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Lotte freut sich, als sich eines Tages ein attraktiver Mann in ihr altes Jagdhaus im Odenwald verirrt. Ohne ihren Vater zu fragen, der ihr immer alles verbietet, richtet sie dem attraktiven Mann ein Notquartier ein. Fasziniert von ihm beobachtet sie ihn heimlich vor dem Schlafengehen, bis ihr selbst die Augenlider zufallen. Als sie erwacht, ist nichts mehr so, wie es vorher war. Der Mann ist tot. Lotte ist verzweifelt, sie nimmt an, dass ihn ihr Vater getötet hat. Ihr ganz persönlicher Albtraum beginnt. Die 1960 in Weinheim geborene Autorin ist Mediengestalterin und Erzieherin. 2012 begann sie ein Online-Studium: Autorin werden und verlegte sich auf die Sparte Krimikurzgeschichten sowie auf Short-Storys im humoristischen Bereich. Besonders bekannt wurde sie durch ihren skurrilen schwarzen Humor. Die Autorin wurde mehrmals ausgezeichnet. Sie stand auf der Shortlist der Wiener Kriminacht, war im Finale der Art Experience in Baden bei Wien und gewann den Deutschen Kurzkrimi-Preis Tatort Eifel. Ingrid Reidel ist Mitglied bei den Mörderischen Schwestern und den Bloody Maries. Sie ist Mutter einer Tochter und wohnt mit ihrem Partner in einem alten Anwesen in Weinheim.
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Seitenzahl: 262
Blutrotes Vermächtnis
Blutrotes Vermächtnis
Ingrid Reidel
Impressum
Copyright: vss-verlag
Jahr: 2023
Lektorat/ Korrektorat: Peter Altvater
Coverbild: Rouven Markovic
Verlagsportal: www.vss-verlag.de
Gedruckt in Deutschland
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Widmung
Dieses Buch widme ich Volker Nau,
verbunden mir meinem großen Dank für die unermüdliche Unterstützung während der Realisierung dieses Werkes
Ich bedanke mich auch bei
Anni
Conny
Dagmar
Eva
Heiderose
Kari
Katie
Kristin
Michelle
Sabine
Stefanie
Volker
für ihre Hilfe, Tipps und ihre Freundschaft
sowie bei
Mara
für den guten Tipp mit dem Verlag
Verdammt, ein Schneesturm, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Der Wind zerrte so heftig an seinem Auto, dass er Mühe hatte, es auf der Straße zu halten. Sein Wagen wurde geschüttelt wie ein Spielzeug, während die Heizung kläglich versagte, unfähig, die Kälte draußen zu halten.
Jan hämmerte auf das Lenkrad. Verdammter Mist, er konnte sich nicht erinnern, dass die Straße sich so steil den Berg hinaufwand, und der dichte Wald kam ihm auch unbekannt vor. Aber das Schlimmste war der Schnee, der vom Himmel peitschte, und die Dunkelheit. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, strahlte die Sonne, und jetzt, nach zwölf Stunden am Steuer, war er erschöpft bis ins Mark. Und offenbar spielten ihm seine Sinne einen Streich.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Vor einer halben Stunde hatte er an der letzten Kreuzung gezögert. Er war definitiv falsch abgebogen. Nun war er allein in diesem düsteren Wald, während der Schnee unaufhörlich fiel und der Sturm tobte.
Aber er durfte jetzt keine Panik verbreiten. Nein, das konnte er sich nicht erlauben. Er hatte schon Schlimmeres durchgestanden. Wie die „Umverteilungsaktion“, wie er es nannte: den Wechsel von der unehrlichen Gastronomie zu der ehrlichen. Von seinem alten Chef Karl Grüber zu seiner neuen Chefin Stephanie, die für ihn mehr war als nur eine Geschäftspartnerin.
Er hatte die Gunst der Stunde genutzt, als Karl und seine Frau für einen Kurzurlaub verreist waren und das Lokal für drei Tage geschlossen hatten. Er war in den „Klabautermann“ eingebrochen - obwohl man es kaum Einbruch nennen konnte, denn Karl hatte ihm selbst den Schlüssel gegeben.
„Hier, Jan“, hatte er gesagt, „ein guter Oberkellner braucht Zugang zum Lokal. Falls es mal brennt oder wenn wir im Urlaub sind und das Licht vergessen haben auszumachen.“
Und ja, es hatte gebrannt. Nicht das Licht, sondern in ihm selbst. Seitdem ließ ihn die Frage nicht mehr los, wo Karl sein Schwarzgeld versteckt hielt. Das zu erwirtschaften war in der Großgastronomie ganz einfach. Die Zeche der Gäste wurde einfach in das eigene Säckel gesteckt. Ohne Bank, ohne Steuer. Folglich musste Karl es irgendwo versteckt haben, höchstwahrscheinlich in seiner Wohnung.
