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Sieben Menschen. Eine Bohrinsel. Und ein düsteres Geheimnis. In ausgelassener Stimmung lässt sich eine Gruppe von Mitarbeitern des Weltkonzerns Global Companion zu einer Yacht im Atlantik fliegen. Ein einwöchiger Luxusurlaub erwartet die Gewinner der Firmenlotterie. Doch es kommt anders als erwartet. Ein schweres Unwetter zwingt den Piloten des Hubschraubers, auf einer verdunkelten Bohrinsel notzulanden. Die Besatzung ist verschwunden. Blutlachen zeugen von schrecklichen Vorkommnissen an Bord. Schon bald gibt es den ersten brutalen Mord. Wer steckt dahinter? Und wer ist das nächste Opfer? Das Einzige, was sicher scheint, ist der Tod, der sich wie ein blutroter Schleier über die künstliche Insel im Atlantik legt … Ein Psychothriller von Karsten Krepinsky
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KARSTEN KREPINSKY
Blutroter Schleier
Blutroter Schleier
Sieben Menschen. Eine Bohrinsel. Und ein düsteres Geheimnis.
In ausgelassener Stimmung lässt sich eine Gruppe von Mitarbeitern des Weltkonzerns Global Companion zu einer Yacht im Atlantik fliegen. Ein einwöchiger Luxusurlaub erwartet die Gewinner der Firmenlotterie. Doch es kommt anders als erwartet. Ein schweres Unwetter zwingt den Piloten des Hubschraubers, auf einer verdunkelten Bohrinsel notzulanden. Die Besatzung ist verschwunden. Blutlachen zeugen von schrecklichen Vorkommnissen an Bord. Schon bald gibt es den ersten brutalen Mord. Wer steckt dahinter? Und wer ist das nächste Opfer? Das Einzige, was sicher scheint, ist der Tod, der sich wie ein blutroter Schleier über die künstliche Insel im Atlantik legt …
Ein Psychothriller von Karsten Krepinsky
Blutroter Schleier
(c) 2019 Karsten Krepinsky
Originalausgabe, Dezember 2019
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck und Vervielfältigung aller Art (auch in Auszügen) nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors
Umschlaggestaltung: die Typonauten
Lektorat: Ursula und Ingo Krepinsky
Veröffentlicht von Dr. Karsten Krepinsky, Berlin
www.nichtdiewelt.de
Meine Hände! Oh, meine wunderschönen Hände! Die weißen Baumwollhandschuhe färben sich rot ein. Irgendwann sind die Handschuhe durchtränkt von meinem Blut. So rot, meine wunderschönen Hände! –– Ich hatte schon häufiger diesen Traum gehabt, aber so realistisch hat er sich nie zuvor angefühlt.
Was ist diesmal anders?
Es ist da dieser alte Mann.
Was macht er?
Der alte Mann zieht mich an meinen Händen aus dem Bett. Wissen Sie, ich fühle mich so gut aufgehoben in meinem Bett. Es ist so kuschelig unter der Decke. Doch der alte Mann zerstört die Geborgenheit, die ich empfinde. Er nimmt mir alles.
Was denken Sie, hat das zu bedeuten?
Das weiß ich nicht. Ich hab’ noch nie von diesem alten Mann geträumt. Er trägt einen langen Mantel und Hut. Ich bin kein furchtsamer Mensch, wissen Sie. Da muss ich schon weit zurückblicken, dass ich vor etwas Angst hatte. Als Kind fürchtete ich mich vor dem, was unter meinem Bett passiert. Diese Geschichten mit dem großen Wandschrank, in dem ein Monster lauert. Wer kennt das nicht. Bei mir war es das Bett. Oder besser gesagt, was unter meinem Bett so vor sich geht.
Hatten Sie Alpträume deswegen?
Ja, früher. Häufig.
Und in letzter Zeit?
Niemals. Ich reise oft, komme durch meinem Job viel rum. Manchmal schlafe ich alleine, manchmal liegt ein Mann neben mir. Diesmal habe ich das Bett nur für mich. Ich fühle mich unter der Decke so geborgen. Draußen regnet es, müssen Sie wissen. Es gibt da diesen Sturm. Ich denke, es ist das schwerste Unwetter, das ich je erlebt hab’. Ich bin mit einem Flugzeug abgestürzt. Oder ist es ein Hubschrauber gewesen? Ich bin mir nicht sicher. Alles fühlt sich merkwürdig weit weg an. Jedenfalls bin ich auf einer Insel gestrandet. Na ja, es ist keine Insel im eigentlichen Sinn. Nicht aus Stein und Sand ist die Insel jedenfalls, sondern ganz und gar ... irgendwie ... also ... metallisch. Ja, metallisch, das beschreibt es am besten. Die Insel ist auf jeden Fall von Menschen gemacht.
Und dann kommt dieser alte Mann zu Ihnen?
Unter der Bettdecke ist es doch so kuschelig.
Was macht der alte Mann mit Ihnen?
