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Ein Mord auf Hawaii. Ein geheimnisvoller Täter. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Immobilienhändler verschwindet spurlos vor Big Island. Tage später finden die Ermittler Major John Akebono und Leutnant Nick Toronga sein Boot – und einen grausigen Anblick: Der Mann wurde mit einem Speer an die Steuersäule gepfählt. Die Spuren führen zu dubiosen Landgeschäften und einer verstörenden Verbindung zur Umweltforschung. Während die Beamten weitere Opfer entdecken, erkennen sie die tödliche Dimension des Plans. Jemand will die Inseln für immer verändern – und geht dabei über Leichen. Kann das Ermittler-Duo den Täter stoppen, bevor es zu spät ist? Der erste Teil einer fesselnden Krimi-Reihe im Tropenparadies. Spannung, die bleibt – auch nach dem letzten Kapitel.
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Seitenzahl: 567
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Danke für alles.
Dieser Roman ist eine Fiktion. Alle handelnden Personen, ihre Gedanken und Dialoge, sind frei erfunden. Parallelen oder Ähnlichkeiten zu realen Personen oder Firmen sind zufällig und nicht gewollt.
Auf der Insel Kauai wird ein Säugling mit einer Anomalie geboren. Die Ärzte können sein Leben nicht retten. Ein Jahr darauf verschwindet ein Mann beim Angeln vor der Küste Big Islands spurlos.
Major John Akebono und Leutnant Nick Toronga orten sein Boot nach langer Suche in einer Felsspalte. Auf dem Deck machen sie einen schaurigen Fund. Der Vermisste wurde mit einem Speer durch die Brust an die Steuersäule gepflockt.
Das Opfer handelte mit Grund und Boden auf mehreren Inseln des Archipels. Doch nicht alleine. Die Beamten decken weitere Namen auf. Bald merkt das Duo, dass der Täter sie alle kennt.
Der Fall gewinnt rasch an brutaler Dynamik. Es wird klar, dass jemand einen radikalen Plan umsetzt. Mittendrin: das Ermittler-Duo in ihrem ersten Fall auf der Suche nach dem Motiv und im Kampf gegen die Zeit.
Prolog Hawaii – Kauai Island 2016
Kapitel 2: Akebono Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6: Hawaii – Kauai Island 2017
Kapitel 7: Akebono Hawaii – Big Island / Paradise Park 2018
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12: Hawaii - Kauai Island 2017
Kapitel 13: Akebono Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16: Anonymous Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 17: Akebono Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23: Anonymous Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 24: Akebono Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32: Hawi Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38: Hawaii Oahu – Nordküste 2018
Kapitel 39: Akebono Hawaii – Hilo – Polizeistation 2018
Kapitel 40: Anonymous Hawaii – Waikoloa – Big Island 2018
Kapitel 41: Akebono Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50: Wutinga Hawaii – Big Island 2018
Kapitel 51
Kapitel 52: Hawaii Big Island – Hilo – Anela Street 22
Kapitel 53: Wutinga
Kapitel 54: KANANI
Kapitel 55: Akebono
Kapitel 5: Wutinga
Kapitel 57: KANANI
Kapitel 58: Akebono
Kapitel 59: Wutinga
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63: Eine Woche später Volcano
Kapitel 64: Oahu
Dr. Steven Waika griff nach dem Diensthandy und drückte den Wecker aus. Ein Stich hinter der Stirn ließ ihn das Gesicht verziehen. Schmerzen. Mit einem Aufstöhnen senkte er den Kopf aufs Kissen.
Erst jetzt öffnete er die Augen. Sie erspähten einen Fleck an der Zimmerdecke, der in Zeitlupe schärfere Konturen annahm. Vom Gang drangen Schritte zu ihm durch. Das Linoleum dämpfte sie angenehm ab. Entfernt hörte er Stimmen, ohne die Worte zu verstehen. Der Arzt lauschte und sortierte seine Gedanken. »Noch ein paar Minuten, bitte«, sprach er zu sich selbst. Er atmete lange aus. Schaffte es, für eine kurze Zeit mit sich im Reinen zu sein.
Der Doktor arbeitete seit drei Jahren als Chefarzt im neu erbauten Zentrum für Geburten. Es gehörte zum Klinikum »Kauai-West«. Derzeit lag er auf dem bequemen Bett im Ruheraum. Die Pause war mehr als nötig. Nach einem Tag im Dauereinsatz musste er sich endlich ausruhen, und sei es für eine Stunde. Frau Norris, die Hebamme vom Dienst, sollte ihn nur im Notfall rufen.
Er tauchte wieder auf. Anfangs mühsam stemmte er sich hoch und sah aus dem Fenster. Der Ausblick war derart betörend, dass er spontan die Tür zur Terrasse öffnete. Er trat hinaus und atmete durch.
Am Horizont kündigte sich die Morgendämmerung an. Die letzten Sterne verschmolzen mit dem ersten Licht. Durch den Regen in der Nacht wirkte das Meer dunstig. Gerne hätte er noch einen Moment hier verbracht. Aber es zog ihn zu Frau Norris, die eine werdende Mutter betreute. Seufzend verließ er den Balkon.
Dr. Waika schritt zügig eine Etage tiefer. Er hielt vor der Schleuse, desinfizierte beide Hände und streifte umsichtig die Kopfbedeckung über die Haare. Rasch zog er frische Einweghandschuhe an. Der Gummi schnalzte.
Nach zwei Minuten erreichte er den Vorraum zum Geburtszimmer. Gegenüber flog eine Tür auf. »Ah, Dr. Waika, da sind sie ja wieder.«
Frau Norris sah erleichtert zu ihrem Vorgesetzten auf. »Ich mache mir Sorgen. Kommen Sie bitte. Sie hält ihre Schmerzen nur noch in der Seitenlage aus. Die Abstände zwischen den Wehen werden kürzer.« Der Arzt nickte stumm und eilte ihr hinterher.
»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte sich der Arzt. Er legte eine Hand auf ihre Stirn. Sie schien an Kräften eingebüßt zu haben und schüttelte kaum merklich den Kopf. Er sah auf seine Uhr und tastete nach ihrem Puls. Die Geburt dauerte seit achtzehn Stunden. Der Muttermund hatte sich nur langsam geöffnet. Beide zogen sich diskret zurück.
»Immer noch drei Zentimeter, obwohl wir die Wehen eingeleitet haben. Sie hat keine Kraft mehr. Was meinen Sie?«, fragte Frau Norris besorgt.
Der Arzt zögerte, doch dann traf er eine Entscheidung. »Rufen Sie bitte das gesamte Team. Wir bereiten einen Kaiserschnitt vor. Mit Vollnarkose.«
Rasch kamen sie herbei. Jedem war bewusst, was zu tun ist. Wie Ameisen. Durch die Routine in der Truppe konnte es ein paar Minuten später losgehen. Er setzte zum Schnitt am Unterbauch an. Mit ruhiger Hand zog er das Skalpell. Kurz darauf hielt Frau Norris das blutverschmierte Neugeborene auf dem Arm. Sie trug es zum Waschbecken.
Beim sanften Reinigen fiel ihr die fahle Haut des Babys auf. Sie zuckte bei dem Anblick des Bauchnabels zusammen. Rechts des Nabels klaffte eine Spalte, aus der Teile des Darms und Gewebe ragten. »Oh, mein Gott«, stammelte sie, »nein. Dr. Waika, schauen Sie sich das an.«
Der Arzt unterbrach das Vernähen der Bauchdecke. Er sah sich nach der Assistenzärztin um und nickte ihr zu. Sie verstand sofort. »Danke, Frau Hendrix.«
»Was ist los?«, sagte er und eilte herbei. Der Doktor sah die Spalte und stockte. Mit besorgter Miene sprach er zur Hebamme.
»Frau Norris, das hier ist eine Gastroschisis bei Neugeborenen. Seit ich hier arbeite, ist das die fünfte Geburt mit dieser Fehlbildung.« Ein Gefühl der Ohnmacht breitete sich in ihm aus.
»Was geht hier vor?«, flüsterte sie.
»Das wüsste ich auch gerne. Seltsam für einen Zeitraum von drei Jahren, nicht wahr?«, stellte er eine Gegenfrage. Den letzten Halbsatz sagte er unbewusst zynisch. Die Frau erblasste. Bedrückt sah sie zu Boden.
»Früher gab es hier so etwas nicht«, meinte sie trotzig. Der Arzt nickte ihr zu.
»Das glaube ich ihnen. Ich verstehe es nur nicht.« Er tippte auf dem Handy eine Elf. In der Zentrale hob direkt jemand ab. »Hallo Tom, hier Dr. Waika. Wir brauchen rasch einen Heli nach Oahu ins Klinikum »Kapiolani«. Melden Sie eine Gastroschisis bei einem Säugling, die sofort operiert werden muss, danke.«
»Der Heli kam eben von einem Einsatz zurück. Wann sind Sie fertig?«, forschte der Kollege.
»In drei bis vier Minuten können wir starten. Wir kümmern uns um die Notversorgung. Ich fliege mit.«
»Okay, ich halte den Piloten auf.«
»Danke«, sagte der Doktor erleichtert und legte auf.
