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Wie sauber ist unsere Mobilitätswende wirklich? Es ist ein Rohstoff, der unseren batteriebetriebenen Alltag am Laufen hält: Kobalt. Abgebaut wird es überwiegend in der Demokratischen Volksrepublik Kongo – unter dramatischen Menschenrechtsverletzungen. Welche Industrie steckt hinter unseren sauberen E-Autos, Smartphones und Laptops? Der Wirtschaftswissenschaftler und Aktivist Siddharth Kara ist auf seinen Reisen in die von Milizen kontrollierten Bergbauregionen bis tief in das finstere Herz unseres fossilen Kapitalismus vorgedrungen. In seinem Buch legt er erstmals die Lieferketten und Geschäftsmodelle der Tech- und Automobil-Konzerne offen, deren Nachhaltigkeitsversprechen sich selbst auf Vorzeigeminen als Fiktion erweisen. Er erkundet koloniale Hintergründe, die zu den heutigen Zuständen geführt haben, vor allem aber lässt er die Menschen zu Wort kommen, die für den Kobaltabbau ihr Leben riskieren. Eindrücklich und fundiert berichtet Kara aus den Untiefen unserer postimperialen Welt und erweitert unser Verständnis für die Effekte unserer globalen Wirtschaft, deren moralische Auswirkungen uns alle betreffen.
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Seitenzahl: 466
Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem TitelCobalt Red. How the Blood of the Congo Powers Our Lives bei St. Martin’s Press, einem Imprint der St. Martin’s Publishing Group, New York.
© 2023 by Siddharth Kara
© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe
by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Covergestaltung von Rothfos & Gabler, Hamburg
Coverabbildung von mauritius images / Erberto Zani / Alamy / Alamy Stock Photos
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783749906949
www.harpercollins.de
Für meine Tochter
CDM
Congo DongFang Mining
CMKK
Coopérative Minière Maadini kwa Kilimo
CMOC
China Molybdenum Company
COMAKAT
Coopérative Minière et Artisanale du Katanga
COMIAKOL
Coopérative Minière Artisanale de Kolwezi
COMIKU
Coopérative Minière KUPANGA
COMMUS
La Compagnie Minière de Musonoie Global SAS
FARDC
Forces Armées de la République Démocratique du Congo
Gécamines
La Générale des Carrières et des Mines
IDAK
Investissements Durables au Katanga
KCC
Kamoto Copper Company
KICO
Kipushi Corporation
MIKAS
La Minière de Kasombo
MUMI
Mutanda Mining Sarl
SAEMAPE
Service d’Assistance et d’Encadrement de L’Exploitation Minière Artisanale et à Petite Echelle
SAESSCAM
Service d’Assistance et d’Encadrement du Small-Scale Mining
SICOMINES
Sino-Congolaise des Mines
TFM
Tenke Fungurume Mining
UMHK
Union Minière du Haut-Katanga
ZEA
Zone d’Exploitation Artisanale
Nyama tembo kula hawezi kumaliza. (»Du wirst niemals das Fleisch eines ganzen Elefanten verspeisen können.«)
Kongolesisches Sprichwort
»Das war also die Hauptaufgabe: die Welt davon zu überzeugen, dass das Grauen im Kongo nicht nur eine unbestreitbare Tatsache, sondern weder zufällig noch vorübergehend war und auch nicht von innen heraus überwunden werden konnte … Zu zeigen, dass es gleichzeitig ein Überleben und ein Wiederaufleben des Sklavengeistes und des Sklavenhandels war.«
E. D. Morel, History of the Congolese Reform Movement (1914)
Die Augen der Soldaten funkeln, als sie ihre Waffen auf die Dorfbewohner richten, die versuchen, in das Abbaugebiet von Kamilombe zu gelangen. Sie möchten zu ihren Angehörigen, die nur einen Steinwurf entfernt sind, dennoch wird den Dorfbewohnern der Zugang verwehrt. Was hier geschehen ist, soll niemand sehen. Es darf keine Aufzeichnungen oder Beweise geben, nur die quälenden Erinnerungen derer, die sich an diesem Ort aufhielten, an dem jede Hoffnung verloren ging. Mein Führer drängt mich, Abstand zu halten; die Situation sei unberechenbar. Vom Rand aus sind die Einzelheiten des Unfalls kaum zu erkennen. Über der Kraterlandschaft liegt ein bleierner Dunst, der das Licht nicht durchlässt. Entfernte Hügel erscheinen als vage Silhouette eines schwerfälligen Ungeheuers.
Ich trete näher heran, um zu sehen, was hier passiert ist, und schiebe mich vorsichtig in die aufgeregte Menschenmenge hinein. Ich erblicke einen Körper im Schutt. Es ist ein Kind, das regungslos in einem Inferno aus Staub und Verzweiflung liegt. Ich versuche seine Gesichtszüge zu erkennen, aber sie entziehen sich mir. Der ockerfarbene Kies, der den leblosen Körper umgibt, ist in dunklen Rottönen gefärbt, wie gebrannte Umbra oder verrostetes Metall. Bislang dachte ich, dass der Boden im Kongo seinen zinnoberroten Farbton vom Kupfer in der Erde erhält, jetzt aber frage ich mich, ob die Erde hier rot ist, weil so viel Blut auf ihr vergossen wurde.
Ich gehe näher an die Absperrung heran, um das Kind besser sehen zu können, doch die Anspannung zwischen den Soldaten und den Dorfbewohnern verschärft sich. Ein Soldat schreit mich wütend an und richtet seine Waffe auf mich. Ich sei zu nahe herangekommen und zu lange stehen geblieben. Ich werfe noch einen letzten Blick auf das Kind. Jetzt kann ich sein Gesicht sehen, das in einem grauenhaften Ausdruck des Schreckens erstarrt ist. Das ist das bleibende Bild, das ich aus dem Kongo mitnehme – das Herz Afrikas, heruntergebrochen auf die blutbefleckte Leiche eines Kindes, das nur deshalb starb, weil es nach Kobalt grub.
In der Demokratischen Republik Kongo tobt ein erbitterter Wettkampf um die schnellstmögliche Förderung von Kobalt. Dieses relativ seltene silbrige Metall ist ein wesentlicher Bestandteil fast aller heute hergestellter Lithium-Ionen-Batterien. Darüber hinaus wird es in einer Vielzahl von kohlenstoffarmen Innovationen eingesetzt, die für das Erreichen der von den Regierungen verkündeten Klimaziele von entscheidender Bedeutung sind. Die Region Katanga in der südöstlichen Ecke des Kongo verfügt über größere Kobaltvorkommen als der Rest der Erde zusammen. Diese Region ist auch reich an anderen wertvollen Metallen, darunter Kupfer, Eisen, Zink, Zinn, Nickel, Mangan, Germanium, Tantal, Wolfram, Uran, Gold, Silber und Lithium. Diese Vorkommen waren schon immer da und schlummerten seit Äonen tief in der Erde, bevor die Nachfrage ausländischer Volkswirtschaften sie wertvoll machte. Industrielle Innovationen kurbelten die Nachfrage an, ein Material nach dem anderen wurde begehrter, und irgendwie waren sie alle in der Region Katanga zu finden. Auch der übrige Kongo ist reich an natürlichen Ressourcen. Ausländische Mächte sind in alle Winkel dieses Landes vorgedrungen, um seine reichen Vorkommen an Elfenbein, Palmöl, Diamanten, Holz, Kautschuk abzubauen … und die Menschen zu Sklaven zu machen. Nur wenige Länder sind mit einem so vielfältigen Reichtum an Ressourcen gesegnet wie der Kongo. Und kein Land der Welt wurde so stark ausgebeutet wie der Kongo.
Die heutige Jagd nach Kobalt erinnert an die exzessive Plünderung der Elfenbein- und Kautschukvorkommen des Kongo durch den belgischen König Leopold II. während seiner grausamen Herrschaft als Regent des Kongo-Freistaates von 1885 bis 1908. Historiker, die mit Leopolds Regime vertraut sind, werden zu Recht darauf verweisen, dass die damals begangenen Grausamkeiten nicht mit dem heutigen Leid zu vergleichen sind. Allerdings verloren während Leopolds Herrschaft über den Kongo nach Schätzungen bis zu 13 Millionen Menschen ihr Leben, was etwa der Hälfte der damaligen Bevölkerung der Kolonie entspricht. Die Zahl der Todesopfer, die unmittelbar durch Unfälle im Bergbau oder indirekt durch toxische Belastungen und Umweltverschmutzung in den Bergbauprovinzen verursacht wird, dürfte heute bei einigen Tausend pro Jahr liegen. Dabei ist jedoch eine entscheidende Tatsache zu berücksichtigen: Der Kolonialismus war jahrhundertelang darauf ausgerichtet, die Menschen in Afrika zu versklaven. In der Neuzeit wird die Sklaverei allgemein abgelehnt, und die grundlegenden Menschenrechte gelten im internationalen Recht als erga omnes und jus cogens. Die fortgesetzte Ausbeutung der ärmsten Menschen im Kongo durch die Reichen und Mächtigen stellt die angebliche moralische Grundlage der heutigen Zivilisation aber infrage und wirft die Menschheit in eine Zeit zurück, in der die Menschen Afrikas nur nach ihren Wiederbeschaffungskosten bewertet wurden. Die Auswirkungen dieser moralischen Umkehrung, die selbst eine Form der Gewalt ist, reichen weit über Zentralafrika hinaus und betreffen den gesamten globalen Süden, wo eine riesige Unterschicht der Menschheit weiterhin unter sklavenähnlichen Bedingungen am untersten Ende der globalen Wirtschaftsordnung ein menschenunwürdiges Dasein fristet. Seit der Kolonialzeit hat sich weniger geändert, als wir vielleicht wahrhaben wollen.
