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Der deutsche Ägyptologe Richard Lepsius unternahm im Auftrag des preußischen Königs Wilhelm IV. in den Jahren 1842 bis 1845 eine Forschungsreise nach Ägypten, um die Altertümer dieses Landes zu untersuchen und zu erfassen. Ihn begleiteten die Brüder Ernst und Max Weidenbach als Zeichner, der Letztere von Lepsius eigens im Kopieren hieroglyphischer Inschriften ausgebildet, Joseph Bonomi und der Architekt Georg Gustav Erbkam. Erbkam fertigte architektonische und topographische Aufnahmen an und die Maler Friedrich Otto Georgi und Johann Jakob Frey schufen wunderschöne Ansichten der besuchten Tempel, Klöster und Orte. Der Ertrag an wissenschaftlichen Aufzeichnungen, epigraphischen Kopien, Papierabdrücken, Planzeichnungen und Landschaftsbildern war enorm. Diese Expedition führte Lepsius über die Pyramidenfelder und Memphis das Niltal hinauf nach Luxor, zu den Königsstädten des meroitischen Reiches im heutigen Sudan, wenig nördlich von Khartum und weiter den Weißen und Blauen Nil entlang, bis tief in den Zentralsudan. Auf dem Rückweg wurde das Niltal erneut durchmessen, mit einem Abstecher an das Rote Meer und auf den Sinai zum Katharinenkloster. Im Herbst 1845 trat Lepsius über Syrien und Konstantinopel die Heimreise an. Die hier erstmals als E-Book neu herausgegebenen Briefe Lepsius’ an verschiedene Empfänger, wie z.B. König Wilhelm IV. ,Alexander von Humboldt, Christian Karl Josias von Bunsen oder seinen Vater, enthalten aber nicht nur Berichte über die untersuchten Stätten, sondern auch vielerlei Informationen über das Leben der Ägypter zu dieser Zeit, über die politischen Zustände der Zeit und die Arbeit als Altertumsforscher. So berichtet er bspw. über eine Überfall von Beduinen auf das Lager der Expedition, eine abenteuerliche Nilflussfahrt, über die Suche nach Wasser im Gebirge der Sinaihalbinsel und Aufstände in Nubien und dem Libanon gegen die damaligen osmanischen Herrscher. Außerdem versuchte Lepsius den Weg Moses ins Heilige Land nachzuvollziehen. Lepsius glaubte, die biblische Stätte der Gesetzesverkündigung am Berg Serbal gefunden zu haben. Diese Theorie erläutert er ausführlich in einem seiner Briefe und in den Anmerkungen zu diesem Brief. Weiter skizzierte er in einem Brief seine Vorstellungen über die Ausstattung der Ägyptischen Abteilung des Neuen Museums in Berlin, indem die architektonische Behandlung der Räume an das Alte Ägypten angelehnt werden sollte. Genau wie es sich Lepsius es vorstellte wurden die entsprechenden Räume dann auch gestaltet. Dieses E-Book wurde durch zahlreiche Abbildungen aus dem Tafelwerk „Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien“, dass die Ergebnisse dieser Expedition grafisch festhielt, ergänzt und gibt somit ein deutlicheres Bild von den Altertümern, wie sie Lepsius damals vorfand.
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Seitenzahl: 558
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Alexander von Humboldt
in tiefster Verehrung und Dankbarkeit
zugeeignet
2. E-Book-Auflage, April 2014
www.mach-mir-ein-ebook.de, Hamburg
ISBN: 978-3-944309-16-3
Originalausgabe: Verlag von Wilhelm Hertz, 1852
Cover: Darstellung des Tempels von Abu Simbel aus dem Tafelwerk „Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien“, das die Ergebnisse der in diesem Buch geschilderten Reise grafisch festhielt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Schrift: »Charis SIL« von SIL International, diese Schriftart ist unter der Open Font License verfügbar.
Berg Barkal.
Die von Sr. Majestät dem König im Jahre 1842 nach Ägypten gesendete wissenschaftliche Expedition hatte eine historisch-antiquarische Untersuchung und Ausbeutung der altägyptischen Denkmäler im Niltal und auf der Sinaihalbinsel zum Zweck. Sie wurde mit königlicher Freigiebigkeit für mehr als drei Jahre ausgestattet, hatte sich der Allerhöchsten gnädigsten Gunst und Teilnahme, so wie der tätigsten und wohlwollendsten Fürsorge Alexanders von Humboldt unausgesetzt zu erfreuen und erreichte unter einem seltenen Zusammentreffen glücklicher Verhältnisse die vorgesetzten Zwecke so vollständig als irgend gehofft werden konnte. Eine „Vorläufige Nachricht über die Expedition, ihre Ergebnisse und deren Publikation“ (Berlin 1849 4°.) wurde zugleich mit den ersten Lieferungen des großen Denkmälerwerkes, welches auf Befehl Sr. Majestät in einer dem Reichtum der zurückgebrachten Schätze entsprechenden Weise veröffentlicht wird, ausgegeben, und enthält eine gedrängte Übersicht der wesentlichsten Resultate der Expedition. Das hierdurch angekündigte Werk der „Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien,“ welches über 800 Tafeln größten Formats umfassen wird und von welchem bereits die Hälfte ausgeführt und 240 Tafeln ausgegeben sind, wird diese Resultate, so weit sie die Bildwerke, die Topographie und Architektur betreffen, vollständig vor Augen legen und in dem zugehörigen Text näher besprechen.
