Boomer gegen Zoomer - Daniel Goffart - E-Book

Boomer gegen Zoomer E-Book

Daniel Goffart

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Beschreibung

Wie sich die Generationen wieder besser verstehen Ob Umweltzerstörung, Klimawandel oder Diskriminierung: Geht es nach den Jungen, dann hinterlassen die Eltern ihnen eine Welt in Trümmern. Doch wer hat den Wohlstand aufgebaut, in dem die Jungen heute so selbstverständlich leben? Die Eltern haben die Grünen gegründet, auf Gleichberechtigung gepocht und die Energiewende erfunden, doch sie scheinen auf halbem Wege stehen geblieben zu sein. Sind die Ansprüche der Gen Z höher als ihr Fleiß – oder haben die Boomer nur einem übertriebenen Leistungsdenken gehuldigt? Dieses Buch gibt Antworten auf Fragen, über die an jedem Küchentisch gestritten wird. Alle großen Streitthemen der Generationen: von Arbeit & Karriere, Klima, Liebe bis Politik

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Einleitung

Kapitel 1

Prägung – Wie wir wurden, was wir sind

Kapitel 2

Klar, Klimaschutz! Aber wie entschlossen sind wir wirklich?

Kapitel 3

Ernährung – Alles bio, oder was? Die Politik in der Küche

Kapitel 4

Gleichberechtigung – von Glasdecken, Quoten und Sexismus im Alltag

Kapitel 5

Partnerschaft & Liebe – achtsam, offen, aber unverbindlich?

Kapitel 6

Internet & neue Medien – Lost in Isolation?

Kapitel 7

»Cancel Culture« – der neue Kulturkampf um das »Unsagbare«

Kapitel 8

Resilienz – Generation unglücklich?

Kapitel 9

Arbeit und Karriere – der schmale Grat zwischen Übereifer und Work-Life-Balance

Kapitel 10

Demografie – ein bedrohliches, aber (fast) schuldloses Versäumnis

Kapitel 11

Konsum – vom »Alles, was geht« zum »Muss ja nicht sein«

Kapitel 12

Politik und Repräsentation – Straße statt Sofa, Demo statt Ortsverein

Literatur

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Einleitung

Warum sollen Sie ein neues Buch zum Konflikt der Generationen lesen? War es nicht immer schon so, dass die Alten über die Jungen schimpften und die Jungen sich unverstanden fühlten? Ist der Stoßseufzer der Eltern über die »Jugend von heute« nicht zu allen Zeiten ausgestoßen worden? Und stimmt es nicht, dass man jung sein muss, um große Dinge zu tun, wie schon Johann Wolfgang von Goethe schrieb?

Es gehört zum Privileg der Jungen, die Welt jedes Mal neu für sich zu entdecken und daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Das ist – verbunden mit dem notwendigen Loslösungsprozess vom Elternhaus – immer mit Konflikten verbunden. Das Ausmaß der Differenzen ist jedoch höchst unterschiedlich. Die »Generation Golf« lebte als Teenager der frühen Achtzigerjahre in einem eher langweiligen und beschaulichen Jahrzehnt. Sie konzentrierte sich mehr auf Mode und Marken denn auf Politik und Proteste – so zumindest die Beschreibung im gleichnamigen Buch von Florian Illies.

Aber auch danach wurde es zwischen den Alten und Jungen nicht unbedingt konfliktreicher. Die Bezeichnung der verschiedenen Altersgruppen wechselte zwar, aber Konsumneigung und Hedonismus blieben – ob nun in der »Generation Praktikum«, den »Digital Natives«, den »Millennials«, der »Generation Facebook«, der »Generation Ecstasy« oder der »Generation X«. In allen Studien, die zu den jeweiligen Gruppen erhoben wurden, stimmte die überwiegende Mehrzahl der Befragten der erstaunlichen Aussage zu, dass sie ihre eigenen Kinder später im Wesentlichen so erziehen würden, wie ihre Eltern es mit ihnen gemacht haben.

