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Wenn Richter zu Tätern werden … Der packende Hamburg-Krimi »Brennende Angst« von Bestseller-Autorin Angela Lautenschläger jetzt als eBook bei dotbooks. Welche Abgründe verbergen sich hinter der Maske der Gerechtigkeit? Nach einem aufreibenden Fall wollen sich Nachlasspflegerin Friedelinde Engel und Kommissar Nicolas Sander eine wohlverdiente Auszeit an der Ostsee gönnen … Doch dann findet Friedelinde am Strand von Fehmarn eine Tasche voller Geldscheine – die Spur führt geradewegs zurück nach Hamburg. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Skandal, der gerade die ganze Stadt erschüttert? Der Justizsenator, den Sander und Friedelinde persönlich kennen, soll sich mit schmutzigem Geld die Hände reingewaschen haben. Sander glaubt nicht an seine Schuld – aber welchen Preis wird die Wahrheit haben? Ein neuer furioser Fall für die eigenwillige Nachlasspflegerin Friedelinde Engel und Kommissar Nicolas Sander! Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Brennende Angst« von Angela Lautenschläger – der sechste Band der Bestseller-Serie. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 496
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Lesetipps
Über dieses Buch:
Welche Abgründe verbergen sich hinter der Maske der Gerechtigkeit? Nach einem aufreibenden Fall wollen sich Nachlasspflegerin Friedelinde Engel und Kommissar Nicolas Sander eine wohlverdiente Auszeit an der Ostsee gönnen … Doch dann findet Friedelinde am Strand von Fehmarn eine Tasche voller Geldscheine – die Spur führt geradewegs zurück nach Hamburg. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Skandal, der gerade die ganze Stadt erschüttert? Der Justizsenator, den Sander und Friedelinde persönlich kennen, soll sich mit schmutzigem Geld die Hände reingewaschen haben. Sander glaubt nicht an seine Schuld – aber welchen Preis wird die Wahrheit haben?
Über die Autorin:
Angela Lautenschläger arbeitet seit Jahren als Nachlasspflegerin und erlebt in ihrem Berufsalltag mehr spannende Fälle, als sie in Büchern verarbeiten kann. Ihre Freizeit widmet sie voll und ganz dem Krimilesen, dem Schreiben und dem Reisen. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Katzen in Hamburg.
Bei dotbooks erscheint ihre »Engel und Sander«-Reihe mit folgenden Bänden:
»Stille Zeugen – Band 1«
»Geheime Rache – Band 2«
»Tödlicher Nachlass – Band 3«
»Blindes Urteil – Band 4«
»Gerechte Strafe – Band 5«
»Stummer Zorn – Band 7«
***
Originalausgabe Juni 2020
Copyright © der Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Philipp Bobrowski
Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96148-966-4
***
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Angela Lautenschläger
Brennende Angst
Ein Fall für Engel und Sander
dotbooks.
»Au!«
»Kannst du mal stillhalten?«
»Ich halte still, aber du hast mich gepikst.«
»Das habe ich nur, weil du rumzappelst.«
»Ich zappele nicht, ich atme.«
Elvira seufzte und steckte die Nadel zurück in das Nadelkissen. »Tut mir leid, dann kann ich das Kleid nicht ändern.«
»Ich muss sowieso erst was trinken. Ich fühle, dass ich ohnmächtig werde«, erklärte Friedelinde und stieg vom Stuhl.
»Sorgenspüler?«, fragte Rosanna, Inhaberin des Waschsalons Magic Washroom, die das Treiben der beiden beobachtete. Sie saß mit übergeschlagenen Beinen auf dem Tresen und spielte mit dem Band ihrer Schürze.
Friedelinde beäugte skeptisch einen der leeren Barhocker vor dem Tresen. »Können wir uns an den Tisch setzen?«
Rosanna grinste und hüpfte vom Tresen. »Klar doch.«
Elvira, die am Boden gekniet hatte, erhob sich ächzend. »Du hättest das Kleid in deiner Größe kaufen sollen, dann müssten wir uns hier nicht so rumquälen.« Sie schlurfte zum nächsten Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Ich hab es in meiner Größe gekauft«, stellte Friedelinde fest und spielte mit einem kleinen Salzfass in Form einer Waschmaschine.
»Aha?« Elvira hob eine Augenbraue.
Früher war Elvira Inhaberin des Waschsalons gewesen, aber sie lebte jetzt mit dem Gemüsehändler Spiro zusammen. Rosanna hatte ihre sichere Existenz als Polizistin aufgegeben, den Waschsalon übernommen und um ein Bistro erweitert, in dem man auch Bücher ausleihen konnte.
»Ist aber schon eine Weile her, dass ich es gekauft habe«, fuhr Friedelinde fort. »Vermutlich taugt der Stoff nichts. Ist zu viel Sonne drangekommen oder so.«
»Ja, es gibt diese minderwertigen Stoffe«, bestätigte Rosanna und stellte drei Gläser und eine Flasche auf den Tisch.
»Genau, und ich hab eine ganz schlimme Variante davon erwischt.«
Elvira schüttelte den Kopf. Die mittlerweile 60-jährige Spanierin war beleibt und vermutlich selbstbewusst genug, um sich ihr Kleid in der passenden Größe zu kaufen.
Friedelinde fummelte mit beiden Händen an ihrem Rücken herum. »Kann mal einer den Reißverschluss öffnen? Ich kann mich sonst nicht hinsetzen.«
Elvira zog den Zipper des Reißverschlusses nach unten. »So viel Stoff ist gar nicht dran, den ich auslassen könnte.«
Friedelinde machte ein unwirsches Geräusch. »Ist gut jetzt. Ich mach mich einfach ein bisschen schmal, dann geht’s schon.«
»Was ist eigentlich mit eurem Nachbarhaus?«, erkundigte sich Rosanna.
Friedelinde hob die Schultern. »Bisher nicht viel. Im Vorgarten steht ein Zu-verkaufen-Schild und hin und wieder gibt’s wohl eine Besichtigung, aber ich hab das Gefühl, dass das Konzept des Maklers nicht aufgeht.«
»Welches Konzept?«
»Er meint, die Leute würden sich drum reißen, in einem Haus zu wohnen, in dem ein Mord verübt wurde und zwei Leichen in der Garage einbetoniert wurden.«
»Wer’s mag«, bemerkte Rosanna versonnen.
»Ich habe eher den Eindruck, dass die Leute darauf achten, ob der Keller feucht ist oder Hausbock im Dachstuhl wohnt.«
»Vielleicht sollte er dich mit einbeziehen, der Makler, meine ich«, schlug Elvira vor. »Er könnte sagen, dass im Nachbarhaus die Frau lebt, die die Toten entdeckt hat.«
»Überhaupt finde ich, solltest du über ein neues Betätigungsfeld nachdenken.« Rosanna deutete eine Titelzeile an. »›Friedelinde Engel. Ich finde jede Leiche.‹«
»Witzig.«
»Wieso? Bisher hast du noch jede Leiche gefunden«, ergänzte Elvira.
»Ja, man könnte beinahe sagen, Leichen pflastern deinen Weg«, stimmte Rosanna zu.
»Ihr seid heute wirklich zum Brüllen komisch. Kann ich noch ein Glas Wasser kriegen?«
»Wasser?«, fragte Rosanna. »Wirklich? Ohne Geschmack und Kalorien?«
»Vielleicht gar keine schlechte Idee.« Elvira musterte Friedelindes Oberteil. »Ich müsste dann nicht so viel Stoff auslassen.«
»Gibt’s das, was du da anhast, eigentlich auch als Hochzeitskleid?«, fragte Rosanna.
Elvira seufzte. »Darauf warte ich schon seit einer Ewigkeit.«
»Dann wird es dir auch nicht schwerfallen, noch ein bisschen länger zu warten. Ich muss jetzt dieses Fest hinter mich bringen.«
»Na ja, du wirst es ja wohl schaffen, ein Fest zu feiern!« Elvira schüttelte den Kopf.
»Und was ist, wenn ich mal aufs Klo muss? Wenn ich mir den ganzen Stoff über den Kopf werfe, ist die Frisur hinüber, aber ich will auch nicht, dass das Kleid ins Klo hängt.«
»Guck doch mal, wie andere das machen«, schlug Elvira vor. »Heutzutage gibt es doch für alles Vorschläge und Hilfe im Internet.«
»Das mach ich. Ich kann dann gleich mal gucken, wie man nach dem Weg zum Klo fragt.«
»Du könntest einfach fragen: ›Können Sie mir bitte sagen, wo die Toilette ist?‹« Elvira betrachtete ihre Fingernägel.
»Sag doch, dass du einen geeigneten Ort benötigst, um dir die Nase zu pudern.« Rosanna lächelte.
»Das ist doch so was von 60er.«
»Oder du guckst, durch welche Tür viele Frauen verschwinden, und gehst hinterher.«
Friedelinde sah Rosanna an. »Bei meinem Glück lande ich dann im Hinterzimmer, wo illegales Glücksspiel gespielt wird. Oder mit Drogen gedealt.«
»Ich denke, ihr seid beim Senator eingeladen und nicht in der Unterwelt?« Rosanna schenkte Wasser nach.
»Kannst du uns noch mal erklären, welchem gewaltigen Anlass wir diese Anprobe zu verdanken haben?«
»Moment.« Friedelinde beugte sich zu ihrer Tasche hinunter und zog einen Briefumschlag in cremefarbenem Büttenpapier heraus.