Kurz darauf hob der Helikopter ab. Auf Oahu nahm der Chirurg Dr. Nils Hana den Eingriff vor. Der kleine Henry überstand die OP gut. Zwei Tage später entzündete sich die Wunde, worauf das Kind mit hohem Fieber reagierte. Sie fanden im Blut einen Keim. Einer von der resistenten Sorte. Kein Antibiotikum schlug an. Dafür stiegen die Entzündungswerte rasant. Das Team versuchte alles, doch die Natur setzte stur ihren Weg fort. Der Junge starb bei dem Noteingriff an einer Sepsis.
John Akebono nippte an der Tasse. Der Kaffee vom Westen der Insel setzte ein herrlich erdig-würziges Aroma frei. Im Reinen mit sich und der Welt lehnte er im Sessel. Er genoss den Duft der Bohnen aus Kona. Das Leder knirschte leise.
Seit zwei Wochen hatte er den Rang eines Majors. Mit sechsunddreißig keine schlechte Bilanz, wie er fand.
Sein Kopf spiegelte sich in der Scheibe wider. Die mandelförmigen, dunklen Augen deuteten die japanischen Wurzeln an. Im Gesicht zeigte sich das Antlitz des Vaters. Hohe Wangenknochen, ein mäßiger Bartwuchs und volle Lippen. Auch die Größe von fast ein Meter und neunzig erinnerte an ihn. Die schwarzen, lockigen Haare hatte er von der Mutter. Genauso wie die strahlend weißen Zähne. Sie stammte aus Hawaii. Die Grübchen links und rechts vom Mund brachte er selbst mit.
Er lauschte, um die Quelle eines Geräuschs zu orten.
Erste Tropfen klatschten ans Fenster. Kurz darauf zuckte ein Blitz. Der Knall schallte über die Berghänge nach. Ein Tropenschauer setzte ein und goss das üppige Grün. Die Augen waren noch immer zu, er entspannte sich wieder. Er liebte das Prasseln von kräftigem Regen.
Er fuhr zusammen, als die Tür aufflog und Nick Toronga mit einem fröhlichen »Morgen, Chef« ins Büro platzte. Um ein Haar hätte der frisch ernannte Major den Kaffee verschüttet.
Die Tür warf den Papierkorb um. Der Hausgecko floh in Eile. Wenig später lugte er mit den Knopfaugen hinter der »F4-Taste« hervor.
Akebono sah auf und strich sich mit dem linken Zeigefinger eine Locke aus dem Gesicht. »Morgen Nick. Warum öffnest du die Tür wie ein Troll? Wenn das so weitergeht, zieht unser Gecko aus. Du hattest doch eine Woche frei. Entspanne dich.«
»Sorry Chef, ich habe um die Zeit einfach zu viel Energie. Gestern kam mir die Idee, vor dem Dienst eine Stunde zu surfen.« Ein seliges Lächeln überzog sein Gesicht. »Ich probiere das mal aus. Um sieben Uhr ist es ja hell genug. Abends wird es oft zu spät. Dann ist es bereits dunkel«, sinnierte er. »Gibt’s frischen Kaffee?«
»Ja, den gibt es. Was bezweckst du damit, am frühen Morgen auf den Wellen zu reiten?«
»Um hier fitter anzukommen«, erklärte er. »Sei froh, dass ich auf meine Fitness achte«, fuhr er fort.
»Die Surferei hat dich einige Male ins Krankenhaus gebracht«, warf John ein. »Und mir eine Menge Mehrarbeit«, schob er nach. Dabei zog er die Stirn kraus und grummelte.
»Hey, ich bin ein Kind der Inseln. Ich muss surfen«, sagte Toronga voller Inbrunst.
»Ich bin Hawaiianer. Es geht auch ohne Surfen«, meinte der Major.
»Daran merkt man, dass du Vorfahren aus Japan hast. Du isst Fische, schwimmst aber nicht mit ihnen.«
Der winkte ab. »Du kannst ja surfen, so viel du willst. Pass einfach auf dich auf, okay?«
Nick sah um sich, pickte die Blätter auf und schloss die Tür. Ihm entging nicht, dass sein Chef lächelnd den Kopf schüttelte, bevor er einen Schluck Kaffee nahm.
Nick Toronga sah man an, dass er aus Hawaii stammte. Braune Haut bedeckte einen trainierten Körper. Dichte schwarze Locken tummelten sich auf dem Kopf. Die dunklen Augen samt breiter Nase hatte er geerbt. Nur die üblichen Tattoos der Insulaner suchte man vergebens an ihm. Der 31-Jährige diente seit fast sieben Jahren der Hawaiian Police auf Big Island. In der Zeit schaffte er es in den Rang eines Leutnants. Der Karrieresprung lag etwa vier Wochen zurück.
Der Gecko hatte sich entspannt. Mit wachen Augen kroch das Tier hinter der Tastatur hervor. Er legte sich in die Sonne neben der Computermaus. Ruhepuls dreißig.
Die Polizisten hatten ihn Andrea getauft, weil sie das Geschlecht der Echse nicht klären ließen.
Das Tier maß vom Kopf bis zum Schwanzende üppige zwanzig Zentimeter. Er schien somit genug Nahrung zu finden. Fünf Saugnäpfe rundeten jede Pfote ab. Auf dem Rücken glänzten längs drei rote Streifen. Diese Spezies wohnte auf Hawaii in allen Gärten, wo es Steine zum Verkriechen gab.
Nick kramte im Sideboard nach der Tasse mit den Surfbrettern. Er wischte sie mit einem Geschirrtuch aus und griff nach der Kanne.
»Sag mal, gab es Anrufe? Zurzeit ist es recht ruhig.« Der Leutnant kippte zwei Löffel Rohrzucker in die dampfende Tasse. Er sah seinen Chef erwartungsfroh an.
»Dass es bei dir entspannt zuging, glaube ich gerne. Letzte Woche ist außer ein paar Diebstählen nichts passiert; Autos und Bier, wie immer. Ich sage dir, genieße die Ruhe«, raunte er mahnend.
Den Zeigefinger noch in der Luft klingelte das Telefon. Beide starrten wie gebannt auf das klingelnde Etwas, als sei es ein Gegenstand vom Mars. Der Ältere erwachte zuerst aus der Lethargie. Er nahm den Hörer ab und schwang die Füße vom Tisch.
»Major John Akebono, guten Morgen.« Zu mehr kam er nicht. Er griff nach dem Kuli und schrieb mit. Toronga sah über den Monitor. Dabei hörte er aus zwei Metern Distanz eine laute Frauenstimme. Der Polizist hob die freie linke Hand und verharrte mit offenem Mund. In einer kurzen Pause nutzte er die Chance.
»Frau Sullivan, beruhigen Sie sich, wir beeilen uns.« Er legte rasch auf und seufzte. »Eine Vermisstenanzeige. Sie versucht seit gestern Abend, ihren Mann auf dem Handy zu erreichen. Er wollte zum Fischen. Bis jetzt ist er nicht zurück. Die beiden wohnen an der Hamakua-Küste in Honomu-Town.«
Der bis zum Ozean in dichtes Grün getauchte Landstrich hatte seinen Reiz. Durch den vielen Regen sah es dort aus wie in Eden. Er zog sich im Norden der Insel wie mit einem Zirkel gezogen um den Vulkan Mauna Kea.
Die Fahrt dorthin verzögerte sich durch eine Baustelle. Nach zwanzig Minuten Stop-and-Go kamen sie zur Hauptstraße am Meer.
Mehrere Busse bildeten ungewollt eine Blockade. Sie klebten wie Kaugummis auf der Straße. Nichts ging mehr. Von den Sitzen am Fenster blitzte es in einem fort. Japaner und Koreaner mit der gleichen Anzahl an Canons und Nikons. Geschrei und wütende Slogans von den Leuten gab es in Asien kaum.
Einige bahnten sich laut den Weg quer über die Fahrbahn. Dabei schwenkten sie Plakate. Nick schätzte die Menge auf tausend Teilnehmer. John hörte Wörter wie Umwelt und Natur. An der Spitze des Zuges hielten zwei kräftige Männer ein recht großes Transparent in die Höhe. »Genfood zerstört unsere Natur und die Menschen« stand da auf hellem Grund in dicken, schwarzen Buchstaben. Viele Fahrer schalteten ihre Motoren ab. Sie stiegen aus. Alles wirkte entspannt.
»Das ist gewiss nicht der geplante Streckenverlauf«, meinte John Akebono ob des Chaos auf der Straße.
»Da ist eine Streife«, merkte Toronga an. »Wir werden nicht benötigt. Die bekommen das auch so hin.«
Der Major hatte keine Zeit, sich die Demo weiter anzusehen. Er ließ das Fenster herunter surren. »Nick, reichst du mir bitte mal die Sirene.«
Kurz darauf hievte er sie mit der linken Hand aufs Dach. Der Magnet im Boden klackte ans Blech. Mit Funksignal stellte der Leutnant das Blaulicht an. Zeitgleich gab John Gas. Zuvor hatte er geprüft, dass niemand den Weg kreuzte. Die 4-Liter-Maschine röhrte auf. Mit Tempo überholte er die Touristenbusse.