Das klingt zunächst nach einem recht harmonischen Verhältnis und weniger nach Generationenkonflikt. Aber unter dieser Oberfläche einer wachsenden Toleranz und Freiheit im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern begann es irgendwann zu knirschen. Das entscheidende Ereignis spielte sich 2018 auf einem schwedischen Schulhof ab und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Greta Thunbergs Schulstreik für das Klima und das daraus entstandene globale Bündnis Fridays for Future politisierte die Jugend auf der ganzen Welt. Die Auseinandersetzung mit der ungelösten Klimafrage führte zu der bitteren Erkenntnis, dass es für unsere Erde buchstäblich fünf nach zwölf und nicht mehr, wie bislang behauptet, fünf vor zwölf ist.

Aus dieser Betroffenheit und dem Erschrecken daraus resultierten schließlich Forderungen nach einer radikalen Umkehr, verbunden mit einer immer schärferen Kritik an den Älteren als Verursacher des Klimawandels. Insbesondere die Babyboomer, also die Menschen der Jahrgänge 1955 bis 1969, sind ins Fadenkreuz der weltweiten Jugendkritik geraten: Sie konsumieren bedenkenlos, fahren Auto, und gerade die »alten weißen Männer«, die Chefetagen in Politik und Wirtschaft besetzen, sind verantwortlich für die Ausbeutung unserer Erde. Auf der Seite der Boomer wurde die Generation Z, die Jahrgänge 1996 bis 2010, auch »Zoomer« genannt, hingegen als »linksgrüne Ökofaschisten« abgestempelt: Sie fordern zu viel, wollen alles verändern und sind dabei doch noch zu jung, um überhaupt etwas zu sagen zu haben.

Unabhängig von der Frage, inwiefern diese Vorwürfe zutreffen, änderte sich der Blick der Jungen, insbesondere der Generation Y (der Millennials) und der Gen Z, auf ihre Elterngeneration ab 2019 schlagartig. Wollte man eben noch deren partnerschaftlichen Erziehungsstil übernehmen, bildete sich auf einmal ein tiefer Graben zwischen den Generationen und mündete in einer weltumspannenden Jugendkritik. Im selben Jahr wurde der Begriff »OK, Boomer« zum Internet-Phänomen, er sei laut New York Times das »Ende der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Generationen«. Den Boomern wurde der Kampf angesagt.

Die Politisierung der Gen Z und der ihr nahestehenden Jahrgänge entwickelte sich aber nicht nur auf dem Feld des Klimaschutzes. Krisen brechen etablierte Arrangements von Gesellschaften auf und erzwingen Veränderungen, auch im ökonomischen Bereich. Die Klimafrage wird neben den ökologischen Veränderungen inzwischen auch als Ungleichheitsfrage bewertet, weil sie sich auf die Verteilung der Lebenschancen auswirkt. Da die Erderwärmung vor allem die Menschen im globalen Süden und mithin die Ärmsten trifft, haben viele junge Menschen in den Industrie- und Wohlfahrtsstaaten des Nordens auch die moralischen Missstände erkannt. Schließlich werden in ihren Ländern die meisten Emissionen ausgestoßen, und man fühlt sich im Sinne des Verursacherprinzips mitschuldig. Aus dieser Verantwortungsethik heraus ertönen Forderungen, die Boomer schnell als radikal abstempeln, da sie ihren eigenen, hart erarbeiteten Wohlstand in Gefahr sehen.

Zum Glück erkennen nicht nur die Jungen, sondern inzwischen weite Teile der Gesellschaft den Ernst des Klimawandels an. Das Ausmaß der für eine klimaneutrale Wirtschaft notwendigen Veränderungen und vor allen Dingen die erforderliche Geschwindigkeit der Transformation werden jedoch unterschiedlich bewertet. Ginge es nach dem Willen großer globaler Klimabewegungen, würden Autos aus den Städten verbannt und fossile Brennstoffe enorm verteuert und bis 2030 verboten werden. Geht es nach den Boomern, sollen zuerst der Wohlstand und die Wirtschaft gerettet werden, das Klima kommt an zweiter Stelle.