»Gib mal her.« Rosanna grabschte nach dem Brief. »Herrn Kriminalhauptkommissar Nicolas Sander nebst Begleitung«, las sie.
»Das bin ich. Die Begleitung.«
»Wenn ihr verheiratet wärt, würde da stehen: Herrn Kriminalhauptkommissar Nicolas Sander nebst Gattin«, sagte Elvira.
»Gattin?«, fragte Friedelinde. »Hört sich an wie etwas Unanständiges aus der Tierwelt.«
»Wie auch immer.« Rosanna öffnete den Umschlag und zog eine Klappkarte hervor. »Große Ehre, blabla, Festakt Eine sichere Stadt, reger Austausch, festliche Abendkleidung.« Sie zog eine Grimasse. »Das ist ja eine ganz dicke Sache.« Rosanna gab Elvira die Karte.
Die Spanierin nahm ihre Lesebrille, die in ihrem Haar steckte, herunter und setzte sie auf. »›Es ist mir eine große Ehre, Sie zu einem Festakt zum Thema Eine sichere Stadt einzuladen. Ich freue mich auf einen regen Austausch und auf ein glanzvolles Rahmenprogramm. Hartmut Schelling, Justizsenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Festliche Abendkleidung erwünscht.‹« Sie schob die Brille zurück ins Haar. »Nicht schlecht.«
Friedelinde drehte ihr Wasserglas in den Händen. »Ich bin überhaupt nicht der Typ für solche eleganten Veranstaltungen in der gehobenen Gesellschaft. Bei euch fühle ich mich sehr viel wohler.«
Elvira tätschelte ihre Hand. »Das hast du nett gesagt, meine Liebe, aber du musst dich einfach nur an deine gute Erziehung erinnern.«
»Am besten ruf ich mal meinen Vater an und frag ihn, ob ich überhaupt eine gute Erziehung genossen habe.«
»Schätzchen, wenn es dir zu viel ist, schick ein Double zum Senator.« Rosanna schenkte Wasser nach.
»Ich hoffe doch, dass das Nicolas auffallen würde. Gott sei Dank fahren wir hinterher in den Urlaub.«
»Habt ihr euch inzwischen überlegt, wohin ihr fahrt?«
Friedelinde schüttelte den Kopf. »Nee, wir hatten keine Zeit, uns was zu überlegen. Nicolas will nicht so weit weg, und da, wo wir hinfahren, soll ein Meer sein.«
Rosanna richtete den Blick zur Decke. »Dann würde ich sagen Ostsee.«
»Da spielt sich doch nix ab«, maulte Friedelinde.
»Das wäre für dich vielleicht gar nicht so schlecht. Sonst wird das mit deinen Leichenfunden noch pathologisch. Außerdem freut sich der Nicolas auch, wenn du mal eine Weile nicht deine Nase in fremde Angelegenheiten steckst oder Leichen findest.«
»Warum will Nicolas denn nicht so weit wegfahren?«, fragte Elvira.
Friedelinde hob die Schultern. »Ich hab das Gefühl, dass er nicht so lange von Gernot getrennt sein will.«
»Wie niedlich«, sagte Rosanna. »Die beiden haben wirklich ein herziges kollegiales Verhältnis. Wie eine Ehe zu dritt.«
Friedelinde rollte mit den Augen.
Elvira stützte sich auf den Tisch und stand auf. »Ich würde sagen, wir machen erst mal mit deinem Kleid weiter. Da gibt’s ja schließlich noch eine Menge dran zu machen.«
Sander legte die Füße auf seinen Schreibtisch und verschränkte die Hände im Nacken. »Und was haben wir am Donnerstag gemacht?«
»Um elf Uhr war Dienstbesprechung, am Nachmittag haben wir die Vernehmungen im Fall Hensler geführt«, antwortete sein Kollege Gernot, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
»Und dazwischen?«
»Davor und danach habe ich zwei Berichte geschrieben und zum Umfeld des Toten recherchiert.«
»Und ich?«
Gernot hob die schmalen Schultern. »Weiß nicht. Du warst immer irgendwie so dabei.«
Sander nahm die Hände herunter. »›Irgendwie so dabei‹? Ich bin der Leiter der Mordkommission.«
»Tja, dann hast du vermutlich das gemacht.«
»Was?«
»Geleitet.«
Sander seufzte. »Gernot, das kann ich doch nicht schreiben. Ich soll hier, um den Personalnotstand zu begründen, akribisch auflisten, was ich getan habe. So, wie du das sagst, hätte ich auch zu Hause bleiben können, und keiner hätte es gemerkt.«
Gernot sah auf und grinste ihn an. »Ich hätte es gemerkt. Etwas hätte gefehlt. Beispielsweise, dass mir jemand sagt, wann es Zeit ist, Pause zu machen. Oder dass der HSV verloren hat.« Gernot hob den Finger. »Oder dass du glaubst, dass der Zeuge Schmidt lügt.«
»Dass der Zeuge Schmidt lügt, wusstest du selber. Er hat gesagt, dass er über die A1 gefahren ist, aber die war an dem Wochenende gesperrt, weil sie eine Brücke abgerissen haben. Und der HSV verliert immer.«
»Na ja, aber du warst da, hast deine schützende Hand über alles gehalten und ein waches Auge.«
»Ich habe ein waches Auge über alles gehalten?«
»Na, eher so sprichwörtlich.«
»Ich fürchte, ich bin ein ziemlicher Faulpelz, Gernot. Offenbar bleibt die ganze Arbeit an dir hängen.«
»Da ist es doch nicht so schlimm, wenn du in Urlaub fährst«, antwortete Gernot, der sich wieder seiner Arbeit widmete.
»Ja, und ich fahre extra nicht so weit weg, damit ich sofort zur Stelle bin, wenn was passiert.«
»Wohin fahrt ihr denn nun?«, fragte Gernot und gab etwas über seine Tastatur ein.
»Keine Ahnung. Ans Meer würde ich sagen.«
»Ich würde empfehlen, eine menschenleere Insel zu wählen«, schlug Gernot vor und ging zum Drucker, den er in Gang gesetzt hatte. »Irgendeinen Ort fernab der Zivilisation, damit Friedelinde keine Gelegenheit hat, irgendwelche Toten zu finden oder sich sonst wie in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Der Ort muss erst noch geschaffen werden, an dem sie nicht in Schwierigkeiten gerät. Die schafft es ja sogar, sich in den eigenen vier Wänden in Lebensgefahr zu bringen.«
»Na ja, in den eigenen vier Wänden ist sie nur von der Leiter gefallen. Auf den Mörder ist sie auf dem Nachbargrundstück gestoßen.«
»Siehst du? Wir leben in einem biederen Stadtteil von Hamburg. Samstags wird der Rasen gemäht, und Egon Bürger harkt den Gehweg vor seinem Haus in einem perfekten Muster. Und trotzdem findet diese Frau zwei Leichen.«
»Das muss man differenziert sehen.« Gernot nahm die gedruckten Seiten aus dem Drucker. »Ihr hattet einfach nur Pech, dass euer Traumhaus neben einem Grundstück liegt, auf dem gemordet wurde. Dafür kann Friedelinde ja nichts.«
»Na, irgendwie aber doch.«
Gernot warf ihm einen Blick zu.
»Stimmt doch. Wenn sie einfach nur ihre Arbeit machen würde, würde ihr auch nichts passieren.«
»Du weißt aber schon noch, dass ihr euch kennengelernt habt, weil sie einen Toten gefunden und die Mörderin enttarnt hat?«
»Irgendwie musst du immer das letzte Wort haben.«
»Nicht immer«, beendete Gernot ihr übliches Geplänkel. »Du kannst jedenfalls die Angaben aus meinem Tätigkeitsbericht übernehmen, dann musst du dir nicht den Kopf zerbrechen.«
»Danke. Ich muss nämlich dringend einen Anzug kaufen.«
»Ich will unbedingt ein Foto von euch beiden von diesem Fest haben.« Gernot setzte sich wieder an seinen Platz. »Sozusagen als Vorgeschmack auf ein Hochzeitsfoto.«
Sander ächzte. »Um zu heiraten, muss ich mich erst mal scheiden lassen.«
»Das geht heutzutage ganz problemlos. Du suchst dir einen Anwalt, und der stellt einen Scheidungsantrag.«
»Ja, und dann müssen wir alles durch zwei teilen und unsere Rentenanwartschaften aufdröseln, und jeden Tag hast du Post von deinem Anwalt oder dem Gericht. Davon krieg ich schlechte Laune.«
»Die hast du ohnehin schon. Aber der Vorteil wäre, dass du dann geschieden wärst.«
Sander nahm die Füße vom Tisch. »Wo hast du deinen Tätigkeitsbericht abgespeichert? Damit ich die Daten daraus übernehmen kann, mein ich.«
Gernot nannte ihm den Speicherort. »Am besten verwendest du andere Formulierungen. Sonst heißt es noch, du hättest bei mir abgeschrieben.«
»Wenn jemand das mitkriegt, was wir hier machen, hält man uns für überflüssige Taugenichtse«, sagte Sander.