Im Spiegel sah Toronga eine blaue Dunstwolke. Etwas später nutzten einige Touristen ihre Canons. Es blitzte erneut. »Die halten dich doch nicht etwa für Magnum?«, warf er ein.
»Spaßvogel. Der trägt einen Schnauzer und ist heute über sechzig«, knurrte der frisch rasierte Akebono. »Außerdem fuhr er einen Ferrari.« Dabei nahm er eine Rechtskurve mit derart viel Schwung, dass es neben Nick staubte. In dem Moment sackte der Wagen spürbar ab, da die zwei rechten Reifen auf Sand rollten.
»Mensch, pass auf«, meinte der und hielt sich fest.
»Na, alles klar?«, fragte der Major entspannt.
»Nein, nichts ist klar, Kollege. Ich will noch ein paar Jahre leben, ok.« Er sah kritisch auf die Straße. Kurz darauf fixierte er John.
Die Sullivans wohnten in einem Haus, das massiv gebaut, von viel Grün umgeben lag. Vom Meer hörte man die Brandung gegen die Felsen klatschen. Das Salz in der Luft wehte herauf. Es kribbelte beim Einatmen.
Außer ein paar Vögeln sowie dem Ozean gab es keine Laute. Akebono atmete tief ein. Er liebte die Natur in ihrer Wildheit. Die zwei Polizisten sahen sich um. Sie schritten zum Eingang des Bungalows. Blumen rankten links der Tür empor. Nick klingelte. Entfernt näherten sich Absätze auf Parkett oder Fliesen. Eine Kette schnappte zurück. Die Tür glitt auf.
Vor ihnen stand eine hübsche Frau mit langen Beinen und wachen Augen. Sie trug ihre braunen Haare schulterlang. Ein edles Kostüm in hellem Blau betonte ihre Figur. Es zeugte von Wohlstand. John fielen Sommersprossen auf, die von ihrer Nase bis zu den Wangen reichten.
»Guten Tag, die Herren. Ich bin Jennifer Sullivan. So rasch habe ich Sie nicht erwartet.« Der Major schien verblüfft. Er empfand ihr Auftreten als äußerst beherrscht. Ihre Stimme wirkte auf ihn kühl. Sie streckte ihre Hand zur Begrüßung aus. Er schüttelte sie kurz und empfand sie als warm. Etwas an ihrem Verhalten ließ ihn aber stutzen.
»Guten Tag, Frau Sullivan. Ich heiße John Akebono. Das hier ist Leutnant Nick Toronga.« Sie musterte die Besucher mit einem Blick von oben bis unten. »Bitte treten Sie ein.« Sie setzte einen Schritt zur Seite.
Die Haustür gab einen Raum frei. Ein Snooker-Tisch hätte hier bequem Platz gefunden. Die Wände hingen voller Gemälde. John erkannte einige lokale Künstler. Das Thema schien stets Hawaii und das Meer zu sein.
Der Major zuckte, als er einen echten Varez entdeckte. Das glaubte er zumindest. Seine Frau besaß das Motiv als Druck. Das hier sah indes wie gemalt aus. Gegenüber hing ein Original von Dawson. Die Werke der Maler erzielten in den Galerien recht hohe Preise.
»Alles in Ordnung, Herr Akebono?« Frau Sullivan warf ihm einen besorgten Blick zu, der auf ihn etwas künstlich wirkte. Er winkte ab. »Ja, danke. Ich stehe nur unter dem Eindruck der Bilder, die Sie hier an der Wand haben.«
»Ach die«, sagte sie mit mäßigem Interesse. »Peter sammelt Werke der Künstler hier. Er hat noch mehr davon. Ich halte die Gemälde für nett, hänge aber nicht an ihnen.«
Der Polizist zwang sich, die Originale nicht weiter zu betrachten. Sein Kollege ignorierte die Kunst und schlenderte hinter Frau Sullivan her. »Bitte folgen Sie mir. Wir setzen uns am besten nach draußen. Das Meer und die Luft lenken mich ab.«
Die Terrasse sah hübsch arrangiert aus. Eine legere Sitzecke stand zwischen drei Pflanzen, die in Kübeln wuchsen.
Sie setzte sich und schlug ihre Beine übereinander. Die Beamten wählten Plätze auf der anderen Seite des Tisches.
Akebono schätzte die Frau auf Anfang vierzig. Ihm fielen ihre grünen Augen auf, die rastlos hin und her huschten. Dass sie beunruhigt ist, ok. Warum aber ist sie so nervös? Als sei sie wachsam, nichts Falsches zu sagen, schoss es ihm in den Sinn. Intuitiv rückte er den Stuhl etwas zurück, um ihr mehr Raum zu geben.
Sie bot den beiden frische Zitronenlimonade an, die sie gerne nahmen. Der Major nickte dem Leutnant zu. Der hielt kurz inne, bevor er anfing. »Erzählen Sie uns bitte der Reihe nach, was genau passiert ist, Frau Sullivan«, forderte er sie auf.
Sie holte tief Luft und atmete durch. Dabei fixierte sie einen Punkt hinter Akebonos Kopf.
»Gestern entschied mein Mann gegen Mittag spontan, dass er noch fischen wolle. Der Ozean sah friedlich aus. Insofern sprach nichts dagegen. Sein Boot lag im Hafen von Hilo. Er hat einen festen Anlegeplatz dort.«
»Was für eins fährt Ihr Mann? Eher klein oder eins, das für die hohe See taugt?«, forschte Nick.
»Peter besitzt ein Motorboot, mit dem man ohne Probleme zwischen den Inseln fahren kann. Es hat unter dem Deck eine Kabine mit einem Doppelbett. Ja, ich denke, dass es hochseetauglich ist. Wir sind früher am Wochenende oft aufs Meer gefahren. Wenn wir Zeit hatten, auch nach Maui. Abends haben wir manchmal in einer Bucht geankert. Ich fand das aufregend«, gab sie preis.
»Das hört sich an, als ob sich das zuletzt geändert hat?«, hakte Akebono nach. Sie sah ihn lange und durchdringend an, bevor sie antwortete.
»Wir leben im ersten Jahr getrennt. Peter wohnt die meiste Zeit hier. Wir verstehen uns zwar, machen aber privat nichts mehr zusammen. Es ist schwer, dies zu erklären.«
Frau Sullivan sah in die Ferne. Sie blinzelte durch feuchte Augen. Mit gesenktem Kopf fuhr sie leise fort. »Ich habe mich heute Vormittag am Hafen umgesehen, um zu prüfen, ob das Boot am Anlegeplatz liegt. Er war leer.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Das alles nagt an mir«, sagte sie. Der Major nickte verständnisvoll. Er bereute die Frage und schwor sich, umsichtiger vorzugehen.
»Ist es denkbar, dass ihr Mann bei einem Freund zu Besuch ist? Dass er sich schlicht nicht gemeldet hat?«
»Das glaube ich nicht. Peter kennt hier niemanden, den er mit dem Boot anfahren könnte. Zudem habe ich vier oder fünf Mal versucht, ihn mobil zu erreichen, er meldet sich nicht.«
»Bitte geben Sie mir seine Nummer. Mit etwas Glück gelingt es uns, das Gerät zu orten, wenn die Batterie noch aktiv ist«, hoffte John. Er notierte sie im Handy und wandte sich erneut an sie. »Wie kam er zum Hafen? Mit dem Auto oder haben Sie ihn gefahren?«
Sie sah den Major an. »Er nahm den schwarzen Mercedes«, sagte sie rasch. »Wie immer«, setzte sie nüchtern hinzu.
»Sehen Sie uns die vielen Fragen nach. Wir brauchen ein komplettes Bild der Lage«, erklärte er. Frau Sullivan winkte ab. »Sie tun nur Ihre Pflicht und können ja nichts für unsere Trennung.« Ein kurzes Schweigen folgte. »Benötigen Sie den zweiten Schlüssel für den Mercedes?«, fragte sie an beide gewandt.
»Ja bitte«, erwiderte Toronga, der in den letzten Minuten nur zu beobachten schien. »Wir werden zuerst prüfen, ob das Auto am Hafen geparkt ist«, fuhr er fort.
Sie wandte sich bereits um, als dem Leutnant noch etwas einfiel. »Bevor Sie den Schlüssel suchen, eine Bitte. Haben Sie ein Foto Ihres Mannes und auch eines vom Boot? Das könnte uns helfen.«
Frau Sullivan dachte kurz nach. »Ja, unter den letzten Fotos müsste eines sein. Wir haben sie vor etwa einem Jahr gemacht. Ich bin gleich wieder da.«
Der Major nutzte die Zeit. Auf seiner Stirn erschien eine senkrechte Stirnfalte. Er wirkte angespannt.
»Nick, ruf bitte die Küstenwache an. Sie sollen ab hier in beide Richtungen suchen. Sollten sie in den nächsten drei Stunden nichts finden, fordern wir den Hubschrauber an. Wir hätten dann noch den Nachmittag bei Tageslicht.« Der Leutnant nickte und lief zum Pick-up, um alles Weitere zu klären.