Ja und wenn er, der ach so gute Oberkellner, nicht durch seinen Fleiß dazu beigetragen hätte, wenn er sich nicht die Hacken abgelaufen hätte, nicht schnell genug die Speisen aus der Küche gebracht, Bier gezapft, die Stühle hochgestellt und nicht ab und zu den Besen in die Hand genommen hätte, dann wäre Karl aufgeschmissen gewesen. Und deswegen fand er, stand ihm rechtmäßig ein Teil von Karls Geld zu. Und wenn er schon mal dabei war, konnte er auch alles nehmen. Also hatte er seinen Wagen auf dem uneinsehbaren Parkplatz gegenüber der Gastwirtschaft geparkt, hatte seine Aktentasche und seine Taschenlampe genommen und den Hintereingang benutzt. Es musste ja niemand sehen, dass er das Lokal betrat.
Er hatte die Tür aufgeschlossen und war zusammengezuckt, als sie beim Öffnen laut quietschte. Hastig blickte er nach rechts und links, aber niemand war in der Nähe, der ihn hätte beobachten können. Er schlüpfte ins Haus und schloss die Tür so leise wie möglich, ging durch das Treppenhaus in den ersten Stock, bis vor die Wohnungstür.
In die Intimsphäre zweier Menschen einzudringen, war nicht einfach und es ging ihm gewaltig gegen den Strich. Wenn er nur nicht so frustriert gewesen wäre!
Schließlich fand er den Tresor im Schlafzimmerschrank und atmete auf. Der Safe besaß ein Zahlenschloss. Dann die Zahlenkombination. Im Prinzip war Karl leichtsinnig. Bei Zahlen benutzte er immer die gleiche Kombination. Nämlich die Geburtsdaten seiner Frau. Achter September neunzehnhundertvierundachtzig.
Jan öffnete den Safe. Ein gewaltiger Stoß Scheine lachte ihm entgegen. Scheine in ockerfarbenen Tönen mit dem Porträt der mythologischen Gestalt Europas vor einem Fenster und den kleinen Euro-Symbolen. Das alles in handliche Päckchen gebündelt. Schätzungsweise um die hunderttausend Euro. Obenauf lag eine goldene Rolex.
Bei der Rolex kam er zunächst ins Straucheln, nahm sie dann an sich, steckte sie in seine Aktentasche und verließ damit die Wohnung. Unten öffnete er die Hintertür einen Spalt, spähte hinaus und vergewisserte sich, dass niemand sich auf der Straße aufhielt. Sie war leer.
Er trat hinaus, schloss die Tür ab, ging zu seinem Wagen und fuhr nach Hause.
Zunächst fuhr er in seine Wohnung, wo er sich kurz entspannen musste.
Da hatte er schon eine seiner großen Reisetaschen gepackt. Zwei Paar Jeans, Unterwäsche, ein Oberhemd. Nicht zu viel. In die Tasche musste noch das Geld. Wenn etwas zum Anziehen fehlte, würde er es in Wald-Michelbach oder Weinheim nachkaufen können.
Er versteckte das Geld und die Uhr unter der Wäsche und nachdem er sich kurz ausgeruht hatte, stellte er Gas und Wasser ab und warf den Müll in die Tonne, damit er nicht stank.
In seinem Nachttisch bewahrte er etwas Kleingeld auf. Sechs Zehneuroscheine und ein paar Münzen. Er nahm es an sich. Noch vor der Morgendämmerung brach er auf.
Eine Stunde später durchquerte er die Lüneburger Heide. Danach ging es weiter Richtung Soltau. Er fuhr die Nacht über durch.
Gegen sechs Uhr schlitterte er in einen Stau des morgendlichen Berufsverkehrs. Er umfuhr die Ansammlung der Blechlawinen. Gönnte sich in Hannover einen Kaffee an Autobahnraststätten. Kurz vorm Westerwald verließ er die Autobahn. Nicht nur, weil es auf der Autobahn stockte, sondern, weil er ein paar Schleifen fahren wollte, um seine Spur zu verwischen.
Denn das war sein Ziel: seine Spur zu verwischen. Ein für alle Mal. Er hatte sich entschieden, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.
Doch dazu musste er zunächst dieses Wald-Michelbach und Stephanies Haus finden.
Allerdings war er völlig mit den Nerven am Ende. Zwölf Stunden hinter dem Lenkrad hatten ihn erschöpft, vergeblich hatte er gegen grelles Licht und die Müdigkeit angekämpft. Nun hatte er die richtige Straße verpasst, mitten in der Nacht, im Schneesturm, in der Einsamkeit. Er sah in den Rückspiegel und erkannte, dass sein Lächeln verschwunden war. Er zitterte am ganzen Körper, nicht nur wegen der fehlenden Heizung. Und rechts von ihm ging es steil einen Abruf herunter und er war in der gottverlassenen Gegend, die er je gesehen hatte. Hier war nichts aus Bäume und Schnee. Schnee und Bäume und Wind, der ums Auto heulte.
