Blut und Salbei - Anke Brandt - E-Book

Blut und Salbei E-Book

Anke Brandt

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Beschreibung

Eine Frau sieht rot. Blutsauger werden zum Leben erweckt. Ein Buckliger übt blutige Rache. Eine Hexe treibt ein schändliches Spiel. Eine literarische Figur wird zum Leben erweckt. Eine Zukunftsvision, wie sie schlimmer kaum sein kann, und eine Reise in die Vergangenheit mit tödlichen Folgen. Sieben Geschichten, die mal mehr und mal weniger an der Realität vorbeigehen und doch meist ein Fünkchen Wahrheit enthalten. Mal düster, mal witzig, mal nachdenklich. Lassen Sie sich auf das Wagnis ein, die Grenzen der Realität zu überschreiten, und erleben Sie spannende Abenteuer.

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Seitenzahl: 148

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Anke Brandt

Blut und Salbei

Kurzgeschichten

Saphir im Stahl

e-book 140

Anke Brandt - Blut und Salbei

Erscheinungstermin: 01.02.2023

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Steves Al Creations

Lektorat: Korrektorat und Lektorat Gießen

Vertrieb: neobooks

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich freue mich sehr, dass die vorliegende Kurzgeschichtensammlung Ihr Interesse geweckt hat. Alle Geschichten sind in der einen oder anderen Weise zwar schon einmal erschienen, aber zusammen zwischen zwei Buchdeckeln feiern sie nun Premiere.

In all meinen Geschichten sind Erfahrungen, Emotionen und Begebenheiten versteckt, die mich überhaupt erst zum Schreiben dieser Geschichten veranlasst haben. Wenn Sie die Geschichten also lesen, werden Sie immer auch ein kleines Stück von mir kennenlernen.

Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Lesen und verspreche Ihnen, dass es allein aufgrund der verschiedenen Genres sicher nicht langweilig werden wird.

Herzliche Grüße

Anke Brandt

Dezember 2022

Inhaltsverzeichnis

Salbeiduft

Rot und vorbei

Die Hexe von Åland

Kraft des Blutes

Arthur von Schneefels

Ghetto

Unter Sauriern

Blut und Salbei

Der Wagenzug bildete auf dem Platz ein riesiges Karree, wobei eine Seite von mächtigen Dampfmaschinen eingenommen wurde. Carl Hagenbeck bestand darauf, dass Mensch und Tier während der gesamten Reisemit Licht, Wärme und warmem Wasser versorgt wurden. Erst im letzten Winter hatte er etliche Verluste bei einer Schau in Bremen hinnehmen müssen, weil er an Heizkosten gespart hatte. Aber die Exoten konnten ihm nur dienlich sein, wenn sie unter Umständen lebten, unter denen sie in ihrer Heimat aufgewachsen waren. Zum Beispiel brauchten die Rentiere, seine neueste Errungenschaft aus Lappland, wesentlich tiefere Temperaturen als die Kamele und Leguane. Den Lärm der Dampfmaschinen nahm er dabei für sich, seine Angestellten, die Exoten und die Tiere in Kauf.

Momentan zogen die Inuit, welche Hagenbeck zusammen mit den Rentieren erworben hatte, die deutschen Zuschauer wie Magneten an. Früher, als er reine Tierschauen veranstaltet hatte, war sein Einkommen gut genug gewesen, um über die Runden zu kommen. Doch dann hörte er von Völkerschauen und deren unglaublicher Beliebtheit beim Volk, sodass er neben exotischen Tieren auch die Menschen fremder Völker für seine Show verpflichtete.

Eines musste man Hagenbeck lassen: Er behandelte Mensch und Tier immer gut. So gehörten zu seinem Wagenzug stets die mobilen Dampfgeneratoren, die ein Schweizer Ingenieur für ihn gebaut hatte. Und den Betreiber dieser Maschinen lieferte der Schweizer gleich mit: den buckligen Jack.