Es erschien jedoch angemessen, abgesehen von den rein wissenschaftlichen Arbeiten, auch einem weiteren Kreis teilnehmender Leser ein Bild vorzulegen von dem äußerlichen Verlauf der Expedition, von dem persönlichen Zusammenwirken der Mitglieder, den Hindernissen oder Begünstigungen der Reise, den Zuständen der durchzogenen Länder und deren Rückwirkungen auf die nächsten Zwecke der Unternehmung, endlich auch eine Reihe von Bemerkungen über die einzelnen Denkmälerstätten jenes geschichtlichsten aller Länder darzubieten, wie sie dem für das Studium jener ältesten Volksgeschichte besonders vorbereiteten Reisenden in großer Fülle entgegentreten mussten, aber auch andere, welche die hohe Bedeutung dieser neubegründeten Wissenschaft erkannt haben, zu erhöhter Teilnahme anregen dürften. Wenn es außerdem auch für die richtige Beurteilung der allmählich ans Licht tretenden wissenschaftlichen Arbeiten, zu welchen die Reise Veranlassung gegeben hat, von unverkennbarem Nutzen sein muss, wenn die Verhältnisse, unter welchen die Materialien gesammelt wurden in Anschlag gebracht werden können, so glaube ich, dass die Veröffentlichung der nachfolgenden Briefe keiner weiteren Rechtfertigung bedarf, so wenig dieselben auch einerseits auf die Vollständigkeit und den literarischen Reiz einer eigentlichen Reisebeschreibung oder anderseits auf den Wert eines streng wissenschaftlichen Werkes Anspruch machen.
Die Briefe sind fast durchgängig in ihrer ursprünglichen Gestalt geblieben, wie sie teils als untertänigste Berichte unmittelbar an Se. Majestät den König, teils an Se. Exzellenz den damaligen Unterrichts-Minister Eichhorn oder an andere hohe Gönner und verehrte Männer wie A. von Humboldt, Bunsen, von Olfers, Ehrenberg, teils endlich an meinen mit lebhaftester Teilnahme aus der Ferne folgenden Vater gerichtet worden waren. Mehrere derselben sind schon unmittelbar nach ihrer Ankunft in Europa in den öffentlichen Blättern, namentlich in der Preußischen Staatszeitung abgedruckt und von da in andere Blätter aufgenommen worden. Die unwesentlichen Veränderungen im Einzelnen betreffen meistens nur die äußerliche Redaktion. Alle Zusätze oder Erweiterungen sind als Anmerkungen am Schluss zugefügt worden; dahin gehören namentlich die ausführlicheren Belege und Begründungen der von mir wie ich glaube zuerst nachgewiesenen wahren Lage des Sinai, welche seitdem von verschiedenen Seiten geprüft und bald missbilligend bald zustimmend besprochen worden ist. Der 36. Brief über die Ausschmückung des Ägyptischen Museums in Berlin weicht zwar seinem Gegenstand nach von den übrigen ab, doch dürfte sich die Ausnahme wohl dadurch rechtfertigen lassen, dass der daselbst besprochene Punkt nicht bloß von lokalem Interesse für Berlin, sondern in allen Fällen der Betrachtung wert ist, wo es sich um ähnliche Bedürfnisse und um eine Vermittlung der altägyptischen mit der modernen Kunst handelt.
Es ist beabsichtigt, diesen Briefen einen zweiten Teil folgen zu lassen, in welchem mehrere während der Expedition oder mit Bezug auf dieselbe geschriebene Abhandlungen über einzelne die ägyptische Kunst oder Geschichte betreffende Punkte mitgeteilt werden sollen.
Berlin, den 2. Juni 1852.
Alle Kräfte waren aufgeboten worden, um die Abfahrt bis zum ersten September zu ermöglichen; ein Tag Verspätung hätte uns einen vollen Monat gekostet; den galt es durch verdoppelte Tätigkeit zu erobern. Der Ausflug nach Paris, das ich in dreißig Stunden von London aus erreichte, war nicht zu vermeiden; doch mussten dort zwei Tage genügen, um das Notwendige von Einkäufen, Briefen und Notizen zu beschaffen; ich kam reich beladen aus dieser für mich an Interesse, Belehrung und mannigfaltigem Wohlwollen stets reichen Stadt zurück. In London erwarb ich noch zwei liebenswürdige Reisegefährten, Bonomi und Wild, die sich kurz entschlossen, an der Expedition in freier Tätigkeit teilzunehmen. Der erstere, als Reisender in Ägypten und Äthiopien längst rühmlichst bekannt, steckt nicht nur voll praktischer Kenntnisse über das dortige Leben, sondern ist auch ein feiner Kenner ägyptischer Kunst und ein Meister in ägyptischer Zeichnung; dieser, ein junger genialer Architekt, sucht voll Begeisterung im Orient neue Fäden für seine reiche Kombinationsgabe. Endlich war alles gekauft, besorgt, verpackt; den Freunden war Lebewohl gesagt. Nur Bunsen mit seiner gewohnten Güte und unermüdlichen Freundschaft, begleitete uns noch bis nach Southampton, dem Ort unserer Einschiffung, wo er den Abend mit uns zubrachte.
Wie man sonst von stürmischer See her nach tagelanger mächtiger Aufregung in den stillen Hafen zu plötzlicher, kaum begreiflicher Ruhe gelangt, aber noch lange den Boden unter sich schwanken fühlt und den Lärm der Brandung zu vernehmen glaubt, so ging es mir diesmal umgekehrt, als ich vom Land her aus dem Wirbel der letzten Tage und Wochen in den Hafen, aus der unermesslichen Weltstadt in das enge bald durchschrittene und durchspähte Bretterhaus der einförmigen Meereswüste gelangt war. Mit einem Mal war nichts mehr zu sorgen und zu eilen; die lange Reihe von mehr als dreißig Kisten unseres Gepäcks war Stück für Stück in den dunklen Schiffsraum verschwunden; unsere Schlafzellen bedurften keiner Einrichtung, da sie kaum mehr als unsere Personen aufnehmen konnten. Der Mangel an Unruhe erzeugte selbst für einige Zeit eine neue unbestimmte Unruhe, ein Sorgen ohne Gegenstand der Sorge.