Er nutzte nichts, er würde anhalten müssen. Er würde die nächste Bucht oder Ausbeulung dieses verdammten Weges abwarten und dann kurz halten, um zu überlegen. Wahrscheinlich war es das Beste zu drehen. An und nahm das Smartphone zur Hand, drückte auf die Navi-App, aber das Gerät reagierte nicht. Richtig, Stephanie hatte ihn erst neulich vor den Funklöchern im Odenwald gewarnt. Wütend schlug er aufs Lenkrad ein. Ha, der verdammte Witz: Und sie fanden nur noch sein Skelett, das am Lenkrad festgefroren war. Aber nein, war er verrückt? Er sollte solche Gedanken unterlassen und sich auf die Situation konzentrieren.
Es half nichts, es gab nur eine einzige Möglichkeit, ihm blieb nichts anderes übrig, als umzukehren.
Als wenn das eine einfache Angelegenheit wäre, denn er wusste, rechts ging der steile Abgrund hinunter ins Tal. Das hatte er die ganze Zeit über ausgeblendet.
Aber nur weil man etwas ausblendete, verschwand es nicht. Ganz im Gegenteil, der Abgrund war ziemlich real. Allein die Vorstellung, er würde mit dem Wagen den unbefestigten Hang hinabrutschen, war kein guter Gedanke. Inzwischen war die Frontscheibe völlig vereist. Er nahm den Eiskratzer und stieg aus. Der Wind pfiff ihm eisig um die Ohren, und die Schneeflocken peitschen ihm ins Gesicht. Obendrein hatte er vergessen, Handschuhe mitzunehmen. Nach kaum einer Minute Eiskratzen fühlten sich seine Finger taub an und machten die Arbeit zu einer Qual, die eine gefühlte Ewigkeit zu dauern schien. Verdammt, aber endlich hatte er es geschafft. Er kratzte mühsam die Windschutzscheibe frei, stieg ins Auto, startete den Motor und gab vorsichtig Gas. Mit dem Ergebnis, dass die Räder durchdrehten und der Wagen sich keinen Zentimeter bewegte. Jan fluchte und verprügelte das Lenkrad, bis ein scharfer Schmerz in der Hand ihn zur Besinnung brachte. Widerwillig stieg er aus, ignorierte die eisigen Schneeflocken, die der Wind ihm wie Eisnadeln ins Gesicht peitschte, und besah sich die Bescherung. Die Vorderreifen hatten sich tief in den Schnee gegraben. Und eine Schaufel hatte er natürlich auch nicht mitgenommen. Also musste der alte Trick herhalten. Jan nahm die Fußmatten und legte sie so dicht wie möglich unter die Reifen. Mit etwas Glück würden die dort Halt finden.
Leider taten ihm die Reifen diesen Gefallen nicht, sondern drehten weiterhin durch und gruben sich dadurch noch tiefer in den Schnee. Was nun? Er konnte unmöglich die Nacht im kalten Auto verbringen, denn er hatte auch keine Decke. Und die Scheibe vereiste schon wieder.
Irgendwann würden sie ihn hier finden. Der alte Witz, und sie fanden nur noch ein Skelett.
Er schüttelte sich bei dem Gedanken.
Aber Himmel, was sollte er bloß tun? Die Befürchtung, hier einsam im Wald zu erfrieren, war gar nicht so unrealistisch. Sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust, während er aus der Windschutzscheibe starrte. Immer wieder dachte er über seine Situation nach, kam aber auf keinen grünen Zweig. Ein Leben an der Seite von Stephanie schien immer weiter in die Ferne zu rücken, er würde doch hier erfrieren. Doch dann bemerkte er es: Ein Lichtschein. Oben im Wald zwischen den Bäumen und dem Schneevorhang hindurch. Er schätzte, ungefähr zwanzig bis dreißig Meter weiter weg. Da war etwas.
Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, konzentrierte sich. Und jetzt glaubte er sogar, Umrisse erkennen zu können. Sie waren kantig, passten also nicht zu den unregelmäßigen Konturen der Natur, eher wie ein übergroßes Quadrat und einem Dreieck oben. Himmel, er wagte es nicht zu hoffen, waren es etwa die Umrisse eines Hauses? Für einen Moment stockte ihm der Atem. Und dieses Haus war beleuchtet? Das hieß, dass jemand darin wohnte, zumindest, dass jemand da war. Das wäre die Rettung.
Er versuchte, sich noch besser zu konzentrieren. Starrte hinauf. Sollte es ein Haus sein, dann war etwas komisch. Irgendetwas hing da außen an der Fassade, es sah aus wie eine Verästelung, wie übergroße Zweige oder so etwas Ähnliches. Aber das sollte ihm jetzt völlig egal sein, wichtig war nur, da oben war Licht. Und nun wünschte er sich nichts sehnlicher als einen heißen Kaffee oder einen warmen Tee. Im Gedanken wurde dieser Wunsch immer größer und begehrlicher. Sicher konnten Sie ihm auch mit einer Fußmatte für die Räder oder mit etwas Stoff aushelfen.