»Muss ja keiner mitkriegen, außerdem sind wir gar nicht so schlecht. Unsere Aufklärungsquote ist ziemlich gut. Weißt du schon, was für einen Anzug du dir kaufst?«
»Ich hab keine Ahnung. Das muss schon irgendein elegantes Teil sein. Festliche Abendkleidung ist erwünscht.«
»Dann nimmst du am besten was mit Kummerbund und Einstecktuch; den Anzug kannst du dann auch auf der Hochzeit tragen und dann amortisiert sich die Ausgabe.«
Sander grinste seinen Kollegen an. »Du bist ja wirklich unheimlich scharf auf diese Hochzeit.«
»Dabei kommt es auf mich gar nicht so sehr an.«
Sie wurden unterbrochen, als es an der Tür klopfte und im nächsten Augenblick der Polizeipräsident in ihrem Dienstzimmer stand. »Meine Herren, wie schön, Sie beide anzutreffen. Wie siehts aus mit den Tätigkeitsberichten? Ich brauche die dringend, um die dünne Personaldecke zu dokumentieren.«
»So gut wie fertig«, erklärte Gernot. »Kriminalhauptkommissar Sander muss nur noch einige Ergänzungen einfügen. Der hatte so viel zu tun, dass ihm ein Teil schon wieder entfallen war.«
Dr. Mühlenbeck rieb sich die Hände. »Verstehe, na, heute Abend reicht auch noch. Übrigens, Sander, ich hätte da noch einen Auftrag für Sie.«
Sander bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
»Sie haben ja die große Ehre, die Polizei Hamburg bei dem Festakt des Justizsenators zu vertreten. Da hielte ich es für angemessen, dass Sie ein paar Worte verlieren.«
»Ein paar Worte verlieren?«
»Ich hatte da an eine hübsche kleine Rede gedacht. Nicht länger als fünf Minuten. Ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, die Damen amüsieren und den Herren vermitteln, was wir hier Tag für Tag leisten.« Der Polizeipräsident wandte sich zur Tür. »Sie wissen schon. Ich bin da ganz zuversichtlich. Die Tätigkeitsberichte können Sie mir dann heute Abend auf den Schreibtisch legen.« Er drückte die Türklinke runter und ging hinaus.
»Gernot?«
»Hm?«
»Hab ich eben was von Nähkästchen, fünf Minuten und davon, was Mühle hier Tag für Tag leistet, gehört?«
»Hm.«
»Eine Rede? Ich?«
»Na, du quasselst doch immer viel. Dir wird schon was einfallen.« Gernot grinste ihn an. »Ich bin da ganz zuversichtlich«, wiederholte er die Worte des Polizeipräsidenten.
Eine Rede. Er, Kriminalhauptkommissar Nicolas Sander, sollte eine Rede halten. Sander beschleunigte ordentlich und drehte die Musik lauter. Das war Mühle, wie er leibte und lebte. Erst verkaufte er ihm die Teilnahme an diesem Festbankett als große Ehre, und dann würgte er ihm zwei Tage vorher noch eins rein. Sander fühlte sich, als hätte er eine Strafarbeit aufbekommen, und vermutlich war auch etwas dran an diesem Gefühl. Sander mochte ein erfolgreicher Kriminalbeamter sein, aber seine sozialen Kompetenzen waren zugegebenermaßen nicht ganz ausgereift. Daran arbeitete der Polizeipräsident noch, und Sander musste ihm zugestehen, dass er damit einigermaßen erfolgreich war. Immerhin ließ Mühle ihn in die Nähe des Justizsenators, und diese Rede sollte vermutlich dafür sorgen, dass er sich vorher intensiv mit dem Event auseinandersetzte, um nicht dumm aufzufallen.
Eine halbe Stunde, nachdem er das Präsidium verlassen hatte, fuhr er seinen Wagen in den heimischen Carport, begutachtete die Blumen, die in dem Beet vor dem Haus blühten, obwohl weder er noch Friedelinde einen grünen Daumen hatten, und schloss die Haustür auf.
»Hallo«, rief er. »Rieche ich hier ein leckeres Abendessen?«
Zu seiner Überraschung kam die Antwort weder aus der Küche noch aus dem Esszimmer, sondern aus Friedelindes Arbeitszimmer, das gleich rechts vom Flur lag.
»Also, ich rieche nichts«, lautete die Antwort.
»Wie dumm.« Sander lehnte sich in den Türrahmen. »Wo ich doch Hunger habe.«
»Ich auch.« Friedelinde saß an ihrem Schreibtisch und arbeitete offenbar noch.
Er gab ihr einen Kuss aufs Haar. »Du arbeitest noch?«
»Ja, wenn ich fernsehen würde, hätte ich was gegessen.«
»Hm. Heißt?«
»Heißt, dass ich lieber arbeite als fernzusehen.«
»Okay, verstehe ich zwar nicht, aber ich mach uns mal was zu essen.«
»Mir brauchst du nichts zu machen.«
»Hast du nicht eben gesagt, dass du Hunger hast?«
»Richtig. Ich habe Hunger, aber ich will nichts essen.«
Sander blieb in der Tür stehen und wandte sich grinsend um. »Hat diese Logik etwas mit deinem Besuch im Waschsalon zu tun?«
»Elvira sagt, das Kleid hat nicht genug Stoff, um es auszulassen.«
»Und jetzt willst du bis Samstag noch fünf Kilo abnehmen, oder wie?«
»Minimum.«
Er ging zu ihr und zog sie aus dem Stuhl hoch. »Hab ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?«, fragte er und küsste sie.
»Du kannst gerne mitessen, aber nicht mitreden. Ich kann schließlich nicht nackt gehen.«
Er strich ihr die Haare aus der Stirn. »Und wenn wir beide morgen shoppen gehen? Ich muss mir einen Anzug kaufen, und du kaufst dir ein neues Kleid.«
»Ich hab schon ein Kleid.«
»Weiß ich, aber wenn ich dich richtig verstanden habe, passt das Kleid nicht so richtig. Das ist also so, als hättest du kein Kleid.« Sander musterte sie. »Was ist?«
»Ich prüfe, ob in dieser Bemerkung irgendeine Beleidigung untergebracht war.«
»Du kennst mich. Natürlich war da keine Beleidigung. Das war nur ein sehr konstruktiver Vorschlag. Wir machen uns einfach morgen einen schönen Tag. Was hältst du davon?«
»Ich muss arbeiten.«
»Ich auch. Du könntest mittags in die Stadt kommen, und dann gehen wir einkaufen. Okay?«
Friedelinde seufzte. »Aber damit gestehe ich doch implizit ein, dass mir das Kleid nicht mehr passt.«
»Na und? Mir passt auch so einiges nicht mehr. Soll ich uns Spaghetti kochen?«
»Ja, mit Tomatensoße. Die macht nicht dick.«
Sander ging nach oben und zog sich um. Dann setzte er Nudelwasser auf und legte Tomaten in heißes Wasser, um sie besser häuten zu können. Währenddessen schälte er Knoblauch und brachte Friedelinde ein Glas Rotwein. Aus ihrem Arbeitszimmer nahm er sich einen Schreibblock und einen Kugelschreiber mit und legte beides auf die Arbeitsfläche, für den Fall, dass ihm ein Geistesblitz für die Rede kam.
Als er die Tomaten in die Pfanne mit dem angebratenen Knoblauch gab, war ihm noch nichts eingefallen. Auch ein Schluck Rotwein half nicht weiter. Schließlich trug er das Abendessen im Esszimmer auf und legte den unbeschriebenen Block neben Friedelindes Teller.
»Sprechen wir heute Abend nicht miteinander oder wozu liegt das hier?«, fragte sie.
»Mühle will, dass ich am Samstag eine Rede halte.«
»Dann sollte der Block neben deinem Teller liegen«, stellte sie fest und wickelte Spaghetti um ihre Gabel.
»Der lag schon die ganze Zeit neben dem Kochtopf, und sieh ihn dir an. Er hat sich praktisch nicht verändert.«
»Was ist denn das Thema?«
»Keine Ahnung. Irgendwas mit Polizei.«
Friedelinde zog eine Augenbraue hoch. »Das hat Mühle gesagt?«
»Na ja, nicht wortwörtlich. Genau genommen hat er überhaupt nicht gesagt, worüber ich sprechen soll. Eigentlich ist das ziemlich unfair. Er hätte doch irgendein Thema vorgeben können.«
»Na ja, das Thema dieser Veranstaltung lautet ja Eine sichere Stadt.«
»Diese Stadt ist nicht sicher. Hier gibt’s Verbrechen aller Art und aller Kategorien.«
»Okay, dann sagst du das.«
»Um Gottes willen. Mühle kriegt einen Infarkt. Ich vermute, ihm schwebt so etwas vor, womit wir Zuversicht verbreiten.«
»Dann verbreite Zuversicht.«
»Du bist mir ja eine Hilfe.«
»Ja, du überraschst mich hier ja auch mit dieser Hausaufgabe. Und das, wo ich Hunger habe.«
»Gut, dann essen wir jetzt in Ruhe auf und hinterher schreiben wir eine Rede.« Zufrieden goss Sander sich Tomatensoße über die Spaghetti.
Sander legte Friedelinde die Hand aufs Knie. »Da haben wir doch wirklich ein formidables Abendkleid für dich gefunden. Ich finde jedenfalls, dass du super aussiehst.«
»Danke.« Etwas verlegen fuhr sich Friedelinde mit der Hand in die Frisur. Nachdem sie erst viele Jahre das Haar lang, schließlich aus Trotz ganz kurz getragen hatte, war es jetzt mittellang. Rosanna hatte es irgendwie geschafft, Locken in ihre Haare hineinzubekommen und sie aufzustecken. Das Kleid war aus dunkelblauer Seide mit einem Faltenwurf vorn, der eine Menge kaschierte, aber unheimlich kompliziert zu arrangieren war. Friedelinde hatte 30 Minuten zum Anziehen gebraucht, und sie würde heute Abend nichts trinken, denn aufs Klo gehen ging damit nicht. Schließlich konnte sie nicht für eine halbe Stunde auf dem Klo verschwinden, ohne aufzufallen. Andererseits beachtete sie vermutlich niemand. Sie würden gleich auf eine Menge prominenter Leute und Politiker stoßen, und eine kleine Nachlasspflegerin fiel darunter wohl kaum auf.