Von unserer Schiffsgesellschaft erwähne ich nur den Missionar Lieder, der, ein Deutscher von Geburt, mit seiner englischen Frau nach Kairo zurückkehrt. Dort hat er im Auftrag der Englischen Missionsgesellschaft seit dem Jahr 1828 eine Knaben- und Mädchenschule angelegt und geleitet, welche jetzt ausschließlich für die Kinder der koptischen Christen bestimmt werden soll. Lieder hat in dieser Schule den Unterricht in der koptischen Sprache eingeführt und dadurch jene merkwürdige älteste Sprache des Landes wieder zu Ehren gebracht, die seit mehreren Jahrhunderten im Volk gänzlich durch die arabische verdrängt worden war. Zwar sind noch jetzt die heiligen Schriften in koptischer Sprache im Land vorhanden und werden sogar beim Gottesdienst gebraucht, aber nur psalmodierend abgesungen, nicht mehr verstanden.
Am 1. September früh um 10 Uhr waren wir von Southampton abgefahren. Wir hatten den Wind entgegen und kamen deshalb erst nach vierundzwanzig Stunden in Falmouth an, wo unser Schiff die Londoner Post abwartete, um die Briefe mitzunehmen. Dort blieben wir mehrere Stunden vor Anker, in einer reizenden Bucht, an deren Eingang zu jeder Seite ein altes Schloss auf der Höhe liegt, während im Hintergrunde die Stadt sich äußerst malerisch gruppiert. Gegen 3 Uhr ging es wieder in See; der Wind kam seitwärts und verursachte viel Übelkeit unter der Gesellschaft. Ich preise mich glücklich, dass ich auf keiner noch so stürmischen Seefahrt je von diesem widerwärtigen Zustand zu leiden hatte, der übrigens für jeden unbeteiligten Zuschauer selbst eine komische Seite hat. Denn es ist doch eigen, dass dieselbe Bewegung, die jedes Kind in süßen Schlummer wiegt oder uns auf schaukelndem Kahn zur Lustfahrt einlädt, hier, nur durch den langsameren Takt des weit ausholenden Pendels, zur unüberwindlichen Pein wird, und die stärksten Helden nieder wirft, ohne ihnen jedoch ernstliche Gefahr zu bringen.
Am folgenden Tage erreichten wir die Bucht von Biskaya und durchschnitten mühsam die langen und tiefen Wellen, die von dem fernen Ufer heranrollten. Sonntag früh, am vierten, kam man sehr sparsam zum Frühstück. Gegen 11 Uhr versammelten wir uns zum Gottesdienste im Schiff trotz der heftigen Bewegung. Über das Kanzelpult war die englische Flagge, als heiligstes Tuch im Schiff, gebreitet. Herr Lieder hielt die Predigt, einfach und gut. Gegen vier Uhr sahen wir zuerst die spanische Küste in leichten, nebligen Umrissen. Je mehr wir uns ihr näherten, um so kürzer wurden die Wellen, weil der Wind vom Land blies. Luft, Himmel und Meer waren unvergleichlich schön. Kap Finistere und die nächsten Landspitzen traten immer deutlicher hervor. Wir entdeckten mehrere kleine Segelschiffe an der Küste, Seevögel aller Art umschwärmten das Schiff. Allmählich fand sich die ganze Gesellschaft, selbst die Damen, auf dem Verdeck zusammen. Das Meer glättete sich zum hellsten Spiegel; den ganzen Nachmittag behielten wir die spanische Küste im Gesicht. Die Sonne ging prachtvoll in die See hinunter; dem Abendstern folgte bald das ganze Heer der himmlischen Sterne und eine glorreiche Nacht zog über uns herauf.
Dann aber bereitete sich das herrlichste Schauspiel, das ich je auf der See gesehen habe. Das Meer begann zu leuchten, alle Kämme der sich brechenden Wellen brannten in smaragdgrünem Feuer, und von den Rädern des Schiffes stürzte ein hellleuchtender grünlichweißer Wasserfall herab, der lang hin einen breiten, lichten Streifen durch die dunkle See nach sich zog. Die Seitenwände des Schiffes und unsere hinabschauenden Gesichter waren mondhell beschienen, und Gedrucktes konnte ich ohne Mühe bei diesem Wasserfeuer lesen. Wenn der leuchtende Stoff, der nach Ehrenbergs Untersuchungen von Infusionstierchen herrührt, am intensivsten war, sahen wir über das Meer bis zur Küste hin Flammen tanzen, so dass es schien, als ob wir durch einen reicher gestirnten Himmel schifften, als den wir über uns hatten. Auch auf dem Mittelmeer habe ich öfters das Meeresleuchten beobachtet, aber nie mit so außerordentlichem Glanz wie diesmal; das Schauspiel war feenhaft.
Plötzlich bemerkte ich zwischen den Wogen, die sich strahlenförmig vom Schiffe entfernten, neue lebendige Feuerstreifen. Täuschend wie zwei riesenhafte Schlangen, die, nach den Schiffsverhältnissen zu urteilen, wenigstens 60 bis 80 Fuß lang waren, zogen sie in großen Windungen neben dem Schiff hin, durchkreuzten die Wellen, tauchten in den Schaum der Räder, kamen wieder hervor, wichen zurück, eilten voraus, und zogen sich endlich in die Ferne zurück. Lange konnte ich mir diese Erscheinung nicht erklären. Es fielen mir die alten und häufigen Erzählungen von den ungeheuren Seeschlangen ein, die von Zeit zu Zeit gesehen worden sind. Was ich hier sah, konnte nicht zutreffender sein. Endlich kam mir der Gedanke, dass es doch nur Fische sein möchten, die mit dem Schiff einen Wettlauf hielten, die Oberfläche der leuchtenden See ritzten und durch ihre schnellen Bewegungen die langen Lichtstreifen hinter sich erzeugten. Dennoch blieb der Augenschein so täuschend wie zuvor; ich konnte nichts von den dunklen Fischen entdecken, noch auf ihre Größe schließen, aber ich beruhigte mich zuletzt bei meiner Vermutung.