In Berlin nun hatte Jack wenig zu tun, denn die Temperaturen lagen im Juni weit über 20 Grad Celsius. Lediglich für Licht und warmes Wasser musste der Bucklige sorgen. Abends gehörte er zu den besonderen Attraktionen der Schau.

***

„Komm her, meine Kleine, komm“, lockte der Bucklige das Mädchen. Sie hüpfte auf ihren Händen zu ihm. Bimba liebte Jack, der immer zu einem Scherz aufgelegt war und sich niemals daran störte, dass sie keine Beine hatte. Im Gegenteil, er ermunterte sie sogar, dass sie ein normales Leben führen und sich nicht jeden Abend dem Gelächter der gaffenden Leute aussetzen sollte. Doch Bimba wusste es besser. Mit ihren gerade mal acht Jahren hatte sie eines gelernt: Für sie würde es niemals so etwas wie Normalität geben. Das beste Beispiel dafür war der bucklige Jack, der, solange sie ihn nun kannte, ein Bestandteil der Schau war. Und das war für das kleine Mädchen mit der schokoladenbraunen Haut und dem dunklen Kraushaar genauso unnormal wie ihr eigenes Dasein. Mit dem Unterschied, dass Jack ein alter Mann war. Wie alt, vermochte das Kind nicht zu sagen, doch es hatte vor ein paar Tagen einige graue Haare zwischen den vollen Locken ihres Freundes entdeckt.

„Und? Wirst du heute Abend wieder auf die Bühne gehen und dich auslachen lassen?“, fragte Jack.

„Was soll ich denn tun? So ein Abend geht vorüber. Und hier ist jetzt mein Zuhause.“ Traurig senkte Bimba den Blick. „Und außerdem hat der Meister gesagt, dass die meisten Leute wegen mir in die Schau kommen. Wenn ich nicht wäre …“

„Ach, papperlapapp“, hielt Jack dagegen. „Die Schau gab es schon vor dir und es wird sie auch nach dir geben. Lass dir nicht zu viel einreden. Wenn die Leute das Interesse an dir verlieren, dann stehst du vor dem Nichts.“

Der Bucklige wusste genau, wovon er sprach. Einst war er die Attraktion der Hagenbeck’schen Tierschau gewesen. Doch dann musste Carl Hagenbeck ja unbedingt mit den Exoten beginnen. Die Tiere reichten nicht mehr aus, er sammelte die Menschen aus den Ländern gleich mit ein. Und plötzlich verloren die Zuschauer das Interesse an Jack. Bucklige gab es in jeder Stadt und mit ein bisschen Übung würden sie auch kleine Kunststücke vollführen können. Doch zu Jacks Glück verschwanden während so einer Reise die meisten der Exoten und Missgebildeten. Sie waren einfach weg und tauchten nie wieder auf. Ein Rätsel, welches es zu lösen galt …

Der Bucklige blieb. Er betreute die mobilen Dampfmaschinen der Tierschau. Darin war er wirklich gut. Er konnte sie nicht einfach nur anheizen und bedienen, sondern er hatte auch gelernt, sie instand zu halten und selbst kleinere Reparaturen vorzunehmen. Das sparte Hagenbeck viel Geld und eine Menge Zeit. Er wusste die Dienste des Buckligen sehr zu schätzen.

„Aber Meister Carl hat gesagt …“, setzte Bimba wieder an.

„Mädchen, du darfst nicht alles glauben. Und jetzt komm, zeig mir deinen Kopfstand, ja?“

Bimba grinste ihn breit an und stellte sich auf den Kopf. Das Gesicht des Buckligen verdüsterte sich, denn er sah eine Eleganz und Sicherheit bei dem Kind, die nicht zu übertreffen war. Das hieß, dass nach ihrem Auftritt ganz sicher wieder Buhrufe zu hören waren, wenn er selbst sich dem Publikum stellte. Es war jedes Mal das Gleiche.