Die brutale Realität des Kobaltabbaus im Kongo ist allen Beteiligten der Lieferkette unangenehm. Kein Unternehmen will zugeben, dass die Akkus für Smartphones, Tablets, Laptops und Elektrofahrzeuge Kobalt enthalten, das von Bauern und Kindern unter gefährlichen Bedingungen abgebaut wird. In öffentlichen Bekanntmachungen und Pressemitteilungen verweisen die Unternehmen, die an der Spitze der Kobaltkette stehen, in der Regel auf ihre Verpflichtung zur Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen, auf ihre Nulltoleranzpolitik gegenüber Kinderarbeit und auf die Einhaltung höchster Sorgfaltsstandards in der Lieferkette. Hier einige Beispiele: 1
Apple setzt sich für den Schutz der Umwelt und das Wohlergehen jener Millionen von Menschen ein, die in unsere Produktions- und Lieferkette eingebunden sind – vom Bergbau bis zu den Einrichtungen, in denen unsere Produkte montiert werden. Bis zum 31. Dezember 2021 wurden alle Schmelzwerke und Raffinerien in unserer Lieferkette einem Überprüfungsverfahren oder einem Audit durch eine dritte Partei unterzogen, das Apples Anforderungen an eine verantwortungsbewusste Beschaffung von Mineralien entspricht.
Samsung verfolgt eine Nulltoleranzpolitik gegen Kinderarbeit, die gemäß internationalen Standards und einschlägigen nationalen Gesetzen und Vorschriften in allen Bereichen seiner weltweiten Geschäftstätigkeit untersagt ist.
Die verantwortungsvollen Beschaffungspraktiken von Tesla gelten für alle Materialien und Partner in unserer Lieferkette und wir sind uns der Bedingungen bewusst, die mit dem handwerklichen Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo verbunden sind. Um sicherzustellen, dass die Beschaffung von Kobalt in der Lieferkette von Tesla ethischen Grundsätzen entspricht, haben wir dafür spezifische Due-Diligence-Verfahren eingeführt.
Die Achtung der Menschenrechte ist für die Daimler ein grundlegender Bestandteil verantwortungsvoller Unternehmensführung. … Ziel ist es, dass unsere Produkte nur Rohstoffe und Materialien enthalten, die ohne Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards abgebaut oder hergestellt wurden.
Glencore plc hat sich verpflichtet, das Auftreten von moderner Sklaverei und Menschenhandel in unseren Betrieben und Lieferketten zu verhindern. Wir dulden weder Kinderarbeit noch irgendeine Form von Zwangsarbeit noch Menschenhandel oder irgendeine andere Form der Sklaverei und bemühen uns, diese zu identifizieren und aus unseren Lieferketten zu entfernen.
Nachdem die Bedingungen der Kobaltförderung vermehrt in den Blickpunkt geraten sind, haben die beteiligten Unternehmen internationale Zusammenschlüsse gebildet, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten sauber sind. Die beiden führenden Zusammenschlüsse sind die Responsible Minerals Initiative (RMI) und die Global Battery Alliance (GBA). Die RMI fördert die verantwortungsvolle Beschaffung von Mineralien in Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Zur Plattform der RMI gehört der Responsible Minerals Assurance Process (RMAP), der unabhängige Bewertungen von Kobaltlieferketten durch Dritte unterstützen und Kobaltabbaustätten in der Demokratischen Republik Kongo auf Kinderarbeit überwachen soll. Die GBA setzt sich für sichere Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung von Rohstoffen für wiederaufladbare Batterien ein. Sie hat eine Aktionspartnerschaft entwickelt, um »Kinder- und Zwangsarbeit in der Kobaltwertschöpfungskette umgehend zu beseitigen« 2 , und zwar durch Vor-Ort-Überwachung und Bewertungen Dritter.
Während meiner gesamten Zeit im Kongo habe ich nie etwas von Aktivitäten gesehen oder gehört, die mit einer dieser Koalitionen in Verbindung stehen, geschweige denn von Maßnahmen, die auf eine konkrete Umsetzung der Verpflichtungen der Unternehmen zu internationalen Menschenrechtsstandards, Audits durch Dritte oder eine Nulltoleranzpolitik gegenüber Zwangs- und Kinderarbeit hinweisen könnten. Im Gegenteil: In den 21 Jahren, in denen ich mich mit Sklaverei und Kinderarbeit befasse, habe ich noch nie eine so extreme Ausbeutung aus Profitgründen gesehen wie am unteren Ende der globalen Kobaltlieferketten. Die großen Unternehmen, die Produkte mit kongolesischem Kobalt verkaufen, sind Billionen wert, doch die Menschen, die diesen Rohstoff aus dem Boden holen, leben in extremer Armut und unermesslichem Leid. Sie fristen ein menschenunwürdiges Dasein in einer Umgebung, die von ausländischen Bergbauunternehmen wie eine Giftmüllhalde behandelt wird. Millionen von Bäumen wurden abgeholzt, Dutzende von Dörfern zerstört, Flüsse und Luft verschmutzt und Ackerland vernichtet. Unser alltägliches Leben wird durch eine menschliche und ökologische Katastrophe im Kongo ermöglicht.
Auch wenn das Ausmaß der Zerstörung durch den Kobaltabbau im Namen erneuerbarer Energien beispiellos ist, so ist die widersprüchliche Natur des Bergbaus doch nicht neu. Einige der bahnbrechendsten Entwicklungen in der menschlichen Zivilisation wären nicht möglich gewesen, ohne die Erde nach Mineralien und Metallen abzugraben. Die Revolution begann vor etwa 7000 Jahren, als die Menschen erstmals Feuer einsetzten, um abgebaute Materialien zu verarbeiten. Metalle wurden geschmolzen und zu Gegenständen geformt, die für den Handel, als Schmuck und Waffen verwendet wurden. Vor 5000 Jahren wurde Zinn entdeckt und mit Kupfer vermischt, um Bronze herzustellen, die erste Legierung, die härter war als ihre Bestandteile. Die Bronzezeit war geboren, und das Aufkommen der Metallverarbeitung ermöglichte rasche Fortschritte der menschlichen Zivilisation. Bronze wurde zur Herstellung von Waffen, landwirtschaftlichen Geräten und Münzen gebraucht. Die ersten Schriftzeichen entstanden, das Rad wurde erfunden, und die städtische Zivilisation entwickelte sich. In der Bronzezeit wurde auch erstmals Kobalt zum Färben von Töpferwaren verwendet. In der Eisenzeit wurde Eisenerz abgebaut und zu Stahl verhüttet, der zur Herstellung leistungsfähigerer Werkzeuge und Waffen diente. Es wurden Armeen aufgestellt und Reiche errichtet. Im frühen Mittelalter vergaben die Europäer die ersten Bergbaukonzessionen. Gegen einen Teil der Einnahmen boten Regierungen kommerziellen Unternehmen das Recht an, auf einem Grundstück Mineralien abzubauen – ein System, das bis heute fortbesteht.
Die Bergbautechnologie machte im späten Mittelalter einen großen Sprung nach vorn, als die Bergleute begannen, Schwarzpulver aus China zu verwenden, um große Felsen zu sprengen. Der Zustrom von Bodenschätzen aus der Neuen Welt, insbesondere von Gold, finanzierte einen Großteil der Renaissance und führte zur industriellen Revolution, aus der die moderne Bergbauindustrie hervorging. Der Kohleabbau trieb die Industrialisierung voran und setzte eine problematische Entwicklung in Gang, die durch Umweltverschmutzung, Verschlechterung der Luftqualität und zunehmende Klimaveränderungen geprägt war. Die industrielle Revolution hatte weitere Verbesserungen der Bergbautechnik zur Folge: Mechanische Bohrer steigerten die Effizienz beim Abbau von hartem Gestein, und die manuelle Verladung und Beförderung wurde durch elektrische Förderbänder, Grubenwagen und Schwerlastfahrzeuge ersetzt. Diese und andere technische Fortschritte ermöglichten es den Bergbauunternehmen, tiefer zu graben und in größerem Umfang als je zuvor Metalle und Mineralien zu fördern.
Im späten 20. Jahrhundert beeinflusste der Bergbau nahezu alle Aspekte des modernen Lebens. Stahl wurde für Gebäude, Häuser, Brücken, Schiffe, Züge, Fahrzeuge und Flugzeuge verwendet. Aluminium, Zinn, Nickel und andere Metalle kamen in unzähligen industriellen und privaten Zwecken zum Einsatz. Kupfer wurde für elektrische Leitungen und Schaltkreise, militärische Geschütze und Industriemaschinen genutzt. Erdölderivate bescherten uns Kunststoffe. Die Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft wären ohne Maschinen aus abgebauten Materialien nicht möglich gewesen. Obwohl die heutige billionenschwere Bergbauindustrie von Kohle, Eisen, Bauxit, Phosphat, Gips und Kupfer dominiert wird, gewinnen die sogenannten strategischen Metalle oder seltenen Erden, die in modernen technischen Geräten und erneuerbaren Energieträgern verwendet werden, rasch an wirtschaftlicher und geopolitischer Bedeutung. Viele dieser strategischen Mineralien sind in Zentralafrika zu finden, darunter vor allem Kobalt.