Jan öffnete die Fahrertür und stieg aus. Sofort blies ihm der eiskalte Wind um die Nase und er stellte den Kragen hoch. Bevor er loslegte, blieb er kurz stehen. Er könnte natürlich dem Weg folgen, den er hochgefahren war. Das würde allerdings bedeuten, dass er jede Kurve mitnehmen musste. Und davon gab es viele. Ein nicht enden wollender Bandwurm. Besser war es vielleicht, sich durch den Wald zu schlagen. Das wäre sicher beschwerlich, aber sicher erheblich kürzer.
Sein Verstand raste, während er die Möglichkeiten abwog. Der Weg durch den Wald würde geschützter sein. Also gut, auf was wartest du noch? Er drehte sich um, schloss den Wagen ab und dachte noch kurz an das Geld im Kofferraum. Das konnte er natürlich nicht mitnehmen. Stattdessen überzeugte er sich, dass er fest geschlossen war. Dann kämpfte er sich durch den eisigen Wind und den Schneeflocken hinüber zum Hang. Erst einmal musste er einen Einstieg in das unwägbare Gelände finden. Er bemerkte den Baum, er würde ihm helfen. Als er sich an einem Stamm hochzog, kratzte die Baumrinde an seinen Händen.
Schließlich hatte er es geschafft, er stand oben. Er atmete durch, blickte sich um. Im Wald war es tatsächlich windstiller, doch er sollte sich nicht zu früh freuen, die Hauptarbeit lag noch vor ihm.
Er setzte einen Schritt nach vorn, Äste knackten unter der Schneedecke.
Los beeil dich, versuchte er sich zu motivieren, ein Kauz rief.
Mit schweren Schritten stolperte er durch den weißen Schnee. Er musste klettern und rutschte immer wieder ab. Aber immer wieder blickte er nach oben, um sich zu überzeugen, dass er die richtige Richtung einschlug.
Ein sattes Geräusch schreckte ihn auf und er erschrak. Er blickte sich um, es war eine Schneeverwehung hinter ihm. Die Kälte, die ihm unter die Jacke gekrochen war, war verschwunden, er schwitzte jetzt. Beim nächsten Aufschauen hoch zum Haus blieb er überrascht stehen. Das Bild hatte sich geändert. Das Licht war mehr geworden. Eine helle Lampe brannte oben in einem der Zimmer. Er konnte jetzt ganz klar erkennen, dass es ein Haus war. Dabei hätte er fast über sich selbst lachen müssen. Die Verästelungen entpuppten sich als ein riesiges Geweih an der Außenfassade. Im Zwielicht wirkte es fast dämonisch.
Dann passiert etwas Komisches. Zu seiner Überraschung beobachtete er, wie eines der Fenster unter dem Giebel aufgerissen wurde. Er konnte es nur schemenhaft sehen. Und genauso schemenhaft beobachtete er, wie etwas aus dem geöffneten Fenster schnellte. Es passierte mehr als schemenhaft, so schnell, und es war nicht zu erkennen, was es gewesen war. Und im nächsten Moment zweifelte er sogar an der eigenen Beobachtung, aber dann kam er zu dem Schluss, dass er sich nicht getäuscht hatte. Und schließlich war es unwichtig. Es wird Unrat gewesen sein. Mal ehrlich würd er es nicht auch machen, wenn er in so einer gottverlassenen Gegend wohnen würde? Einfach etwas Abfall übers Fenster entsorgen, sah ja normal keiner. Also, was willst du, Jan? Er wollte nur eines: Er wollte zu diesem Haus hinauf, bevor er hier festfror, und sein Leben zischen Fuchs und Hase lassen musste.
Lotte erschrak und hob ruckartig den Kopf. Hatte sie nicht ein Geräusch gehört? Das Aufheulen eines Motors. So spät noch?
Sie legte ihr Buch auf dem Teewagen neben sich ab und lauschte. Doch im nächsten Moment wurde ihr klar, dass es lediglich der Schneesturm draußen war, der sein Unwesen trieb. Und dass es bereit düster geworden war. Ein ganz normaler Schneesturm an einem winterlichen Abend und für die Höhenlagen des Odenwaldes nichts Ungewöhnliches.
Lotte atmete auf und lehnte sich zurück. Sie war so in ihr Buch vertieft gewesen, dass sie den Wetterwechsel gar nicht bemerkt hatte. Auch nicht, dass es im Wohnzimmer inzwischen recht frisch geworden war. Bevor sie sich weiter ihrem Buch widmete, stand sie auf, ging zu dem Jagdofen hinüber und legte Holz nach.
Es war ein alter Ofen, wie hier fast alles alt war, mit verschnörkelten Jagdmustern auf dem schwarzen Schamottkorpus. Er stand schon hier, seit sie zurückdenken konnte. Fünfunddreißig Jahre lebte sie hier. Seit sie ein Kind war, und Paps lehnte es kategorisch ab, ihn durch eine moderne Heizung zu ersetzen, sofern das hier draußen überhaupt möglich gewesen wäre.