In dem Moment kam Frau Sullivan zurück. Sie hielt dem Major zwei Fotos unter die Nase. Das eine zeigte ihren Mann mit Anfang vierzig. Er hatte kräftige Oberarme, dichtes Haar und strahlte in die Kamera. In der rechten Hand hielt er einen kleineren Marlin an der Flosse. Mit den Fingern der Linken formte er das Victoryzeichen. Die Haut glänzte durch das Sonnenlicht braun.
Auf dem anderen Foto saß er am Steuer. Es handelte sich um ein schnittiges Boot mit Drehstuhl im Heck. Rund neun Meter lang. Zwei Motoren ragten dahinter auf. Es glich einer Hochseejacht, nur kürzer. Akebono zog die Stirn in Falten.
»Sieht recht teuer aus. Was ist er denn von Beruf, wenn ich fragen darf?« Ihm fiel auf, dass Frau Sullivan’s linkes Augenlid zuckte. Die Frage nach seinem Beruf macht sie nervös. Warum? Sagt sie hier alles?, notierte er im Geist.
»Mein Mann arbeitet mit Immobilien und Grundstücken.« Der Major sah perplex auf, was bei ihr ein Stirnrunzeln auslöste. Er überging dies und stellte noch eine Frage. »Womit verdienen Sie Ihr Geld?«, warf er ein.
»Wir besitzen ein Haus mit zwei Wohnungen. Ich vermiete es an Touristen. Das Gebäude steht über der Straße rechts von einer Hecke. Wir hatten uns geeinigt, dass das Geschäft nach der Trennung bei mir verbleibt.«
»Das ist aber großzügig«, merkte Nick an. »Lief der Job ihres Gatten derart gut?«, fragte er weiter.
»Details kenne ich keine«, sagte sie rasch. »In den letzten Jahren konnten wir nicht klagen«, gab sie zurück. Dabei hielt sie ihm die Hand hin.
»Hier ist noch der Schlüssel, nach dem Sie eben gefragt haben«, lenkte sie ab. An dem Bund hing ein Anhänger aus Metall mit der Aufschrift »Aloha«.
Dem Major fiel ein, dass er den Wetterbericht vom Vortag prüfen musste. Er notierte die Worte Strömung und Meer. Ergriff nach dem Schlüssel.
»Sie bekommen ihn bald wieder. Wir fangen in Kürze mit der Suche nach dem Motorboot an. Wir melden uns, sobald wir präzise etwas sagen können.«
»Danke für Ihre Auskünfte«, sagte Nick, der sich anschickte, vor dem Chef das Haus zu verlassen.
»Auf Wiedersehen, Herr Toronga«, meinte sie knapp. Nick deutete in Johns Richtung die Hörergeste an und schloss die Tür.
Akebono fingerte in seiner Geldbörse. »Hier ist meine Karte, falls Ihnen noch etwas einfällt. Die Handynummer steht auf der Rückseite.« Frau Sullivan nahm sie entgegen und stand auf. Auch der Major erhob sich. Vor dem Ausgang hielt er inne.
»Eine Frage zum Abschluss. Hat ihr Mann Geschwister?« Sie sah den Polizisten lange an.
»Ja, eine Schwester. Sie ist vierzig Jahre alt; glaube ich zumindest«, schob sie nach. Ist das von Bedeutung?«
»Das kann ich jetzt nicht sagen«, gab er zurück. »Aber ich wollte es wissen. Wir melden uns«, meinte der Major und gab ihr die Hand. »Danke«, sagte sie knapp und schloss die Tür. Der Beamte stand noch einen Moment da. Er ließ die letzten zehn Minuten in Gedanken ablaufen. Dann eilte er zu Toronga, der ihn herbeiwinkte.
»Ist alles geregelt, John. Ich habe den Kollegen die Fotos des Boots gemailt. Die Küstenwache rückt mit einem Schiff aus. Sie suchen die Küste ab. Das Meer ist gerade ruhig«, sagte er und sah auf den Notizzettel.
»Zudem prüft eine Streife die Parkplätze am Hafen. Mit ein wenig Glück kommen wir in den nächsten Stunden einen Schritt weiter«, fuhr er fort.
»Danke. Wollen wir’s hoffen?«, erwiderte der Major. Sein Magen knurrte. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er lange nichts zu sich genommen hatte. »Nick, wann hast Du zuletzt gegessen?« Toronga überlegte. »Ich hatte erst einen Apfel. Ich könnte etwas vertragen.«
John wirkte verblüfft. Er fröstelte bei dem Gedanken, den Morgen mit nur einem Stück Obst zu beginnen.
»Wir können im Bistro vom botanischen Garten Pause machen. Wer weiß, was heute noch alles passiert.« Der Leutnant sah erstaunt auf. Er schätzte an ihm, dass das Essen nie zu kurz kam. »Daran merkt man, dass du Hawaiianer bist«, lächelte Nick.
Gegen vierzehn Uhr klingelte das Telefon. Der Major saß nicht am Platz. Er beeilte sich, ins Büro zu gelangen. Im Display sah er den Namen Leif Gardner. Küstenwache. Er grinste.
»Hallo mein Lieber, wie ist die Lage auf dem Ozean?«, sagte er.
»Hi John. Was das Boot angeht, Fehlanzeige. Das Einzige, was wir in Mengen gefunden haben, ist Dreck. Ich denke, von einem der Luxusliner.«
»Was für einen Dreck? Ist etwas dabei, was auf Herrn Sullivans Boot schließen lässt?
»Nein, das ist echter Müll. Plastik in allen Farben und anderes Zeug, das von Schiffen ins Meer gekippt wird.«
»Ich habe bislang keine Kreuzfahrt erlebt. Was für Sachen werfen die über Bord?«, fragte er im Detail.
John hörte ein Schnaufen. Er kam sich vor, wie ein Schuljunge. »Vieles von dem, was in der Küche anfällt. Aber auch der sonstige Rotz, den die Leute jeden Tag produzieren. Becher, Plastikfolien, Windeln und was weiß ich.«
»Das landet im Wasser?«, sagte er entsetzt.
»Ja, weil die Entsorgung am Land fast überall teurer ist als die Strafe, wenn sie erwischt werden.« Gardner sprach den letzten Satz mit Verachtung aus, bevor er fortfuhr. »Das meiste von dem Zeug sinkt zu Boden. Nur ein Bruchteil wird an die Strände geschwemmt.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Akebono erstaunt. Es entstand eine kurze Pause. Leif holte Luft. »Ich fühle mich mit dem Meer verbunden und leide wie ein Hund in der Wüste. Deshalb bin ich bei Greenpeace.« Dabei beließ er sein Statement und kam zum Thema.
»Jetzt aber zurück zu dem vermissten Boot. John, es ist nicht einfach, mit dem Fernglas die Küste abzusuchen; wir kamen zum Teil nur bis auf rund 200 Meter heran. Für die nächsten Stunden ist Wellengang mit lokalem Regen angesagt. Der Wind dürfte recht heftig sein. Ich kann nur abraten, heute mit dem Heli hinauszufliegen«, winkte er ab.
Der Polizist bedankte sich für die Infos. Er legte auf, und zuckte zusammen. Sie mussten den Fall ins Netz stellen. Er konnte sich nicht daran erinnern, das erledigt zu haben.
»Nick, haben wir den Sullivan-Fall bereits ins System gestellt?« »Nein, haben wir nicht«, kam es prompt jenseits des Monitors.
»Lass uns das gleich nachholen. Ein Hinweis auf den Beruf mit dem Namen der Firma könnte helfen. Mit ein wenig Geduld meldet sich jemand, der Details liefern kann. Der ihn kannte. Hast du Zeit?« Akebono hörte die Tastatur klimpern.
»Bin schon dabei. Liest du dann noch mal gegen?«
»Ja, mache ich. Danke, Nick. Ich muss mich mal eben sammeln.«
Kurz darauf klingelte es erneut. Sergeant Harley teilte mit, dass der Benz am Hafen entdeckt worden war.
Am nächsten Morgen schien die Sonne. Ein leichter Wind trieb Wolken vom offenen Meer in Richtung Big Island.
Die Hawaiian Police verfügte seit ein paar Monaten über einen Heli. Standort war Hilo. Es gab Gründe für den Kauf. Geklaute Autos konnten so aus der Luft verfolgt werden.
John dachte mit Grauen daran. Er selbst hatte im Einsatz einen Ford zerstört. Vor seinem geistigen Auge fuhr ein gestohlenes Cabrio davon. Er raste mit Blaulicht hinterher. Die Fahrt führte durch drei Vorgärten. Obstbäume gingen zu Bruch. Das Auto krachte wenig später an eine Wand. Eine orangefarbene Schneise aus Früchten brachte ihm in der Presse den Namen »Papayakiller« ein.
Noch Wochen darauf fand Akebono immer montags eine Schale frischer Papayas auf dem Tisch. Dabei lagen kleine Zettel mit den Worten »bitte töte uns nicht«. Die Story hing ihm mehr nach, als ihm lieb war. Mit der Beförderung verflog sie aber im Nu.
