Fatale Lüge - Angela Lautenschläger - E-Book + Hörbuch
BESTSELLER

Fatale Lüge Hörbuch

Angela Lautenschläger

4,3

Beschreibung

Hinter der Idylle lauern die dunkelsten Abgründe … Der Hamburg-Krimi »Fatale Lüge« von Bestsellerautorin Angela Lautenschläger als eBook bei dotbooks. Ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht, ein rätselhafter Hausbrand, ein Immobilienkrieg in Hamburgs Nobelviertel – wie hängen all diese Vorfälle miteinander zusammen? Als einer ihrer Mandanten Theresa Sommer bittet, für seine etwas wunderliche Tante einen Rechtsstreit um ihr Haus beizulegen, ahnt Theresa noch nicht, dass sie sich damit in ein dunkles Netz aus Lügen und Gier verstrickt. Die alte Dame ist nämlich keineswegs so senil, wie ihr Neffe es Theresa glauben machen will. Geht es hier lediglich um versuchte Erbschleicherei oder zieht dieser Fall viel weitere Kreise? Als nach einem Brand im Keller des Hauses eine Frauenleiche gefunden wird, gerät Theresa erneut ins Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen – denn Hauptkommissar Lukas Kampmann ist überzeugt, dass sie mit ihren Nachforschungen mitten in ein gefährliches Wespennest gestochen hat … Das neue Ermittlerduo mit Bestsellerstatus: die eigenwillige Anwältin Theresa Sommer und Lukas Kampmann, ein Kommissar mit außergewöhnlichen Ermittlungsmethoden. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Nach ihrer Bestsellerserie um Nachlasspflegerin Friedelinde Engel und Kommissar Sander nun der neue fesselnde Hamburg-Krimi »Fatale Lüge« von Erfolgsautorin Angela Lautenschläger. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:12 Std. 56 min

Sprecher:Sabine Fischer
Bewertungen
4,3 (13 Bewertungen)
8
1
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.
Sortieren nach:
PetraB

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Ein ganz spannendes Buch
00



Über dieses Buch:

Ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht, ein rätselhafter Hausbrand, ein Immobilienkrieg in Hamburgs Nobelviertel – wie hängen all diese Vorfälle miteinander zusammen? Als einer ihrer Mandanten Theresa Sommer bittet, für seine etwas wunderliche Tante einen Rechtsstreit um ihr Haus beizulegen, ahnt Theresa noch nicht, dass sie sich damit in ein dunkles Netz aus Lügen und Gier verstrickt. Die alte Dame ist nämlich keineswegs so senil, wie ihr Neffe es Theresa glauben machen will. Geht es hier lediglich um versuchte Erbschleicherei oder zieht dieser Fall viel weitere Kreise? Als nach einem Brand im Keller des Hauses eine Frauenleiche gefunden wird, gerät Theresa erneut ins Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen – denn Hauptkommissar Lukas Kampmann ist überzeugt, dass sie mit ihren Nachforschungen mitten in ein gefährliches Wespennest gestochen hat …

Über die Autorin:

Angela Lautenschläger arbeitet seit Jahren als Nachlasspflegerin und erlebt in ihrem Berufsalltag mehr spannende Fälle, als sie in Büchern verarbeiten kann. Ihre Freizeit widmet sie voll und ganz dem Krimilesen, dem Schreiben und dem Reisen. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in Hamburg.

Bei dotbooks veröffentlichte Angela Lautenschläger ihre Bestsellerreihe rund um »Sommer und Kampmann«, die sowohl als eBook- und Printausgaben erhältlich ist:

»Kalter Neid«

»Blendende Gier«»Fatale Lüge« – bei SAGA Egmont auch als Hörbuch erhältlich

Weitere Bände sind in Planung.

Bei dotbooks erscheint auch ihre »Engel und Sander«-Krimireihe, die ebenfalls als eBook- und Printausgaben erhältlich ist:

»Stille Zeugen«

»Geheime Rache«

»Tödlicher Nachlass«

»Blindes Urteil«

»Gerechte Strafe«

»Brennende Angst«

»Stummer Zorn«Die Hörbücher zur Reihe erscheinen bei SAGA Egmont.

Die ersten drei Bände sind außerdem im eBook-Sammelband »Das dunkle Herz von Hamburg« erhältlich.  Eine weihnachtliche Kurzkrimigeschichte zur Reihe ist in der Anthologie »Ein Weihnachtswunder kommt selten allein« erschienen.

***

Originalausgabe Mai 2023

Copyright © der Originalausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Philipp Bobrowski

Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung eines Motives von Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-343-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Fatale Lüge«an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Angela Lautenschläger

Fatale Lüge

Der dritte Fall für Sommer und Kampmann

dotbooks.

Prolog

Im Haus war es still und roch muffig. Die Räume waren dunkel, weil sie kein Licht machen konnten. Sie hörte seinen leicht schnaufenden Atem.

»Also?«, fragte sie. Es sollte fordernd klingen, aber sie hörte selbst den leisen Unterton von Angst in ihrer Stimme.

»Sag du es mir. Was sollte das? Du bringst uns alle in Gefahr.«

»Ich? Ich habe dafür gesorgt, dass keine Gefahr mehr besteht.« Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie war schon einmal hier gewesen. Damals waren ihr Katzen um die Beine gestrichen. Jetzt war das Haus unbewohnt.

»Also? Weshalb sind wir hier?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Du wolltest doch reden.«

»Aber nicht hier. Und nicht mit dir. Wo ist er?«

»Ich bin hier.«

Hier lief etwas schief. Die beiden nahmen sie nicht ernst. Dabei konnten sie ohne sie doch nicht weitermachen. Oder?

»Das war eine saudämliche Aktion. Du hast alles noch viel schlimmer gemacht«, sagte er. »Jetzt haben wir ein echtes Problem.«

»Nein. Ich habe doch gerade gesagt, dass ich das Problem beseitigt habe.« Sie nahm allen Mut zusammen. »Ich will mehr Geld.«

Er lachte hässlich auf. »Ich glaube, du bist falsch informiert. Nur Leute, die uns nützen, bekommen Geld. Leute, die uns Ärger machen, kriegen gar nichts.«

»Ich mache keinen Ärger.« Sie räusperte sich, um diesen Unterton aus ihrer Stimme zu verbannen.

»Du bist raus.«

»Was? Aber wieso? Ich … wenn ich das nicht gemacht hätte, dann wären wir in Gefahr.«

»Du kapierst es nicht, oder?«

Sie konnte hören, dass er sich bewegte.

»Die Bullen suchen dich. Die Bullen.«

»Sie werden nichts finden«, antwortete sie und hoffte, dass das stimmte. Aber sie hatte Vorkehrungen getroffen. Und sie wollte ein neues Leben beginnen.

»Die Gefahr ist nicht beseitigt.« Seine Stimme kam jetzt von rechts. »Die Gefahr bist du.« Jetzt war er hinter ihr.

Sie drehte sich schnell um, aber es war zu spät. Etwas Schweres traf sie an der Schläfe. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie ging zu Boden.

Als Minuten später eine Scheibe klirrte, hörte sie das nicht mehr. Und sie hörte auch nicht mehr das Knistern der Flammen, die immer näher kamen.

Kapitel 1

Lukas stellte sein Fahrrad in den Fahrradständer und schob das Bügelschloss durch die Speichen. Jeden Monat wurden mehr als eintausend Fahrräder in Hamburg gestohlen. Warum sollte nicht auch mal eines vor dem Polizeipräsidium wegkommen? Er wollte niemanden in Versuchung führen. Er fuhr sich durch das feuchte Haar und rieb sich die roten Hände. Es war gerade halb sieben, und jetzt, Ende März, war die Luft morgens noch recht frisch. Mit Schwung lief er die Stufen ins Präsidium hinauf, passierte die Zugangsschleuse und stieg in den Fahrstuhl. Am Wochenbeginn musste man es mit der Bewegung schließlich nicht übertreiben. In der kleinen Teeküche bereitete er sich eine Kanne grünen Tee zu, an der er sich auf dem Weg in sein Dienstzimmer die kalten Hände wärmte. Ein ganzes Wochenende hatte er ohne Anruf aus dem Präsidium verbracht. Niemand hatte ihn zu einem Tatort gerufen, und die einzige Leiche hatte er im Samstagabendkrimi gesehen. Den Samstagvormittag hatte er zu einem Einkauf auf dem Markt genutzt, anschließend die Wohnung auf Vordermann gebracht und abends seinen Bruder bekocht, mit dem er zusammen den Krimi gesehen hatte. Und weil am Sonntag die Sonne schien, hatte er Theresa angerufen. Nachdem sie einmal um die Binnenalster gewandert waren, hatten sie sich im Alsterpavillon bei Kaffee und Kuchen über Filme unterhalten. Ein ganz normales Wochenende also.

Als er die Teekanne auf seinem Schreibtisch platzierte, lagen dort keine Akten oder Berichte über aktuelle Mordfälle. Entweder war das Verbrechen in Hamburg zum Erliegen gekommen oder man hatte ihn über Nacht ausgebootet. Lukas schenkte sich einen Becher Tee ein, checkte seine Mails und machte einen Plan der administrativen Dinge, die in dieser Woche erledigt werden mussten. Als jemand seinen Büroraum betrat, erwartete er seinen Kollegen Kai Lehmann, aber vor seinem Schreibtisch stand Rainer Wahl, den er vom Sehen aus der Kantine kannte.