Plötzlich war Friedelinde furchtbar aufgeregt. »Ich muss aufs Klo.«
»Musst du nicht. Das bildest du dir nur ein. Was ist denn eigentlich aus dem alten Kleid geworden?«
»Du willst mich nur ablenken.«
»Stimmt. Also?«
Friedelinde sah aus dem Beifahrerfenster. »Das näht Elvira für Rosanna enger.«
»Ist doch schön. Dann kommt es in gute Hände.«
Friedelinde sah ihn von der Seite an. »Hast du irgendwas eingenommen? Du bist so nett.«
»Ich bin immer nett. Du merkst das bloß nicht immer gleich.«
Sie lächelte ihn an und versuchte sich zu beruhigen. »Okay, ich krieg mich wieder ein und versuche, nicht peinlich aufzufallen.«
»Das wirst du auch nicht«, beruhigte er sie. »Wir sind da.«
Der Justizsenator lebte auf einem Anwesen am nördlichen Stadtrand in einem beinahe schon ländlichen Gebiet. Sie waren durch ein kleines Stück Wald gefahren, Friedelinde hatte einen Hinweis auf einen Golfplatz gesehen, und sie hatten einen Pferdehof passiert. Das parkähnliche Grundstück war von einem Holzzaun eingefasst, der Blick von der Straße wurde durch eine Reihe hoher Bäume und Büsche versperrt. Links und rechts der Zufahrt standen zwei Polizeiwagen.
Sander reduzierte das Tempo und ließ das Fenster herunter. Ein uniformierter Beamter warf einen Blick ins Wageninnere. »KHK Sander«, stellte er fest.
»’n Abend.«
»Guten Abend. Viel Spaß.« Der Beamte trat einen Schritt zurück und machte eine einladende Geste.
Sander fuhr langsam an und bog in die Auffahrt ein, an deren Ende sich ein Herrenhaus erhob. Rechts der sandigen Zufahrt lag ein großer Teich, auf dem unzählige Lichter schwammen.
»Wie hübsch«, sagte Friedelinde.
»Hm.« Sander fuhr den langen Weg noch ein Stück weiter und stellte sein Auto dann hinter den letzten der Wagen, die am Rand geparkt waren. Er stieg aus und schlug die Autotür zu. »Wie sieht’s aus? Kommst du mit?«
»Bin gleich da. Ich komm mit diesen Schuhen nicht so gut zurecht.« Friedelinde stöckelte über den Rasenstreifen zum Weg. »Oh Gott, da soll ich ganz hinlaufen? Vermutlich verstauche ich mir den Fuß.«
»Jetzt mach mal kein Theater und entspann dich.« Sander hielt ihr den Unterarm hin, und sie hakte sich ein.
»Nicht schlecht, die Hütte.«
»Nein, kann man drin wohnen«, bestätigte Sander.
Das großzügige Wohnhaus aus rotem Backstein im Fachwerkstil hatte zu beiden Seiten des zweistöckigen Mittelteils leicht zurückgesetzte Anbauten mit eigenen Giebeldächern. Alle Fenster waren erleuchtet, und in den Beeten vor dem Haus steckten brennende Fackeln.
»Aber nur, wenn man eine Putzfrau hat.«
»Und einen Gärtner.«
»Und eine Haushälterin.«
»Also nichts für uns.«
Sie stiegen die Eingangsstufen hinauf, wo der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes ihre Einladungskarte kontrollierte. Ein weiterer Security-Mann stand dort und geleitete sie ins Haus. In einer großen Eingangshalle, von deren bemalter Decke ein Kronleuchter hing, dessen Licht das Geschmeide der weiblichen Gäste funkeln ließ, standen der Senator und seine Ehefrau.
Hartmut Schelling war Anfang 60 und mit einem dichten grauen Haarschopf gesegnet. Zu seinem eleganten Abendanzug trug er einen bordeauxroten Kummerbund mit passender Fliege. Er hatte ein sympathisches Gesicht und lächelte Sander und Friedelinde freundlich entgegen, obwohl er vermutlich keinen blassen Schimmer hatte, wer sie waren. Aber dafür war der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes da, der sie namentlich vorstellte und Sanders Position erwähnte.
»Ah, es freut mich, dass ein Mitglied der Polizei unserer Einladung gefolgt ist. Und dann noch in so bezaubernder Begleitung.«
Friedelinde lächelte. Das hätte Elvira mal hören sollen. Sie war vielleicht keine Gattin, dafür aber eine bezaubernde Begleitung. »Wir freuen uns ebenfalls, Herr Senator. Vielen Dank für Ihre Einladung.«
Friedelinde hatte im Internet ein bisschen über den Senator herausgefunden. Die große schlanke Frau neben ihm war seine zweite Frau Isabel, 15 Jahre jünger und eine sogenannte Charity Lady. Offenbar hatte sie genügend Zeit und Geld, um damit Gutes anzustellen. Ihr blondes, beinahe weißblondes Haar passte perfekt zu ihrem Abendkleid in der Modefarbe Nude, das vorn mit weiß glitzernden Steinen verziert war. Und im Gegensatz zu Friedelinde schien sie keine Probleme damit zu haben, den Abend in silbernen Riemchensandalen mit High Heels zu überstehen.
Sie plauderten eine Weile über das Wetter und die Lichter auf dem Teich, dann kamen die nächsten Gäste, denen der Senator sich widmen musste, und Friedelinde und Sander gingen Hand in Hand in einen Salon, in dem ein Aperitif gereicht wurde.
»Hast du nicht gesagt, du willst nicht so viel trinken, weil du dann aufs Klo musst?«, fragte Sander nach dem ersten Glas.
»Verdammt.« Friedelinde schlug sich die Hand vor den Mund. »Hab ich total vergessen.«
»Du kannst dich ja schon mal nach einem Klo umsehen. Ich schätze, davon haben sie hier so drei bis fünf.«
»Vielleicht sollte ich das wirklich tun.«
»Ah, da sind Sie ja, Sander.« Der Polizeipräsident gab ihm die Hand. »Und dann mit Ihrer reizenden Begleitung. Frau Engel.« Dr. Mühlenbeck beugte sich über Friedelindes Handrücken, ohne dass seine Lippen ihn berührten.
Ihr entschlüpfte ein »Ich bin entzückt, Sie zu sehen«.
»Sie haben sich Gedanken über ein paar passende Worte gemacht?«, wandte sich Nicolas’ Vorgesetzter an ihn.
Der schlug sich auf die linke Brust. »Alles hier drin.«
»Prima, mein Lieber.« Dr. Mühlenbeck gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Prima. Wir sehen uns«, sagte er und steuerte die Champagnerbar an.
»›Ich bin entzückt, Sie zu sehen‹?«, wiederholte Sander Friedelindes Antwort.
»›Alles hier drin‹?«, fragte Friedelinde.
»Stimmt doch. Gernot hat mir eine hübsche kleine Rede zusammengeschustert. Die steckt in meiner Innentasche.«
»Der arme Gernot muss immer für alles herhalten.«
»Na, ganz so ist es aber nicht. Ich bin immer noch der Leiter der Mordkommission.«
»Ah, ist das nicht diese Dings?«
Sander wandte sich um und folgte Friedelindes Blick. »Welche Dings?«
»Na, die in dieser Vorabendserie mitspielt.«
»Ich guck keine Vorabendserien.«
»Ich auch nicht.«
»Und woher weißt du dann, dass die da mitspielt?«
»Weiß ich nicht, woher ich das weiß. Vielleicht aus der Fernsehzeitung.«
»Vielleicht solltest du tatsächlich ein bisschen weniger trinken.«
»Aber ich bin sicher, dass sie es ist.«
Der Salon füllte sich mit immer mehr Gästen, und der Geräuschpegel stieg an. Friedelinde und Sander plauderten mit der Schauspielerin Mia Alexander, die tatsächlich in einer Soap mitspielte und ziemlich witzig war. Sie unterhielten sich noch mit einer ganzen Reihe weiterer Gäste, die Friedelinde zunächst nur vage bekannt vorkamen, deren Identität sich aber während der Unterhaltung offenbarte. Sie befand sich mittendrin im Who’s who Hamburgs. Spannend! Am liebsten hätte sie ständig Fotos gemacht und an Elvira und Rosanna verschickt. Aber auch ein wenig ernüchternd, denn die Schauspielerin traf sie später auf der Toilette wieder, wo sie Schwierigkeiten mit der Schleppe ihres Abendkleides hatte.
Als alle Gäste eingetroffen waren, bat der Senator in einen großen Saal mit Blick auf den beleuchteten Park hinter dem Haus. Hartmut Schelling begrüßte seine Gäste noch einmal und hielt eine Ansprache, in der er in das Thema Eine sichere Stadt einführte. Anschließend eröffnete er das Büfett. Während Friedelinde noch mit der Überlegung befasst war, ob sie sich einmal nachholen sollte, gab es eine weitere Aufforderung, sich in der Eingangshalle einzufinden. Dort hatte ein dreiköpfiges Streichorchester seine Instrumente aufgebaut, aber bevor sie zum musikalischen Teil des Abends kamen, wurden einige Reden gehalten.