Schrecklich. Er zieht mich aus dem Bett. Ich schreie, schlage wie wild um mich, doch der alte Mann ist stark. Warum ist er nur so mächtig? Verdammt nochmal, er ist nur ein Greis. Und ich bin eine Frau, die sich zu wehren weiß. Aber er reißt mich mühelos zu Boden. Wie kann das sein? So ein alter Mann mit diesen unglaublichen Kräften?
Was empfinden Sie?
Es ist ein Gefühl der Kälte.
Sie verspüren keinen Schmerz?
Vielleicht am Anfang. Da hat es ... muss es höllisch weh getan haben, wenn man an das ganze Blut denkt. Aber jetzt schmerzt es nicht mehr. Der alte Mann sieht eigentlich freundlich aus. Trägt einen Bart und lächelt. Aber da ist etwas in seinem Gesicht. Etwas Verstörendes. Furchtbares. Seine Haut. Sie verändert sich. Schwarze Flecken tauchen auf seinem Gesicht auf und verschwinden wieder. Wie dunkle Schatten.
Können Sie sich denken, was das bedeuten soll?
Nein, das ist mir schleierhaft.
Haben Sie diesen alten Mann schon früher gesehen?
Ich weiß es nicht.
Denken Sie nach.
Es könnte sein.
Wann haben Sie ihn gesehen?
In Berlin. Irgendwo da. Ich erinnere mich nicht genau.
Versuchen Sie es.
Warum ist das so wichtig?
Alles ist wichtig.
Hören Sie auf, mich zu quälen. Ich möchte jetzt endlich meine Ruhe haben.
Ich bin nicht dazu da, um Sie zu quälen.
Natürlich nicht. Sie sind mein Therapeut.
Warum denken Sie, dass ich Ihr Therapeut bin?
Wer sollten Sie sonst sein?
Ich bin nicht ihr Therapeut.
Natürlich nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Das ist ein Traum. Sie sind der Therapeut, den sich mein Unterbewusstsein ausgedacht hat.
Wie kommen Sie darauf?
Hab’ ich mal in ’nem Artikel gelesen.
Das ist kein Traum.
Kein Traum? Nicht? Sie machen Witze! Was soll das hier sonst sein?
Ihr Schmerz ist zu stark. All die Wunden, die sie haben.
Ich hab’ keine Ahnung, wovon Sie sprechen.
Ich will es Ihnen erklären. Es ist wie bei einem Gnu, das von Löwen gerissen wird.
Ich bin kein Tier.
Das weiß ich auch. Es ist ein Beispiel, damit Sie verstehen, was mit Ihnen passiert.
Gut.
Zuerst wehrt sich das Gnu nach Leibeskräften, will nicht wahrhaben, dass es gefressen wird. Aber irgendwann, wenn die Lebensenergie nicht mehr reicht, gibt das Gnu den Kampf verloren. Endorphine werden ausgeschüttet, um das Leiden zu verringern. Apathisch starrt das Tier vor sich hin. Die letzten Augenblicke seines Lebens ist der Verstand des Tieres losgelöst von den Qualen, die der Körper durchstehen muss.
Ja und? Was hat das mit mir zu tun?
Sie können jetzt aufhören zu kämpfen.
Ich kann aufhören zu kämpfen?
Ja.
Warum zum Teufel sagen Sie das?
Um es ihnen leichter zu machen.
Was leichter zu machen?
Das Sterben.
Nordatlantik, 100 km vor der schottischen Küste.
Bedrohlich türmte sich die pechschwarze Wolkenfront am Horizont auf. Die Wellen des aufgewühlten Meeres schlugen meterhoch. Mit voller Wucht peitschte Starkregen gegen die Scheiben des CH 53 Sea Stallion. Der Pilot steuerte den Transporthubschrauber geradewegs in das Unwetter hinein. Noch bekamen die Passagiere in der luxuriös ausgestatteten Kabine des CH 53 nicht viel mit von der Naturgewalt, die sich unaufhaltsam näherte. Auf Flachbildschirmen flimmerte ein Werbevideo der Firma Global Companion. Es waren Aufnahmen lächelnder Menschen, die über eine grüne Wiese schlenderten. Beschwingt und sorglos schauten die makellosen Werbemodels in die Kamera. GC kümmerte sich um alles, war die Botschaft des Clips. Es gab nichts, weswegen sich der Kunde Sorgen machen musste. Die Philosophie des Weltunternehmens war, den Menschen durch das Leben zu begleiten, ein treuer Kompagnon in allen Lebenslagen zu sein. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hatte der mächtige Mischkonzern tausende andere Industriebetriebe aufgekauft und sich in vielen Ländern der Erde eine Monopolstellung gesichert. Das Firmenlogo prangte auf Bieren, Zahnpasten, Kaffees, Handys, Kühlschränken, Computern und Medikamenten. Global Companion war Stromanbieter, Versicherer, produzierte Elektroautos, baute Häuser und gewährleistete die Sicherheit auf Großveranstaltungen. Kam man ins Krankenhaus, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich in einem Bett von GC wiederfand und die Infusion in einem GC-eigenen Unternehmen hergestellt wurde. Von der Wiege bis zur Bahre begleitete das Logo von Global Companion den Menschen.