»Moin, ich hab gehört, du hast im Augenblick nicht viel zu tun.« Der drahtige Mann ließ den Blick über Lukas’ ordentlichen Schreibtisch schweifen, bis er an der Teekanne hängen blieb. »Gemütlich.«

»Ich hol dir gern einen Becher aus der Teeküche.«

Der Beamte fächelte sich den aufsteigenden Dampf aus dem Teebecher zu. »Nee, lass mal.« Er übergab Lukas die Akte. »Ich hab hier was für dich.«

Lukas nahm den Aktendeckel entgegen und klappte ihn auf. Als Erstes fiel sein Blick auf die Aufnahme des Hinterrads eines Fahrrades, das unter einem Strauch lag. Lukas vermutete, dass es sich um einen Goldregen handelte, die ersten Knospen waren bereits zu sehen. Irgendwie munterte ihn dieses erste Anzeichen des Frühlings auf.

Wahl lehnte sich gegen die Fensterbank. »Mit diesem Fahrrad war Paul Weber in der Nacht von Samstag auf Sonntag unterwegs. Als er um Mitternacht noch nicht zu Hause war, hat seine Frau uns angerufen. Die Kollegen sind die Strecke von den Freunden, bei denen er gewesen ist, bis zu seinem Haus abgefahren und haben das Fahrrad entdeckt. Weber lag im Gebüsch. Er war bereits tot.«

»Fahrerflucht?«, fragte Lukas, während er durch die Akte blätterte.

»Fahrerflucht«, wiederholte Rainer Wahl. »Allerdings haben wir am Sonntag versucht, den Unfall zu rekonstruieren. Und ich habe noch einen Kollegen zu Rate gezogen, der auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Experte ist.« Wahl verzog das Gesicht, als habe er in eine saure Zitrone gebissen. »Diese Auffindesituation haben wir beim besten Willen nicht hingekriegt.«

»Verstehe.«

»Was verstehst du?« Kai war hereingekommen und hängte seine Jacke über die Lehne seines Stuhls.

»Dass wir einen Verkehrsunfall aufklären müssen.«

Kai zog eine Semmel aus der Tasche seiner Jacke und deutete auf Rainer Wahl. »Damit kommt ihr alleine nicht klar, wie?«

Wahl grinste und stieß sich von der Fensterbank ab. »Richtig, deshalb bin ich auch so froh, dass es euch gibt. Ich mach dann gleich mal einen Abgabevermerk. Schönen Tag noch.«

Kai sah ihm hinterher. »Worum genau gehts?«, fragte er Lukas.

»Muss ich erst mal nachlesen.« Lukas deutete auf seine Teekanne. »Nimm dir gern eine Tasse.«

»Nee, danke. Ich hol mir mal einen Kaffee.«

Sehr viel hatten die Kollegen bisher nicht herausgefunden, aber das konnte man ihnen wohl nicht vorwerfen. Vermutlich hatten sie am Wochenende noch weitere Verkehrsunfälle bearbeiten müssen. Die Aufnahmen des Fahrrads zeigten ein verbeultes Hinterrad, der Vorderreifen war platt. Von dem Leichnam gab es nur eine Aufnahme im Gebüsch. Dem Bericht zufolge war Webers Rad auf der Straße Alsterweg seitlich von einem Fahrzeug erfasst worden. Durch den Aufprall war er gestürzt, allerdings war für die Kollegen nicht nachvollziehbar, warum Weber und sein Fahrrad wie in die Büsche katapultiert aufgefunden worden waren. Paul Weber hätte allenfalls ins Bankett stürzen dürfen.

Lukas konnte mit der Skizze und den Aufnahmen nicht viel anfangen. Er wollte sich den Unfallort gern in natura ansehen. Außerdem konnten sie dann auch mit der Witwe sprechen. Weber war keine hundert Meter von zu Hause gefunden worden.

»So«, sagte Kai zufrieden, als er zurückkehrte. »Jetzt trinken wir erst mal in Ruhe ein Tässchen Kaffee.«

»Daraus wird nichts, Kai. Wir müssen nach Hummelsbüttel fahren.«

»Och nö. Ich denk, das ist ein Verkehrsunfall?«

Lukas zog seine Jacke an und klemmte sich die Akte unter den Arm. »Du weißt doch, dass es kein herkömmlicher Fahrradunfall ist.«

»Nee klar, sonst hätten die Jungs den Fall auch behalten.« Kai setzte den Kaffeebecher an die Lippen und leerte ihn auf Ex. »Das war ganz schön heiß«, sagte er außer Atem, als er den Becher absetzte. »Aber wir wollen ja nichts umkommen lassen.«

Lukas schrieb eine Notiz für ihre Kollegin Jessica und folgte Kai auf den Flur.

Ihr Mandant sah Theresa ungläubig an. »Wie? Das wars schon?«

Theresa nickte. »Sie sind jetzt geschieden.«

»Hm.« Seine Miene war eine Mischung aus Irritation und Enttäuschung.

Er sah der Richterin zu, die ihre Akte zuschlug, ihr Diktiergerät nahm und aufstand. Sie ließ den Blick durch den Gerichtssaal schweifen. Es ging auf Mittag zu, und ihr war anzusehen, dass sie den Saal abschließen und in die Kantine gehen wollte.

Theresa zog ihre Robe aus und steckte sie zusammen mit ihrer Akte in die Tasche. »Kommen Sie, Herr Tauber. Wir gehen.« Sie fasste die Schulter ihres Mandanten und schob ihn sanft zur Tür. Vermutlich stand er unter einer Art Scheidungsschock. Seine Exfrau schien mit der Situation sehr viel besser klarzukommen. Sie warf ihrem Ex einen triumphierenden Blick zu und verließ dann hoch erhobenen Hauptes den Saal. Theresa ließ ihr einen kleinen Vorsprung und folgte ihr dann auf den Gerichtsflur. Früher hatten ihr Scheidungsverfahren nichts ausgemacht, aber seit sie selbst geschieden war, gingen sie ihr zu Herzen. Etwas, das so hoffnungsvoll begonnen hatte, wurde in einer Gerichtsverhandlung auf schmähliche Art und Weise beendet. Keine Champagnerkorken knallten, keiner jubelte und klatschte oder warf Konfetti. Auch wenn es einem hinterher besser ging, war doch etwas kaputt gegangen.

»Frau Kollegin?«

Vor ihr stand Rechtsanwalt Maiboom, der Isabel Tauber vertrat.

»Wie?«

»Ich habe gefragt, ob wir beiden bei dem Italiener um die Ecke eine Kleinigkeit zusammen essen.«

Theresa sah ihn an. Holger Maiboom war ein sehr gut aussehender Mann in den Vierzigern. Zweimal geschieden und bei den weiblichen Gerichtsbediensteten und den Kolleginnen sehr beliebt. Theresa war nicht danach, sich einem Herzensbrecher auszuliefern. Sie war zwar nicht in festen Händen, aber möglicherweise auf dem Weg dorthin. Oder auch nicht. Der in Betracht kommende Kandidat hatte keine wilde Vergangenheit und den Wunsch, eine Familie zu gründen. Theresa dagegen war noch nicht lange geschieden, und wenn sie sich im Augenblick als etwas nicht sah, dann als Mutter.

Maiboom fuhr sich durchs Haar und setzte ein trauriges Gesicht auf. »Also, so eiskalt hat mich noch keine abblitzen lassen.«

»Äh.« Theresa sah sich nach ihrem Mandanten um, aber von Michael Tauber war nichts zu sehen.

»Dabei haben Sie sich doch gut geschlagen. Spannend wirds erst, wenn wir uns über Unterhalt, Zugewinnausgleich und den Unterhalt für die Tochter streiten«, sagte Maiboom und versuchte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Das ist ein wirklich verlockendes Angebot, aber ich habe keinen Hunger und möchte gern in die Kanzlei zurück.«

»Na schön. Aber nach dem nächsten Termin über den Unterhalt sind Sie mir ein Essen schuldig.«

»Abgemacht.«

Maiboom warf sich die Robe über die Schulter und spazierte pfeifend den Gerichtsflur entlang. Theresa war sich sicher, dass er auf den hundert Metern von hier bis zum Restaurant die passende Begleitung treffen würde. Sie folgte ihm durch die marmorne Eingangshalle des Gerichtsgebäudes, in der die Schritte und Gespräche der Anwesenden von den Wänden hallten, und trat dann durch die Flügeltür nach draußen. Sie entdeckte ihren Mandanten neben dem mit Sand gefüllten Aschenbecher, wo er sich gerade eine Zigarette anzündete. Vermutlich bereits die zweite.

Theresa stieg die Stufen hinunter. »Alles in Ordnung, Herr Tauber?«

Er zog an der Zigarette. »Ein ganz eigenartiges Gefühl ist das«, erklärte er. »Wenn mich jetzt einer fragt, wie mein Familienstand ist, muss ich sagen: geschieden. Klingt ein bisschen wie beschädigte Ware.«

Das hatte er gut formuliert, aber Theresa war nicht hier, um mit ihm einen Gesprächskreis für Geschiedene zu gründen. »Sehen Sie es als Chance auf einen Neuanfang. Sie haben jetzt Zeit, über alles nachzudenken und Pläne zu schmieden.«

Tauber starrte in die Ferne und nickte. Es würde noch dauern, bis er sich mit seinem Geschiedenenstatus angefreundet hatte.

»Rufen Sie in den nächsten Tagen mal in meiner Kanzlei an und vereinbaren Sie einen Termin, damit wir uns über die Unterhaltsfrage Gedanken machen können.

Tauber schnippte Asche von seiner Zigarette. »Dass die blöde Ziege auch noch Geld von mir kriegen soll, ärgert mich tierisch.«

»Na ja, sehen Sie es mal so: Ihre Tochter braucht jetzt nicht mehr 24 Stunden am Tag ihre Mutter, also kann Ihre Frau wenigstens halbtags arbeiten.«

»Kann sein. Sie hat neulich ’ne alte Freundin aufgetan, die einen Schuhladen hat. Nicki sagt, dass Isabel davon gesprochen hat, dort zu arbeiten.«

Theresa sah in den blauen Himmel. »Sehen Sie. Vielleicht findet sich alles. Ach, und machen Sie doch gleich eine Liste mit dem, was Sie zu Beginn der Ehe besessen haben.«

Tauber lachte unfroh auf. »Damit bin ich schnell durch. Nichts und hundert Euro auf der Bank.«

»Das besprechen wir dann in Ruhe. Ich muss jetzt los. Vielleicht finden Sie einen Freund, der Ihre Scheidung heute mit Ihnen begießt.«

»Kann sein, dass meine Jungs sich was ausgedacht haben.«

Theresa wollte sich zum Gehen wenden, aber er hielt sie zurück.