Sander war ganz am Schluss dran. Er brauchte kein Mikrofon, seine Stimme trug über die große Gästeschar. Schon mit seinen ersten Worten erreichte er die Zuhörer. Aufmerksam folgten sie seinen Ausführungen. Trotzdem war er froh, als er endlich zum Schluss kam: »In unserer Gesellschaft lauern Gefahren von rechts und von links. Und ich spreche dabei nicht nur vom Straßenverkehr. Aber auch in der Mitte der Gesellschaft leben gefährliche Menschen, es herrschen Neid und Missgunst, regelmäßig wird gegen die zehn Gebote verstoßen. Wir, die Polizei, können nichts dagegen unternehmen, wenn Sie Ihre Frau betrügen. Vielleicht wäre Ihnen das auch gar nicht recht. Aber wir können aufpassen. Darauf achten, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden, damit jeder weiß, wo sein Platz in dieser Gesellschaft ist, was jeder Einzelne tun und lassen muss, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen.«
Sander ließ den Blick über die Zuhörer schweifen. Er sah in aufmerksame Gesichter. An den Stellen mit rechts und links und Frauen betrügen hatte der ein oder andere gelacht.
»Wir, die Polizei«, wiederholte er. »Deshalb ist es wichtig, dass wir personell, finanziell und technisch gut ausgerüstet sind, um unsere Aufgabe erfüllen zu können.« Er machte eine kleine Pause. »Für eine sichere Stadt«, schloss er.
Die Gäste applaudierten, die Gesichter einiger Damen glühten vor Begeisterung. Sander war nicht eingebildet, er wusste, dass er gut aussah. Okay, er war doch ein kleines bisschen eingebildet. Wie auch immer. Frauen standen darauf, dass man den Eindruck vermittelte, den Höhleneingang von gefährlichen Tieren und Schurken freizuhalten. Allerdings ohne wie ein Neandertaler daherzukommen.
Mühle stand am Rand, hielt beide Daumen hoch und grinste von einem Ohr zum anderen. Der Justizsenator trat zu Sander, dankte ihm für seine Worte und gelobte, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um solch engagierte Beamte wie Sander bei Laune zu halten.
Sander deutete eine Verbeugung an und setzte sich dann auf den freien Platz neben Friedelinde. »Na, wie war ich?«
»Super. Gernots Text war spitze. Ich hab ein Foto gemacht und ihm geschickt, damit er eine Vorstellung davon hat, was aus seiner Rede geworden ist.«
Sie mussten aufhören zu sprechen, weil die Streicher Pachelbels Kanon in G-Dur anstimmten.
Irgendwie war die Zeit wie im Fluge vergangen. Erneut wurde zum Essen geläutet, diesmal ans Mitternachtsbüfett mit einer Vielzahl aufwendig dekorierter Häppchen.
»Mann, bin ich froh, dass wir das neue Kleid gekauft haben«, stellte Friedelinde fest und nahm sich ein winziges Blätterteigtäschchen mit aufgespießter Olive. »So viel Stoff hätte Elvira gar nicht aus dem anderen Kleid auslassen können, wie ich hier wegfuttere.«
Zu spät sah sie, dass neben ihr ein distinguierter Herr im Maßanzug gerade mal drei winzige Teilchen auf seinem Teller anordnete. »Stimmt, es sieht ausgesprochen verführerisch aus«, sagte er lächelnd. »Charmant«, fügte er mit einem Blick auf ihren Teller hinzu und schritt von dannen.
Sander beugte sich über ihre Schulter. »Ich glaube, das war der Innensenator, der da einen Einblick in deine Esskultur erhalten hat.«
»Ich hab gleich zu Elvira gesagt, dass ich für solcher Art Festivitäten nicht geschaffen bin. Bei McDonald’s bin ich zum Beispiel noch nie aufgefallen«, wisperte Friedelinde.
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich liebe dich aber genau so, wie du bist.«
»Ah, Sander.« Der Polizeipräsident war aus dem Nichts aufgetaucht. »Darf ich Sie mit dem Leiter der Arbeitsgruppe Innere Sicherheit bekannt machen?«
Sander warf Friedelinde einen entschuldigenden Blick zu und verschwand dann mit Dr. Mühlenbeck und dem Arbeitsgruppenleiter in der Menge.
Friedelinde beschloss, dass sie nicht unbedingt von allem probieren musste, was das Büfett hergab, und ging nach draußen auf die Terrasse. Sie wurde allmählich müde und konnte ein bisschen frische Luft gebrauchen.
In der milden Abendluft standen elegant gekleidete Gäste in kleinen Gruppen beisammen und sprachen mit gedämpften Stimmen. Auch die Terrasse war mit brennenden Fackeln eingefasst, dahinter begann die Dunkelheit. Und es war unheimlich still, so dass es beinahe störend wirkte, als eine Frau laut auflachte. Friedelinde setzte sich an einen runden Eisentisch und probierte sich durch ihre Auswahl vom Büfett. Hinter ihr stand eine Gruppe junger Männer, die sich über das Tauchen unterhielten. Sie fachsimpelten über die notwendige Ausrüstung bei verschiedenen Wassertiefen, über Orte, an denen sie bereits getaucht waren, und blieben dann bei der Insel Fehmarn hängen, vor der man offenbar ebenfalls gut tauchen konnte. Fehmarn, dachte Friedelinde. Eine Insel mit Wasser drumherum, nicht weit weg von Hamburg. Könnte man direkt drüber nachdenken, ob es als Urlaubsziel geeignet ist.
»Ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen?« Isabel Schelling stützte sich auf die Lehne des zweiten freien Stuhls an Friedelindes Tisch.
»Mehr, als ich eigentlich benötige, danke«, antwortete Friedelinde.
»Darf ich?« Frau Schelling deutete auf den Stuhl.
»Natürlich. Ist alles Ihrs. Essen Sie nichts?«
»Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich vorhin schon eine ganze Menge gefuttert, als der Caterer kam, damit ich nicht so unangenehm auffalle, wenn die Gäste da sind.«
»Ein sehr guter Tipp, der für mich leider zu spät kommt.« Friedelinde deutete auf ihren Teller. »Unheimlich lecker.«
»Ja, der Koch betreibt ein Sternerestaurant an der Elbchaussee, und das merkt man natürlich. Sie sind mit Kriminalhauptkommissar Sander gekommen?«
»Äh, ja. Wir sind …« Tja, wenn sie jetzt verheiratet wären, fiele es ihr leicht, ihre Beziehung zu beschreiben. Waren sie aber nicht, und der Begriff Begleitung passte in diesem Zusammenhang nicht. »… liiert.«
»Ein ausgesprochen charmanter Mann, und er hat eine launige Rede gehalten.«
»Tja, launige Reden halten kann er«, gab Friedelinde zurück und verschwieg, dass der Text der launigen Rede aus der Feder von Nicolas’ gern unterschätztem Kollegen Gernot stammte. »Sie haben ein wunderschönes Anwesen.«
Isabel Schelling lächelte milde. »Manchmal ist es mir ein bisschen zu viel Natur hier draußen. Direkt hinter unserem Grundstück beginnt das Naturschutzgebiet, und wir haben eine Menge Rehverbiss.«
Das klang beinahe so, als hätte der Senator eine Ausnahmegenehmigung für die Errichtung seines Hauses in direkter Nachbarschaft zum Feldhamster erhalten, aber es handelte sich schließlich nicht um die protzige Villa eines Neureichen im toskanischen Stil, sondern um ein mindestens 100 Jahre altes Gebäude.
»Und was machen Sie beruflich? Sind Sie auch bei der Polizei?«
»Äh, nein.« Auch wenn mancher meint, dass ich es bin, dachte Friedelinde. »Ich arbeite als Nachlasspflegerin. Wenn Erben unbekannt sind, werde ich eingesetzt, um auf den Nachlass aufzupassen und die Erben zu suchen.«
»Das klingt unheimlich spannend. Sicher erleben Sie da so einiges.«
»Ja, das tue ich. Manchmal mehr, als mir lieb ist.«
Ein etwa 50-jähriger Mann, dem man ansah, dass er sich auf den Augenblick freute, in dem er seinen Anzug ausziehen und die Krawatte abnehmen konnte, gesellte sich zu ihnen.
»Ah, Herr Reber, setzen Sie sich zu uns.« Isabel Schelling deutete auf den Mann, dessen Frisur bei der Aufarbeitung seines Äußeren nicht berücksichtigt worden war. »Frank Reber ist Journalist und immer auf der Suche nach einer guten Story.«
Sein Händedruck war fest und trocken.