Das fand sie nicht schlecht. Sie liebte es, von gewohnten Dingen umgeben zu sein. Es hatte etwas Beruhigendes, Vertrautes. Veränderungen gab es nur dort draußen. Vor manchen musste man sich richtig in Acht nehmen.
Angenommen sie ginge hinaus in den Wald, um Holz zu sammeln, die Wildschweine hatten in der letzten Zeit überhandgenommen und konnten gefährlich werden. Oder noch schlimmer, sie fuhr hinunter in die große Stadt. Zum Beispiel nach Mannheim oder nach Heidelberg. Sie konnte von den Kerlen angesprochen werden.
Da war es hier drinnen im Haus viel angenehmer.
Und mit einer unterhaltsamen Lektüre war es direkt gemütlich.
Sie setzte sich wieder in ihren Sessel und nahm ihr Buch . Sie betrachtete die Titelseite. Vom Winde verweht. Ein alter Klassiker. Sie schlug das Buch auf und suchte die Stelle, bei welcher sie unterbrochen worden war, wo Rhett Scarlett küsste. Manchmal konnte sie sich leibhaftig in die Szenen hineinversetzen. Dann wünschte sie sich, Rhett würde nicht Scarlett küssen, sondern sie. Ihr Herz schlug schneller. Wie immer, wenn sie an solche romantischen Dinge dachte. Im gleichen Moment durchzuckte es sie. Denn sie wusste, dass auch andere Dinge Klopfgeräusche verursachten. Zum Beispiel Stöcke. Paps‘ Stock. Er war wohl aus dem Bett aufgestanden und hatte sicher schreckliche Laune. Wie immer, wenn sie nicht gleich neben ihm stand und ihm seine Wäsche reichte.
Rasch versteckte sie das Buch unter dem Stapel Zeitungen auf dem Teewagen, stand auf und eilte hinaus in den Flur. Dort stand Paps und blickte sie finster an. Das bedeutet nichts Gutes. Und so war es auch. Er deutete mit dem Stock auf die Ecke hinter dem Garderobenschrank, von wo ein herzzerreißendes Piepsen ertönte. „Sieh nach!“, befahl er mit seiner schnarrenden Stimme.
Sie brauchte nicht nachzusehen, denn das Piepsen verriet ihr, was sie dort finden würde. Trotzdem ging sie hin und schob das Schränkchen zur Seite. Eine Ratte hatte sich in der dort aufgestellten Klappfalle gefangen – eine ziemlich große mit glattbraunem Fell. Die Falle hatte die Ratte in der Mitte zerquetscht, aber nicht getötet. Sie zappelte. Eines ihrer Hinterbeine hing über den Rand der Falle hinaus und versuchte, zuckend auf dem Holzboden Halt zu finden. Vergeblich. Ihr Fell war mit Blut durchtränkt.
„Was sagt du dazu?“, knurrte Paps. „Das ist deine Aufgabe. Und warum hast du unten schon das Licht ausgemacht? Wann wirst du endlich mal erwachsen und kommst deiner Verantwortung nach, Kleine?!“ Er deutete energisch auf die Ratte.
Lotte schluckte. Ihr wurde übel. „Aber, Paps, ich … ich …“ Sie blickte zwischen sich und der Ratte hin und her. Sie wusste, was er von ihr erwartete, wusste, was er in Bezug auf die Ratte von ihr erwartete.
„Heb sie auf!“, brüllte er sie an.
Aber sie konnte nicht. Ihr war nicht nur übel, ihr auch ein Kloß saß in ihrem Hals und nahm ihr die Luft zum Atmen. Die Ratte schnappte kraftlos nach Luft. Ihre Augen traten aus den Höhlen.
Lotte wandte sich ab. Die raue Stimme ihres Vaters drang in ihr Unterbewusstsein.
„Dass du nie mitbekommst, wenn die Falle zuschnappt!“, schimpfte Paps. „Du weißt, dass sie kommen, wenn es draußen schneit. Aber das kümmert dich nicht. Stattdessen gibst du dich deinem Schmuddelkram hin! Dieser verdammten Schundlektüre!“ Böse funkelte er sie an.
Mit einem Mal verstummte Paps. Verstummte einfach und sagte kein Wort mehr. Er stand da, versteinert wie aus Marmor gehauen.
Lotte starrte ihn an. Starrte ihn und die Ratte an.
Dann, nachdem sie gedacht hatte, er wäre für immer in die ewigen Jagdgründe entschwunden, redete er weiter, so als hätte er nie aufgehört.
„Aber nein, meine Tochter gibt sich lieber Schundlektüre hin.“
Lotte erschrak. Konnte Paps jetzt schon durch Wände sehen?
„Das ist keine Schundlektüre, Paps. Das ist klassische Literatur, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde …“
„Klassische Literatur? Dass ich nicht lache. Du wirst das jetzt tun. Schau die Ratte an.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann wirst du mit den Konsequenzen leben müssen, Kleine.“ Seine Stimme war mit einem Mal trügerisch sanft.