***

Otto von Bismarck hatte sich, wie so oft in den letzten Jahren, aus den Amtsgeschäften zurückgezogen, um seine sich mehrenden Krankheiten in den Griff zu bekommen.

Bismarck steckte in einer tiefen Krise. Zum einen war er leidenschaftlicher Politiker und liebte seine Machtposition, zum anderen aber sah er seine Berufung als große Last an. Und dieser versuchte er mit den Freuden des Lebens entgegenzutreten. Diese Freuden bestanden für ihn aus übermäßigem Genuss von Essen und Trinken. Dass er damit seinen Zustand immer mehr verschlimmerte, wollte er nicht wahrhaben. Deshalb suchte er nach Ablenkung. Als er von Hagenbecks Völkerschau in Berlin hörte, war der Fürst nicht zu bremsen.

***

Der bucklige Jack grübelte. Seit vielen Wochen suchte er nach einer Lösung. Der Geruch war nicht unentdeckt geblieben. Bisher war noch kein Verdacht auf ihn gefallen. Aber das konnte sich bald ändern, denn er hatte zufällig mitbekommen, wie sich zwei Tierpfleger bei Hagenbeck darüber beschwerten. Selbst den empfindlichen Nasen einiger Tiere hatte der süßliche Gestank missfallen.

Jack hatte es schon mit einer Verdoppelung der Filter am Abzug des Dampfkessels versucht. Doch das brachte kaum eine Besserung. Die herkömmlichen Filter, die ihm zur Verfügung standen und ebenfalls eine Erfindung des Schweizer Ingenieurs waren, hielten nur Rauchpartikel zurück; Aschereste, die sich darin sammelten, um sich nicht als ewiger Staubfilm über das ganze Lager zu legen. Jack versuchte es mit anderen Filtern, wechselte das Material, was hin und wieder damit endete, dass es der großen Hitze der Dampfmaschine nichts entgegenzusetzen hatte.

Er überlegte, ob er es mit zusätzlichem Brennmaterial probieren sollte, welches beim Verbrennen andere Gerüche freisetzte als Holz und Kohlen. Dazu besuchte er an einem freien Vormittag einen Apotheker.

„Nun, mein Herr, das ist ein schwieriges Problem, welches man kaum zu lösen vermag“, antwortete der gerade.

„Aber es muss doch etwas geben“, widersprach Jack.

„Warum verbrennen Sie die toten Tiere und vergraben sie nicht?“

„Das liegt doch auf der Hand. Wenn wir mit der Schau unterwegs sind, schlagen wir unser Lager inmitten großer Städte auf, da können wir doch nicht …“

Der Apotheker, ein distinguierter, älterer Mann mit Halbglatze und einem Augenzwicker, winkte ab.

„Verstehe. Probieren Sie Salbei. Sie können ihn mitverbrennen oder hinterher.“ Damit stand er auf und ging zu einer der vielen Schubladen, welche die Wände der Apotheke fast vollständig bedeckten. Er zog eine der unteren Laden auf und nahm ein Säckchen heraus.

„Getrocknete Salbeiblätter, leicht brennbar. Nur wenige Blätter genügen, um die Luft zu reinigen. Übrigens auch hervorragend geeignet als Aufguss bei Halsbeschwerden.“

Jack bezahlte die Ware und verschwand.

***

Die Schlange an der Kasse wurde im Lauf des Nachmittags immer länger. Mindestens 80 Menschen warteten geduldig darauf, eine der begehrten Eintrittskarten für die Schau zu erwerben. Bis zum Abend würde sich die Anzahl noch um ein Vielfaches erhöhen.

Auch wenn die Fläche groß war, so konnte doch meist nicht allen Sensationssüchtigen Eintritt gewährt werden, zu groß war die Nachfrage.

Gegen 5 Uhr 30 legte Martin Gerlach dem Kassierer sein Geld hin und wollte nach der Eintrittskarte greifen. Der Mann im Wagen schaute auf. Seine Augen weiteten sich.