»Friedelinde Engel, hallo.«
»Herr Reber schreibt über alle meine Aktionen«, sagte Isabel Schelling. »In dieser Woche haben wir eine Kinderkrebsstation eingeweiht, und nächste Woche wollen wir eine Bärenfarm in Russland eröffnen. Es ist eine Win-win-Situation, wissen Sie? Die Berichterstattung über gute Taten ist so wichtig. Wenn keiner darüber berichtet, ist es so, als wäre es nicht geschehen.« Sie legte dem Journalisten die Hand auf den Unterarm. »Frau Engel ist Nachlasspflegerin, das wäre doch bestimmt auch etwas, über das es sich zu schreiben lohnt.«
Der Journalist wandte sich Friedelinde zu. »Auf alle Fälle«, sagte er. »Die Menschen interessieren sich dafür, wie jemand gelebt hat, wie er gestorben ist, was nach dem Tod eines Menschen passiert und so.«
»Ja, natürlich, obwohl ich nicht alles für geeignet halte, veröffentlicht zu werden. Auch nach dem Tod sollte die Privatsphäre geschützt werden, finde ich.«
»Klar, aber das kann man ja vereinbaren. Und anders als im Fernsehen kann im geschriebenen Bericht ja vieles verfremdet oder weggelassen werden, so dass niemand die Identität des Toten herausfindet.« Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Also, das würde mich tatsächlich interessieren. Auch Ihre Arbeit, was Sie so machen.«
»Na ja, ich würde sagen, die Tage mit meiner Büroarbeit lassen wir in dem Bericht lieber weg.«
Der Journalist lächelte. »Aber auch das gehört dazu. Wenn Sie es gestatten, würde ich Sie nicht nur zu Terminen begleiten, sondern auch mal einige Stunden bei Ihrer Büroarbeit hospitieren. So eine Reportage aus dem Innern interessiert die Leute auch.«
Isabel Schelling rieb sich die nackten Arme. »Vertrauen Sie ihm. Er hat das Talent, aus einem Steuerformular einen packenden Roman zu machen.«
»Frieren Sie?«, fragte Reber die Senatorengattin.
»Ein wenig.«
Er schob seinen Stuhl zurück. »Bin sofort wieder da.«
Tatsächlich hatten Friedelinde und die Gattin des Senators nur wenige Worte miteinander gewechselt, als er mit einer Bolerojacke zurückkehrte, die aus demselben Stoff wie Isabel Schellings Kleid geschneidert war. Auf den Schultern fanden sich die weißen Glitzersteine wieder, die die Vorderseite des Kleides verzierten. Er legte ihr die Jacke fürsorglich um die Schultern.
»Danke, mein Lieber.«
Reber setzte sich und zog seine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts. »Ich geb Ihnen mal meine Karte. Sie haben Ihre nicht zufällig auch dabei?«
Friedelinde öffnete ihre Handtasche. »Eine gute Nachlasspflegerin ist immer auf alle Eventualitäten vorbereitet.« Sie reichte ihm ihre Visitenkarte.
»Ich ruf Sie nächste Woche mal an, und dann können wir besprechen, wie die Sache genau aussehen soll. Es würde sich ein Mehrteiler anbieten, in dem wir in jeder Ausgabe über einen neuen Fall berichten und daneben über den Fortschritt einer Sache, die über die gesamte Doku andauert.«
Hu, das waren ja schon ziemlich konkrete Pläne. »In der kommenden Woche bin ich im Urlaub«, sagte Friedelinde. »Aber danach können wir gern was ausmachen.«
»Alles klar. Ich ruf Sie an.« Reber wandte sich an Isabel Schelling. »Können wir vielleicht noch die Reisedaten für nächste Woche durchgehen? Ich würde mich dann gern verabschieden.«
»Natürlich. Lassen Sie uns in mein Arbeitszimmer gehen.« Frau Schelling gab Friedelinde die Hand. »Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.«
»Danke, gleichfalls. Und vielen Dank für das schöne Fest.«
Friedelinde sah den beiden nach, wie sie im Innern des Hauses verschwanden. Ob die vielleicht ein Verhältnis hatten? Ach nein, das wäre doch zu klischeehaft.
»Na, schöne Frau, so allein hier?« Sander schlang die Arme von hinten um sie. »Willst du noch was essen oder trinken oder können wir nach Hause?«
»Wir können nach Hause. Ich bin ziemlich müde, und satt bin ich auch.«
»Was hast du denn mit der Frau des Justizsenators gesprochen?«
»Erst haben wir ein bisschen Small Talk gemacht, und dann hat sie mich mit einem Journalisten bekannt gemacht, der nach unserem Urlaub eine Reportage über meine Arbeit machen will.«
»Nach unserem Urlaub ist ein gutes Stichwort.«
»Da hab ich auch schon eine Idee. Wie wäre es mit Fehmarn?«, fragte Friedelinde.
»Fehmarn? Ist das nicht eine Insel, auf der Babys im Sand buddeln und die Leute Fahrrad fahren?«
Friedelinde hob die Schultern. »Ich hab keine Ahnung. Wir können es ja herausfinden.«
»Okay.« Er nahm ihre Hand. »Machen wir, und jetzt gehen wir nach Hause.« Sander führte ihre Hand an seine Lippen und gab ihr einen dicken Kuss auf den Handrücken. »Meine reizende Begleitung«, zitierte er den Polizeipräsidenten.
»Weißt du, was mir gerade einfällt?«, fragte Friedelinde.
»Was? Hast du meine Badehose jetzt doch vergessen?«
»Nein. Die hab ich eingepackt. Glaube ich. Ich kann auf dem nächsten Rastplatz mal nachsehen.«
Sander nahm den Blick von der Straße und sah sie von der Seite an. »Auf dem nächsten Rastplatz? Wir kommen gerade von einem Rastplatz, und dabei sind wir noch nicht mal eine Stunde unterwegs.«
»Das lag nur daran, dass ich unsicher war, ob ich mein Buch eingepackt habe.«
»Du hast ungefähr zehn Bücher dabei.«
»Ja, aber das habe ich gerade neu gekauft, weil ich es unbedingt im Urlaub lesen will.«
Sander wandte den Blick wieder ab.
»Freu dich, dann halte ich so lange die Klappe.«
Er grinste. »Okay, also, was ist dir denn nun eingefallen?«
»Mir ist eingefallen, dass wir bisher erst einmal zusammen verreist sind. Das ist unsere zweite Reise.«
»Stimmt. Das erste Mal waren wir in Griechenland. Ein denkwürdiger Urlaub.«
Sie schwiegen eine Weile, weil es zwei Mordfälle waren, die sie auf der Insel Thassos zusammengeführt hatten. Genau genommen schienen es Mordfälle zu sein, die sie zusammenhielten.
Als Sander diesen Gedanken aussprach, sah Friedelinde ihn an. »Vielleicht hätte ich das Thema lieber nicht ansprechen sollen?«
»Besser, du sprichst es an als ich. Tu mir den Gefallen und finde keine Leiche.«
Friedelinde zog eine Schnute. »Ich kann doch nichts dafür, wenn die so rumliegen.«
»Leichen liegen nicht einfach so rum. Du machst irgendwas, damit du ausgerechnet da vorbeikommst, wo sich eine Leiche befindet.«
»Das stimmt doch gar nicht. Dass neben unserem Haus ein Mord geschehen ist, konnte ich ja nicht ahnen.«
»Aber du hast das Haus ausgesucht.«
Friedelinde grinste. »Du nimmst mich nicht ernst. Vermutlich beobachtest du mich jetzt die ganze Zeit und fragst dich, wann ich den nächsten Mord entdecke.«
Sander legte ihr die Hand aufs Knie. »Lies einfach deine Bücher, dann passiert das nicht. Und eines kann ich dir sagen: Ich werde in diesem Urlaub sowieso nicht viel machen. Auch nicht denken.«
»Hm. Da bin ich mal gespannt, wie sich das auswirkt.«
»Und ich hätte gedacht, du sagst: ›Also alles wie zu Hause.‹«
»Hab ich mir verkniffen«, entgegnete sie.
Sander gähnte. »Ich hau mich am besten sowieso erst mal irgendwo an den Strand.«
Eine halbe Stunde später fuhren sie über die Fehmarnsundbrücke, die im Volksmund Kleiderbügel genannt wurde.
»Und jetzt?«, fragte Sander.
»Keine Ahnung. Irgendwie so rechts.«
»Man könnte meinen, ich wäre mit Gernot unterwegs. Dessen Ansagen sind genauso präzise.«
»Ich bin eine Frau, ich darf das nicht wissen.« Friedelinde kniff die Augen zusammen. »Ich korrigiere. Da vorne rechts, und dann muss das Hotel auf der linken Seite sein.«
Wenig später stellte Sander den Wagen hinter dem Haus ab. Sie checkten ein und bezogen ihr Zimmer mit Blick auf die Ostsee. Sander wollte sich nur kurz aufs Bett legen, während Friedelinde den Koffer auspackte. Als sie den leeren Koffer in der Nische hinter dem Schrank verstaute, war er eingeschlafen.
Nicolas kehrte mit einem Teller mit Rührei, Speck, kleinen Rostbratwürstchen und einem reichlichen Klecks Ketchup vom Frühstücksbüfett zurück.
»Ist schon Mittag?«, fragte Friedelinde.
»Das ist nur die Vorspeise«, erklärte Sander, als er sich setzte. »Im nächsten Gang gibt es Toast mit Lachs, danach ein Croissant mit Erdbeermarmelade.«
Friedelinde betrachtete ihre Müslischale. »Ich glaub, ich geh auch noch mal zum Büfett.«
Während sie sich mit einem Teller Rührei mit Schnittlauch versorgte, hatte sich am Nachbartisch eine vierköpfige Gruppe junger Männer niedergelassen, die laut miteinander sprachen.
»Ich hatte gedacht, wir verbringen ein paar ruhige Tage«, stellte Friedelinde mit einem missbilligenden Blick auf die Gruppe fest.
»Vielleicht können wir die Jungs als Reisemangel geltend machen und den Reisepreis mindern.« Nicolas spießte ein Würstchen auf.
Friedelinde versuchte, nicht zu lauschen, was praktisch unmöglich war. Sie hörte die Begriffe Meerestiefe, Ausrüstung und den Rest verstand sie nicht mehr. Dafür verwendeten die Jungs zu viele Fachbegriffe aus dem Tauchsport. Das entfachte naturgemäß ihre Neugier noch mehr.