»Kann ich Sie vielleicht noch was anderes fragen?«

»Was denn?«

Plötzlich wirkte der Mann verlegen. »Ich weiß gar nicht, ob man da was machen kann.«

»Solange ich nicht weiß, worum es geht, kann ich Ihnen das nicht sagen, Herr Tauber.«

»Natürlich, Entschuldigung. Ja, also, es geht um meine Tante. Sie ist 89 und lebt seit ’ner Weile im Heim.«

»Und da hat sie Probleme?«

»Nee, im Heim ist alles in Ordnung, soweit ich das beurteilen kann.« Er schnippte seinen Zigarettenstummel auf die geteerte Zufahrt und trat ihn aus. »Aber sie ist ja auch noch nicht so lange da. Kann sein, dass sie sich da auch schon mit den Leuten in die Haare gekriegt hat. Mit ihrem Nachbarn streitet sie sich jedenfalls immer noch. Also, mit ihrem ehemaligen Nachbarn.«

»Und worüber streitet sie mit ihm?«

Tauber steckte die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans und zog die Schultern hoch. »Ich hab keine Ahnung. Über alles. Dabei ist er ja gar nicht mehr ihr Nachbar. Also, natürlich ist er noch der Nachbar ihres Hauses.«

»Was passiert denn mit dem Haus?«

»Ich weiß es nicht. Da wird sie wohl nicht wieder hin zurückziehen.«

»Ich habe jetzt noch nicht ganz verstanden, was jetzt genau Ihr Problem ist.« Theresa warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Oder das Ihrer Tante.«

»Na ja, ich weiß nicht, ob sie sich nicht selbst Probleme macht mit diesem Verhalten. Als sie allein in ihrem Haus gewohnt hat, war das vielleicht noch nicht so schlimm, aber wenn die im Heim das spitzkriegen, wird sie womöglich entmündigt oder wie das heißt.«

»Entmündigt wird man heutzutage nicht mehr. Es kann sein, dass jemand eine rechtliche Betreuung für Ihre Tante empfiehlt, aber auch das sehe ich noch nicht. Wenn Ihre Tante einen Anwalt findet, der sie vertritt, ist doch alles in Ordnung. Der wird das schon richtig beurteilen. Es sei denn, er nutzt die Situation Ihrer Tante aus und erstattet mutwillige Anzeigen.«

»Meinen Sie, Sie können mir da irgendwie helfen?«

»Wir müssen das in Ruhe besprechen, Herr Tauber. Wenn Sie den Termin in meinem Büro vereinbaren, dann sagen Sie Bescheid, dass wir zwei Stunden brauchen. Wir können dann auch über diese Sache sprechen. In Ordnung?«

»In Ordnung.« Er ließ die Schultern sinken. »Also, ich find Sie echt gut. Also, als Anwältin, mein ich. Sie haben das heute gut gemacht. Hab ich ein gutes Gefühl. Wenn Sie jetzt nicht los müssten, würde ich Sie zum Essen einladen.«

»Danke, das ist nett. Machen wir ein anderes Mal, okay?«

»Okay.«

Theresa ging die Zufahrt hinunter und bog nach links auf den Parkplatz ab. Zwei Einladungen in zwanzig Minuten. Das war kein schlechter Schnitt für beschädigte Ware.

»Hier links«, sagte Lukas.

»Wo?«

»Na hier.« Lukas deutete nach links. »Alsterweg.«

Kai setzte den Blinker und bog in die Seitenstraße der Alten Landstraße ein.

»Fahr mal ein Stück weiter. Noch ein Stück, noch ein Stück, Stopp.«

Kai hielt den Wagen an und fuhr rechts auf den unbefestigten Fahrbahnrand.

Lukas deutete nach vorn. »Da rechts um die Ecke wohnt Paul Weber. Der ist so wie wir die Straße hochgefahren und war schon fast zu Hause. Der musste nur noch rechts rum, aber vorher hat ihn ein Wagen erfasst.«

»Vermutlich kam da jemand von links.« Kai beugte sich zur Windschutzscheibe vor und kniff die Augen zusammen. »Wie heißt die? Rehboden?«

»Reembroden. Du solltest über eine Brille nachdenken.«

»Das geht nicht.« Kai schnallte sich ab. »Dann seh ich klüger aus als du.«

Sie stiegen aus dem Wagen und gingen die Straße weiter hoch, den Blick auf den Boden gerichtet. Zur Orientierung hielt Lukas ein Foto des Tatorts hoch. »Du kannst recht haben. Der Wagen ist aus der Seitenstraße gekommen und hat Weber vom Rad geholt.«

»Und warum ist der Wagen dann nicht auch in die Hecke gerauscht?«, fragte Kai.

»Weil er abgebogen ist, nachdem er Weber erfasst hat.« Lukas wandte sich um. »Der ist aus der Seitenstraße gekommen, hat Weber über den Haufen gefahren und ist dann nach rechts abgebogen in den Alsterweg.«

»Dann war der Fahrer entweder ein Anwohner vom Reembroden oder er war zu Besuch dort. Vermutlich eher jemand, der zu Besuch war. Und deshalb ist er auch nach rechts abgebogen. Nach links würden nur Anwohner des Münzkamp abbiegen«, mutmaßte Kai. »Und der hatte nicht nur ordentlich Fahrt drauf, sondern auch getrunken.«

»Okay.« Lukas blieb mitten auf der Fahrbahn stehen. »Nehmen wir dieses Szenario mal als Hypothese. Damit der Wagen Weber erfassen konnte, musste Weber mitten auf der Fahrbahn fahren. Hätte er sich ganz rechts gehalten, hätte der Wagen ihn nicht mal berühren können, ohne selbst in die Hecke zu rauschen.«

»Vielleicht hatte der selbst einen im Tee. Der kam ja wohl mitten in der Nacht nach Hause.«

»Ja, könnte sein«, stimmte Lukas zu. »Aber weißt du, was bei dieser ganzen Konstellation nicht dazu passt?«

»Sag es mir.«

»Weber wäre nicht im Gebüsch gelandet.« Nachdenklich sah Lukas Kai an. »Wenn du besoffen einen Unfall verursachst, siehst du doch zu, dass du wegkommst, oder? Du steigst doch nicht aus und räumst Unfallopfer und Fahrrad beiseite.«

»Ich würde ja gar nicht erst betrunken fahren, aber wenn ich mich in eine solche Situation versetze, dann …« Kai atmete ein. »Dann würde ich vielleicht aussteigen und nach dem Unfallopfer sehen.«

»Und wie kommt der dann ins Gebüsch? Wolltest du nicht so schnell wie möglich abhauen? Oder stellst du fest, dass du das Opfer kennst? Oder willst du einfach nicht, dass das Opfer sofort entdeckt wird?«

»Ach Lukas, du fragst mir hier die Haare vom Kopf.«

»Wir arbeiten doch nur an unserer Hypothese.« Lukas überquerte die Fahrbahn. »Obwohl, sehr gut ist das Versteck nun auch wieder nicht. Diese leicht verwilderte Hecke gehört zu der Hausnummer 8.«

»Dann war es vielleicht der Bewohner dieses Hauses.«

»Und der legt die Leiche in seinen Vorgarten?« Lukas rieb sich das Kinn. »Nee. Ich weiß nicht, was hier los war. Wir gehen jetzt erst mal zur Witwe.«

Kai kniff die Augen zusammen. »Erst mal?«

»Und anschließend befragen wir die Anwohner.«

Die Gegend, in der der Unfall geschehen war und in der Paul Weber gewohnt hatte, war das, was Lukas als gutbürgerlich bezeichnete. Einfamilienhäuser, gemähte Rasenflächen im Vorgarten, sauber gestutzte Hecken. Der Gehweg vor den Häusern war gefegt.

»Hm«, machte Kai mit Blick auf das Haus mit der Nummer 4.

Lukas überholte ihn und ging die Auffahrt hoch zum Haus. Als er läutete, schloss Kai zu ihm auf. Eine Frau in den Sechzigern mit kinnlangem grauem Haar öffnete ihnen. Sie trug einen hellblauen Strickpullover und Jeans.

»Guten Tag, ich bin Kriminalhauptkommissar Lukas Kampmann, mein Kollege Kai Lehmann«, stellte Lukas sie vor. »Sind Sie Frau Weber?«

»Ja, bin ich. Mechthild Weber.« Sie trat ein wenig beiseite. »Kommen Sie herein.«

Sie folgten der Witwe durch eine hellbraun geflieste Diele ins Wohnzimmer, von dem aus man einen Blick in den großzügigen Garten hinter dem Haus hatte. Das Wohngebiet schien vor mehreren Jahrzehnten gewachsen zu sein, als man Häuser noch nicht dicht an dicht stellte und keine Angst vor Gartenarbeit hatte.

»Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Nein, vielen Dank.«

Sie nahmen an einem Esstisch aus Mahagoni Platz, auf dem eine beigefarbene Häkeldecke ausgelegt war. Mechthild Weber nahm ihre Lesebrille von einem Ordner, der auf dem Tisch lag.