Doch genug von der Klimafrage. Der Generationenkonflikt ist noch breiter. Boomer und die Gen Z ernähren sich und konsumieren nicht nur unterschiedlich; sie sprechen anders, lieben anders und arbeiten anders. Sie stellen andere Fragen: Der Wunsch nach einer Mutter-Vater-Kind-Familie ist nicht mehr so groß, Gefühle und Sorgen werden offener ausgesprochen und stärker reflektiert.

Viele in der Gen Z kritisieren die Arbeitsweise der Boomer, die oft genug noch die Chefinnen und Chefs der Jungen sind. Sie stellen ihr Privatleben vornean, hinterfragen Überstunden und wollen ihr Leben nicht mehr gänzlich der Arbeit widmen. Das quittieren die Älteren mit Kopfschütteln, sie stempeln die Jungen gern als faul und arbeitsscheu ab.

Boomer zeigen Unverständnis und hinterfragen manche Entwicklung im gesellschaftlichen und sprachlichen Wandel – als Stichworte mögen hier »Gender-Gaga« und »Cancel Culture« dienen. Sie fühlen sich den Anforderungen des politisch korrekten Umgangs mit Minderheiten und allen möglichen Formen der LGBTQIA+-Gemeinschaft nicht mehr gewachsen oder halten sie in der geforderten Ausprägung für übertrieben und lebensfremd. Aus dieser Unsicherheit entstehen Frust und oft genug Ablehnung. Und es formen sich Urteile: Die Jüngeren seien überempfindlich, so der Vorwurf, nicht mehr leistungsbereit und würden teils absurde Meinungen vertreten. Diese Kritik wird so oder ähnlich von Eltern, Arbeitskolleginnen, Vorgesetzten oder Lehrenden täglich geäußert.

Zugespitzt formuliert finden wir uns heute in einer Gesellschaft wieder, in der die Älteren angeklagt und die Jüngeren nicht mehr verstanden werden oder sich nicht mehr verstanden fühlen. Verfolgt man die aktuellen Debatten, gibt es wenig Grund zur Zuversicht; vielmehr drängt sich der Eindruck einer zunehmenden Verhärtung auf. Angesichts der wachsenden Polarisierung und Radikalisierung kann man durchaus zu dem Urteil gelangen, dass der Graben zwischen den Generationen wieder so tief ist wie zur Zeit der Studentenrevolten, als die Achtundsechziger die Krusten der Konventionen in der bürgerlichen Nachkriegsgesellschaft aufbrachen und ihre Eltern außerdem zwangen, über die verdrängte Schuld aus den Schreckensjahren des Nationalsozialismus zu sprechen.

Heute verlangen die »Zoomer« von den »Boomern«, sich zu ihrer Verantwortung für die Klimakrise zu bekennen und deshalb ohne weiteres Zögern die erforderlichen Gegenmaßnahmen einzuleiten – whatever it takes. Heftige Debatten in Parlamenten und sozialen Medien sind wieder an der Tagesordnung, ebenso wie Demonstrationen und Blockaden. Angesichts der multiplen Krisen ist die Gesellschaft heftig in Bewegung und vielerorts auch in Unordnung geraten.

In dieser Situation wollen wir den Versuch wagen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir, das sind Angelika Melcher, 26 Jahre, und Daniel Goffart, 62 Jahre alt. Rasch verworfen haben wir die ursprüngliche Idee, in der Unterzeile des Buchtitels zu schreiben: »Der neue Generationenkonflikt – und wie wir ihn lösen können«. Wir können diesen Konflikt nicht lösen. Aber wir wollen typischen Denkmustern und gegenseitigen Vorurteilen auf den Grund gehen, sie aus beiden Perspektiven zur Sprache bringen und auf ihre Berechtigung oder Plausibilität abklopfen. Unser Ziel ist: Erklären und einander besser verstehen.