»Ich hatte zwar gesagt, dass ich im Urlaub nichts tun will, aber mit dir reden wäre trotzdem okay. Das strengt mich nicht an«, beschwerte sich Sander.
»Gleich.« Friedelinde spitzte wieder die Ohren. Wenn sie es richtig verstand, wollten die Jungs heute tauchen gehen, und zwar nicht einfach nur so, sondern mit einem Ziel. Möglicherweise einem Schatz.
»Dann bist du also dabei, wenn ich einmal um die Insel jogge.«
»Witzig.« Friedelinde aß den Rest Rührei auf. »Das will ich sehen, dass du joggen gehst.«
Nicolas erhob sich. »Kann sein, dass du das nicht so schnell zu sehen kriegst. Jetzt bekommst du erst mal zu sehen, wie ich eine Scheibe Toast verspeise.«
»Spannend. Bring mir ein Croissant mit.«
Sie waren die Letzten im Frühstücksraum, und auch wenn die Wirtin ihnen versicherte, dass sie gern sitzen bleiben konnten, machte sie doch deutlich, dass das Tagewerk erledigt werden musste, indem sie die Tische abräumte, Tischdecken wechselte und ein wenig herumräumte.
Eine halbe Stunde später schlenderten Nicolas und Friedelinde Hand in Hand barfuß durch den warmen Sand. Sie fanden eine geeignete Stelle, die etwas abseits vom Trubel lag, richteten sich auf ihren Badetüchern ein, und während Nicolas sich der Länge nach hinlegte und die Nase in eine Sportzeitschrift steckte, setzte Friedelinde sich auf ihr Handtuch und betrachtete die Umgebung.
In angemessener Entfernung baute eine Familie mit zwei kleinen Kindern eine Sandburg, wobei das kleinere sich bemühte, die Arbeit des größeren wieder einzureißen. Erstaunlicherweise ging das ohne Streit ab. Gemeinsam bauten sie die Burg wieder auf. In wohlüberlegtem Abstand lag eine ältere Frau mit großem Strohhut und las ein Buch. Das war eigentlich eine schöne Idee. Friedelinde trank einen Schluck Wasser und nahm ihr Buch zur Hand.
Nach einer Stunde war die Sonne gewandert, und sie lagen nur noch halb im Schatten. Nicolas schien das nicht zu stören. Er schlief wieder, und die Zeitschrift war auf sein Gesicht gesunken. Machte nichts. Friedelinde legte ein Handtuch über seine Beine, um ihn vor Sonnenbrand zu schützen. Sie würde sich ein wenig die Beine vertreten. Sie zog sich ein Shirt an und nahm ein Handtuch mit.
Die Sonne stand hoch am Himmel, und der Sand war ziemlich heiß. Friedelinde ließ den Abschnitt mit den Strandkörben hinter sich und machte sich auf den Weg in die Dünen. Es war einigermaßen beschwerlich, durch das Dünengras zu wandern, aber es machte Spaß. Friedelinde genoss die frische Luft, das leise Rauschen des Meeres und das Gefühl, einmal nicht unter Zeitdruck zu stehen. Sie würde noch bis zu der Stelle gehen, wo die Dünen und das Meer zusammenliefen und der Strand schmal wurde, und dann umkehren.
Von ihrem Zielpunkt aus konnte sie auf das Meer hinaussehen. Ein paar Surfer waren unterwegs, auch wenn das Meer nicht gerade mit allzu großen Wellen aufwartete. Friedelinde wandte sich um und betrachtete die Landschaft. Es war wirklich schön hier, und das alles gar nicht mal so weit weg von Hamburg. Und immerhin waren sie seit beinahe 24 Stunden im Urlaub und Nicolas war noch nicht wegen eines Mordfalls zurückgerufen worden.
Friedelinde entschied sich auf dem Rückweg für eine andere Strecke. Dazu musste sie etwas mehr ins Landesinnere gehen, befand sich aber immer noch in den Dünen. Auf der Hälfte der Strecke bekam sie Hunger. Wenn sie zurück war, würde sie Nicolas vorschlagen, in Burg eine Kleinigkeit zu essen. Ihr war schon aufgefallen, dass die Insel sehr sauber war, und auch auf dem Strand lag so gut wie kein Müll herum. Vermutlich fiel ihr deshalb die dunkelblaue Sporttasche ins Auge, die ein wenig im Sand vergraben war.
Friedelinde strich den feinen Sand herunter. Vielleicht hatte hier jemand seine Sporttasche vergessen oder doch seinen Müll entsorgt. Oder etwas versteckt, was nicht gefunden werden sollte. Friedelinde musste an die Worte ihrer Freundinnen denken, die meinten, dass sie jede Leiche finden würde. Eine Leiche dürfte wohl nicht in die Tasche hineinpassen, aber vielleicht Teile davon. Sie könnte einfach weitergehen. Oder nachsehen. Sie zog den Reißverschluss auf.
Sander schlug die Seite um. Der Artikel über gesunde Ernährung war ziemlich interessant gewesen. Rührei und Rostbratwürstchen gehörten offenbar nicht zu einer gesunden Sportlernahrung, auch wenn sie eiweißhaltig waren. Die nächste Seite befasste sich mit einfachen, aber effektiven Trainingsmethoden. Zum Joggen fühlte er sich zu schlapp, aber im Hotel gab es einen Fitnessraum und eine Sauna. Vielleicht konnte er sich heute vor dem Abendessen dort noch ein Stündchen umsehen. Auf alle Fälle musste er sich ein wenig bewegen. In Hamburg kam er viel zu selten dazu, ins Fitnessstudio zu gehen, obwohl es ihm Spaß machte, sich zu verausgaben. Aber seine Tage waren immer so ausgefüllt, dass dafür keine Zeit blieb. Schließlich arbeitete er auch häufig am Wochenende. Sein Geplänkel mit Gernot darüber, dass er sich nicht daran erinnern könne, was er getan hatte, war nur Ausdruck für sein Unverständnis darüber, dass er jede Minute eines langen Arbeitstages dokumentieren musste. Als ob er freiwillig zwölf Stunden am Tag im Präsidium verbrachte. Und er musste Friedelinde hoch anrechnen, dass sie seine unregelmäßigen Arbeitszeiten so klaglos akzeptierte. Überhaupt war das Zusammenleben mit ihr eine sehr angenehme Sache. Wenn sie nicht gerade durch die Gegend stolperte und Verbrechen entdeckte jedenfalls.
Ein wenig Sand spritzte auf, als neben ihm eine schwere Sporttasche in den Sand fiel und Friedelinde sich daneben fallen ließ.
»Du glaubst nicht, was ich gefunden habe!«, sagte sie atemlos.
Sander schlug die Zeitschrift zu und setzte sich auf. »Einen abgehackten Arm?«, fragte er mit einem Blick auf die Tasche.
»Nein.« Sie zog den Reißverschluss der Tasche auf. »Guck mal.«
Er legte die Zeitschrift zur Seite und nahm ein Bündel Geldscheine heraus. »Geld?«
»Das da ist ein funkelnagelneuer Stapel 50-Euro-Scheine. Und wenn man das alles mal hochrechnet, sind das 50.000 oder so.«
»Hm.« Er warf das Bündel zurück. »Wo hast du das her?«
»Es lag in den Dünen. Die Tasche war ein wenig in den Sand eingegraben.« Friedelinde zog ihr Smartphone aus der Shorts und zeigte ihm ein Foto. »So sah es aus. Glaubst du, das stammt aus einem Banküberfall?«
Sander seufzte.
»Ich kann nichts dafür. Außerdem war weit und breit keine Leiche zu sehen.«
»Na schön.« Sander stand auf und klopfte den Sand von seinen Bermudashorts. »Dann bringen wir das jetzt zur Polizeistation und anschließend essen wir einen Happen.«
Als sie die Sporttasche auf den Tresen stellten, sah sie der Polizeibeamte dahinter fragend an.
»Moin«, sagte Sander. »Kriminalhauptkommissar Nicolas Sander aus Hamburg. Ich bin hier im Urlaub, und meine Frau hat diese Tasche mit Geld in den Dünen gefunden. Gab es hier zufällig einen Banküberfall?«
Der Beamte, auf dessen Uniformhemd der Name Martens und der Dienstgrad PM eingestickt waren, sah sie nacheinander an. »Aus Hamburg, wie?«
»Richtig. Das sagte ich.«
PM Martens öffnete die Sporttasche, und Friedelinde zeigte ihm das Foto mit dem Fundort auf ihrem Smartphone.
»Nein, einen Überfall gab es nicht«, sagte Martens, nachdem er beides ausgiebig betrachtet hatte. Er zog den Reißverschluss wieder zu und hob die Tasche an. »Wir nehmen eben ein Protokoll über den Vorgang auf. Setzen Sie sich mal da drüben hin.«
Es dauerte gerade mal eine Viertelstunde, Friedelindes Personalien aufzunehmen, den Fund und Fundort zu beschreiben und zu erklären, wie sie auf die Tasche gestoßen war, dann standen sie wieder auf der Straße.
»Das war alles?«, fragte Friedelinde enttäuscht.