»Frau Weber, Sie haben vorletzte Nacht mit meinem Kollegen vom Verkehrsunfalldienst gesprochen.«

»Ja, Herr Wahl war hier und hat mir gesagt, dass Paul tot ist. Ein netter Mann. Er hat sich so viel Mühe gegeben, mir die Nachricht schonend zu überbringen, dabei wusste ich schon, als er in der Tür stand, dass etwas passiert sein muss.« Sie seufzte. »Ach, eigentlich wusste ich ja schon, als Paul nicht nach Hause kam, dass etwas passiert sein muss.«

»Wo war Ihr Mann am Samstagabend?«

»Paul spielte zweimal im Monat Doppelkopf. Am letzten Samstag und am dritten Mittwoch im Monat. Er hat immer gern ein oder zwei Bier getrunken bei diesen Spieleabenden. Deshalb ist er mit dem Rad gefahren. Es ist ja nicht weit.«

»Bei wem finden diese Doppelkopfabende statt?«

»Bei Werner. Also, bei Werner und Dorothea. Sie wohnen im Kornweg.«

»Und wer ist der vierte Spieler?«, fragte Lukas.

»Karl-Heinz. Linde.«

»Wann hat Ihr Mann denn abends das Haus verlassen?«

»Er ist immer um viertel vor sieben losgefahren. Um sieben haben sie sich getroffen. Dorothea hat dann immer etwas zu knabbern hingestellt, sie haben ein wenig geplaudert und etwa drei Stunden gespielt. Paul war meist kurz vor Mitternacht zu Hause.« Frau Weber legte die Brille auf den Tisch und lehnte sich zurück. »Er hat immer gesagt, dass der nächste Tag für ihn gelaufen ist, wenn er nicht vor Mitternacht ins Bett kommt.«

»Verstehe. Und was haben Sie in der Zeit gemacht?«

»Ich sitze dann immer gern vor dem Fernseher und suche mir Filme aus, die Paul nicht gern sieht. Und ich häkle etwas.«

Kai rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, und Lukas hoffte, dass er sich nicht zu einer unbedachten Äußerung hinreißen ließ. Tatsächlich schmückten mehrere Kissen mit gehäkelten Bezügen das Sofa, an den Wänden hingen gehäkelte Tücher.

Auch in Lukas’ Welt mussten Ehepaare nicht alles zusammen unternehmen, aber er hatte das Gefühl, dass es in dieser Ehe eine Reihe unterschiedlicher Interessen gab. Angefangen mit dem Doppelkopfspielen und dem unterschiedlichen Filmgeschmack.

»Am Samstag ist er nicht nach Hause gekommen.« Mechthild Weber griff wieder nach ihrer Brille und klappte die Bügel auf und zu. »Ich habe im Sessel gesessen und darauf gewartet, seinen Schlüssel im Schloss zu hören, aber es blieb alles still. Um viertel nach zwölf habe ich Dorothea angerufen. Sie hat gesagt, dass Paul um halb zwölf weggefahren ist. Für die Strecke nach Hause braucht er keine zehn Minuten.«

»Sie haben dann um halb eins die Polizei angerufen«, stellte Lukas fest.

»Ja, ich habe ihnen die Situation geschildert und der Beamte war so freundlich, einen Streifenwagen loszuschicken. Ich hatte ihm den Weg beschrieben, und sie sind die Strecke abgefahren. Und dann …« Sie schluchzte kurz auf, aber es waren keine Tränen zu sehen. »Dann haben sie ihn im Gebüsch gefunden. Weggeworfen wie Müll. Wissen Sie, ich habe immer gedacht, wenn mal etwas passiert, dann auf der Alten Landstraße. Die Leute fahren dort viel zu schnell. Wenn nachts jemand die rote Ampel ignoriert, würde er meinem Paul gar nicht mehr ausweichen können. Aber, dass es hier, um die Ecke ...« Mechthild Weber machte eine Handbewegung.

»Wir haben uns den Unfallort eben angesehen, Frau Weber, und uns Gedanken über den Hergang gemacht. Ist es denkbar, dass jemand aus der Nachbarschaft den Unfall verursacht hat?«

Mechthild Weber richtete sich auf. »Sie meinen den Kratowitz?«

»Das ist wer?«, fragte Kai.

»Das ist ein furchtbar grässlicher Mensch. Der wohnt drüben im Reembroden und schafft es, von dort bis hier praktisch mit jedem Nachbarn Streit zu kriegen.«

»Und worum geht es dabei?«, fragte Lukas.

»Um nichts. Dem Marxen hat er vorgeworfen, dass seine Hecke zehn Zentimeter zu hoch gewachsen ist, der Wagner hat den Rasen gemäht, da hat angeblich schon eine halbe Stunde vorher Mittagsruhe angefangen, so was.«

»Ein beliebter Nachbar also. Gut. Wir werden die Nachbarn ohnehin noch befragen. Hat Ihr Mann Ärger mit jemandem gehabt? Oder Feinde?«

»Feinde? Paul?« Die Stimme der Witwe glitt etwas ins Schrille ab. Es klang beinahe ein wenig vorwurfsvoll. So als hätte Ihr Mann es nicht mal zu einem Feind gebracht.

»Vielleicht hatte er beruflichen Ärger?«

Mechthild Weber sah Lukas verwundert an. »Paul hat bei der Bank gearbeitet. Ich glaube nicht, dass einer seiner Kunden ihn nachts umfährt.«

Lukas sah sich um. Ein ruhiges beschauliches Heim, ein wenig in die Jahre gekommen. »Haben Sie Kinder?«

»Nein.«

»Sollen wir jemanden für Sie unterrichten?«, erkundigte sich Lukas.

Mechthild Weber zog den Ordner zu sich heran. »Nein, das ist nicht nötig. Ich muss mich erst einmal mit den ganzen Unterlagen beschäftigen.«

»Gut. Bleiben Sie sitzen, Frau Weber«, sagte Lukas und stand auf. »Wir finden allein raus.«

»Ist gut.« Mechthild Weber setzte die Lesebrille auf und schlug die Akte auf. Sie machte keine Anstalten, sie hinauszubegleiten.

Vor dem Haus blieb Kai stehen. »Da fragt man sich doch, warum diese Leute verheiratet sind.«

»Ach Kai, jetzt stellst du wieder die Institution Ehe in Frage. Menschen verändern sich, und damit vermutlich auch das Eheleben. Aber damit wollen wir uns heute nicht befassen.«

»Nee, ist klar«, sagte Kai. »Wir müssen Anwohner befragen.«

Theresa lenkte ihren Wagen in die Tiefgarage des Bürogebäudes, in dem ihre Kanzlei lag. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie nach oben und schob die satinierte Glastür mit dem eingravierten Namenszug der Kanzlei auf.

»Mahlzeit, Liebes, wie ist es gelaufen?«

»Tante Hedwig, hallo!« Theresa stellte ihre Aktentasche auf den Tresen. Ihre Tante war offenbar am Samstag beim Frisör gewesen. Ihre grauen Locken saßen wunderbar und trugen einen zarten violetten Schleier. In ihren Ohrläppchen steckten Perlenohrstecker, und sie war dezent geschminkt. Wie immer ganz die vornehme ältere Dame.

»Wie Scheidungen eben so gehen. Der Richter spricht die Scheidung aus, ein Teil des bisherigen Ehepaars guckt dumm aus der Wäsche und der andere frohlockt.«

Hedwig nahm die Ohrstöpsel des Diktiergeräts aus den Ohren. »So melancholisch heute?« Sie sah Theresa besorgt an.

»Ach, ich weiß auch nicht.« Theresa schnupperte an den Tulpen in der Vase auf dem Tresen. Hedwig brachte jeden Montagmorgen frische Blumen mit und erhellte damit den Eingang. Natürlich verströmten die pinkfarbenen Blüten keinen Duft. »Es geht doch jedes Mal etwas kaputt.«

»Na ja, alte Häuser werden auch abgerissen. Das gibt Platz für einen Neubau«, stellte Hedwig nüchtern fest und übernahm damit die Position, die Theresa noch kurz zuvor gegenüber ihrem Mandanten eingenommen hatte. »Es hat keinen Sinn, an etwas festzuhalten, das nicht mehr funktioniert. Man muss nach vorn sehen.«

Hedwig steckte die Ohrstöpsel wieder in die Ohren. »Entschuldige mich, aber ich muss diesen Brief schnell zu Ende tippen. Der Herr Florian will ihn gleich wegschicken.«

Theresas Kanzleipartner Florian Winkler hatte ihrem Vorschlag, Hedwig als Ersatz für ihre schwangere Mitarbeiterin Miranda einzustellen, anfangs skeptisch gegenübergestanden. Der Grund war ihr Alter von 76 Jahren. Mittlerweile kam er ohne ihren von Hand aufgebrühten Kaffee und ihre leistungsstarke Unterstützung gar nicht mehr zurecht.

Theresa nahm ihre Tasche. »Natürlich.«

»Ich bringe dir gleich einen Kaffee. Und wenn du willst, setzen wir uns heute Abend bei einem Gläschen zusammen und plaudern übers Leben.«

»Das wäre schön«, rief Theresa über die Schulter zurück. Und anschließend müsste sie mit dem Taxi nach Hause fahren.

Der kleine Mann stützte sich auf seinen Spaten. »Das sieht dem Kerl ähnlich.«

»Was meinen Sie?« Lukas betrachtete das Beet, das Erwin Marxen umgrub. Auf der Rasenfläche daneben standen zwei Kästen mit Stiefmütterchen. Eine schöne Sache, solche Gartenarbeit, dachte er.

Kai sah den Bewohner des Hauses Reembroden 18 fragend an. In der Hand hielt er sein Tablet, in das er ungeduldig die Aussage des Befragten eingeben wollte.

»Dass er den armen Kerl über den Haufen gefahren hat. Sie sagen ja, dass er in der Mitte der Fahrbahn fuhr. Helmut Kratowitz hat ihn vermutlich übergenagelt, um ihm eine Lektion zu erteilen.«

»Ist das nicht eine etwas übertriebene Maßregelung?«, fragte Lukas.