„Dann werde ich dich verlass …“
„Nicht! Sag es nicht!“, schrie sie, und der Kloß löste sich aus ihrem Hals. Sie betrachtete die Ratte eingehend. Das arme Tier versuchte immer noch, sich zu befreien. Der Tod war manchmal eine Erlösung. Und es war ein Akt der Nächstenliebe, eine gequälte Kreatur nicht länger leiden zu lassen.
Draußen strich der Sturm um die Ecken und ließ das Haus ächzen. Die alten verstaubten Jagdtrophäen hier an der ebenso vergilbten Rispentapete an der Wand, das alte unmoderne Telefon auf dem Garderobenschrank. All diese vertrauten Gegenstände waren ihr plötzlich zuwider und wirkten wie Bollwerke aus einer längst vergessenen Zeit. Hier kam sie sich mit einem Mal vor, als steckte sie in einer Zwangsjacke.
Widerwillig nahm sie die Rattenfalle auf. Das Fell der Ratte fühlte sich klebrig und feucht an. Das Tier schnellte mit seinem Kopf herum und versuchte, sie zu beißen. Sie streichelte über das blutige Fell. Paps stand hinter ihr. Sein typischer Geruch nach Rasierwasser und Mottenkugeln stieg ihr in die Nase und verursachte neue Übelkeit. Er berührte sie zart an ihrer Schulter. „Na los.“
Blut tropfte auf die Dielen, das würde sie nachher wegputzen.
„Los“, forderte Paps sie auf. Sie beugte sich über die Rattenfalle, zog die Feder zurück und holte die Ratte heraus. Sie drückte das zappelnde Tier sanft auf die Anrichte.
„Gleich wird es vorbei sein“, versuchte sie das Tier zu trösten.
Ein dünner Blutstrom quoll aus der klaffenden Wunde und dem Maul heraus. Lotte war mittlerweile so von Sinnen, dass sie Paps‘ Stimme nur noch wie aus der Ferne hörte. „Nun, nimm endlich das Messer.“
Sie zog die Schublade der Anrichte auf, nahm das zwar keine, aber scharfe Obstmesser heraus und setzte die Klinge am Hals der Ratte an. Sie atmete tief durch, schloss die Augen und trennte mit einem einzigen, kräftigen Schnitt den Kopf des Tieres vom Rumpf. Die Ratte erschlaffte. Paps nickte zufrieden und verließ das Bad in Richtung seines Zimmers, sie starrte ihm hinterher. Die Lektion war erledigt und sie würde die tote Ratte entsorgen müssen. Sie nahm den Kadaver an den Füßen und schritt eilig hinüber zum Badezimmer und öffnete die Tür. Mit der Ratte in der einen knipste sie mit der anderen Hand das Licht an. Als Nächstes öffnete sie das Fenster. Es klemmte wie immer und sie brauchte ihre ganze Kraft, um es zu öffnen. Zum Schluss warf sie den Kadaver der Ratte im hohen Bogen zum Fenster hinaus. Morgen würde sie ihn wie immer mit den Abfällen der letzten Schlachtung entsorgen. Sie löschte das Licht, ging zurück in das spärlich beleuchtete Wohnzimmer, zog die Vorhänge zu und widmete sich wieder Rhett.
Jan stolperte nach oben. Plötzlich ging oben das Licht aus. Es war stockfinster und sein Herz klopfte. Doch dann zu seiner Beruhigung bemerkte er, dass wieder der kleine Schein brannte. Wahrscheinlich die Abendbeleuchtung. Es kam ihm jetzt vor wie der Wegweiser, der Wegweiser zu seinem Glück, zu seiner letzten Chance. Der Wind weht um ihn herum. Er stolperte und hatte keinerlei Orientierung aus dem wenigen Licht da oben, das immer wieder hinter den Bäumen oder einer Schneeverwehung verschwand, je nachdem wie er sich bewegte oder der bind die Äste bewegte.
Er hatte das Gefühl, er würd nie da oben ankommen. Und was erwartete ihn dort. Es war wie in einem schlechten Horrorfilm, die ganzen letzten Stunden waren wie im Horrorfilm und er bereute schon mächtig, was er getan hatte. Es war eine Schnapsidee, eine verdammte Schnapsidee. Und wenn er ehrlich zu sich war, sie konnte nie und nimmer gut gehen. Er dachte an seinen Bruder Rolf, der wahrscheinlich massive Probleme bekommen würde.
Grüber kannte ihn und er würde ihn ausquetschen wie eine Zitrone. Und Rolf, was würde er sagen? Kann sein, dass Jan das Geld mitgenommen hat? Sicher nicht. Er würde ihn später anrufen und ihn bitten, dichtzuhalten. Maien Güte, was für eine Herausforderung. Im Hintergrund rief ein Käuzchen.