Sechs Angestellte des Konzerns saßen auf den gepolsterten Ledersitzen in der Passagierkabine des GC-Hubschraubers. Jeder von ihnen trug ein Namensschild. Da es bei GC üblich war, sich untereinander zu duzen, stand nur der Vorname darauf. Weder die Rolle innerhalb der Firma konnte vom Sticker abgelesen werden, noch war ein Titel angegeben. Drei Männer und drei Frauen waren es, die in der GC-Lotterie gewonnen hatten. Alle, von der Kassiererin im GC-Supermarkt bis zum CEO einer der GC-Investmentbanken, bekamen bei der jährlichen Auslosung die gleiche Chance, aus der digitalen Lostrommel gezogen zu werden. Der Hauptpreis war ein einwöchiger Luxusurlaub auf der Yacht Love One, die vor der Küste Schottlands vor Anker lag.
Kim schlug die Beine übereinander und drehte sich zu Rick um. Der Mittzwanziger war ein äußerst attraktiver Mann mit kantigem Gesicht, leuchtenden blaugrauen Augen, dunklen Haaren und breiten Schultern. Kim seufzte innerlich. Leider war Rick für eine Frau von 1,81 m etwas klein geraten. Und etwa zehn Jahre zu jung. Bei dem Piloten des Hubschraubers, mit dem sie kurz in Glasgow auf dem Rollfeld reden konnte, hingegen stimmte alles. Groß gewachsen, grau meliert, vielleicht Ende dreißig wie sie selbst. Mike war ein Typ wie George Clooney in seinen besten Jahren. Reif, männlich und doch von einer neckischen Verspieltheit, die signalisierte, dass er den Charme der Jugend noch nicht verloren hatte. Leider trugen Mike, Rick und auch die beiden anderen Männer an Bord des Hubschraubers allesamt Bärte. Kim fluchte über dieses unselige Hipstertum, das sich wie eine Seuche ausweitete und ihr Horden von Männern bescherte, die das stachelige Unkraut in ihren Gesichtern wuchern ließen. Kim mochte es am liebsten glattrasiert bei einem Mann, und zwar am ganzen Körper. Nur der Kopf bildete eine Ausnahme, denn den kahlen Jason-Statham-Typen fand sie ebenso unattraktiv. Da sich Mike in der Kanzel des CH53 außer Sichtweite befand, war Rick Kims Favorit – zumindest während des Flugs. Ed und Claas, die ihr gegenübersaßen, zogen Kim in sexueller Hinsicht in keiner Weise an. Claas war ein langer Schlaks mit roten Haaren und androgynen Zügen. Eine unnahbare, nahezu asexuelle Erscheinung. Der perfekte metrosexuelle Gegenentwurf zum vor Kraft strotzenden Piloten Mike. Ed, Mitte vierzig, mit tiefen Stirnfalten und mürrisch dreinblickend, fand Kim von den drei Männern am unattraktivsten. Sie drückte den Rücken durch und räkelte sich lasziv im Ledersitz. Ihre Brüste schoben sich über den Gurt, der nun wie ein Push-up-BH wirkte. Ricks Aufmerksamkeit war erregt. Wie süß er lächelte, registrierte Kim verzückt. Wenn er doch nicht nur zu klein für sie wäre, haderte sie und biss sich auf die Unterlippe. Doch auch Kim war nicht perfekt. Gegenüber ihrem atemberaubenden Körper schien den Männern auf der Straße ihr Gesicht keinen zweiten Blick wert zu sein. Wie oft spürte Kim die Blicke von Verehrern im Rücken. Wie sehr genoss sie es, wenn ihr schlanker Körper im Mini abgetastet wurde. Doch dann registrierte Kim die Enttäuschung in den Augen der Bewunderer just in dem Moment, als sich diese zu ihr umdrehten. Es war das Brechen eines erotischen Versprechens, eine zerstörte Fantasie, die sich in den enttäuschten Gesichtern der Männer spiegelte. Hässlich war Kim nicht, nur nicht von jener Schönheit und Anmut, die einen Mann um den Verstand brachte. Unscheinbare Langeweile, als wäre dem göttlichen Steinmetz bei der Ausarbeitung ihres Antlitzes beim Übergang vom Hals zum Kopf die Leidenschaft und Hingabe abhanden gekommen. Es war nun einmal, wie es war. Kims Zeit kam dann, wenn sie leicht bekleidet flirten konnte. Im Pool oder am Strand, wenn die Blicke der Männer selten höher wanderten als bis zu ihren makellosen Brüsten. Der Körper war Kims Trumpf, Kapital schlug sie aber aus ihren perfekt geformten Händen. Kim zog die Baumwollhandschuhe aus und inspizierte ihre Finger mit kritischem Blick. Die Pflegelotion war vollständig in die Haut eingedrungen. Derzeit arbeitete sie für GC-Fashion als Handmodel. Kim achtete peinlich darauf, dass die Haut ihrer Hände keinen schadhaften Einflüssen ausgesetzt war. Im Sommerurlaub trug sie dünne Handschuhe, um die Zellen vor schädlichen UV-Strahlen zu schützen. Elfenhaft grazil waren ihre Finger. Wenn in Werbebroschüren Hände mit dem Teint einer hellen mitteleuropäischen Haut zu sehen waren, handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Kims Hände.