Den größten Teil seiner Geschichte war der Bergbau auf die Ausbeutung von Sklaven und mittellosen Arbeitern angewiesen, die das Erz aus der Erde holten. Die Unterdrückten wurden zu dieser Arbeit gezwungen, sie gruben unter gefährlichen Bedingungen, ohne Rücksicht auf ihre Sicherheit und für wenig oder gar keinen Lohn. Heute werden diese Arbeitskräfte mit dem etwas sonderbaren Begriff »handwerkliche Bergleute« oder auch Kleinbergbauern oder Kleinschürfer bezeichnet, und sie schuften in einem weitgehend unsichtbaren Teil der globalen Bergbauindustrie, dem sogenannten Artisanal and Small-Scale Mining (ASM), dem handwerklichen bzw. Kleinbergbau oder unabhängigen Subsistenzbergbau in kleinem Maßstab. Durch das Wort handwerklich darf man sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, dass es sich bei ASM um annehmliche, geregelte Bergbauaktivitäten handele, die von geschickten Handwerkern durchgeführt werden. Handwerkliche Bergleute bzw. Kleinschürfer verwenden rudimentäre Arbeitswerkzeuge, um unterschiedlichste Mineralien und Edelsteine unter schwersten Verhältnissen abzubauen. Kleinbergbau wird in mehr als 80 Ländern des globalen Südens betrieben. Da der handwerkliche Bergbau fast ausschließlich informell erfolgt, bestehen nur selten schriftliche Vereinbarungen über Löhne und Arbeitsbedingungen. In der Regel gibt es auch weder die Möglichkeit, bei Verletzungen Hilfe zu suchen, noch ein Rechtsmittel, um eine Entschädigung einzufordern. Kleinschürfer erhalten fast immer nur einen kümmerlichen Lohn, der auf Basis der Stückzahl gezahlt wird, außerdem müssen sie alle Risiken von Verletzungen, Krankheit oder Tod selbst tragen.
Obwohl dieser Kleinbergbau mit gefährlichen Arbeitsbedingungen verbunden ist, wächst der Sektor schnell. Weltweit sind etwa 45 Millionen Menschen direkt im Kleinbergbau beschäftigt, das sind etwa 90 Prozent aller Bergarbeiter. Trotz zahlreicher Fortschritte bei Maschinen und Techniken ist die Bergbauindustrie in hohem Maße auf den Einsatz von Kleinschürfern angewiesen, um die Produktion zu steigern und die Kosten niedrig zu halten. Der Beitrag des handwerklichen Bergbaus ist beträchtlich: Er macht zum Beispiel 26 Prozent des weltweiten Angebots des Metalls Tantal aus, 25 Prozent bei Zinn und Gold, 20 Prozent bei Diamanten, 80 Prozent bei Saphiren und bei Kobalt bis zu 30 Prozent. 3
Um die Gegebenheiten des Kobaltabbaus im Kongo aufzudecken, reiste ich in das Herz der beiden Bergbauprovinzen des Landes – nach Haut-Katanga und Lualaba. Ich arbeitete wohldurchdachte Pläne aus, wie ich meine Untersuchungen durchführen wollte, aber viele musste ich gleich nach meiner Ankunft wieder verwerfen. Die Bedingungen waren in jeder Hinsicht schwierig: aggressive Sicherheitskräfte, intensive Überwachung, die Abgeschiedenheit vieler Bergbaugebiete, das Misstrauen gegenüber Außenstehenden und das schiere Ausmaß von Hunderttausenden von Menschen, die unter mittelalterlichen Bedingungen fieberhaft nach Kobalt schürfen. Zeitweise glaubte ich, in einer verqueren Zeitreise zu stecken. Die fortschrittlichsten elektronischen Geräte und Elektrofahrzeuge der Welt sind auf eine Substanz angewiesen, die von den geschundenen Händen von Bauern mit Spitzhacken, Schaufeln und Pickeln abgebaut wird. Die Arbeit der Menschen wird kleinlich bewertet, ihr Leben ist dagegen so gut wie gar nichts wert. Es gab viele blutigere Episoden in der Geschichte des Kongo als das, was dort heute im Bergbausektor geschieht, aber keine, die mit so viel Leid für so viel Profit einherging und so eng mit dem Leben von Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt verbunden ist.
Die Feldforschung zu diesem Buch wurde auf Besuchen in den Bergbauprovinzen des Kongo in den Jahren 2018, 2019 und 2021 durchgeführt. Im Jahr 2020 waren Reisen aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht möglich. Während die Pandemie überall auf der Welt verheerenden Schaden anrichtete, blieben die Auswirkungen auf die mittellosen Menschen, die im Bergbau tätig sind, weitgehend unbeachtet. Als die großen Minen in den Jahren 2020 und 2021 für längere Zeit geschlossen wurden, kam die Nachfrage nach Kobalt nicht zum Erliegen. Sie stieg sogar noch an, weil die Menschen auf der ganzen Welt mehr denn je auf ihre wiederaufladbaren Geräte angewiesen waren, um von zu Hause aus arbeiten oder am Schulunterricht teilnehmen zu können. Die gestiegene Nachfrage nach Kobalt zwang Hunderttausende von kongolesischen Bauern, die ohne die ein oder zwei Dollar, die sie täglich damit verdienten, nicht überleben konnten, ungeschützt in die Gräben und Stollen zu klettern, um das Kobalt abzubauen. In den Kleinbergbauminen des Kongo, wo es unmöglich war, Masken zu tragen und Abstand zu halten, verbreitete sich Covid-19 schnell. Die Kranken und Toten, die sich infiziert hatten, wurden nie gezählt, sodass die Zahl der Opfer in der Branche unbekannt ist.
Um die Zeugenaussagen in diesem Buch festzuhalten, habe ich mir viel Zeit genommen und mir die Geschichten der Menschen angehört, die in den Bergbauprovinzen leben und arbeiten. Einige sprachen für sich selbst; andere sprachen für die Toten. Bei allen Interviews mit Bergleuten und anderen Informanten habe ich die Richtlinien des Institutional Review Board (IRB) befolgt. Diese Richtlinien sollen die Quellen vor möglichen negativen Folgen aus ihrer Teilnahme an der Forschung schützen und beinhalten die Einholung einer informierten Zustimmung vor der Durchführung eines Interviews; ferner dürfen keine persönlichen Daten aufgezeichnet werden, und es muss sichergestellt werden, dass alle schriftlichen oder getippten Notizen stets im Besitz des Interviewers bleiben. Diese Verfahren sind im Kongo besonders wichtig, weil die Gefahren, die mit Gesprächen mit Außenstehenden verbunden sind, extrem hoch sind. Die meisten Arbeiter im Kleinbergbau und ihre Familienangehörigen wollten aus Angst vor Repressalien nicht mit mir sprechen.
Meine Nachforschungen in der Demokratischen Republik Kongo waren nur mit der Hilfe lokaler Führer und Übersetzer möglich, die in den örtlichen Gemeinschaften Vertrauen genossen. Sie halfen mir, Zugang zu zahlreichen Bergbaustätten und zu den Menschen zu erhalten, die dort schufteten. Alle Führer, die mit mir zusammenarbeiteten, taten dies unter erheblichem persönlichem Risiko. Die kongolesische Regierung hat in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Bergbauprovinzen zu verschleiern. Diejenigen, die versuchen, die wahren Verhältnisse aufzudecken, wie zum Beispiel Journalisten, NGO-Mitarbeiter, Forscher oder ausländische Nachrichtenmedien, werden während ihres Aufenthalts streng überwacht. Das kongolesische Militär und andere Sicherheitskräfte sind in den Bergbauprovinzen allgegenwärtig, was den Zugang zu den Gebieten gefährlich und manchmal sogar unmöglich macht. Vermeintliche Unruhestifter müssen mit Verhaftung, Folter oder Schlimmerem rechnen. Aus Vorsicht habe ich für meine Guides und die mutigen Menschen, deren Aussagen in diesem Buch wiedergegeben werden, Pseudonyme verwendet. Alle persönlichen Beschreibungen oder Informationen, die zur Identifizierung dieser Personen genutzt werden könnten, habe ich auf ein Minimum beschränkt, weil auch solche Informationen sie und ihre Familien in Gefahr bringen könnten.
Das Ausmaß der Schäden durch den Kobaltabbau ist für die Menschen im Kongo leider keine neue Erfahrung. Der jahrhundertelange europäische Sklavenhandel, der um das Jahr 1500 begann, fügte der einheimischen Bevölkerung irreparable Schäden zu und gipfelte in der Kolonisierung des Landes durch den belgischen König Leopold II., die den Grundstein für die bis heute andauernde Ausbeutung legte. Die Beschreibungen von Leopolds Regime treffen in bestürzender Weise auch auf den heutigen Kongo zu.