Meinen letzten Brief gab ich am 7. September in Gibraltar zur Post, wo wir die wenigen uns vergönnten Stunden zur Besichtigung der Festung benutzten. Das afrikanische Festland lag vor uns, ein heller Streifen am Horizont. Unter mir an den Felsen kletterten Affen, die einzigen in Europa, die in wildem Zustand leben, und deshalb geschont werden. In Malta, das wir am 11. September erreichten, fanden wir den Maler Frey aus Basel, mir befreundet von Rom her. Er brachte mir erst mündlich die Zusage, dass er an der Expedition Teil nehmen wolle, und war schon seit einigen Tagen von Neapel eingetroffen. Fast drei Tage mussten wir hier auf die Post von Marseille warten. Dies gab uns wenigstens Gelegenheit, die Merkwürdigkeiten der Insel, namentlich die vor wenigen Jahren entdeckten Riesengebäude in der Nähe von Lavalette, zu besuchen und einige Einkäufe zu machen. Durch Lieder lernte ich Gobat kennen, der bisher der Malteser Station der englischen Missionsgesellschaft vorgestanden hat, jetzt aber eine neue Bestimmung erwartet, da die pekuniären Umstände die Gesellschaft nötigen sollen, diese Station ganz aufzugeben. Ich hatte große Freude, diese ausgezeichnete Persönlichkeit kennen zu lernen1).
Von Malta aus begleitete uns der Missionar Isenberg, der wie Gobat lange Zeit in Abyssinien lebte und auch den Sprachforschern durch seine Grammatik der Amharischen Sprache rühmlichst bekannt ist. Unter seinem Schutz befand sich eine junge Baselerin, Rosine Dietrich, die Braut des Missionar Krapf, welcher sich hier mit ihr vermählt hat, und nun mit ihr und seinen Kollegen Isenberg und Mühleisen nach der englischen Missionsstation in Schoa auf dem nächsten indischen Dampfschiff zurückkehren wird. Er ließ sich in der englischen Kapelle trauen, und ich wohnte als Zeuge der Feierlichkeit bei, die einfach und herzlich vollzogen wurde.
Bei unserer Ankunft am 18. September fanden wir Erbkam, Ernst Weidenbach, und Franke bereits vor. Sie hatten schon einige Tage auf uns gewartet.
Mohammed Ali war mit der Flotte ausgelaufen, da er ungeduldig der Ankunft Sami Beys entgegensah, der ihm die gewünschte Tribut-Reduktion bringen sollte: statt dieser erhielt er die Ernennung zum Großwesir.
Der schwedische Generalkonsul d’Anastasi, der in Vertretung unseres noch abwesenden Generalkonsuls von Wagner die preußischen Geschäfte versteht und sich unserer Angelegenheiten mit Eifer annimmt, stellte uns heute dem Vizekönig vor, und wir kommen so eben von der Audienz zurück. Über die Vasen, welche ich im Namen unserer Majestät dem Pascha überbrachte, äußerte er sich sehr erfreut. Noch mehr fühlte er sich durch den Brief des Königs geehrt, von dem er sogleich eine schriftliche Übersetzung anfertigen ließ und in unserer Gegenwart mit großer Aufmerksamkeit durchlas. Er ließ mir sagen, dass er mir die Antwort mitgeben werde, wenn wir das Land wieder verlassen würden. Er empfing und entließ uns stehend, ließ uns Kaffee reichen und erwies uns andere Aufmerksamkeiten, die mir zum Teil erst nachher durch d’Anastasi sorgfältig erklärt wurden. Boghos Bey, sein vertrauter Minister, war allein und ohne sich niederzusetzen gegenwärtig. Mohammed Ali zeigte sich munter und jugendlich in seinen Bewegungen und in seinem Gespräch; keine Entkräftung war in den Zügen und dem blitzenden Auge des dreiundsiebzigjährigen Greises zu sehen. Mit Interesse sprach er von seinen Nilexpeditionen, und versicherte, er werde sie wiederholen, bis er die Quellen des weißen Flusses gefunden haben werde. Auf meine Frage nach seinem Museum in Kairo erwiderte er, dies sei allerdings noch nicht weit gediehen, man mache in solchen Beziehungen in Europa oft ungerechte Ansprüche an ihn, wenn man einen raschen Fortgang seiner Unternehmungen verlange, für die er doch erst den Grund und Boden schaffen müsse, der bei uns schon längst geebnet sei. Ich berührte unsere Ausgrabungen nur im Vorbeigehen, und setzte im Gespräch seine Erlaubnis dazu voraus, die ich bald in aller Form erhalten soll2).
Fast vierzehn Tage wurden wir in Alexandrien zurückgehalten. Die ganze Zeit ging mit Vorbereitungen zur Weiterreise hin; den Pascha sah ich noch mehrmals und fand ihn immer günstig für unsere Expedition gestimmt. Die wissenschaftliche Ausbeute war aber gering. Wir besuchten die Pompeiussäule, die jedoch in keiner Beziehung zu Pompeius steht, sondern, wie die griechische Inschrift der Basis lehrt, dem Kaiser Diokletian vom Präfekten Publius gesetzt war. Die Blöcke des Unterbaues sind zum Teil Fragmente älterer Gebäude; auf einem war das Thronschild des zweiten Psammetich noch kenntlich.
Die beiden Obelisken, von denen der eine noch stehende die Nadel der Kleopatra genannt wird, sind auf den Wetterseiten sehr verwittert, und zum Teil ganz unleserlich geworden. Sie wurden von Thutmosis III. im 16. Jahrhundert vor Chr. errichtet; später hat sich Ramses Miamun und noch später auf den äußersten Rändern der vier Seiten ein anderer König eingeschrieben, der sich als ein bisher noch gänzlich unbekannter auswies, und daher mit Freuden von mir begrüßt wurde. Noch muss ich einer interessanten Sammlung ethnographischer und naturhistorischer Gegenstände aller Art erwähnen, die von einem geborenen Preußen Werne3) auf der zweiten Nilexpedition des Pascha am weißen Fluss, in bisher ganz unbekannten Ländern gesammelt und vor wenigen Monaten nach Alexandrien geschafft worden war. Sie schien mir so wichtig und einzig in ihrer Art, dass ich sie für unsere Museen angekauft habe. Noch während unserer Anwesenheit wurde sie zur Absendung verpackt. Ich denke, sie wird in Berlin willkommen sein.