„Einen Augenblick bitte“, sagte er freudig erregt und schloss das kleine Fenster. Dann kam er zur Tür herausgestürmt und nahm Martin beiseite.

„Junger Mann, bitte begleiten Sie mich“, sprach er Martin an. „Das … das ist unglaublich“, murmelte er. Martin Gerlach verstand nicht, war aber zu überfordert, um nicht zu gehorchen. Obwohl er den Kassierer um beinahe zwei Köpfe überragte. Die Narben in seinem Gesicht trugen auch nicht gerade dazu bei, ihn harmlos aussehen zu lassen, doch der Kassierer kannte diesen Typ Mensch ganz genau. Was sie an Körpergröße zu viel hatten, fehlte ihnen meist im Kopf. So waren diese übergroßen Menschen allzu oft naiv, wenn nicht gar dümmlich veranlagt. Martins Gesichtsausdruck bestätigte die These sehr offensichtlich.

So brachte er seine Entdeckung zu Carl Hagenbeck, der sich des Neuzugangs sofort annahm.

Der Direktor musterte Gerlach eine Weile, bis dieser unruhig zu werden begann.

„Perfekt!“, ließ Hagenbeck verlauten. Gerlach blickte auf.

„Jemanden wie dich kann ich gut brauchen. Willst du für mich arbeiten?“

Martin glaubte, sich verhört zu haben. Er glotzte sein Gegenüber verständnislos an.

„Wie heißt du?“ Hagenbeck merkte, dass er behutsamer vorgehen musste.

„Martin Gerlach“, stieß der Riese hervor.

„Martin also. Und was machst du so, Martin? Wovon lebst du?

„Ich sammel Müll. Gutes Geschäft, da verdien ich auch was bei.“

„Kannst du davon deine Familie ernähren?“

„Ich hab keine Familie. Bin alleine. Und für mich langt es.“

„Und wo wohnst du?“

Gerlach zögerte kurz. „Na ja, mal hier, mal da. Wo gerade Platz ist. Ich bin da nicht so wählerisch …“

„Möchtest du hier bleiben und für meine Schau arbeiten?“

Die Entscheidung fiel Martin nicht schwer. Er nickte und lächelte.

Martin Gerlach hatte endlich ein Zuhause gefunden, in dem er ein Dach über dem Kopf und geregelte Mahlzeiten bekam. Hagenbeck verwies ihn an den buckligen Jack, damit er den Neuzugang einwies. Als die beiden Hagenbecks Wohnwagen verließen, huschte ein breites Grinsen über das Gesicht des Direktors. Mit Martin hatte er die Überraschung für seine Sonderschau anlässlich des Besuches des Fürsten von Bismarck parat, der für den nächsten Abend angekündigt war.

***

Wie es ihm aufgetragen worden war, führte der Bucklige den Neuankömmling durch das Lager. Er zeigte ihm die Unterkünfte für Mensch und Tier und unterwies ihn in die anfallenden Arbeiten. Am Ende des Rundgangs zeigte Jack dem Riesen ein Zelt, welches er sich mit mehreren anderen Bediensteten und Akteuren teilen musste. Doch das machte Martin nichts aus, im Gegenteil, er freute sich sehr, als er sein eigenes Bett zugewiesen bekam. Bett war vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es handelte sich um Strohsäcke und zwei Decken. Doch diese gehörten Martin des Nachts ganz allein.

„Und? Was kannst du so?“, fragte Jack, nachdem er Martin alles vorgeführt hatte.

„Was … was soll ich schon können?“, erwiderte der Riese.

„Na, irgendetwas, womit du die Leute beeindrucken kannst. Nur auf die Bühne gehen und dämlich dreinschauen wird auf Dauer nicht genügen“, antwortete ihm der Bucklige. „Du musst dir etwas ausdenken, was du ihnen zeigen kannst. Kleine Kunststücke oder so was.“

Martin blickte Jack ratlos an.