Joseph Conrad verewigte die schrecklichen Verhältnisse in Leopolds Kongo-Freistaat in seiner Erzählung Herz der Finsternis (1899) mit vier Worten: »Das Grauen! Das Grauen!« Später beschrieb er den Kongo-Freistaat als das »abscheulichste Gerangel um Beute, das je die Geschichte des menschlichen Gewissens entstellt hat« und als ein Land, in dem »grässliche, systematische Grausamkeit gegenüber den Schwarzen die Grundlage der Verwaltung ist«. Im Jahr nach der Veröffentlichung von Herz der Finsternis bezeichnete E. S. Grogan, der als der erste Mensch gilt, der Afrika vom Kap bis nach Kairo durchwanderte, Leopolds Territorium als »blutsaugerisches Geschöpf«. In The Casement Report (1904) beschrieb Roger Casement, britischer Konsul im Kongo-Freistaat, die Kolonie als eine »wahre Hölle auf Erden«. Casements unermüdlicher Verbündeter in seinem Kampf um die Beendigung des Regimes von Leopold, E. D. Morel, schrieb, der Kongo-Freistaat sei »ein vervollkommnetes System der Unterdrückung, verbunden mit unvorstellbarer Barbarei und verantwortlich für die ungeheuerliche Zerstörung menschlichen Lebens«. 4
Alle diese Beschreibungen treffen auch auf die heutigen Verhältnisse in den Gebieten des Kobaltbergbaus zu. Wer den dreckverschmierten Kindern in der Region Katanga auch nur eine kurze Zeit dabei zusieht, wie sie in der Erde nach Kobalt wühlen, kann schwerlich sagen, ob sie immer noch zum Wohle Leopolds oder eines großen Technologieunternehmens arbeiten.
Obwohl die Menschen im Kongo jahrhundertelang unter der Ausbeutung gelitten haben, gab es einen kurzen Moment – einen flüchtigen Lichtblitz zu Beginn der Unabhängigkeit im Jahr 1960 –, in dem sich die Entwicklung der Nation einschneidend hätte ändern können. Der erste demokratisch gewählte Premierminister des Landes, Patrice Lumumba, gab der Nation einen Ausblick auf eine Zukunft, in der das kongolesische Volk sein Schicksal selbst bestimmen, die Ressourcen des Landes zum Wohle der Menschen nutzen und die Einmischung ausländischer Mächte zurückweisen konnte, welche die Ressourcen des Landes weiter ausbeuten wollten. Es war eine kühne, antikoloniale Vision, die den Verlauf der Geschichte im Kongo und in ganz Afrika hätte verändern können. Doch Belgien, die Vereinten Nationen, die USA und die von ihnen vertretenen neokolonialen Kräfte lehnten Lumumbas Vision umgehend ab, verschworen sich zu seiner Ermordung und setzten Joseph Mobutu an seiner Stelle ein, der zu einem gewalttätigen Diktator werden sollte. 32 Jahre lang unterstützte Mobutu die westliche Agenda, sorgte dafür, dass die Bodenschätze Katangas in den Westen flossen, und bereicherte sich selbst ebenso ungeheuerlich wie die Kolonialherren vor ihm.
Von allen Tragödien, die den Kongo heimgesucht haben, ist die vielleicht größte die Tatsache, dass das Leid, das sich heute in den Bergbauprovinzen abspielt, eigentlich völlig vermeidbar wäre. Aber warum sollte man ein Problem beheben, wenn niemandem bewusst ist, dass es überhaupt existiert? Die meisten Menschen wissen nicht, was in den Kobaltminen des Kongo geschieht, weil die Realität hinter den weitverzweigten multinationalen Lieferketten verborgen ist, die dazu dienen, die Verantwortung zu verschleiern. Verfolgt man die Kette vom Kind, das in der Kobaltmine schuftet, bis zu den wiederaufladbaren Geräten und Elektroautos, die an Verbraucher in aller Welt verkauft werden, führen all ihre Glieder bis zur Unkenntlichkeit in die Irre, wie beim Hütchenspiel eines Betrügers.
Diese systematische Verschleierung des Ausmaßes der Ausbeutung mittelloser Schwarzer am unteren Ende der globalen Lieferketten reicht Jahrhunderte zurück. Nur wenige Menschen, die im England des 17. Jahrhunderts beim Frühstück saßen, wussten, dass ihr Tee mit Zucker gesüßt war, der unter unmenschlichen Bedingungen von afrikanischen Sklaven in Westindien geerntet wurde. An einem Ort, der sich weit entfernt von den britischen Frühstückstischen befand, blieben die Sklaven unter Verschluss, bis Abolitionisten den Engländern das wahre Bild der Sklaverei vor Augen führten. Die Vertreter der beteiligten Unternehmen kämpften für die Aufrechterhaltung des Systems. Sie erklärten der britischen Öffentlichkeit, nicht zu glauben, was man ihr erzählte. Sie betonten, wie human der Sklavenhandel eigentlich sei – die Afrikaner litten nicht, sondern würden vor der Grausamkeit des dunklen Kontinents »gerettet«. Sie behaupteten, dass die Afrikaner auf den Plantagen unter guten, annehmbaren Bedingungen arbeiteten. Als diese Argumente nicht mehr überzeugten, behaupteten die Sklavenhändler, sie hätten Änderungen vorgenommen, um etwaige Vergehen oder Verfehlungen auf den Plantagen zu beheben. Wer wollte schon den weiten Weg zu den Westindischen Inseln auf sich nehmen, um das Gegenteil zu beweisen, und selbst wenn, wer würde ihm glauben?
Die Wahrheit war jedoch, dass ohne die Nachfrage nach Zucker und die immensen Gewinne aus dem Zuckerverkauf das gesamte System des »Sklavenhandels für Zucker« nicht existiert hätte. Zudem kann ein System, das den Betroffenen ihre Würde nimmt, ihre Sicherheit, ihre Einkommensmöglichkeiten und ihre Freiheit, nur zu einer völligen Entmenschlichung der ausgebeuteten Menschen am unteren Ende der Kette führen.
Die Tech-Barone von heute werden Ihnen eine ähnliche Geschichte über Kobalt erzählen. Sie werden Ihnen sagen, dass sie die internationalen Menschenrechtsnormen einhielten und dass ihre Lieferketten sauber seien. Sie werden Ihnen versichern, dass die Arbeitsbedingungen nicht so schlecht seien, wie es erscheinen mag, und dass sie den ärmsten Menschen in Afrika Handel, Löhne, Bildung und Entwicklung brächten (sie gewissermaßen »retten«). Sie werden Ihnen auch beteuern, dass sie Missstände behoben hätten, zumindest in jenen Minen, von denen sie nach eigenen Angaben Kobalt beziehen. Denn wer würde schon in den weit entfernten Kongo reisen, um diese Aussagen zu überprüfen, und wer würde ihnen glauben, wenn sie das Gegenteil beweisen wollten?
Die Wahrheit ist jedoch, dass ohne die Nachfrage der Konzerne nach Kobalt und die immensen Gewinne, die sie durch den Verkauf von Smartphones, Tablets, Laptops und Elektrofahrzeugen erzielen, die gesamte »Blut für Kobalt«-Wirtschaft nicht existieren würde. Darüber hinaus kann das unvermeidliche Ergebnis eines ungezügelten Kampfes um Kobalt in einem verarmten und vom Bürgerkrieg zerrissenen Land nur die völlige Entmenschlichung der Menschen sein, die am unteren Ende der Kette ausgebeutet werden.
So viel Zeit ist vergangen, nur so wenig hat sich geändert.
Die Bedingungen für die Kobaltschürfer im Kongo sind nach wie vor äußerst trostlos, dennoch gibt es Anlass zur Hoffnung. Das Bewusstsein für ihre Notlage wächst und damit auch die Hoffnung, dass ihre Stimme nicht mehr im Leeren verhallt, sondern in die Herzen der Menschen am anderen Ende der Kette dringt, die endlich erkennen, dass das Kind, dessen blutüberströmte Leiche im Dreck liegt, eines der ihren ist.
Es ist eine in jeder Hinsicht ungeheuerliche und grausame Lüge. Wäre sie nicht so entsetzlich, könnte schon ihre schiere Unverfrorenheit unterhaltsam sein.
Joseph Conrad, Brief an Roger Casement (17. Dezember1903)
Wir alle wissen, wie abhängig die heutige Welt von fossilen Brennstoffen ist. Erdöl, Kohle und Erdgas werden in jedem Winkel der Erde abgebaut, unter Meeren, Wüsten, Bergen und auf dem Festland. Stellen Sie sich einen Moment vor, fast drei Viertel aller fossilen Brennstoffe unter der Erdoberfläche würden stattdessen auf einem einzigen Fleck Erde von etwa 400 mal 100 Kilometern Größe gefördert. Stellen Sie sich weiter vor, dass sich innerhalb dieses Flecks Erde etwa die Hälfte des Öls in einer einzigen Stadt und ihrem Umland befände und dass die Lagerstätten so nahe an der Oberfläche lägen, dass praktisch jeder mit einer Schaufel darauf zugreifen könnte. Dies wäre sicherlich die unentbehrlichste Stadt der Welt. Große Bohrunternehmen würden in Scharen anrücken, um Ansprüche auf diese Reichtümer zu erheben. Das Gleiche gilt für die örtliche Bevölkerung im Umkreis. Man würde versuchen, mit Gewalt die Kontrolle über wertvolle Parzellen zu erlangen. Der Schutz der Umwelt würde zur Nebensache. Die regionale Verwaltung wäre durch Korruption geprägt. Die Gewinne würden ungleich verteilt, wobei die mächtigen Akteure an der Spitze der Kette den größten Nutzen hätten, während für die lokale Bevölkerung eher wenig abfallen dürfte. Genau diese Situation ist heute bei einem Mineral gegeben, das für unsere Zukunft so wichtig sein wird, wie die fossilen Brennstoffe für unsere Vergangenheit waren. Dieses Mineral ist Kobalt, und die Stadt heißt Kolwezi.