»Mann, lange halte ich diese Werbescheiße nicht mehr aus«, sagte Ed genervt. »Ich dachte, wir hätten hier das große Los gezogen. Eine Woche auf dieser Luxusyacht. Und jetzt müssen wir uns diese flachbrüstigen Models mit ihrem dümmlichen Grinsen reinziehen.«
Liv, die neben Ed saß, fuhr sich mit der Hand über ihren Dutt. »Betrachte den Transfer mit dem Hubschrauber als Vorspiel. Erst wenn wir auf der Yacht sind, geht es los.«
»Wenn das hier das Vorspiel sein soll«, brummte Ed, »dann kann ich auf den Sex gerne verzichten.«
Der Hubschrauber wurde von einer Böe erfasst und die Insassen wie in einer Achterbahn durchgeschüttelt.
Liv lehnte sich zu Ed hinüber. »Love One ist ein Mythos. Ich bin mir sicher, das wird ein Abenteuer, das wir nie vergessen werden.«
Kim musterte ihre Konkurrentin argwöhnisch. War Liv dazu in der Lage, ihr auf der Yacht die Show zu stehlen? Liv war eine Halbasiatin mittleren Alters. Ihre Haut wirkte jugendlich zart, aber in ihr Gesicht war die Erfahrung eines gut vierzigjährigen Lebens geschrieben. Kluge, wache Augen, die ihre Umwelt abtasteten. Sicher zog Liv einen anderen Männertypus an, war Kim beruhigt: den intellektuellen Denker. Kim lachte in sich hinein. Den Griesgram Ed konnte sie gerne haben. Nun musste sie nur noch eine Konkurrentin an Bord des Hubschraubers ausstechen – und die war von einem anderen Kaliber. Joy war eine rotblonde Frau von Mitte zwanzig mit Porzellanteint und einer Figur, die für den Laufsteg wie geschaffen war. Kim vermutete, dass Joy als Model arbeitete. Die Haare hatte sie mit Hilfe von Haarstäben nach hinten gesteckt, ein wenig untergewichtig und anämisch war Joy, wie es in der Model-Branche üblich war. Kim hoffte darauf, dass Joy wie viele Models Bulimie hatte und der ständige Gang zur Toilette ihre Dates vermieste. Kim versuchte einen Blick auf Joys Zähne zu erhaschen, doch die perfekt geformten, vollen Lippen gaben den Blick auf die Schneidezähne nicht frei. So konnte Kim nicht erkennen, ob Joys Zahnschmelz durch den ständigen Kontakt mit Magensäure angegriffen war.
»Ich frage mich wirklich, was das soll«, sagte Joy. Durch die Seitenscheibe des Hubschraubers betrachtete sie das aufgewühlte Meer. »Gestern war bestes Wetter und da bleiben wir im Hotel. Und heute? Na, seht selbst nach draußen.«
»Die Firma weiß genau, was sie tut«, erwiderte Rick gelassen. »Vielleicht wollen die uns ein wenig Nervenkitzel bieten.«
»Nervenkitzel?«, wunderte sich Joy. »Darauf kann ich verzichten.«
»Reg dich nicht auf.« Rick lächelte Joy an. »Die ziehen das hier nicht von der Woche auf der Yacht ab. Es ist ein Tag bezahlter Urlaub mehr.«
»Als ob das ’ne Rolle spielen würde, wenn wir die ganze Zeit auf der Krankenstation verbringen.«
»Mach dir keine Sorgen. Die paar Turbulenzen hält der Sea Stallion schon aus. Die waren mit den Dingern in Afghanistan und in den Siebzigern sogar in Vietnam. Einer wurde da mal von zwei RPGs getroffen und ist trotzdem weitergeflogen.«
Ed runzelte die Stirn. »RPGs?«
»Rocket-propelled grenades«, sagte Rick lächelnd. »Panzerfäuste.«
Ed klopfte dreimal auf die Lehne seines Sitzes. »Na ja, Taliban gibt es vor der Küste Schottlands wohl eher nicht. Bei Vietcong bin ich mir dagegen nicht so sicher.«
»Hoffentlich gibt es irgendwo Papiertüten für den Notfall«, bemerkte Joy, während sie vergeblich das Magazinfach ihrer Seitenlehne durchstöberte. »Mein Magen reagiert bei so was immer ganz schön empfindlich.«
Kim triumphierte innerlich. Joy war nicht mehr als ein zerbrechliches Porzellanpüppchen. Kim fühlte sich ihr haushoch überlegen, war sie selbst doch athletisch und robust. In fünfzehn Jahren musste Kim kein einziges Foto-Shooting absagen. Und mental war sie ein Monstrum. Den New-York-Marathon vor zwei Jahren hatte Kim mit einem Muskelfaserriss durchgestanden.