Er schüttelte die Gedanken ab und suchte zwei Ferngläser. Nick stand etwas verloren im Flur. Er bekam eines in die Hand gedrückt. »Hier, das werden wir brauchen«, sagte sein Chef. Rasch bahnten sie sich den Weg durch das Gebäude zum Hinterausgang. Dort gab es eine weite Fläche, die kreisrund zu einem Landeplatz umgebaut war. Manka wartete bereits ungeduldig im Heli.
»Na Ihr zwei. Kann’s endlich losgehen?«
Manuel Manka war der Chef-Pilot. Bei der Air Force war er wegen »mangelnder Belastbarkeit bei Kampfeinsätzen« aussortiert worden. In Folge zog es ihn zur Polizei. In der Freizeit flog er Touristen über die Insel. An diesem Morgen kaute er auf einem Lolli, den er im Mund hin und her wandern ließ.
Er trug oft T-Shirts, um die Tattoos auf den Oberarmen besser zur Geltung zu bringen. Mit der auf Hochglanz polierten Glatze fiel er überall auf. Rein optisch glich er mehr einem Türsteher.
Der vordere Teil der Maschine bestand aus einer Kuppel. Sie bot eine perfekte Sicht, sofern es einem nicht übel wurde. Manuel saß vorn mittig, Akebono links dahinter und Toronga rechts. Der Pilot führte letzte Checks durch. Er las eine Liste ab und prüfte die Hebel und Knöpfe dazu. Die Rotoren liefen im Leerlauf. Wup-wup-wup. Wenig später dröhnte der Motor und es knatterte.
Beim Abheben zog es dem Major im Bauch. Er mochte das Gefühl nicht.
Leicht geneigt, donnerte der Heli nach Norden über das Wasser. Die Wolken glitten fast auf gleicher Höhe vorbei und sahen aus wie Zuckerwatte. Das Meer strahlte in kräftigen Farben. Sandige Stellen schimmerten in Türkis- und Grüntönen. John erspähte durch das Fernglas Fische und sogar eine Schildkröte, die ihren Kopf aus dem Wasser streckte. Er atmete tief ein. Das Salz in der Luft kribbelte in der Nase.
Manka ergriff das Wort und musste dabei fast brüllen. »Wollen wir bei Honomu anfangen? Macht Sinn, oder? Ich schlage vor, dass wir von dort die Küste nach Westen abfliegen, weil die Strömung oft so verläuft.«
John reckte den Daumen nach oben, weil er keine Lust hatte, den Lärm zu übertönen. Er würde noch genug schreien müssen.
Nach rund zehn Minuten Flug näherten sie sich dem Ort, der malerisch am Meer lag.
»Dort ist das Haus der Sullivans«, brüllte Toronga. Direkt beim Highway stand es. Terrasse zum Ozean, herrlich. Akebono bat den Piloten, die Maschine weiter zu senken. In rund zwanzig Metern über dem Wasser schwenkten sie zur Küste heran und drehten westwärts ab. Das Land sah aus der Luft wild und zerklüftet aus. Es gab viele vorgelagerte Felsen. Der Wind schien noch erträglich. Daher hatten die Wellen nur eine Höhe von zwei bis drei Metern. Dennoch hörte der Major die Brandung durch den Lärm des Motors hindurch. Man hatte das Gefühl, die Gischt reichte fast bis zum Helikopter.
An ein paar Stellen hatte das Meer im Laufe der Zeit das Gestein ausgehöhlt. Der Raum dahinter ließ sich nur erahnen. Beide Beamte spähten durch ihre Gläser. Manka hatte alle Hände voll damit zu tun, die Maschine stabil in der Luft zu halten. Nach einigen Minuten erreichten sie den »Kolekoi-Beach-Park« mit seinem schwarzen Sand. Wenig später tauchte die »Hakala Bay« auf.
»Manuel, können wir noch mal zurück? Die Sonne hat sich im Wasser gespiegelt. Ich konnte kaum etwas sehen«, meinte Toronga. Akebono sah das genauso. Er rieb sich die tränenden Augen und wischte den Schweiß vom Fernglas, bevor es erneut losging. Der Wind nahm zu. Manka hatte alle Mühe mit dem Manöver. »Ich muss ein paar Meter hochziehen, das ist zu riskant.« Kurz darauf flog das Fluggerät ruhig.
»Fliege bitte so dicht an die Küste heran, wie es geht«, brüllte der Major. Ein flaues Gefühl hatte sich in ihm breitgemacht. Sein Puls stieg an. Er spähte durch das Fernglas. Die Aushöhlungen an dieser Stelle reichten viele Meter weit in das Massiv hinein. Der Pilot hielt den Helikopter stehend in der Luft, obwohl der Wind mit lautem Pfeifen an ihm rüttelte.
»Seht, dort spiegelt sich was in der Sonne«, schrie Akebono. Manka senkte den Heli behutsam, sodass die Stelle besser einsehbar war. Die Rückseite eines Boots war zu erkennen. Chrom glänzte in der Sonne, die durch eine Felsöffnung schien.
»Sieht so aus, als hätten die Wellen das Boot an die Felsen getrieben. Dann hat es sich unter dem Vorsprung verkeilt. Lasst uns die Küstenwache holen. An das Schiff kommen wir nur vom Wasser aus heran«, brüllte er ein wenig heiser. Er tippte die Nummer der Kollegen ein.
»Hallo Leif, hier John. Wir haben rund drei Meilen nördlich von Honomu eine Jacht entdeckt, die sich dank der Brandung in einen Felsvorsprung verkeilt hat. Habt Ihr ein Schlauchboot mit Motor an Bord?«
Leif Gardner lachte kurz auf und winkte scheinbar ab. »Lutsch mal ein Bonbon, Du krächzt wie ein Papagei.«
Akebono rollte die Augen und äffte das letzte Wort nach. Gardner fuhr fort. »Mach dir keinen Kopf, wir haben eins und können es sogar bei ordentlichem Wellengang ins Meer lassen. Die Dinger sind ja extra für übles Wetter gebaut. Westen und Neoprenanzüge haben wir auch genug; Ihr wollt ja vermutlich mit zum Wrack, wie ich euch kenne. Wir warten, bis ihr hier einschwebt.« Der Major bejahte und bedankte sich bei ihm. Leif Gardner sah mit der dunklen Sonnenbrille, den langen Haaren und dem 3-Tage-Bart wie ein moderner Pirat aus. Er wirkte dünn. Dabei hatte er viel Kraft. Bei jeder Bewegung sah man seine Muskeln und Sehnen arbeiten. Der Major schätzte ihn. Er war zuverlässig, kollegial und fand immer klare Worte. Und zäh war er. Wenn es Probleme gab, machte er einfach weiter. Einen besseren Einsatzleiter konnte man sich kaum wünschen.
Am frühen Nachmittag fuhren sie mit Gardner und dessen Team zum Fundort des Objekts. Dort musste das Schiff weit vor der Küste ankern, da es zum Land hin einige flachere Stellen gab. Vereinzelt ragten Felsen aus dem Meer. Zwei Kollegen ließen das stabile Schlauchboot mit dem Außenborder zu Wasser.
John und Nick suchten sich Neoprenanzüge aus. Sie zwängten sich hinein. Der Major verfluchte die Teile, weil sie jedes Kilo zu viel eiskalt bestraften.
Als Nick ihm den Titel »Seegurke des Monats« zusprach, hatte er genug. Angestachelt durch den Spruch, zog er den Reißverschluss fest nach oben. Dabei klemmte er sich ein paar Zentimeter Bauchhaare ein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog er den Verschluss wieder auf und riss sich Dutzende Haare aus. Am Ende streiften sie sich Schwimmwesten über. Mit Leif und einem Matrosen, den John nur vom Sehen kannte, machten sie sich auf den Weg.
Der Wind frischte auf und fachte die Brandung an. Sie mussten höllisch aufpassen. Als sie fünf Minuten später an der Stelle ankamen, löste sich das Boot. Die Wellen drückten es in eine tiefere Felsspalte. Vom Meer aus sah man nur Teile des Rumpfes, hörte aber das Knirschen.
»Ich bin mal gespannt, ob die nachher noch brauchbare Spuren finden«, meinte Nick beim Heranfahren. Gardner blieb im Schlauchboot zurück. Er hielt es mithilfe des Motors auf Position. »Na, dann mal los, Ihr zwei.« Sie sprangen in etwa hüfttiefes Wasser. Akebono fühlte felsigen Grund. Kurz darauf fand er festen Halt.
Toronga packte ein Seilbündel, streckte die Hand hindurch und schob es auf die Schulter. Er kannte das Meer und dessen Tücken besser als sein Chef. Der hatte schwimmend bereits das Boot erreicht. Er wirkte abgekämpft und wartete auf Nick.