Kolwezi liegt versteckt in den dunstigen Hügeln im Südosten der Demokratischen Republik Kongo. Obwohl die meisten Menschen noch nie von Kolwezi gehört haben, könnten Milliarden von Menschen ihr tägliches Leben ohne diese Stadt nicht führen. Die Akkus fast aller Smartphones, Tablets, Laptops und Elektrofahrzeuge, die heute hergestellt werden, können ohne Kolwezi nicht wieder aufgeladen werden. Das Kobalt, das hier in der Erde gefunden wird, sorgt für maximale Stabilität und Energiedichte bei wiederaufladbaren Batterien, sodass sie mehr Ladung halten und eine längere Funktion gewährleisten können. Würde man das Kobalt aus dem Akku entfernen, müsste man sein Smartphone oder Elektroauto viel öfter an die Steckdose anschließen, und die Akkus könnten schneller in Brand geraten. Es gibt weltweit kein bekanntes kobalthaltiges Erzvorkommen, das größer, leichter zugänglich und von höherer Qualität ist als das Kobalt unter Kolwezi.
Kobalt kommt in der Natur meist in Verbindung mit Kupfer vor, und die Kupfer-Kobalt-Vorkommen im Kongo erstrecken sich in unterschiedlicher Dichte und Qualität entlang eines 400 Kilometer langen Halbmondes von Kolwezi bis ins nördliche Sambia und bilden ein Gebiet, das als Zentralafrikanischer Kupfergürtel (Copperbelt) bezeichnet wird. Der Kupfergürtel ist ein metallogenes Wunder, das enorme Mineralienreichtümer birgt, darunter zehn Prozent des weltweiten Kupfers und etwa die Hälfte der weltweiten Kobaltreserven. Im Jahr 2021 wurden in der Demokratischen Republik Kongo insgesamt 111750 Tonnen Kobalt abgebaut, was 72 Prozent des weltweiten Angebots entspricht. Dieser Anteil wird voraussichtlich weiter steigen, da die Nachfrage von Technologieunternehmen und Herstellern von Elektrofahrzeugen Jahr für Jahr zunimmt. 1 Man könnte meinen, Kolwezi sei eine Boomtown, in der unerschrockene Schürfer ein Vermögen machen können. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Kolwezi, wie auch der Rest des kongolesischen Kupfergürtels, ist ein Gebiet, das von dem wahnwitzigen Bemühen beherrscht wird, die Verbraucher in aller Welt mit Kobalt zu versorgen. Das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig, das Leid unermesslich. Kolwezi ist das neue Herz der Finsternis, ein geschundener Erbe aller kongolesischen Gräuel der Vergangenheit – Kolonialherrschaft, Kriege und Generationen der Sklaverei.
Der erste Europäer, der das Herz des afrikanischen Kontinents in einer zusammenhängenden Reise von Osten nach Westen durchquerte, der britische Leutnant Verney Lovett Cameron, schrieb am 7. Januar 1876 in der Times über den Kongo:
Das Landesinnere ist zum großen Teil ein herrliches und gesundes Land von unbeschreiblichem Reichtum. Ich habe einen kleinen Brocken guter Kohle mitgenommen; auch andere Mineralien wie Gold, Kupfer, Eisen und Silber sind reichlich vorhanden, und ich bin zuversichtlich, dass durch klugen und großzügigen (nicht verschwenderischen) Kapitaleinsatz eines der großartigsten Binnenschifffahrtssysteme der Welt nutzbar gemacht werden könnte, das sich in 30 bis 36 Monaten für jeden geschäftstüchtigen Kapitalisten, der die Sache in die Hand nimmt, auszahlen dürfte. 2
Innerhalb eines Jahrzehnts nach Camerons Schreiben plünderten »geschäftstüchtige Kapitalisten« den »unbeschreiblichen Reichtum« des Kongo. Der gewaltige Kongostrom und seine kapillaren Nebenflüsse boten den Europäern, die in das Herz Afrikas vordringen wollten, ein natürliches Navigationssystem, das es ihnen außerdem ermöglichte, wertvolle Ressourcen aus dem Landesinneren an die Atlantikküste zu transportieren. Niemand ahnte anfangs, dass der Kongo einige der größten Vorkommen nahezu aller Rohstoffe beherbergte, nach denen die Welt verlangte, oft gerade dann, wenn sich neue technische Erfindungen oder industrielle Entwicklungen etablierten – Elfenbein für Klaviertasten, Kruzifixe, falsche Zähne und Schnitzereien (in den 1880er-Jahren), Gummi für Auto- und Fahrradreifen (in den 1890er-Jahren), Palmöl für Seife (ab 1900), Kupfer, Zinn, Zink, Silber und Nickel für die Industrialisierung (ab 1910), Diamanten und Gold, um den Wohlstand zu vermehren (immer), Uran für Atombomben (1945), Tantal und Wolfram für Mikroprozessoren (ab 2000) und Kobalt für wiederaufladbare Batterien (ab 2012). Jede Neuerung entfachte eine gesteigerte Nachfrage nach den jeweiligen Ressourcen und zog stets eine neue Welle Schatzsuchender an. Das kongolesische Volk dagegen hat zu keinem Zeitpunkt in seiner Geschichte in irgendeiner Weise von der Monetarisierung der Ressourcen seines Landes profitiert. Vielmehr dienten die Einheimischen oft als Zwangsarbeiter bei der Gewinnung dieser Ressourcen, wobei sie kaum etwas verdienten, aber dafür umso mehr Leid zu ertragen hatten.
Die Gier nach Kobalt ist eine unmittelbare Folge der heutigen gerätegesteuerten Wirtschaft in Verbindung mit dem weltweiten Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen. Die Automobilhersteller steigern die Produktion von Elektrofahrzeugen rasant und unterstützen damit die Bemühungen der Regierungen, die Kohlenstoffemissionen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu reduzieren. Diese Verpflichtungen wurden auf dem Klimagipfel COP26 im Jahr 2021 bekräftigt. Die Batterien von Elektrofahrzeugen benötigen jeweils bis zu zehn Kilogramm raffiniertes Kobalt, das ist mehr als das 1000-Fache der für einen Smartphone-Akku erforderlichen Menge. So soll die Nachfrage nach Kobalt von 2018 bis 2050 voraussichtlich um fast 500 Prozent steigen 3 , und es gibt keinen anderen bekannten Ort auf der Welt außer der Demokratischen Republik Kongo, wo diese Menge an Kobalt verfügbar ist.
Der Kobaltabbau an Orten wie Kolwezi steht am Beginn einer komplexen Lieferkette, die sich wie eine Krake bis zu den reichsten und mächtigsten Unternehmen der Welt erstreckt. Apple, Samsung, Google, Microsoft, Dell, LTC, Huawei, Tesla, Ford, General Motors, BMW und Daimler-Chrysler sind nur einige der Unternehmen, die ihr Kobalt teilweise, überwiegend oder komplett aus der Demokratischen Republik Kongo beziehen, und zwar über Batteriehersteller und Kobaltveredler in China, Japan, Südkorea, Finnland und Belgien. Offiziell toleriert keines dieser Unternehmen die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Kobalt im Kongo gefördert wird, aber weder sie noch sonst irgendjemand unternimmt die notwendigen Anstrengungen, um diese Bedingungen zu verbessern. Tatsächlich scheint sich niemand der Verantwortung für die negativen Folgen des Kobaltabbaus im Kongo stellen zu wollen – nicht die kongolesische Regierung, nicht die ausländischen Bergbauunternehmen, nicht die Batteriehersteller und schon gar nicht die großen Technologie- und Automobilkonzerne. Die Rechenschaftspflicht verflüchtigt sich wie der Morgennebel in den Hügeln von Katanga auf dem Weg durch die undurchsichtigen Lieferketten, die das Mineral mit dem Telefon und dem Auto verbinden.
Die Mineralien- und Geldströme werden zusätzlich durch ein Netz undurchsichtiger Verbindungen zwischen ausländischen Bergbauunternehmen und kongolesischen Politikern verschleiert, von denen sich einige an den Versteigerungen der Bergbaukonzessionen des Landes bereichert haben, während Millionen Kongolesen unter extremer Armut, Nahrungsmittelknappheit und Bürgerkriegen leiden. Von 1960, als Patrice Lumumba zum ersten Premierminister des Landes gewählt wurde, bis 2019, als Félix Tshisekedi das Amt übernahm, gab es im Kongo keinen einzigen friedlichen Machtwechsel. In dieser Zeit erlebte das Land einen gewaltsamen Staatsstreich nach dem anderen, zunächst von Joseph Mobutu, der den Kongo von 1965 bis 1997 beherrschte, gefolgt von der Herrschaft Laurent-Désiré Kabilas von 1997 bis 2001 und der seines Sohnes Joseph Kabila von 2001 bis 2019. Ich verwende das Wort herrschen, weil Mobutu und die Kabilas das Land wie Despoten regierten, die sich an den Bodenschätzen des Landes bereicherten, während sie ihr Volk sich selbst überließen.