Wir haben deshalb kein »durchgeschriebenes« Buch verfasst, sondern – unterteilt in verschiedene Kapitel – ein ausführliches »Zwiegespräch« geführt. Stoff genug gibt es, da wir durch Alter, Lebensweg und Herkunft den Generationenkonflikt in unseren beiden Persönlichkeiten verkörpern.

»Ausreden lassen« lautete dabei unsere erste Regel, sich in den anderen hineinversetzen die Regel Nummer zwei. Bei der Vorbereitung kristallisierten sich folgende Kernfragen heraus: Sind die Boomer schuld am Klimawandel? Haben sie nicht erst den Wohlstand aufgebaut, den die Jungen heute genießen? Ist die Gen Z hedonistisch und nur bedingt arbeitswillig – oder haben die Boomer einem übertriebenen Leistungsdenken gehuldigt? Ist Gleichberechtigung und Achtsamkeit erst mit »MeToo« und der LGBTQIA+-Bewegung eingekehrt, oder haben nicht schon die Mütter der Gen Z für Emanzipation und faire Arbeitsteilung in Partnerschaft und Familie gekämpft? Sind die Boomer mit der Gründung der Umweltbewegungen und der Grünen auf halbem Weg stehen geblieben? Können erst Fridays for Future oder die Letzte Generation ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Klimawandels schaffen?

Dazu sei noch gesagt, dass natürlich nicht jeder Mensch in eine Generationenschublade gesteckt werden kann. Nicht alle Boomer konsumieren maßlos, und nicht alle aus der Gen Z gendern und interessieren sich fürs Klima. Es gibt genug Gegenbeispiele. Trotzdem lassen sich in der Forschung typische Merkmale für die Generationen erkennen, die sich oft genug in der anekdotischen Evidenz der Autoren bestätigen und täglich an den Küchentischen oder Büroräumen unseres Landes angesprochen oder gar ausdiskutiert werden.

Der aktuelle Konflikt der Generationen ist zwar tief. Aber es herrscht kein »kalter Krieg«, wie gelegentlich insinuiert wird. Unsere Absicht ist es, die Gegensätze zu beleuchten und die verschiedenen Sichtweisen, Prägungen und Empfindlichkeiten darzustellen – schließlich ist jede Generation von den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Veränderungen unterschiedlich betroffen. Andererseits soll – wo kein Konsens möglich ist – zumindest Verständnis füreinander geschaffen werden. Wir würden uns wünschen, dass Sie beim nächsten Streitgespräch oder bei der nächsten Auseinandersetzung die Diskussion nicht »gewinnen« wollen, sondern sich besser in Ihr Gegenüber einfühlen können – dann haben beide Seiten gewonnen.

Angelika Melcher/Daniel Goffart

Kapitel 1

Prägung – Wie wir wurden, was wir sind

Obwohl zwischen den Boomern und der Gen Z keine zwei Generationen liegen, weichen Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen in der Regel erheblich voneinander ab. Woher kommt das, was ist der Grund dafür? Wir wissen, dass die individuellen Grundlagen für die späteren Eigenschaften und Verhaltensweisen im Elternhaus gelegt werden, in der Schule und der sozialen Umgebung, in der man aufwächst. In diesen frühen Jahren bilden sich Werte, Vorbilder und Gewohnheiten heraus, die man oft sein Leben lang beibehält. Prägend für den Charakter sind zudem die Zeiten der Ausbildung und die ersten Berufsjahre. In dieser Phase wird der Umgang mit Erfolg und Niederlagen erlernt, ebenso die richtige soziale Interaktion in einer größeren Gruppe unterschiedlicher Menschen sowie der Umgang mit Kritik. Das gilt auch für die Fähigkeit, die Hürden auf dem individuellen Lebensweg zu überspringen oder – je nach Charakter – die Hindernisse und Herausforderungen zu vermeiden oder zu umgehen.