In einer schläfrigen Sekunde wurde John unerwartet von einer Welle angehoben. Sie schlug über ihm zusammen. Als er glaubte, Fels unter den Füßen zu haben, rutschte er weg. Für einen Moment verlor er die Orientierung. Verwirrt tauchte er wieder auf. »Spielst Du Robbe, John?«
Nick grinste von einem Ohr zum anderen. Er war stürmisches Wasser vom Surfen gewohnt und genoss das Element. »Etwas mehr Respekt vor dem Alter, mein Freund«, blubberte Akebono. Er kämpfte sich erneut zum Rumpf vor. Toronga kraulte neben ihm und zog mühelos vorbei. Sie fanden eine felsige, aber ebene Stelle. Die Beamten standen im Wasser und konnten nicht sehen, wie es im Boot aussah.
Der Major streckte die Arme nach oben und klammerte sich an die Kante des Rumpfs. Mit aller Kraft zog er sich hoch. »Aargh«, entfuhr es ihm. Mit Mühe hievte er ein Bein quer auf die Rumpfkante. Jetzt sah er das Deck und leuchtete mit der Taschenlampe.
Er erstarrte. Eine Leiche lehnte mit dem Rücken am Steuer. Die Haare klebten nass am Kopf. Auf Höhe des Brustbeines ragte ein Speer heraus. Durch die Wucht des Einschlags hatte er den Oberkörper durchbohrt und steckte im Holz des Armaturenbretts dahinter fest. Eine Hand umklammerte die Stange.
»Das wirkt auf mich wie eine Hinrichtung«, sagte der Major. Er stand auf und sah sich ihn aus der Nähe an. Sullivans Gesichtszüge zeugten von Schmerz und der Einsicht, gleich zu sterben. »Der Tote ist unser Mann«, rief er zu Toronga, der sich auch ins Boot hievte.
»Ich glaube, der Täter hat den Speer noch mit Kraft gedreht«, meinte Nick. »Sieht so aus, als wollte er sichergehen, dass er im Holz stecken bleibt.«
Mord gab es in Hawaii, was Big Island anging, nicht oft. Ohne die Leiche aus den Augen zu lassen, zückte John sein Smartphone, um Fotos zu machen. Er hatte es in die Innentasche des Neoprenanzugs gesteckt.
Die Bergung des Wracks verlief ohne Probleme. Beide streiften sich griffige Wasserhandschuhe an. Flink sprangen sie über die Kante ins Meer. Toronga befestigte ein Seil an der Spitze des Boots. Dann schwamm er zügig zu dem Außenborder, um es dort zu befestigen. Der Major kämpfte sich mit Mühe hinterher. Dreimal musste er durch eine Welle tauchen.
Als er sich umständlich ins Boot gewuchtet hatte, gab Leif Gas. John ließ sich erschöpft auf den Boden fallen. »Na, die Woche brauchst du kein Wasser mehr, was?«, grinste Gardner. Er widmete sich der Winde, prüfte das Seil aus Stahl. Nachdem es sich gestrafft hatte, gab er Gas. Anfangs knirschte es metallisch, doch rasch gab der Felsen das Boot frei. Es klatschte ins Meer. Dann zog er das Wrack behutsam bis auf wenige Meter heran.
Sie hüllten es mit einer schwarzen Plane ein. Der Major fürchtete ein Foto des Toten auf der ersten Seite des Big Island Observers. Das war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Zudem wollte er die Suchanzeige weiterhin nicht löschen.
Im Hafen zogen die Beamten das Wrack mit einer Winde in die Halle der Küstenwache. Die Leiche hing starr an der Steuersäule. Einzig die Haare bewegten sich leicht.
»Leif, die Spurensicherung kommt bald. Bitte führe sie zum Boot. Sie sollen sich auch unter dem Deck umsehen. Ich habe dich als Kontaktperson genannt.«
»Kein Problem, John, ich bin hier«, sagte er. Akebono überlegte kurz, dann hob er den Zeigefinger. »Ach, noch was, Leif. Wird das Gebäude abgeschlossen?«
Der winkte ab. »Die Halle wird immer verschlossen und du siehst ja den Zaun. Da kommt ohne Hilfe niemand rein. Außerdem haben wir ein paar Kameras.«
Der Major nickte. »Klingt gut. Wenn die Kollegen mit ihrer Arbeit fertig sind, wird die Leiche zur Obduktion freigegeben.«
»Hmhm, alles klar.« Gardner wandte sich zum Gehen. »Bis demnächst, ihr zwei.«
Die Beamten trafen sich eine Stunde später beim Boss zum Rapport. Der Chief of Police hatte das Oberkommando auf Big Island.
Brian Motonga hatte sich vom Officer nach oben gedient. Er lebte für die Polizei und genoss den Respekt der Truppe.
Der Mann stammte aus einer Maori-Familie, die vor Jahrzehnten aus Neuseeland eingewandert war. Rein optisch wirkte er bullig. Mit der drei Daumen breiten Nase sah er aus wie ein Stürmer der All Blacks. Nur, dass er den Golfsport vorzog. Auf dem linken Arm zierte ihn ein filigranes Tattoo, das bis zum Hals reichte. Er trug es aus Tradition. Brian machte, wie sein Vater zuvor, Karriere beim Staat. Der Major schätzte an ihm, dass er hinter den Leuten stand und Rückgrat zeigte, wenn es nötig schien. Das kannte er aus Oahu auch anders.
John erläuterte präzise das Geschehene. Motonga hörte zu. Für eine kurze Zeit war es still.
»Jetzt müssen wir ihr den Tod ihres Mannes mitteilen«, schob Nick nach. »Ja, genau«, pflichtete ihm John bei. Wir werden Sie bitten, ihn zu identifizieren. Das wird ein harter Moment für sie.«
»Ich schlage vor, dass ihr euch rasch das Büro des Toten vornehmt. Dann solltet ihr das Boot auf Fingerabdrücke und sonstige Hinweise untersuchen lassen. Kümmere dich bald darum«, sagte der Chief mit Nachdruck. Sie hielten fest, sich für das nächste Treffen spontan zu besprechen.
»Wenn ihr Hilfe nötig habt, gebt mir eine Info. Ich bin zwar in vielen Terminen, aber immer erreichbar«, schob er hinterher. Er wandte sich zu John um.
»Morde haben wir auf Big Island nicht oft; zudem ist dies dein erster Fall als Major. Ich halte dir die Presse vom Hals, solange ich kann. Für euch gilt dafür voller Fokus auf den Fall, ok?«
»Danke, Brian. Wir bleiben dran«, sagte Akebono nur.
Motonga knallte zum Abschied seine Pranke auf Johns linke Schulter und verabschiedete sich auch von Leutnant Toronga. Dann griff er zur Golftasche. In Gedanken schon auf dem Platz nickte er in die Runde und verließ das Büro. Wie so oft.
»Der hat Nerven«, meinte Nick und sah ihm nach.
Der Major dachte an die Anzeige, die ersetzt werden musste. Er nahm sich den Besuch bei Frau Sullivan für den gleichen Tag vor. Danach konnten sie die Presse informieren und den Todesfall ins Netz stellen.
Kurz vor der Tür zum Büro stoppte er und machte kehrt. Er hatte vergessen, sich am Automaten beim Eingang noch eine Coke zu ziehen. Dabei stieß John fast mit Commander Jason Matinka zusammen, der in Eile das Gebäude betreten hatte. Stets unwirsch und hektisch passte er für den Major nicht auf die Inseln.
Die beiden gingen sich aus dem Weg. Er hatte sich mit Akebono und zwei anderen auf die offene Stelle als Major beworben.
Der Mann stammte aus New York, hatte geerbt und zog dann nach Hawaii. Die Kollegen argwöhnten von Anfang an, dass er auf Karriere und Macht aus war.
Er war für die Abteilung »Verkehrsdelikte« verantwortlich. Das Team bestand aus vier Beamten. Sie hatten alle Hände voll zu tun, da es auf Big Island immer mehr Autos gab. Doch Matinka wollte raus aus dem Job, nach oben, was ihm bisher verwehrt blieb.
»Ah, Major«, entfuhr es ihm kühl. Er dehnte die Silben der Anrede betont langsam. Dabei zog er eine Grimasse. »Habt ihr allen Ernstes erst jetzt die Daten des Sullivan-Falls auf die Homepage gestellt? So wollt ihr die Sache lösen? Viel Spaß.«
Der Commander stellte sein linkes Bein nach außen und versperrte John indirekt den Weg. Er fixierte ihn aus schwarzen, eng stehenden Augen. Von vorn sah er aus wie ein Dachs, listig und nicht so hell. Er musste hochschauen und schnaubte unbewusst. Er reichte dem Widersacher nur bis zum Mund. Mit Oberkante Bürstenschnitt.
»Wir hatten unsere Gründe, aber die gehen dich nichts an.« Das ließ der Major ein paar Sekunden wirken.
»Mehr wirst du von mir nicht hören, Matinka. Ziehst du noch dein Bein zurück, dann bist du auch wieder ein Stück größer.« Er machte mit den Händen eine ausladende Bewegung.
Der lief vor Wut rot an. Zornig und etwas zittrig gab er den Weg frei. Akebono schritt an ihm vorbei. Mit einem Zischen öffnete er die Dose.