Heute, im Jahr 2022, kann von einer sauberen Lieferkette für Kobalt aus dem Kongo nicht die Rede sein. Alles Kobalt, das aus der Demokratischen Republik Kongo stammt, ist in unterschiedlichem Maße durch Missstände belastet wie Sklaverei, Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Menschenhandel, gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, erbärmliche Löhne, Verletzungen und Todesfälle sowie Umweltschäden. Obwohl es in allen Gliedern der Kette böswillige Akteure gibt, würde die Kette nicht existieren, wenn die Unternehmen an der Spitze nicht solch eine erhebliche Nachfrage nach Kobalt erzeugten. Dort, und nur dort, müssen Lösungsversuche ansetzen. Diese Lösungsversuche sind nur dann sinnvoll, wenn die Lügen der Unternehmensvertreter über die Bedingungen, unter denen Kobalt im Kongo gefördert wird, durch die von den Minenarbeitern erlebte Realität ersetzt werden. Um diese Realität zu verstehen, müssen wir in diesem Kapitel zunächst einige Grundlagen über den Kongo und die Abläufe des Kobaltabbaus vermitteln. Unsere Reise beginnt in der alten kolonialen Bergbaustadt Lubumbashi. Von dort führt eine Straße durch die Bergbauprovinzen tiefer in das Herz des Kobaltgebiets. Während wir dieser Straße folgen, werden die Bedingungen des Kobaltabbaus mit jedem Kilometer sichtbarer und greifbarer durch die Berichte der Kinder, Frauen und Männer, die nach Kobalt graben, sowie durch meine Gespräche mit Mineralienhändlern, Regierungsbeamten, multinationalen Unternehmen und anderen Interessengruppen, die von ihrer Arbeit profitieren. Wenn wir uns dem Zentrum des Kobaltabbaus in Kolwezi nähern, stoßen wir auf Zeugnisse einer dunkleren Wahrheit, einer Wahrheit, die sich nicht ergründen lässt. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, am 21. September 2019 an einem Ort namens Kamilombe. Ich werde Sie dorthin mitnehmen, so wie ich mich auf den Weg gemacht habe, auf den einzigen Weg, der zur Wahrheit führt.
Die Demokratische Republik Kongo liegt im Herzen des afrikanischen Kontinents und ist ein außergewöhnliches Land mit einer höchst abwechslungsreichen Natur. Wild wuchernde Wälder, schroffe Berge, weite Savannen und reißende Flüsse prägen das Land. Im Norden grenzt das Land an die Zentralafrikanische Republik, im Nordosten an den Südsudan, im Osten an Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania, im Süden und Südosten an Sambia, im Südwesten an Angola und im Westen an die Republik Kongo; im Westen liegt auch der Küstenstreifen, wo der Kongo in den Atlantik mündet. Stellen Sie sich einen riesigen Lehmklumpen vor, der an zwei Enden eingeklemmt ist – im Südwesten von Kinshasa bis zum Ozean und im Südosten in Form einer Halbinsel, die dem Kupfergürtel folgt. Die oberen zwei Drittel des Landes sind von tropischem Regenwald bedeckt, dem zweitgrößten der Welt nach dem Amazonasgebiet. Darin lebt die größte Menschenaffenpopulation der Erde. Südlich des Regenwalds fallen die Hochebenen in ausgedehnte Savannen ab. Die zerklüfteten Gipfel des Ruwenzori-Gebirges stehen wie Wächter an der nordöstlichen Grenze zum Rift Valley und an den großen Seen Afrikas. Der Äquator durchschneidet das obere Drittel des Kongo, und wenn auf der einen Seite des Äquators Regenzeit ist, ist auf der anderen Seite Trockenzeit. Dies hat zur Folge, dass es im Kongo immer irgendwo regnet und das Land die höchste Gewitterhäufigkeit der Welt aufweist. Zu den wichtigsten Städten der Demokratischen Republik Kongo gehört die geschäftige Hauptstadt Kinshasa, die am südwestlichen Rand des Landes an den Ufern des Kongostroms liegt. Sie ist eine der am schnellsten wachsenden Megastädte Afrikas und die Heimat von mehr als 17 Millionen »Kinois«. Mbuji-Mayi ist die Hauptstadt der Provinz Kasaï-Oriental im südlichen Teil des Landes. In ihr befindet sich das größte Diamantenvorkommen der Welt. Die Hauptstadt der Provinz Tshopo, Kisangani, liegt in der Nähe zahlreicher Goldminen und dient als Handelszentrum im Herzen des Kongostroms. Goma liegt am südlichen Ende des Kivusees und ist die wichtigste Stadt an der gefährlichen Grenze zu Ruanda, wo Kaffee, Tee und andere landwirtschaftliche Produkte angebaut werden. Ungefähr 2300 Kilometer südöstlich von Kinshasa, am anderen Ende des Landes, liegt Lubumbashi, die Hauptstadt der Provinz Haut-Katanga und Verwaltungssitz der Bergbauprovinzen. Kolwezi ist die Hauptstadt der angrenzenden Provinz Lualaba am anderen Ende des Kupfergürtels. Abgesehen von Lubumbashi und Kolwezi sind keine der genannten Städte über Straßen oder Schienen verbunden.
Die Seele des Kongo ist sein außergewöhnlicher Fluss. Er ist der tiefste Fluss der Erde und entwässert über sein System von Nebenflüssen eine Region der Größe Indiens. Durch seine Halbmondform ist der Kongo der einzige Fluss der Welt, der den Äquator zweimal überquert. Wenn der Fluss den Atlantik erreicht, strömt er mit so viel Kraft hinein, dass er den Ozean bis zu 100 Kilometer vor der Küste mit Sedimenten anreichert. Die Quelle des Kongostroms war das letzte große Rätsel der afrikanischen Geografie, und das Bestreben der europäischen Entdecker, dieses Rätsel zu lösen, veränderte auf tragische Weise das Schicksal des Kongo und verursachte letztlich all das Leid, das heute in den Minenprovinzen herrscht.
Die südöstliche Ecke der Demokratischen Republik Kongo hieß während des größten Teils ihrer Geschichte Katanga. Die Region wurde 1891 durch König Leopold von Belgien in den Freistaat Kongo eingegliedert, bevor man um das ganze Ausmaß ihrer enormen Bodenschätze wusste. Katanga hatte schon immer eine gewisse Sonderstellung in der Demokratischen Republik Kongo. Die Menschen in Katanga verstehen sich in erster Linie als Katanganer und erst in zweiter Linie als Kongolesen. Entscheidend ist, dass die Führer Katangas nie die Prämisse akzeptierten, dass ihre Bodenschätze mit der gesamten Nation geteilt werden sollten. Vor der kongolesischen Unabhängigkeit errichteten die Belgier große Bergbaubetriebe in Katanga, und auch nach der Unabhängigkeit des Landes setzten sie alles daran, die Kontrolle über diese Region zu behalten, indem sie die Abspaltung der Provinz und die anschließende Ermordung von Premierminister Lumumba orchestrierten. Da so viel Geld auf dem Spiel steht, war die Kontrolle über Katanga stets mit blutigen Auseinandersetzungen verbunden.
Obwohl mit den reichen Bodenschätzen Katangas vielfältige Programme zur Verbesserung der Bildung von Kindern, zur Linderung der Kindersterblichkeit, zur Verbesserung der sanitären Einrichtungen und des Gesundheitswesens sowie zum Ausbau der Elektrifizierung des Landes finanziert werden könnten, fließt der größte Teil der Bodenschätze ins Ausland. Obschon die Demokratische Republik Kongo über unerschlossene Bodenschätze im Wert von Billionen Dollar verfügt, belief sich der gesamte Staatshaushalt 2021 auf magere 7,2 Milliarden Dollar. 7,2 Milliarden Dollar, ähnlich viel wie der US-Bundesstaat Idaho mit einem Fünfzigstel der Bevölkerung. Auf dem Human Development Index (Index der menschlichen Entwicklung) der Vereinten Nationen rangiert die Demokratische Republik Kongo auf Platz 175 von 189. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel leidet unter Nahrungsmittelknappheit, die Lebenserwartung liegt bei nur 60,7 Jahren, die Kindersterblichkeit rangiert weltweit an elfter Stelle, nur 26 Prozent der Einwohner haben Zugang zu sauberem Trinkwasser und neun Prozent verfügen über elektrischen Strom. Die Schulausbildung soll bis zum Alter von 18 Jahren vom Staat finanziert werden, doch die Schulen sind unterfinanziert und müssen pro Schulkind eine Gebühr von fünf oder sechs Dollar pro Monat erheben, um ihre Kosten zu decken – ein Betrag, den sich Millionen von Menschen in der Demokratischen Republik Kongo nicht leisten können. Deshalb sind zahllose Kinder gezwungen zu arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen, insbesondere in den Bergbauprovinzen. Obwohl sie den großen Technologie- und Autokonzernen zu unermesslichen Reichtümern verhelfen, verdienen die meisten handwerklichen Kobaltschürfer nur einen bis zwei Dollar am Tag.
Die globale Kobaltlieferkette ist der Mechanismus, der die mickrigen Tageslöhne der Kleinschürfer im Kongo in Quartalsgewinne von mehreren Milliarden Dollar an der Spitze der Kette verwandelt. Obwohl die beiden Enden der Kette in Bezug auf die menschliche und ökologische Wertschätzung kaum weiter voneinander entfernt sein könnten, sind sie dennoch durch ein kompliziertes Geflecht formeller und informeller Beziehungen miteinander verbunden. Der Knotenpunkt dieser Verbindungen liegt in einer Schattenwirtschaft am unteren Ende der Bergbauindustrie, die in die formelle Lieferkette einfließt. Diese Verschmelzung von informellem und formellem, von handwerklichem und industriellem Bergbau ist der wichtigste Aspekt der Kobaltlieferkette, den es zu beachten gilt. Trotz gegenteiliger Behauptungen ist es nahezu unmöglich, die handwerkliche Kobaltförderung von der industriellen Förderung zu trennen.
Die folgende Grafik zeigt eine Skizze der globalen Kobaltlieferkette. Die Links innerhalb des Kastens zeigen Stationen an, an denen Kobalt aus verschiedenen Quellen gemischt werden kann.