Natürlich erlebt jeder Mensch eigene Prägungen, die ihn formen. Aber es gibt Entwicklungsmerkmale, die man als generationentypisch bewerten kann. Die dominierende Gruppe der heute älteren und zumeist noch berufstätigen Männer und Frauen, die Boomer, hat in ihrer Kinder- und Jugendzeit ganz andere Prägungen erfahren als die heute Jungen der Gen Z. Die Boomer wurden von den späten Fünfziger- bis hinein in die Achtzigerjahre von Eltern erzogen, die Nazi-Diktatur und Krieg erlebt und erlitten hatten. Das blieb nicht ohne Folgen, für sie selbst, aber auch für ihre Kinder.

Diese Generation unserer Nachkriegseltern hat die Historikerin Miriam Gebhardt in ihrem gleichnamigen Buch ausführlich und treffend charakterisiert. An ihrem eigenen Beispiel schildert die 1962 geborene Autorin, wie die traumatischen Erlebnisse des Weltkriegs und die Ideale der autoritären Gesellschaftsordnung von ihren Nachkriegseltern oft unbewusst auf sie, ein Kind der Boomer-Generation, übertragen wurden.

Das lässt sich besonders eindrücklich an dem sehr unterschiedlichen Ausmaß der Nachsicht zeigen, die die Eltern der verschiedenen Generationen gegenüber ihren Kindern an den Tag legten. Die von NS-Zeit und Krieg geprägten Eltern sind ihrem Nachwuchs in den späten Fünfziger- und den Sechzigerjahren mit größerer Strenge entgegengetreten – und mit höheren Anforderungen an die sogenannten »guten deutschen Tugenden«. Disziplin, Pünktlichkeit, Fleiß und Höflichkeit galten ihnen als Maß aller Dinge. Kinder hatten zu gehorchen, im Elternhaus, in der Schule und später auch als junge Menschen beim Einstieg in den Beruf. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« – so lautete der Standardspruch in den Berufsschulen jener Zeit.

Hinzu kam: Die Boomer waren immer sehr viele, das Individuum verschwand in der Masse. Es gab überfüllte Klassenräume, überfüllte Universitäten und lange Reihen von Bewerbern bei jedem Praktikum und jeder freien Stelle. Man hatte lernen müssen, sich anzustellen und in einer Reihe zu warten, bis man aufgerufen wurde. Anders gesagt: Die Notwendigkeit, ja stellenweise auch der Zwang zur Unterordnung, ist den Boomern förmlich eingeimpft worden. Ob schlechte Schul- oder Studiennoten, ungünstige berufliche Beurteilungen oder der berühmte »Rüffel vom Chef« – die wenigsten reagierten darauf mit Beschwerden oder verlangten gar eine Korrektur oder Rücknahme. Auch hätte es in seinen oder ihren jungen Jahren kein Boomer gewagt, beim ersten Vorstellungsgespräch nach den Möglichkeiten für ein »Sabbatical« zu fragen – schon das Wort war damals unbekannt.

Aus diesen Erfahrungen und Prägungen ergeben sich höchst verschiedene Erwartungen und Einstellungen, die angesichts der großen Unterschiede beim Zusammentreffen der Generationen zwangsweise zu Enttäuschung, ja Verärgerung führen. »Ihr müsst erst einmal etwas leisten, bevor ihr Ansprüche stellt«, lautet ein typischer Boomer-Satz gegenüber den eigenen Kindern oder dem Nachwuchs im beruflichen Umfeld. Bei den Jüngeren hingegen lösen solche Zurechtweisungen das Gefühl aus, nicht verstanden, ernst genommen oder wertgeschätzt zu werden.

Die sozialen und charakterlichen Prägungen der Boomer-Generation in einer klassischen Mittelstandsfamilie der alten Bundesrepublik hat der Autor dieses Buches einmal an früherer Stelle beschrieben. In seinem Band Das Ende der Mittelschicht schildert er die typische Sozialisation seiner Nachkriegseltern und deren Auswirkung auf den Nachwuchs:

»Meine Eltern waren geprägt durch eine Kindheit im Krieg, die traumatische Erfahrung der totalen Zerstörung und die Aufbaujahre nach 1945. Wie bei Millionen anderer Menschen ihrer Generation standen ›typisch deutsche‹ Werte im Vordergrund: Fleiß, Zuverlässigkeit und Bescheidenheit sowie natürlich Disziplin und Ordnung. Hochgehalten wurden auch Hilfsbereitschaft und Höflichkeit.«