Auf dem Weg zur Pathologie ließ Akebono den Besuch bei Frau Sullivan Revue passieren. Der Fund des Opfers war keine zwei Stunden her. Nick saß neben ihm und hing seinen Gedanken nach. So wie er selbst.
Frau Sullivan fuhr mit einer Freundin hinter den beiden her. Er sah kurz in den Rückspiegel. Mit starrem Blick saß sie auf dem Beifahrersitz und sah zur Seite.
Der Major störte sich an einigem, konnte es aber nicht greifen. Nachdem er den Tod ihres Mannes bestätigt hatte, sah sie ihn und Toronga im Wechsel an. Sie verzog kaum eine Miene. Was dann passierte, weckte in ihm Misstrauen.
Frau Sullivan bemühte sich, ein aus den Tiefen ihrer Seele aufsteigendes Schluchzen an den Tag zu legen. Ihre Augen sollten Trauer ausstrahlen, aber etwas anderes schlich sich hinein. Kälte. Es wirkte, als hätte sie sich die zur Schau gestellte Emotion wie eine Kontaktlinse auf den wahren Ausdruck ihrer Augen gelegt. Doch das Kalte schimmerte durch und dem Major entging es nicht. Ihn beschlich das Gefühl, dass sie ihre Stimmung per Knopfdruck ändern konnte. Zuerst behagte es ihm nicht, so zu denken. Letztlich hörte er auf sein Bauchgefühl. Er kaufte ihr die Show nicht ab. Von dem Moment an betrachtete er sie wachsam.
Kurz darauf bat der Major darum, das Büro des Mannes durchsuchen zu dürfen. Er rief sich ihre Reaktion zurück. Völlig abgeklärt sagte sie, dass er dies ja früher oder später erledigen müsse. Warum denn nicht gleich. Sie entschuldigte sich mit dem Hinweis, eine Freundin anrufen zu wollen, die in der Nähe wohnte. Sie strahlte bei alledem Routine aus. Es wirkte alles, wie einstudiert. Als ob es ihr ein Leichtes sei, ohne ihren Mann zu leben.
Ihm fiel ein, dass die beiden im ersten Trennungsjahr lebten, bevor das Unglück geschah. Ihr Verhalten ließ für ihn nur den Schluss zu, dass sie ihn bereits vor längerer Zeit begraben hatte. Die Polizisten sollten indes etwas anderes glauben. »Doch warum?«, entfuhr es dem Major. Dabei knallte er eine Hand auf das Lenkrad und löste die Hupe aus. Mit einer Geste entschuldigte er sich bei der vor ihm fahrenden Frau.
Seine Gedanken flogen wieder zu dem Besuch. Das Büro glich dem Zimmer eines Teenagers. Kaum Fachbücher. Dafür säumten sich Werke über Jachten und teure Autos. Ein gehäufter Stapel Playboy-Hefte hinter dem Schreibtisch rundete das Bild ab. Er fixierte den Raum aus der Totale. Spärliches Mobiliar. Keine Pflanzen. Alle Möbel aus Metall. Es gab kein Holz, nichts Erdfarbenes. Selbst die paar Fotos von den Booten waren in Metallrahmen aufgehängt. Der erste Begriff, der sich einstellte: Kühl, gefolgt von fokussiert und rücksichtslos. Er notierte sich das letzte Wort. Es könnte uns bei der Suche nach dem Motiv helfen, sagte er sich.
Nirgends gab es einen Rechner. Ebenso wenig Sticks oder Disketten. Der Major schrieb Misstrauen auf. Er rief sich das Gespräch mit Frau Sullivan vor sein inneres Auge. Er trat aus dem Büro in den Flur. Sie stand da und wartete.
»Ich habe hier Daten von Klienten gesucht. Fehlanzeige. Hat ihr Mann noch einen Raum genutzt?«, forschte Akebono. Sie runzelte die Stirn.
»Nun, er hatte den Job als Makler vor sechs oder sieben Monaten aufgegeben. Er wollte etwas Neues machen.« John sah sie lange an.
»Das beantwortet nicht meine Frage«, Frau Sullivan. Ertappt, wich sie ein Stück zurück. »Nein, es gab kein weiteres Büro. Zumindest kenne ich keins«, sagte sie einen Tick zu rasch.
Er hing auch hier an ihrer Reaktion. Die Frage nach einem Arbeitsplatz an einem anderen Ort ließ sie nervös werden. Er notierte zweites Büro. Dann widmete er sich erneut dem Dialog mit ihr.
»Schauen Sie, ich habe mit Peter kaum über seine oder meine Karriere gesprochen. Jeder von uns machte sein Ding. Beim Thema Beruf gab es oft Streit. Daher vermied ich es, darüber zu sprechen. Sein Job war mir letztlich egal«, meinte sie und zuckte mit den Schultern.
»Was genau meinen Sie damit, dass Sie beide eigene Ziele verfolgten?« Die Frau stand auf. Sie fuhr sich mit den Händen durch ihre dichten, braunen Haare. Sie holte tief Luft und flunkerte ihn angriffslustig an, bevor sie spürbar aufgeregt loslegte.
»Peter nutzte jede Chance, an Grundstücke zu kommen. Wehe, ein Eigentümer oder Pächter hatte Probleme mit Geld und er bekam Wind davon. Der Profit ging ihm über alles. Für ihn hatte es nichts Anrüchiges. Er sagte, dies gehöre zur Strategie erfolgreicher Makler.« Frau Sullivan fixierte einen Punkt und hielt inne. Dann wandte sie sich direkt an den Major. »Wir stritten uns wie noch nie. Daher habe ich das Thema in Zukunft gemieden. Es war mir zuwider.«
John drückte in Gedanken die Pausentaste. Kein Wunder, dass die Ehe in die Brüche ging. Das ergab wenig Sinn. Er notierte, was verschweigt sie uns? Auf der anderen Seite schien er nicht sicher, wie echt ihre Worte waren. Er legte den Kuli zur Seite und bog in die Einfahrt zur Pathologie.
Die Freundin der Witwe wartete vor der Tür zum Kühlraum. Sie saß auf einem der Stühle und las. Die Ermittler folgten Frau Sullivan hinein. Nick wollte sie auf sich wirken lassen. Vor einem Stahlregal stand der Pathologe Fred Moringa. Der Mann trug eine runde Nickelbrille und Glatze. Sein Blick wirkte abgeklärt und freundlich. Er lächelte ihnen zu.
»Guten Tag, Frau Sullivan. Bitte folgen Sie mir.«
Sie nickte und sah zu Boden. Die Gruppe schritt in den Raum. Es war kalt. Moringa überlegte und wählte rechts das zweite Schubfach von unten. Mit einem Ruck zog er am Griff. Auf Rollen surrte eine Bahre aus Stahl aus der Wand. Ein gleichmäßiges Geräusch von Kunststoffrollen auf Metall ertönte. Mit einem Einrasten kam die Trage zum Stehen.
Der Tote lag unter einem schneeweißen Tuch. Nur ein Fuß lugte hervor. Am großen Zeh hing eine kleine Karte, auf der eine schwarze Acht stand.
Er zog das Leichentuch nur bis zum Kinn zurück, da er ihr die Brustwunde ersparen wollte. Ihre Augen weiteten sich. Gefasst sah sie auf das Gesicht und wandte sich ab. Der Major fragte sich, ob ihr der Anblick des ermordeten Mannes doch näher ging, als sie sich das insgeheim einstand. Er hoffte es.
Die Augen des Toten waren geschlossen. »Das ist Peter«, sagte sie nach einer Weile leise. Eine gefühlte Ewigkeit weilten sie vor der Bahre. Eine Uhr an der Wand tickte die Zeit herunter. »Vielen Dank für Ihre Stärke, Frau Sullivan. Wir begleiten Sie noch vor die Tür zu Ihrer Freundin«, flüsterte Toronga.
Sie nickte stumm. »Bitte teilen Sie uns bald mit, wann die Bestattung sein wird. Ich werde mich dann um die Freigabe der Leiche kümmern«, erläuterte Akebono das weitere Vorgehen. Sie verabschiedeten sich. Die Tür fiel hinter ihr leicht ins Schloss.
Am nächsten Tag trafen sich alle zum ersten Meeting im Fall Sullivan. Der Chief of Police lud in den Besprechungsraum ein. Er hatte dafür ein Treffen verschoben, auf das er gerne verzichten konnte. Für einen Moment grämte er sich, es nicht abgesagt zu haben.
Die zwei Ermittler saßen bereits im Büro. Nick tippte auf die Tastatur des Smartphones. Ein Summen ertönte. Der Chief verschränkte die Arme und räusperte sich. Nicks Samsung verschwand im Nu.
Lisa Dawson von der Spurensicherung fehlte. Frau Boston aus der Pathologie ebenso. Sie hatte John kurz davor eine SMS geschickt. »Unfall auf dem Highway, wir sind in ein paar Minuten da«, hieß es.
Akebono mochte die Kollegen von der »SpuSi«, wie er sie liebevoll nannte. Mit Lisa hatte er des Öfteren Fälle gelöst. Der Major legte viel Wert auf die präzisen Berichte.