Endlich waren die Bujurldis (Geleitschreiben) des Pascha bereit, und nun eilten wir Alexandrien zu verlassen. Wir schifften uns noch an demselben Tag, an dem ich sie erhielt (am 30. September) auf dem Mahmudîeh-Kanal ein. Die Dunkelheit überraschte uns, ehe wir diesen ersten schweren Aufbruch zu Stande brachten. Erst um 9 Uhr fuhren wir in den beiden Wagen des Herrn d’Anastasi von unserem Hotel auf dem großen und schönen Frankenplatz ab, vor uns die üblichen Läufer mit Fackeln. Das Tor wurde auf das Losungswort, das uns gegeben war, geöffnet; unser Gepäck war schon einige Stunden früher auf Kamelen nach der Barke geschafft worden, so dass wir bald nach unserem Einsteigen in das geräumige Schiff, das ich am Morgen gemietet hatte, abfahren konnten. Der Nil, in den wir bei Atfeh einliefen, schlug ziemlich hohe Wellen, da wir heftigen und ungünstigen Wind hatten. Die Schifffahrt ist bei der hier üblichen Art mit zwei gleich den Flügeln einer Biene spitz aufsteigenden Segeln zu fahren, die jeder heftige Windfloß leicht niederlegt, nicht ohne Gefahr, besonders in der Dunkelheit. Daher ließ ich die Schiffer gewähren, die jede Nacht, so oft es stürmisch war, anhielten.
Den nächsten Tag, am 2. Oktober, gingen wir bei Sâel Hager ans Land, um die Ruinen der alten Saïs, der durch ihren Minervatempel berühmten Stadt der Psammetiche, zu besuchen. Es sind fast nur die von Nilerdziegeln gebauten Ringmauern der Stadt und wüste Ruinen der Häuser vorhanden, nichts mehr von Steingebäuden mit Inschriften. Wir schritten den Umfang der Stadt ab und nahmen den einfachen Plan der Lokalität auf. Im Nordwesten der Stadt lag ihre Akropolis, die sich noch jetzt durch höhere Schuttberge auszeichnet. Die Nacht blieben wir in Rekleh. Ich habe die großen Karten der Description de l’Egypte bei mir, auf der wir fast jeden Schritt unserer Ausflüge verfolgen konnten. Wir fanden sie bisher fast überall zuverlässig.
Den 3. Oktober stiegen wir am westlichen Ufer aus, um die Reste des alten Rosetta-Kanals zu besichtigen, und brachten dann fast den ganzen Nachmittag bis nach Sonnenuntergang damit zu, die Ruinen einer alten Stadt bei Naharîeh zu untersuchen. Keine Mauern, nur Schutthügel sind noch sichtbar; doch fanden wir in den Häusern des neuen Ortes mehrere beschriebene Steine, größtenteils als Schwellen verbaut, welche ursprünglich einem Tempel der Könige Psammetich I. und Apries (Hophre) angehört hatten. Die nächste Nacht hielten wir am westlichen Ufer bei Teirîeh an und stiegen am andern Morgen daselbst aus, um Ruinen, eine Stunde vom Ufer entfernt, aufzusuchen, die aber keine Ausbeute ergaben. Die Libysche Wüste rückt hier zum ersten Mal ganz nahe an den Nil heran, und verschaffte uns einen neuen, sich tief einprägenden Anblick.
Am folgenden Morgen sahen wir zuerst die großen Pyramiden von Memphis am Horizont aufsteigen; ich konnte sie lange nicht aus den Augen lassen. Noch immer schifften wir auf dem Rosettaarm; um Mittag langten wir bei dem sogenannten Kuhbauch an, wo sich der Nil in seine beiden Hauptarme teilt. Jetzt erst konnten wir den stattlichen, wunderbaren Fluss, der mit seinem fruchtbaren und wohlschmeckenden Wasser, wie kein anderer, das Leben und die Sitten seiner Anwohner bedingt, in seiner ganzen Größe überschauen. Anfang Oktober pflegt er seine höchste Höhe zu erreichen. In diesem Jahr findet aber eine Überschwemmung statt, wie man sich seit Generationen nicht zu erinnern weiß. Man fürchtet einen Durchbruch der Dämme, der eine zweite Heimsuchung Ägyptens in diesem Jahr herbeiführen würde, nach der großen Viehseuche, die bis zur vergangenen Woche schon vierzigtausend Ochsen weggerafft haben soll.
Um 5 Uhr abends kamen wir in Bulaq, dem Hafen von Kairo an. Wir ritten sogleich vom Hafen nach der Stadt und richteten uns hier für einen längeren Aufenthalt ein. Beiläufig: dass wir Kairo sagen, und die Franzosen le Caire, ist ursprünglich ein reiner Sprachfehler. Die Stadt wird jetzt von den Arabern nie anders als Maśr genannt, und ebenso das Land; das ist der alte semitische Name, der uns im Dual Miśraim geläufiger ist. Erst mit der Gründung der jetzigen Stadt im zehnten Jahrhundert wurde die neue Maśr durch den Beisatz El Dâhireh d. h. „die siegreiche“, von der früheren Maśr el Atîqeh, dem heutigen Alt-Kairo, unterschieden. Die Italiener ließen nun das für sie unaussprechliche h aus, nahmen den arabischen Artikel el für ihr maskulinisches il, und stempelten so das ganze Wort, auch durch die Endung, zu einem Maskulinum.