»Wir Kinder sollten immer ›tüchtig sein‹ und ›etwas erreichen‹ wollen. Das knapp bemessene Taschengeld erhielten wir mit der obligatorischen Mahnung zur Sparsamkeit. Im Laufe der späteren Jahre lernten wir dann noch, dass man stets ›für später‹ vorsorgen und überhaupt ›immer an morgen denken‹ sollte. Die Bemerkung ›Du lebst einfach in den Tag hinein!‹ galt als schlimmer Vorwurf, ebenso wie die Feststellung, man habe ›einfach die Hände in den Schoß gelegt‹. Es wurde hart gearbeitet, ohne zu klagen. Niemand sprach über ›Stress‹ oder gar ›Burn-out‹, dieser Anglizismus war damals noch unbekannt. Die Feststellung, man sei ›urlaubsreif‹, galt schon als Eingeständnis äußerster Schwäche; ansonsten hieß es ›Zähne zusammenbeißen‹.«

»Die ganze Schufterei hatte keinen ›Sinn‹, sondern höchstens einen Zweck, schließlich wolle man ja ›irgendwann auch mal etwas vom Leben haben‹. Wann dieses ›irgendwann‹ eintreten würde, blieb allerdings offen. Anders als heute war Hedonismus kein Alltagsphänomen, sondern bestenfalls ein theoretischer Begriff aus dem Lexikon. In Umkehrung zum beliebten Millenniumsmotto ›Das gönne ich mir‹ lebte die bundesdeutsche Gründergeneration eher nach der Devise: ›Arbeite jetzt, lebe später.‹ Natürlich sollten die Kinder es ›einmal besser haben‹ als die Eltern, obwohl es denen zunehmend gut ging und sie einen bis dahin in der breiten Masse der Mittelschicht nie gekannten Wohlstand erreichten.«[1]

Diese Beschreibung der prägenden Jugendjahre der heutigen Boomer-Generation beruht auf einem westdeutschen Hintergrund, weicht jedoch bis auf die Vermittlung der unterschiedlichen Gesellschaftsbilder nicht allzu stark von der in Ostdeutschland ab. Ordnung, Pünktlichkeit und Leistungsbereitschaft – wenn auch nicht zum eigenen Vorteil, sondern für die sozialistische Gemeinschaft – galten in der DDR ebenfalls als Tugenden und wurden der ostdeutschen Boomer-Generation entsprechend eingetrichtert.

Auch die Nachkriegseltern der DDR litten unter den Kriegsfolgen – psychisch wie materiell. Zwar schaffte es das sozialistische System erstaunlich gut, die Schuldfrage der Nazizeit innerhalb der eigenen Grenzen weitgehend zu verdrängen und zum alleinigen Problem des kapitalistischen Westens zu erklären. Aber die Nachwirkungen des Krieges in den Köpfen und Seelen der Ostdeutschen waren so manifest wie die Spuren der Zerstörung in den Städten. Man stürzte sich lieber in die Aufbauarbeit, das Wort »Vergangenheitsbewältigung« war tabu, schließlich gab es Wichtigeres zu tun.

Natürlich kann man diese Mechanismen nicht verallgemeinern. Aber unsere Nachkriegseltern hatten, den Zwängen der Zeit geschuldet, andere Prioritäten, und dementsprechend bildeten sie Werte, Vorbilder und Verhaltensweisen heraus, die sie auf ihre Kinder übertrugen.

Das Habitat der Zoomer stellte sich hingegen gänzlich anders dar: Sie wurden von der Generation X erzogen, mit deutlich mehr Freiheiten. Die Tugenden der Nachkriegseltern hatten an Bedeutung verloren. Wichtiger als Gehorsam wurde wachsendes Verständnis – für die Jugend, für die neuen Möglichkeiten der Selbstentfaltung, für das Individuum. Die Kinder sollten die Welt sehen, eigene Erfahrungen machen und aus Fehlern lernen. Der Fokus war viel stärker auf sie gerichtet, da sie durchschnittlich weniger Geschwister hatten und in viel kleineren Schulklassen saßen.