»Nimm doch den Champagnerbottich«, schlug Ed vor. »Da wird deine Kotze sogar noch gekühlt.«
»Igitt«, ekelte sich Joy.
Ed lachte auf. Es wunderte ihn, dass Joy mit seinen sarkastischen Bemerkungen nicht umgehen konnte. Sie war ganz offensichtlich eine intelligente Frau. Gleichzeitig amüsierte Ed sich immer, wenn er andere durch seine Kommentierungen aus der Fassung brachte.
Joy schüttelte sich, holte eine Medikamentenpackung aus der Handtasche und drückte eine Ingwertablette aus dem Blister. »Ich wusste, dass es ein Fehler war, die Reise anzutreten«, sagte sie und warf sich die Tablette ein. »Ich hätte das Labor gar nicht verlassen dürfen. Ich hab’ extra ’n wichtiges Experiment unterbrochen. Die Algenkultur muss ich wieder neu anziehen.« Joy spülte die Tablette mit Tomatensaft runter.
»Algen?«, fragte Rick. »Was hast du denn mit Algen zu tun?«
»Es sind meine kleinen grünen Schätze.«
»Schätze?«
»Ich arbeite in ’nem Start-up-Unternehmen. Wir erforschen, wie man aus Algen Bioalkohol gewinnt.«
»Wow!« Rick war beeindruckt. »Dann hast du ja studiert. Ich dachte, du wärst Model oder so.«
»Nur weil ich nicht schlecht aussehe, muss ich doch kein Model sein«, erwiderte Joy schnippisch.
Rick lächelte unschuldig. »Also ich bin Barista.«
»GC-Wissenschaftlerin?«, fragte Ed kopfschüttelnd. »Bestimmt noch promoviert?«
Joy nickte, während sie sich wegdrehte.
»Ein verdammter Doktor an Bord«, sagte Ed. »Bist du nicht noch zu jung dazu?«
Joy verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. »26. Da kann so was schon passieren.«
»Doktor? Echt?«, hakte Rick bewundernd nach. »Dann kannst du uns ja verarzten, wenn’s nötig ist.«
»Meine Güte!« Ed räusperte sich. »Du glaubst, dass jeder, der ’nen Doktortitel hat, Arzt ist? Mensch, bist nicht die hellste Kerze auf der Torte, oder?«
Rick grinste. »Die Kerze, die nicht so hell brennt, brennt dafür umso länger.« Rick hatte keine Probleme mit persönlichen Beleidigungen. Seine Intelligenz hatten schon die Lehrer auf dem Gymnasium in Frage gestellt. Es hatte Rick nie gestört, da er bei den Mitschülern umso beliebter wurde, je heftiger ihn die Lehrer angriffen. Vor allem die Mädchen konnten dem gut aussehenden Rebellen nicht widerstehen. Ihre Herzen flogen Rick scharenweise zu.
»Auch wieder wahr.« Ed verstand, dass er die Frohnatur Rick nicht so leicht reizen konnte. Er füllte zwei Gläser mit Champagner, reichte eins davon Rick und prostete ihm zu. »Na, dann lasst uns zusammen Spaß haben.«
Rick leerte sein Glas in einem Zug. »Was auf Love One passiert, bleibt auf Love One. Das ist nicht umsonst das Motto unseres Urlaubs. Meine Freunde, so eine Gelegenheit bietet sich nur einmal im Leben.«
Kim schloss die Augen. Ihre Gedanken kreisten nur noch um Joy. Wie konnte sie dieses Porzellanpüppchen ausstechen, das nicht nur blendend aussah, sondern auch noch ein verdammtes Genie war, das sich anschickte, die Welt zu retten? Joys Zickigkeit bot eine geeignete Angriffsfläche, glaubte sie. Das war in Kims Augen definitiv ein Plus bei der kommenden Auseinandersetzung. Und die Halbasiatin Liv? Ihre andere Konkurrentin war an den Männern in der Passagierkabine offenbar nicht interessiert. Oder war Rick längst Livs Favorit, und sie sparte ihre Energie? Weder Liv noch Joy würde sie Mike kampflos überlassen. Denn wer blieb da noch übrig? Die Aussicht, mit einem der anderen Männer an Bord flirten zu müssen, ließ Kims Stimmung ins Bodenlose fallen. Ed, der mürrische Intellektuelle, Rick, der Kaffeekocher für Hipster – gutaussehend, aber unterprivilegiert – und Claas, der Schweigsame mit der von ihr gehassten roten Haarfarbe. Kim hoffte inständig darauf, dass es einen attraktiven Personal Trainer auf der Yacht gab. Aber darauf konnte sie sich nicht verlassen.
»Hier ist Mike aus dem Cockpit«, meldete sich der Pilot über die Lautsprecher. »Eine Unwetterfront liegt vor uns. Es wird heftige Turbulenzen geben. Bitte bleiben Sie angeschnallt und suchen Sie das Bad nicht mehr auf. Wir werden in wenigen Minuten Love One erreichen.«
Kim seufzte innerlich. Was für eine tiefe, männliche Stimme. Sie musste Mike unbedingt bekommen.