Lisa war mit 33 Jahren für ihre Position als »Investigation Detective« noch recht jung. Sie hatte aber schon viel Berufserfahrung. Direkt nach der Highschool führte ihr Weg schnurstracks zur Polizei. So hatte sie bereits vierzehn Jahre auf dem Buckel. Der Major schätzte ihr scharfes Auge und ihre Fähigkeit, einen Tatort zu lesen. Umsichtig entging ihr kein Detail. Zu Beginn stand sie stets an einem Fleck und ließ alles auf sich wirken. Für ihn schien das jedes Mal aufs Neue ein Schauspiel. Ihm war bewusst, dass ohne sie und ihre Truppe viele Täter frei herumlaufen würden. Sie trug ihre blonden Haare schulterlang.
Julia Boston hatte sich nach dem Studium bei der Pathologie beworben. Mit ihr hatte John bisher nicht gearbeitet. Er war gespannt.
In dem Moment betraten die beiden das Büro. »Guten Morgen zusammen«, sagten Dawson und Boston fast im Duett. Letztere trug Jeans und eine helle Bluse. Mit den Händen strich sie sich ihre Haare hinter die Ohren. Sie sah sich kurz um und rückte ihren Stuhl zurecht. Konzentriert klappte sie ihren Ordner auf. Mit flinken Händen sortierte sie ihre Blätter und kam direkt zur Sache.
»Den Eintritt des Todes konnten wir recht exakt bestimmen. Vor zwei Tagen zwischen ein und vier Uhr am frühen Nachmittag. Der Speer schlug durch das Herz und die Wirbelsäule im Bereich des zwölften Wirbels. Das Opfer verlor durch die Wunde viel Blut. Der Tod trat rasch durch innere Blutungen sowie akutes Herzversagen ein.« Sie hielt einen Moment inne und sah in die Runde. Keiner hatte Fragen. Dann sprach sie weiter.
»Er muss des Öfteren Drogen konsumiert haben. Die Schleimhaut in der Nase wies auf beiden Seiten mehrere Löcher auf. Zudem fanden wir erste Schäden am Gehirn. Wir vermuten, dass der Mann lange Kokain geschnupft hat. Das finale Ergebnis hierzu steht noch aus.« Sie nickte Lisa zu.
Die übernahm und faltete die Hände auf den Tisch. »Ich möchte zu Beginn ein paar Fakten zur Tatwaffe sagen. Was wir haben, ist eine Spitze. Wir dachten an eine Harpune, die zur Jagd auf Fische wie den Marlin gedacht ist. Das allein schon wegen der Wucht des Einschlags. Die Spitze aus Eisen ging in einen Schaft aus Holz über, was auf eine wuchtige Handharpune schließen ließ.«
Lisa sah kurz in die Runde und fuhr fort. »Wir haben uns gefragt, wie jemand vom Wasser aus eine Harpune derart fest werfen kann. Frau Boston hat daher die Leiche nochmals genau unter die Lupe genommen. An der linken Hüfte fand sich ein winzig kleiner Einstich. Wir meinen, dass der Täter den Mann zuerst mithilfe eines Pfeils betäubt hat. Der Mann dürfte noch gestanden haben, aber eben eingeschränkt. Wir gehen davon aus, dass er an der Steuersäule Halt gesucht hat. Nach Betreten des Boots hat der Täter ihn mit der Harpune regelrecht aufgespießt. Angeschlagen, mit dem Steuer im Rücken, schien genug Widerstand vorhanden, um den nötigen Druck zum Durchbohren des Körpers zu erzeugen.« Einige am Tisch verzogen das Gesicht oder wandten sich in ihren Stühlen. Lisa nahm das zur Kenntnis. Sie sagte nur: »Ich bin nicht fertig, sorry.« Es folgte eine kurze Pause. Die meisten nickten. »Dann lag ich mit der Hinrichtung richtig«,ging es dem Major durch den Kopf.
Dawson fuhr fort. »Die Spitze war mit Widerhaken versehen. Solche Enden hat man früher auf Hawaii und im Pazifik zur Jagd benutzt. Sie hat sich durch die Wucht in der Holzsäule hinter dem Opfer verkeilt. Der Täter hat den Speer zudem mit Kraft weiter ins Holz getrieben.« Sie nahm einen Schluck Wasser.
»Fingerabdrücke fanden sich nicht. Das Boot trieb zu lange im Meer. Wir schätzen, dass daher keine Abdrücke mehr verwertbar sind. Gleiches gilt für andere DNA-Spuren.« Für einen Moment war es im Raum völlig still.
Akebono nutzte die Pause und ergriff das Wort. »Vielen Dank für eure Arbeit und die Details. Eine Frage, Lisa: Habt ihr an Bord eine Tasche oder ein Versteck entdeckt? Frau Sullivan sprach von einem Rucksack und einem Laptop.«
Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »In der kleinen Kabine gab es nichts davon. Wir haben ein paar Schubladen gefunden. Alle leer. Gleiches gilt für das Deck. Wir haben nach Hohlräumen gesucht. Sollte sich der Rucksack zum Zeitpunkt des Angriffs dort befunden haben, dürfte er über Bord gegangen sein.«
Oder der Täter nahm ihn mit, schloss Akebono für sich.
Er wandte sich erneut an Dawson. »Bitte sucht das Auto und das Büro von Sullivan nach einem USB-Stick, einer CD oder einem anderen Datenspeicher ab. Ich glaube, dass ein Mensch wie er einen oder mehrere als Backup besessen haben muss.« Der Major sah in die kleine Runde. »Wenn sonst keiner Fragen hat, war es das für heute, vielen Dank.« Lisa schob ihre Papiere zusammen und erhob sich. Dann verließ sie mit einem kurzen Gruß das Büro. Julia winkte und folgte ihr.
Motonga, der allen zugehört hatte, nahm seine Schützlinge zur Seite. »Ich danke euch für die Arbeit an diesem Fall. Macht für den Rest des Tages frei. Ihr seht furchtbar müde aus. Unser Meeting nachher haben wir ja eben vorgezogen.«
Der Chief lächelte den beiden aufmunternd zu, bevor er ins Büro verschwand. Ihm war klar, was auf sie in den nächsten Tagen und Wochen zukommen würde.
Der Major schlich zum Pick-up, den er sich vor zwei Jahren gegönnt hatte. Der Chef konnte gut daherreden. Einfach die Festplatte im Kopf abschalten, den Fall im Büro lassen und sich um die Familie kümmern. Das fühlte sich für Akebono zu simpel an. Dazu dachte er als Vollblutpolizist zu viel nach. Ihm ging das Bild nicht aus dem Kopf, wie sie Peter Sullivan im Boot vorgefunden hatten.
Seine Frau redete immer wieder auf ihn ein, einen Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. Sie empfahl Yoga, woraufhin er sich vor Lachen krümmte. Bei dem Gedanken huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Kurz darauf fuhr er in die Auffahrt zu ihrem Haus.
Sofia rannte ihn zur Begrüßung fast über den Haufen. »Papa, da bist du ja endlich. Ich will mit dir knuddeln.« Sie schmiegte ihre Wangen an Papas Stoppelbart und zerzauste glucksend die Haare. »Ich hab' dich so lieb, Papa«, sagte die Kleine und grinste ihn an.
Sofia war sieben Jahre alt und sein Ein und Alles. Sie hatte mandelförmige, dunkelbraune Augen. Dichte braune Locken rahmten ihr Gesicht ein. Die hatte sie eindeutig von der Mutter.
»Ich hab' dich auch lieb, mein Herz«, flüsterte er und nahm sie hoch. Langsam stieg er die Steintreppe hinauf, die zum Haus führte. Seine Frau Tatjana hatte einen grünen Daumen. Den Vorgarten hatte sie apart angelegt. Durch das warme Klima war er in drei Jahren zu einem bunten Traum gereift. Eine Plumeria und mehrere Stauden sorgten für ein Blütenmeer. Dazu gesellten sich eine Banane, ein Mangobaum und ein Guavebaum.
Oben begrüßte sie ihn mit einem Kuss. Sie war eine von zwei Töchtern eines US-Soldaten, der in Deutschland gedient hatte. Jetzt genoss er die Pension. Ihre Mutter war Deutsche. Daher hatte sie beide Pässe.
Sie wählte ein Studium, das ihre Liebe zur Natur am besten spiegelte. Gartenbau in Tampa und Heidelberg. Danach zog es sie in die USA. Sie landete nach ein paar Jahren auf Oahu. Dort eröffnete sie mit einer Freundin ein Gartencenter. Durch die vielen Asiaten und ihren Sinn für Ästhetik lief der Laden von Anfang an.
Im Stau auf Oahu traf sie dann John, der einzelne Fahrer kontrollierte. Der Rest war Geschichte. Rasch zogen sie auf die große Insel. Seitdem lebte sie mit ihm in der Nähe von Hilo. Sie hatte ihr Glück gefunden und bereute nichts. Einzig sein Beruf störte sie manchmal. Sie betete täglich, dass er abends heil nach Hause kommen würde. Bis jetzt hatte es geklappt.