Kinder morgens rechtzeitig in die Schule und in den Kindergarten zu bringen war anstrengend. Und wenn sie nachmittags nach Hause kamen, war es nicht weniger anstrengend. Sicherzustellen, dass die beiden Älteren ihre Hausaufgaben machten, war schon eine Herausforderung an sich. Daneben gab es nach der Schule auch noch Freizeitaktivitäten, zu denen sie immer zu Fuß gehen mussten, weil sie sich einen zweiten Wagen nicht leisten konnten; oft hatte sie dann wieder zwei Kinder im Schlepptau, um das dritte abzuholen.

Im Grunde könnte Sabrina ihren Schulweg zu der hübschen kleinen Grundschule im Herzen Applewells längst allein bewerkstelligen, aber Lottie erlaubte es nicht. Noch nicht, sie war noch nicht bereit. Also Lottie, Sabrina war mehr als bereit, und das ließ sie ihre Mutter auch in aller Deutlichkeit wissen.

Zu Hause beseitigte Lottie erst einmal die Unordnung von dem überstürzten Aufbruch heute Morgen. Fast wären sie wieder zu spät gekommen, ein ständiger Stress seit Morgan verkündet hatte, ein großer Junge zu sein, der nicht mehr im Wagen geschoben werden, sondern selbst laufen wollte. Laufen konnte man es eigentlich nicht nennen, es war eher ein Trödeln, aber natürlich war er ja noch klein und hatte kurze Beine. Mehr als einmal hatte Lottie die Großen vorschicken müssen, damit sie nicht zu spät zur Schule kamen. Dabei war ihr jedes Mal das Herz in die Hose gerutscht, wenn die zwei lospreschten, während sie mit Morgan so gut es ging hinterhereilte.

Morgan war vor kurzem in den Kindergarten gekommen, wo er drei Tage die Woche vormittags für ein paar Stunden spielte. Heute war so ein Tag. Lottie genoss es, mal ohne Kleinkind an der Hand durchs Dorf zu bummeln und das Haus für sich zu haben, wenn auch nicht für lange.

Nachdem sie das Spielzeug und die herumliegenden Klamotten weggeräumt, den Frühstückstisch abgeräumt und noch einmal das Wohnzimmer kurz durchgesaugt hatte, war Lottie so weit, sich Robins Bett in Ruhe vorzunehmen. Gestern Abend hatte sie die Matratze einfach auf den Fußboden gezerrt, und Robin war mit einer Mischung aus Groll und Aufregung unter die Decke geschlüpft. Lottie malte sich aus, wie er vor den Freunden in der Schule angab, dass er das Bett kaputt gemacht hatte und nun auf dem Fußboden schlafen musste. Umgekehrt konnte sie sich auch vorstellen, dass er seiner leidgeprüften Lehrerin Mrs Campbell davon vorjammerte, so dass Lottie schon fürchtete, das Jugendamt könnte jeden Moment vor der Tür stehen.

In Windeseile hatte Lottie die Bretter vermessen und zugesägt. Nachdem sie sie im Rahmen platziert hatte, fixierte sie sie mithilfe der Winkel, dann gab sie noch einmal ordentlich Gewicht auf die Bretter, um sicherzugehen, dass sie auch halten würden, verfrachtete die Matratze zurück aufs Bett und bezog es neu.

Anschließend klopfte sie sich den Staub ab, sortierte das Werkzeug wieder ein und machte sich auf zum Kindergarten, um ihren Jüngsten abzuholen.

»Die Zeit vergeht immer im Nullkommanichts«, sagte ihr Freundin Delia, als Lottie am Schultor eintraf, wo schon eine Gruppe von Eltern wartend von einem Fuß auf den anderen trat und sich über die Kälte beschwerte. Zum Glück war die kleine Schneeschicht über Nacht weggetaut, sehr zum Missfallen der Kinder. »Die kürzesten Stunden der Woche!«

»Ich weiß genau, was du meinst«, antwortete Lottie lachend. »Wenigstens wird Morgan todmüde sein, da habe ich nach dem Mittag noch ein wenig Ruhe.«