»Ja, zumal Paul Weber von dieser Erkenntnis anschließend nichts hatte«, ergänzte Kai.

»Ach ja? Das finden Sie übertrieben? Der gnädige Herr war der Meinung, dass meine Thujahecke zu hoch ist. Als wär er von der Behörde, hat er mich aufgefordert, sie zu stutzen.« Erwin Marxen sah Lukas von unten herauf vorwurfsvoll an. »Wo sind wir denn hier! Ich hab ihm gesagt, dass ich meine Hecke schneide, wann ich es will. Und wissen Sie, was er dann veranstaltet hat?«

»Nein«, sagte Lukas.

»Ein Kettensägenmassaker!« Marxen deutete auf seine zugegebenermaßen sehr niedrige Hecke. Die lieblos abgesäbelten Stämme waren gerade mal zwanzig Zentimeter hoch.

»Okay, Herr Kratowitz neigt also zu übertriebenen Maßnahmen. Haben Sie einen Wagen?«

Marxen trat einen Schritt dichter an Lukas heran und giftete ihn an wie ein schlecht gelaunter Gartenzwerg. »Denken Sie, ich habe den Weber überfahren?«

»Also, haben Sie ein Auto?«

»Hab ich. Einen Mercedes W 124, silbermetallic. Wollen Sie ihn sehen?«

»Ist das nicht schon ein Oldtimer?«, fragte Kai verwundert.

»Das bin ich auch. Und trotzdem noch da. Ich pflege meine Sachen, junger Mann. Auch meinen Wagen. Deshalb fährt er auch noch wunderbar. Also, wollen Sie ihn sehen?«

»Im Augenblick nicht, danke.«

Die Lackspuren am Fahrradrahmen, die die KTU dem Unfallwagen zuordneten, waren grün. Sie würden ohnehin die Fahrzeuge aller Anwohner untersuchen müssen. Im Augenblick hatte Lukas keine Idee, was hier passiert war.

»Gut, dann ist meine letzte Frage, ob Sie in der Nacht zum Sonntag um Mitternacht herum etwas Ungewöhnliches gehört haben.«

»Meine Marianne schnarcht wie ein Elefant, da hören Sie nichts.«

»Gut.« Lukas warf einen Blick auf den Bildschirm des Tablets. Kai, der Scherzkeks, notierte die Antwort wörtlich. »Danke, Herr Marxen. Hier ist meine Visitenkarte.«

»Den Kratowitz treffen Sie jetzt nicht an, aber wenn Sie ihn sehen, wäre ich dankbar, wenn Sie ihn verhaften.«

»Wegen Ihrer Hecke?«

»Wegen meiner Hecke.«

Lukas nickte. »Wir denken drüber nach.«

Sie läuteten bei Kratowitz, wo ihnen tatsächlich niemand öffnete. Lukas notierte eine Rückrufbitte auf seiner Visitenkarte und warf sie in den Briefkasten neben der Haustür. Erwin Marxen schien vergessen zu haben, dass er Stiefmütterchen einpflanzen wollte, und beobachtete sie, auf seinen Spaten gestützt, aufmerksam.

Links neben Kratowitz wohnte offenbar eine Familie. Der Vorgarten war gepflastert mit Dreirädern, Sandförmchen und anderem Kinderspielzeug. Geöffnet wurde ihnen von einer jungen Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm trug.

»Hallo.«

Lukas stellte sich vor. »Frau Weiss?«

»Ja, Miriam Weiss. Sind Sie wegen des Unfalls neulich Nacht da?«

»Ja, wir befragen die Anwohner dazu, ob sie etwas gehört haben.«

»Hm«, machte Miriam Weiss. »Leonie zahnt gerade und weckt mich alle zwei Stunden. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich etwas gehört habe. Als Frau Buck mir gestern von dem Unfall erzählt hat, meine ich.« Frau Weiss legte die freie Hand an die Schläfe. »Das Dumme ist, dass ich mir angewöhnt habe, nur bis zu einem gewissen Grad wach zu werden, wenn ich nach den Kleinen sehe. Beim dritten Kind schleicht sich eine gewisse Routine ein, wissen Sie?«

»Verstehe.«

»Und dann weiß ich am nächsten Morgen nicht mehr, ob ich mir etwas eingebildet habe oder ob es tatsächlich passiert ist.«

»Und wovon sprechen wir, was Sie sich eingebildet oder tatsächlich gehört haben könnten?«

»Als wenn ein Wagen unheimlich beschleunigt.« Miriam Weiss schüttelte den Kopf. »Kann aber auch sein, dass ich mich an das Geräusch aus einem Film erinnere, den mein Mann abends gesehen hat.«

»Ist Ihr Mann gerade da?«

»Nein, der arbeitet.«

»Könnten Sie ihn fragen, ob er einen Film gesehen hat, in dem Autos vorkamen?«

»Natürlich.«

»Und haben Sie ein Auto?«

»Ja, wir haben einen VW Bus. Dunkelblau.«

»Um welche Uhrzeit könnten Sie denn das Fahrzeug gehört haben?«

Miriam Weiss legte den Kopf schief. »Schwer zu sagen. Ich lege die Kinder um sieben hin. Etwa gegen elf wird der Erste wach. Leonie ist im Augenblick so unruhig, dass sie die anderen beiden jedes Mal aufweckt. Ich habe sie deshalb mit zu uns in Schlafzimmer geholt. Ich war gerade wieder eingeschlafen.«

»Könnte es um Mitternacht gewesen sein?«

»Ja, das kommt etwa hin.«

»Und wenn wir Ihren Mann fragen?«

»Dann sind wir auch nicht schlauer. Der schläft wie ein Stein.«

Lukas reichte ihr eine Visitenkarte, die die Kleine ihm aus der Hand schnappte, um sie sich in den Mund zu stecken.

»Tja, also.« Lukas war etwas überrumpelt. Er nahm eine zweite Karte heraus und achtete darauf, dass das Mädchen sie nicht zu fassen kriegte. »Gibt es jemanden in der Straße, der einen grünen Wagen fährt?«

»Grün?« Miriam Weiss schüttelte den Kopf. »Fällt mir gerade niemand ein.« Sie hielt die Visitenkarte hoch. »Aber ich hab ja Ihre Nummer.«

Der anderen Visitenkarte schien kein langes Leben beschert zu sein. Die Kleine hielt den aufgeweichten Rest in ihrer winzigen Hand.

Kai folgte ihm von dem Grundstück auf die Straße, nachdem er alles in sein Tablet eingegeben hatte. Erwin Marxen hatte das Interesse an ihnen verloren und setzte das erste Stiefmütterchen in ein kleines Loch im Beet.

»Angenommen, Frau Weiss hat recht, und niemand hier in der Straße besitzt einen grünen Wagen. Dann könnte es sich um einen späten Gast gehandelt haben. Jemanden, der etwas zu viel intus hatte und auf dem Heimweg einen harmlosen Radfahrer angefahren hat.« Kai klappte die Schutzhülle über den Bildschirm des Tablets. »Ich schätze, dann sind wir etwa 2025 fertig mit unseren Ermittlungen.«

Lukas sah die ruhige Wohnstraße hoch und runter. »Ich glaube nicht, dass wir auf diese Weise fertig werden. Nicht in diesem Jahrhundert. Hier ist etwas anderes geschehen. Wenn das, was Miriam Weiss gehört hat, zutrifft, dann hat jemand beschleunigt, um Weber in voller Absicht zu überfahren. Das war aber nur möglich, wenn er wusste, wann Weber vorbeifährt, oder wenn er ihn sehen konnte. Also stand der Wagen vermutlich ziemlich nahe zur Einmündung zum Alsterweg.«

»Schön, dann konzentrieren wir uns auf die paar People vorne an der Straße und sind schneller fertig«, erklärte Kai und ging schon mal los.

»Das machen wir morgen.« Lukas ging hinter ihm her. »Jetzt fahren wir zu der Bankfiliale, in der Weber gearbeitet hat, und anschließend suchen wir diese Doppelkopffreunde auf.«

»Und wo in deinem Plan kommt eine kleine Pause vor?«

»Gar nicht. Wir nehmen uns etwas ins Präsidium mit und fragen Jessica, was sie herausgefunden hat.«

Die Bankfiliale, in der Paul Weber gearbeitet hatte, lag im Erdkampsweg zwischen einem Waschcenter und einer Bäckereifiliale. Das Filialnetz der Hamburg Bank war auf das Hamburger Stadtgebiet beschränkt und nicht allzu groß. Tatsächlich hatte Lukas sich schon häufiger gefragt, wie sich die Bank in der derzeitigen Zinssituation auf dem umkämpften Markt behaupten konnte. Die Hamburger Bank war jedenfalls nicht dafür bekannt, Kunden mit großen Vermögen zu haben. Lukas betrat die Filiale allein, weil Kai nicht an der Bäckerei vorbeikam.

Hinter einem weißen Empfangstresen standen zwei Mitarbeiterinnen. Die ältere war damit beschäftigt, einer alten Dame beim Ausfüllen eines Überweisungsauftrages behilflich zu sein. Die jüngere sah ihm freundlich entgegen.

»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«

Lukas zeigte ihr dezent seinen Dienstausweis. »Ich würde gern mit jemandem über den Tod von Herrn Weber sprechen.«

Das Lächeln der jungen Frau erlosch. »Natürlich. Kommen Sie.«

Sie führte Lukas zu einer Tür am Ende des Bankraumes und klopfte an.

»Herr Mitzlaff, hier ist jemand von der Polizei.«

Lukas wurde von einem Mann um die vierzig empfangen, der sein Jackett zuknöpfte, als er sich erhob.