Es begann eben der heilige Fastenmonat der Muselmänner, der Ramadan, in welchem sie den ganzen Tag über keine Speise zu sich nehmen, weder Wasser noch „Rauch trinken“, und keinen Besuch annehmen, sondern alle Geschäfte des Leibes und Lebens erst nach Sonnenuntergang beginnen, und dadurch Tag und Nacht völlig mit einander vertauschen, was für uns wegen unserer arabischen Diener manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Unser Kawas (die uns mitgegebene Ehrenwache des Pascha), der in Alexandrien die Zeit der Abfahrt versäumt hatte, stellte sich hier ein. Da unser preußischer Vizekonsul kränklich ist, so wendete ich mich wegen der Vorstellungen bei den hiesigen Stellvertretern des Pascha an den Österreichischen Konsul, Herrn Champion, an den ich von Ehrenberg angelegentlich empfohlen worden war. Er nahm sich unser mit der größten Zuvorkommenheit und allem Eifer an, und hat uns überall eine gute Aufnahme verschafft. Die offiziellen Visiten, bei denen mich meist Erbkam und Bonomi begleiteten, mussten des Abends gegen acht Uhr gemacht werden, des Ramadan wegen. Voraus liefen unsere Fackelträger, dann folgten zu Esel erst der Dragoman des Konsuls und unser Kawas des Pascha, dann wir anderen in stattlichem Zuge. Wir ritten fast durch die ganze Stadt, durch die engen mit Arabern gefüllten, von unseren Feuerbränden malerisch erleuchteten Straßen nach der Zitadelle, wo wir zuerst Abbas Pascha4), einem Enkel Mehemet Alis, unseren Besuch machten. Dieser ist Gouverneur von Kairo, aber selten gegenwärtig. Von ihm gingen wir zu Scherif Pascha, des Ersteren Stellvertreter, und dann zum Kriegsminister Ahmet Pascha. Überall wurden wir mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen.
Am Tag nach unserer Ankunft erhielt ich ein Diplom als Ehrenmitglied der älteren ägyptischen Gesellschaft, von welcher sich die jüngere, die mir schon nach London dieselbe Einladung zuschickte, getrennt hat. Beide hielten in den ersten Tagen Sitzungen; ich konnte aber nur der einen beiwohnen, in welcher eine interessante Abhandlung von Krapf über gewisse Völker in Mittelafrika gelesen wurde. Die Nachrichten waren ihm von einem Eingeborenen aus dem Land Enarea gegeben, der des Handels wegen in das Land der Doko gereist war und die Leute dort ungefähr so beschreibt, wie Herodot das Libysche Zwergvolk nach dem Bericht der Nasamonen, nämlich als lauter kleine Leute von der Größe wie Kinder von zehn bis zwölf Jahren. Man sollte glauben, dass von Affen die Rede wäre. Da auch die geographischen Notizen über das bisher ganz unbekannte Land der Doko von Interesse sind, so lasse ich die ganze Abhandlung kopieren, um sie nebst der kleinen Karte, die dazu gehört, an unseren verehrten Ritter zu schicken5).
Am 13. Oktober machten wir den ersten Ausflug von hier nach den Ruinen von Heliopolis, dem biblischen On, von wo Joseph seine Frau Afnath, die Tochter eines Priesters, nahm. Nichts ist von dieser hochgepriesenen Stadt, die sich rühmte, die gelehrteste Priesterschaft nächst Theben zu besitzen, übrig geblieben als die Mauern, welche jetzt nur großen Erdwällen gleichen, und ein Obelisk, der aufrecht, ja vielleicht noch auf seinem ursprünglichen Platz steht. Dieser Obelisk hat das besondere Interesse, dass er, vom König Sesurtesen I. im Alten Reich um 2300 vor Chr. errichtet, bei weitem der älteste von allen bekannten Obelisken ist; denn der zerbrochene im Fayum bei Krokodilopolis, der die Namen desselben Königs trägt, ist vielmehr eine obeliskenartig langgezogene Stele. Boghos Bey hat den Grund und Boden, auf welchem der Obelisk steht, zum Geschenk erhalten, und um denselben einen Garten angelegt. Die Blumen des Gartens haben eine Menge Bienen herbeigelockt, und diese haben keine bequemere Wohnung finden können als in den tief und scharf geschnittenen Hieroglyphen des Obelisken. Binnen Jahresfrist haben sie die Inschriften der vier Seiten dergestalt überzogen, dass ein großer Teil derselben jetzt ganz unleserlich geworden ist. Er war aber schon früher publiziert worden und unserer Vergleichung boten sich wenig Schwierigkeiten dar, weil drei Seiten dieselbe Inschrift tragen und auch die der vierten nur wenig abweicht.
Gestern am 15. Oktober war Königs Geburtstag. Ich hatte diesen Tag für den ersten Besuch der großen Pyramiden ausersehen. Dort wollten wir unseres Königs und unseres Vaterlandes mit einigen Freunden in fröhlicher Feier gedenken. Wir luden den österreichischen Konsul Champion, den preußischen Konsul Bokty, unseren gelehrten Landsmann Dr. Pruner und die Herren Lieder, Isenberg, Mühleisen und Krapf zu dieser Partie ein, an welcher jedoch einige derselben leider verhindert wurden teilzunehmen.
Der Morgen war unbeschreiblich schön, frisch und festlich; wir ritten in einem langen Zug durch die noch ruhige Stadt und durch die grünen Alleen und Gärten, die jetzt vor derselben angelegt sind. Fast überall, wo wir neue und wohl unterhaltene Anlagen fanden, wurde uns Ibrahim Pascha als deren Urheber genannt. Er soll in allen Teilen Ägyptens viel zur Verschönerung und Verbesserung des Landes tun.
Es waren unvergleichliche Augenblicke, als wir aus den Dattel- und Akazienalleen heraustraten, die Sonne sich links hinter dem Moqattamgebirge erhob und gegenüber die Häupter der Pyramiden entzündete, die wie riesenhafte Bergkristalle vor uns in der Ebene lagen. Alle waren durch die Pracht und Größe dieser Morgenszene hingerissen und feierlich gestimmt. In Alt-Kairo ließen wir uns über den Nil setzen nach dem Dorf Gizeh, von welchem die größten Pyramiden Háram el Gizeh genannt werden. Von hier kann man in der trocknen Jahreszeit auf geradem Wege in einer Stunde, oder wenig mehr, nach den Pyramiden hinüberreiten. Da aber die Überschwemmung jetzt auf ihrem höchsten Punkte steht, so mußten wir einen großen Umweg auf langen Dämmen machen, kamen fast bis nach Saqâra hinauf und langten erst nach fünf und einer halben Stunde am Fuß der größten Pyramide an.