In den Schulen der Gen Z wirkten keine Pauker mehr, sondern Pädagogen, Primaner wurden nicht mehr gesiezt, das »Du« hielt Einzug in die Schule und auch in eine Gesellschaft, die den starren Umgangsformen der jungen Bundesrepublik immer mehr entsagte. Das Bürgertum legte Krawatte und Konventionen ab, man wurde lockerer – sowohl im Kontakt miteinander als auch in den Erwartungen aneinander. Toleranz galt als Tugend, man ordnete nicht mehr ein, sondern diskutierte.

Diese sich entwickelnde Diskursgesellschaft galt als Wert an sich, die zahlreichen neuen Talkshows im Fernsehen und die Diskussionsfreude an den Hochschulen mögen das belegen. Von der Hetze und dem gegenseitigen Herabsetzen im Strom der heutigen »sozialen« Medien war man trotz hitziger Wortgefechte noch meilenweit entfernt; einen Shitstorm aus geringstem Anlass hätte sich zu dieser Zeit niemand vorstellen können. Willy Brandt wollte in dieser jungen Bundesrepublik »mehr Demokratie wagen«, Westdeutschland wurde offener, statt Festlegungen gab es den Mut zu Experimenten aller Art.

Diese Vielfalt und Öffnung zeigten Wirkung im Laufe der Jahrzehnte. Es gibt heute nicht mehr den einen klassischen Lebensentwurf. Viele verschiedene Wege sind möglich geworden, was sich auch in den Erwartungen der Eltern an ihre Kinder widerspiegelt. Unterschiedlichkeit wird nicht nur akzeptiert – im Gegenteil gilt Diversität heute als Wert an sich.

In diesem Klima wurde und wird die Gen Z groß. Der Zuwachs an Individualität und Offenheit prägte den Umgang – auch in den Familien. Vater und Mutter verloren nach und nach ihre Stellung als »Autoritätspersonen«. Man begegnete sich mehr auf Augenhöhe, das Verhältnis wurde freundschaftlicher, das strikte Leistungsdenken der Boomer hinterfragt. Man sprach über Gefühle, ließ Emotionen zu und sah von strengen Erziehungsmethoden ab.

Es ging nicht mehr ausschließlich darum, gute Noten nach Hause zu bringen und täglich nach der Schule ein Instrument zu lernen oder Sport zu machen. Kinder und Jugendliche durften sich selbst aussuchen, wie sie ihre Zeit verbringen wollten, wofür sie ihr Taschengeld ausgaben oder ob sie nach dem Schulabschluss ein Jahr im Ausland verbrachten, wenn die finanziellen Verhältnisse es zuließen, Praktika absolvierten, erst mal jobbten oder direkt mit einer Ausbildung oder dem Studium anfingen. Der Wehr- und Zivildienst wurden abgeschafft, bevor die Gen Z die Schule verließ, und damit stand die Welt für alle offen.

Daraus ergaben sich auch eine Reihe gesellschaftlicher Veränderungen, die heute prägend für die Generation Z sind. Traditionelle Rollen wurden verstärkt hinterfragt und teilweise aufgebrochen: Eine berufstätige Mutter wurde genauso normal wie eine Frau als Bundeskanzlerin oder eine gleichgeschlechtliche Beziehung. In die Kirche ging auch niemand mehr. Die Eltern der Gen Z mussten aus dem Nichts lernen, wie sie ihre Kinder für die digitale Welt sensibilisieren, ohne selbst irgendwelche Erfahrungen gemacht zu haben.