»Na, unser George Clooney ist ja wirklich auf Zack«, machte sich Ed lustig. »Das Unwetter kann ja wahrlich nur ein Avionik-Experte erkennen.«
Ein heller Lichtblitz zuckte am rechten Seitenfenster vorbei. »Wow, was war das?«, fragte Liv. Beunruhigt blickte sie sich um. Für einen Moment dachte sie, dass die Maschine Feuer fangen würde.
»Ein Blitz ist eingeschlagen«, sagte Claas in belehrendem Tonfall. »Aber macht euch keine Sorgen. Wir sind hier sicher. Der Hubschrauber ist wie ein Faradayscher Käfig.«
Die anderen drehten sich zu Claas um, der während des ganzen Flugs noch nicht geredet hatte. Sie alle schienen für einen Moment über Claas’ plötzliche Wortmeldung mehr überrascht zu sein als über die Urgewalt, die durch das Unwetter entfacht wurde. Mit voller Wucht wurde jetzt die Maschine wie ein Spielball hin- und hergeworfen. Die Innenverkleidung knarzte so laut, als würde der Hubschrauber jeden Augenblick zerbrechen.
»Nur keine Panik«, versuchte Rick die anderen zu beruhigen. »Für den Sea Stallion ist das kein Ding.«
Ed sah nachdenklich aus dem Fenster. Zum ersten Mal verschwand das zynische Lächeln in seinem Gesicht. All die souveräne Distanziertheit, mit der er normalerweise seine Umgebung betrachtete, war von einem Augenblick zum anderen verschwunden. Angst machte sich in ihm breit. Er stellte das Glas ab, ohne den Champagner ausgetrunken zu haben. Die Lichter flackerten mehrere Sekunden lang, bevor sie erloschen. Die Notbeleuchtung, die den Weg zu den beiden Exit-Türen wies, tauchte die Gesichter der Passagiere in ein grünes Licht.
Claas musterte Rick verblüfft. »Du scheinst überhaupt keine Angst zu haben?«
»Die Firma hat immer ’nen Plan«, erwiderte Rick. »Das könnte alles ’n Test sein.«
»Test?« Claas hob die Augenbrauen. »Was meinst du damit? Dass GC den Urlaub als Assessment-Center nutzt, um unsere Fähigkeiten besser einschätzen zu können?«
Eds Gesichtsfarbe wechselte ins Graue. »Na, das wird ja immer besser.« Joy bot ihm eine Pille gegen Reisekrankheit an. Ed schluckte die Tablette und zerkaute sie, ohne Flüssigkeit zu sich zu nehmen. »Kein Vorspiel, sondern ’n verdammtes Assessment-Center.«
»Hier ist wieder Mike aus dem Cockpit. Bitte ziehen Sie die Schwimmwesten an, die Sie unter ihren Sesseln finden. Dies ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
»Jetzt werd’ ich aber auch unruhig«, gab Liv zu. »Schwimmweste? Die musste ich noch nie anziehen, obwohl ich seit Jahrzehnten Vielfliegerin bin.«
»Scheiße!« Claas blickte durch die Scheibe nach draußen. »Wir gehen runter! Aber weit und breit ist keine verdammte Yacht zu sehen!«
»Gibt es eigentlich ’n Copiloten?«, kam es Rick in den Sinn.
»Woher soll der kommen?«, brummte Ed. »Etwa unterwegs eingestiegen? Und Stewardessen gibt’s auch keine. Die Firma hat an alles gedacht? Am Arsch!«
»Seht!«, rief Rick, während er sein Gesicht gegen die Scheibe presste. »Da unten, da ... da hab’ ich was blinken sehen!«
»Hier ist Mike«, dröhnte es aus den Lautsprechern. »Wir gehen jetzt runter. Bereiten Sie sich auf eine raue Landung vor!«
»Soll das ’n Witz sein?«, regte sich Joy auf. »Davon war eben aber nicht die Rede.« Sie kramte nach dem Handy in ihrer Tasche. »Verflucht nochmal … ich muss ... ich kann ... es ist doch ... das geht doch nicht ... sterben? Einfach so? Wer kümmert sich denn jetzt um meine Algen?«
»Haltet euch fest!«, schrie Claas. Wie die anderen hatte er seine Schwimmweste aus der Ablage gezogen. Krampfhaft hielt er den orangefarbenen Lebensretter in seinen schwitzigen Händen fest. Das Adrenalin ließ seinen Körper erstarren. Eine Böe nach der nächsten riss an der Maschine. Das Geräusch der Rotoren wurde lauter, um dann vollständig zu verstummen. Einige Sekunden herrschte Totenstille.
»Fertig machen für den Impact!«, meldete sich die Stimme aus dem Cockpit. »Alles festhalten!«
»Oh, mein Gott«, flüsterte Ed.
Kim bekreuzigte sich, obwohl sie seit Jahren nicht mehr in die Kirche gegangen war.