„Ach was, mach dir keine Sorgen, Meister Hagenbeck wird schon herausfinden, wozu du fähig bist“, tröstete Jack. Sein Gesicht nahm einen verschlagenen Ausdruck an. „Fürs Erste wird es genügen, wenn dich die Zuschauer begaffen können.“

„Dann … dann muss ich …“, stotterte Martin.

„Natürlich. Oder denkst du, der Meister hat dich aufgenommen, weil er so ein großes Herz hat? Du sollst zahlende Zuschauer anlocken. Aber mach dir nichts draus, von dem Kuchen, der dabei zusammenkommt, gibt Hagenbeck jedem ein paar Krümel ab.“

Jack kicherte, als er wieder in das verdutzte Gesicht des Hünen blickte. Er konnte mit seinen Worten offensichtlich nicht viel anfangen, leckte sich aber die Lippen und brummte: „Hmm.“

„Und nun komm, du kannst mir beim Heizen helfen. Vor der Schau brauchen wir warmes Wasser.“ Damit drehte sich Jack um und ging voran.

***

Die Schau am Abend wurde ein voller Erfolg. Menschen und Tiere wurden vom Publikum bestaunt, die Eskimos spielten eine Szene aus ihrem Leben in Lappland nach, wofür sie eigens aus Pappmaschee ein Iglu gebaut hatten, welches an der Vorderseite offen war. Die Rentiere scheuten noch ein wenig, aber alles lief gut. Als die kleine Bimba auf die Bühne hüpfte, war es bereits dunkel. Jack hatte die Dampfgeneratoren tüchtig eingeheizt, sodass die Strahler die Bühne erhellten und das Mädchen von allen Zuschauern gesehen werden konnte. Wie immer eroberte sie die Herzen der Zuschauer im Sturm. Aber wie immer gab es auch feuchte Augen, besonders bei den weiblichen Besuchern, die ihr Mitleid mit dem Mädchen ohne Beine nicht beherrschen konnten.

Den Abschluss machte wie in jeder Schau der bucklige Jack. Er erheiterte die Zuschauer mit kleinen Zaubertricks und Kunststückchen, die aber allesamt so unspektakulär waren, dass die meisten Besucher sich schon während seiner Aufführung auf den Rückweg vorbereiteten. Die Aufmerksamkeit der Menschen war aufgebraucht.

Am Ende seiner Vorführung war der Bucklige rasend vor Wut. Und um seine Wut in den Griff zu bekommen, konnte er nur eines tun …

***

Ruhe breitete sich über Hagenbecks Wagenlager aus. Nach und nach erloschen die Lichter. Im großen Gemeinschaftszelt sagte man sich Gute Nacht. Der bucklige Jack schlich noch umher und pfiff leise vor sich hin.

Im großen Zelt spitzte jemand die Ohren und verließ im Dunkeln die Schlafstatt. Am Eingang des Zeltes sah die Person Jack und folgte ihm freudig. Als die beiden Jacks Wagen erreichten, der unmittelbar bei den Dampfmaschinen stand, atmete nur noch Jack. Das andere Geschöpfhing schlaff über seiner Schulter. Im Wagen angekommen wetzte der Bucklige das große Messer und begann, den leblosen Körper zu zerlegen. Die Stücke durften nicht viel größer als Holzscheite sein, sonst wären die Rückstände in der Asche zu groß. Jedes Stück wickelte er in dafür vorgesehene Lumpen und stapelte sie sorgfältig in seinen eingebauten Schrank.

Am Morgen, wenn alle noch schliefen, würde Jack die Kessel heizen …

***

Otto von Bismarck erreichte Hagenbecks Tierschau am späten Nachmittag des folgenden Tages. In seinem Gefolge befanden sich zwei Minister und mehrere Diener. Bismarck war zwar privat unterwegs, nutzte solche Fahrten aber für politische Geschäfte. Nirgends ließ es sich ungestörter reden als in einer Droschke.