Doch nicht nur das: Ein wichtiger Aspekt für die Prägung der Gen Z ist der Zuzug von Millionen »Gastarbeitern« und Spätaussiedlerinnen, die die Struktur der Gesellschaft veränderten und vielschichtiger machten. Die im Nachkriegsdeutschland noch sehr auf sich bezogenen Bundesbürger erhielten im Zuge der massenhaften Anwerbung Millionen neuer Nachbarinnen und Nachbarn aus Südeuropa. Mit ihnen kamen andere Sprachen, neue Kulturen, Werte und Konventionen, neue Lieder und Bücher sowie eine bis dahin unbekannte kulinarische Vielfalt. Deutschland wurde bunter. Vor allem in Westdeutschland wurde es normal, dass die Mitschülerinnen und Mitschüler über einen Migrationshintergrund verfügten, so wie die Autorin dieses Buches selbst auch einen hat.

Damit genoss die Generation Z nicht nur den einen, eher genormten und pauschalen Erziehungsstil, wie er bei den Boomern an der Tagesordnung war. Vielmehr setzte sie sich stärker mit den verschiedenen Gruppen von Zugezogenen auseinander, die religiös oder kulturell anders geprägt waren. Die Gen Z lernte türkisches und arabisches Essen kennen, russische Schimpfwörter und kroatische Volkslieder. Das sorgte für mehr Offenheit, Toleranz, gemeinsames Aufwachsen und das Hinterfragen vorgegebener Werte und Tugenden, die als überholt erkannt wurden.

Daraus bildete sich eine in weiten Teilen weltoffene und sehr kritische Generation, die Strukturen aufbricht und den Status quo hinterfragt, anstatt Konventionen und soziale Umstände einfach so hinzunehmen. Kurz gesagt: Mehr Widerspruch und weniger Gehorsam, mehr Anspruch und weniger Anpassung prägen die Zoomer. Aus diesen Eigenschaften heraus lassen sich heute viele Konflikte erklären, die das schwierige Verhältnis zu den Boomern in einer ganzen Reihe von Themen und Lebensbereichen prägen.

[1]Daniel Goffart, Das Ende der Mittelschicht. Abschied von einem deutschen Erfolgsmodell, Berlin Verlag, Berlin 2019, S. 27 ff.

Kapitel 2

Klar, Klimaschutz! Aber wie entschlossen sind wir wirklich?

2023 war das bisher wärmste Jahr seit 1881 in Deutschland. In den vergangenen fünfzig Jahren haben sich die extremen Wetterereignisse in Deutschland mehr als verdreifacht. Extreme Hitze und Trockenheit, Starkregen und Überschwemmungen werden immer häufiger – und machen den Klimawandel zur drängendsten Verantwortung unserer Zeit. Besonders die junge Generation sieht sich mit potenziellen langfristigen Folgen konfrontiert und macht sich dementsprechend große Sorgen um die Erde und ihre Zukunft. Laut einer internationalen Studie haben 60 Prozent der jungen Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren Angst vor den Folgen des Klimawandels. Diese Angst wirkt sich auf ihren Lebensstil und ihre beruflichen Entscheidungen aus. Doch wie viel können die Babyboomer dafür?

 

Daniel: Wenn man heute die Transparente von Fridays for Future liest, könnte man glauben, dass sie die ersten und einzigen Menschen sind, die den Schutz der Umwelt wirklich ernst nehmen, während alle anderen die Dimension des Problems entweder nicht verstanden haben oder keine vernünftige Idee zur Lösung beitragen können.

In dieser Haltung steckt viel Hybris, ja stellenweise auch Anmaßung. Das Thema Klimaschutz begegnet mir und anderen Menschen meines Alters nämlich schon seit Jahrzehnten, lange bevor Fridays for Future gegründet wurde. Heute gehöre ich als sogenannter Babyboomer zwar zur älteren Generation, aber über Umweltschutz wurde schon gesprochen und auch gestritten, als ich gerade volljährig wurde, das war Ende der 1970er-Jahre. Damals fühlten wir jungen Leute uns auch als Avantgarde, weil wir zu dieser Zeit ebenso wie FFF heute gegen eine echte oder vermeintliche gesellschaftliche Ignoranz demonstrierten. Wir haben auch lautstark auf Veränderungen zugunsten der Umwelt gedrängt.