»Matthias Mitzlaff, guten Tag. Setzen Sie sich doch.«

Lukas nahm in einem Freischwinger mit Chromgestell Platz. »Herr Weber war der Filialleiter dieser Bank?«

»Ja, ich bin stellvertretender Filialleiter und habe seine Position bis auf Weiteres eingenommen.«

»Rechnen Sie sich Chancen aus, diese Position dauerhaft einzunehmen?« Lukas lächelte freundlich.

»Damit rechne ich, ja.« Mitzlaff wirkte entspannt und nicht wie jemand, der einen störenden Vorgesetzten beseitigte, um seine Position einzunehmen. »Zugegebenermaßen früher als erwartet. Eigentlich war es angedacht, dass ich in zwei Jahren nachrücke. Herr Weber wollte dann in Pension gehen.«

»Und wer nimmt dann Ihre Position ein?«

Mitzlaff lächelte. »Sie denken jetzt aber nicht, dass Nicola Wischnewski Paul umgebracht hat, um meine Stelle zu kriegen, oder?«

»Ich kenne Frau Wischnewski nicht. Trauen Sie ihr so einen Plan zu?«

»Nein.« Mitzlaff legte die Arme auf die Armlehnen seines Bürostuhls. »Wir sind hier eine kleine Bankfiliale und kein Hort des Verbrechens. Unser Betriebsklima ist gut und niemand trachtet dem anderen nach dem Leben. Ich dachte, Paul wurde von einem Auto angefahren.«

»Wurde er. Es deutet allerdings alles darauf hin, dass es sich nicht um einen Unfall handelt. Jemand hat Paul Weber mit Vorsatz überfahren.«

Mitzlaff legte die Stirn in Falten. »So etwas hat niemand aus unserer Bank getan.«

»Hatte Herr Weber Probleme mit Kunden?«

»Nein.«

Lukas sah sich um und wartete ab, ob noch etwas kam. Sein Blick fiel auf die Rückseite des Bilderrahmens auf dem Schreibtisch. Er fragte sich, ob Mitzlaff das Familienfoto bereits ausgetauscht oder ob Paul Weber gar kein Foto seiner Frau aufgestellt hatte.

»Hören Sie, Herr Kampmann, Paul war ein guter Chef und beliebt bei den Mitarbeitern und unseren Kunden. Niemand hatte einen Grund, ihn umzubringen. Jedenfalls niemand aus unserer Bank.«

»Können Sie mir bitte trotzdem eine Liste der Mitarbeiter Ihrer Filiale machen, danke.«

Mitzlaff seufzte. »Das kann ich tun, aber es wäre schön, wenn Sie unsere Filiale nicht allzu sehr beunruhigen.«

»Wir bemühen uns.« Lukas stand auf. »Und gehen Sie bitte die Liste Ihrer Bankkunden daraufhin durch, ob es nicht vielleicht doch mal Probleme gab.«

»Natürlich.« Mitzlaff nahm die Visitenkarte vom Tisch, die Lukas ihm hingelegt hatte. »Mordkommission«, sagte er nachdenklich. »Und ich dachte, es war ein Fahrradunfall.«

Lukas fand Kai an einem Stehtisch der Bäckerei in der Nachmittagssonne, vor sich einen Becher Kaffee und einen Schokoladenmuffin.

»Und?«, fragte Kai mit vollem Mund, weil er gerade von dem Muffin abgebissen hatte.

»Die haben da drinnen die Nachfolge von Paul Weber schon wunderbar geregelt. Die werden noch ein paar Tage trauern, aber spätestens nach der Beerdigung läuft der Geschäftsgang wieder regulär.«

»So ist es«, stellte Kai versonnen fest. »Wenn du nicht aufpasst, wirst du ganz schnell ersetzt.«

»Kai«, sagte Lukas mitfühlend. »Geht es dir nicht gut? Du bist für mich doch unersetzbar.«

»Ja, weil die Aktenführung ohne mich völlig aus dem Ruder laufen würde.«

»Nicht nur deshalb. Trink mal deinen Kaffee aus. Wir wollen zu dieser Doppelkopf-Dorothea. « Lukas zog sein Handy aus der Tasche. »Wir haben völlig vergessen, nach der Hausnummer von diesen Doppelkopfleuten zu fragen.«

»Hast du, aber ich kenne die Adresse schon.«

Lukas steckte das Handy wieder weg.

»Bisher kommt der Tod den Leuten in der Bank doch sehr gelegen, oder?«, fragte Kai auf dem Weg zum Wagen.

»Du denkst an eine besondere Form der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen?«

Kai stellte seinen Kaffeebecher aufs Wagendach. »Nicht durch die Bank, sondern durch Kollegen, dachte ich.«

»Das wäre möglich. Denk an deinen Kaffee.«

Im Kornweg, wo Dorothea Kreuz wohnte, sah es genauso aus wie im Münzkamp, wo die Eheleute Weber wohnten. Einfamilienhäuser in Reihe mit gepflegten Vorgärten und anständig geharkten Gehwegen. Das Ehepaar Kreuz wohnte in Hausnummer 17. Eine Frau in den Fünfzigern öffnete ihnen. Sie trug ein knielanges Kleid mit orangefarbenem Muster, ihre blonden Naturlocken ließen sie jünger wirken.

»Guten Tag, Frau Kreuz?« Lukas hielt der Frau seinen Dienstausweis hin und stellte sich vor. »Wir würden Sie gern wegen des Todes von Paul Weber sprechen.«

»Natürlich.«

Lukas und Kai nahmen in einer schicken Landhausküche Platz.

Dorothea Kreuz lehnte sich gegen die Spüle. »Das ist ganz schrecklich, was mit Paul passiert ist. Dass ihn so ein Rüpel einfach so totfährt.«

Lukas beabsichtigte nicht, der Frau die Theorie vorzustellen, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt hatte. »Erzählen Sie uns bitte, wann Herr Weber am Samstag hier weggefahren ist.«

»Es war etwa gegen halb zwölf. Ich bin ins Bett gegangen, und später rief dann Mechthild an und hat sich nach Paul erkundigt.« Dorothea Kreuz fuhr sich mit dem Finger unter der Nase entlang. »Das war so schrecklich. Der arme Paul.«

»Hat sich Herr Weber an dem Abend anders verhalten als sonst? War er nervös? Oder hat er von Problemen berichtet? Vielleicht bei der Arbeit oder im Privatleben?«

»Nein, nichts von alledem. Es war ein ganz normaler Abend, so wie immer. Und Paul ist immer so gegen halb zwölf, spätestens viertel vor zwölf weggefahren.«

»Am letzten Samstag also eher zeitig.«

»Ja, so genau haben wir ja nicht auf die Uhr gesehen, aber ich selbst lag schon vor Mitternacht im Bett. Ich habe einen Digitalwecker und erinnere mich, wie die Ziffern auf 23:47 umsprangen.«

»Was haben Sie nach dem Anruf getan? Sie und Ihr Mann?«

»Ich eigentlich nichts.« Dorothea Kreuz fuhr mit der Hand an der Kante der Arbeitsfläche entlang. »Also, ich hoffe wirklich, dass Sie das Schwein finden.«

»Gut.« Kai hatte die wenigen Informationen in sein Tablet eingegeben. »Das wars eigentlich, oder Lukas?«

Lukas nickte, obwohl er nicht das Gefühl hatte, dass es das war. Hier lag vielleicht nicht des Rätsels Lösung, aber irgendetwas stimmte nicht. Das spürte er.

Im Präsidium erwartete sie eine aufgeregte Jessica Stiehl. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte. »Hallo!«, schmetterte sie ihnen entgegen. »Ich habe schon mal ein bisschen recherchiert.«

»Kann ich noch meine Jacke ausziehen oder gehts schon los?«, fragte Kai.

»Multitasking ist die Kernkompetenz des modernen Polizeibeamten«, entgegnete Jessica. »Also, Helmut Kratowitz hat insgesamt neun Strafanzeigen gegen seine Nachbarn erstattet. Wegen überhängender Zweige, angeblichem Rasenmähen in der Mittagsstunde, zu schnellem Fahren im Reembroden und lauter so Nachbarschaftskram. Ist alles eingestellt worden, und die Staatsanwaltschaft hat ihn auf die Möglichkeit der Privatklage verwiesen. Vermutlich haben die bei der Staatsanwaltschaft anschließend ein rotes Ausrufungszeichen hinter seinen Namen gesetzt. Im Reembroden 28 wohnt ein Harald Luksch, der hat zwei Jahre auf Bewährung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bekommen. Ich habe ihn angerufen, er hat gesagt, dass er am Wochenende bei seinen Schwiegereltern übernachtet hat. Das muss ich noch überprüfen.«

Lukas schaltete seinen PC ein. »Ich weiß gar nicht, warum wir den ganzen Tag in der Gegend herumgegurkt sind, wenn Sie schon alles herausgefunden haben.«

»Na ja, alles auch nicht. Ich hab die Infos gecheckt, die Kai schon mal in die digitale Akte gestellt hat. Was nicht dabei war, ist die Strecke, die Paul Weber nach dem Doppelkopfspielen immer gefahren ist.«

Kai öffnete den Mund, um sich zu beschweren, aber Jessica sprach schon weiter.

»Das ist aber gar kein großes Ding. Ich hab einfach die Frau Weber noch mal angerufen, nachdem ihr da weg seid.« Sie drehte ihren Bildschirm um, sodass sie daraufsehen konnten. »Hier unten ist der Kornweg. Üblicherweise ist Paul Weber vom Kornweg nach links in die Wellingsbüttler Landstraße abgebogen und nach fünfzig Metern rechts in den Grünen Winkel. Am Ende des Weges muss er über die Illiesbrücke die Alster überqueren.«

Kai tat so, als müsse er gähnen.

»In dieser Nacht kann Paul Weber diese Strecke aber nicht gefahren sein.« Jessica lächelte aufreizend. »Die Stahlkonstruktion der Betonbrücke ist marode und wird erneuert. Die Brücke ist gesperrt.«

»Und nu?«, fragte Kai.