Jan fuhr herum. Es war niemand hinter ihm. Es hätte auch sein können, dass ihm jemand gefolgt wäre. Er war einfach nicht der Typ, kriminelle Sachen zu machen. Aber er hatte sie gemacht. Er dachte an Stephanie. An ihr kleines Café. Sie hatte ihm einmal erzählt, dass sie ihren Ex-Mann für die Gaststätte beliehen, dass er ihr ganz schön übel mitgespeilt hatte. „Man könnte fast sagen, er hatte mich mit den Zinsen übers Ohr gehauen“, hatte sie ihm gegenüber einmal erzählt. Und dass sie immer noch Geld an ihren Ex-Mann abdrücken musste.
Jan verspürte eine richtige Wut auf den Kerl. Deswegen hatte er ja das Ganze gemacht.
Aber hör auf, es bringt nichts.
Er stellte sich lieber ein Leben mit Stephanie vor. Dachte an ihre langen schlanken Beine. Würde er sie jemals wiedersehen?
Aber jetzt stell dich nicht so an und achte auf den Weg.
Der war verdammt gefährlich, es war kalt, eisig und die Wurzeln unter der Schneedecke waren glatt und glitschig. Und vor allen Dingen, man konnte sie nicht erkennen.
Das Gefühl, dass er schwitzte, was er die ganze Zeit gehabt hatte, war wie weggeblasen, und die Kälte fraß sich durch seine Kleidung, sodass er bis auf die Knochen froh. Er hoffte jetzt, dass dieses Abenteuer endlich ein Ende nehmen würde.
Er stolperte weiter, wobei er strikt dabei achtete, die Richtung nicht zu verlieren. Immer im Blick das kleine Licht und er hoffte, er betete, das es nicht auch noch ausging, es war das Licht der Hoffnung. Der Hoffnungsträger und der Nacht, und wer da oben wohnte, war auch sein Hoffnungsträger. Ein heißer Kaffee oder Tee wäre gut, aber wenigstens eine Unterlage, ein Teppich, ein Tuch, um die Räder freizubekommen.
Und dann? Das hatte er sich nicht überlegt, er würde sehen. Vielleicht ließen sie ihn tatsächlich für einen Moment rein, so seine Hoffnung. Er könnte sein Handy aufladen, das bestimmt nur noch halb gefüllt war, wenn überhaupt und wenn sie ein passendes Ladekabel finden würden. Oder er lieh sich eine Taschenlampe, um den Berg wieder herunterzukommen. Das war alles zweitrangig.
Er stolperte. Das Licht. Es war nun ganz nah, zum Greifen nah. Er hatte es für einen Moment vergessen. Wie konnte er es vergessen? Es war egal.
Das Haus, es thronte jetzt vor ihm, nur noch ein kleiner Schritt und er würde oben sein. Den letzten Rest hangelte sich an einem Baumstamm hoch, stellte sich auf seine Beine. Er war hier, er hatte es geschafft.
Eine Welle der Erleichterung und Dankbarkeit überflutete ihn. Jan atmete durch, klopfte den Schnee ab und blickte sich um.
Der Mond hatte sich hinter einer Wolke hervor geschoben, sodass er das Haus gut betrachten konnte. So wie er sehen konnte, war es in einem schäbigen Zustand. Das Geweih über ihm sah so aus, als wolle es jeden Moment herunterfallen, während er hier kurz verweilte. Das Fachwerk, welches vorne zu sehen war, sah rissig und vermodert aus.
Eingegrenzt war das Haus durch einen rostigen Gartenzaun. Er folgte ihm, bis er zu einem Vorgarten gelangte, an dem ein Gartentürchen angebracht war. Es hing halb schief in den Angeln.
Als er es noch ein wenig aufsperrte, um sich durchzuzwängen, quietschte es. Wie das Arpeggio eines verrückten Musikers schoss es ihm in den Kopf. Er schob sich hindurch, suchte nach dem Hauseingang. Er fand ihn, schritt in die Richtung und bleib stehen.
Auch die Haustür sah stark vermodert aus. Eine alte Eichentür mit Schnitzereien, eine Jagdszene. Sie besaß ein milchverglastes Fenster mit einem Gitter, das stark verrostet aussah. Das Holz war teilweise grau und abgesplittert. Die Tür musste einmal imposant und ein Hingucker gewesen sein. Aber jetzt in ihrem elenden Zustand passte sie zum Rest des Hauses.
Jan suchte die Mauer vergeblich nach einer Klingel ab. Es war keine vorhanden, also klopfte er. Es dauerte eine Weile, in der nichts passierte, und er war schon enttäuscht. Drinnen ging Licht an und er hörte gedämpft Schritte, die lauter wurden.
Einen Moment später sah er durch deren milchverglastes Fenster einen Schatten auf sich zukommen. Er atmete auf und im gleichen Augenblick ging die Tür auf.