»Das ist ’n kontrollierter Absturz!«, rief Rick. Seine Augen leuchteten, als hätte er ein Leben lang auf diesen einen Moment gewartet, sich auszeichnen zu können. Heldenhaft dem Tod gegenüberzutreten. »Wenn die Maschine ins Wasser knallt, reiß ich sofort die Tür auf. Macht euch keine Sorgen. Ich hol’ alle raus!«
»Wie kalt ist der Atlantik um diese Jahreszeit?«, murmelte Kim vor sich hin. »8°C?« Niemand überlebte länger als zehn Minuten in dieser Kälte. Selbst sie nicht, die den New-York-Marathon mit einem Muskelfaserriss durchgestanden hatte.
»Da unten ist Licht! Da blitzt doch was!« Eds Kehle schnürte sich zu. Inmitten des tosenden Meeres meinte er, für eine Sekunde lang eine Insel mit einem hohen Turm erkannt zu haben. War es real oder halluzinierte er im Angesicht des Todes? Ed zog sich die Schwimmweste über den Kopf, legte den Gurt um die Hüfte und ließ die Schnalle einrasten. Vor dreißig Jahren war er dem Tod schon einmal von der Schippe gesprungen. Geborgte Zeit, wie ihm jetzt schien. Der Tod stand ein zweites Mal vor der Tür. Ed steckte die Pfeife in den Mund, mit der man auf sich aufmerksam machte, wenn man im Wasser trieb. Sein Ende hatte er nun deutlich vor Augen. Vielleicht gab es bei der Rettungsmannschaft einen wie ihn, der beim Anblick einer steif gefrorenen Leiche, der eine lächerliche Trillerpfeife zwischen den Zähnen klemmte, seinen Spaß hatte. Wie auch immer es sein mochte, zweifellos ging der letzte Scherz auf seine Kosten.
Auf einer Hubschrauber-Landeplattform irgendwo im Nordatlantik ...
»Wo sind wir?« Auf dem Boden kriechend versuchte sich Joy zu orientieren. Die Passagierkabine des Sea Stallion war voller Rauch. Joy hustete. Sie zog am Seil ihrer Schwimmweste, die sich innerhalb von Sekunden selbsttätig aufblies. »Raus hier! Raus!«, hörte sie jemanden rufen. Wie eine Ameise, die sich an der Duftspur ihrer Geschwister orientierte, kroch sie entlang eines grün beleuchteten Bodenstreifens zum Exit.
»Wo bleibst du denn?« Rick ergriff Joys Arm und zog sie aus dem Hubschrauber. Seine Lederjacke war vollkommen durchnässt, die langen Haarsträhnen klebten an der Stirn. »Was hast du so lang gemacht?«
Joy warf einen Blick in die verrauchte Passagierkabine zurück. »Meine Tasche ... ich brauch’ doch meine Schlüssel … und auch meinen … Glücksbringer.«
»Bist du OK?«
Benommen fasste sich Joy an die Stirn. Sie schmeckte das Salz des Meerwassers auf ihrer Zunge. »Wo … wo ist das Meer?«
»Das Meer? Na, unter uns.«
»Unter uns?«, wiederholte Joy wie in Trance, ohne zu wissen, was sie da sagte.
Rick musterte Joy nun besorgt. »Ich glaub’, du hast ’nen Schock.«
Blut rann aus Joys Mund, vermischte sich mit Regentropfen und lief an ihrem Kinn herunter. »Meine Lippen … ich denk, ich hab’ mir auf die Lippen gebissen.«
»Kannst du noch?«
Joy nickte.
»Na, dann los!«
»Einen Moment.« Joy zog ihre hochhackigen Schuhe aus und nahm sie in die Hand. »So ist’s besser.«
»Jetzt aber schnell! Der Hubschrauber kann jederzeit von der Plattform rutschen!«
»Wie ...? Was ist das hier?«
»Ist doch egal, Hauptsache was Festes unter den Füßen.«
Der Sturm peitschte den Regen auf eine Landeplattform, die hell erleuchtet war. Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen sein konnte, war der Himmel pechschwarz. Der Sea Stallion hatte auf den Stahlplatten tiefe Schrammen hinterlassen. Durch die Härte des Aufpralls waren die Reifen geplatzt. Gut dreißig Meter weit war der Hubschrauber gerutscht, ehe die Seile des Fangnetzes ihn stoppten. Joy spürte die Anwesenheit des Meeres, auch wenn sie es in der Dunkelheit nicht sehen konnte. In ihren Ohren verfing sich ein dumpfes, allumfassendes Dröhnen. Ungezügelt und wild rangen die entfesselten Wassermassen mit der Plattform, als wäre diese nur ein unbedeutender Fremdkörper, den es zu verschlingen galt.
»Hier lang! Kommt!« Claas stand am anderen Ende der Plattform und winkte ihnen aufgeregt zu. Einander eingehakt, kämpften Joy und Rick gegen die Gewalt des Sturms an.
»Gleich seid ihr in Sicherheit!« Claas deutete auf eine Treppe, die nach unten führte. »Da sind Schutzräume!«
»Der Sturm wird immer stärker!« Rick wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, um besser sehen zu können.