Der unerwartet lange Ritt würzte das einfache Frühstück, das wir, um uns zur Besteigung der größten Pyramide zu stärken, in einer der alten Grabkammern, die vor etwa fünftausend Jahren hier in den Fels gehauen wurden, und jetzt von einigen Beduinen bewohnt werden, sogleich einnahmen. Unterdessen war auch ein geräumiges, buntverziertes Zelt angekommen, das ich in Kairo gemietet hatte. Ich ließ es an der Nordseite der Pyramide aufschlagen und die große preußische Königsflagge, den schwarzen Adler mit goldenem Zepter, Krone und blauem Schwert auf weißem Grund, die unsere Künstler in den letzten Tagen selbst gezeichnet, genäht und an einer hohen Stange befestigt hatten, vor der Tür des Zeltes aufpflanzen.
An dreißig Beduinen hatten sich inzwischen um uns versammelt, und warteten auf den Augenblick, da wir die Pyramiden besteigen würden, um uns mit ihren kräftigen braunen Armen die drei bis vier Fuß hohen Stufen hinauf zu heben. Kaum war das Zeichen zum Aufbruch gegeben, so war auch schon ein jeder von mehreren Beduinen umringt, die ihn wie im Wirbelwind den rauen steilen Weg zum Gipfel hinaufrissen. Wenige Minuten später entfaltete unsere Fahne auf dem Gipfel des ältesten und höchsten aller Menschenwerke, die wir kennen, den preußischen Adler, den wir mit einem dreimaligen jubelnden Lebehoch auf unsern König begrüßten. Nach Süden fliegend, wendete der Adler sein gekröntes Haupt der Heimat zu gen Norden, von wo ein erfrischender Wind wehte und die heißen Strahlen der Mittagssonne an uns abgleiten ließ. Auch wir schauten heimatwärts und ein jeder gedachte laut oder still in seinem Herzen derer, die er dort liebend und geliebt zurückgelassen hatte.
Die Lepsius-Expedition feiert den Geburtstag des preußischen Königs auf der Spitze der Cheops-Pyramide.
Dann aber fesselte zunächst der Rundblick auf die Landschaft, die sich zu unseren Füßen ausbreitete, unsere Aufmerksamkeit. Auf der einen Seite das Niltal, ein weites Meer übergetretener Gewässer, das von langen schlängelnden Dämmen durchschnitten, hin und wieder durch höher gelegene, inselartige Dörfer und bewachsene Landzungen unterbrochen, die ganze Talfläche erfüllte und bis an das jenseitige Moqattamgebirge reichte, auf dessen nördlichster Spitze die Zitadelle von Kairo sich über die zu ihren Füßen liegende Stadt erhebt. Auf der anderen Seite die Libysche Wüste, ein noch wunderbareres Meer von Sandflächen und öden Felshügeln, grenzenlos, farblos, lautlos hingelagert, von keinem Tier, keiner Pflanze, keiner Spur menschlicher Gegenwart, nicht einmal von Gräbern belebt; und zwischen beiden die zerwühlte Nekropolis, deren allgemeine Anlage und einzelne Umrisse sich scharf und übersichtlich, wie auf einer Karte, auseinanderlegten.
Welch ein Anblick und dabei welche Erinnerungen! Als Abraham zum ersten Mal nach Ägypten kam, sah er diese Pyramiden, die schon viele Jahrhunderte vor seiner Ankunft erbaut waren; in der Ebene vor uns lag das alte Memphis, die Residenz der Könige, auf deren Gräbern wir jetzt standen; dort wohnte Joseph und verwaltete das Land unter einem der mächtigsten und weisesten Pharaonen des neu verjüngten Reichs. Weiter hin, links von den Moqattam-Bergen, wo sich die fruchtbare Niederung am östlichen Nilarm hinzieht, jenseits Heliopolis, das durch seinen Obelisken erkennbar ist, beginnt der gesegnete Landstrich Gosen, aus welchem Moses sein Volk nach der Syrischen Wüste entführte. Ja es würde nicht schwer sein, von unserem Standpunkt aus jenen uralten Feigenbaum aus dem Wege nach Heliopolis bei Matarîeh zu erkennen, unter dessen Schatten nach der Legende des Landes Maria mit dem Christuskind ausruhte. Wie viele Tausende von Pilgern aller Nationen haben seitdem diese Wunderwerke der Welt besucht bis auf uns, die wir zur Zeit die jüngsten, und doch nur die Vorgänger von vielen anderen Tausenden sind, die nach uns kommen und diese Pyramiden mit Staunen betrachten und besteigen werden. Ich beschreibe nicht weiter die Gedanken und Gefühle, die mich in jenen Augenblicken bestürmten; dort am Zielpunkt jahrelanger Wünsche und zugleich am wahren Anfangspunkt unserer Expedition, dort auf der Höhe der Cheops-Pyramide, an welcher der erste Ring unserer ganzen monumental-geschichtlichen Forschung, nicht bloß für die ägyptische, sondern für die Weltgeschichte unerschütterlich befestigt ist, dort, wo ich unter mir das merkwürdige Gräberfeld übersah, aus dem jetzt der Mosesstab der Wissenschaft die Schatten der uralten Toten hervorruft, und im Spiegel der Geschichte nach Zeit und Rang mit ihren Namen und Titeln, mit allen ihren Eigentümlichkeiten, Sitten und Umgebungen an uns vorüberziehen lässt.