Vor dem Kassiererhäuschen standen wieder Hunderte Menschen und hofften, eine der begehrten Eintrittskarten für die Schau zu erwerben. Die Berliner hatten Wind davon bekommen, dass der Reichskanzler höchstpersönlich die Schau besuchen wollte und deshalb diese Vorstellung mit einer neuen Attraktion bereichert werden sollte.

Für die Droschke des Fürsten war extra eine Zufahrt geschaffen worden. So konnte Bismarck ungehindert bis vor Carl Hagenbecks Wagen vorfahren. Dieser begrüßte seinen Ehrengast, bewirtete ihn mit dem besten Essen, welches er in Berlin bekommen konnte, und zeigte Bismarck anschließend die Tiere und Exoten der Schau. Nur Martin Gerlach, die Überraschung des Abends, hielt er noch geheim. Der Riese hatte Anweisung erhalten, sich bis zum Einbruch der Dunkelheit zu verstecken und seine Vorführung zu proben. Und obwohl er so auffallend groß war, gelang es ihm tatsächlich, den ganzen Tag über unsichtbar zu bleiben.

***

Die Sonne neigte sich allmählich dem westlichen Horizont entgegen. Der bucklige Jack war in bester Laune und bereitete die Dampfkessel vor. Vor der Schau mussten sie auf vollen Touren laufen.

Bismarck hatte es sich in der Ehrenloge gemütlich gemacht und wartete bei einem bereitgestellten Buffet auf den Beginn der Vorstellung. Bei Speis und Trank wurde ihm nicht langweilig, und er konnte eine Menge davon verzehren. Als Carl Hagenbeck endlich die Bühne betrat, war der Fürst zum Platzen satt.

Die Schau konnte beginnen.

***

Jack schwitzte bei der schweren Arbeit. Die Gliedmaßen abzutrennen, war noch einigermaßen leicht vonstattengegangen, aber bei dem mächtigen Rumpf hatte er Mühe. Die Klinge des Messers war zu kurz, sodass er den Leib immer wieder drehen musste. Die alten Kohlesäcke, auf die er den Körper gelegt hatte, waren unterdessen genauso vollgesogen mit dem Blut des Toten wie Jacks Kleidung. Doch er arbeitete verbissen weiter. Als die Rentiere angekündigt wurden, mobilisierte er noch einmal all seine Kräfte. Stück für Stück zerteilte er den Körper, bis nur noch der Kopf übrig war. Dann öffnete er die Luke des Heizkessels und warf die Stücke nacheinander hinein. Zwischendurch griff er immer wieder in das Säckchen, welches er von dem Apotheker erhalten hatte, und streute Salbeiblätter ins Feuer.

Die Flammen loderten, der Bucklige grinste zufrieden. Als er alle Stücke im Feuer hatte, einschließlich der blutdurchtränkten Kohlesäcke, verschloss er die Luke sorgfältig. Dann begab er sich umgehend an die Waschrinne und säuberte seinen Körper. Frische Kleidung lag bereit. Als er das aufgeregte Rufen der Tierpfleger hörte, saß der bucklige Jack in seinem Wagen und tat, als sei nichts geschehen.

***

„Wo ist Martin? Wo steckt dieser Bastard? Schafft ihn sofort herbei!“, wetterte Carl Hagenbeck. „Und wenn ihr Bimba findet, dann bringt sie gleich mit, nicht dass wir noch eine Pause einlegen müssen, weil das gnädige Fräulein zu spät kommt.“

Hagenbeck wusste, dass es Bimba gegenüber ungerecht war. Sie war noch nie zu spät gekommen, auf sie konnte er sich immer verlassen. Doch er war zornig. In seiner Wut bemerkte er den Geruch nicht, der sich allmählich über dem Platz ausbreitete.