„Ja bitte?“
Nachdem er die Frau gesehen hatte, war er verblüfft. Warum auch immer hätte er einen Mann erwartet. Er betrachtete sie kurz. Sie trug ein Kleid, das wahrscheinlich einmal in den Sechzigern des vergangenen Jahrtausends modern gewesen war. Darüber eine alte Jacke, dazu Wollstrumpfhosen und an den Füßen lediglich Slippers. Ihr aschblondes schulterlanges Haar war zu Zöpfen geflochten. Er schätzte sie auf höchstens Mitte dreißig, aber die Zöpfe und die Kleidung und vor allen Dingen ihr unschuldiger Blick gaben ihr etwas Mädchenhaftes. Eine kleine unscheinbare Narbe zog sich über ihre Stirn.
„Entschuldigen Sie die Störung“, sagte Jan, er spürte beim Sprechen die Kälte der Luft in der Kehle. „Ich bin mit meinem Auto davor gestrandet.“ Er deutete in Richtung des Weges. „Ich bräuchte eine Unterlage, um den Wagen freizubekommen. Haben Sie so etwas?“
Sie blickte ihn skeptisch an, ihre Augen glitten über sein Gesicht und den Schnee, der sich auf seinen Schultern und seiner Mütze gesammelt hatte. „Ich weiß nicht ...“, begann sie zögernd, öffnete die Tür einen weiteren Spalt. „Ich bräuchte einen Teppich oder eine Strohmatte, irgendetwas, das als Unterlage dienen könnte. Bitte“, fuhr Jan drängend fort. „Es ist wirklich wichtig. Ich bin schon seit Stunden unterwegs, und es wird immer kälter. Bitte helfen Sie mir, damit ich weiterfahren kann.“
Die Frau schien einen Moment lang zu überlegen, dann nickte sie langsam. „Kommen Sie in den Flur“, sagte sie, öffnete ganz die Tür und ließ ihn eintreten.
Und er erschrak. Glasige Augen blickten ihn von den Wänden her an. Bis er begriff, dass es lediglich Jagdtrophäen waren. Erleichterte stieß er seinen Atem aus. Er war so angespannt gewesen, dass er sich beinahe hätte ins Boxhorn jagen lassen. Unter anderen Umständen hätte er über sich selbst gelacht. „Warten Sie hier“, murmelte sie und verschwand. Er wartete ungeduldig, sein Herz pochte dabei laut in seinen Ohren, in der Hoffnung, dass sie etwas Geeignetes fände. Endlich kehrte sie zurück, einen alten Teppich in den Händen. Sie reichte ihn ihm, und er atmete auf.
„Vielen Dank“, sagte er. „Das ist wirklich toll.“
Die Frau lächelte. „Wo kommen Sie denn her?“
„Vom Weg unten, antwortete er. Ich glaube wirklich, ich habe mich verfahren.“
„Na dann, passen Sie auf sich auf da draußen. Den Teppich könne Sie einfach dort liegen lassen. Er ist alt, ich hole ihn bei Gelegenheit, wenn der Schnee weg ist. Aber Fahren Sie vorsichtig, wenn Sie zurückfahren. Der Weg ist allein schon im Sommer eine Herausforderung. Es war mutig im Schnee ganz hochzufahren.“
Jan nickte, bedankte sich ein paar Mal, und kämpfte sich gegen den Schnee zurück zu seinem Auto. Der Wagen war mittlerweile mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Teppich unter den Reifen und stieg in den Wagen. Zu seiner Erleichterung sprang der Motor problemlos an. Doch damit war sein Glück bereits ausgeschöpft, denn die Räder drehten immer noch durch.
Meine Güte, er hätte wahnsinnig werden können. Er trommelte dermaßen auf das Lenkrad, dass er versehentlich dabei die Hupe erwischte. Das Geräusch hallte in die stille Nacht hinein.
Er griff wieder zum Smartphone, aber das Ding hatte immer noch keinen Empfang. Wäre ja auch zu schön gewesen. Die Frau oben im Haus hatte hoffentlich ein Festnetztelefon, das er benutzen konnte. Er stieg aus, knallte die Autotür zu und stapfte fluchend zum zweiten Mal durch Schnee und Kälte zum Haus.
Das Licht im Flur bannte noch. Er klopfte an die Tür. Wieder sah er den schlanken Schatten im Flur auf sich zukommen. Ihm war heiß und sein Herz klopfte.
Erst jetzt merkte er, dass er den Teppich unten vergessen hatte, den er eigentlich hätte mit hochbringen wollen. Das war jetzt egal, ganz egal.
Zum Glück, sie öffnete.
„Tut mir leid, Sie nochmals zu stören“, raunte er. „Aber es klappt nicht. Darf ich Ihr Telefon benutzen? Denn mein Handy hat hier keinen Empfang.“
„Ach wie dumm?“ Sie lächelte, zuckte mit den Schultern. „Wir haben hier keinen Empfang. Wenn es nicht anders geht, kann ich den ADAC anrufen. Klopfen Sie sich bitte die Füße ab.“
Sie ließ ihn eintreten und er tat, wie sie ihm geheißen hatte. Wieder starrten in die ausgestopften Tiere an.
„Möchten Sie vielleicht einen Tee?“