»Und nu musste Paul Weber eine andere Strecke fahren. Und das ist gar nicht so einfach, weil zwischen Münzkamp und Kornweg zwar nur fünfhundert Meter Luftlinie liegen, aber mit dem Rad muss man fast 5,5 Kilometer zurücklegen.«

»Sag mal, sind wir hier bei der Verkehrspolizei, oder was? Komm doch mal zum Punkt!«

»Der Punkt ist, dass Paul Weber entweder außen rum über die Wellingsbütteler Landstraße über die Alsterbrücke Langwisch oder fast geradeaus am Hockeyclub vorbei hätte fahren können.«

»Das konnte er ja auch machen.«

»Das konnte er. Aber in beiden Fällen hätte er sich seinem Zuhause von Nord-Osten genähert, und dann wäre er schon eins früher in den Eeckbalkenstieg eingebogen und nicht erst in den Alsterweg.«

»Ach!« Kai ging näher an den Bildschirm heran.

Jessica drehte den Bildschirm wieder zu sich zurück. »Und da fragt man sich ja, warum er dann auf dem Alsterweg überfahren werden konnte.«

»Das haben wir lange nicht mehr gemacht«, stellte Hedwig fest, als sie dem Kellner die Speisekarten zurückgaben.

Theresa hob ihr Glas. »Nein, und ich habe das Gefühl, dass das daran liegt, dass du zu viel arbeitest.«

Hedwig stieß mit ihr an. »Ich? Du arbeitest zu viel. Ich mache jeden Tag pünktlich Feierabend. Wohingegen du immer sehr lange arbeitest.«

»Das kannst du doch gar nicht wissen, weil du dann schon zu Hause bist.«

»Ich kann das am nächsten Tag nachverfolgen. Du hast dann immer schon die E-Mails bearbeitet, diktiert und mir Akten zum Bearbeiten hingelegt. Zum Beispiel warst du gestern, am Sonntagnachmittag, auch im Büro.«

»Richtig, das war ich. Und vorher habe ich einen Spaziergang gemacht.«

»Allein?« Hedwig nahm sich ein Stück von dem leckeren Hefebrötchen und strich ein wenig Kräuterbutter darauf.

Theresa hob die Augenbraue. »Wir haben über meine Arbeitsbelastung gesprochen.«

»Und jetzt sprechen wir über dein Privatleben. Also bist du mit dem netten Herrn Kampmann spazieren gegangen. Wo wart ihr denn?«

»Wir sind einmal um die Alster und haben Kaffee getrunken.«

»Und da fällt dir nichts Besseres ein, als anschließend ins Büro zu gehen.« Hedwig schüttelte den Kopf. »Dann kann es auch nichts mit euch werden.«

»Hedwig, Themenwechsel. An was für einem Puzzle sitzt du denn gerade?«

Kapitel 2

Lukas nahm an, Kai war nicht sehr traurig darüber, dass Lukas diesmal gemeinsam mit Jessica Dorothea Kreuz aufsuchen wollte. Es nieselte leicht, und da war es natürlich angenehmer, warm und trocken im Präsidium zu sitzen. Und Kai hatte eine wichtige Aufgabe übernommen.

Lukas überließ es Jessica zu fahren. Er genoss ihren angenehmen Fahrstil und das gemeinsame Schweigen. Beinahe bedauerte er es, als sie ihr Ziel erreichten.

»So ein Kackwetter«, schimpfte Jessica und stülpte sich die Kapuze ihrer Sweatshirtjacke, die sie unter einer roten Lederjacke trug, über den Kopf.

Als er ausstieg, stellte Lukas fest, dass sie recht hatte. Der Nieselregen war in leichten Regen übergegangen. Schnell huschte er hinter seiner jungen Kollegin zum Eingang des Hauses der Familie Kreuz.

»Wehe, die ist nicht zu Hause.« Jessica legte den Finger auf die Türklingel und schüttelte sich.

Aber Dorothea Kreuz war zu Hause. Und ihre freundliche Miene verrutschte beim Anblick der beiden Polizeibeamten.

»Guten Morgen, Frau Kreuz. Es ist ein scheußliches Wetter, dürfen wir reinkommen?« Lukas fasste Jessicas Oberarm und schob sie sanft in das Haus.

»Ja, ein scheußliches Wetter«, bestätigte Dorothea Kreuz und nahm Jessicas Lederjacke ab. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?«

»Gern.« Jessica rieb sich die Hände und folgte Dorothea Kreuz in die Landhausküche.

Es war Jessicas eigener Vorschlag gewesen, dass sie das Gespräch mit Dorothea Kreuz führte. Lukas tat deshalb so, als sei er gar nicht anwesend, verneinte die Frage nach einer Tasse Tee und blieb gleich neben der Küchentür stehen.

Jessica bewunderte indessen die Kräutertöpfe auf der Fensterbank und fachsimpelte eine Weile mit Dorothea Kreuz über die Verwendung von Bohnenkraut. Lukas fasste sich in Geduld. Die Hausherrin brühte eine Kanne Tee auf und stellte eine rote Porzellankanne auf den Tisch. Jessica schenkte den Tee in zwei rote Porzellanbecher ein und schob einen Frau Kreuz hin.

»Sie haben mit Paul Weber und anderen regelmäßig eine Doppelkopfrunde gebildet, nicht? Seit wann haben Sie zusammen gespielt?« Jessica gab einen Löffel Zucker in ihren Becher.

»Schon seit einer Weile, ich glaube etwa fünf Jahre.« Dorothea Kreuz legte den Deckel zurück auf die Zuckerdose.

»Und wie hat sich die Gruppe zusammengefunden?«

»Na ja, ich kenne Mechthild schon lange, und dann haben wir einmal festgestellt, dass wir gern Doppelkopf spielen.«

»Aber Frau Weber hat ja nicht mitgespielt, oder?« Jessica setzte den Becher an die Lippen und hielt ihn mit beiden Händen umfasst.

»Nein, Mechthild macht sich nichts aus Spieleabenden. Es hat sich dann so entwickelt, dass wir zu viert zusammenkamen und kochten und plauderten, und dann an anderen Abenden kam nur Paul zum Doppelkopf.«

»Und wer war der vierte Spieler?«

»Äh, wie meinen Sie?«

»Na, Sie, Ihr Mann, Paul Weber, und wer war der Vierte?«

Dorothea Kreuz richtete sich ein wenig auf. »Nun, das ist Karl-Heinz. Karl-Heinz Linde.«

»Und ihn kennen Sie woher?« Jessica stellte den Becher auf den Tisch.

Dorothea Kreuz deutete nach rechts. »Er wohnte hier einige Häuser weiter.«

»Ah, Ihr Nachbar. Hier im Kornweg?«

»Richtig.« Dorothea Kreuz hob die Teekanne an. »Noch Tee?«

»Gern.« Jessica hielt ihr den Becher hin. »Sie haben also gemeinsam mit Ihrem Mann, Paul Weber und Karl-Heinz Linde Doppelkopf gespielt«, fasste Jessica zusammen. »Wann sind denn die anderen am Samstag gegangen?« Sie hob den Deckel der Zuckerdose ab und gab sich einen Löffel Zucker in den Tee. Während sie auf eine Antwort wartete, rührte sie um.

»Ach, also, weiß ich gar nicht mehr so genau.«

»Ist Paul Weber als Letzter gegangen?«

Dorothea Kreuz wischte einige Zuckerkörner vom Tisch. Lukas bemühte sich darum, möglichst unsichtbar zu bleiben und in Vergessenheit zu geraten.

»Frau … äh …«

»Stiehl. Jessica Stiehl.«

Frau Kreuz atmete tief ein. »Frau Stiehl, es ist mir so furchtbar unangenehm. Weil, gerade am letzten Samstag, da haben wir …« Sie seufzte. »Wir haben kein Doppelkopf gespielt«, sagte sie leise.

Jessica stellte das Rühren ein und nippte an ihrem Tee. Lukas atmete ganz flach und bewegte sich nicht.

»Die anderen waren gar nicht da«, flüsterte Dorothea Kreuz.

Ganz langsam stellte Jessica ihren Becher ab. »Ihr Mann auch nicht?«, fragte sie leise.

Ihr Gegenüber zog die Unterlippe ein und schüttelte den Kopf.

»Da waren Sie ganz allein mit Paul Weber.«

Schweigen senkte sich über die schicke Landhausküche.

Dorothea Kreuz atmete tief durch. »Ich wusste nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Verstehen Sie, es ist ein Geheimnis. Ein sehr großes Geheimnis, und ich sorge jeden Tag dafür, dass es nicht ans Licht kommt.«

»Pauls Tod hat dafür gesorgt, dass das Geheimnis aufgeflogen ist.« Jessica zog eine Grimasse. »Hat Mechthild Weber Sie schon angerufen? Oder Sie besucht?«

Mechthild Weber dürfte seit dem Tod ihres Mannes allein zu Hause sitzen und sich Gedanken machen. Einer dieser Gedanken konnte sein, dass sie sich über die letzten Minuten im Leben ihres Mannes erkundigen wollte. Und da rief sie doch sicher ihre Freundin Dorothea an, um sie danach zu fragen. Um sich zu erkundigen, worüber sie beim Kartenspiel gesprochen und gelacht hatten, ob Paul zuletzt glücklich war. Es sei denn natürlich, Mechthild Weber interessierte sich kein bisschen mehr für ihren Mann und war froh, dass er tot war. Womöglich hatte sie selbst für diesen Zustand gesorgt.