Die Basis der Kette bilden die handwerklichen Bergleute. Diese creusers (»Schürfer«), wie sie auch genannt werden, graben mit einfachen Werkzeugen in Gruben, Schächten und Stollen nach einem Erz namens Heterogenit, das Kupfer, Nickel, Kobalt und manchmal auch Uran enthält. Der Kleinbergbausektor im Kongo wird von einer Regierungsbehörde namens SAEMAPE reguliert, die bis 2017SAESSCAM hieß. 4SAEMAPE hat knapp 100 Standorte im gesamten Kupfergürtel ausgewiesen, an denen handwerklicher Bergbau betrieben werden darf, die sogenannten Zones d’Exploitation Artisanale (ZEAs).
Die kleine Zahl an ZEAs reicht bei Weitem nicht aus, um die Hunderttausenden von Menschen aufzunehmen, die versuchen, ihren Lebensunterhalt mit dem Abbau von Kobalt zu verdienen. Infolgedessen schürfen Kleinbergleute in Hunderten von nicht genehmigten Abbaugebieten, die über den gesamten Kupfergürtel verteilt sind. Viele dieser Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von industriell betriebenen Minen, da die Schürfer wissen, dass sich hier unter der Erde wahrscheinlich wertvolles Erz befindet. Kleinbergbau findet auch direkt in vielen industriellen Abbaustätten statt, obwohl dies nach kongolesischem Recht verboten ist.
Handwerklich abgebautes Kobalt gelangt über ein informelles Handelssystem von négociants (Zwischenhändlern) und comptoirs (Depots), auch bekannt als maisons d’achat (Ankaufhäuser), in die offizielle Lieferkette. Hier haben wir sie, die undurchsichtigen Schnittstellen, die dazu dienen, Mineralien aus handwerklichen Quellen in die formelle Lieferkette zu schleusen. Négociants sind unabhängige Zwischenhändler, die in und um die Kleinschürfgebiete tätig sind und Kobalt von den Kleinschürfern aufkaufen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um junge kongolesische Männer, die entweder einen Festpreis pro Sack zahlen oder den Depots einen Teil des Verkaufserlöses anbieten. Nachdem die Zwischenhändler ihr Material auf Motorräder und Pick-ups verladen haben, transportieren sie das Erz zu den Depots, um es dort zu verkaufen. In einigen der größeren handwerklichen Bergbaugebiete gibt es vor Ort Depots, an welche die Kleinschürfer direkt verkaufen können.
Bei den Depots und Ankaufsstellen handelt es sich in der Regel um kleine Hütten, die mit charakteristischen rosa Planen und aufgemalten Namen wie »$ 1000000 Depot« der »Cuivre-Cobalt« oder auch nur mit einer Nummer (»555«) oder dem Namen des Besitzers (»Boss Xi«) werben. Es gibt Hunderte von Depots, die über die Provinzen Haut-Katanga und Lualaba verstreut sind. In keinem der Depots wird geprüft, woher das angekaufte Erz stammt und unter welchen Bedingungen es abgebaut wurde. Nachdem die Depots Erz von Zwischenhändlern oder Kleinschürfern erworben haben, verkaufen sie ihr Material an industrielle Bergbauunternehmen und Verarbeitungsbetriebe. Ab diesem Punkt ist es nicht mehr möglich, die handwerkliche von der industriellen Förderung zu unterscheiden. Obwohl das kongolesische Gesetz vorschreibt, dass Mineraliendepots nur von kongolesischen Staatsangehörigen angemeldet werden dürfen, werden fast alle Depots in den Provinzen Haut-Katanga und Lualaba von chinesischen Händlern betrieben. Auf die handwerkliche Förderung entfallen bis zu 30 Prozent des gesamten in der Demokratischen Republik Kongo geförderten Kobalts, wobei dieser Anteil auch höher sein könnte, weil sich nicht unterscheiden lässt, wie viel Material aus handwerklicher und wie viel aus industrieller Förderung stammt.
Das formelle Segment der Lieferkette beginnt mit den großen industriellen Kupfer-Kobalt-Minen, die sich über den gesamten Kupfergürtel erstrecken. Einige dieser Minen, wie Tenke Fungurume und Mutanda, sind so groß wie eine europäische Hauptstadt. Die industriellen Bergbaubetriebe in der DRK sind in der Regel als Joint Ventures zwischen der staatlichen Bergbaugesellschaft Gécamines und einem ausländischen Bergbauunternehmen strukturiert. Bei meiner letzten Zählung im November 2021 gab es in den Provinzen Haut-Katanga und Lualaba 19 große industrielle Kupfer-Kobalt-Bergbaukomplexe, von denen 15 chinesischen Bergbauunternehmen gehörten oder von ihnen finanziert wurden. Die meisten der von mir besuchten chinesischen Bergbauanlagen wurden entweder von den Streitkräften der Demokratischen Republik Kongo (FARDC) oder Eliteeinheiten der Republikanischen Garde gesichert. Andere industrielle Standorte und zahlreiche informelle Förderstätten werden von einer Reihe bewaffneter Kräfte bewacht, wie etwa der kongolesischen Nationalpolizei, der Bergbaupolizei, privaten Militärfirmen und inoffiziellen Milizen. Diese bewaffneten Sicherheitskräfte haben zwei Aufgaben: Sie sollen Schaulustige abhalten und die Mineralien sichern.
Vor der Ausfuhr aus der Demokratischen Republik Kongo müssen kobalthaltige Erze eine Vorverarbeitungsstufe durchlaufen, in der das Kobalt von anderen im Erz enthaltenen Metallen getrennt wird. Diese Verarbeitung findet zum Teil in Anlagen auf dem Gebiet der Mine statt und zum Teil in speziellen Verarbeitungsbetrieben in Kolwezi, Likasi und Lubumbashi. Bei der Vorverarbeitung wird in der Regel entweder rohes Kobalthydroxid oder Kobaltkonzentrat gewonnen. Diese halb raffinierten Formen von Kobalt werden auf Lastwagen verladen und zu den Häfen in Daressalam und Durban gefahren, um von dort zu weiterverarbeitenden Raffinerien transportiert zu werden, von denen sich die meisten in China befinden. Im Jahr 2021 produzierte China 75 Prozent des weltweit raffinierten Kobalts. Der größte Raffineriebetreiber war Huayou Cobalt mit einem Marktanteil von 22 Prozent. 5 Huayou ist Eigentümer von Congo DongFang Mining, einem der größten Kupfer-Kobalt-Bergbauunternehmen in der DRK. Die enge Einbindung chinesischer Unternehmen in die Kobaltlieferkette hat sich in den letzten Jahren beschleunigt und die Dominanz des Landes in der Batteriebranche gefestigt. Obwohl es für die Demokratische Republik Kongo von Vorteil wäre, Kobalt selbst zu kommerzieller Qualität zu veredeln und einen größeren Teil der Wertschöpfungskette unter ihre Kontrolle zu bringen, erklärte ein hoher Beamter von Gécamines: »Im Kongo haben wir nicht genügend Stromkapazitäten, um Kobalt zu veredeln.«
Vollständig raffiniertes Kobalt wird mit anderen Metallen kombiniert, um Kathoden herzustellen – den positiv geladenen Teil einer Batterie. Die weltweit größten Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien sind CATL und BYD in China, LG Energy Solution, Samsung SDI und SK Innovation in Südkorea sowie Panasonic in Japan. Im Jahr 2021 produzierten diese sechs Unternehmen 86 Prozent der weltweit hergestellten Lithium-Ionen-Akkus, wobei allein auf CATL ein Drittel entfiel. 6 Der Großteil des Kobalts in diesen Batterien stammt aus dem Kongo.
Während eines Großteils der Menschheitsgeschichte war Kobalt kaum mehr als eine Farbe. Bereits im Perserreich und in der Ming-Dynastie wurde Kobalt zur Herstellung von blauen Pigmenten in der Kunst und in Töpferwaren verwendet. In der Neuzeit hat das Element eine Reihe industrieller Funktionen erlangt. Kobalt wird bei der Herstellung von Superlegierungen für Turbinen und Düsentriebwerke, als Katalysator für sauberere Kraftstoffe, in Karbiden für Schneidwerkzeuge, in Materialien für die Zahn- und Knochenchirurgie, in der Chemotherapie und in Kathoden für wiederaufladbare Batterien verwendet. Aufgrund seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten hat die Europäische Union Kobalt als eines von 20 »kritischen« Metallen und Mineralien eingestuft, und die Vereinigten Staaten haben Kobalt zu einem »strategischen Mineral« erklärt. Initiativen zur Sicherung einer zuverlässigen Versorgung mit veredeltem Kobalt, die das derzeitige Monopol Chinas umgehen, sind für die USA und die EU von großer geopolitischer Bedeutung.
Durch einen geografischen Zufall verfügt der zentralafrikanische Kupfergürtel mit schätzungsweise 3,5 Millionen Tonnen über etwa die Hälfte der weltweiten Kobaltvorkommen. 7 Aber auch wenn der geografische Zufall für die enormen Kobaltreserven im Kupfergürtel verantwortlich sein mag, wäre der handwerkliche Bergbau in der Demokratischen Republik Kongo nicht in einer solch schwierigen Lage, wenn nicht ein großer Teil der Vorkommen so flach läge, dass sie praktisch mit der Schaufel zu erreichen sind. Dem zentralafrikanischen Geologieexperten Murray Hitzman zufolge sind die Kupfer-Kobalt-Vorkommen im Kupfergürtel deshalb so oberflächennah, weil sie ausschließlich in »sedimentgebundenen, schichtförmigen Lagerstätten« liegen. Dies bedeutet, dass die kobalthaltigen Erze in getrennten Schichten von Sedimentgestein vorkommen, das ursprünglich im Wasser abgelagert wurde. Solche Lagerstätten sind die einzigen, die durch tektonische Aktivitäten an die Oberfläche gedrückt werden können, was sie für den handwerklichen Bergbau zugänglich macht. Der zentralafrikanische Kupfergürtel liegt zufällig auf der westlichen Schulter eines der spektakulärsten Beispiele dieser tektonischen Aktivität – auf dem Ostafrikanischen Graben.