»Die anderen sind schon unten!«, rief Claas. »Wo ist Mike? Wo ist unser Pilot?«
Rick deutete auf den Sea Stallion. »Der ist noch in der Kanzel. Er hat mir gesagt, dass er noch ’nen Notruf absetzen will.«
»Was hast du gesagt?«, schrie Claas.
»Notruf! Er will noch ’nen Notruf absetzen!«, brüllte Rick.
»Runter jetzt! Dieser scheiß Sturm fegt uns sonst noch ins Meer!«
»Wo sind wir hier nur?«, fragte Joy, an Rick geklammert. Die Landeplattform war nicht mehr als ein einsam strahlendes Lichtfeld, umgeben vom Nichts der Dunkelheit.
»Wir sind am Leben. Das ist alles, was im Moment zählt.«
In einer Aufenthaltslounge ...
»Es sieht aus wie ’ne Bohrinsel.« Mike hielt seinen Pilotenhelm in der Hand. Regenwasser tropfte von seinem durchnässten Overall auf den Teppichboden.
»Bohrinsel?«, wunderte sich Claas. »Ist da etwa was in den Karten eingezeichnet?«
»Nein«, erwiderte Mike.
»Woher willst du dann wissen, dass es ’ne Bohrinsel ist?«
»Wir wären fast gegen den Bohrturm geknallt. Es war haarscharf. In letzter Sekunde hab’ ich das Steuer rumgerissen.«
Kim wickelte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger und sah Mike verträumt an. Wie sehr genoss sie es, dass sich Ihre Brustwarzen wie damals beim Wet-T-Shirt-Contest in Miami durch die nasse Bluse drückten. »Danke, dass du uns heil runtergebracht hast«, himmelte sie Mike an.
Ed saß an der Theke und nippte an dem Longdrink, den er sich gerade aus Whiskey und Cola gemischt hatte. »Ja, Mike, ganz toll. Erwartest du jetzt von uns Applaus für deine grandiose Leistung oder was?«
»Ich erwarte nichts«, erwiderte Mike. »Ich bin froh, dass alle heil sind.«
»Nein, nein, Ehre, wem Ehre gebührt.« Ed lächelte abschätzig. »Vielen Dank, dass du uns mitten ins Unwetter geflogen hast und wir abgestürzt sind. Das ist sicher ’ne Meisterleistung, die höchstes fliegerisches Talent erfordert.«
»Meinst du, du kannst mich reizen?« Wütend schleuderte Mike seinen Helm auf den Boden. »Meinst du, das gelingt dir? So Arschlöcher wie dich kenne ich zur Genüge. Hörst du? Große Klappe und nichts dahinter. Immer ’nen zynischen Spruch auf Lager, aber wenn’s ernst wird, zieht ihr den Schwanz ein.«
Ed drehte sich auf seinem Barhocker um und sah Mike scheinbar gelangweilt an. »Zumindest fliege ich keine ahnungslosen Leute mitten in ein Unwetter biblischen Ausmaßes. Wie blöd kann man eigentlich sein?«
Claas gestikulierte beschwichtigend mit den Händen. »Ruhig Blut! Seien wir doch froh, dass wir noch leben.«
Rick betrachtete Ed, der mit seinem Longdrink immer noch nicht zufrieden schien und einen Schuss Single Malt nachgoss. »Also wenn wir noch in Schottland wären, würden sie dich dafür lynchen, Malt Whiskey mit Cola zu mischen.«
»Du glaubst doch nicht, dass mich das nach so ’ner Notlandung juckt«, erwiderte Ed. »Außerdem ist das Biocola.«
»Sind wir wegen des Blitzes abgestürzt?«, fragte Joy, während sie ihre Jeansjacke über einem Waschbecken der Bar auswrang.
»Ich weiß auch nicht genau, wie es passiert ist«, erwiderte Mike nachdenklich. »Das Unwetter war zwar heftig, aber das ist überhaupt kein Problem für den Hubschrauber. Dann war da plötzlich, wie aus dem Nichts, dieses Leuchten unter uns.«
»Leuchten?« Joy runzelte die Stirn.
Mike fuhr sich mit der Hand über den Bart. »Ich kann nur sagen, dass ohne Vorwarnung der Motor des Hubschraubers ausgefallen ist und ich runtergehen musste. Als wäre die Bohrinsel ... nun … wie soll ich sagen ... als wäre die Bohrinsel für den Ausfall der Maschine verantwortlich.«
»Was?« Joy wurde hellhörig »Wie soll das gehen?«
»Ich weiß auch nicht. Ich sag’ nur, wie ich es empfunden hab’.«
»Ein Pilot mit ‚Empfindungen’.« Ed zog die Augenbrauen hoch. »Das kann ja nicht gutgehen.«
»Was ist eigentlich mit dem Notruf?«, fragte Claas und ging zu einem Billardtisch in der Mitte der Lounge. »Hast du jemanden erreichen können?« Claas ließ beiläufig eine Kugel in ein Loch rollen.
»Ich hoffe schon.«
»Du hoffst?«
»Ich hab’ mehrmals SOS gefunkt, aber keine Antwort bekommen.«
»Welche Ölbohrinsel soll denn so weit draußen im Atlantik sein?