»Ich habe heute Morgen kurz mit ihr telefoniert. Ihr gesagt, dass es mir leid tut mit Paul.«

»Wusste Mechthild Weber, dass Sie ein Verhältnis mit ihrem Mann hatten?«

»Paul und ich, wir haben häufig darüber gesprochen. Er hat gemeint, dass sie nichts weiß. Aber wir Frauen spüren so etwas doch, oder?«

Lukas hatte keine Ahnung, welche Erfahrungen seine junge Kollegin mit untreuen Freunden gemacht hatte. Es spielte ja auch keine Rolle. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Jessica so etwas eher noch schneller herausfinden würde als andere Frauen.

»Sie haben sich nicht hier mit ihm getroffen, nicht?«, fragte Jessica. »Der Doppelkopfabend war schon seit langer Zeit nur ein Vorwand. Seit wann?«

»Mein Onkel ist vor drei Jahren gestorben. Den Pachtvertrag für seinen Kleingarten habe ich nie gekündigt.«

»In welchem Kleingarten?«

»Nicht weit von hier. In Borstel.«

»Und Ihr Mann hat auch nichts bemerkt? Wo war der überhaupt an diesen Abenden?«

»Werner ist samstags immer in seinem Club. Er betreut die Jugendmannschaft.« Dorothea Kreuz schwieg einen Augenblick. »Er trainiert sie mittwochs und samstags. Und nach Turnierspielen am Samstagnachmittag feiern die Männer immer noch ein bisschen. Werner ist sehr ordentlich. Deshalb bleibt er immer bis zum Schluss, bis alles aufgeräumt ist.«

»Und an diesen Samstagen haben Sie sich dann mit Paul Weber getroffen.« Jessica stellte ihren Teebecher ab. »Frau Kreuz, ist am letzten Samstag irgendetwas anders gewesen? Hat Sie beide vielleicht jemand beobachtet? Kann es sein, dass jemand Herrn Weber auf dem Heimweg gefolgt ist?«

»Ich weiß es nicht. Wir sind bis zum Kreisel zusammen gefahren. Paul ist dann in den Schluchtweg abgebogen, und ich bin nach Hause gefahren.« Dorothea Kreuz’ Augen füllten sich mit Tränen. »Als Mechthild anrief, wusste ich sofort, dass etwas passiert ist.«

Jessica lehnte sich zurück und warf Lukas einen Blick zu. Er nickte ihr kurz zu.

»Frau Kreuz, wir würden uns gern in der Parzelle umsehen. Können Sie uns den Schlüssel geben?«

Als wäre sie während des Gesprächs gealtert, erhob sich Dorothea Kreuz schwerfällig und ging zur Küchenschublade. Sie nahm einen Schlüssel heraus und gab ihn Jessica. »Parzelle 34. Muss mein Mann etwas davon erfahren?«

Jessica steckte den Schlüssel ein und stand auf. »Wir müssen mit ihm sprechen, Frau Kreuz. Allein um auszuschließen, dass er Paul Weber nicht nach Hause gefolgt ist.«

»Werner hat nichts gemacht«, sagte Dorothea Kreuz.

Jessica legte ihr kurz die Hand auf die Schulter und verließ dann mit Lukas das Haus.

Draußen zog sie sich wieder die Kapuze über und steckte die Hände in die Jackentaschen. »Merkwürdige Geschichte, finden Sie nicht? Das wirkt hier alles so bieder, mit Kleingarten, Jugendfußball und allem. Und dann haben die einfach was miteinander.«

Lukas grinste. »Das erschüttert Sie, oder?«

»Irgendwie schon.«

»Das haben Sie übrigens gut gemacht, Jessica. Und jetzt gucken wir uns mal das Liebesnest an.«

Theresa legte das Diktiergerät zur Seite und nahm den Hörer ab. »Was gibts, Hedwig?«

»Herr Tauber, mit dem du gestern bei Gericht warst, ist am Telefon. Er hat mir schon eine wüste Geschichte von irgendeiner Tante erzählt. Ich stelle ihn mal durch.«

»Herr Tauber, hallo!«

»Frau Sommer, ich hab heute wieder einen Anruf vom Heim gekriegt. Also, dem Heim, in dem meine Tante lebt. Die machen sich Sorgen.«

»Herr Tauber, ich stecke gerade im Diktat für eine Fristsache und habe heute Nachmittag Termine. Lassen Sie sich bitte von Frau Fröhlich einen Termin für morgen geben.«

»Gehts nicht eher?«

Theresa seufzte. Hatte sie nicht gerade gesagt, dass sie heute keine Zeit hatte?

»Ich könnte Sie zum Essen einladen und Ihnen dabei die Geschichte erzählen. Essen muss schließlich jeder.«

»Gut.« Theresa warf einen Blick auf die Zeitanzeige auf dem Bildschirm. »Wir treffen uns um ein Uhr bei dem Italiener zwei Eingänge neben meinem Büro. Ich kann aber nur eine halbe Stunde erübrigen.«

»Danke. Bis später.«

Um kurz vor eins nahm Theresa ihre Handtasche und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Meistens verließ sie das Büro nicht, um Mittag zu essen. Entweder brachte sie sich auf dem Rückweg von einem Termin etwas zu essen mit oder sie verschob diese zeitraubende Tätigkeit gleich auf den Abend. Aber natürlich hatte Tauber recht, dass sie etwas essen sollte, und da konnte sie auch ein Mandantengespräch führen.

Das kleine Lokal war recht voll, aber Tauber hatte es geschafft, einen Fensterplatz zu ergattern. Als er sie entdeckte, stand er auf und nestelte nervös am Ärmelaufschlag seiner Jeansjacke. »Frau Sommer, ich hab hier eben so gesessen, und da hab ich gedacht, dass ich Sie jetzt ganz schön überre…«

»Ist schon in Ordnung, Herr Tauber. Setzen wir uns doch.«

In die Karte musste sie nicht gucken. Sie nahm hier immer den Insalata Caprese.

»Worum genau geht es denn?«, fragte Theresa. »Ich hatte Ihnen doch schon gesagt, dass ich gar nicht weiß, ob ich wegen Ihrer Tante etwas für Sie tun kann. Sie ist ein eigenständiger Mensch und kann den ganzen Tag Leute verklagen, wenn sie Lust hat.«

Tauber wartete ab, bis der Kellner der Wasser eingeschenkt hatte, bevor er antwortete. »Sie verklagt nicht den ganzen Tag Leute. Sie erstattet Anzeigen gegen ihren Nachbarn. Also gegen ihren ehemaligen Nachbarn.«

»Auch das kann sie doch machen.«

»Ich weiß nicht. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass sie nicht Herr ihrer Sinne ist.«

»Wenn es gesundheitliche Ursachen gibt, müsste Ihre Tante vielleicht untersucht werden.« Theresa lag auf der Zunge zu erklären, dass das nicht in ihren Bereich fiel. Aber sie verkniff es sich. Allein schon deshalb, weil sie nicht unendlich Zeit hatte.

Tauber fummelte einen Notizzettel aus der Brusttasche seiner Jeansjacke. »Ich hab mal in meinem Gedächtnis gekramt und aufgeschrieben, wovon sie mir erzählt hat. Also, Rasenmähen in der Mittagszeit, ich würde mal sagen, dass hat sie praktisch bei jedem Besuch erzählt. Dann hat sie immer wieder davon angefangen, dass sein gemauerter Schuppen einen halben Meter auf ihrem Grundstück steht, die Zweige seiner Birke hängen über den Gartenzaun und seine Hunde bellen ständig. Ich glaub, der hat fünf Hunde. Oder sechs. Und jedes Mal, wenn sie ihn wieder angezeigt hat, hat er sie anschließend angeblich angerufen und bedroht.«

Theresa hatte in der Zwischenzeit begonnen, ihren Salat zu essen. »Wie gesagt«, wiederholte sie.

»Mensch, ich hab Angst, dass sie sich da in irgendwas reinreitet.«

»Aber was sollte das sein, Herr Tauber? Eigentlich nehmen Sie eher die Interessen dieses Nachbarn wahr, indem sie ihn vor den Anzeigen Ihrer Tante schützen wollen.«

Tauber verzog das Gesicht und machte sich dann über sein Ossobuco her.

»Na gut, Herr Tauber. Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen um Ihre Tante machen. Ich werde meine Tante fragen, ob Sie Ihre Tante besucht.« Theresa grinste. »Witzig.«

Über Taubers Gesicht flog nur ein flüchtiges Lächeln.

»Geben Sie mir mal Ihren Zettel her. Und am besten schreiben Sie auf die Rückseite die Adresse des Heimes und die Telefonnummer Ihrer Tante.«

Theresa aß den restlichen Salat auf, leerte ihr Wasserglas und steckte den Zettel ein. »Danke für die Einladung. Und denken Sie an den Termin wegen der Besprechung der Unterhaltsfrage. Ist auch wichtig.«

Als sie in die Kanzlei zurückkehrte, stand Hedwig am Kopierer.

»Na, Liebes, hat’s geschmeckt?«

»Ja, danke.«

»Was wollte denn der Herr Tauber von dir?«

Theresa legte ihre Handtasche auf den Tresen und atmete tief durch. Sie musste ihre Tante regelmäßig davon abhalten, ihre Nase in fremder Leute Angelegenheiten zu stecken oder sich als Miss Marple zu betätigen. Da war es eher kontraproduktiv, ihr jetzt diesen Auftrag anzuvertrauen. Andererseits war es vermutlich für Erziehungsmaßnahmen in ihrem Alter ohnehin zu spät.

Hedwig hatte das Kopieren eingestellt. »Will er dich als Nächstes heiraten, oder was ist passiert?«

»Nein, Quatsch.« Theresa gab Hedwig den kleinen Notizzettel von Michael Tauber. »Kannst du den mal kopieren? Am besten zweimal und von beiden Seiten.«

Hedwig setzte ihre Lesebrille auf und studierte die Handschrift. »Hundegebell und Zweige? Liest sich wie die Stichworte für eine Kurzgeschichte. Und wer ist Maria Stolz?«