Der Ostafrikanische Graben ist ein 6500 Kilometer langer Riss in der Erdoberfläche, der sich von Jordanien bis Mosambik erstreckt und durch das Auseinanderdriften dreier Erdplatten – der Nubischen Platte, der Somalischen Platte und der Arabischen Platte – verursacht wird. Die tektonische Aktivität im Graben führte vor etwa 800 Millionen Jahren dazu, dass Meerwasser in ein geschlossenes Becken in der Kupfergürtelregion eindrang. Der größte Teil des Meerwassers verdampfte, doch ein Teil der salzhaltigen Flüssigkeiten zirkulierte in den Sedimenten innerhalb des Beckens und löste Metalle aus ihnen, darunter Kupfer und Kobalt. Irgendwann vor 650 bis 500 Millionen Jahren begannen sich die Salzschichten aufgrund tektonischer Aktivitäten nach oben zu schieben und bildeten Salzdiapire oder Salzstöcke – kuppelförmige Gesteinsformationen, in denen sich ein Gesteinskern mehrere Kilometer nach oben bewegt und die Erdoberfläche durchstößt. Ein ähnlicher Prozess fand an der Golfküste der Vereinigten Staaten statt, wodurch zahlreiche Öl- und Gasfelder für Bohrungen zugänglich wurden.
Infolge der Ablagerungen im Meerwasser und der anschließenden tektonischen Aktivitäten finden sich Kupfer-Kobalt-Erze im gesamten Kupfergürtel sowohl in großer Tiefe als auch nahe an der Oberfläche. Tief unter dem schwankenden Grundwasserspiegel verbinden sich Kupfer und Kobalt mit Schwefel zu dem Mineral Carrollit, das die Hauptquelle des im Kongo industriell abgebauten Kobalts darstellt. Näher an der Oberfläche bildet sich aus der Verbindung von Wasser und Schwefel Schwefelsäure, wodurch die Erze »rosten«. Durch diese Verwitterung wird ein Sulfid in ein Oxid umgewandelt. Oxidiertes Kobalt bildet Kobalthydroxid in dem Mineral Heterogenit. Hitzman zufolge »sind die Kobalthydroxid-Erzkörper in Katanga einzigartig. Sie bilden Blöcke, die über mehrere Dutzend Meter bis zu mehreren Kilometern lang sein können und wie Rosinen in einem Kuchen schwimmen.« Kleinschürfer graben bis zu 60 Meter tiefe Stollen, um diese »Rosinen« aus Heterogenit zu bergen. Eines der größten bekannten Kobaltvorkommen liegt unter dem Stadtteil Kasulo in Kolwezi, ein labyrinthartiges Stollensystem, das weltweit seinesgleichen sucht.
Dass Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo in großen, oberflächennahen und qualitativ hochwertigen Mengen vorkommt, beleuchtet die Angebotsseite der Gleichung, die in den Bergbauprovinzen des Landes zum Tragen kommt. Die Nachfrageseite wird durch die Tatsache bestimmt, dass Kobalt heute in fast allen Lithium-Ionen-Akkus der Welt Verwendung findet. Die Entwicklung der Lithium-Ionen-Batterien begann in den 1970er-Jahren durch die Firma Exxon, als man infolge des OPEC-Ölembargos begann, alternative Energiequellen zu erforschen. Sony produzierte Anfang der 1990er-Jahre die ersten Lithium-Ionen-Batterien im kommerziellen Maßstab, die zu dieser Zeit vor allem in der Unterhaltungselektronik eingesetzt wurden. Seinen ersten Nachfrageschub erlebte der Markt für Lithium-Ionen-Batterien mit der Smartphone- und Tablet-Revolution. Apple stellte 2007 das iPhone vor, und Android-Smartphones zogen 2008 nach. Seitdem wurden Milliarden von Smartphones verkauft, und jedes von ihnen benötigt ein paar Gramm veredeltes Kobalt in seinen Batterien. Eine ähnliche Entwicklung fand auf dem Tablet-Markt statt. Apple führte 2010 das iPad in den Handel ein, kurz darauf folgte Samsungs Galaxy Tab. Seitdem wurden Milliarden von Tablets abgesetzt, in deren Batterien jeweils bis zu 30 Gramm Kobalt enthalten sind. Nimmt man Laptops, E-Scooter, E-Bikes und wiederaufladbare Geräte der Unterhaltungselektronik hinzu, summiert sich der Kobaltbedarf all dieser Geräte – ohne die mit vier oder mehr Reifen – auf mehrere Zehntausend Tonnen pro Jahr.
Auf dem Markt für Elektrofahrzeuge ist die Nachfrage nach Kobalt indessen regelrecht explodiert. Das erste wiederaufladbare Elektrofahrzeug wurde in den 1880er-Jahren erfunden, aber erst Anfang 1900 wurden Elektrofahrzeuge in größeren Stückzahlen hergestellt. Um 1910 wurden rund 30 Prozent der Fahrzeuge in den Vereinigten Staaten von Elektromotoren angetrieben. Hätte sich dieser Trend fortgesetzt, würden wir heute alle auf einem saubereren, kühleren Planeten leben. Stattdessen beherrschten die Verbrennungsmotoren das nächste Jahrhundert der Automobilindustrie. Als Gründe für die Umstellung auf benzinbetriebene Fahrzeuge werden verschiedene Entwicklungen angeführt. Zum einen stellte die US-Regierung mit dem Federal Aid Road Act von 1916 enorme Mittel zum Ausbau der Straßeninfrastruktur bereit. Für Fahrten quer durch das Land waren größere Reichweiten erforderlich, als sie mit der damaligen Technologie der Elektrofahrzeuge erreicht werden konnten. Außerdem machte die Entdeckung großer Ölvorkommen in Texas, Kalifornien und Oklahoma den Betrieb von Autos mit Verbrennungsmotoren wesentlich billiger.
Elektrofahrzeuge fristeten ein Nischendasein, bis die Förderung erneuerbarer Energiequellen ab 2010 zu ihrer Renaissance führte. Diese Entwicklung beschleunigte sich nach dem Pariser Abkommen von 2015, in dem sich 195 Nationen auf das gemeinsame Ziel einigten, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die CO2-Emissionen bis 2040 um mindestens 40 Prozent unter das Niveau von 2015 gesenkt werden. Da ungefähr ein Viertel der Kohlendioxidemissionen durch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verursacht wird, ist der Ausbau des batteriebetriebenen Verkehrs die einzige Lösung.
Im Jahr 2010 waren weltweit erst 17000 Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs. 2021 hat sich diese Zahl bereits auf 16 Millionen erhöht. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssten bis 2030 insgesamt mindestens 100 Millionen Elektrofahrzeuge im Einsatz sein. Im Jahr 2017 wurde die noch ehrgeizigere EV30@30-Kampagne ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, den Marktanteil von Elektrofahrzeugen bis 2030 auf 30 Prozent zu steigern. Dies würde einen weltweiten Bestand von 230 Millionen Elektrofahrzeugen erfordern, was einer Vervierzehnfachung gegenüber den Zahlen von 2021 entspräche. 8 Der Absatz von Elektrofahrzeugen könnte sogar noch weiter steigen, nachdem sich 24 Länder auf dem Klimagipfel COP26 verpflichtet haben, den Verkauf benzinbetriebener Fahrzeuge bis 2040 vollständig einzustellen. Dafür werden Millionen Tonnen Kobalt benötigt, und Hunderttausende kongolesische Frauen, Männer und Kinder werden in gefährlichen Gruben und Stollen arbeiten müssen, um die Nachfrage zu decken.
Um eine Masseneinführung von Elektrofahrzeugen in dem prognostizierten Umfang zu erreichen, müssen die Batterien für Elektrofahrzeuge billiger werden und eine größere Reichweite zwischen den Aufladevorgängen ermöglichen. Die Preise für Lithium-Ionen-Batterien sind stetig gesunken, weil die Hersteller von Elektrofahrzeugen versuchen, Kostengleichheit mit Verbrennerfahrzeugen zu erreichen. Gemessen am Preis pro Kilowattstunde sind die Produktionskosten für Lithium-Ionen-Batteriepacks um 89 Prozent von 1200 Dollar/kWh im Jahr 2010 auf 132 Dollar/kWh im Jahr 2021 gesunken. Man geht davon aus, dass die Produktionskosten bis 2024 die wichtige Marke von 100 Dollar/kWh erreichen werden, womit Elektroautos die Kostenparität mit herkömmlichen Autos erreichen würden. 9 Ebenso wichtig wie die Kosten ist die Reichweite, die ein Auto zwischen zwei Ladevorgängen zurücklegen kann. Um die Reichweite zu erhöhen, benötigen die Batterien eine höhere Energiedichte, und nur Lithium-Ionen-Batterien mit Kobaltkathoden sind derzeit in der Lage, eine maximale Energiedichte bei gleichbleibender thermischer Stabilität zu liefern. Um zu verstehen, warum das so ist, ist ein kurzer Überblick über die Funktionsweise von Batterien erforderlich.