Nachdem ich noch die umliegenden Gräber mit der Absicht genau gemustert hatte, einige Stellen für spätere Ausgrabungen auszuwählen, stiegen wir wieder bis zum Eingang der Pyramide hinunter, versahen uns mit Lichtern, fuhren gleich Bergleuten mit einigen Führern in den schief abfallenden Schacht hinein und gelangten auf den mir durch Zeichnungen wohlbekannten Wegen zur Galerie und in die sogenannte Königskammer. Wir bewunderten die unendlich feinen Fugen der ungeheuren Blöcke und untersuchten die Steinarten der Gänge und Räume. Dann stimmten wir in dem geräumigen Saal, dessen Fußboden, Wände und Decke durchweg von Granit erbaut sind, und daher ein tönendes metallenes Echo zurückgeben, unsere preußische Hymne an, die so kräftig und feierlich schallte, dass unsere Führer nachher den übrigen Beduinen erzählten, wir hätten das Innerste der Pyramide ausgewählt, um darin unseren Gottesdienst und ein lautes gemeinschaftliches Gebet zu halten. Wir besuchten nun noch die sogenannte Kammer der Königin und verließen dann die Pyramide, indem wir uns die schwerer zugänglichen Räume zu sehen, für einen Späteren, längeren Besuch derselben vorbehielten.
Inzwischen war unser orientalisch geschmücktes Zelt in Ordnung gebracht und im Inneren ein durch die Bedeutung des Festes gewürztes Mittagsmahl bereitet, an welchem, bis auf unsere beiden englischen Gefährten, nur Preußen Teil nahmen. Dass auch hier unser erster Trinkspruch dem König und seinem Haus galt, braucht nicht gesagt zu werden und es bedurfte keiner großen Beredsamkeit, um aller Herzen zu begeistern.
Der Rest des Tages verstrich unter heiteren, festlichen und herzlichen Erinnerungen und Gesprächen, bis die Zeit zu unserem Aufbruch herangekommen war. Wir mussten noch eine Viertelstunde nach Sonnenuntergang warten, um unseren Dienern, Eseltreibern und andern arabischen Begleitern Zeit zu geben, ihre frugale Mahlzeit zu halten, da sie des Ramadan wegen trotz der Hitze und Arbeit des Tages noch nichts genossen hatten. Dann geleitete uns der helle Vollmond in der kühlen, stillen Nacht über das Sand- und Wassermeer, durch Dörfer und Palmenhaine nach der Stadt zurück. Erst um Mitternacht langten wir dort wieder an.
Noch immer hier! In voller Tätigkeit seit dem 9. November! Und vielleicht noch für mehrere Wochen im neuen Jahr. Wie konnte ich aber auch nach den bisherigen Berichten der Reisenden ahnen, welch’ eine Ernte wir hier zu machen hätten, hier auf dem ältesten Schauplatz aller chronologisch bestimmbaren Menschengeschichte. Es ist zu verwundern, wie wenig bisher dieser besuchteste Ort von ganz Ägypten untersucht worden ist. Ich will jedoch, da wir die Früchte der Versäumnis ernten, mit unseren Vorgängern nicht richten. Ich habe um so eher unser Verlangen, bald mehr von diesem Wunderland zu sehen, zähmen müssen, da wir an diesem Orte vielleicht die Hälfte unserer ganzen Aufgabe zu lösen haben. Auf der besten früheren Karte führen zwei Gräber, außer den Pyramiden, noch besondere Bezeichnungen. Rosellini hat nur ein Grab näher untersucht, und Champollion sagt in seinen Briefen: Il y a peu à faire ici, et lorsqu’on aura copié des scènes de la vie domestique, sculptées dans un tombeau , je regagnerai nos embarcations. Wir haben auf unserem genauen topographischen Plan der ganzen Nekropolis 45 Gräber angegeben, deren Inhaber mir aus ihren Inschriften bekannt geworden sind, und im Ganzen habe ich 82 verzeichnet, die durch ihre Inschriften oder wegen anderer Eigentümlichkeiten bemerkenswert schienen. Davon gehören nur wenige in spätere Zeit ; fast alle sind während oder kurz nach der Errichtung der großen Pyramiden erbaut, und bieten uns daher eine unschätzbare Reihe von Daten für die Kenntnis der ältesten bestimmbaren Zivilisation des Menschengeschlechtes dar. Die Architektur jener Zeit, über die ich früher nur einige Vermutungen äußern konnte, stellt sich mir jetzt in einer reichen Entwickelung vor Augen. Fast alle Architekturglieder finden sich schon ausgebildet; Skulpturen von ganzen Figuren in allen Größen in Hautrelief und Basrelief, bieten sich in überraschender Menge dar. Der Stil ist sehr bestimmt und schön ausgebildet, aber es ist sichtbar, dass die Ägypter damals noch nicht den Kanon der Proportionen hatten, den wir später durchgängig finden. Die Malerei auf dem feinsten Kalküberzug ist oft über alle Erwartung schön, und zuweilen frisch wie von gestern und vollständig erhalten. Die Darstellungen an den Wänden enthalten größtenteils Szenen aus dem Leben der Verstorbenen und scheinen vorzüglich dazu bestimmt, den Reichtum derselben an Vieh, Fischen, Barken, Jagden, Dienern u. s. f. dem Beschauer vor Augen zu führen. Dadurch werden wir mit allen Einzelheiten ihres Privatlebens vertraut. Die zahlreichen Inschriften beschreiben oder benennen diese Szenen, oder sie führen die oft weit verzweigte Familie des Verstorbenen und alle seine Titel und Ämter auf, so dass ich fast einen Hof- und Staatskalender des Königs Cheops oder Chephren schreiben könnte. Die stattlichsten Grabgebäude oder Felsengräber gehörten meistens den Prinzen, Verwandten oder höchsten Beamten derjenigen Könige an, bei deren Pyramiden sie gelegen sind, und nicht selten habe ich die Gräber von Vater, Sohn und Enkel, selbst Urenkel gefunden, so dass ganze Stammbäume jener angesehenen Familien, welche vor fünftausend Jahren den Adel des Landes bildeten, daraus hervorgehen. Das schönste von den Gräbern, das ich nebst vielen andern unter dem hier alles begrabenden Sand selbst aufgefunden habe, gehört einem Prinzen des Königs Cheops an.
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