»Wir haben eine Fundsache bei der Polizei abgegeben«, antwortete Sander. »Das ist etwas anderes als eine Mordermittlung.«
»Fundsache? 50.000 sind eine Fundsache?«
»30.000.« Sander nahm ihre Hand und zog sie in Richtung einer Fischbude. »PM Martens hat genau gezählt. Und es ist egal, was es ist, es ist eine Fundsache.«
»Aber woher stammt das Geld?«
»Das wissen wir nicht, und wir müssen es auch nicht wissen.«
Sie waren bei dem Anhänger mit dem aufgeklappten Seitenteil angekommen, und Sander studierte die Tafel. »Fischbrötchen mit Matjes, Krabbencocktail, Pannfisch, Fisch und Chips. Was möchtest du?«
»Entschuldige mal, ich finde 30.000 Euro in den Dünen und soll ein Fischbrötchen essen?«
Sander sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich bin im Urlaub und ich bin nicht erpicht auf philosophische Gespräche, aber trotzdem lege ich Wert auf ein bisschen Logik. Du sollst kein Fischbrötchen essen, und das hat auch nichts mit dem gefundenen Geld zu tun.«
Friedelinde atmete tief ein. »Okay. Chips.«
»Kein Fisch?«
Sie schüttelte den Kopf und ging zu einem der einfachen Tische mit den Holzbänken hinüber. Sander sah ihr zu, wie sie sich setzte und auf den Hafen blickte. So war sie nun einmal. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen, und Gernot hatte recht, wenn er sagte, dass sie mit ihrem Verdacht bisher immer richtiggelegen hatte. Vermutlich sollte er einfach nur froh sein, dass es Geld und keine Leiche war. Er bestellte einmal Fish und Chips und einmal Chips und trug alles zu dem Tisch hinüber.
»Danke.« Friedelinde nahm sich eine frittierte Pommes und steckte sie in den Mund.
»Ich glaube nicht, dass das Geld aus einem Banküberfall stammt«, begann er versöhnlich. »Seitdem die Geldtresore an den Kassenschaltern mit Zeitschlössern gesichert sind, ist es kaum noch möglich, bei einem herkömmlichen Banküberfall mehr als 1.000 Euro zu erbeuten. Außerdem trugen die Geldbündel keine Banderole. Sie waren mit einfachem Gummiband umwickelt.«
»Tut mir leid, wenn ich dir auf die Nerven gehe.«
»Nein, tust du nicht. Ich weiß ja, dass du nichts dafürkannst. Die einen haben übersinnliche Kräfte, die anderen kein Rhythmusgefühl, und du findest eben Sachen, von denen andere wollen, dass sie nicht oder nicht so bald gefunden werden.« Sander spießte ein Stück frittierten Fisch auf. Dafür, dass das Zeug aus einer fragwürdigen Bretterbude stammte, schmeckte es gar nicht mal schlecht.
»Ja, das ist auch das, was mich irritiert. Entweder stellt man so eine Tasche irgendwo einfach ab. Dann dürfte der Eigentümer sich aber in Sichtweite aufhalten. Oder man vergräbt die Tasche so tief, dass sie eine zufällig daherkommende Spaziergängerin nicht sofort findet.«
»Dann hoffe ich mal, dass der Eigentümer dich nicht dabei beobachtet hat, wie du die Tasche an dich genommen hast.«
»Meinst du, ich bin in Gefahr?«
»Normalerweise würde ich sagen, nein, aber du bist eben Friedelinde und dein zweiter Vorname ist Gefahr. Doch wenn der Eigentümer gesehen hat, wie du die Tasche an dich genommen hast, hat er vielleicht auch gesehen, dass du sie zur Polizei gebracht hast.«
»Dann wird derjenige zur Polizeistation kommen und sie abholen.«
»Genau. Und damit wäre die Sache geritzt.«
»Das hoffst du.« Friedelinde fuhr mit einer Pommes einmal durch die Mayonnaise.
»Sagen wir mal so, es würde erheblich zu meiner Erholung beitragen.«
Friedelinde grinste. »Weil ich dir nicht auf die Nerven gehen könnte.«
»Du wirst schon Mittel und Wege finden.«
Friedelinde wollte nicht lockerlassen. »Aber woher könnte dann das Geld stammen?«
»Und schon hast du einen Weg gefunden. Ich habe keine Ahnung. So viel Geld ist es ja nun auch nicht.«
»Aber wenn es nun aus einer Entführung stammt?« Friedelinde schlug sich eine Hand vor den Mund. »Vielleicht war das das hinterlegte Lösegeld, und jetzt wird das Entführungsopfer umgebracht.«
Sander verkniff sich die Bemerkung, dass man einem Entführten zunächst nur den kleinen Finger abschneiden würde und dass die Geldmenge für eine Entführung wiederum zu klein war. Natürlich war es nicht normal, dass jemand eine so große Menge Geld im Dünensand verbuddelte. Doch das Schöne war ja, dass das hier nicht sein Ermittlungsrevier war. Konnte sein, dass PM Martens mit den Ermittlungen überfordert war, aber das war nicht sein Problem. »Ich glaube nicht, dass eine Entführung dahintersteckt. Du hast doch das Geld an einer einsam gelegenen, unzugänglichen Stelle gefunden. Ein Entführer würde sich niemals an eine solche Stelle trauen, weil er da viel zu schnell entdeckt wird, wenn er das Geld abholt.«
»Dann ist es vielleicht doch gestohlenes Geld. Muss ja nicht aus einer Bank stammen. Es könnte zum Beispiel aus einem privaten Tresor gestohlen worden sein.«
»Wäre möglich.« Sander widmete sich seinem Mittagessen und versuchte durch Schweigen, Friedelinde vom weiteren Theoretisieren abzubringen. Auch wenn er wusste, dass das praktisch unmöglich war. Aber Angriff war die beste Verteidigung, weshalb er ihr einen Verdauungsspaziergang zum Fundort vorschlug.
Am nächsten Morgen erschienen sie sehr viel früher beim Frühstück, was auch den Vorteil hatte, dass das Büfett noch nicht so leer gefuttert war. An einem Fenstertisch saß die alleinstehende Frau, die Friedelinde am Vortag am Strand gesehen hatte, und las wieder in einem Buch. Als Friedelinde ihr Brötchen aufschnitt, fiel ihr auf, dass es um diese Uhrzeit auch noch viel ruhiger war. Zumindest war die Tauchergruppe nicht da. Oder vielleicht waren die Männer auch schon unterwegs.
Die Wirtin trat an ihren Tisch und schenkte Kaffee nach. »Haben Sie alles, was Sie brauchen?«
»Ja, vielen Dank. Es ist sehr schön bei Ihnen.«
Die Wirtin stellte Sander die volle Tasse hin. »Ich habe gestern bemerkt, dass die jungen Männer sie etwas gestört haben. Das tut mir leid.«
»Das ist überhaupt nicht schlimm«, antwortete Sander. »Es ist nur immer schwierig, nicht zuzuhören, wenn jemand laut spricht.«
»Das stimmt.« Die Wirtin wandte sich um. »Die Männer werden aber heute abreisen. Sie hatten wohl vor zu tauchen, aber daraus ist aus irgendwelchen Gründen nichts geworden.«
»Wo taucht man denn hier?«, fragte Friedelinde.
Die Hotelwirtin ließ den Blick über den Speisesaal schweifen, in dem es für sie im Augenblick offenbar nichts zu tun gab. Und sie verspürte wohl ein Mitteilungsbedürfnis. Sie deutete auf einen freien Stuhl. »Darf ich?«
»Gern.« Friedelinde zog den Stuhl unter dem Tisch hervor. »Bitte.«
»Vor Fehmarn liegen eine ganze Menge Schiffswracks«, erklärte die Frau. »Das sind beliebte Ziele für Taucher, weil der Schwierigkeitsgrad auch nicht allzu hoch ist und für Anfänger geeignet. Hier direkt vor uns in etwa 15 Metern Tiefe liegt die Prahm Staberhuk. Das ist ein Schwimmkörper, der bei seinem Untergang vor einigen Jahrzehnten voll beladen war. Zieht natürlich eine ganze Menge Abenteurer an, die darauf einen Schatz vermuten.«
Friedelinde betrachtete die Frau. Sie schätzte die Hotelinhaberin auf etwa 60 Jahre, sie war schlank, dezent geschminkt und machte einen fitten Eindruck. Vermutlich brachte der mittelgroße Hotelbetrieb ziemlich viel Arbeit mit sich.
»Aber das berühmteste Wrack ist natürlich das Docktor, das vor der Küste von Katharinenhof ein wenig nördlich liegt. Es sollte von Schweden geschleppt werden. Ein ziemlicher Oschi. 100 Meter lang und mehr als zehn Meter breit. Die Jungs haben sich vermutlich verschätzt, jedenfalls musste das Wrackteil auf Grund gesetzt werden. An einer Stelle liegt es nur vier Meter unter der Wasseroberfläche, und man kann es von einem Boot aus erkennen. Ist natürlich von Muscheln, Seesternen und Seenelken überwachsen, und das ist für Taucher ein Paradies.« Sie erhob sich. »Entschuldigen Sie mich. Ich muss für Nachschub auf dem Büfett sorgen.«
»Natürlich. Vielen Dank für Ihre Zeit.«
»Die Taucher«, sagte Friedelinde, als die Wirtin in der Tür mit der Aufschrift ›Küche‹ verschwand. »Vielleicht haben die die Tasche mit dem Geld dort abgelegt.«
»Und warum? Das werden sie kaum aus einem Schiffswrack geborgen haben, wenn die da schon seit vielen Jahren liegen. Waren ja keine D-Mark-Scheine.«
»War ja auch nur so ein Gedanke.« Friedelinde stand auf. »Ich hol mir noch was vom Büfett. Möchtest du auch noch was?«
»Nein danke.«